Leopold Engel

(Lebensbeschreibung)

DAS GROSSE EVANGELIUM JOHANNES

Band 11

Empfangen durch Leopold Engel.

Nach der 7. Auflage.

Lorber-Verlag – Hindenburgstraße 5 – D-74321 Bietigheim-Bissingen.

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, D-74321 Bietigheim-Bissingen.

 

1. Kapitel – Der Herr bei dem Wirte Mucius.

[GEJ.11_001,01] (Der Wirt:) „... denn nur in der Wahrheit allein ist das Leben und deshalb das Suchen nach der Wahrheit die einzig beseligende Tätigkeit, die des Menschen Herz erwärmt und den in ihm wohnenden göttlichen Geist immer mehr und mehr erweckt, während in der Trägheit, der Lüge und der Unlust zum Suchen nach göttlicher Wahrheit nicht nur der Leibestod, sondern vor allen Dingen die Ursache liegt, daß die Seele sich immer mehr in materielle Dinge versenkt, wodurch sie nicht nur den alsbaldigen Leibestod verursacht, sondern sich auch im jenseitigen Leben untüchtig macht, vorwärtszustreben und ihr alleiniges Heil zu suchen.

[GEJ.11_001,02] Wollte man die Menschheit in ihrem alten Aberglauben belassen, sie jeder besseren Einsicht verschließen, nur aus dem Grunde, damit die Diener des alten Glaubens ein behagliches Leben führen können, so wie du meinst, so muß die Gottheit, die ein derartiges Versumpfen der Lebenstätigkeit der Seele wegen um jeden Preis verhindern will, die Völker alsbald mit allen möglichen Plagen zu drücken anfangen, damit sie erwachen, zur Selbsterkenntnis kommen und sich so allmählich frei machen von dem Druck und der Blindheit, die ihre sogenannten Lehrer über sie verhängt haben. Wie es dabei den Lehrern sodann aber ergehen wird, kannst du selbst sehr leicht ermessen. Von Liebe würde da nicht allzuviel zu erzählen sein; denn wer Selbstsucht und Lüge streut, wird auch nichts anderes ernten können, als was aus solchem bösen Samen alsdann aufgeht.

[GEJ.11_001,03] Ihr tut also dem Volke von Jerusalem ein bitteres Unrecht, wenn ihr glaubt, ihr tut besser daran, dasselbe in euren alten, nichtssagenden Satzungen zu erhalten, anstatt es anzuhalten, den Worten jenes Galiläers zu horchen und an seinen Liebestaten, von denen nun schon ganz Syrien erfüllt ist, ein Beispiel zu nehmen. Euer grenzenloser Hochmut und eure Selbstsucht hindern euch jedoch, Den zu erkennen, der nun schon lange in der Fülle Seiner ganzen Göttlichkeit zu euch gekommen ist, – den ich auch nicht erkannt habe, der jedoch jetzt sich mir klar zu erkennen gegeben hat.“

[GEJ.11_001,04] Über diese Rede des Wirtes war der Pharisäer nun so erstaunt, daß er nicht imstande war, auch nur ein Wort zu erwidern, sondern mit einigen nichtssagenden Worten sich zu seinen Leuten zurückzog, die in der Tür emsig der Rede und Widerrede gelauscht hatten.

[GEJ.11_001,05] Der Wirt aber kam zu Mir und sagte mit so recht liebevoller, biederer Herzlichkeit zu Mir: „Herr und Meister, verzeih mir, daß ich in meiner großen Blindheit Dich nicht alsogleich erkannte! Aber in dem Zwiegespräch mit jenem Pharisäer wurde es mir alsbald immer klarer und klarer, wer es denn so eigentlich sei, den ich in meinem schlechten Hause bewirte. Du Selbst bist jener Galiläer, von dem der Pharisäer sprach! Aber Du bist noch weit mehr, als nur ein großer Prophet; denn mir war es, als zöge sich mein Herz immer mehr und mehr zu Dir. Dabei stand Dein Bild mir immer klarer vor dem Auge, obgleich ich Dir doch den Rücken zuwandte, und mir war es, als spräche nicht ich selbst, sondern Du aus mir. O sage mir doch, lieber Herr und Meister, war es wirklich also?“

[GEJ.11_001,06] Antwortete Ich dem Wirte: „Ja, es war allerdings so. Nicht du, sondern Ich habe durch dich geredet, und Ich konnte das um so leichter, weil in deinem Herzen eine große Liebesflamme für Mich brennt, die Mich auch in dein Haus gezogen hat.

[GEJ.11_001,07] Und so wird es auch allzeit sein: nur dort kehre Ich ein, wo das Herz in der Liebe zu Mir entzündet ist, und Ich werde dann auch in diesem Herzen als einem Mir recht wohlgefälligen Hause alsbald Platz nehmen.

[GEJ.11_001,08] Dir ist es stets eine rechte Freude gewesen, von den Taten des Galiläers zu hören, und du hast alsbald herausgefunden, daß hinter diesen Taten sich mehr versteckt als die bloße Wunderkraft eines Propheten oder großen Mannes. Du hast daher recht lebhaft gewünscht, Ich möchte bei dir einkehren, damit du selbst dich überzeugen könntest, was denn so eigentlich an Mir wäre. Dabei hast du aber stets auf das, was Ich gelehrt, mehr gegeben als auf Meine Wundertaten; denn die Wahrheit dessen wurde dir alsbald recht einleuchtend. Und siehe, so warst du auch recht vorbereitet für Mein Kommen, und Ich habe leichte Arbeit mit dir gehabt! Denn einmal in dein Haus eingekehrt, regte sich alsbald der Geist und offenbarte dir klarst, was noch vielen Juden hier ein ewig lang verschlossenes Geheimnis bleiben wird.

[GEJ.11_001,09] Nun aber laß uns zur Ruhe gehen, denn Ich will nicht, daß jene Pharisäer und Kaufleute, welche sich über deine Rede gar gewaltig verwundert haben, noch heute abend zu uns kommen, um mit uns Rede zu führen! Es genügt, daß wir morgen unsere Mühe mit ihnen haben werden. Und so versparen wir denn alles auf morgen!“

[GEJ.11_001,10] Nach diesen Meinen Worten dankte der Wirt Mir nochmals für alle erwiesenen Wohltaten mit lauter Stimme. Ich aber verwies ihm das und sagte, daß sein geheimer Dank im Herzen Mir viel wohlgefälliger sei. So schwieg er denn und führte uns in ein anderes Zimmer, damit wir vor den Pharisäern und Kaufleuten, welche bereits ein lautes Gespräch anfingen, Ruhe hätten. Daselbst verbrachten wir die Nacht denn auch völlig ungestört.

 

2. Kapitel – Die Absicht der Pharisäer.

[GEJ.11_002,01] Als wir am andern Morgen erwachten, hörten wir vom Wirte alsbald, daß die gestrigen Ankömmlinge – keineswegs zufrieden damit, nicht Antwort direkt von uns erhalten zu können, wer wir seien – versucht hätten, die Diener des Hauses auszufragen, woher uns unser Weg geführt habe, und wer wir denn so eigentlich seien. Vornehmlich waren es die drei Pharisäer, welche in diesen Fragen etwas herrisch auftraten, gewohnt, gleich alles in Ehrfurcht vor sich ersterben zu sehen. Da war aber der erste Knecht des Hauses – auch ein Römer und früherer Waffengefährte unseres Wirtes –, der Marcius hieß und ihnen ihre neugierigen Fragen so echt römisch kurz abwies, daß sie höchst ärgerlich sich zurückzogen und gesonnen waren, ob dieses groben Knechtes bei seinem Herrn eine rechte Beschwerde zu führen.

[GEJ.11_002,02] Wir nahmen unser Morgenmahl in dem Saale ein, in dem wir geruht hatten, und konnten also genau hören, was in dem nebenanliegenden Zimmer, das uns am gestrigen Abend zur ersten Unterkunft diente, verhandelt wurde. Unser Wirt war zu den dreien daselbst eingetreten, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen, und diese Gelegenheit benutzte einer von ihnen, um seinem angesammelten Ärger so recht Luft zu machen.

[GEJ.11_002,03] Der Wirt hörte ihre Beschwerde mit Ruhe an und sagte sodann ohne jeden Zorn in seiner Rede: „Was ihr saget, kann ich nur insofern als gerecht erkennen, als mein Marcius euch in wohl etwas zu scharfer Weise zur Ruhe verwiesen hat, indem, wie ihr sehr wohl wisset, ihr nicht die einzigen Gäste in diesem meinem Hause seid. Mein Haus ist eine Unterkunft für jedermann, und ich kann nicht etwa für die Bürger von Jerusalem oder gar für die Mitglieder des Hohen Rates eine besondere Ausnahme meiner Hausordnung machen; denn dieses Haus ist gut römisch, und es hat sich demnach auch ein jeder, der dessen Schutz genießen will, nach seiner Ordnung zu richten, ansonst es ihm freisteht, eine andere Herberge zu suchen. Ihr aber habt noch spät in der Nacht eifrig disputiert, ohne euch darum zu kümmern, ob dadurch die Nachtruhe anderer gestört werde, und schließlich sogar angefangen, meine Leute, die der Nachtruhe gerade sehr bedürfen, zu euch zu rufen und sie auszufragen, bis eben Marcius euch diese Übergriffe kurzweg verwies. Es hätte das wohl etwas höflicher geschehen können, aber daß es geschehen, darum kann ich ihn nicht tadeln.“

[GEJ.11_002,04] Nahm der gestrige Sprecher (der Pharisäer) wieder das Wort: „Daß du ein ganz besonderer Freund deiner gestrigen Gäste bist, habe ich schon zur Genüge erfahren; aber ich denke, wir gelten doch auch noch etwas und können verlangen, höflich behandelt zu werden, wie es sich gegenüber Männern unseres Ansehens und Standes denn doch schickt. Aber sei dem nun schon, wie dem wolle – denn ich habe schon gestern erfahren, wie du uns gesinnt bist, so daß wir schwerlich von dir unser Recht erhalten werden –, sage du uns, wer denn so eigentlich die nicht kleine Gesellschaft ist, welche sich gestern in diesem Saale befand, und wer ihr Wortführer, mit dem du dich besprachst!“

[GEJ.11_002,05] Antwortete der Wirt: „Dieses euch zu offenbaren, bin ich nicht befugt. Wollt ihr es wissen, so fragt ihn doch selbst! Er ist noch mit der ganzen Gesellschaft in meinem Hause und wird euch sicherlich bei einer Anfrage mit einer Antwort dienen.“

[GEJ.11_002,06] „Das ist es ja, was ich vermeiden will“, sagte der Pharisäer, „denn ich habe wohl gemerkt, daß er alle deine wenig höflichen Reden, welche du über das jüdische Volk und seine Lehrer von dir gabst, völlig zu teilen schien, – wenigstens hat er dir in keiner Weise widersprochen, sondern vielmehr oftmals zugestimmt, wie wir aus einigen wenigen aufgefangenen Bemerkungen wohl vernommen haben. Trotzdem schien uns aber aus seiner Rede eine Fülle von verborgener Weisheit hervorzuleuchten, die uns die Frage nahelegt, wer und was er sei, ob er etwa den bewußten Galiläer selbst kenne, ihn gesehen oder gar selbst ein Jünger von ihm wäre.

[GEJ.11_002,07] Wir wissen gar wohl, daß dieser sogenannte Messias, der nichts weiter als ein Zimmermannsgeselle aus Nazareth ist, schon des öfteren Jünger aussandte, die sodann auch Wunder gewirkt haben sollen, und sind nun auch mit diesen unseren Freunden, welche Kaufleute sind und von Jerusalem über Jericho nach Petra ziehen wollen, ausgezogen, um selbst so einige Nachrichten einzusammeln, wie weit denn dieser Unfug schon gediehen ist, das Volk gegen uns und den Tempel aufzuhetzen; denn der Hohe Rat in Jerusalem ist keineswegs gesonnen, noch weiterhin zuzulassen, daß sein Ansehen geschmäht werde von einem Menschen, der seine Zauberkünste für Werke des Gottesgeistes und sich selbst für einen Sohn des Höchsten ausgibt, wie es unglaublicherweise schon des öfteren geschehen ist.

[GEJ.11_002,08] Ich sage dir das, mein lieber Wirt, damit du etwas weniger Partei für jenen Menschen nimmst und dich nicht mitschuldig machest an dem Wirken jenes Volksaufwieglers, das dann auch für dich recht schlechte Früchte zeitigen würde; denn noch hat der Rat und das Tempelgericht in Jerusalem Rechte und Kraft genug, seine Gegner zu besiegen. Solltest du also zufällig wissen, wo sich jener Galiläer befindet, oder solltest du es durch jenen uns recht weise scheinenden Gast erfahren können, so würdest du uns einen großen Dienst erweisen und auch völlig versichert sein können, daß wir dir in keiner Weise dein heftiges und uns recht beleidigendes gestriges Wesen, sowie das deines Knechtes, nachtragen werden.“

[GEJ.11_002,09] Nach dieser längeren Rede des Pharisäers wäre unser Wirt, der Mich im Herzen schon längst erkannt hatte, am liebsten so recht über die drei hergefallen.

[GEJ.11_002,10] Ich ermahnte ihn jedoch im Innern, so daß er schwieg und in aller Gemütsruhe sagte (der Wirt): „Ja wenn ihr mir im Ernste beweisen könnt, daß jener Galiläer ein Volksaufwiegler, womöglich gegen die Herrschaft Roms ist, so stehen die Sachen ja ganz anders, und ihr könnt überzeugt sein, daß ich alles tun werde, um einen solchen schlimmen Feind Roms unschädlich zu machen. Mir scheint es jedoch wesentlich anders zu sein, und wir müssen daher über diesen Fall da doch recht ernstlich reden.“

[GEJ.11_002,11] Der Pharisäer fing nun an, zutraulich zu werden, forderte den Wirt auf, sich zu ihm zu setzen – eine nach seiner Meinung unerhörte Ehre – und begann nun, alle die bekannten und schon oftmals angeführten pharisäischen Spitzfindigkeiten herzuerzählen: daß Ich die Schrift nicht achte, Moses und den Alten Bund umzustoßen gedächte, kurz, Mich zu einem König der Juden aufzuschwingen gedächte, damit die Herrschaft der Römer vernichtet würde.

[GEJ.11_002,12] Der Wirt hörte sich alles mit größter Gelassenheit an und sagte sodann, er wolle sich Rates bei seinem weisen Gaste holen und werde dann zu ihnen wiederkehren. Die Pharisäer, sowie auch die Kaufleute, unter denen sich einer befand, der bei der Reinigung des Tempels sich als Geldwechsler befunden hatte, waren über den scheinbaren Umschwung der Stimmung des Wirtes recht zufrieden und entließen ihn mit gnädigen Blicken.

 

3. Kapitel – Der Mensch als Beherrscher der Natur.

[GEJ.11_003,01] Alsbald kam der Wirt, welcher Mucius hieß, ganz leuchtend vor innerem Grimm in unseren Saal, der durch eine feste Tür von dem anstoßenden Gemach getrennt war, so daß eine Überraschung nicht gefürchtet zu werden brauchte, zu uns herein und sagte bebend vor Zorn: „Herr und Meister, da ist doch einmal wieder ein rechter Beweis, wenn ich gestern die Jerusalemer und namentlich die Templer für schlechter noch als die schmutzigsten Schweine erklärte; denn mit aller Arglist versucht man es, mich in die Netze des Tempels zu ziehen. Am liebsten wäre ich über diese Elenden hergefallen und hätte ihnen die Schärfe meines Schwertes zu verkosten gegeben, das noch lange nicht in seiner Scheide eingerostet ist; aber da fühlte ich in meinem Herzen Dein besänftigendes Wort, dem ich gehorchte, und ich vermochte es sogar dadurch, ein ruhiges, gleichgültiges Äußeres zu zeigen.“

[GEJ.11_003,02] „Daran hast du sehr wohlgetan“, antwortete Ich dem erregten Mucius, „denn das Gegenteil würde Mir und dir eine Arbeit vernichtet haben, um derentwillen Ich ebenfalls hierhergekommen bin. Und so beruhige dich denn, Mein lieber Mucius, denn so wie es ist, ist es gerade recht!

[GEJ.11_003,03] Laß uns aber nun ins Freie gehen! Du hast hier an deinem Hause einen recht schönen, nicht zu kleinen Garten, dort können wir unbehinderter als hier sprechen und beraten, was denn eigentlich mit diesen dich so verzweifelt ärgernden Menschen anzufangen ist.“

[GEJ.11_003,04] Als nun alle in diesen Garten traten, staunten sie über den ausnehmend guten Geschmack, mit dem derselbe angelegt war. Mucius hatte es verstanden, mit viel Sorgfalt auf einem verhältnismäßig kleinen Fleck Erde eine Fülle von allerhand Blumen und Ziersträuchern zu pflanzen, welche, malerisch verteilt, dem Garten ein höchst liebliches Ansehen gaben. Die Jünger belobten deswegen auch unseren Wirt lebhaft und meinten, dieser Garten sei ein treues Bild seines inneren Wesens, das auch eine sorgfältige eigene Pflege genossen habe, wie aus seinen Reden bereits hervorgegangen sei.

[GEJ.11_003,05] Mucius erklärte ihnen nun, daß es ihm stets einen hohen Genuß gewähre, hier stille Stunden der Andacht zu feiern, und daß sein oft allzu feuriges und daher auch zu einem aufwallenden Zorn geneigtes Gemüt hier stets Ruhe und Frieden gefunden habe, daß auch des Lebens Druck ihm weniger empfindlich erschienen sei, wenn er durch ein Betrachten der vielen hier zu findenden Natur- und Pflanzenwunder sein Gemüt gestärkt habe. Zwar sei in dieser Jordangegend ein ganz besonders günstiges Klima, das ihn oftmals an die südlicheren Gegenden Afrikas und Asiens erinnert habe, welche kennenzulernen er als Soldat ebenfalls Gelegenheit gehabt habe, – aber immer habe es ihm doch geschienen, daß es mit dem besonderen Blühen und Gedeihen seines Gärtchens eine besondere Bewandtnis haben müsse; denn noch nie sei es bei ihm vorgekommen, daß ein von ihm gepflanzter Baum, Strauch oder eine Staude jemals eingegangen sei, wie es bei seinen Nachbarn doch wohl vorkäme, sondern stets habe alles, was er gepflanzt und gepflegt, die reichste Frucht getragen. Auch Meine Jünger wunderten sich sehr darüber, und Petrus fragte Mich, woher denn das wohl käme.

[GEJ.11_003,06] Antwortete Ich darauf: „Das Sinnen, Trachten und Handeln eines Menschen, sowie seine innere, geistige Beschaffenheit, steht stets im Einklang mit seiner äußeren Umgebung, so daß sich alsbald Wechselwirkungen daraus ergeben. Ihr wißt, und Ich habe es euch auch schon gesagt, daß ein jeder Mensch von einer Außenlebenssphäre umgeben ist, vermöge derer er aus der ihn umgebenden Luft geistige Influenzen einsaugt, die er zur Ernährung und Erweiterung seines seelischen Ichs gebraucht.

[GEJ.11_003,07] Ebenso strahlt er auch aus sich wieder vergeistigte Stoffe aus, die nun von der ihn umgebenden niederen Welt gierig aufgesogen werden. Ist der Mensch gut, voll edlen Strebens und von Liebe zu Mir erfüllt, so werden auch diese ausströmenden Partikel gut, milde und wohltätig wirken können. Ist er es nicht, so tritt das Gegenteil ein.

[GEJ.11_003,08] Hier könnt ihr nun sehen, wie sehr wohltätig die ausströmende Lebenssphäre des Mucius auf alle Pflanzen wirkt. Da er nun selbst jede Pflanze hier eingesetzt und auch dauernd gepflegt hat, so hüllte er wiederholt alle in seine Sphäre ein, und diese benutzen die Gelegenheit eifrigst, diese mildtätigen Einflüsse in sich aufzunehmen. Daher blüht und grünt denn hier auch noch alles, während in anderen Gärten der Spätherbst sich schon sehr bemerkbar macht.

[GEJ.11_003,09] Es ist der Mensch aber ein Beherrscher der Natur, wenn er nach Meinem Worte lebt und nach Meinem Geiste strebt, und in dieser Fähigkeit, die Ich euch erklärt habe, liegt auch der Schlüssel, warum er es sein kann, – denn alles im ganzen Universum strebt nach seiner Form, nach seiner Vollendung und sucht sich ihr nach Möglichkeit zu nähern.

[GEJ.11_003,10] Es ist daher im Menschen die Kraft, alle Wesen an sich zu ziehen, die ihm auch gerne folgen, weil der schon in allen Wesen liegende innere Trieb zur Vollendung ihnen den Wunsch dazu eingibt. Natürlich kann aber nur ein vollendeter Mensch imstande sein, zum Beispiel die Instinkte der reißenden Tiere soweit zu besiegen, daß der auch in diesen liegende innerste Wunsch nach Vollendung die Oberhand über ihre oft grausamen Triebe erlangt und sie sich gleich Lämmern fügen, da sie die Oberhoheit, das heißt die schon vollendete Form und geistige Macht im Menschen erkennen.

[GEJ.11_003,11] Jeder strebende Mensch wird aber erkennen, wie er stufenweise allmählich auch ein kleiner Herr in der Natur wird und, je mehr die Wiedergeburt des Geistes bei ihm eintritt, schließlich zu einem Herrscher über die Natur erwächst.

[GEJ.11_003,12] Fahre du nur so fort, Mucius, in deinem Herzen dem höchsten Gott zu dienen, und noch ganz andere Wunder werden sich dir erschließen als die, welche du bisher in deinem Garten vorgefunden hast!“

 

4. Kapitel – Die Pharisäer beim Herrn.

[GEJ.11_004,01] Sagte der Wirt fast tränenden Auges zu Mir: „Herr und Meister, ich habe es zwar schon deutlich in meinem Herzen empfunden, daß Du und jener Galiläer, den die nun leider in meinem Hause befindlichen Pharisäer zu verfolgen gedenken, ein und dieselbe Person sind. Aber was mein Herz dabei ahnte, ist mir nun auch zur völligen Gewißheit geworden: daß Du niemand anders als die personifizierte höchste Gottheit Selbst bist; denn derartige Wunder tun und mit klaren Worten schildern, wie es im Haushalt der Natur beschaffen ist, kann nur der, der dieselbe völlig durchdrungen hat und in sich ein allergrößter Beherrscher derselben geworden ist. Wer aus Nichts Brot und aus Wasser Wein schaffen kann, der kann auch den Himmel und alle seine Sterne mit einem Wort hervorrufen, wie es Moses den Juden seinerzeit beschrieben hat. Und so danke ich Dir denn aus vollstem Herzen, Du Herr Himmels und der Erden, daß Du mich würdig befunden hast, mich und mein Haus zu besuchen, das Dich allezeit eifrigst gesucht und nun auch in aller Fülle gefunden hat.“

[GEJ.11_004,02] Sagte Ich zu Meinen Jüngern: „Da sehet ihr abermals, wie schnell Mich die Heiden erkennen und bei sich aufnehmen, während die Auserwählten Mich verstoßen, zu fangen und zu töten suchen. Dieser Römer hat Mich nur in seinem Herzen gefunden, während Ich anderwärts Wunder über Wunder wirken mußte, um ihre zähen Herzen zu einem brauchbaren Boden umzuwandeln, damit das Samenkorn Meines Wortes gedeihe. Darum wird aber auch den Juden das Himmelreich genommen und in aller Fülle den Heiden gegeben werden, denn diese werden es besser zu wahren wissen als die nun überaus finster gewordenen Juden und Pharisäer.

[GEJ.11_004,03] Du aber, Mein Mucius, sollst Mir noch ein tüchtiges Rüstzeug hier im Süden werden, ein Bollwerk gegen die Bosheit der Pharisäer und Schriftgelehrten, das Mir noch große Dienste leisten wird; denn es ist nötig, feste Plätze zu errichten, die uneinnehmbar sind. Und solch ein fester Platz, der den Schatz Meines Wortes in sich birgt, wird Mir dein Herz und die Herzen deiner Angehörigen werden.

[GEJ.11_004,04] Nun sende Mir aber die Pharisäer und Kaufleute heraus, und während Ich versuchen werde, diese auf wenigstens ein wenig bessere Wege zu leiten, lasse du dich von Meinem Jünger Johannes in die Tiefe Meiner Lehre einweihen, damit du sie ganz erkennst!“

[GEJ.11_004,05] Der Wirt Mucius ging nun zunächst zu den Pharisäern und Kaufleuten und brachte ihnen die Nachricht, daß sie aufgefordert würden, selbst zu Mir zu kommen, um ihr Anliegen vorzutragen, und daß er nicht imstande sei, ihnen irgendwelche befriedigende andere Antwort zu überbringen.

[GEJ.11_004,06] Wohl oder übel mußten sich die drei Leviten, wollten sie nicht beweisen, daß es ihnen um das Gesagte nicht ernst sei, in den Garten verfügen, um Mich aufzusuchen. Ihnen schloß sich nur der eine Kaufmann, den Ich schon als einen der Tempelwechsler bezeichnete, an, da die andern, aus Sorge für ihre Waren, vorschützten, dieselben nicht ohne Aufsicht stehen- und liegenlassen zu können, sich daher zu ihren Ballen begaben, um für die baldige Abreise Sorge tragen zu können.

[GEJ.11_004,07] Alsbald sah man denn auch die drei Pharisäer und den Kaufmann zu uns in den Garten treten, gefolgt von Mucius, der sich alsbald zu Johannes begab, um sich mit ihm in ein ernstes Gespräch über Mich und Meine Lehre einzulassen.

[GEJ.11_004,08] Der gestrige Sprecher ging auf Mich zu, da Mich schon Mucius bezeichnet hatte, und sagte dann auch in ganz freundlichem, aber doch herablassenden Ton zu Mir (der Pharisäer): „Lieber Freund, wir als Mitglieder des Hohen Rates zu Jerusalem bitten dich recht höflich um eine Auskunft, die du uns zu geben sicherlich gern gewillt sein wirst, vorausgesetzt, daß du sie uns geben kannst, wie wir jedoch vermuten.

[GEJ.11_004,09] Aus deinen recht weisen Reden, welche wir gestern, ohne es eigentlich zu wollen, in dem nebenanliegenden Zimmer vernahmen, haben wir ersehen, daß du in der Schrift sowie auch in der Völkerkunde recht erfahren sein mußt, ansonst du nicht solche tiefsinnigen Erklärungen hättest geben können, die selbst uns, die wir doch in der Geschichte unseres und des umliegenden Landes auch wohlerfahren sind, noch völlig fremd geblieben waren. Sicherlich bist du weit gereist und hast Forschungen unternommen, die auch uns recht interessieren werden, bei Gelegenheit von dir zu erfahren.

[GEJ.11_004,10] Für uns ist es jedoch nunmehr recht wichtig, etwas Näheres von jenem Galiläer zu erfahren, über den der Wirt öfter mit dir und uns gesprochen hat und über dessen Treiben Erkundigungen einzuziehen wir ausgesandt worden sind. Es ist ja sehr leicht möglich, daß er auf deinen Wanderungen dir begegnet wäre und somit du uns Näheres über ihn mitteilen könntest, und wir möchten dich bitten, falls du das imstande bist, dieses zu tun.“

[GEJ.11_004,11] Antwortete Ich: „Um das ihr Mich bittet, könnte Ich leicht tun, da Ich in der Tat jenen Galiläer recht wohl kenne; aber es handelt sich darum, von euch zu wissen, was Ich denn von ihm aussagen soll. Gutes wird euch häßlich in den Ohren klingen, denn ihr seid ausgezogen, Anklagen gegen ihn zu sammeln, damit er verderbt werden könnte. Soll Ich aber der Wahrheit gemäß reden, so wird wohl niemand imstande sein zu zeugen, daß er je Übles vollbracht habe, und nur mit dem Berichten solcher Taten würde euch gedient sein. Was wollt ihr also, daß Ich tun soll?“

 

5. Kapitel – Der Herr verurteilt die Hinterlist der Pharisäer.

[GEJ.11_005,01] Sagte etwas verlegen der Pharisäer: „Meister, ich sehe wohl, daß mit dir etwas hart zu reden sein wird, aber dennoch bitte ich, meinen Wunsch zu erfüllen und mir, da du nun bekannt hast, jenen Galiläer zu kennen, zu sagen, mit welcher Hilfe er seine Wundertaten ausübt, oder ob diese nur grober Betrug und Künste der Essäer sind. Auch wir sind Freunde der Wahrheit und suchen diese allereifrigst. Darum sind wir auch ausgesandt worden, da der Hohe Rat weiß, daß man uns nicht so leicht ein falsches Wunder für ein echtes Wunder vormachen und so leicht wie das dumme Volk betrügen kann. Wolle uns also unsere Fragen beantworten, und sei versichert, daß wir dir vollends Glauben schenken werden!“

[GEJ.11_005,02] Antwortete Ich: „Warum denn gerade Mir, den ihr nicht kennt? Leben nicht gar viele Augenzeugen in Israel, die es euch bezeugen können und auch schon bezeugt haben, daß jenes Galiläers Taten echt sind und nicht mit Hilfe des Satans geschehen? Ihr kennet diese Zeugen sehr genau und glaubtet ihnen doch nicht! Warum werdet ihr da Mir glauben?“

[GEJ.11_005,03] Sagte der Pharisäer: „Wir haben deine weisen Reden gehört, Meister, und daraus ersehen, daß du nicht so blind sein kannst, als wie es denn doch viele von denen sind, die wir kennen und die auch uns von den Taten jenes Jesus von Nazareth erzählt haben. Wir kennen diese aber als sehr leichtgläubig und können daher ein Zeugnis von ihnen noch nicht anerkennen. Ganz anders aber ist es bei einem Manne, der wie du durch seine Reden beweist, daß er viel gesehen und sich große Weltkenntnis angeeignet haben muß. Und nun wiederholen wir auch unsere Bitte: du wollest uns deine Meinung über den Galiläer unverhohlen sagen!

[GEJ.11_005,04] Wir sind, nur um an Ort und Stelle seine Wundertaten untersuchen zu können, über Jericho gereist, wo er einen Blinden sehend gemacht haben soll und längere Zeit verkehrte. Aber wir müssen gestehen, daß alle die vielen Lobpreisungen des Bettelvolkes uns keineswegs haben überzeugen können, daß es da mit übernatürlichen Dingen zugegangen sei, denn es gibt, zumal unter den Griechen, recht weise und geschickte Ärzte, denen es auch schon öfter gelungen ist, Krankheiten zu heilen, die niemand je zu heilen hoffen konnte. Warum sollte es da nicht so ähnlich sein wie bei den oft ganz verzweifelt schwierig erscheinenden Krankheiten, die doch von den griechischen Ärzten geheilt worden sind?

[GEJ.11_005,05] Es wurde uns nun gesagt, daß es am wahrscheinlichsten wäre, den Galiläer im Jordantale um diese Zeit zu finden, da er zur Winterzeit beabsichtigen sollte, sich mehr nach dieser Gegend hin zu ziehen. Wenigstens erfuhren wir so durch die Vermittlung eines der Hausgenossen des Lazarus in Bethanien und machten uns denn auch von Jericho deshalb nach hier auf, um diese Gegend abzusuchen. – Nun kennst du unsere Absicht genau, lieber Meister, und wirst mit der Beantwortung unserer Fragen gewiß nicht mehr zurückhalten.“

[GEJ.11_005,06] Sagte Ich: „O keineswegs, und seid überzeugt, ihr sollt schon ganz nach aller Ordnung bedient werden! Nur fällt es Mir ganz außerordentlich auf, daß ihr nur zur Untersuchung seiner Wundertaten auszoget und nicht zur Untersuchung seines Wortes. Ich weiß, daß jener Galiläer des öfteren von dem wenigen Nutzen der Wunder gesprochen hat, daß in ihnen für die Nichtanwesenden wenig oder gar keine Beweiskraft liege, wie ja auch an euch jetzt klar ersichtlich ist, – daß er aber alles auf die Wahrheit und Lebendigkeit seines Wortes und seiner Lehre setzte, der einzig und allein durch die ihr innewohnende Geisteskraft die rechte Überzeugung anhaftet. Warum untersuchet ihr denn diese nicht und kümmert euch darum nicht? Beantwortet Mir doch das!“

[GEJ.11_005,07] Sagte der Pharisäer, so recht mitleidig lächelnd: „Wir haben Moses und die Propheten, die Kabbala und die Thora; was bedürfen wir da weiterer Lehren, da doch in diesen Büchern schon alles enthalten ist, – alle Weisheit Gottes nur hier niedergelegt ist? Die Lehre des Galiläers, die uns schon oftmals hinterbracht wurde, ist oft so verworren, unklar und unsinnig, daß sich ein erfahrener Schriftgelehrter, wie wir welche sind, schon gar nicht damit befassen kann, denn sie steht der Lehre Mosis schnurgerade zuwider.

[GEJ.11_005,08] Es kann sich also nur höchstens darum handeln, ob seine Wundertaten echt sind, die sodann, falls davon uns die Überzeugung beigebracht werden kann, auch gern anerkannt werden würden, zumal im Dienste des Tempels sodann große Wohltaten für das jüdische Volk daraus erwachsen könnten.“

[GEJ.11_005,09] Sagte Ich, indem Ich den Sprecher scharf anblickte: „Ihr Toren, glaubt ihr denn, daß es dem Galiläer nicht ein leichtes sei, den Tempel und alle seine Diener zu vernichten, – wie könnet ihr denn glauben, daß eure List es vermögen würde, ihn in eure Dienste zu ziehen? Jetzt aber ist so recht die Maske gefallen, und Ich wollte es um dieser hier Anwesenden willen, daß die Absichten des Tempels so recht enthüllt werden. Nicht um das wahre Leben, die Lehre, wie man selig werde, ist es euch zu tun – denn an eine Seligkeit nach dem Tode zu glauben erscheint euch ein barster Unsinn –, sondern einzig und allein um viel Macht, Ansehen und, wenn es geht, Zauberkünste zu erlernen, damit ihr das Volk in Angst und Schrecken erhaltet und es euch, wenn nicht aus Liebe und Ehrfurcht, so doch aus alleiniger Furcht diene. Dieses Ziel zu erreichen, scheint euch der Galiläer so der rechte Mann zu sein. Ihr wisset, daß ihm das Volk anhängt, – ob seine Wundertaten echt oder unecht, gilt euch gleich, wenn sie nur in eure Dienste zu euren selbstsüchtigen Zwecken gestellt werden, so ist es schon gut. Denn jedenfalls erscheinen sie euch gut, eure Taschen noch rascher zu füllen, als es schon geschehen ist; und jenem Jesus von Nazareth seine Künste abzulauschen, erscheint euch auch nicht allzuschwer, so daß ihr, wenn er später euch unbequem wird, euch seiner schon entledigen werdet.

[GEJ.11_005,10] Das sind so die Gedanken des Hohen Rates, die auszuführen euch befohlen wurde, und darum seid ihr ausgezogen, den Galiläer zu suchen, um ihn für eure Zwecke zu bereden.

[GEJ.11_005,11] Aber wahrlich, Ich sage euch, eher wird es euch gelingen, die Sonne von ihrer Bahn abzubringen, als eure schnöden Absichten zu erreichen; denn in jenem Galiläer lebt ein höherer Befehl, dem er auch Folge leistet, und dieser in ihm herrschende Befehl kommt von jenem Gott, den ihr wohl mit den Lippen in Jerusalem verehret, nie und nimmer aber mehr mit dem Herzen. Wenn ihr daher nur ein wenig Urteilskraft besitzet, müsset ihr einsehen, daß er nur bemüht sein kann, dem ihn treibenden Geiste gerecht zu werden – woher auch seine Größe, Kraft und Macht stammt –, aber nicht euren selbstsüchtigen Plänen, die nur nach Bewunderung und falschem Prophetentum geizen.

[GEJ.11_005,12] Eure grenzenlose Blindheit aber, die euch verstockt und untüchtig macht, in das Reich Gottes einzugehen, wird euch später doch noch ins Verderben stürzen. Die Barmherzigkeit Gottes geht so weit, daß Er allen euren greulichen Sünden noch mit Langmut zusieht, in der Hoffnung, ihr würdet schließlich doch euch bekehren und in euch gehen; denn so da ein Sünder auch schon inmitten der Hölle sitzen würde und er schrie um Hilfe nach seinem Gott und Herrn, so würde ihm Erlösung und Hilfe werden. Aber ihr werdet euch das Gericht selbst zubereiten, und wahrlich, es ist schon nahe herangekommen! Dann aber saget nicht: ‚Herr, Du bist ein harter Gott und hast uns diese Wunden geschlagen ob unserer vielen Sünden! Du hast Dein heilig Angesicht von uns abgewendet, und nun herrschet Heulen und Zähneklappern unter uns!‘, sondern leget euch diese böse Zeit dann selbst zu, nicht als ein Strafgericht Gottes, sondern nur als eine gerechte Folge eurer Verstocktheit und Geistesträgheit, die da mit sehenden Augen blind und mit hörenden Ohren taub macht!“

 

6. Kapitel – Die Blindheit der Pharisäer.

[GEJ.11_006,01] Sagte der Pharisäer ganz verwundert: „Meister, wer bist du, daß du also gewaltig redest und über uns den Stab brechen kannst?“

[GEJ.11_006,02] Antwortete Ich ihm: „Ich sagte ja eben, daß die da mit sehenden Augen blind und die mit hörenden Ohren taub werden durch ihre Verstocktheit. Reinige dich von dem Schmutze des Tempels, damit du hörest und sehest! Ich weiß gar wohl, daß du und deine beiden Gefährten die letzten sind, die noch eines so halbwegs besseren Gemütes sind.

[GEJ.11_006,03] Und ihr drei seid auch ausgezogen und habt euch eifrig um dieses Geschäft beworben, weil ihr erfahren wolltet, was denn nun eigentlich an all dem Gerede über den Galiläer Wahres daran sei; aber trotzdem seid ihr ausgezogen wie einer, der da hört, es läge in der Wüste ein großer Schatz vergraben, und meint: ‚Ich werde versuchen, ihn zu suchen; vielleicht finde ich diesen Schatz.‘ Und er zieht dann auch von dannen, ohne große Hoffnung, nur des Versuches wegen. Findet er den Schatz, so ist es gut, – findet er ihn nicht, so grämt er sich auch nicht weiter darüber.

[GEJ.11_006,04] Ich aber sage euch: Das Himmelreich ist nicht ein Schatz, der also gleichgültig gesucht werden kann; sondern mit vielem heißen Ringen und Streben muß in der Wüste des Lebens allereifrigst nach dem Schatze gesucht werden, und wer das nicht tut, dem kann es geschehen, daß ein anderer kommt, der nach ihm an derselben Stelle weit eifriger sucht und gräbt und auf den Schatz stößt, den der erste an derselben Stelle nicht fand.

[GEJ.11_006,05] Ihr seid nun ausgezogen; suchet daher eifrigen, nicht gleichgültigen Sinnes, damit ihr findet, um was ihr auszoget!“

[GEJ.11_006,06] Sagte der zweite Pharisäer, der inzwischen immer aufmerksamer Mich betrachtet hatte: „Meister, das klingt, als ständen wir an der Grenze des Himmelreiches und fänden diesen Schatz nicht! Könntest du uns nicht so einen kleinen Wink geben, wie wir denn suchen sollen, um den Schatz zu erlangen?“

[GEJ.11_006,07] Sagte Ich: „Ich habe es euch ja schon gesagt: Folget nur Meinen Worten!“

[GEJ.11_006,08] Damit wandte Ich Mich zu Meinen Jüngern, die sich schon sehr darüber verwunderten, daß die drei gar so blind und taub waren und Meine ihnen so deutlichen Aussprüche nicht begriffen.

[GEJ.11_006,09] Ich aber sagte ihnen: „Ihr steht völlig in Meinem Licht, und es ist euch daher ein leichtes, zu sehen. Diese aber stehen in der Finsternis und sehen daher, wie man sagt, die Hand vor den Augen nicht. Es wird uns auch nicht gelingen, sie vollends sehend zu machen; denn was da vollends sehend gemacht werden kann, ist bereits dem Tempel entführt. Diese können und sollen aber hergerichtet werden, um der Bosheit der übrigen Templer wenigstens so ein kleines Hindernis entgegenzustellen, und darum werden sie Mich auch nicht erkennen, sondern nur für einen ersten Jünger des Galiläers zu halten fortfahren, wobei wir sie auch belassen werden. Nach Meiner Auffahrt aber werden sie dann auch vollends bekehrt werden.“

[GEJ.11_006,10] Notabene: Es wird hier manchem auffallen, daß Ich hier und auch schon früher zu Meinen Jüngern direkt von Meiner künftigen Auffahrt sprach. Da ist zu bemerken, daß sie diese, solange sie nicht in Wahrheit geschehen, nie wörtlich nahmen, sondern vermeinten, Ich würde, wenn Meine Lehrzeit beendet sei, Palästina verlassen und entweder nach Griechenland oder Rom fahren, um dort Meine Tätigkeit fortzusetzen. Auch Meine Worte, daß das Himmelreich den Heiden gegeben werden würde, wurden vielfach so aufgefaßt. Ich beließ sie vorläufig bei diesem Glauben, bereitete sie jedoch durch oftmalige Hinweise auf etwas Außerordentliches in der kommenden Zeit vor, damit dann durch die kommenden Ereignisse alle falschen Begriffe von selbst richtiggestellt werden konnten.

[GEJ.11_006,11] In dieser Art belehre Ich auch jetzt noch alle die, die Mir anhangen und voll Glaubens sind, damit kein toter Autoritätsglaube, sondern der lebendige Glaube Wurzel schlagen kann und von dem reinen Herzensverstand geregelt und recht geleitet werde.

 

7. Kapitel – Der Kaufmann sucht den Herrn.

[GEJ.11_007,01] Wir warteten nun ruhig ab, was die drei Pharisäer, die sich mit dem Kaufmann berieten und aus Meiner Person nicht recht klug werden konnten, vorbringen würden, und taten, als wären diese gar nicht anwesend. Mucius war inzwischen mit kurzen Worten von Johannes belehrt worden, und beide traten zu uns. Mucius wollte Mir danken. Ich aber wies auf die abseits stehenden viere hin, worauf er Mich auch verstand und schwieg.

[GEJ.11_007,02] Jetzt näherten sich dieselben uns wieder, und zwar ergriff der Kaufmann nun das Wort und sprach: „Meister, aus deinen Worten habe ich recht klar ersehen, daß dir der Galiläer sehr wohl bekannt sein muß, zumal du auf seine große Kraft hinweisest, der nichts widerstehen kann. Ich selbst, obgleich ich ihn nie gesehen habe, habe diese Kraft sehr wohl empfunden und daher diese meine Freunde auch schon nach Kräften gewarnt, nicht etwa des Galiläers Zorn auf sich zu laden, da sie sodann meinem Erachten nach rettungslos verloren wären. Sie aber sind durch solche Warnungen nur um so begieriger geworden, den Wundermann kennenzulernen und seine Kraft wo möglich zu erproben.“

[GEJ.11_007,03] Fragte der Wirt den Kaufmann, was denn das für ein Ereignis gewesen wäre, das er andeutete.

[GEJ.11_007,04] Alsogleich erzählte nun der Gefragte (der Kaufmann): „Es werden zu den nächsten Ostern nun drei Jahre werden, als ich mir im Tempel einen kleinen Stand errichten durfte, um dem Geldwechslergeschäft obzuliegen, das gerade zur Osterzeit der vielen Opfer wegen einen recht ansehnlichen Gewinn abwirft. Eines Tages nun hörte ich, daß der bewußte Galiläer in Jerusalem sei und in den Tempel gegangen sei, dort zu lehren. Ich wollte mich aufmachen, ihm näher zu treten, um den damals erst neu erstandenen Wundermann genauer betrachten zu können, als plötzlich eine mächtige Stimme den Bau des Tempels durchdröhnte, deren Wortlaut mir noch erinnerlich ist: ‚Meines Vaters Haus ist ein Bethaus, ihr aber habt es zur Mördergrube gemacht!‘ Ich erschrak darüber mächtig. Dort, wo der Galiläer stehen sollte, entstand eine große Verwirrung, und alle, auch mich, befiel plötzlich eine solch entsetzliche Angst, daß das gesamte Volk den Ausgängen zustürzte.

[GEJ.11_007,05] Ich habe es nicht wieder gewagt, den Tempel und meinen Geldwechslerstand zu betreten, aus Furcht, der mächtige Mann möchte am Ende dasselbe Spiel wiederholen, – habe auch bei der plötzlichen Flucht eine ansehnliche Summe Geldes verloren, die sicherlich dem Tempel sehr zugute gekommen sein wird, und ich weiß daher aus Erfahrung, welch große Macht der Galiläer besitzt.“

[GEJ.11_007,06] Fragte ihn darauf Petrus: „Hast du denn nachher nie den Galiläer gesehen?“

[GEJ.11_007,07] Antwortete der Kaufmann: „Niemals, denn einesteils hielt mich eine große Furcht vor ihm davon ab, andernteils hatte ich keine Zeit dazu. Ich mußte suchen, den im Tempel erhaltenen Verlust an Vermögen wieder auszugleichen und bereiste alsbald die Küstenstädte, wo ich Handel mit bestem Öl betrieb, das nach Griechenland und Rom ausgeführt wird, sodann auch mit vielen anderen Erzeugnissen dieses Landes und bin erst jetzt seit kurzem wieder in Jerusalem ansässig. Von Petra aus suche ich mir jetzt neue Verbindungen, um die Erzeugnisse Indiens und Arabiens nach den Küstenstädten führen und von da nach Rom ausführen zu können. Das ist der Zweck meiner jetzigen Reise.

[GEJ.11_007,08] Ich hatte also bis jetzt keine Gelegenheit, in jener Angelegenheit irgend etwas zu unternehmen, trotzdem ich gerne jenen Jesus von Nazareth gesehen hätte. Viele schelten ihn einen harten, abstoßenden Mann, dessen Lehre ebenso beschaffen sei, – andere wieder rühmen seine Milde, Weisheit und unbegreifliche Kraft, mit der er die größten Wunder wirkt. Auf meinen Reisen habe ich viel Gelegenheit gehabt, mich davon zu überzeugen, daß seine Kraft keine Einbildung, sondern tatsächlich vorhanden ist. Trotz alledem traf es aber unglücklicherweise sich stets so, daß meine Geschäfte mich abhielten, mit ihm zusammenzutreffen.“

[GEJ.11_007,09] Sagte Ich zu dem Kaufmann: „Wo Weltverstand, Haschen nach Reichtum, mit Eigennutz verbunden, Hand in Hand gehen, da allerdings muß die leise Stimme verstummen, die da dem Menschen zuruft: ‚Suche nach Wahrheit!‘ Ein kleiner Umweg hätte dir nichts geschadet auf deinen Zügen von Jerusalem nach Jaffa, Tyrus und Sidon, und du hättest mit Leichtigkeit mit dem Mann zusammentreffen können, der dir mehr des unvergänglichen Reichtums hätte zeigen können und zum eigenen Besitz geben, als du zusammenzuraffen je vermögen wirst.

[GEJ.11_007,10] Wer da nicht sucht, wird auch nicht finden, wer da nicht anklopft, dem wird auch nicht aufgetan werden! Wer da glaubt, die geistige Erkenntnis des Guten und Wahren soll ihn aufsuchen, damit sie ihm auf seinen regelmäßigen Weltwegen von selbst zufalle, der kann ewig lange warten, daß sie ihm werde. Wer da einen noch so kleinen Umweg aus Bequemlichkeit und weltlichen Geschäften scheut, der Quelle der Wahrheit nachzusuchen, trotzdem er von ihr bereits gehört hat, der gehört zu den Weltmenschen, zu denen der Herr am Ende der Zeiten sagen wird: ‚Ihr habt von Mir gehört und habt Mich doch nicht gesucht, – jetzt suche Ich euch nicht, trotzdem Ich weiß, daß ihr da seid. Weichet von Mir und gehet dorthin, wohin euch eure Liebe zieht!‘“

[GEJ.11_007,11] Sagte der Kaufmann recht nachdenklich: „Herr und Meister, ich sehe, daß ich unrecht getan! Siehe, wie lange werde ich noch zu leben haben!? Ich bin jetzt einige fünfzig Jahre alt und fühle meine Seele verödet; denn das, was sie in Jerusalem lehren, daran glaube ich nicht. Ich weiß, wieviel Betrug dort herrscht, und mein Leben geht zu Ende, ohne daß es mich befriedigt hätte. Schon öfter habe ich nachgeforscht nach den Lehren des Galiläers und habe schöne Perlen der Menschenliebe in ihnen entdeckt, – vielleicht, daß es doch möglich wäre, durch ihn den befriedigenden Weg zur Erkenntnis des wahren Gutes zu finden? Könntest du mir sagen, o Herr und Meister, wo ich ihn antreffe? Diesmal soll mich kein noch so großer Umweg gereuen, seine Bekanntschaft zu machen!“

[GEJ.11_007,12] Sagte Ich ihm: „Wenn dich also hungert, so wirst du auch gesättigt werden. Vielleicht wird dir werden, was du wünschest. Wie aber steht es da mit deinen Gefährten? – Wünschet auch ihr, den Galiläer selbst zu treffen?“

[GEJ.11_007,13] Sagte der Pharisäer, der schon bisher mit Mir gesprochen hatte: „So dies geschehen könnte, ohne großes Aufsehen zu machen, so würde es uns recht sein. Wir würden ihm die Vorschläge des Tempels vorlegen und seine Wundertaten prüfen, und dann würden wir ja weitersehen.“

[GEJ.11_007,14] Der Pharisäer sprach diese Worte mit einer gewissen Herablassung zu uns, weil er sich ärgerte, daß der Kaufmann vom Betrug des Tempels gesprochen hatte, und er wollte uns andeuten, daß, da von uns doch nichts herauszuholen sei, er das Gespräch als beendet ansehe.

[GEJ.11_007,15] Ich antwortete ihm daher: „Freund, was ärgerst du dich über diesen da, weil er die Wahrheit gesprochen hat? Besser wäre es dir, du suchtest in dir zu ergründen, ob nicht auch deine Seele verödete und noch befruchtet werden könne. So du aber wissen willst, wo der Galiläer zuletzt ein größeres Wunderwerk getan hat, so ziehe an dem Nebo vorbei hinauf zur Stadt Aphek, wo er die ganze, bisher wüste Stätte in fruchtbares Land verwandelt hat, wie euch dreien die dortigen Bewohner haarklein erzählen werden! Untersuchet wohl, ob dieses Wunder ein echtes sei und daß kein Betrug zugrunde liege, und achtet sodann darauf, was euch eure Herzen zuflüstern werden! Berichtet in Jerusalem über das, was ihr gehört und gesehen, oder bewahret es auch für euch selbst, ganz wie ihr es empfinden werdet!

[GEJ.11_007,16] Möglich ist es auch, daß sich der Galiläer, wenn ihr mit gereinigtem Herzen zurückkehren werdet, von euch finden läßt; denn allezeit finden nur diejenigen diesen Lebensmeister, denen er sich selbst offenbart, – andere bleiben blind, selbst wenn sie schon mit ihm verkehren.“

[GEJ.11_007,17] Sagte der Pharisäer spöttisch: „Mit ihm verkehren, ohne ihn zu erkennen, wird uns wohl unmöglich sein. Wir haben gar helle Augen im Kopfe. Jedoch danken wir dir für deinen Rat, wissen wir doch jetzt, wo er wohl zu suchen und dann auch zu finden sein wird.“

[GEJ.11_007,18] Damit verabschiedeten sie sich von uns und gingen mit dem Kaufmann, der Mich stets recht nachdenklich ansah, ins Haus zurück. Ich beauftragte jetzt den Mucius, ihnen zu folgen und einer etwaigen Abreise derselben kein Hindernis in den Weg zu legen, sondern sie ganz frei aus sich selbst entscheiden zu lassen. Mucius folgte ihnen daher auch, und wir blieben nun eine Weile ungestört allein in dem Garten.

 

8. Kapitel – Der Herr erzählt die Lebensgeschichte des Kaufmanns.

[GEJ.11_008,01] Ich unterwies nun Meine Jünger, wie sie hier ein rechtes Beispiel hätten, wohin die Weltlust und Herrschsucht führe, und wie nötig es sei, stets auf der Hut zu sein und nicht zu glauben, schon alles Wissen und Licht in sich aufgenommen zu haben, wie jene drei Pharisäer vermeinten, die so rechte Wissenschaftler genannt werden könnten, weil sie alles mit kritischem Verstande untersuchen und nur das glauben wollen, was sie sehen, dabei aber von einem Zweifel in den andern fallen, weil bei dem Sehen nun wieder später Zweifel auftreten, ob sie auch recht gesehen hätten, und sie so schließlich ihren eigenen Taten und Worten mißtrauten. Dabei sei ihr Streben sogar ein ernstes, aber dennoch verkehrtes, weil es sich nur nach dem Äußerlichen, nicht nach dem Innern richte, und dieses allein bilde doch den genießbaren Kern, wie bei einer Nuß, während man an dem rein Äußeren sich die Zähne gewaltig ausbeißen kann. Deswegen war es auch noch lange nicht möglich, sich ihnen zu erkennen zu geben.

[GEJ.11_008,02] Ein Wunder hier zu wirken, hätte keinen Zweck gehabt, da sie nur die Art seiner Vollbringung nicht verstanden zu haben geglaubt hätten, den innern Kern jedoch – als zu sehr Anhänger griechischer Wissenschaft, mit der sie sich heimlich befaßten – verworfen hätten. Erst bei Aphek, welche Gegend ihnen von früher wohlbekannt war, werden sie sich sehr verwundern und zu begreifen anfangen, daß hier das Natürliche nach ihren Begriffen aufhört, werden sodann eifrigst nachforschen und von ihrer Wissenschaftlichkeit, die sie gründlich im Stiche lassen wird, allmählich befreit werden.

[GEJ.11_008,03] So wird ihnen auch ein Licht aufgehen, wer Ich denn gewesen sei, zumal sie erfahren, daß Ich dieses Weges gezogen bin, und sie werden nun aus sich selbst heraus geklärt werden. Freilich wird bis zur vollen Erkenntnis noch eine längere Zeit vergehen, da sie sehr bald von Jerusalem fortgesandt werden sollen, damit ihre Seelen sich in Ruhe und Beschaulichkeit reinigen können und das gestreute Samenkorn nicht in dem dortigen Schlamme ersticke.

[GEJ.11_008,04] Wir sprachen noch mehreres über den Tempel und seine Diener, sowie auch über das Schicksal desselben, als Mucius mit dem Kaufmann zurückkam und uns mitteilte, die Pharisäer hätten sich bereits mit ihren Leuten nach der östlichen Richtung zu aufgemacht, auch die übrigen Kaufleute hätten ihre Maultiere und Kamele schon bepackt und seien abgezogen. Dieser Kaufmann aber hätte sie ziehen lassen und sei willens, sich noch weiter mit Mir zu besprechen.

[GEJ.11_008,05] Ich ging nun auf diesen zu und fragte ihn freundlich: „Phoikas, was ist es denn, was dich hier zurückgehalten hat?“

[GEJ.11_008,06] Sagte ganz verwirrt der Kaufmann: „Herr woher weißt du denn diesen Namen, den ich nur in der Jugend führte? Ich bin ein Grieche von Geburt und wurde Phoikas genannt. Da ich jedoch früh verwaiste, nahm mich ein barmherziger Jude zu Tyrus bei sich auf und sogar später an Sohnes Statt an, da dieser ohne Kinder blieb. Ich wurde Jude, erhielt auch die Beschneidung und wurde Agamelom genannt. Nie ist der Name Phoikas seit Jahrzehnten in meine Ohren gedrungen, ich selbst hatte ihn fast vergessen, – und jetzt nennst du mich so?“

[GEJ.11_008,07] Sagte Ich: „Wundere dich deswegen nicht, denn Mir ist noch gar viel mehr bekannt als nur ein einfacher Name, mit dem dich in frühester Jugend deine Eltern benannten. So ist auch deine ganze Jugendzeit, die du anfangs in Athen und dann später mit deinem Vater allein in Tyrus verbrachtest, Mir gar wohl bekannt. Doch dein Vater starb an einer bösen Erkältung, die in ein arges Fieber ausgeartet war, als er bei einer Bootsfahrt, die er zur Bergung gestrandeter Waren unternommen hatte, ganz durchnäßt zurückkam. Und so wurdest du eine Waise, da deine Mutter schon in Athen gestorben war. Der Jude aber, bei dem du aufgenommen wurdest, war ein Geschäftsfreund deines Vaters, der Handel nach Jerusalem führte, und hieß Maliesar. – Sage, ist es so oder nicht?!“

[GEJ.11_008,08] Der Kaufmann erstaunte immer mehr und sagte: „Ja auf ein Haar ist es so, und ich staune darüber um so mehr, als diese Ereignisse schon vor dreißig und mehr Jahren spielten (stattfanden), also zu einer Zeit, wo du augenscheinlich noch nicht geboren sein konntest. Woher sind sie dir da bekannt? Denn der Kreis, der von meinem Vater und jenem Adoptivvater wissen kann, ist auch schon längst ausgestorben.“

[GEJ.11_008,09] Sagte Ich zu ihm: „Ich sagte dir schon, daß Mir noch sehr viel mehr bekannt ist. Kümmere dich aber vorläufig nicht darum, denn das wird dir schon noch alles klarwerden. Jetzt aber lasse uns ein rechtes Mittagsmahl einnehmen, damit auch unsere Leiber gestärkt werden, und nach dem Mahle wird dir schon eine rechte Erklärung werden!“

[GEJ.11_008,10] Wir gingen nun hinein ins Haus und nahmen das Mittagsmahl zu uns, das Mucius für uns hatte zubereiten lassen.

 

9. Kapitel – Drei wichtige Fragen des Mucius und ihre Beantwortung durch den Herrn.

[GEJ.11_009,01] Nachdem das Mahl beendet war, sagte der Wirt Mucius zu Mir: „Herr und Meister, ich bin nun schon recht begierig, einige Fragen zu stellen, die mir durch unser gestriges Gespräch so recht auf dem Herzen liegen. Jetzt sind keine uns belauschenden Pharisäer mehr zugegen, so daß ungehindert Frage und Antwort gestellt und gegeben werden kann. Wenn Du also erlaubst, o Herr, so würde ich Dich um Beantwortung meiner Fragen bitten.“

[GEJ.11_009,02] Sagte Ich: „Frage nur immer zu und lasse dich auch durch die Gegenwart des Phoikas in nichts behindern; denn er soll nun auch eingeführt werden in das Reich des wahren Lebens, als Lohn dafür, daß er, nur halbwegs ahnend und fühlend, hier wehe die Luft des reinen Geistes der Wahrheit, seine Weltgeschäfte hintansetzte und seinem Herzen folgte. –

[GEJ.11_009,03] Ich sage dir, Phoikas, du hast Meinem Herzen dadurch wohlgetan und hast dadurch einen Weg betreten, der zu dem ewigen Heile führt. –

[GEJ.11_009,04] Doch frage du, Mein lieber Mucius, nur frisch drauflos, damit dir eine rechte Antwort werde!“

[GEJ.11_009,05] Sagte Mucius: „Da Du, o Herr und Meister, es mir erlaubt hast, so bitte ich Dich um eine rechte Aufklärung, warum wir Menschen denn leben, was aus uns nach dem Tode wird, und wie wir am besten in alle Weisheit des Lebens eingeführt werden können.

[GEJ.11_009,06] Du sagtest mir gestern, daß durch Halten Deiner beiden Gebote, welche mir Dein Jünger auch näher auseinandersetzte, die rechte Erkenntnis im Herzen des Menschen selbst erwache, – aber das Wie ist mir doch noch sehr verschleiert geblieben, und so bitte ich Dich um ein rechtes Licht darüber.“

[GEJ.11_009,07] Sagte Ich zu dem Wirte: „Mein lieber Mucius, gerade diese drei Fragen, welche du stellst, fassen in sich ja die ganze Weisheit aller Himmel und die Gründe Meines Lehramtes auf dieser Erde. Soviel daher auch schon von Mir darüber geredet worden ist, so kann doch nie genug immer wieder von neuem die Grundlehre wiederholt werden, damit das geistige Herz des Menschen diese ewigen Wahrheiten völlig in sich aufnehme, recht in sich verdaue und völlig in Fleisch und Blut in sich verwandle. Ich will daher deinet- und Phoikas' wegen in erster Linie, als noch fremd in Meiner Lehre, und dieser Meinen wegen, welche schon längere Zeit um Mich sind, trotzdem aber in alle Wahrheit noch nicht völlig eingedrungen sind, in zweiter Linie, deine Fragen ausführlich beantworten. – Höret also wohl zu!

[GEJ.11_009,08] Der Mensch lebt aus zweierlei Gründen, die er als eine Mittelperson in sich zu vereinen hat. Einmal als Schlußstein der äußeren, materiellen Schöpfung, in der er als die Krone der Schöpfung gepriesen und genannt wird, das andere Mal als der Anfangspunkt der rein geistigen Welt, die mit ihm die erste Stufe der vollständig freien Selbsterkenntnis erreicht hat. Er ist nach einer Seite hin also der Anfang, nach der andern Seite das Ende einer Kette und hat in sich, durch sein geeignetes Leben und die freie Entwicklung, das rechte Bindeglied zu finden, diese beiden Ketten zu einen. Ich werde euch das klarer auseinandersetzen.

[GEJ.11_009,09] Alle Wesenheit von dem kleinsten Geschöpf an bildet eine aufsteigende Stufenreihe, und zwar in der Art, daß eine Stufe stets die andere ergänzt, größere Vollkommenheiten bietet und dadurch auch eine stets größere Intelligenz entwickeln kann.

[GEJ.11_009,10] Sehet an die Tiere, wie es da niedere Arten gibt, die nichts anderes zu bezwecken scheinen, als ihren Leib zu erhalten und andern zum Fraße zu dienen! Kommt ein Feind ihres Leibes und Lebens, so ergeben sie sich stoisch in ihr Schicksal und wehren sich nicht, sind es auch nicht imstande; sehet da an viele Insekten und niedere Amphibien!

[GEJ.11_009,11] Weiter hinauf findet ihr jedoch schon die Intelligenz so weit entwickelt, daß sich diese Tiere der Gefahren, die ihrem Leibe drohen, mehr bewußt sind und sich ihnen auch zu entziehen wissen durch allerhand, manchmal listige Streiche.

[GEJ.11_009,12] Bei den noch höherstehenden Tieren findet ihr diese Eigenschaft noch mehr entwickelt, und sie sind daher auch mit geeigneten Waffen versehen, wie scharfen Krallen und Zähnen, um sich ihrer Feinde zu entledigen und damit aber auch gleichzeitig Feinde anderer Tierarten zu werden. Es entsteht nun ein gegenseitiger Kampf, in dem List und Schlauheit angewandt werden, allerdings zum Töten der Leiber, aber zum Fortschreiten des Intellekts, damit der allmählich sich entwickelnde Charakter, der mit immer höher steigenden Tieren deutliche Vielgestaltigkeit erlangt, sich bilden kann.

[GEJ.11_009,13] Es naht sich nun eine Grenze, von der aus die Tiere geneigt sind, sich dem Menschen anzuschließen, die ihr dann Haustiere nennt. Diese sind durchweg gesitteter oder zahmer, wie ihr sagt. Sie können sehr weitgehende Intelligenz entwickeln und abgerichtet werden. Sie werden dadurch gewisserart dem Menschen, zwar nicht in der äußeren Form, aber wohl in gewissen Charaktereigentümlichkeiten ähnlicher. Ihr könnt hier oftmals recht verblüffende Handlungen der Tiere beobachten, welche von einer Überlegung zeugen und auch von einer gewissen Urteilskraft, so daß ihr staunt und geradezu sagt: dem Tier fehlt nur die Sprache. Sehet, das sind solche, die in ihrer geistigen Entwicklung nur noch den Schritt bis zum Menschen zu tun haben, ähnlich wie ein unmündiges Kindlein auch nur noch einen gewissen Schritt der Jahre zu tun hat, um ein verständnisvoller Mensch zu werden! Beim Tier kann das Ziel aber nicht erreicht werden, da die Seelenform noch nicht vollendet ist, während im Kinde, das doch oft viel dümmer und unbeholfener erscheint, die entwicklungsfähige Seelenform vorhanden liegt, wie in jedem Samenkorn das Bild der zukünftigen Pflanze.“

 

10. Kapitel – Die Entwicklung der Seelenform bis zum Menschen.

[GEJ.11_010,01] (Der Herr:) „Alle diese Tiere, deren Zahl so unendlich groß ist, um eine möglichst große Verschiedenheit der Charakteranlagen ermöglichen zu können, stehen aber unter dem Mußgesetz, damit sie sich nach der einen bestimmten Richtung hin – die also ‚möglichst hohe Intelligenz‘ heißt – entwickeln können, das heißt, sie sind nicht imstande, anders zu handeln als der Kreis zuläßt, der ihre Seelenform umschließt. Zeigt zum Beispiel einem Vogel noch so genau an, daß es doch besser wäre, nicht ein offenes Nest, sondern vielleicht ein geflochtenes Haus zu bauen, – er wird dennoch bei seinem Nest bleiben! Und ihr könnt sicher sein, daß seit Entstehung der Arten jede Art sich ihre Wohnstätte allezeit so gebaut hat, wie es auch jetzt noch geschieht. Der Grund liegt in dem gewisserart beschränkten Horizont (Seelenform), den zu erweitern nicht möglich ist, – genauso wie ein Kind noch nicht die schwierige höhere Rechenkunst würde lernen können, wenn es noch nicht die Anfangsgründe begriffen hätte.

[GEJ.11_010,02] Bei den Tieren harmonieren die verschiedenen zu durchschreitenden Formen mit den Zeitabschnitten oder Entwicklungsjahren des Menschen. Ist nun die höchste tierische Intelligenz entwickelt – beachtet wohl, es kommt da nie auf die äußere Form, sondern nur auf die seelische Entwicklung an! –, so können diese entwickelten Intelligenzen zusammenfließen zu der Menschenseele, die also nun in sich erstens die sich gegenseitig ergänzenden, höchstentwickelten Intelligenzen enthält, dann aber, da sie Stufenfolge vieler niederer Leben ist, ein Abbild sein muß des ganzen niederen Lebens überhaupt, weil sie alles dieses in sich enthält. Sie ist also nun der äußeren Form und der entwicklungsfähigen inneren Form nach abgeschlossen. Die Krone der Schöpfung, die Menschenform, mit einem höchst entwicklungsfähigen Keim ist in dem neugeborenen Menschen erreicht.

[GEJ.11_010,03] Jetzt beginnt die zweite Aufgabe: Der Mensch soll die höchst mögliche freie Erkenntnis erlangen in der Erkenntnis des Schöpfers und Entwicklung des inneren Menschen.

[GEJ.11_010,04] Bisher war die Seelenform stumpf, kümmerte sich nicht um geistige, sondern nur um materielle Dinge, und es galt für sie nur das Recht des Stärkeren. Die Gottheit will jedoch, daß ihr Werk, das mühsam bis hierher geleitet worden ist, sie nun auch erkenne, sich ihr zu nähern suche aus Liebe, nicht aus Furcht vor ihrer Stärke. Wie ist das zu machen?

[GEJ.11_010,05] Die Gottheit muß sich verhüllen, wenn sie dieses Ziel erreichen will, das heißt, sie muß ihr Geschöpf in Verhältnisse stellen, die es ihm ermöglichen, frei aus sich die Gottheit anzuerkennen oder nicht. Dabei darf die Gottheit keinen Zwang ausüben, da sonst die zu vermeidende Furcht und nicht die Liebe die Willensrichtung beeinflußt. Bedenket aber selbst, wie es euch gefallen würde, wenn ihr nur von Dienern umgeben sein würdet, die lediglich aus Furcht, anstatt aus Liebe euch dienen würden! Dieses Pflänzchen der Liebe kann nur entstehen, wenn die immer mehr wachsende Klarheit und Durchschauung der Dinge dem Seelenmenschen zwanglose Beweise von der großen entgegengebrachten Liebe und Weisheit der Gottheit schafft, die ihn zur Bewunderung und Liebe hinreißen.

[GEJ.11_010,06] Dem Seelenmenschen wird nun jedoch ein Leiter beigegeben; denn die pure Seele allein würde als vollendete Form, die nicht weiter ausgebildet werden kann, nichts Höheres mehr über sich erblicken, wenn nun nicht ein geistiges Fühlen, das Empfinden einer Macht in sie einfließen könnte, die sie demütigt und nun anhielte, ihren Schöpfer zu suchen. Und das ist der göttliche Funke, der als Geist in sie hineingelegt wird, der gleichzeitig mit ihr sich entwickeln soll, sie immer mehr durch eine rechte Erziehung durchdringen und durch Selbstbelehrung in alle Erkenntnis einführen soll.

[GEJ.11_010,07] Diese gerechte Ehe, die bei der Geburt des Menschen schon beginnt, ist aber gewaltig gestört worden, indem jetzt nur die Entwicklung der Seele durch die zwangsweise Körperentwicklung wohl geschieht, der innere Geist aber meist nur als Embryo in ihr verbleibt. Zweck des Lebens aber ist es, beide gleichzeitig fortschreiten zu lassen, so daß eines immer im gerechten Abhängen von dem andern steht.

[GEJ.11_010,08] Dieser Geistesfunke ist von Gott und enthält in sich alle Wahrheit und gerechte Erkenntnis von Haus aus. Durch ihn steht der Mensch in engster Verbindung mit dem Urgeiste Gottes selbst und kann durch ihn eindringen in alle Geheimnisse und Weisheit Gottes Selbst. Freilich haben davon die wenigsten Menschen nur eine Ahnung. Und diese Ahnung, die manchmal nur noch schwach hervorblitzt, aufleuchten zu lassen zur vollen Gewißheit und zum Wissen, ist der Zweck Meines Lehramtes, – und der Weg hierzu wird gegeben durch Meine Lehre.“

 

11. Kapitel – Von der inneren Erweckung und vom Fortleben nach dem Tode.

[GEJ.11_011,01] (Der Herr:) „Mein Jünger Johannes hat dir schon gesagt, und Ich bestätige dir es, daß in den zwei Geboten: ‚Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst!‘ die zehn Gebote Mosis und alles Weitere enthalten ist, was der Mensch zu tun hat, um den in ihm wohnenden Geistesfunken zu erwecken und mit seiner Seele immer mehr zu einen. Denn nur in dem gerechten Wandel vor Gott und in den rechten Liebestaten für euren Nächsten findet ihr wahre Befriedigung, den inneren Frieden und die rechte Überwindung eurer Leidenschaften und des Todes. In wem einmal die Überzeugung wach geworden ist, die es ihm unmöglich macht, gegen diese Gebote zu verstoßen, der verspürt auch schon auf dieser Erde den wahren Himmel; denn er ist unanfechtbar geworden für alle Angriffe des Bösen, dadurch ein rechter Herrscher in sich und aus sich heraus ein Herrscher über die Natur.

[GEJ.11_011,02] Denn da, wie ihr wisset, die Seele des Menschen in sich alles enthält, was die Erde an Wesen trägt, so ist es doch ganz natürlich, daß wenn einmal der Geist in seinem dieses alles enthaltenden Hause die Herrschaft gewonnen hat, er auch über die mannigfaltigen Abbilder seines Ichs muß herrschen können, gleichwie ein König, der sich aus dem Sklavenstande zum Throne emporgeschwungen hat, jetzt widerstandslos herrscht über alle Stände, denen er selbst angehörte. Wohlgemerkt aber nur, wenn der Mensch in sich das Bindeglied der Kette fand, die Meine Lehre bildet, und beide Ketten zu einer einzigen, unzerreißbaren verband! Als letztes Glied der materiellen Kette, welche nur die höchste Seelenform und die dadurch bedingte Menschenform bildet, ist er völlig machtlos und selbst nichts anderes als ein höchst intelligentes, wohlgebildetes Tier.

[GEJ.11_011,03] Ich denke, ihr werdet nun verstanden haben, warum ihr lebt, und wie ihr zur rechten Erkenntnis gelangen könnt.“

[GEJ.11_011,04] Sagten alle, noch voll staunenden Zuhörens: „Ja, Herr und Meister.“

[GEJ.11_011,05] Ich aber fuhr nun fort: „Es bleibt nun noch die dritte Frage zu beantworten übrig, nämlich: was nach dem Tode mit dem Menschen wird.

[GEJ.11_011,06] Wenn es sich also verhält, wie Ich euch sagte, so ist es auch klar, daß der geistige Mensch, der im Erdenleben nur unvollkommen sich entwickelt, weil sein schwerer Körper ihm eine große Last ist, fortleben muß; denn niemand wird wohl in sich behaupten wollen, in diesem kurzen Erdenleben eine Vollendung erhalten zu können, die ihn Gott schon ganz nahe bringt. Es treten ihm gar mancherlei Hindernisse im Körper entgegen, Versuchungen aller Art, damit sein Charakter sich stähle, sein Wille geübt werde, sich selbst Gewalt anzutun und das Gute immer mehr anzuziehen und die bösen Regungen aus sich auszuscheiden.

[GEJ.11_011,07] Erst jenseits tritt er in eine neue Welt, die ihm die Wunder Gottes und das Weltall immer mehr enthüllt, wo er mit geistigem Auge sieht und nicht mit den schwachen fleischlichen Augen, die ihm die Materiewelt vorführen. Im Anschauen der großen Wunderwerke erkennt er aber nun, daß die rechte Seligkeit allein in der Tätigkeit liegt, und daß Gott Selbst das allertätigste Wesen ist. Je nach seinem Fortschreiten kann ihm dann auch ein rechtes Arbeitsfeld gegeben werden, das er allerfleißigst ausfüllt; und er wird in dieser Tätigkeit und in dem Beschauen seiner nützenden Arbeit die rechte Freude und höchste Seligkeit genießen.

[GEJ.11_011,08] Wie aber diese Tätigkeit beschaffen ist, darüber will Ich euch ein rechtes Beispiel geben. Und so will Ich denn, daß eine gerechte Menge seliger Geister sich hier einfinde, die euch in ihre Tätigkeit einführe!“

[GEJ.11_011,09] Kaum hatte Ich diese Worte ausgesprochen, so stand auch schon neben jedem ein plötzlich erschienener, freundlicher jenseitiger Bewohner, der die Anwesenden freundlich begrüßte. Meine Jünger erstaunten darob nicht allzusehr – denn sie waren an derartige Erscheinungen schon allmählich gewöhnt –, um so mehr aber unser Wirt und Phoikas, die vor Verwunderung nicht zu reden imstande waren.

[GEJ.11_011,10] Ich stärkte sie aber alsbald, und nachdem sich Phoikas etwas gesammelt hatte, sagte er zu Mir: „Herr und Meister, wenn nach Deinen herrlichen, weisheitsvollen Erklärungen noch irgendein Zweifel vorhanden war, so weiß ich aber doch jetzt ganz genau, mit wem ich es zu tun habe. Niemand anders als Du Selbst bist jener wundertätige Galiläer, hinter dem sich aber hundert-, ja tausendmal mehr verbirgt als ein noch so sehr begnadeter Prophet; denn so reden und Herrscher sein über die jenseitigen Scharen kann nur einer, und das ist der Urgeist selbst, der in Dir Wohnung genommen und sich sichtbar den Menschen verkörpert hat. Heil Dir daher und allen Menschen, denen Du Dich offenbarst!“

[GEJ.11_011,11] Sagte Ich: „Mein lieber Phoikas, was du da sagst, ist ganz wahr und schön; aber lieber ist es Mir schon – so du Mich wahr erkannt hast –, du dankest Mir in deinem innern Herzen als in allzu lauten Worten; denn Ich durchschaue die Herzen ebenso leicht wie alles andere und gebe nichts auf den Dank, der durch Worte ausgeprägt wird.

[GEJ.11_011,12] Jetzt achtet aber darauf, was jene völlig seligen Bewohner jedem einzelnen von euch zeigen werden, damit ihr erkennet, worin die Seligkeit eines jenseitigen Geistes so eigentlich besteht!“

[GEJ.11_011,13] Darauf befiel alle eine Art beschaulicher Ruhe, in der sie regungslos auf ihren Stühlen saßen.

 

12. Kapitel – Das seelische Erlebnis des Phoikas.

[GEJ.11_012,01] Nach geraumer Zeit erst kamen sie wieder zu sich und konnten sich nicht genug verwundern und gegenseitig erzählen, wohin sie von ihren jeweiligen Begleitern, die jedoch jetzt nach dem Erwachen wieder verschwunden waren, geführt worden und was ihnen von diesen alles gezeigt worden war.

[GEJ.11_012,02] Ich forderte nun Phoikas auf, zu erzählen, und dieser begann denn auch alsbald wie folgt: „Herr und Meister, was ich gesehen habe, war wunderbar über wunderbar, allerdings aber ganz anders, als wie sich die Menschen das jenseitige Leben ausdenken!

[GEJ.11_012,03] Der Engel, den Du mir zugewiesen, führte mich ein in seine Sphäre, die eine völlige Welt für sich ist, in der er auch ein Herrscher für sich ist und vollständig regiert wie ein kleiner König. Ich wurde von ihm entrückt – seelisch; denn mein schwerer Körper hätte da wohl nie eine derartige Reise unternehmen können –, ohne daß ich aber irgendwie empfunden hätte, meinen Körper zu vermissen, und ich weiß daher jetzt auch ganz genau, daß dieser nur ein schweres und oft recht unbeholfenes Kleid ist, der Seele zum Schutze gegeben, damit sie sich in ihm recht entwickeln kann, – der selbst aber nicht im Leben steht, sondern eigentlich – als an sich tot – gänzlich außer demselben.

[GEJ.11_012,04] Der Engelsgeist entführte mich nach einem mir gänzlich fremden Sonnengebiet – wo ebenfalls Planeten um eine Sonne kreisten, wie es hier geschieht – und zeigte mir auf das allerdeutlichste, daß die rechte Fürsorge für dieses Gebiet ihm anvertraut sei; denn seinem Worte gehorchte alles auf das pünktlichste. Dabei floß in ihn aber alle Kraft nur durch das Aufgeben seines Willens in den Deinen, den er als einzig und allein richtig und wahr erkannt hat und daher keinerlei Schwierigkeit hatte, sich dem höheren Willen zu unterwerfen und ihn auszuführen. Alle die wunderbaren Tierarten und Pflanzen, die ich gesehen, waren seine Gedanken. Diese stellte er, nachdem sie gewisserart von Dir geprüft und als Abbild Deines Grundgedankens festgestellt worden waren, aus sich heraus und fixierte sie durch das Festhalten des Gedankens in sich und durch das Bilden in der Materie. So wurde etwas geschaffen.

[GEJ.11_012,05] Ich sah zum Beispiel, wie der Engel in sich einen neuen Planeten bildete, der zur Wohnstätte späterer Menschen dienen soll. Er zeigte mir – ungefähr wie der Künstler in sich ein Bild erzeugt, das er in allen Einzelheiten sich ausmalt –, wie der Gedanke sich ausbildet. Da er aber bestrebt ist, nur das zu fassen, was auch vor Dir gerecht und gut ist, so verband er sich in seinem Herzen mit Dir, dem allwaltenden Vater der Ewigkeit, und legte gewisserart Dir den Plan vor. Du sagtest ihm, zwar nicht in Worten, aber im Geiste: ‚Es ist gut und gerecht vor Mir, – tue so!‘. Und alsbald erregte sich der Geist des Engels in sich, erfüllte sich mit großer Willenskraft, und auf der Sonne, die ihm untersteht, entstand ein Brausen und ein Ball – der spätere Planet. Er löste sich von ihr und wurde abgeschleudert und fügte sich in Bahnen, die dem schon von mir vorhergeschauten Bilde völlig entsprachen.

[GEJ.11_012,06] In diesem Schaffen vor Dir und auch in Dir empfindet er die höchstmögliche Seligkeit; denn nur dadurch kann jener Engelsgeist Dir auch als Schöpfer ähnlich werden und vollkommener.

[GEJ.11_012,07] Zwar ist es uns nicht vergönnt, nur ein Atom dieser Seligkeit zu empfinden, weil wir es nicht ertragen könnten; aber dennoch habe ich jetzt ein recht klares Bild davon erhalten, daß nur in der Tätigkeit in Dir und außer Dir, in der Verbindungskette der höchsten entzündeten Liebe zu Dir und dadurch auch zu Deinen Geschöpfen die Seligkeit gefunden und empfunden wird, nicht aber in dem Nichtstun und tatenlosen Bewundern der Schöpfung. Würden wir letztere nur anstarren und nicht durch Tätigkeit begreifen lernen, so müßte uns Deine Größe, o Herr, erdrücken, anstatt fähig zum Fortschreiten zu machen.

[GEJ.11_012,08] Ich werde mich daher nach allen Kräften bemühen, das rechte Bindeglied der Kette durch volle Liebe zu Dir, o Herr, und meinen Nächsten zu finden, damit auch ich einst fähig werden möge, in Deinem Reiche so zu wirken wie jener Engelsgeist; denn daß das möglich, und daß ein jedes Deiner Geschöpfe dazu imstande ist, das hat mir jener liebe himmlische Freund auch auf das klarste auseinandergesetzt, so daß ich es wohl begriffen habe und auch von diesem erreichbaren Ziel niemals mehr ablassen werde.

[GEJ.11_012,09] Darum denn auch Dir, o Herr und Meister, mein tiefster Dank gehört, daß Du mich schon zur Erdenzeit in den Stand setzest, so Wunderbares zu erschauen und zu begreifen! Jetzt ist meine Seele nicht mehr verödet, sondern gar voll des himmlischsten Wissens und tiefsten Dankes für meinen Herrn und Schöpfer, der mich am Ende meiner Lebenszeit noch so herrlich hinausgeführt hat aus dem Tal des Todes zur Höhe des reinsten Lebens.“

[GEJ.11_012,10] Sagte Ich: „Du hast dich nun bemüht, das, was du geschaut, in möglichst klare Worte zu fassen, und die Anwesenden haben dich gar wohl verstanden; denn sie haben alle etwas Ähnliches wie du geschaut. Aber die das nicht getan haben und später davon hören werden, werden nur einen schwachen Begriff davon erhalten, – es sei denn, daß auch ihnen die innere Sehe geöffnet werde. Solange der Mensch noch in seinem Leibe steckt, der ihn zwingt, alles mehr in ein meßbares Gleichgewicht zu bringen, steht es mit den höchsten geistigen Dingen nur schlecht bei ihm, weil er auch diese messen und mit seinen unentwickelten Sinnen empfinden will, was da ebensowenig geht, als wenn ihr einen Eimer Wassers in ein Nößelgefäß eingießen wolltet. Es ist daher besser, ihr schweiget gegen alle von dem, was ihr jetzt gesehen habt, da dieses nur für euch von Nutzen sein kann und von andern doch nicht begriffen werden wird, wie ihr selbst leicht empfinden könnt.

[GEJ.11_012,11] Jetzt aber laßt uns wieder hinausgehen, da Ich diesem Orte noch eine Wohltat erweisen will; und dann werden wir uns noch heute auf den Weg machen!“

 

13. Kapitel – Der Herr segnet den Ort.

[GEJ.11_013,01] Wir standen nun von unserm Tische auf und traten hinaus vor das Haus auf die Landstraße. Ich hatte schon gesagt, daß dieser Ort klein war, demnach aus nicht allzuviel Häusern bestand, jedoch war er zum Übernachten insofern günstig gelegen, als er eine knappe Tagereise von Jerusalem entfernt und der letzte war, welcher auf dem Wege nach Petra eine bequeme Unterkunft bot, und zwar eben bei unserm Wirte Mucius. Er lag auch nicht allzuweit ab vom Jordan, so daß es ihm auch nicht an Wasser gebrach. Wohl aber fehlte es ihm sehr an großen, hohen Bäumen, welche gewisserart als Dünstevertilger und Elektrizitätssauger unerläßlich sind, um die Häuser zu schützen vor den Ausdünstungen des Toten Meeres, die bei Südwind sich denn doch sehr bemerkbar machten. Alle Häuser waren nur mit ziemlich hohen Gebüschen und etwas verkümmerten, niederen Bäumen umgeben, da die Salzdünste ein hohes Wachstum verhinderten. Diesem abzuhelfen, war die Wohltat, welche Ich dem Orte erweisen wollte.

[GEJ.11_013,02] Ich besprach Mich daher mit Mucius über diesen Punkt, sowie mit einigen seiner Nachbarn, die sogleich herbeigeeilt kamen, als sie Mich mit den Jüngern aus dem Hause treten sahen; denn durch den Knecht Marcius und andere hatten sie von der wunderbaren Vervielfältigung des Brotes und der anderen Dinge erfahren. Alle baten Mich, Ich möchte dafür sorgen, daß die Glutstrahlen der Sonne, welche gerade im Jordantal sehr fühlbar sind, gelindert und eine Schutzvorrichtung vor den Dünsten geschaffen werden möge. Ich sagte ihren Bitten zu, segnete das Land, und im Augenblick erhob sich südwärts nach dem Meere zu, eine ziemliche Strecke abseits der Landstraße, so daß die Veränderung der Gegend nur genauen Kennern zu bemerken möglich war, ein dichter Fichtenwald, welche Bäume am geeignetsten sind, scharfe Salzwasserdünste zu verzehren und dennoch dabei zu gedeihen. Dieser Wald bildete eine Schutzwand nach dem See hin, ist aber heutzutage auch schon längst verschwunden.

[GEJ.11_013,03] Ich sagte nun den Bewohnern, daß es Mir zwar ein leichtes sei, ebenso wie jenen ins Leben gerufenen Wald auch rings um ihre Wohnhäuser plötzlich eine große Menge Bäume und hoher Sträucher hinzustellen, doch sei es besser für sie, wenn hier ein mehr naturgemäßer Weg zur Erreichung dieses Zweckes eingeschlagen würde, da ihr Ort nicht gerade abseits gelegen sei und der vielen Römer und Nichtjuden wegen, welche auf der Straße hinziehen, dem Aberglauben zu sehr Vorschub geleistet würde, da diese ein solches Wunderwerk ihren Göttern zuschreiben und den Bewohnern viele Unzuträglichkeiten bereiten würden. Es würden aber vom nächsten Frühjahr an alle Pflanzen, Bäume und Sträucher ein sehr auffälliges Wachstum zeigen, so daß sie in zwei Jahren in üppigster Fülle prangen und dadurch dem Ort Kühle und eine rechte (gute), reine Luft verschaffen würden. Sowie sie aber anfangen würden, aus Gewinnsucht jenen schützenden Nadelwald abzuholzen, so würde auch der frühere, oft unerträgliche Zustand, namentlich im Hochsommer, wieder eintreten und schließlich ein Bewohnen dieser Gegend unmöglich machen.

[GEJ.11_013,04] Die Bewohner dankten Mir nun auf das herzlichste und baten Mich um Aufklärung, wer Ich denn sei, woher Mir die Kraft käme und so fort. Ich aber verwies sie an Mucius und sagte, um alle ihre Fragen wisse er Bescheid und sie sollten sich nur an ihn wenden, die rechte Aufklärung würde ihnen dann schon werden.

 

14. Kapitel – Der Abschied des Herrn von der Herberge.

[GEJ.11_014,01] Wir traten nun in das frühere Gemach zurück, und Mucius dankte mir nochmals für alle Wohltaten, die Ich ihm und dem Orte erwiesen hätte.

[GEJ.11_014,02] Ich sprach zu ihm: „Mein lieber Mucius! Gestern sagte Ich dir, du seiest geizig und nicht freundlich gesinnt den Juden, und daß, wenn es nicht schon so spät wäre, Ich wohl vermieden hätte, in dein Haus zu treten. Nun laß dir noch einiges erklären, damit du für dein weiteres Leben die rechte Richtschnur habest!

[GEJ.11_014,03] Siehe, du bist zwar von Geburt ein Grieche, dem Herzen nach aber römisch gesinnt, und so sei nun auch bemüht, dem Geiste nach Meiner Lehre allein zu folgen! Denn bei Mir gibt es weder Römer, Griechen, Juden, Perser oder sonstige Völker. Es gibt nur Menschen, die da alle teilhaftig werden sollen des Gottesreiches im Herzen und auch auf der Erde. Ein Volk aber mußte ausgesucht werden, von dem das Heil kommt, und das konnte nur das jüdische Volk sein, weil hier allein der rechte Boden schon durch Moses und die Propheten geschaffen worden war. Dadurch hat dieses Volk aber nichts vor anderen Völkern voraus, o nein, nur wenn es die Lehre angenommen, den rechten Messias, der Ich ewig bin und bleiben werde, anerkannt hätte, würde es das mächtigste und auch edelste Volk geworden sein; denn die Vorbedingungen sind durch den jahrhundertelang beackerten Boden in ihm vorhanden. Da das aber nicht geschehen wird, so wird es auch hier heißen: ‚Die Ersten werden die Letzten sein‘.

[GEJ.11_014,04] Darum aber, daß du nun auch dieses weißt, sollst du dieses Volk nun nicht etwa verachten oder etwa hassen, wenn du bald hören wirst, was sie mit Mir tun werden, sondern du sollst sie als Verirrte betrachten, die nicht wissen, was sie tun, und sollst von Herzen bemüht sein, da, wo es dir möglich ist, sie auf die rechte Bahn zu führen. Ziehe daher nicht deine Landsleute vor, sondern sei gerecht zu allen, damit du nicht als barsch und unfreundlich und geizig verschrieen werdest!

[GEJ.11_014,05] Bemühe dich, Mir stets nachzufolgen, und befleißige dich vor allem der Geduld! Denn siehe, trotz aller und gar vieler Gelegenheiten, wo euch schon längst der Geduldsfaden zerrissen wäre, bleibe Ich geduldig, höre Mir die vielen Torheiten der Menschen ruhig an und suche sie zu belehren in einer Art, die nicht abstoßend wirke, und tue ihnen Gutes, soviel es möglich ist. Siehe, Mein Mucius, so müßt ihr alle tun, wenn ihr wahrhaft Meine Jünger sein wollt!

[GEJ.11_014,06] Es war aber bei dir die letzte Zeit zur rechten Einkehr und Erkenntnis. Denn schon viele Ermahnungen waren an dich herangetreten, dir dein Inneres zu öffnen und dem Geiste der Liebe, Duldung und Wahrheit zugänglich zu machen, so daß es bei dir schon spät am Abend geworden war; sonst wäre Ich nicht eingekehrt bei dir, wie Ich dir gestern sagte, und welche Worte du jetzt erst richtig begreifen wirst.

[GEJ.11_014,07] Und nun handle nach Meinen Worten! Sei versichert, daß Mein Segen dich und dein Haus auf deinem Lebenswege begleiten wird allezeit, so daß du eine feste Stütze sein wirst in Meinem Reiche!“

[GEJ.11_014,08] Mucius war nach dieser Meiner Rede so gerührt, daß er nicht imstande war, nur ein Wort zu reden. Er wollte Mir zu Füßen sinken, Ich aber hob ihn liebevoll auf, umarmte und segnete ihn, worauf er ganz gestärkt und im Innersten tief bewegt sich zu Meinen Jüngern begab, die ihm alle liebreichst die Hand drückten, ohne daß dabei ein Wort geredet wurde; denn wo der Geist im innersten Herzen sich regt, ist der Mund nicht imstande, in Worten auszusprechen, was die Seele empfindet.

[GEJ.11_014,09] Es trat nun der Kaufmann Phoikas zu Mir und sagte: „Herr und Meister, wollest Du mir doch einen rechten Rat geben, was ich tun soll! Ich weiß jetzt, daß bei Dir nicht nur das Leben zu finden ist, sondern daß Du Selbst das Leben bist. Habe ich auch nicht viel in Worten ausgesprochen, was in der kurzen Zeit meines Hierseins in mir alles vorgegangen ist, so weiß ich aber doch, daß Dir, o Herr, nichts verborgen ist und Du in meinem Herzen schon längst gelesen hast, wie es mit mir steht. Ich bin aber nun fest entschlossen, das einmal gefundene Heil nicht wieder fahren zu lassen und fortan nur so zu leben, wie es vor Dir gerecht sein kann. In der kurzen Zeit meines Entrücktseins von der Erde habe ich auch klar erschauen können, wer Du so eigentlich bist. Und jener Engel, der mich in seine Sonnenwelt entführte, zeigte mir allerklarst, wo Gott zu suchen ist, und daß in Dir die volle Gottheit Selbst wohnt. Wenn man aber so wie ich von der Wahrheit voll durchdrungen ist, so ist es doch auch natürlich, daß ich nur den Wunsch hege, Deinen Willen, o Vater von Ewigkeit, zu erfüllen und womöglich mein Leben nach Deinem Wohlgefallen einzurichten.“

[GEJ.11_014,10] Sagte Ich zu Phoikas: „Mich freut diese deine Gesinnung um so mehr, da all dein bisheriges Trachten nur darauf gerichtet war, irdische Schätze zu sammeln, an denen es dir daher auch jetzt gerade nicht gebricht. Da dir jedoch dein früheres Treiben jetzt, nachdem dein Geist in dir erwachte, schal und widerwärtig vorkommt – wie es ja auch nicht anders sein kann, da es nur der Materie entstammt –, so hindert dich ja nichts, dasselbe gänzlich aufzugeben.

[GEJ.11_014,11] Ich meine daher, daß du hier bei Mucius ein recht freundliches Haus finden würdest, zumal du ganz ohne Kinder und Anhang bist, also niemand dich hindert, ganz nach Belieben zu schalten, und daß ihr beide, der vielen Fremden wegen, die durch diesen Ort kommen, gar manches Gute werdet tun können. Denn Schätze, die du dir durch ehrliche Arbeit zwar errungen hast, werden dir erst dann den rechten Segen bringen, wenn du sie zur Unterstützung der Armen und Bedürftigen benutzest, und dazu ist hier ausreichende Gelegenheit. Du hast in der letzten Zeit öfter den Wunsch gehabt, dich zur Ruhe zu setzen, fürchtetest jedoch die Untätigkeit und Langeweile sodann. Siehe, hier liegt ein großes Arbeitsfeld vor dir, wo es dir an Tätigkeit nicht fehlen wird und an Meinem Segen auch nicht. – Was meinst du denn nun zu diesem Vorschlag?“

[GEJ.11_014,12] Sagte Phoikas: „O Herr, er entspricht so ganz meinen Gedanken, die bereits in mir aufgestiegen sind, die ich aber nicht auszusprechen wagte, da ich nicht wußte, ob denn auch Mucius sie gern hören würde. Nun Du aber Selbst darüber redest, weiß ich auch, daß es ihm recht sein wird, da es jedenfalls doch Dein Wille ist, daß wir zusammen arbeiten, und ich glaube sicher, in ihm einen lieben Freund zu finden.“

[GEJ.11_014,13] Mucius beeilte sich, dieses zu bestätigen, und man sah ihm die helle Freude aus den Augen leuchten, etwas tun zu können, das Meinem Wunsche entsprach. Die beiden waren alsobald einig, und der Kaufmann fragte Mich, da er gehört habe, daß Ich noch heute weiterreisen wollte, ob er Mir da mit seinen Maultieren dienlich sein könne, da ja die Warenballen ebensogut hier verbleiben könnten und es mit deren Veräußerung nicht eile. Ich aber sagte ihm, daß Ich nicht die große Straße über Jericho nach Jerusalem zöge, sondern mehr nordwärts das Jordantal hinauf, wo seine Tiere uns nicht folgen könnten. Er möge daher nur gleich nach Jerusalem ziehen, dort seine Geschäfte ordnen und dann das Weitere für seine Übersiedelung bewerkstelligen.

[GEJ.11_014,14] Er fragte Mich auch, was er denn mit seinen Gefährten beginnen solle, wenn diese von Petra heimkehrten, was in nicht allzulanger Zeit geschehen würde. Ich sagte ihm, er solle da nichts tun, da diese zwar nicht unredlichen Herzens seien, aber ihre Gedanken noch allzusehr auf den Gewinn dieser Welt richteten, daher einen Boden zur Aufnahme Meines Geistes und Meiner Lehre noch nicht böten. Sie würden ihn als einen Sonderling betrachten, was er sich aber ruhig gefallen lassen möge, da er keinen Schaden davon habe, sie aber später bei ihren weiteren Reisen ihn stets aufsuchen und dann auch schon zur rechten Zeit von ihm belehrt werden würden.

[GEJ.11_014,15] Damit begnügte sich denn auch Phoikas und gab seinen Leuten sogleich die nötigen Befehle zum Aufbruch, da er keine Stunde säumen wollte, Meinem Willen nachzukommen.

[GEJ.11_014,16] Es war nun alles geordnet und die Stunde des Abschieds gekommen. Der Wirt und die Seinen, die Nachbarn und Phoikas nahmen unter vielen Danksagungen Abschied von uns, nachdem Ich nochmals alle gesegnet hatte, und wir gingen nun alle die große Straße entlang bis zur Wasserfurt des Jordans.

 

15. Kapitel – Der Herr bereitet Seine Jünger auf die Zukunft vor.

[GEJ.11_015,01] Nachdem wir die Furt durchschritten hatten, wandten wir uns gerade nordwärts auf einem Seitenpfade, welcher durch ein ganz angenehmes Hügelland führte. Es geschah dies deswegen, weil Ich die Gegend von Jericho vermeiden wollte, und weil Meine Jünger eine innere Stufe zur Vollendung während des nun einsamen und an außerordentlichen Ereignissen armen Weges erklimmen sollten.

[GEJ.11_015,02] Denn es nahte jetzt allmählich die Zeit, von der es heißt: ‚Jetzt sehet ihr Mich noch; aber über ein kleines werdet ihr Mich nicht sehen!‘, und da war es nötig, allen Meinen Anhängern, die dazu reif waren, eine nähere Aufklärung hierüber zu geben. Denn noch immer wollten vorzüglich Meine Jünger nicht daran glauben, daß die Juden Macht und Gewalt über Mich erhalten sollten, trotz der vielen Andeutungen, die sie darüber empfangen hatten. Ich führte sie daher auf ihnen völlig unbekannten Wegen immer tiefer ins Gebirge.

[GEJ.11_015,03] Als es nun Abend geworden war, lagerten wir uns im Freien am Fuße eines ziemlich hohen Berges, und Ich begann zu den Meinen also zu sprechen: „Meine Lieben, ihr seid nun lange Zeit Zeugen Meiner Taten und Meiner Lehre gewesen, so daß ihr nun wissen könnt, wie und wodurch das Himmelreich nahe herbeigekommen und sich in aller Fülle zu euch herabgesenkt hat. Ich habe euch jedoch nun in dieses abgelegene Tal geführt, damit ihr Einkehr haltet in euch und in beschaulicher Ruhe euch stärket im Glauben für die zukünftigen Ereignisse; denn es ist nicht gut, so der Hirte geschlagen wird, daß die Schafe nicht wüßten, wenigstens allein den Weg in ihren Stall zu finden.

[GEJ.11_015,04] Seid daher bereit, in euch zu forschen, wo es in eurem Herzen noch dunkel ist, damit das Licht, solange es euch noch scheint, alle Winkel wohl durchleuchte und ihr Bescheid wisset in eurem Hause, wenn vorübergehend Dunkelheit herrscht! Denn Ich weiß wohl, daß ihr schwach seid, euch aber Riesen dünket, solange ihr eine persönliche Stütze an Mir habt. Fehlt euch diese, so wird sich erst zeigen, wieweit ihr feststehet und nicht sorgen müsset, zu fallen.

[GEJ.11_015,05] Jetzt lasset uns zuerst die Leiber stärken, und dann tuet, wie Ich euch gesagt habe! Durchforschet euch innerlich, und wer da eine Frage in sich spürt, der bringe sie sodann hervor! – Gehe aber einer und sehe, was uns beschert ist dort hinter jenen Büschen!“

[GEJ.11_015,06] Nun eilten Petrus und Jakobus sogleich nach dem bezeichneten Ort und brachten mehrere Laibe Brotes sowie auch Wein in Krügen hervor, wovon wir dann ein auskömmliches Abendmahl hielten.

[GEJ.11_015,07] Nachdem dasselbe beendet war, verhielten sich alle schweigend. Jeder vergegenwärtigte sich Meine Lehre und Meine Taten; aber keiner kam mit irgendeiner Frage hervor. Selbst Petrus, der doch sonst so mancherlei auf dem Herzen hatte und öfter Fragen stellte, die schon in irgendeiner Form beantwortet worden waren durch frühere Belehrungen, verhielt sich völlig ruhig und wartete nur, was denn doch am Ende bei Meinem Beginnen herauskommen würde; denn allen war es sehr auffällig gewesen, diesen Abstecher ins Gebirge machen zu müssen.

[GEJ.11_015,08] Da nun allgemeines, erwartungsvolles Stillschweigen herrschte, nahm Ich wieder das Wort und sagte: „Meine Lieben, die ihr Mir alle nachgefolgt seid, ohne zu fragen, wohin Ich euch führe, – höret, was Ich euch zu sagen habe! Höret aber mit dem Herzen, nicht nur mit den Ohren; denn alle Geheimnisse und Lehren, welche Ich euch offenbarte, können nur dann begriffen werden, wenn das Herz deren Wahrheit fühlt und nicht der bloße Menschenverstand um sein Urteil gefragt wird!

[GEJ.11_015,09] Es kommt nun die Zeit heran, von der die Schrift sagt: ‚Des Menschen Sohn wird nun erhöhet werden!‘, und von der es heißt: ‚Er wird dir den Kopf zertreten, und du (die Schlange) wirst ihn in die Ferse stechen!‘ Mein Lehramt geht nun hier zu Ende, und das eure wird alsbald beginnen. Ihr aber müsset wohl vorbereitet sein, damit ihr nicht schwach werdet und erzittert vor den Schrecknissen der Zukunft. Denn trotz aller Stärkung, die euch zufließen wird, werdet ihr dennoch viel Mühe haben, festzustehen und eure menschliche Natur zu überwinden.

[GEJ.11_015,10] Wenn ihr aber das Werk weiterführen werdet, das von Mir hier vollbracht werden wird, so gedenket Meiner Worte am Berge Garizim: ‚Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden (und nicht ablassen von ihren Wegen); denn das Himmelreich ist ihr! Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um Meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen!‘ Denn ihre Lügen werden sich gegen sie selbst kehren und sie vernichten, und euch wird die Krone der Wahrhaftigkeit werden! Darum fürchtet euch nicht, auch wenn ihr Mich nicht mehr sehet; denn Ich werde trotzdem bei euch bleiben bis an der Welt Ende!

[GEJ.11_015,11] So aber die Großen und Vornehmen der Welt kommen werden und euch bieten große Summen, zu treten in ihre Dienste, damit sie durch euch größer und noch angesehener werden, so saget ihnen, ihr dienet schon einem andern Herrn, der euch gar wohl besoldet und als treue Diener anerkennt, ihr daher nicht weitere Dienste annehmen könnet; denn niemand kann zwei Herren dienen und dabei beiden gerecht werden. Sie werden euch dann fragen, wer dieser Herr sei. Sodann verleugnet Mich nicht, sondern bekennet Mich frei; denn wer da Mich verleugnet, den werde auch Ich einst verleugnen und von Mir weisen! Und wer von Mir verstoßen worden ist, der wird lange warten und viel Mühe, Angst und Qual erdulden müssen, bis ihm das Licht wieder leuchtet. Darum folget Meinen Worten!“

 

16. Kapitel – Der Herr und Luzifer.

[GEJ.11_016,01] Als Ich nun Meine Augen über die Schar Meiner Anhänger gleiten ließ, die andachtsvoll Meinen Worten lauschten und nicht recht wußten, was sie denn aus diesen machen sollten, da fühlte Meine Seele ein tiefes Mitleid und übergroße Liebe zu den Mir so vertrauensvoll Folgenden. Gleichzeitig aber sah Ich, wie das Böse in ihnen bemüht war, ihre Seelen von Mir abzulenken und der Welt zuzukehren. Da ergrimmte in Mir die Gottheit, und der Mensch Jesus trat zurück, so daß nur der Vater in Mir herrschte.

[GEJ.11_016,02] Und die Allmacht (Ich) sprach: „Laß uns noch einen Versuch machen, ob es nicht gelingt, alle diese zu befreien von dem, was nach unten strebt, und sie frei zu machen zu Kindern der Höhe, damit der verlorene Sohn heimkehre in das Vaterhaus!“

[GEJ.11_016,03] Und siehe, da fielen alle in einen tiefen Schlaf. Ich aber, als Mensch Jesus und doch Gott von Ewigkeit her, stand allein und berief Luzifer, den gefallenen Erzengel, vor Mich, um dessentwillen alles dies geschaffen worden war.

[GEJ.11_016,04] Da lösten sich von den Leibern der Schlafenden die Seelen, und sie scharten sich um Mich, und in ihnen glühte ein helleuchtender Funke, der diesen noch arg verunreinigten Seelen Licht und Lebenswärme spendete.

[GEJ.11_016,05] Und sie knieten vor Mir und baten Mich (die Seelen der Jünger): „O Herr, wende Dich nicht von uns! Du hast uns errettet und wirst uns weiterführen!“

[GEJ.11_016,06] Luzifer aber stand in der Gestalt eines schönen Jünglings, doch ohne Glanz vor Mir, gesenkten Hauptes, und wartete Meines Wortes.

[GEJ.11_016,07] Ich sagte zu ihm: „Du hast die Gottheit nicht sehen, nur empfinden können, Lichtträger, und als du hinausfuhrst vom Mittelpunkt Meiner Liebe, Licht und Leben zu schaffen in alle Räume der Unendlichkeit, da glaubtest du, nicht Träger der Kraft, sondern Besitzer der Kraft zu sein. Du verwandeltest deine Liebe in Hochmut und sagtest: ‚Ein Gott, der nicht zu sehen ist, ist kein Gott. Die Geschöpfe, die da entstehen durch meinen Willen, verehren mich als allein sichtbares Wesen, wie Gott. Ich will daher für diese Gott sein und bleiben!‘

[GEJ.11_016,08] Da ertönte in dir Meine Stimme und sprach: ‚Die Fülle Meines Geistes wirkt mit dir und in dir, und alle Eigenschaften, die da ruhen in Mir, bilden auf- und abwärts eine Stufenleiter in die Unendlichkeit. Ich will dir geben einen Teil Meiner Kraft, so daß ein jeder herrsche von der innersten Begrenzung aus, die da bildet einen innersten Punkt, herströmend aus der Unendlichkeit von zwei Seiten. Und so kannst du, als endliches Wesen ausgegangen von Mir, dennoch wirken unendlich mit Mir, als Gegenpol, der da gerecht stehet zu Mir.‘

[GEJ.11_016,09] Da aber mißachtetest du die Warnung; denn deine Kraft erschuf zahllose Wesen aus dir, und sie folgten dir und wurden mächtig, da Ich die Neugeschaffenen, als Teil von dir, nicht zerstören wollte. Immer mächtiger wuchs die Schar an, und sie bildeten dich zu ihrem Gott. Da freveltest du abermals und sagtest: ‚Ich bin Gott; denn nirgends erblicke ich die Kraft, die etwas schafft!‘ – Tor, als ob das Endliche das Unendliche je sehen und begreifen könnte!

[GEJ.11_016,10] Ich schlug dich nun in Fesseln, und siehe, dieselbe Kraft steht hier vor dir in Person und sagt dir: Ich bin der bisher nicht sichtbare Gott! Erkennst du Mich nun? Kehre um ins Vaterhaus, damit du befreit werdest von den Fesseln und den Platz einnimmst, der dir gebührt! Sieh hier die Schar der vor Mir Knieenden, losgelöst von dir, belebt in sich durch Meinen Hauch und für immer hergewandt zu Mir! Laß ab vom Trotz, lasse in dich hauchen die Wärme Meiner Liebe – und alle Materie zerstiebt in nichts!“

[GEJ.11_016,11] Sprach Luzifer: „Du bist Jesus von Nazareth, ein Mensch von großer Kraft, die auch einst mir gewesen. Doch Gott, die höchste Kraft, die Unendlichkeit im Endlichen, in dir zu erkennen, – nein, niemals! Was mit mir gewesen, kann auch mit anderen sein. Die Menschen sind sterblich, ihre Leiber faulen, – so wirst auch du zerfallen, dein Leib zergehen, und von dem Jesus verbleibt nur Staub.

[GEJ.11_016,12] Ich kenne meine Schuld und sehe mich entkleidet des Lichtschmuckes, gönne dir auch die wenigen der Meinen, die sich dort zu dir wenden. Doch wird es der Allmacht nie einfallen, ihre Schöpfung zu vernichten, die eigentlich mein Werk ist, zu der ich ihr erst verhalf, und die ich auch liebe, geradeso wie sie; denn sie ist aus mir. Mag der Kampf weiterbestehen; denn dieser Kampf erst bedingt das Leben. Das Schrecknis des Todes ist mein Werk, und dadurch halte ich meine Geschöpfe zu mir, und sie bleiben bei mir, daß meine Eigenschaften in ihnen leben können. Es ist also schon so recht, wie es ist! – Was willst du also noch von mir?“

[GEJ.11_016,13] Sprach Ich: „Hier ist nicht der Ort, zu rechten; denn du weißt sehr wohl, um was es sich handelt. Mir ist als Gottmensch gegeben alle Kraft der Himmel, und nur deine Verstocktheit will Mich nicht erkennen, weil du noch immer hoffst, die Gottheit doch zu besiegen, dich ihrer zu bemächtigen. Ihre große Langmut legst du dir als Schwäche, ihre Liebe als Ohnmacht aus. Deine Scharen, welche nun Selbst zu erretten Ich Mich einkleidete, willst du nicht fahren lassen und suchst sie aufzustacheln, obgleich du weißt, daß dein Anhang nun schon sehr geschwächt und geringer geworden ist. Es ist dir gelungen, die Gemüter zu fangen und von der Erkenntnis abwendig zu machen. Das Bestehen des Heidentums ist dein Werk. Trotz alledem aber sind alle deine Taten so gewendet worden, daß die Gefallenen dennoch zu Mir geführt werden, – und das alles genügt dir nicht?“

[GEJ.11_016,14] Sagte Luzifer: „Die dir Zugefallenen warten nur meines Rufes, um zurückzukehren. Gib mir Gelegenheit, es dir zu beweisen, wie schwach sie sind, – und verliere ich, so will ich dich anerkennen! Gib mir Gewalt über deinen Leib, lasse mich den inneren Menschen beschauen, der in dir lebt, und wir werden sehen, wie wenig Göttliches an ihm haftet! Und auch diese hier kehren zurück zu mir, dem sie angehören, wenn erst der Jesus dem Tode seinen Tribut gezahlt hat!“

[GEJ.11_016,15] Sagte Ich: „Was Ich Selbst einführe in Mein Reich, ist dir verloren für ewig. Ich weiß es seit Anbeginn der Welt am besten, welche Wege zum Heile führen. Doch wahre dich wohl, – dein Maß ist voll! Aus Liebe zu den Geschöpfen Meiner Himmel und Erden kam Ich wieder und werde aus Liebe zu ihnen das Werk vollenden, trotz deiner Hartnäckigkeit!

[GEJ.11_016,16] Trotze nicht darauf, daß mit deiner Vernichtung auch die Vernichtung aller Wesen besiegelt ist, die aus dir sind, und daß dadurch die Frist bedingt ist, die auch dir stundet. Einst kommt die Zeit, wo du nicht nur entkleidet deines Glanzes wie jetzt, sondern auch entkleidet jedes Wesens aus dir vor Mir stehen wirst und sodann durch deine Vernichtung kein Geschöpf je mehr getroffen wird. Sodann wirst du dich wieder zu entscheiden haben, – so du nicht vorziehst, vordem freiwillig zu Mir zu kommen. Jetzt weiche von hinnen; denn Meine Entschlüsse stehen fest, und Mein Wille geschehe!“

[GEJ.11_016,17] Hierauf verschwand Luzifer. Ich aber segnete die um Mich gescharten Seelen, stärkte sie und gebot ihnen, in ihre Leiber zurückzukehren.

 

17. Kapitel – Die Enthüllung des Schöpfungs- und Erlösungsplanes.

[GEJ.11_017,01] Notabene. Viele werden sich hier verwundern, weshalb Ich denn die Seelen Meiner Jünger aus ihren Leibern berief, um sie so Zeugen dieser Szene sein zu lassen. Das geschah aus zweierlei Gründen.

[GEJ.11_017,02] Einmal sollten sie beim Erwachen kein Gedächtnis davon in ihr irdisches Leben mit hinübernehmen, da dieses unnötig, ja schädlich für ihre weitere Entwicklung gewesen wäre, – dann aber, weil nur die Seele in ihrem freien Zustande allein imstande ist, ihre Vorstufen zu durchschauen. Es kam aber auf letzteres an, damit diese Seelen Mich als ihren Herrn und Schöpfer völlig erkennen und bitten konnten, sie zu schützen. Luzifer aber sollte erkennen, wie er seines Anhanges entkleidet und immer machtloser würde.

[GEJ.11_017,03] Es ist nun hier an der Zeit, zum Verständnis des Weiteren völlig klar darzustellen, wer und was Luzifer sei, wie man ihn sich vorzustellen habe, und wie ihn in jedem einzelnen Menschen zu besiegen möglich ist, da erst bei rechter Klarlegung dieser wichtigsten Fragen es möglich ist, die Schöpfung, Mein Darniederkommen, Mein Leiden und Sterben richtig aufzufassen. So höre denn die Welt, völlig entkleidet jedes Bildes, das große Geheimnis Meines Schöpfungs- und Erlösungsplanes!

[GEJ.11_017,04] Als die Gottheit Sich durch Vorgänge, die euch stets geheimnisvoll bleiben werden, gefunden und in Sich den schaffenden und alles umfassenden Weltengeist erkannt hatte, da entstand in Ihr ein mächtiges Wogen und Drängen, und Sie sprach in Sich: ‚Ich will Meine Ideen aus Mir herausstellen, damit Ich an diesen erschaue, was Meine Kräfte vermögen!‘ Denn solange keine Tätigkeit entsteht, kann die Gottheit Sich Selbst nur in geringem Maße erkennen. Erst an Ihren Werken erkennt Sie Ihre Macht immer mehr und freut Sich daran (gleichwie jeder Meister an seinen Produkten erst erkennt, was in ihm ruht, und seine Freude daran hat).

[GEJ.11_017,05] Sie wollte also schaffen und sagte Sich weiter: ‚In Mir ruhet alle Kraft der Ewigkeiten; also schaffen Wir ein Wesen, das ausgerüstet sei mit aller Kraft gleich Mir Selbst, jedoch so, daß es in sich trage die Eigenschaften, an denen Ich Mich Selbst erkennen kann!‘ Und es ward ein Geist erschaffen, der ausgerüstet wurde mit aller Kraft aus Mir, Meine in Mir ruhenden Kräfte beschaulich der Gottheit vorzuführen.

[GEJ.11_017,06] In diesem Geiste wollte die Gottheit Selbst den festen Punkt der eigenen Wirksamkeit feststellen, gleichwie ein Mensch, welcher geht, in dem festen Stützpunkt der Erde erst einen festen Punkt findet, seine Kraft wirken zu lassen und sich fortzubewegen. Der Widerstand, den die Erde selbst bietet, ist aber gerecht, ja, ist das Mittel, daß die Kraft eigentlich zum Vorschein kommt und dadurch Fortbewegung geschieht. Diese abgegebene Kraft, welche in den neu erstandenen Geist eingelegt wurde, war der Gegenpol, das heißt der gerechte Gegensatz aller der Eigenschaften, die ihr als göttlich bezeichnet, welcher deswegen aber nicht ungöttlich ist, sondern nur ermöglicht, das rechte Licht der Erkenntnis zu verbreiten.

[GEJ.11_017,07] Denn jede Eigenschaft muß nach zwei Seiten hin betrachtbar sein, wenn sie vollkommen ist. Dort, wo beide Seiten in einem Punkt zusammenfallen, ist sodann Meine Vollkommenheit zu finden. Absteigend und aufsteigend von diesem Mittelpunkte verlieren sich die beiden in die Unendlichkeit.

[GEJ.11_017,08] Betrachtet als Beispiel die Liebe, als das höchste Gesetz und die edelste Eigenschaft im Mittelpunkt Meines Herzens! Es wird jeder leicht einsehen, daß ein höchst liebevoller Mensch in seiner Liebe noch weiter gesteigert werden kann; denn es wird leicht zu denken sein, daß schon auf eurer Erde es immer noch einen Menschen gibt, der noch liebevoller ist. Und dennoch werdet ihr bemerken, daß höchst liebevolle Menschen auch den gerechten Gegenpol in sich haben, aus welcher Ursache sie auch imstande sind, aus Liebe und in Berücksichtigung weiser Gründe mancherlei zu versagen, falls Wünsche, von anderen gestellt, an sie herantreten, welche den Wünschenden nur zum Schaden gereichen.

[GEJ.11_017,09] Würde nun ein Wesen geschaffen, das auf diese Grenze gestellt ist, von wo aus es sich frei entwickeln kann nach beiden Seiten hin, so ist leicht einzusehen, daß es diese Fähigkeit der Versagung in sich immer mehr ausbilden kann, sich damit immer mehr von der gerechten Grenze entfernt und sich schließlich bis in die unendlichsten Tiefen des Gegenpols, das heißt also in die äußersten Härten, verlieren kann. Ihr könnt euch also bei einem schlechten Menschen einen immer noch schlechteren, liebloseren denken, der sich bis in die krasseste Entfernung des Eigennutzes verliert.

[GEJ.11_017,10] Wenn Ich nun ein Wesen schuf, das alle – wohlgemerkt – nur gerechten Pole Meiner göttlichen Eigenschaften enthielt, so heißt das nicht: Ich entkleidete Mich dieser völlig, so daß Ich als Gott nun gewisserart nur aus einer Hälfte bestand, sondern nur: Ich schuf ein Wesen, das Ich auf diese betreffende Grenze stellte, ausrüstete mit Meiner Allmacht, also durch dasselbe wirkte und nun freistellte, sich zu entwickeln nach oben und unten. Und aus dieser Machtvollkommenheit heraus ließ Ich es frei wirken.

[GEJ.11_017,11] Dieses erste Licht der Erkenntnis – das ist also das Erkennen der Möglichkeit, sich aufsteigend oder absteigend entwickeln zu können – sollte bewirken, freiwillig in dem Mittelpunkte zu verbleiben, um von dort aus in engster Verbindung mit dem göttlichen Urgeiste zu wirken und immer neue Wesen selbstschöpferisch zu schaffen, damit Schöpfer und Geschöpf daran eine rechte Freude und in dieser freudigen Tätigkeit eine erhöhte Seligkeit genieße.

[GEJ.11_017,12] Wenn Ich euch nun sage, daß dieser erstgeschaffene Geist ‚Luzifer‘ (d.h. Lichtträger) hieß, so werdet ihr jetzt auch begreifen, warum er so und nicht anders hieß. Er trug in sich das Licht der Erkenntnis und konnte als erstes Geistwesen die Grenzen der innergeistigen Polaritäten recht wohl erkennen. Er, ausgerüstet mit Meiner völligen Macht, rief nun andere Wesen ins Leben, die völlig ihm ähnlich waren, auch die Gottheit in sich empfanden und dasselbe Licht der Erkenntnis in sich erbrennen sahen wie er, ebenfalls selbstschöpferisch auftraten und ausgerüstet wurden mit aller Kraft Meines Geistes. Jedoch wirkten in diesen besondere Kräfte Meines Urgeistes verteilt hervorleuchtend, das heißt, sie wurden in ihrem Charakter entsprechend Meinen sieben Haupteigenschaften, und so war ihre Zahl sieben.

[GEJ.11_017,13] Hier ist nicht zu verstehen, als seien die betreffenden sechs anderen Eigenschaften fehlend gewesen, weil sie einer entsprachen, sondern sie besaßen in ihrem Wesen einen entsprechenden Zug, der sie als Träger einer besonderen Eigenschaft befähigte und den sie vorzüglich entwickelten; denn schon in den Uranfängen stellte Ich Meine Wesen unter die Notwendigkeit, nicht eines das andere entbehren zu können, – das beste Mittel, gegenseitige Überhebung zu vermeiden.

[GEJ.11_017,14] Luzifer, wohl wissend, daß er in sich den Gegenpol Gottes vorstellen sollte, vermeinte nun zu ermöglichen, die Gottheit gewisserart in sich aufsaugen zu können, und verfiel in den Irrtum, als geschaffenes und damit endliches Wesen die Unendlichkeit in sich aufnehmen zu können; denn auch hier galt das Gesetz: ‚Niemand kann Gott (die Unendlichkeit) sehen und dabei das Leben behalten‘, demzufolge er das Wesen der Gottheit wohl empfinden, Ihre Befehle, solange er im gerechten Mittelpunkt stand, hören, niemals aber Sie persönlich sehen konnte.

[GEJ.11_017,15] Wie nun das endliche Wesen niemals die Unendlichkeit begreifen kann und wird und daher in diesem Punkte stets leicht in Irrtümer verfallen und bei absteigender Bewegung in diesen verharren kann, so versank trotz aller Warnungen Luzifer dennoch in den Wahn, die Gottheit aufnehmen und gefangennehmen zu können. Damit verließ er den gerechten Standpunkt, entfernte sich aus dem Mittelpunkte Meines Herzens und verfiel stets mehr und mehr in den falschen Wunsch, seine Geschöpfe, die durch ihn, aber aus Mir entstanden waren, um sich zu versammeln, um die mit Wesen aller Art bevölkerten Räume zu beherrschen.

[GEJ.11_017,16] Es entstand nun ein Zwiespalt, das ist eine Trennung der Parteien, der schließlich dazu führte, daß die Luzifer gegebene Macht von Mir zurückgezogen und er mit seinem Anhang machtlos und der Schaffenskraft beraubt wurde.

[GEJ.11_017,17] Es entstand naturgemäß die Frage: Was soll nun mit diesem Heere der Gefallenen und wie tot, das heißt untätig Erscheinenden geschehen?

[GEJ.11_017,18] Es ergaben sich da nur zwei Wege. Der erste Weg war: Luzifer mit seinem Anhange zu vernichten, um sodann einen zweiten zu schaffen, der wahrscheinlich demselben Irrtum unterworfen gewesen wäre, da ein vollkommenerer Geist, den Ich frei hinausstelle, der demnach nicht abhängig von Meinem Willen war, nicht geschaffen werden konnte. Maschinen zu schaffen, die willenlos ausführen, was Ich befehle, war keine Schwierigkeit. Um aber das Licht der Selbsterkenntnis zu erringen, war der bisherige Weg der einzige. Da aber durch, das heißt mittels Luzifer auch die anderen, Mir treu verbliebenen Geister erschaffen wurden, so gehörten sie in seine Sphäre. Eine plötzliche Vernichtung Luzifers hätte also auch die Vernichtung aller Lebewesen bedeutet.

[GEJ.11_017,19] Stellt euch einen Menschen vor, der Kind und Kindeskinder um sich geschart hat, die allerdings von ihm als Mittler abstammen, aber ihr Leben doch eigentlich Mir verdanken! Sollen dieses Menschen Taten, Gedanken, und so weiter für immer vernichtet werden, so müssen doch auch seine Abkömmlinge vernichtet werden, da sonst sein Andenken doch in ihnen fortlebt. Nur ein völliges Ausstreichen alles dessen, was jemals mit ihm in irgendeine Berührung gekommen ist – gleichviel ob dieses nun gut oder schlecht ist, die Vernichtung verdient hat oder nicht –, würde ein völliges Vergessen ermöglichen.

[GEJ.11_017,20] Wodurch aber hätte Luzifer, dessen Fall nur durch Irrtum geschehen war, folglich also die Möglichkeit des Ablegens des Irrtums einschließt, dieses verdient? Weshalb hätten die treu gebliebenen Wesen ihre Vernichtung verdient und schließlich: Wo bliebe Meine Weisheit, wenn Ich nicht von Anbeginn die Möglichkeit eines Abfalles erkannt und vorhergesehen hätte, daher eine Wiederholung des Schöpfungsganges auszuschließen ist? Und vor allen Dingen: Wo bliebe Meine Liebe, wenn diese nicht von einer Vernichtung abgesehen hätte, vielmehr Mittel durch die Weisheit fände, die verlorenen Wesen zum Lichte der Erkenntnis zurückzuführen, damit sie also in dem gerechten Gleichgewicht der polaren Eigenschaften verbleiben?

[GEJ.11_017,21] Es blieb also nur der zweite Weg übrig, den ihr in der materiellen Schöpfung vor euch habt.

[GEJ.11_017,22] Stellt euch einen Menschen vor, der durchaus nicht einsehen will, daß der König des Landes ein mächtiger Herrscher ist, weil er von ihm zwar mit aller Kraft und Vollmacht ausgerüstet ist, jedoch ihn selbst nie gesehen hat! Dieser rebelliert gegen ihn und möchte sich selbst zum Könige aufschwingen. Der König, um die ihm treuen Untertanen nicht verderben zu lassen, wird ihn ergreifen, ihn seines Schmuckes berauben, aller Vollmacht entkleiden und in ein festes Gemach werfen lassen, so lange, bis er zur Vernunft gebracht sein wird, und dasselbe wird er mit den Anhängern tun. Je nachdem nun die Anhänger Buße tun und ihren Irrtum einsehen, werden diese befreit werden und dem Könige, der sich ihnen nun auch sichtbar gezeigt hat, fest anhangen.

[GEJ.11_017,23] Dieses schwache, irdische Bild zeigt euch Meine Tat an; denn die Einkerkerung ist die materielle Schöpfung. Jedoch müßt ihr zum Verständnis des Weiteren eure seelischen Empfindungen erregen, da der menschliche Verstand zum Begreifen zu kurz ist.

[GEJ.11_017,24] Eine Seele ist zusammengesetzt aus zahllosen Partikeln, deren jedes einer Mir entstammenden Idee entspricht, und kann, wenn sie einmal sich zusammengefunden hat, nicht mehr anders werden, als sie ist, weil sie sodann dem Charakter entspricht, den sie erhalten hat. Ein Kristall, wenn auskristallisiert, kann in seiner Wesenheit nicht mehr geändert werden und kristallisiert entweder als Rhomboeder oder Hexaeder, Oktaeder usw., je nachdem, welche Form seinem Charakter, das heißt der Anhäufung der Partikel um seinen Lebensmittelpunkt, entspricht.

[GEJ.11_017,25] Soll da nun eine Änderung geschaffen werden, weil die Kristalle nicht ganz rein ausgefallen sind, so müssen dieselben durch Wärme (Liebe) aufgelöst werden, um sodann beim Erkalten des warmen Liebewassers, das gleichbedeutend ist dem Freigeben ihres Willens, von neuem auszukristallisieren. Nun bilden sich wieder neue, schöne Kristalle, und jeder vorsichtige Chemiker wird es verstehen, möglichst schöne, klare und große Kristalle zu erzielen, die seinen Zwecken entsprechen.

[GEJ.11_017,26] Seht, so ein Chemiker bin Ich! Ich löste die unrein gewordenen Kristalle (Luzifer und seinen Anhang) auf in dem warmen Liebewasser und ließ diese Seelen nun wieder neu auskristallisieren, damit sie klar würden. Daß das durch Aufsteigen durch das Mineralreich und das Pflanzenreich bis zum Menschen geschieht, ist euch bekannt. Da die Seele des Luzifer jedoch die gesamte materielle Schöpfung umschließt, so muß auch diese sich in der Form des Menschen ausdrücken. So vereinen sich auch stets alle Geistervereine in einer Person, die durch den Leiter dieses Vereins ausgedrückt wird, und bilden das, was man dessen Sphäre nennt. Ähnliches, welches dieses klar ausdrückt, gibt es im Materiellen nicht, daher sagte Ich: Öffnet eure seelischen Empfindungen!

[GEJ.11_017,27] Jetzt wird es euch auch klarer werden, daß Luzifer glaubt, er müsse so handeln, wie es geschieht, damit die Materie hätte geschaffen werden können, – ein Irrtum deshalb, da nicht die Materie der Endzweck Meiner Schöpfung ist, sondern nur das freie Erkennen, Lieben und Begreifen der Gottheit das Ziel der aus Mir gestellten Wesen ist, die Materie aber hierzu nur ein Notbehelf. Luzifer bestand auf diesem zweiten Irrtum und verlor sich in den Enden seiner polaren Eigenschaften, sich selbst belügend, dadurch die Materie erhalten zu müssen. Es war ihm soviel Freiheit gegeben, die Materie durchdringen zu können, das heißt, bewußt in sich zu beschauen, damit er als der urgeschaffenste Geist erkenne, welches Leid er seinen Gefährten gebracht habe, und er dadurch zur Umkehr geführt werde. Er tat dieses jedoch nicht, sondern wollte erst recht herrschen als ein Fürst der Materie, die ihm gehöre. Er verdunkelte daher möglichst die sich wieder ausbildenden Menschenkristalle, um sein Reich zu erhalten; denn der Kampf mit Gott schien ihm groß, erhaben und das Leben erhaltend.

[GEJ.11_017,28] Die Menschenkristalle, welche ebenfalls wieder zur Erreichung des Zweckes freigestellt werden mußten, konnten sich ihm zuneigen oder Mir und fielen allerdings zu Lebzeiten vielfach in seine Netze. Siehe das Heidentum, in dem er sich als König und seine polaren Eigenschaften, die ebenfalls größte Weisheit in sich bergen, als Götter verehren ließ!

[GEJ.11_017,29] Man wird nun fragen: Warum ließ Ich solches Treiben zu? Unverständlich bleibt es, wenn man nicht das Endziel betrachtet, und das ist freiestes Selbsterkennen in Gott.

[GEJ.11_017,30] Wenn ein großer Volksführer sich in Verkehrtheiten gefällt und seine Anhänger mit sich fortreißt, wie kommt man da am schnellsten zu dem Ziel, allen das rechte Licht zu bringen? Sicher, wenn der Volksführer selbst von seinen Verkehrtheiten abläßt; denn die Anhänger werden ihm schnellstens folgen. Sucht man ihm aber die Anhänger einzeln abwendig zu machen, so lange, bis er allein dasteht, so wird das Ziel weit mehr hinausgeschoben.

[GEJ.11_017,31] Bei Mir heißt es nun allezeit, an den Kern gehen, und wenn dieser nicht geändert werden kann, sodann den Umweg einschlagen!

[GEJ.11_017,32] Da nun während der Gefangenschaft – denkt jetzt an das Bild des Königs – der stete Vorwurf gemacht wurde: ‚Könnte ich den König sehen, so würde ich an ihn glauben!‘, so wurde dadurch Meine Menschwerdung bedingt; erstens für die Gefallenen und zweitens, um den Nichtgefallenen die Gottheit persönlich sichtbar zu machen und so ihren Glauben zu krönen.

[GEJ.11_017,33] Hier liegt das Geheimnis Meiner Menschwerdung, welche die Materie durchbrechen mußte, die sonst immer härter und härter werden mußte, falls Luzifer sich immer mehr in die Härten des Gegenpols verlor. Meine Menschwerdung gebot daher einen Halt und zeigte genau den Weg zur Loslösung von dem Götzendienst und der Verehrung der polaren Eigenschaften und mußte nun auch den Beweis liefern, daß erstens der Tod überwunden werden kann – durch welchen die Menschen an die Materie und deren Genüsse gebunden wurden – als das Höchsterreichbare, und zweitens, daß das Leben nicht in der Materie, sondern im Geiste geschieht und erstere nur ein Gefängnis des letzteren ist.

[GEJ.11_017,34] Daß Ich Mir das geeignetste Land, Volk und Familie vorbereitete, wo der sichere Erfolg Meines Opfers stattfinden konnte, da andernfalls Luzifer Mich hätte besiegen können, ist selbstverständlich, und die Geschichte des jüdischen Volkes beantwortet die Frage, wo das geschehen mußte.

 

18. Kapitel – Die Vision des Ebal.

[GEJ.11_018,01] Als die Jünger aus ihrer Art Betäubung erwachten, wunderten sie sich alle, plötzlich so fest eingeschlafen zu sein, und sie fragten Mich nun, was denn mit ihnen eigentlich vorgegangen wäre.

[GEJ.11_018,02] Ich sagte ihnen: „Kümmert euch dessen nicht; denn noch vielerlei wird geschehen, wo ihr dieselbe Frage stellen werdet, ohne daß sie auch alsogleich beantwortet werden kann! Doch zur rechten Zeit wird euch auch der rechte Aufschluß werden.“

[GEJ.11_018,03] Es war aber unter den Mir Nachfolgenden auch ein Jude, namens Ebal, der Meine Lehre völlig in sein Herz aufgenommen hatte und allereifrigst bemüht war, seinen Geist zu wecken. Dieser hatte vermöge seines Vorlebens, welches ihm größere Seelenfähigkeiten verliehen hatte, die Gabe des Zweiten Gesichtes, das heißt die Gabe, zukünftige oder vergangene Begebenheiten in sich erschauen zu können.

[GEJ.11_018,04] Dieser trat zu Mir und sagte (Ebal): „Herr und Meister! Meine Seele erschauert stets im Schmerz, wenn ich in ruhigen Stunden Dich mir vergegenwärtige. Ich sehe sodann dunkle Bilder vor mir auftauchen, welche Grauenhaftes mir anzudeuten scheinen. Oftmals habe ich Zukünftiges geschaut und Vergangenes; aber niemals fühlte ich diesen Schmerz, als wenn ich an Dich denke und an die Bilder, welche mir im Geiste vorschweben.“

[GEJ.11_018,05] Redete Ich: „Sage, Mein lieber Ebal, was für Bilder du erschaust, damit auch diese wissen, was deine Seele empfindet!“

[GEJ.11_018,06] Sagte Ebal: „Herr ich sehe die Pforten des Himmels geöffnet, und helles Licht strahlt mir entgegen aus den unermeßlichen Tiefen der Schöpfung. Und eine Stimme sagte zu mir: ‚Siehe, das ist das Licht der Welt, das zu den Menschen hinabgestiegen ist und nun Wohnung bei ihnen genommen hat!‘

[GEJ.11_018,07] Und weiter sah ich Dich wandeln, und Du wurdest hell bestrahlt von diesem Licht und völlig von ihm durchleuchtet, und in Deinem Herzen sah ich eine Flamme erglühen, welche immer heller ward. Und je mehr Helligkeit diese Flamme ausstrahlte, um so mehr verschwand das Licht, das von außen strahlte.

[GEJ.11_018,08] Sodann sah ich eine dunkle Gestalt sich nahen, welche bemüht war, das Licht in Dir zu verdecken; und bei diesem Bemühen erblickte ich die Scharen der Himmel, welche angstvoll auf diesen Vorgang heruntersahen. Und siehe, je mehr die Gestalt bemüht war, Dich mit Finsternis zu umkleiden, um so mehr erstrahlte das Licht in Dir, und schließlich stürzte sie, von dem heftigsten Lichtglanze geblendet, vor Dir nieder. Du aber berührtest die dunkle Gestalt, welche wie tot nun zu Deinen Füßen lag, und sagtest zu ihr: ‚Selig sind alle Sünder, welche Buße tun, und es ist keine Sünde so groß, daß sie nicht vergeben werden könnte, wenn der Sünder bittet in Meinem Namen! So bitte auch du, damit dir vergeben werden kann!‘

[GEJ.11_018,09] Und ich sah weiter, daß Deine Hände und Füße durchbohrt waren und aus Deinem Herzen ein Blutstropfen floß. Die zu Deinen Füßen liegende Gestalt sog diesen Blutstropfen in sich auf und gewann nun Leben und wurde immer heller und heller, bis auch sie schließlich im hellsten Glanz erstrahlte. Da tönte eine Stimme durch den Himmelsraum: ‚Sehet, Ich habe Meinen Sohn ausgesandt, daß Er den Verlorenen Mir wiederbringe, und Er scheute sich nicht, zu sterben, auf daß Er mit Seinem Herzblut den Geschwächten erquicke und belebe! Heil Ihm, denn nun nehme Ich Wohnung völlig in Ihm; denn Wir sind eins geworden für ewig!‘

[GEJ.11_018,10] Als diese Stimme verklungen war, kam ich wieder zu mir. Diese selbe dunkle Gestalt aber sah ich vorhin neben mir stehen, mich höhnisch anlächelnd, als wolle sie mir etwas sagen und dann verschwinden.

[GEJ.11_018,11] Sage mir doch, Herr und Meister, was das alles bedeutet; denn so herrlich auch dieses anzusehen war, so empfinde ich doch, wie schon gesagt, allzeit einen tief inneren Schmerz dabei, der mich oftmals unfähig macht, zu denken oder zu empfinden!“

[GEJ.11_018,12] Sagte Ich: „Ebal, wenn deine Seele fühlt, was in den kommenden Tagen geschehen wird, so bangt sie auch gleichzeitig vor den Geschehnissen, deren Endziel sie nicht ergründen noch fassen kann! Das bedrückt sie sodann sehr, nimmt sie mächtig gefangen für alle diese ihr unverständlichen Eindrücke, die sie doch lösen möchte und nicht kann, weil ihr eben das Verständnis fehlt, und sie fühlt dann Schmerz ebenso wie ein Gefesselter, der gegen seine Fesseln sich wehrt und von diesen zu befreien sich bemüht. Suche in deinem Herzen die Liebe zu Gott mehr zu entfachen als bisher! Mache dich ruhig in deinem Herzen und lausche auf die Stimme deines Geistes, so wird dir alsbald in der rechten Erkenntnis und Geduld ein scharfes Messer gegeben werden, das diese Fesseln durchschneidet!

[GEJ.11_018,13] Alle aber, welche veranlagt sind wie du und dadurch imstande sind, ihre Seele weit aus sich auszudehnen, so daß sie das Zukünftige, welches bereits anfängt seine Schatten zu werfen, aufnehmen und das Vergangene in sich erregen und beschaulich machen können, sollen vor allen Dingen sich in Geduld und Ruhe üben, damit das Geschaute auf sie keinen Druck ausübe, sondern völlig verstanden werden möge!

[GEJ.11_018,14] So ist es auch mit dir, und bald wird die Zukunft selbst dir zeigen, was an deinem Gesichte Wahres ist!

[GEJ.11_018,15] Jetzt aber lasset ab von allen Gesprächen und gönnet euren Leibern die noch notwendige Nachtruhe, die unter dem freien Sternenzelt in dieser reinen Bergesluft besonders wohltätig und stärkend ist; denn morgen steht uns eine große Arbeit bevor, äußerlich zwar nur für Mich, aber innerlich für euch alle, zu der ihr völlig bereit und gestärkt sein müsset!“

[GEJ.11_018,16] Ebal entfernte sich von Mir, und alle Anwesenden lagerten sich auf dem moosigen Erdboden, der ihnen eine weiche Lagerstätte bot. Bewacht von Meinem Geiste schliefen sie in dem weiten Vaterhause ruhig und süß wie die Kindlein, zum letzten Male unter der unbedingten Fürsorge Meines Willens; denn von diesem Tage an begann die Zurückziehung Meines Mußgesetzes in äußerer Hinsicht von ihnen, so daß nach Maß ihres erlangten Glaubens zu Mir auch die Widersacher Gewalt über sie erlangen könnten und sie nunmehr geübt werden konnten im selbsttätigen Sinne, anstatt stets umflossen zu sein von Meiner persönlichen Gottesmacht, die sie, ihnen unbewußt, auch schirmte und mit allem versah, ohne daß sie sich darum zu kümmern brauchten. Von jetzt ab sollte sich zeigen, wie weit Meine Lehren und Taten sie gereift und selbständig gemacht hatten.

 

19. Kapitel – Der Herr hält Einkehr bei Rael.

[GEJ.11_019,01] Als anderen Tags alle erwachten, fühlten sie sich sehr gestärkt; aber dennoch war ihnen auffallend, daß jeder eine eigentümliche seelische Leere und Unabhängigkeit empfand, die sich namentlich darin ausprägte, daß Meine Jünger über verschiedene Fragen untereinander disputierten, anstatt wie sonst deren Beantwortung Mir zu überlassen. Das war das erste Zeichen der nunmehrigen Selbständigkeit und freien Entschließung ihrer ferneren Wege, das sich an ihnen geltend machte und sich bei Petrus, trotz seiner großen Liebe zu Mir, späterhin bis zur Verleugnung steigerte.

[GEJ.11_019,02] Wir verließen alsbald das Tal, welches uns Schutz für die verflossene Nacht gewährt hatte, und das der Schauplatz eines so bedeutenden Ereignisses geworden war, und wandten uns nun nordwestwärts bis zu einem kleinen Orte mehr nordöstlich von Jerusalem, namens Rimmon.

[GEJ.11_019,03] Kaum waren wir in denselben eingetreten, als ein Mann auf Mich zutrat und mit bittender Stimme – sich erst als einen Abgesandten der Schwestern des Lazarus, Martha und Maria, zu erkennen gebend – Mich flehentlich ersuchte, eilends nach Bethanien zu kommen, da Lazarus heftig erkrankt sei und seine Schwestern um des Bruders Leben in Angst seien. Er erzählte weiter, daß er bereits seit zwei Tagen hier warte, und daß gleich ihm viele Boten ausgesandt seien, Mich zu suchen, da Ich stets um diese Zeit Lazarus zu besuchen pflegte, und daß er um seines Herrn willen sich freue, Mich gefunden zu haben.

[GEJ.11_019,04] Ich antwortete dem Knechte: (Joh.11,4) „Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, daß der Sohn dadurch geehrt werde.“

[GEJ.11_019,05] Der Knecht nahm diese Worte als ein sicheres Zeichen, daß Ich seinen Herrn heilen würde, und bat Mich dringend, sogleich zu kommen, damit sein Herr nicht lange leiden müsse, und er eilte sodann nach Bethanien zu den harrenden Schwestern, die freudige Kunde zu bringen.

[GEJ.11_019,06] Ich aber wandte Mich zu den Jüngern und sagte ihnen: „Wir wollen suchen, eine Herberge für uns zu finden, damit wir rasten mögen; denn es eilet nicht so sehr, nach Bethanien zu ziehen.“

[GEJ.11_019,07] Da fragte Mich Petrus: „Herr, ist denn der Lazarus schon gesund geworden?“

[GEJ.11_019,08] Antwortete Ich ihnen: „Nein aber er soll gesund werden, und da ist es nötig, daß er zuvor ablege, was an ihm unrein ist, gleichwie ihr ablegen müßt alles Unreine, ehe ihr eingehen könnt in das Reich Meines und eures Vaters.“

[GEJ.11_019,09] Die Jünger fragten nun nicht mehr weiter; denn sie waren es schon gewohnt und hatten einsehen gelernt, daß Meine Verordnungen stets die richtigen waren.

[GEJ.11_019,10] Wir gingen nun durch das Städtchen, das eigentlich mehr ein größeres Dorf genannt werden konnte, hindurch bis zum anderen Ende desselben, welches nach der Straße gen Jerusalem zeigte, und gelangten zu einem Hause, welches, umgeben von einem Garten, recht abgelegen und anmutig dalag. Der wohlgepflegte Garten zeigte, daß sein Besitzer zu den wohlhabenderen Leuten zählte und sich anscheinend hier einen Ruhesitz, abgeschieden von der lärmenden Welt, ausgesucht hatte.

[GEJ.11_019,11] Wir standen vor dem Hause und betrachteten dessen liebliche Lage, als ein Knecht aus demselben heraustrat und im Namen seines Herrn uns freundlich aufforderte, näher zu treten und, falls es uns beliebe, Herberge bei ihm zu nehmen.

[GEJ.11_019,12] Ich wurde ihm als Führer der Gesellschaft bezeichnet und sagte zu ihm: „Sage deinem Herrn, daß Der, den er schon lange erwartet, gekommen sei, um Wohnung bei ihm zu nehmen!“

[GEJ.11_019,13] Der Knecht entfernte sich, und wir traten zunächst in den Vorgarten des Hauses. Nicht lange währte es, so kam derselbe Knecht wieder zu uns heraus und bat uns, ihm zu folgen. Er führte uns in ein geräumiges, saalartiges Gemach, das nach damaliger Sitte reich ausgestattet war mit Teppichen und mancherlei Kunstwerken und sofort den Reichtum des Besitzers verriet.

[GEJ.11_019,14] Alsbald erschien dieser selbst, gestützt auf einen Diener. Es war ein schon sehr alter Mann, von ehrwürdigstem Aussehen und geschwächt von der Last des Alters. Sein Anblick erfüllte unsere ganze Gesellschaft mit größter Ehrfurcht; denn aus seinem Antlitz leuchtete der Frieden, und sein ganzes Wesen zeigte die ehrwürdige Hoheit eines alten Patriarchen, ungefähr wie sich ein jeder das Bild eines der Erzväter ausmalte.

[GEJ.11_019,15] Freundlich begrüßte er uns und entschuldigte sich, daß die Last seiner Jahre – denn er zähle deren schon hundertzwanzig – ihn verhindert habe, uns sogleich zu empfangen, und daß wir diese Unhöflichkeit ihm als nicht beabsichtigt nachsehen möchten.

[GEJ.11_019,16] Als er (Rael) Mich nun näher anblickte, geriet er in eine große Verwunderung und sagte: „Rabbi, dich sah ich in dieser Nacht im Traum! Du riefest mir zu: ‚Rael, Ich komme zu dir, da du nach Mir verlangst, und dein Haus soll durch Mich gesegnet werden!‘

[GEJ.11_019,17] Und siehe, jetzt geht mein Traum in Erfüllung! Wer bist du, lieber Meister, und wer sind diese Leute, die zu dir zu gehören scheinen?“

[GEJ.11_019,18] Sagte Ich zu ihm: „Ich bin Der, den du erhoffst und seit Jahren erwartest; Der, den du bereits kennst, und der dir fremd geworden ist, weil Jahre dazwischen liegen, seitdem du Mich zuerst gesehen!“

[GEJ.11_019,19] Erwiderte Rael: „Rabbi, mein Gedächtnis ist schwach geworden. Ich weiß, daß ich dich schon gesehen außer meinem Traum, und dennoch finde ich nicht in mir die Zeit, wann es geschehen. Doch darüber zu sprechen ist noch Zeit. Ich bitte, sehet dieses Haus als das eure an und ruhet! Meine Diener sollen euch als meine sehr lieben Gäste bedienen, als wäret ihr meine wahren Brüder.“

[GEJ.11_019,20] Rael beorderte nun sogleich seine Leute, um Wasser zum Fußwaschen zu bringen und ein Mahl anzurichten. In einem geräumigen Speisesaal wurde alles hergerichtet, und in kürzester Zeit saßen wir bei Brot und Wein, erfrischt am Körper, in behaglichster Stimmung in dem reich ausgestatteten Saale unseres ehrwürdigen Wirtes.

 

20. Kapitel – Rael erzählt seine Lebensgeschichte.

[GEJ.11_020,01] Als wir nun bei Tische saßen, fragte Rael wiederum, wo er Mich denn eigentlich schon gesehen habe; denn er könne sich nicht erinnern, wann dieses doch geschehen sei.

[GEJ.11_020,02] Sagte Ich ihm: „Und dennoch ist es dir hell ins Herz geschrieben, nur getraust du dich nicht, deinen heißesten Wunsch mit einem irdischen Menschen in Verbindung zu bringen. Würdest du uns aber nicht selbst sagen, was in deinem Herzen als heißester Wunsch lebt?“

[GEJ.11_020,03] Sagte Rael, der Mir zur Seite saß: „Rabbi, der Wunsch eines jeden echten Israeliten ist, daß der Gesalbte des Herrn darniedersteige aus den Himmeln zu uns und Wohnung nehme unter uns Menschen, wie die Propheten es verkündet haben. Meine Tage sind gezählt, und weit überschritten meine Jahre die Anzahl, die sonst dem Menschen gewährt werden. Ich habe in dieser Gnade Gottes stets ein Anzeichen gesehen, daß es mir noch vergönnt sein würde, Den zu sehen, der uns verheißen ist, der da einziehen wird in die Stadt Davids und thronen wird in Zion als mächtigster Fürst. Siehe, Rabbi, daß diese Tage sich erfüllen mögen, ist der heißeste Wunsch, der mir im Herzen ruht, und so habe ich ihn dir und hier diesen Deinen denn kundgetan!“

[GEJ.11_020,04] „Ganz recht“, sagte Ich dem Rael, dessen Antlitz beim Aussprechen dieses seines Herzenswunsches in frommer Gläubigkeit geradezu glänzte, „aber sage uns doch auch, ob du jemals Anzeichen gefunden, daß die Tage, wo Gott Sein Volk heimsuchen wird, nahe herbeigekommen sind?“

[GEJ.11_020,05] Sagte Rael: „Rabbi, ich würde nicht mehr leben, wenn ich das nicht ganz gewiß wüßte. Siehe, ich bin weit in der Welt herumgekommen und habe gesucht, mir auch ferneres Wissen anzueignen, als nur das, was der Tempel gestattet! Unsere Satzungen verbieten zwar, daß wir uns auch mit fremden Lehren befassen sollen; aber in jungen Jahren war ich eine Art Freigeist, der wenig darum fragte, was erlaubt und nicht erlaubt war. Erlaubt schien mir alles, was mir gefiel. Und da ich von Haus aus reich war und sehr früh in den ausschließlichen Genuß meines Reichtums kam durch den frühen Tod der Eltern, so wollte ich reisen, in der Hoffnung, dadurch meine Kenntnisse zu erweitern und mir eine Stellung bei dem Volke zu schaffen, die von größerer Bedeutung wäre als die eines Schriftgelehrten, der nie weit über die Stadtmauer Jerusalems hinausgekommen ist.

[GEJ.11_020,06] Schon früher – es sind schon ganze hundert Jahre her – war das Volk des Herrn nicht mehr in der rechten Glaubensfestigkeit, die jetzt weit mehr noch erschüttert ist, und schon in meiner Jugendzeit ging ein Ahnen, daß nun bald sich erfüllen müsse, was die Propheten vorhergesagt. Meine Ungeduld wuchs aber immer mehr, als ich sah, daß die Freiheit des Volkes verlorenging und schließlich Pompejus das Land und die heilige Stadt eroberte. Es steht mir noch vor Augen, wie der römische Befehlshaber eindrang in das Heiligtum, und wie das Volk erwartungsvoll den Tempel umstand, wartend, des Höchsten Zorn müsse auf des Heiden Haupt niederschmettern, der das Heiligtum entweihe. Doch nichts geschah!

[GEJ.11_020,07] Zwar der Römer ward durchdrungen von der Heiligkeit des Ortes, und scheu wich er zurück aus dem Allerheiligsten; doch der Zorn des Höchsten ward nicht ausgegossen auf sein Haupt und Roms gewaltige Macht.

[GEJ.11_020,08] Auch der Retter, der Messias, kam nicht zu Seinem Volk.

[GEJ.11_020,09] Da faßte mein Herz ein tiefer Unglauben, und ich beschloß, dem verheißenen Land mich abzukehren. Das ganze Gebiet von Griechenland, Kleinasien und Italien hatte ich bereits durchwandert, und ich beschloß, dort zu forschen nach der rechten Erkenntnis, wo unser Volk so lange geknechtet ward – in Ägypten. Moses sollte eingeweiht gewesen sein in alle Weisheit der Priester des Ägyptenlandes; ich wollte suchen, die gleiche Weisheit zu erlangen.

[GEJ.11_020,10] War es früher fast unmöglich und nur unter allergrößter Ausdauer und Fürsprache des Königs möglich, in den Tempel und zu den Mysterien einzudringen, so ist es doch jetzt bei weitem nicht so schwierig; denn die ägyptische Geheimlehre ist ebensosehr ein käufliches Ding geworden, wie viele andere seltene Handelsartikel. Dem Strebenden wird aber von der echten, alten Weisheit jetzt so gut wie nichts beigebracht; denn die Priester verstehen selbst nicht mehr, was sich unter ihren Bildern verbirgt, und leiten in ihren Mysterien nur noch einen hohlen Formelkram, ebenso wie in unserm Tempel auch die Form den geistigen Kern überwuchert hat.

[GEJ.11_020,11] Nur wenige echte, wahre Priester – seltene Edelsteine des wahren, alten Kultus – leben noch ganz zurückgezogen in einzelnen Gegenden Ägyptens, teils verspottet und verlacht als Sonderlinge von den eigenen Gefährten, teils als heilige Männer verehrt vom Volke und den Priestern. Doch sind diese in Wahrheit weder das eine noch das andere, sondern nur treue Bewahrer des uralten, erhabenen, wahren Glaubens, die übrigblieben als Zeugen eines hohen Geisteslebens, von dem die jetzige Welt keine Ahnung hat.

[GEJ.11_020,12] Ich hatte das Glück, mit einem solchen Manne zusammenzutreffen. In Theben kaufte ich mich ein zum Dienste des Horus. Dort lebte im Tempel ein alter Weiser, noch scheu und ehrfurchtsvoll verehrt vom Priesterstande. Ihm ward der Geist der Weissagung und des offenen geistigen Auges in Stunden heiliger Verzückung. Und da alles genau eintraf, wie es ihm der Geist offenbarte, so stand er im höchsten Ansehen.

[GEJ.11_020,13] Ihm verdanke ich allein, was ich weiß; denn jener ehrwürdige Mann liebte mich und sagte mir einst, ich würde noch schauen Den, den er nicht mehr, als wie nur durch mich, erschauen werde. ‚Der Geist der Weisheit steigt hernieder, gesandt von der ewigen Liebe, und wird ausstreuen das hellste Licht. Isis wird klagen dann um den erschlagenen Gatten, doch der ewige Sohn wird die Herrschaft übernehmen vom Throne des Vaters. Dann bricht eine neue Zeit heran. Der Erdkreis wird stürzen und eine neue Welt entstehen, bis abermals der Sohn, ausgerüstet mit aller Kraft, das große Totengericht halten wird und scheidet, was da ist gerecht und ungerecht.‘

[GEJ.11_020,14] So sprach damals der Weise zu mir, und ich verstehe nun recht wohl, was er damit andeutete.

[GEJ.11_020,15] Zwölf Jahre blieb ich ein Schüler dieses seltenen Mannes, der einzige, dem er volles Vertrauen schenkte. Eines Tages sagte mir der Weise, er fühle seinen baldigen Tod und wünsche, daß ich bewahre, was er mich gelehrt. Es gäbe nur einen Gott, und Ihm allein diene, was da erschaffen worden. Doch die Gottheit habe beschlossen – so sei ihm kundgeworden –, Ihre Geschöpfe überselig zu machen, indem Sie Selbst Sich einkleiden würde ins Fleisch und niederkäme als Mensch, die Wege des Heils zu zeigen allen, die diese Wege wandeln wollen. Jedoch sei es noch eine kurze Zeit, so werde damit auch ein großes Gericht verbunden, damit die Wege offenkundig daliegen auch der dunklen Macht der Finsternis, die zu verderben suche, was die Liebe aufbaut, trotzdem auch ihr diese Wege gelten. Drum sei es gut, wenn ein jeder Einkehr halte in sich, damit er nicht getroffen werde vom Gericht. Diese Einkehr aber sei: Gott über alles zu lieben, die von Ihm ausstrahlenden Kräfte zu achten, aber nicht als Götter zu verehren, damit die Irrwege vermieden würden. Nicht lange würde es dauern, so würde das Gericht eintreten und alle Götter stürzen.

[GEJ.11_020,16] Ich mußte ihm schwören, festzuhalten an dem einen Gott meiner Väter; denn Er sei Derselbe, den auch er gefunden: kein Gott der Rache, wie Er oft gescholten wurde, sondern ein Gott der Liebe, der nicht wüte und strafe, sondern nur oft ein Halt den Völkern gebieten müsse, damit sie sich nicht ganz verderbten, – der oft die Leiber verderben müsse, als einziges Mittel, die Seelen zu retten. ‚Siehe, der Geist sagte mir – und meine Augen haben es gesehen –, daß dein Land auserkoren ist, das große Wunder zu bewahrheiten! Dort wird geschehen, was der Jetztzeit und späteren Geschlechtern stets unbegreiflich bleiben wird, weil es göttlich ist und mit menschlichen Begriffen nicht zu fassen sein wird!‘

[GEJ.11_020,17] So sprach mein Lehrer und Führer im geistigen Mysterium der Urreligion des ägyptischen Volkes, das eigentlich – recht verstanden – nur in anderer Form dieselben Wahrheiten enthält, die auch in unseren Satzungen zu finden sind.

[GEJ.11_020,18] Bald darauf starb er, und ich kehrte zurück in die Heimat, um jene große Zeit zu erwarten. Mir wurde in hellen Träumen offenbart, daß ich noch Zeuge derselben sein würde, fand es jedoch bald für gut, mich zurückzuziehen aus den Kreisen der Templer und Schriftgelehrten; denn daß von dort das Heil nicht kommen würde, wurde mir nur zu sehr offenbar. Inmitten derer, die an Gott selbst nur so weit glauben, als es ihr eigener Vorteil zuläßt, kann der erhoffte Messias unmöglich erscheinen, oder es müßte ein Messias der Großen, Reichen und Vornehmen allein sein, nicht aber ein Beglücker des Volkes!“

 

21. Kapitel – Der Herr erinnert Rael an die Vergangenheit.

[GEJ.11_021,01] Sagte Ich: „Hast du denn nie eine Ahnung gehabt, Rael, wer denn als der erhoffte Messias herniedersteigen wird oder es schon ist?“

[GEJ.11_021,02] Sagte Rael, indem er Mich lächelnd ansah: „Meister, du und die Deinen sind in mein Haus getreten, ohne daß ich fragte: ‚Wer seid ihr?‘ Man soll Gastfreundschaft üben ohne Ansehen der Person, damit dem Vornehmen oder Armen gedient werde aus reiner Nächstenliebe. Bevor ich dir jedoch diese Frage beantworte, müßte ich denn doch erst so eine kleine Ahnung haben, wer ihr seid.

[GEJ.11_021,03] Siehe, ich bin alt und möchte in Ruhe zu meinen Vätern eingehen! Verzeihe daher, wenn ich vorsichtig bin, um nicht durch ungezügeltes Reden meinem Haupte, das in Jerusalem nicht gern gesehen ist, Ungelegenheiten zu bereiten, die auch dem Alter erwachsen können durch voreiliges Öffnen der innersten Gedanken!“

[GEJ.11_021,04] Sagte Ich: „Wenn Ich aber nun hier vor allen diese deine innersten Gedanken offenbarte, würdest du dann auch fürchten, von uns verraten zu werden?“

[GEJ.11_021,05] Sagte Rael: „Rabbi, wenn du das könntest, so müßtest du eine hohe Vervollkommnung des Geistes erlangt haben, durch die derselbe sodann imstande ist, das Geistige durch das Materielle hindurch zu erschauen, und dann wäre ein unedles Tun deinerseits, das mir Ungelegenheiten bereiten könnte, völlig ausgeschlossen; denn hohe geistige Fähigkeiten können nur erlangt werden, wenn der Mensch das Unedle ablegt. Deine Begleiter sind dann aber auch sicherlich als deine Jünger dir ähnlich. Sage mir also meine innersten Gedanken, so du das kannst!“

[GEJ.11_021,06] Sagte Ich: „Rael, dir ist nicht nur bekannt, daß der Messias nicht ein König der Juden sein wird, wie Ihn diese als einen äußerst mächtigen und irdisch streitbaren Helden erwarten, damit Er sodann alle Völker unterjoche und jeden einzelnen Israeliten womöglich zu einem kleinen König für sich mache, der über soundso viele Sklaven herrsche, sondern du weißt auch, daß Sein Reich darin bestehen wird, daß Er die Seelen rette und einführe in Sein Friedensreich, das nicht von dieser Welt, sondern drüben in der Ewigkeit fest begründet ist. Alles dieses hat dir jener Weise Ägyptens, namens Sarne, genauest bewiesen.

[GEJ.11_021,07] Als du vor nunmehr zweiundzwanzig Jahren im Tempel einstens warst, hast du zugehört und zugesehen, wie dort ein zwölfjähriger Knabe nicht nur durch seine Weisheit, sondern auch durch seine Wunderkraft alle in Erstaunen versetzte. Du verhieltest dich ganz ruhig unter den Zuschauern und wundertest dich sehr, wie die gar so blinden Pharisäer und Schriftgelehrten nicht merkten, wer denn hinter diesem Knaben verborgen war. Dir hatte es der Geist sogleich zu erkennen gegeben, daß hier der erwartete Messias leibhaftig vor jedermanns Augen stehe, und daß es eben nur eines solchen allerdicksten Hochmutes und einer solchen Seelenblindheit der sich für gelehrt haltenden Leviten und Schriftgelehrten bedürfe, um den Wald vor Bäumen nicht zu sehen.

[GEJ.11_021,08] Du hast den Knaben auch stets in seiner Entwicklung verfolgt. Du hast dir sogar Mühe gegeben, seinen armen Eltern durch deine Bekanntschaften Arbeit zu verschaffen, um zu tun, was in deinen Kräften stand. Zwar sagtest du dir, daß dort, wo die Gottheit wohne, deine Hilfe nicht vonnöten sei, doch wolltest du dich wenigstens guten Sinnes zeigen.

[GEJ.11_021,09] Dann, als das Alter dich immer mehr ans Haus fesselte, so daß du dasselbe jetzt, außer den kurzen Gängen nach deinem Garten, seit Jahren nicht mehr verlassen hast, hast du doch stets durch andere dir Berichte zutragen lassen.

[GEJ.11_021,10] Seit drei Jahren nun, wo ein Prophet erstanden ist, der Jesus von Nazareth heißt, weiß nun niemand genauer als gerade du, daß dieser ebenderselbe Knabe ist. Und niemand in ganz Israel ist auch mehr überzeugt als du, daß Jesus ist Christus, der wahrhaft Gesalbte Gottes. Diese deine innerste Überzeugung auszusprechen wagst du aber nicht aus den von dir selbst angegebenen Gründen. – Und nun sage, ob Ich recht gesprochen habe!“

 

22. Kapitel – Des Herrn Rede über Verdienst.

[GEJ.11_022,01] Rael, der bei Erwähnung des zwölfjährigen Knaben Mich immer aufmerksamer betrachtete, sagte, nachdem Ich geendet hatte, anfangs nichts, sodann aber ergriff er Meine Hand, drückte diese an sein Herz und, Mir liebevoll ins Auge schauend, sprach er mit gerührter Stimme: „Herr, so habe ich doch nicht vergebens auf Dich gewartet, sondern meine Augen haben Dich wahrhaft gesehen! O Du liebevollster Vater, wie beglückst Du Deinen schlechten Diener! Jetzt wirst Du diese schwere Bürde meines Körpers mir sicherlich bald abnehmen, damit mein Geist ganz in Deinem Lichte stehe und erschaue Deine große Herrlichkeit, die sich verhüllt hat in eines Menschen Kleid. Jetzt begreife ich erst wahrhaft die Worte: ‚Gott ist Mensch, und des Menschen Sohn regiert die Welt. Gott hat Seinem Sohne die Macht gegeben im Himmel und auf Erden, und die Völker können nicht anders selig werden als durch Ihn!‘

[GEJ.11_022,02] So lauteten einige derjenigen Lehren, welche mir hinterbracht und von den Hörern stets mißverstanden wurden, daher mir diese auch als Beweise für die Unrichtigkeit der neuen Lehre mitgeteilt wurden.

[GEJ.11_022,03] Hier aber ist es ja völlig klar, daß Gott wahrhaft Mensch geworden ist in Dir und Dir alle Macht gegeben hat, Seinem Sohne, als Körper- und Seelenmensch, während der ureigene Geist eben der Vater ist. O Herr, wodurch habe ich denn so große Gnade verdient, daß Du mein Haus durch Deine Gegenwart also heiligst?“

[GEJ.11_022,04] Sagte Ich: „Rael, möchtest du lieber, Ich sei vorübergegangen? – Diese letzte Redensart war völlig unnötig, weil Ich schon weiß, wen Ich, und wann Ich ihn zu seinem Heile aufsuche, und es kann da von einem Verdienst gar keine Rede sein; denn noch jederzeit bin Ich ohne ein solches, lediglich durch die Liebe, die Mich anzieht, zu den Menschen gekommen. Bin Ich aber einmal da, so frage man nicht so aus einer Art irdischer Höflichkeit, sondern freue sich ob Meiner Einkehr!

[GEJ.11_022,05] Ich weiß sehr wohl, wie es in deinem Herzen aussieht, und daß du wahrlich eine große Liebe zu Mir und große Freude wegen Meines Hierseins hast; aber Ich sehe es nicht gern, wenn die Menschen nun allzusehr, nachdem sie Mich einmal erkannt haben, nach den eigentlichen Gründen Meines Kommens fragen und dieses dann als Belohnung irgendeines Verdienstes ansehen.

[GEJ.11_022,06] Siehe da alle Meine Jünger an! Wodurch haben denn diese es verdient, daß Ich stets in ihrer Nähe bin und sie einweihe in alle Geheimnisse der Himmel? Ich sage dir: durch gar nichts! Sie haben Liebe zu Mir, und diese Liebe bindet sie an Meine Person freiwillig. Und würde diese Liebe erkalten, so würden sie sich ebenfalls freiwillig von Mir abwenden, um irgendwelchen Dingen nachzugehen, wohin ihre Liebe, die sie Mir abwendig machte, zieht. Keinesfalls aber liegt irgendein Verdienst vor, welches sie erst würdig macht, in Meiner Gegenwart zu bleiben. Daher habe Ich auch stets gesagt: Kommet alle zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid, damit Ich euch die Lasten abnehme! Ich verlange nichts, als daß ihr Mich liebet dafür, und Ich werde euch sodann alle erquicken. Wer aber trotz seiner großen Sündenlast nicht freiwillig zu Mir kommt, der wird Mein Angesicht nie schauen können; am allerwenigsten aber wird er durch auch noch so edle Taten, ohne Liebe im Herzen, sich ein Verdienst erringen, das Mich zwingt, Mich ihm zu nähern.

[GEJ.11_022,07] Siehe, Ich sage dir das alles, Rael, damit der letzte Rest einer Philosophie, welche dir gebietet, Verdienste zu sammeln, um dadurch geistig vorwärtszukommen, in das rechte Licht gerückt werde, und damit du weißt, daß alle Verdienste, ohne Liebe zu Mir, ein Nichts sind! – Nun aber lassen wir das!“

 

23. Kapitel – Raels Besitztum.

[GEJ.11_023,01] Darauf stärkte Ich den Rael, so daß er, der über diesen anscheinenden Vorwurf innerlich ganz zerknirscht war, alsogleich fröhlichen Gemütes wurde und nur eine herzliche Freude wegen Meiner Gegenwart empfand und alle unnötige Skrupelei verbannte.

[GEJ.11_023,02] Gleichzeitig erhielt aber auch sein Körper die nötige Kraft, um ohne jede Hilfe der Diener sich bewegen zu können. Und dieses ihn durchströmende Kraftgefühl versetzte ihn in eine so hohe Glückseligkeit, daß er mit beredten Worten nochmals ein Zeugnis gab, wer Ich sei, und alle Anwesenden ermahnte, einzustimmen in Mein Lob. Ich verbat Mir dieses, wie schon früher, aus den bekannten Gründen und forderte nun alle auf, das sehenswerte Grundstück des Rael zu besichtigen, da hieraus eine Menge Anregungen für jedermann entstehen würden.

[GEJ.11_023,03] Wir gingen nun durch die verschiedenen Zimmer des Hauses, das nach außen, nach der Landstraße hin, sich durch nichts von der gewöhnlichen jüdischen Bauart unterschied, im Innern jedoch, und namentlich nach dem vor neugierigen Blicken abgeschlossenen Garten hin, völlig griechische Stilart zeigte. In den Zimmern sah man eine Menge griechischer, römischer, ägyptischer und indischer Kunstgegenstände, welche, geschmackvoll aufgestellt, den Zimmern ein sehr vornehmes und behagliches Aussehen verliehen, so daß viele Meiner Jünger, welche niemals in solchen herrlich ausgestatteten Räumen gelebt hatten, sich nicht genug verwundern konnten. Es war weniger der Reichtum, der sich breitmachte, als der vollendetste künstlerische Geschmack, der sich überall zeigte und einen überaus harmonischen Eindruck hervorbrachte.

[GEJ.11_023,04] Dasselbe war im Garten zu bemerken, der vollständig wie ein römischer, wohlgepflegter Mustergarten eingerichtet war, mit Statuen, Springbrunnen und Laubgängen geziert, nur daß alles unter dem Einfluß des Spätherbstes beträchtlich gelichtet aussah. Die Meinen hatten bei Lazarus wohl auch schöne und reiche Anlagen des Hauses sowie der Umgebung gesehen, doch war dort die Nützlichkeit deutlich hervorstechend, hier nur die künstlerische Wirkung, die beachtet wurde.

[GEJ.11_023,05] Es entspann sich nun erst einzeln, dann allgemeiner eine Unterredung über die Frage, ob bei Verfolgung geistiger Ziele es vor Mir gerecht sei, gleichzeitig so augenscheinlich mit der Welt und ihren Schätzen zu liebäugeln, oder ob es nicht vielmehr verwerflich sei, sich mit solchem Luxus zu umgeben, der doch offenbar nur eine Augenlust bedeute und leicht die Tätigkeit der Seele einschlummern lassen könnte. Diese Frage zu erörtern, war aber der Grund, weswegen Ich die Meinen aufgefordert hatte, das Besitztum Raels zu beschauen, der augenscheinlich eine große Freude daran hatte, daß auch Ich mit Aufmerksamkeit seinen Reden zuhörte, als er sich bemühte, die Schönheit einzelner, besonders vollendeter Statuen hervorzuheben und deren künstlerische Ausführung zu beloben. Meine Jünger wunderten sich sehr über diese Aufmerksamkeit, die so ganz im Gegensatz stand zu Meinem früheren Vernichten der Götterstatuen, die auch nicht unkünstlerisch gefertigt waren.

[GEJ.11_023,06] Als wir aber nun vor einer Statue des Apollo standen, die sich in einer Nische der den Garten umgebenden Mauer befand und, umgeben von Gebüschen, in den schönen Linien sich hell von dem dunklen Hintergrund abhob, hatte ihre Verwunderung keine Grenzen; denn sie meinten, daß dieses Götzenbild, wie schon früher andere, in Meiner Gegenwart sich zu Staub verflüchten müsse.

[GEJ.11_023,07] Noch ärger aber wurde die Sache, als wir in eine kleine Rotunde traten, in der sich eine ganze Götterversammlung befand, – alles Kunstwerke allerersten Ranges, die dem tempelartig gehaltenen Raum einen ungemein künstlerisch erhabenen Eindruck verliehen durch die Gruppierung und geschmackvolle Ausstattung. Hauptsächlich den früher orthodoxen Juden waren diese Bilder ein Greuel; denn in der Gegenwart des Jupiter, Mars, Apollo, der Venus, Minerva und Ceres und gar des Pluto erschien ihnen Meine Anwesenheit unmöglich. Daß Ich aber den Erklärungen des Rael, der Mir die Künstler nannte, von denen die Bildwerke stammten, lauschte, als ob Mir das völlig unbekannt wäre, war ihnen völlig unbegreiflich. Alle jedoch fühlten, daß etwas Besonderes Meinem befremdlichen Benehmen in diesem Hause zugrunde liegen müsse, und schwiegen, neugierig, was denn bei diesem Meinem absonderlichen Interesse herauskommen würde.

[GEJ.11_023,08] Nachdem Rael uns alle seine Schätze, die mit genauen Ausführungen über Herkunft und Alter begleitet wurden, gezeigt hatte, traten wir in den Saal zurück und nahmen unsere früheren Plätze wieder ein.

 

24. Kapitel – Eine Rede des Herrn über die Kunst.

[GEJ.11_024,01] Meine Jünger gaben nun unverhohlen ihre Verwunderung über die eigentümliche Einrichtung von Haus und Garten Ausdruck, die ihnen der eines jüdischen Weisen doch unziemlich schien, so daß Rael sich zu entschuldigen anfing, indem er darauf hinwies, daß seine vielen Reisen ihm oftmals Gelegenheit geboten hätten, die Kunstfertigkeit fremder Völker zu bewundern, und daß es doch nur diese sei, von der er wenige Beispiele in seinem Hause aufgestellt habe, unbeschadet dessen, daß diese Gegenstände Darstellungen böten, die den heidnischen Götterkultus vorführten. Es sei aber das Schöne, nicht der verkörperte Gedanke, dem er huldige oder doch nur so huldige, daß dadurch sein Glaube an einen Gott nicht verletzt werde.

[GEJ.11_024,02] Es entstand nun ein Gegengerede, daß dies gefährlich und nicht mit den Satzungen Mosis zu vereinigen sei, der den Verkehr mit den Heiden verboten und das Festhalten an den alten, herkömmlichen Gebräuchen geboten habe.

[GEJ.11_024,03] Schließlich fragte Rael Mich, sagend: „Herr und Meister, sage Du mir, ob ich Unrecht getan habe, daß mein Haus also eingerichtet ist, wie Du es nun gesehen hast, und sei versichert, ich selbst werde der erste sein, der alle diese Kunstwerke, an denen sich mein Auge erfreut hat, vernichtet, sowie Du mir sagst, es sei ein Unrecht!“

[GEJ.11_024,04] Sagte Ich ihm: „Da kannst du ganz ruhig sein; denn wäre es ein Unrecht, so wäre bereits alles vernichtet! Denn dort, wo Ich weile, kann das Unrecht nicht lange bestehen. Du hast aber selbst gesehen, daß Ich deine Freude an diesen Werken teilte und dich bisher nicht tadelte.“

[GEJ.11_024,05] Nun wandte Ich Mich zu den Jüngern und fuhr fort: „Ihr aber, wann werdet ihr anfangen, gerecht zu urteilen, nicht aus euch heraus, sondern aus Meinem Geiste? Wißt ihr doch, daß Ich keine Freude daran habe, so nur nach bestimmten Wertsatzungen gehandelt wird! Handelt und urteilt nach den Satzungen des innersten, wahrsten Geistes, der in euch gelegt ist, und meinet nicht, daß das, was gegen eure Sitte, nun auch gegen Gott sei!

[GEJ.11_024,06] Gott hat anderen Völkern sehr wohl erlauben können, was euch verschlossen bleiben mußte, um Sein Volk tüchtig zu erhalten zu dem, was jetzt als reife Frucht vorliegt. Wenn aber die Frucht vom Baum gelöst sein wird, so wird es am Baume selbst liegen, ob er eine neue zeitigen wird; denn er ist jetzt stark genug geworden, so daß er der Hilfe des Gärtners entbehren kann und selbst sich forthilft. Hat doch dieser alles getan, was zu tun möglich war! Wird aber der Baum faul und träge, so wird eben dieser Gärtner ihm die Axt an die Wurzel legen.

[GEJ.11_024,07] Alle Völker sind zu vergleichen mit einem Fruchtbaum, der aber stets verschieden behandelt werden muß nach der Eigenart des Volkes.

[GEJ.11_024,08] Moses gab den Juden die Gesetze und strengen Satzungen und Verbote, sich anders zu beschäftigen als mit dem inneren Sinn des Wortes Gottes. Wer berufen ist, den geistigen Kern zu bewahren nicht nur für diese Erde und deren Bewohner, sondern für die ganze Schöpfung, muß wohl verwahrt werden nach außen; denn wer nach außen strebt, kann nicht gleichzeitig Schlüsselbewahrer sein.

[GEJ.11_024,09] Die Juden waren von jeher zähen und eigensinnigen Charakters. Dieses sind aber diejenigen Eigenschaften, welche dazu eignen, Bewahrer des göttlichen Wortes zu sein, damit es so unverletzt als möglich erhalten bleibe. Andere Völker, die dieses Zuges entbehrten, hatten auch andere Berufe und waren trotzdem nicht vor Gottes Auge verworfen, ebensowenig wie Hände und Füße von dem Menschen verachtet werden können, weil sie nicht gleich dem Herzen Bewahrer des innersten Lebens sind, sondern vielmehr auch hochgeachtet sind, da ohne diese Organe sein Leben doch nur ein mangelhaftes sein würde.

[GEJ.11_024,10] Wer daher denken würde, daß es vor Gott ein Greuel ist, anders zu leben, geistig und leiblich, als wie es ein Volk tut, das offenbar in Seiner deutlichsten Führung steht, ist sehr im Irrtum. In späteren Zeiten, wo der Unterschied der Völker immer mehr verschwinden wird, wird es soweit kommen, daß die nebeneinanderwohnenden Menschen grundverschieden leben und dennoch Meinem Herzen gleich nahestehen können. Es soll sich aber da keiner über den andern ärgern.

[GEJ.11_024,11] Ihr sehet daraus, daß Rael ruhig in der Gemeinschaft seiner Kunstwerke und in seinem prächtig eingerichteten Hause leben und Meinem Herzen gleichwohl sehr teuer sein kann; denn er sieht das alles an, ohne daß sein Herz daran hängt. Er betrachtet nur mit Dankbarkeit die geistige Fähigkeit, die von Mir in den Menschen gelegt wurde und zu solcher Kunstfertigkeit sich entwickelt, daß es andere Menschen auch erfreut.

[GEJ.11_024,12] Würde er mit der Statue des Jupiter oder einer sonstigen Gottheit auch die Verehrung vor dem Götzen verbinden –, oder sonst irgend jemand in diesem Hause, so wären sie vernichtet worden, damit jeder hier sehe: Es gibt nur einen Gott! So aber ist das nicht der Fall. Rael und seine Hausgenossen stehen in dem vollen Glauben zu Mir und erfreuen sich an diesem allem nur aus Freude an der reinen Kunst.

[GEJ.11_024,13] Warum soll Ich aber vernichten, was doch auch von Mir indirekt dadurch geschaffen wurde, daß Ich die Fähigkeit dazu in den Menschen legte, solange er einen rechten Gebrauch davon macht? Denn glaubet Mir, alles das, was ihr Kunst nennet, ist von Gott aus sehr weisen Gründen in das menschliche Herz hineingelegt worden, wie ihr leicht einsehen werdet!

[GEJ.11_024,14] Ebensowenig wie ein untergeordnetes Tier, das nur eine begrenzte Intelligenz besitzt, imstande ist, ein Kunstprodukt durch Überlegung zu schaffen, ebensowenig ist das der Mensch imstande, wenn er seine geistigen Fähigkeiten nicht zu entwickeln sucht.

[GEJ.11_024,15] Ihr wißt sehr wohl, daß ein Kulturvolk am leichtesten nach seinen Kunsterzeugnissen zu beurteilen ist; denn diese geben nach außen ein Bild von dem, was sich in der Seele des Volkes, in seinem Empfinden, Denken und Handeln abspiegelt. Je mehr dasselbe fortschreitet in dem Losringen der Seele vom materiellen Genuß, desto wirklich vollendetere Kunstwerke wird es schaffen können. Selbstverständlich ist es auch imstande, seine Kunstprodukte jeder Art zur Sinnlichkeit benutzen zu können. Dann aber werden diese auf den reinen Beschauer keinen erhebenden Eindruck, sondern einen abstoßenden hervorbringen.

[GEJ.11_024,16] Nie aber werden Kunstprodukte von dem Standpunkt des Schönen aus erreicht werden können, wenn in der Seele des Künstlers nicht die Fähigkeit vorliegt, sich in reinere Sphären aufzuschwingen, das heißt mit geistigem Auge zu schauen, um selbst etwas zu schaffen. Wie er das Geschaute verwertet, steht in seinem freien Willen. Fortschreiten, um stets Vollendeteres zu geben, kann er jedoch nur, wenn er die Wege des vor Mir gerechten Schaffens einschlägt.

[GEJ.11_024,17] Salomo hätte nie den Plan des Tempels entwerfen können, wenn er nicht im Geiste so frei gewesen wäre, um mit innerem Auge den Abglanz eines rein himmlischen Bauwerkes zu erschauen und danach in dem viel angestaunten Tempel ein schwaches Abbild dessen zu geben, was in Meinem Reiche jedem in der Fülle sichtbar ist. Denn nichts kann weder auf Erden noch in den Himmeln von Menschen oder Geistern geschaffen werden, was nicht in der großartigsten Fülle in Gott zu finden ist und damit auch in Seinen Werken. Wo irgend sich ein Abbild befindet, muß ein geistiges Original vorhanden sein, ebenso wo ein Schatten ein Gegenstand, der den Schatten wirft.

[GEJ.11_024,18] Da aber Gott unendlich ist und in Ihm alles Gute und Schöne und Erhabene, so wird auch nie, geistig genommen, ein Ende sein können, wo es nicht noch etwas Schöneres gibt.“

 

25. Kapitel – Die Menschenform und ihre Erlösung.

[GEJ.11_025,01] (Der Herr:) „Gott Selbst aber wollte auch ein Ziel, das heißt, eine Norm setzen, die vollendet in sich ist, so daß aus ihr alle unteren und höheren Formen abgeleitet werden können, und so schuf Er die Menschenform als Ausgangspunkt einer auf- und absteigenden Linie.

[GEJ.11_025,02] Betrachtet ihr die Menschenform, so könnt ihr die Tierform daraus ableiten, und betrachtet ihr die Embryonen der Tierformen und des Menschen, so gleichen sie sich im Anfangsstadium völlig und entwickeln sich nach ihrer Seelenintelligenz erst zu dem Geschöpf, das werden soll. Diese anfängliche Gleichheit ist aber auch gleichzeitig der Beweis, daß in jedem Embryo das Bestreben liegt, die Menschenform zu erreichen, da es sonst nicht dieses selbe Aussehen hätte. Gehindert daran wird es nur durch die noch nicht genug hochstehende Seele, welche diese Entwicklung zu besorgen hat.

[GEJ.11_025,03] Im Menschen selbst liegt aber nun diejenige Form, welche von den griechischen Künstlern schon längst als die harmonischste, das heißt die in allen ihren Teilen gleichmäßig zueinander veranlagte, erkannt worden ist.

[GEJ.11_025,04] Es sind in ihr aber nur die Linien angedeutet, welche innegehalten werden müssen, um zweckmäßig als Körper zu dienen, – das heißt nun wieder: Arme, Beine, Kopf, Rumpf bilden ein Ebenmaß, das der Erhaltung des Körpers entspricht und auch dem Empfinden des Seelenmenschen.

[GEJ.11_025,05] Aus dem Betrachten des menschlichen Körpers allein wird jemand ganz leicht die Begriffe schaffen können, ob ein Gebäude zu hoch, zu breit, zu schmal gebaut ist, – was nicht möglich wäre, wenn in ihm nicht die Form gegeben ist, die maßgebend auch für andere Dinge und Geschöpfe sein muß.

[GEJ.11_025,06] In der rein geistigen Welt nun bilden sich aber, je nach dem Fortschreiten der Seele, diese Formenmaße bis zur genauesten Harmonie aus, so daß hier die wahre Schönheit erst recht sichtbar ist. Wer reinen Geistes ist, kann daher in einer Schönheit erstrahlen, die euch geradezu vernichten würde; denn diese ist nur ein Ausdruck der innersten, reinsten Vollkommenheit.

[GEJ.11_025,07] Da jedoch das höchste Gut, außer der Liebe zu Gott, noch die Demut ist, so verschmähen die Geister sehr oft dieses strahlende Äußere und verbergen diese äußere Hülle unter dem Mantel der liebevollen Demut, gleichwie auch Ich als Gott Selbst das Fleisch des Menschen anzog, um einesteils den Geschöpfen den Weg zu zeigen, den sie zu wandeln haben zur Freiwerdung der Seelen, andernteils aber auch aus einem Grunde, der in der Erlösung der Form liegt, weswegen Ich auch gekreuzigt werde.

[GEJ.11_025,08] Ihr seht also, daß in dem Sicherfreuen an der Schönheit und dem Streben der Künstler nach dem Schönen nichts Unrechtes liegt, sondern daß das Empfinden für alles, was schön ist, auch ein Gradmesser sein kann für die Entwicklung der Seele, – stets vorausgesetzt, daß dieses Streben sich in den gerechten Bahnen bewegt. Habt ihr das verstanden?“

[GEJ.11_025,09] Sagten Meine Jünger: „Ja, Herr und Meister, das wohl, wenn das auch ganz anders klingt, als was wir bisher von Dir vernommen haben! Jedoch begreifen wir jetzt immer mehr, welch ein inniger Zusammenhang zwischen Materie und Geist besteht.“

[GEJ.11_025,10] Sagte Rael zu Mir: „Herr und Meister, Du sagtest, daß Du der Erlösung der Form wegen gekreuzigt werden würdest. Wie ist denn das zu verstehen? Doch nicht, daß Du wahrhaft am Kreuze den Tod des Verbrechers erleiden wirst?!“

[GEJ.11_025,11] Sagte Ich: „Mein lieber Rael, lasse dich das jetzt nicht kümmern; denn darüber wirst du noch klarst unterrichtet werden, sondern wisse nur, daß, da Ich die Menschen zu erlösen niederkam, diese Erlösung nicht nur geistig, sondern auch ganz grob materiell geschehen wird, weil, wie die Jünger soeben sagten, Materie und Geist innig zusammenhängen und erstere erst aus letzterem entstanden ist! Der Geist will aber in der ersteren untergehen; daher muß die Materie gesprengt und, um errettet werden zu können, wieder geistig werden. Und das ist die Erlösung der Form, die auch nach bestimmten Gesetzen nur vor sich gehen kann, widrigenfalls die Gottheit Ihre bisherige Schöpfung vernichten müßte, während Sie sie doch erhalten und erlösen will. – Doch, wie gesagt, lassen wir das jetzt, es wird dir das noch alles sonnenklar werden, zwar nicht hier, sondern drüben in Meinem Reiche!“

 

26. Kapitel – Die Macht der Liebe.

[GEJ.11_026,01] Sagte darauf Rael: „Herr und Meister, diese Verheißung erfüllt mich mit großer Freude, weiß ich doch, wer sie mir gibt, und daß sie darum auch ganz gewiß in Erfüllung gehen wird. Darum frage ich auch nicht weiter, sondern überlasse alles Deiner Liebe und Barmherzigkeit.

[GEJ.11_026,02] Doch etwas anderes dürfte zu fragen mir wohl erlaubt sein!? Du sagtest, daß das Kunstverständnis ein Maßstab sei für den geistigen Fortschritt der Völker, insofern dadurch ihr geistiges Auffassungsvermögen bekundet wird. Sicherlich haben die Griechen und auch durch diese die Römer einen hohen Grad erlangt in der Freude am künstlerischen Schaffen; trotzdem ist aber doch nicht zu leugnen, daß ihre Sitten nicht auf der Höhe des reinen, sittlichen Empfindens stehen. Wie ist denn nun dieses mit Deinen Worten zu vereinigen?“

[GEJ.11_026,03] Sagte Ich: „Ich habe euch gesagt, daß der Mensch die offene Seele, welche ihn erst befähigt zur Aufnahme rein künstlerischen Schaffens, auch ebensogut verkehren kann. Ist die Seele erst befähigt, Eindrücke zu empfangen, so kann sie diese nach Belieben verwerten, – doch wird ein rein tierischer Mensch niemals ein ideales Kunstwerk schaffen. Auch die Empfänglichkeit, Böses anzunehmen, bedingt ein Offensein der Seele. Und von dem Augenblick an, wo sich ein Sünder, der sich bisher mit Liebe in allerhand Sinnlichkeiten stürzte, durch den Willen aufrafft, um seine böse Liebe zu vernichten, kann in ebendemselben Maße die wahre Liebe einziehen und wirken. Wäre das nicht, so gäbe es keine plötzlichen Bekehrungen, die ihr schon selbst im Leben beobachtet habt an Meiner Seite; denn es kommt hier allemal auf die Kraft der Liebe an, gleichviel, ob sie böse oder gut ist. Wie sie beschaffen ist, erkennt man alsbald an ihren Werken.

[GEJ.11_026,04] Darum soll aber nie einer seinen Bruder, der in der bösen Liebe noch befangen ist und durch die Kraft derselben selbst böse Werke tut, verdammen und schelten, sondern nur bemitleiden und durch seine eigene, gerechtere Liebe zur Umkehr zu bewegen suchen; denn ein solcher Schelter weiß nicht, ob Ich nicht einen kräftigen Willenserreger zur Unterstützung sende, wodurch der anscheinend Verlorene schnellstens seine böse Liebe in gute verwandelt und nun geistig gerechter vor Mir dasteht als der Schelter selbst.

[GEJ.11_026,05] Würde Ich Mir um den verlorenen Sohn solche Mühe geben, wenn Ich nicht wüßte, wie groß und allumfassend seine Liebe ist, die sich jetzt verkehrt hat, aber wieder zu Mir hingewendet werden kann? Nur deswegen, weil dieser Umschlag im Handumdrehen bei jedem gefallenen Geiste und Menschen eintreten kann, geschieht es auch, daß der Vater Seinen Söhnen nicht flucht, sondern sie bemitleidet, mit Liebe lockt, ja Selbst sie aufsucht, damit sie den Weg ins Vaterhaus finden mögen!

[GEJ.11_026,06] Welche Liebe und Geduld aber dazu vonnöten ist, könnt ihr leicht ermessen, wenn ihr die ungeheure Größe der Weltbosheit und Verworfenheit betrachtet, die gerade jetzt in diesem Lande ihren Höhepunkt erreicht hat, damit die göttliche Liebe als Gegengewicht und als die stärkere Macht all die gesamte Bosheit verschlinge und in sich vernichte. Eine kleinere Macht kann aber keine größere in sich aufnehmen, wenigstens nicht geistig, sondern nur eine größere kann die schwächere umarmen und schließlich in sich schadlos verlieren machen, wie es auch geschieht.

[GEJ.11_026,07] Was aber nun die Griechen und auch die Römer betrifft, so werden diese Völker ebensowohl untergehen, wenn sie die geistigen Eigenschaften, die sie erhalten, allzusehr zum Wohlleben und Kitzel der Sinnlichkeit ausnutzen. Es wird da an rechtzeitigen Mahnungen nicht fehlen. Aber kümmern sie sich nicht darum, so muß ein solches Geschwür am Körper ausgebrannt und oft unter großen Schmerzen herausgeschnitten werden, damit der Körper erhalten bleibe.

[GEJ.11_026,08] Ich kann dir aber sagen, daß die Völker bis jetzt noch nicht die Festigkeit in sich gefunden haben, sich dauernd rein in sich zu erhalten. Diese Festigkeit kann erst durch langsame Zucht und durch mühsame Erziehung erlangt werden.

[GEJ.11_026,09] Ich, ihr Lehrmeister, bin aber herabgestiegen, um ihnen die besten Wege zu weisen. Und weil Ich der Lehrmeister und Weltenweiser bin, so wird auch das Ziel ganz sicher erreicht werden, – allerdings auf Wegen, die den Fleischmenschen verkehrt vorkommen werden, den schon im Fleische geistig Geweckten und den reinen Geistmenschen jedoch leicht verständlich sein werden.“

[GEJ.11_026,10] Sagte Rael darauf: „Herr, was Du uns da kundgetan, ist ganz gewiß sehr wahr und richtig, und niemand kann daran irgendwie zweifeln, da Du, als der Herr, Selbst es uns erklärst und kundgibst. Aber es ist da eine besondere Frage, die ich mir schon oft vorgelegt habe und nie beantworten konnte, und diese ist: Warum sind denn nun die Juden eigentlich das berufene Volk, und warum bist Du denn hier gerade niedergekommen?

[GEJ.11_026,11] Ich selbst als Jude bin jedenfalls sehr glücklich darüber, ein Sproß dieses beglückten Volkes zu sein; anderseits kann ich aber in meinem freigeistigen Gemüte mir auch nicht verhehlen, daß heutzutage gerade die Juden, trotz ihrer Erwartung des Messias, weitaus den ungeeignetsten Boden bieten dürften zur Ausbreitung irgendeiner geistigen Seelenlehre, wie Du sie bietest. Dafür dürften die Römer und Griechen, die doch längst durch ihre Philosophie kundgegeben haben, wie sehr sie nach etwas Besserem schmachten, als ihre Götterlehren bieten, weit eher geeignet sein. Auch dürfte zum Beispiel von Rom aus eine weit schnellere Verbreitung Deiner Lehren zu erhoffen sein als von dem verstockten Jerusalem. Den Juden dürfte wohl anders, als mit der äußersten Machtstellung, die sie sicher wünschen, nicht gedient sein, und alle wahre Seelenerkenntnis ist ihnen feil um den Preis, Jerusalem mit Rom vertauscht zu sehen.

[GEJ.11_026,12] Dir in Deiner Allwissenheit ist das doch gewiß schon lange vor Deinem Herniedersteigen bekannt gewesen! Was ist da wohl der ureigenste Grund, weswegen Du trotzdem dieses undankbare Volk erwählt hast?“

 

27. Kapitel – Über Geist- und Weltmenschen.

[GEJ.11_027,01] Sagte Ich: „Rael, ganz sicher habe Ich gewußt, wie wenig Wirkung Ich mit Meiner Lehre hier ausrichten werde, und Meine Worte haben das auch oft genug bestätigt. Da Ich aber auch in Meinem Geiste, das ist als der Vater in Mir, noch viel weiter hinaus als über die Zeiten dieses Volkes sehe, so kann Ich auch genau erkennen, daß dieser Weg der einzig richtige ist. Der ureigentliche Grund aber liegt in weit tieferen Geheimnissen der Schöpfung, als ihr überhaupt ahnet. Und diese euch zu erklären, bin Ich hier in dein Haus gekommen; denn alle diese, die hier jetzt in Meiner Nähe sind, stehen in engster Beziehung dazu und müssen schon bei Lebzeiten durchschauen können, wohin sich denn alles zieht, damit sie in rechter Weise das Feld weiterhin beackern, das Ich ihnen zuweisen werde.

[GEJ.11_027,02] Und so höret denn: Es ist euch allen doch schon längst bekannt, daß es Menschen gibt, die ein inneres, in sich verschlossenes Leben führen, und solche, welche nach außen streben, sich um das Innere, den Geist, gar nicht oder wenig kümmern, sondern nur danach trachten, wie sie eine möglichst glorreiche Rolle vor ihren Mitmenschen spielen.

[GEJ.11_027,03] Wenn ihr dieses betrachtet, so müßt ihr zugestehen, daß es ein Streben nach außen und ein Streben nach innen gibt – Geistmenschen und Weltmenschen. Beides Streben gibt, da es vorhanden und demnach vom Gottesgeiste eingesetzt ist, einen Mittelpunkt, in dem sich beide Arten berühren und gerecht vor Mir, dem Vater, sind. Beide Bestrebungen können sich aber auch von diesem Mittelpunkt oder besser von dem Ruhepunkt Meines Erschaffens entfernen und sodann in Verkehrtheiten verstricken.

[GEJ.11_027,04] Soweit diese beiden Bestrebungen gerecht vor Mir sind, sind sie zu vergleichen mit einer Frucht, welche in sich den lebensfähigen Samen trägt, um sich aber die ernährende, dem Menschen zuträgliche und ihn speisende Hülle. Jede Frucht zeigt aber zunächst die zum Genuß anreizende äußere Form, und erst der Kluge versteht es, den inneren Samen zu sammeln und einzupflanzen und auf diese Art mit Mühe und Arbeit sich neue, fruchttragende Bäume und Sträucher zu ziehen.

[GEJ.11_027,05] Seht, so wie schon die Natur euch lehrt, daß vorgegangen wird, den Körpermenschen zu ernähren, so geschieht es auch mit dem Geistmenschen! Es muß eine Frucht geschaffen werden, die Samen und genießbare Speise darbietet. Da aber diese Speise nicht nur den Menschen allein zukommt, sondern auch dem ganzen Universum, so müssen da auch ganz besondere Wege eingeschlagen werden. Da aber weiter den Menschen der freie Wille gegeben worden ist, so können sie sich auch von dem gerechten Erschaffungspunkt, von dem aus die beiden Richtungen hinausgesetzt wurden, entfernen. Ihr werdet das aus dem Weiteren viel leichter begreifen.

[GEJ.11_027,06] Der erste Mensch, der so hinausgestellt wurde, daß er, im gerechten Gleichmaße geschaffen, Samen und Kost gleichsam in sich trug, war Adam. Er war nicht der erste Mensch überhaupt, wohl aber der erste Mensch, der aus freiem, eigenen Antrieb zunächst den Kern Meines Wortes in sich zu pflegen, zu vervielfältigen und freiwillig weiterzugehen bestimmt war. Er war der erste freie Mensch und damit schöpferisch in sich entwicklungsfähig. Allen anderen Wesen vorher war nur die Kraft begrenzt in Mir gegeben, die sie aber aus sich heraus frei nicht derart verwenden konnten, als erst Adam. Sie standen daher nur in der Weisheit, die ihnen gegeben war, nicht aber in der Liebe, die sie in sich selbst frei entwickeln sollten.

[GEJ.11_027,07] Die Nachkommen Adams entwickelten sich nun in der Art nach außen und innen. Nach außen diejenigen, welche bestimmt waren, die große Anzahl verkörperter Wesen zu werden, um, im Fleische eingeschlossen, in sich die Nahrung aufzunehmen, welche den Samen umschließend verhüllt, um dadurch selbsttätig zu werden, das heißt also, von denen, die den innersten Stamm bildeten, die Lehre behüteten, zu lernen und nun fähig zu werden, nach ihrer Eigenart sich in der Liebe zu erwärmen.

[GEJ.11_027,08] Alle diejenigen Menschen, welche leben, sind ja schon als geschaffene Geister vorhanden, entstehen daher nicht erst als völlig neugeboren im Geiste, wie ihr wißt. Der Zweck ihrer Einkleidung ist aber lediglich der, freie Selbstbestimmung nicht aus der Weisheit heraus, in der sie ja von Anbeginn geschaffen, sondern aus der Liebe heraus, die sich ja nun in Mir verkörperte, zu erlangen. Fehlt aber der innere Lebenssame, der stets bewahrt werden muß auf oft sehr künstliche Weise vor jedwedem Verderben, so kann dieses Ziel nicht erreicht werden.

[GEJ.11_027,09] Der kleine Stamm nun, der bestimmt ist, den Samen zu bilden, sind vom Anbeginn Adams nur wenige gewesen und hat sich als das Volk der Juden erhalten. Alle anderen Völker können mehr oder weniger als die äußere Frucht angesehen werden, zur Speisung derer, die aus dem großen Sammelbecken der Urgeister den Fleischweg gehen wollen. Diese Urgeister, einmal eingekleidet, müssen aber auch jedes Erinnerungsvermögen einer Präexistenz verlieren, damit sie sich eben frei entwickeln und nicht, getrieben durch das Bewußtsein eines Vorlebens, darauf Rücksicht nehmen. Geschähe letzteres, so wäre die Weisheit die entwickelnde Triebfeder und nicht die Liebe. Erstere überlegt, letztere handelt nur nach Glauben und Gefühl.

[GEJ.11_027,10] Ihr wißt also nun, daß das jüdische Volk zu vergleichen ist mit dem Samen der Frucht, – doch wohlgemerkt, nicht die einzelnen Menschen als Juden an und für sich, sondern nur das Prinzip, der Geist, welcher in den Gemütern lebte und das Volk großzog, jetzt aber auch den Seelen fast gänzlich abhanden gekommen ist.“

 

28. Kapitel – Die Entwicklung des Judenvolkes.

[GEJ.11_028,01] (Der Herr:) „Solange nun ein Volk in dem gerechten Punkte der nach außen strebenden Richtung sich befindet, ist es auch gerecht vor Mir und wird daher auch äußerlich als ein starkes und mächtiges Volk dastehen, wie es zum Beispiel die Römer jetzt sind, die den Erdkreis beherrschen.

[GEJ.11_028,02] Ihr wundert euch nun und meint: ‚Wie ist es denn möglich, daß ein Volk vor Gott gerecht ist, das nicht einmal den Gottesglauben besitzt, sondern an viele Götter glaubt?‘

[GEJ.11_028,03] Nun, da sage Ich euch, daß es zur Stunde wenig darauf ankommt, wie der Name lautet, wenn nur der innerste Herzensbegriff, mit dem das Walten der Gottheit anerkannt und geliebt wird, wahr und echt ist!

[GEJ.11_028,04] Wenn zum Beispiel ein Römer, der fest in seinem heidnischen Glauben steckt, die Götter ehrt und bemüht ist, einen rechten Lebenswandel voller Gerechtigkeit und Verabscheuung des Bösen, wie es sich vor seinem Gewissen und der Ehrfurcht vor den allwaltenden, höchsten Kräften gebührt, zu führen, – wird er, der sich wahrer Tugenden befleißigte, verdammt werden, weil er an einen Jupiter, eine Minerva glaubte? Gewiß nicht, sondern es wird ein leichtes sein, ihm die Erkenntnis des einen Gottes, dessen Wesenheit nichts anderes als die bisher verehrten Götter fordert, nämlich Ausübung und Streben nach der sittlichen Vollkommenheit, beizubringen, wie ihr an manchen Römern selbst beobachtet habt.

[GEJ.11_028,05] Ich sage euch daher: Achtet stets darauf, wie das Herz des Menschen beschaffen ist, und es sei euch zunächst ganz gleichgültig, unter welcher Form dessen Liebe zu Gott zum Vorschein komme!

[GEJ.11_028,06] Rom ist mächtig geworden, weil seine Gesetze diejenigen sind, die geeignet sind, den besten Boden für Mein kommendes Reich zu bereiten. Und solange die Römer trachten, nach diesen zu handeln, werden sie auch bleiben, was sie sind.

[GEJ.11_028,07] Die nach außen strebenden Völker werden daher auch wohlerfahren sein in rechter Willenskraft und Zähigkeit des Körpers; die nach innen strebenden besitzen mehr die Zähigkeit und das Festhalten am Althergebrachten, wie ihr unschwer erkennet, wenn ihr die Römer und Juden vergleicht.

[GEJ.11_028,08] Die Römer sind daher auch das Volk der Eroberung, der Neigung, sich immer mehr auszubreiten, – die Juden das Volk der Bewahrung, die es sogar für sträflich halten, über die angestammten Grenzen hinauszugehen. Durch dieses Abschließen nach außen ist aber auch das jüdische Volk mühsam erzogen worden, den inneren Kern zu bewahren.

[GEJ.11_028,09] Und ebenso zäh, wie sie bisher die Satzungen Mosis, die allerdings von viel Formelkram überwuchert, aber doch in sich wahr und echt sind, festgehalten haben, ebenso genau würden sie Mein neues Wort bewahren, wenn sie es nur annehmen wollten. Durch diese jahrtausendelange Erziehung sind sie sehr wohl imstande, die Wahrheit Meiner Lehre zu erkennen. Aber nun haben sie auch den gerechten Mittelpunkt verlassen, und anstatt Siegelbewahrer zu bleiben, sind sie hartnäckig und verstockt geworden und der Neuerung unzugänglich, aus Trägheit, in die sich die Tugend der Beharrlichkeit verwandelt hat.

[GEJ.11_028,10] Andere Völker, die nach außen streben, werden später ähnlich, aber nur entgegengesetzt, handeln; denn das Tragen nach außen zur Verbreitung verliert sich leicht in Unbeständigkeit, Flatterhaftigkeit und Sinnenlust.

[GEJ.11_028,11] Ist aber einmal ein Standpunkt erreicht, der bewiesen hat, daß die Mittelstraße die goldene sei, so nehmen auch die Völker in späteren Jahren diese am liebsten und werden sich nicht verkehren, wie es jetzt und später noch geschehen wird. Mit dem Loslösen soundso vieler Milliarden von Urgeistern, die den Fleischweg beschritten haben werden, wird auch ein ganz anderes Verhältnis zwischen Geisterwelt und Menschheit eintreten. Denn je mehr Geister den Fleischweg vollendet haben, um so mehr wächst der Einfluß auf diejenigen, welche als Menschen ihre Umwandlung aus der Weisheitssphäre zur Liebessphäre bewirken wollen.

[GEJ.11_028,12] Es entsteht sodann ein mächtiges Drängen derer, die ebenfalls willens sind, den Weg zu vollenden, und eine Art Fürsorge derer, die den Weg bereits hinter sich haben. Hand in Hand mit diesem Drängen wird und muß auch eine Zunahme des Menschengeschlechtes stattfinden; denn die Schüleranzahl erweitert sich immer mehr, und ein anderes Schulhaus als eben diese Erde gibt es nicht.

[GEJ.11_028,13] Weil aber letzteres der Fall ist, konnte Ich nirgend anders als eben hier niederkommen und auch wieder nirgend anders als unter dem jüdischen Volke, das in seinem Gesetz und seiner fortschreitenden Entwicklung die Samenkörner birgt, die einzig und allein die Geistes- und Willensfreiheit entwickeln. Da aber auch durch die allzu große Starrheit des Volkes dieser Samen Gefahr lief, einzutrocknen und lebensuntüchtig zu werden, so komme Ich Selbst und erwecke und befruchte ihn zur um so größeren Fähigkeit neu blühenden Lebens.

[GEJ.11_028,14] Ob die Juden nun weiterhin die Anwaltschaft der Siegelbewahrer auch dieser neuen Lehre beanspruchen werden, liegt an ihnen. Aber auch wenn sie starr verbleiben, Mich nicht anerkennen, so bleiben sie dennoch das auserwählte Volk Gottes vermöge der jahrelangen Schulung und können den Weg jederzeit auch in späteren Jahrtausenden ins Vaterhaus finden, ebensowohl wie der verlorene Sohn, und werden auch aufgenommen werden. Freilich wird es viel Trübsal erfordern bis zur Umkehr und gar lange des Schweinehütens in der Fremde.

[GEJ.11_028,15] Zwar weiß Ich, daß alle Mühe jetzt bei diesem Volke vergebens ist, und sie werden auch das Letzte an Mir tun können, damit niemand sage, es habe an Zeichen gefehlt, durch die ein Prophet sich kundgebe; aber auch selbst das größte Zeichen wird hier nichts fruchten! Es wird darum auch nach Mir die Zeit anbrechen, in der durch Zeichen nicht mehr gewirkt wird, sondern nur durch das Wort, wie Ich es zu euch spreche, das weit mehr Glauben erweckt als zwingende Wunder.

[GEJ.11_028,16] Jetzt wißt ihr, warum die Juden das erwählte Volk sind, warum hier so Großes geschieht. Und es bleibt nur noch übrig zu bemerken, warum nicht Schritte getan wurden, um diese scheinbaren Fehlschläge zu verhindern, – warum zugelassen wurde, daß überhaupt kein gleichmäßig ruhiger Entwicklungsgang stattfindet.“

 

29. Kapitel – Das Volk der Zukunft.

[GEJ.11_029,01] (Der Herr:) „Brausten nicht Stürme über die Erde, sondern wäre überall eine gleichmäßige Temperatur und Strömung, so würde die ganze Erde bald zerbröckeln und bersten; denn nur durch heftige Stürme und Erdbeben tritt eine kräftige Lebenswirkung ein, eine Erfrischung, die sich in der belebenden Luft nach einem Sturm bemerkbar macht.

[GEJ.11_029,02] Würdet ihr Sorge tragen, daß ihr den Körper möglichst wenig bewegt, ihn stets gleicher Temperatur aussetzt und alles Unangenehme meidet, so wird bald ein Zerfall der Kräfte, die ihr nicht übt, eintreten und damit ein Zerfall des Leibes. Geschieht das aber schon mit dem Leibe, um wieviel mehr aber dann mit der Seele, die in stets gleichem, reizlosem Dasein dahinträumt, da doch diese nur lebt, nicht der Körper. Sie muß, um lebens- und schaffensfreudig zu sein, Arbeit vor sich haben. Durch die Arbeit schafft sie sich Erkenntnis und Freude am Geschaffenen. Im Materiellen zeigt sich diese Arbeit als Kampf des Schwächeren gegen den Stärkeren, im Geistigen aber in der Erkenntnis und dem Wachsen in der Liebe.

[GEJ.11_029,03] Da aber Gott in Seiner Wesenheit unendlich ist, so kann auch der Geist unendlich fortwachsen. Dieses Wachsen zeitigt aber Entstehen und Vergehen irdischer Völker ohne Rücksicht des Vergehens der Leiber; denn nur die Seelen sollen wachsen, der Leib ist vergänglich.

[GEJ.11_029,04] Und wie eine edelste Pflanze entstanden ist aus einer weit weniger edlen Art, langsam, durch sorgsames Pflegen und Beschneiden aller wilden Schößlinge, so wächst auch das Volk der Zukunft, das da eine Herde sein wird, geleitet von nur einem Hirten, der Ich sein werde, nur durch langsame Pflege heran, nachdem gar viele üppige Wildlinge erst beseitigt worden sind.

[GEJ.11_029,05] Diese Arbeit zu vollenden und damit auch die große Weltenerlösung, ist das Ziel Meiner Menschwerdung, das aber bei dem einzelnen begonnen werden muß, nicht aber bei der großen Menge; denn auch das Weltmeer besteht aus einzelnen Tropfen. Wollte man diesem den Salzgehalt entziehen, so müßten auch nur kleinere Wassermengen ihm entnommen, salzfrei gemacht und in einem geeigneten Sammelbecken dieses salzfreie Wasser bewahrt werden, – eine Arbeit, die nutzlos erscheint, aber doch schließlich zum Ziele führt, wenn einem Ewigkeiten zur Verfügung stehen. – Habt ihr nun begriffen, was euch in Meinen Worten gesagt wurde?“

[GEJ.11_029,06] Sagte Rael und auch die anderen Jünger: „Ja, Herr, wir glauben wohl, soweit es eben möglich ist, Dich völlig verstanden zu haben, obgleich es uns vorkommt, als ob aus Deinen Worten noch vieles zu entnehmen ist, was Du nicht ausgesprochen hast, was aber doch aus ihnen zu schließen ist. Zu späteren Zeiten wird uns aber wohl auch dieses noch klarer werden, wenn auch das, was Du nun in Worten zu uns sprachst, vollkommen aufgenommen worden ist.“

[GEJ.11_029,07] Sagte Ich: „Liebe Freunde, Ich lese in euren Gemütern nun noch die Frage, welches Volk denn nun wohl, falls die Juden nicht den Erwartungen entsprechen – das ja auch, wie ihr wißt, der Fall ist, ansonst Ich nicht so oft die Zerstörung der Stadt Jerusalem vorausgesagt hätte –, an ihre Stelle treten kann, da euch nicht bekannt ist, daß irgendein anderes Volk nur eine ähnliche Schulung wie das israelitische durchgemacht hat.

[GEJ.11_029,08] Nun, auch das will Ich euch beantworten. Gott als der Allwissende ist nie so unklug, Sein Werk etwa nur auf eine Stütze zu bauen, sondern Er baut es stets auf mehrere, damit das Gebäude, das Er errichtet, nicht etwa über Nacht zusammenfalle, falls der Wurm eine oder die andere Stütze angenagt habe. Und so steht auch das Werk der Erlösung auf gar vielen sicheren Stützen, so daß es gelingen muß, selbst wenn der Feind mit aller Macht versucht, dasselbe zu hindern.

[GEJ.11_029,09] Hier auf dieser Erde sind mehrere Völker, die tüchtig sein können, an Stelle der Juden als Siegelbewahrer des neuen Wortes zu dienen; denn das alte wird hinfort um so ängstlicher von den bisherigen Bewahrern bewacht werden, um so mehr Trübsal über sie hereinbrechen wird. Und wenn auch die Juden über den ganzen Erdball zerstreut werden, so werden sie um so fester an dem alten Glauben haften, weil dieser und die Hoffnung auf Wiederherstellung der einstigen, vergangenen Größe der einzige Anker ist, wodurch sie vor gänzlichem Zerfall und Vernichtung gerettet werden können, wie ihnen wohl bewußt sein wird.

[GEJ.11_029,10] Mein neues Wort aber bedarf ebenfalls der Siegelbewahrer, das heißt also eines Volkes, aus dessen Mitte stets wieder neue Lehrer erstehen können, die die etwa sumpfig gewordene Lehre wieder reinigen und das Sumpfwasser zur klaren Flut umgestalten. Denn ebenso wie die Juden nur langsam heranreiften, ebenso langsam kann nur jenes Volk heranreifen. Ebenso wie die Juden Gefangenschaft dulden mußten ihrer Sünden wegen und sich in Abgötterei gefielen, ebenso wird das Volk der Zukunft in ähnliche Fehler, ja selbst in ganz gleiche verfallen können und müssen der Reife wegen. Ebenso wie Ich in dem jüdischen Volke Propheten erweckte, ebenso werden dort Propheten entstehen und die reine Lehre aus den Himmeln von allen Zutaten säubern.

[GEJ.11_029,11] Jenes Volk ist euch aber jetzt so gut wie unbekannt, wird aber zur Zeit mit großer Kraft hervorbrechen und alles Morsche und Unbrauchbare zertrümmern; denn es ist gewaltig in seiner noch unangetasteten Naturkraft. Ebendieselben Lehrer, die hier herniedergestiegen sind als Meine Diener, werden auch dort wiederkommen, teils im Fleische, teils im Geiste, und werden mit großer Begeisterung und allsiegender Gewalt von Mir zeugen, wie sie bisher gezeugt haben von Mir, und Ich werde ihnen unsichtbar zur Seite stehen und sie leiten.

[GEJ.11_029,12] Dann aber, wenn jenes Volk auch einst auf eine Höhe gelangt sein wird, daß die fremden Könige befürchten, es könne den Erdkreis besitzen wollen, so wie jetzt die Römer es tun, dann wird eine Zeit anbrechen, die an Überraschungen für die Völker der Erde reich sein wird. Denn nicht jenes Volk wird sodann der Mittelpunkt werden, sondern ein neues wird entstehen, das da gebildet wird aus den edelsten Geschlechtern aller Völker. Diese werden die Welt besiegen mit Meiner Kraft, und Frieden und Eintracht soll und muß dann herrschen über alle Länder und Völker. Und in der Mitte dieses neuen Volkes wird dann das Heil geboren werden, welches keinen König, kein Gesetz weiter braucht als nur das eine: ‚Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst.‘

[GEJ.11_029,13] Ihr aber, ihr Meine Getreuen, werdet Mitarbeiter sein an diesem neuen materiellen und geistigen Reich. Darum seid ihr hier versammelt, damit ihr schon jetzt zu euren ersten irdischen Tagen aus Meinem Munde vernehmet, wozu Ich euch berufe; denn alle diejenigen, welche, jetzt ungesehen von euch, ebenfalls Arbeiter sein werden an der großen Glückseligkeit dieser Erde und durch diese Erde des Universums und Geisterreiches, sind ebenfalls zugegen und freuen sich eurer als Mitarbeiter am begonnenen Werke. Ihr aber sollet sie sehen, die großen Scharen, die dazu nötig sind, das Werk gedeihen zu lassen!“

[GEJ.11_029,14] Nach diesen Worten öffnete Ich allen Anwesenden die geistige Sehe, und sie sahen alle Propheten und Engel Meiner Himmel, die sich in liebfreundlichster Weise ihnen näherten und mit ihnen über Meine letzten Offenbarungen sich besprachen.

 

30. Kapitel – Über das Sterben.

[GEJ.11_030,01] Nachdem diese Szene etwa eine Stunde gedauert hatte und alle Anwesenden sich über alle nur möglichen Fragen den Geistern gegenüber geäußert hatten, die diese auch freundlichst beantworteten, rief Ich Johannes den Täufer und Elias, der den Anwesenden nur in der Person des Täufers bekannt war, zu Mir und sagte vor allen Anwesenden laut zu ihm: „Du warst Mein Vorläufer jetzt in der Zeit der Heimsuchung der Menschen, du wirst es auch wieder sein, wenn jene große Zeit anbricht, von der Ich gesprochen habe. Jedoch werden dich die Menschen alsdann nicht erkennen, trotzdem du es wissen wirst, wer du eigentlich bist; denn diese letzte Fleischprobe, die dir bevorsteht, soll der Grundstein werden zu dem Gebäude des anbrechenden Friedensreiches!

[GEJ.11_030,02] Zwar werden die Menschen sich wenig zu diesen deinen nächsten Lebenszeiten um dein Wort kümmern; aber es wird ihnen mit glühenden Lettern in die Seele geschrieben werden, auf daß sie es dennoch fühlen, wenn sie frei vom Leibe sein werden. Dieses dein Wort wird aber sein Mein Wort, und Ich werde Rechenschaft fordern von jedem, der es vernommen hat und mißachtete!

[GEJ.11_030,03] Ihr aber, Meine Lieben und Getreuen, die ihr um Mich versammelt seid und staunet ob der Dinge, die jetzt vor euren Augen offenliegen, werdet den Stamm bilden jener, die das neuerwählte Volk umfassen, und werdet selbst zur Gründung desselben beitragen in Meinem Namen als eine große Brüderschaft, die da Kraft schöpft zu großen Taten aus Meinem Geiste.

[GEJ.11_030,04] Und so entlasse Ich euch denn jetzt, damit der Anfang gemacht werde, wodurch der verlorene Sohn gezwungen werde heimzukehren, nachdem er den lockenden Ruf des Vaters nicht hören wollte. Amen.“

[GEJ.11_030,05] Nach diesen Worten verschwanden die himmlischen Bewohner, und wir befanden uns wieder allein wie vordem in dem großen Speisesaale Raels. Lange Zeit saßen die Meinigen noch wie betäubt von der Herrlichkeit des Geschauten; denn so tief hatten sie noch nie in die Geheimnisse der Himmel geschaut, und sie haben zu ihren Körperzeiten auch nie wieder solchen Einblick erhalten. Es geschah das aber darum, damit ihre Seelen nun gefestigt bleiben sollten auch ohne Wunder, die Ich ausschließlich in ihrem Kreise – nicht öffentlich – ausübte. Dieses letzte tiefe Erschauen sollte sich unauslöschlich einprägen und ihnen auch für das weitere Leben, sowie für das fernere körperlose Leben in Meinem Reiche, Richtschnur bleiben.

[GEJ.11_030,06] Wir begaben uns schweigend zum Nachtmahle und nahmen es schweigend zu uns. Rael wies allen die bequemsten Lagerstätten an, die zerstreut in seinem Hause hergerichtet wurden, und bat Mich zuletzt um eine geheime Unterredung, die Ich ihm gewähren möge.

[GEJ.11_030,07] Ich sagte ihm: „Nicht du, sondern Ich erregte diesen Wunsch in dir, damit du noch über einiges Aufschluß erhalten mögest, das nur allein für dich zu wissen nötig ist.“

[GEJ.11_030,08] Sodann folgte Ich ihm in sein einsames Zimmer, während sich die andern zur Ruhe niederlegten.

[GEJ.11_030,09] Als wir allein waren, sagte Rael zu Mir: „Herr und Meister, ich bin ein sündiger Mensch, der nicht wert ist, daß Du mit Deinem Fuße dieses Haus heiligst; aber ich weiß auch, daß Du über die Maßen barmherzig bist und mir daher alle die begangenen Torheiten meines bisherigen Lebens sicherlich vergeben wirst, so ich Dich recht von Herzen darum bitte. Und so bitte ich Dich denn, Herr und mein Gott, zunächst darum: Du mögest meine bisherige große Schwäche nicht ansehen und mir verzeihen, was ich je wissentlich und unwissentlich gesündigt habe!“

[GEJ.11_030,10] Sagte Ich: „Rael, alle deine Sünden sind dir schon lange vergeben; denn Ich bin kein Gott der Strafe, sondern der Liebe. Wie könnte Ich also irgend etwas strafen wollen, wenn es – so wie dir – einem Menschen ernst ist mit solcher Bitte, wie du sie geäußert?! Ich bin aber in die Welt gekommen, um die große Sündenlast, welche die Menschen in ihrer großen Blindheit auf sich laden, zu zerstören und ihnen die Wege frei zu machen zur größten Glückseligkeit.

[GEJ.11_030,11] Habe also keine Sorge mehr um deine Sünden, die sich meist nur aus früherer Zeit noch nachweisen lassen, und die als böse Werke dir bei deinem Ableben von der Erde nachfolgen wie die guten, – sie sind verzehrt von Meiner Liebe! – Jetzt aber rede, was dich noch bedrückt; denn du hast ein besonderes Anliegen, weswegen du insgeheim mit Mir sprechen wolltest!“

[GEJ.11_030,12] Sagte Rael: „Herr und Vater, ich danke Dir für Deine Worte aus tiefstem Herzen! Ich bin nun um so mehr von dem Wunsche erfüllt, der mich beseelte, seit ich Dich gesehen habe. Siehe, ich bin alt, mein Körper ist morsch und wenig tauglich mehr, Behausung dieser Seele zu sein! Die Hoffnung, den Erwählten Gottes noch sehen zu können, hat bisher nur diesen müden Staub aufrechterhalten, und jetzt, wo diese Hoffnung erfüllt ist, bitte ich Dich, Herr und Vater: Lasse Deinen Knecht in Frieden in die Grube fahren, damit er in Deinem Reiche – das ich nun mit leiblichen Augen gesehen – ein tüchtigeres Werkzeug werde, als er noch im Fleischesleben sein kann! Könnte ich unter Deinen Augen dahinscheiden, so werde ich den Tod gewißlich nicht schmecken und sicher und friedlich einkehren in das Reich, das Du uns verheißen hast.“

[GEJ.11_030,13] Sagte Ich: „Rael, dieser Wunsch ruht schon lange in deinem Herzen, und deshalb solltest du dich entäußern, damit deine Seele frei werde auch von diesem letzten Druck. Die übrigen, die jetzt schlafen, sind noch lange nicht reif zu vernehmen, was dir zu wissen not tut.

[GEJ.11_030,14] Siehe, was ist denn der Tod des Menschen?! Weiter nichts als das Abfallen der reifen Frucht vom Baume, welches Fallen auch geschieht wie von selbst, ohne besonderes Zutun der Frucht. Ist der Mensch in seinem innersten Wesen soweit geläutert, um als reife Frucht zu gelten, so wird die Ablösung der reifen Seele von dem Stamme, dem Körper, auch völlig zwanglos geschehen. Dieser Augenblick tritt aber bei dem Menschen, der nach Meinem Willen gelebt hat, derart ein, daß er auch ohne Meine Gegenwart völlig schmerzlos, ja sogar mit den freudigsten Empfindungen, hinübergleitet vom irdischen zum geistigen Leben.

[GEJ.11_030,15] Du aber hast dennoch, trotzdem du am Leben nicht gerade hängst, eine Art Besorgnis vor diesem Augenblick und denkst, gestärkt von Meiner Gegenwart, am leichtesten über diesen dir unangenehmen Wendepunkt hinwegzukommen. Ich sage dir aber nun, daß du auch diese verzeihliche menschliche Schwäche ablegen mußt, damit dein Glaube, der dich bis jetzt erhalten hat und dieses hohe Alter erreichen ließ, völlig gekräftigt werde; denn der Glaube an Mich soll ja gerade das beste und einzige Mittel sein, alle drohenden Schrecknisse des Todes zu besiegen.

[GEJ.11_030,16] Ist der Mensch völlig gläubig geworden, und habe Ich ihm ins Herz gelegt, es sei Zeit für ihn, die Fleischesbande zu lösen, da sein irdisches Tagewerk vollbracht, so werde Ich ihm sogar die Kraft geben, selbst die Fesseln zu sprengen, und er entschlummert sanft vor den Augen der Seinen in Frieden.

[GEJ.11_030,17] Das ist der Tod, wie er sein soll, wie er jedoch in den allerseltensten Fällen nur eintreten kann, weil die Menschen den Augenblick des Abrufens mehr fürchten als alles andere und nicht durch gerechte Abnutzung, sondern durch gewaltsame Zerstörung der Körpermaschinerie den Übergang herbeiführen. Das verkehrte Leben hat daher auch die vielen Krankheiten geschaffen, die mit dem eigentlichen Tode nichts zu tun haben sollen, da nicht diese den Übergang, sondern die seelische Vollreife ihn bedingen soll.

[GEJ.11_030,18] Du, Mein Rael, sieh es daher nicht an, als wolle Ich dir einen Wunsch versagen, wenn Ich dir sage: Lebe noch eine kurze Zeit, und sieh das nicht als Strafe an, sondern übe dich, auch noch diesen letzten Rest eines irdischen Anhangs zu tilgen, um mit Mir vereint dann einzugehen in Mein Reich!“

[GEJ.11_030,19] Sagte Rael: „Ja, Herr, wie stets hast Du auch hier völlig recht, und ich werde sicher mein törichtes Verlangen in mir verschließen, um Deiner ganzen Liebe würdig zu werden. Ich werde dieses törichte Bangen vernichten und glaube fast, daß es mir durch diese meine Aussprache mit Dir auch schon gelungen ist.

[GEJ.11_030,20] Doch wie soll ich denn das verstehen: mit Dir vereint würde ich eingehen in Dein Reich? Wie, o Herr, meinst Du denn das? Wirst Du auch diese Erde verlassen?“

[GEJ.11_030,21] Sagte Ich: „Ganz gewiß, sobald das Werk vollendet sein wird. Die Juden werden Gewalt erlangen über Meinen Leib und ihn töten. Und an diesem Tage werde Ich Selbst dich einführen in Meine Stadt, die in den Himmeln erbaut wird, anstelle jenes Jerusalem, das hier auf Erden zerstört werden wird und eine Stadt aller Städte sein könnte, wenn seine Bewohner nur wollten und nicht gar so ruchlos geworden wären. Ich werde sodann von dort aus die Welt regieren, und Meine Getreuen werden mit Mir zusammen wohnen in den geheiligten Mauern, die aufgeführt werden durch dieses Mein Erdenleben, und zu dem Meiner Hände Arbeit Stück für Stück die Bausteine lieferte. – Doch genug hiervon, – du sollst mit Mir ein Bürger dieser Stadt sein, und bald wird dein Geist hell erschauen, was Ich dir jetzt nur anzudeuten vermag!

[GEJ.11_030,22] Jetzt aber, Mein Rael, lasse auch dem Körper die nötige Ruhe zukommen; denn morgen ist auch noch ein Tag, an dem so manches besprochen werden kann!“

[GEJ.11_030,23] Rael gehorchte diesem Hinweis und begab sich zur Ruhe, während Ich zu den Meinen zurückkehrte und auf einer zubereiteten Lagerstatt die Nacht verbrachte.

 

31. Kapitel – Ein Rasttag.

[GEJ.11_031,01] Frühmorgens standen wir nach unserer Gewohnheit schon sehr frühzeitig von unsern Lagern auf und begaben uns alsbald ins Freie in den Garten Raels. Zwar waren die Morgen, zumal bei Aufgang der Sonne, recht rauh, da die Regenzeit bald beginnen mußte, aber dennoch sehr erfrischend, so daß ein Aufenthalt im Freien angenehm war.

[GEJ.11_031,02] (Würden die Menschen sich daran gewöhnen, namentlich im Sommer, frühzeitig aufzustehen und die frühen Morgenstunden im Freien zu verbringen, das Geschlecht würde bald ein viel kräftigeres werden, als es ist. Denn die kräftigenden Ströme, welche die Luft gerade bei den Frühwinden durchziehen, bringen hauptsächlich den Nährstoff der Erde zu, so wie das Zusammenwirken von Licht und der sich entwickelnden Wärme besondere Nahrungspartikel für Seele und Körper erzeugt, die bei hochstehender Sonne und stärkerer Wärme wieder ganz anders wirken und auch einen besonderen chemischen Prozeß eingehen, wodurch sie konsistenter und für den Menschen nicht mehr so leicht aufsaugbar werden wie in dem mehr ätherischen Zustande eines Morgens.)

[GEJ.11_031,03] Meine Jünger unterhielten sich noch eifrig über die gestern geschauten Gesichte und sprachen sich auch über ihre seltsamen Träume aus, die fast jeder durchlebt hatte, ohne aber Mir über diese Dinge eine besondere Frage zu stellen. Bald kam auch unser Rael zu uns und forderte uns freundlichst auf, das bereitete Morgenmahl zu uns zu nehmen. Dieses geschah nun, und bald machte sich eine allgemeine recht frohe Stimmung der Gemüter kund, die sogar bei den sonst recht ernsten Männern manches Scherzwort auf die Lippen brachte.

[GEJ.11_031,04] Ich sagte nun zu den Meinen, daß Ich beabsichtigte, heute zu ruhen, und daß jeder, der Neigung dazu verspüre, sich im Orte umtun könne, ob sich ihm vielleicht Gelegenheit biete, ein gutes Werk auszuüben oder ein Wort des Trostes zu spenden. Es sei keiner gehindert zu tun, was ihm recht dünke.

[GEJ.11_031,05] Auf diese Aufforderung hin sagte Philippus: „Herr, so Du nichts dawider hast, so würde ich wohl hier einen Mann aufsuchen, der mir sehr teuer ist und der meines Erachtens noch hier wohnen muß. Es ist das ein eifriger Lehrer des Wortes Gottes, der mit wenig Mitteln, die ihm das Leben gegeben hat, schon viel Gutes gestiftet hat. Derselbe ist ein Verwandter zweiten Grades von mir, und falls es möglich wäre, ihn für Dich zu gewinnen, so werde ich ihn Dir bringen.“

[GEJ.11_031,06] Sagte Ich: „Tue also, und bringe Mir das Fischlein, damit auch jener erkenne, woran es ihm noch fehle! Ich werde dieses Haus nicht verlassen, und ein jeder von euch wird Mich hier wiederfinden, so er Mich sucht!“

[GEJ.11_031,07] Daraufhin verließen außer Johannes, Petrus und Jakobus alle den Garten und das Haus und zerstreuten sich im Orte und in der Umgegend. Viele kehrten erst am Abend zurück, da sie bei der armen Bevölkerung die beste Aufnahme fanden und von dieser viel über Mein Wesen, Meine Herkunft und Taten befragt wurden, was sie alles wahrheitsgemäß beantworteten. Ich aber wollte, daß dieses darum geschehe, damit erstlich mehrere von Meinen Anhängern und Jüngern, die bisher noch nicht Gelegenheit dazu gefunden hatten, Mein Wort auszubreiten, anfingen, sich in dem Amt zu üben, und sodann, daß auch die Bevölkerung zu dem sich nahenden Osterfest und dessen Ereignissen geweckt würde.

[GEJ.11_031,08] Die drei Apostel blieben jedoch in Meiner nächsten Nähe und verharrten in Stillschweigen. Ich fragte sie daher, ob sie nicht auch den andern folgen wollten, worauf Johannes erwiderte, wenn es Mein Wunsch sei, würde er mit den Brüdern dieses tun, ansonst aber bleiben.

[GEJ.11_031,09] Sagte Ich: „Liebe Freunde, wenn ihr bleiben wollet, so bleibet! Ich habe ja schon gesagt, daß jeder nach seinem Gefallen tun soll. Wenn ihr aber etwa vermeint, ihr würdet in Meiner Nähe doch noch etwas erfahren, was ihr sonst versäumet, so irret ihr; denn Ich werde heute nichts unternehmen, wie Ich schon gesagt habe, und gedenke nur, Rasttag zu halten; denn auch dieser Leib bedarf der zeitweiligen Ruhe wie der eure und ist durch nichts von dem euren verschieden. Wir haben aber in letzter Zeit gar viel gearbeitet, und so ist denn auch Mein Leib etwas erschöpft, wenn auch der Geist alltätig ist. Bevor jedoch dieser Leib nicht aufgenommen worden ist von dem Geiste, der ihn zu durchdringen und als Kleid um sich zu schließen hat, ist er auch allen Anforderungen unterworfen, die ebenfalls eure Körper stellen.“

[GEJ.11_031,10] Daraufhin zogen sich auch diese drei von Mir zurück, um Mich in der verlangten Ruhe nicht zu stören, und sorgten auch im Hause dafür, daß kein allzugroßer Lärm stattfinde, der etwa in den Garten dringe; denn der vielen unerwarteten Gäste wegen herrschte daselbst, ganz gegen die bisherige gewohnte Stille, ein sehr reges Leben und Treiben. Ich aber unterstützte diesmal nicht mit Meiner Kraft die vielfachen häuslichen Verrichtungen, da alle Bewohner erfreut waren, für Mich und die Meinen sorgen zu können, und ihnen diese wirkliche Freude nicht geschmälert werden sollte.

[GEJ.11_031,11] Es ist denn auch an diesem Tage nichts Besonderes geschehen, was aufzuzeichnen notwendig wäre. Spätnachmittags kam Philippus zurück mit seinem Verwandten, den er Mir brachte, und der von Mir über die Person des Messias belehrt sein wollte. Ich ließ Mich jedoch jetzt nicht weiter mit ihm in ein längeres Gespräch ein, sondern verwies ihn vorläufig an Meine Jünger, die ihn in Meine Lehre einweihten und ihm Näheres von Meinen Taten erzählten. Er wurde dann auch gläubig, und Ich segnete ihn und sein Haus, als er es von Mir erbat, zur größten Freude des Philippus, der ihn sehr hoch schätzte.

[GEJ.11_031,12] Am Abend fanden sich alle, die zu Mir gehörten, wieder ein und berichteten nun ihre verschiedenen Abenteuer, die hauptsächlich darin bestanden hatten, daß sie den Einwohnern in Meinem Namen Hilfe bei allerlei Krankheiten gebracht hatten und diese dadurch gläubig machten: Ich sei wahrhaft der Gesandte Gottes und sie Meine wahren Jünger.

[GEJ.11_031,13] Ich sagte nach den vielen Erzählungen, die wiederzugeben unnötig ist: „Selig seid ihr, Meine Lieben, daß euer Glaube allein solche Werke vollführen konnte; denn nur durch diese Kraft habt ihr dieselben ausgeführt, nicht aber im Zwange der Meinen. Schreitet daher fort, selbständig und selbsttätig wirksam zu werden, damit sich die Herde nicht zerstreue, wenn der Hirte einst fehlen wird!“

 

32. Kapitel – Vom Tode des Lazarus.

[GEJ.11_032,01] Als das Abendmahl nun beendet war, erklärte Ich den Meinen, daß Ich beabsichtige, morgen in aller Frühe weiterzuziehen, und zwar tiefer nach Judäa, gen Jerusalem zu (Joh.11,7).

[GEJ.11_032,02] Darüber erschraken Meine Mir nächststehenden Jünger um Meinetwillen, und sie flüsterten untereinander, bis Petrus sich zu Mir wandte, indem er den Sprecher für die anderen machte, und sagte: „Herr und Meister, jedesmal wollten die Juden in Jerusalem Dich steinigen, wenn Du zu ihnen sprachst, – und jetzt willst Du wieder zu ihnen ziehen?“

[GEJ.11_032,03] Darauf antwortete Ich: „Sind nicht des Tages zwölf Stunden? Wer nun zu des Tages Zeit wandelt und völlig im Lichte steht, wird der sich stoßen können?! Ich aber stehe völlig im Lichte und weiß, wann Meine Stunde kommen wird; daher sorget euch nicht um Mich! Wer aber des Nachts wandelt, und es ist finster um ihn und in ihm, der wird sich bald stoßen und kann leichtlich verderbt werden. Ihr aber wisset ja, daß niemand Gewalt über Mich hat, außer Ich gebe sie ihm.“

[GEJ.11_032,04] Danach beruhigten sich die Jünger über Meine Absicht, und Ich sagte ihnen weiter: „Ihr wisset doch, daß unser Freund Lazarus krank liegt und seine Schwestern nach Mir aussandten! Sollte Ich nun etwa aus Furcht vor den Juden den Bittenden nicht willfahren?“

[GEJ.11_032,05] Fragte Mich Johannes: „Herr, Dir ist doch alles bekannt! Wie steht es denn um unseren Freund Lazarus?“

[GEJ.11_032,06] Antwortete Ich: „Er schläft, – aber Ich gehe, ihn aufzuwecken.“

[GEJ.11_032,07] Meinten da die Jünger untereinander, welche glaubten, Ich spräche vom leiblichen Schlafe: „Herr, wenn er schläft, so wird seine Krankheit sicherlich bald von ihm weichen; denn nichts bringt einen Kranken eher wieder zu Kräften als ein gesunder Schlaf!“

[GEJ.11_032,08] Antwortete Ich: „Da habt ihr wohl recht, aber dennoch irrt ihr euch; denn Lazarus schläft nicht den Schlaf des Leibes, sondern ist gestorben.“

[GEJ.11_032,09] Über diese Erklärung erschraken die Jünger, um so mehr, als sie Lazarus vor nicht langer Zeit frisch und gesund gesehen hatten. Es erhob sich daher ein lautes Gemurmel des Beileides unter ihnen und schließlich ein ängstliches Gefrage, ob denn da nicht doch noch zu helfen sei, da er vielleicht nur scheintot sei, und ob Meine Kraft ihn nicht erwecken würde.

[GEJ.11_032,10] Sagte ich: „Lazarus ist tot und liegt längst im Grabe; aber Ich werde ihn dennoch erwecken. Deswegen verblieb Ich ja so lange hier, damit niemand sagen könne, er sei nicht wirklich gestorben, und damit durch dieses letzte öffentliche Zeichen, das Ich wirken werde, die schwachen Gemüter völlig gläubig würden. Ich freue Mich aber nun euretwillen, daß Ich nicht zugegen gewesen bin, und daß der Vater in Mir befahl, also zu tun, damit ihr und nun noch viele andere glauben mögen. Und darum werden wir morgen nach Bethanien ziehen.“

[GEJ.11_032,11] Es gaben sich nun alle zufrieden.

[GEJ.11_032,12] Nur Thomas, der stets von oftmaliger Zweifelsucht geplagt wurde und trotz seines Glaubens an Mein Wort dennoch die Pharisäer und Juden sehr fürchtete, sagte zu den Brüdern: „Laßt uns jedenfalls mit Ihm ziehen, damit wir mit Ihm sterben, falls die Juden Hand an Ihn legen sollten!“

[GEJ.11_032,13] Jakobus verwies ihm jedoch diese Rede und deutete darauf hin, daß bisher noch niemand irgendwelche Gewalt über Mich gehabt habe, trotz der vielen Versuche hierzu. Daraufhin gab sich auch Thomas zufrieden, und es entstand ein großes Schweigen in der Gesellschaft, da jeder mit seinen Gedanken beschäftigt war.

[GEJ.11_032,14] Ich ermahnte die Meinen, nun zur Ruhe zu gehen, da der morgige Tag uns große Anstrengungen bringen würde, und alsbald suchte auch jeder seine Lagerstatt auf und gab sich der notwendigen Ruhe hin. –

[GEJ.11_032,15] Andern Tages erhoben wir uns frühzeitig und bereiteten uns zur weiteren Wanderung. Rael trat tränenden Auges zu Mir und wollte, gleich den andern, Mir folgen.

[GEJ.11_032,16] Ich behieß ihn aber zu bleiben und sagte: „Rael, nicht lange mehr wird es währen, so wirst du ewig bei Mir bleiben können; jetzt aber bereite dich vor für diese Nachfolge und tue, wie Ich dir schon gesagt habe! Diese, die hier Mir nachfolgen, haben noch zu ihren Lebzeiten eine große Aufgabe in Meinem Namen zu erfüllen. Du hast die deine bereits erfüllt, und so stehst du gerecht vor Mir, auch ohne jetzige körperliche Nachfolge, die Ich oftmals forderte, und von der du gehört hast!“

[GEJ.11_032,17] Rael beruhigte sich nun auch bei diesen Worten und verabschiedete sich liebevoll von Mir und den Meinen.

 

33. Kapitel – Die Ursache des Todes von Lazarus.

[GEJ.11_033,01] Wir aber schritten nun schnell vorwärts, damit der Weg bald zurückgelegt werden möge, der uns nach Bethanien führte.

[GEJ.11_033,02] Um nach diesem Orte zu gelangen, mußten wir einen Umweg machen, da Ich Jerusalem nicht zu berühren beabsichtigte, sondern ungesehen nach dem Wohnorte des Lazarus gelangen wollte, der nach jüdischem Maße fünfzehn Feldwege entfernt war. Bethanien lag aber nicht an der Stelle des jetzigen Dorfes el Azarije, sondern noch mehr ostwärts, so daß wir dahin nicht von der Westseite des Ölberges, sondern der Ostseite her gelangten.

[GEJ.11_033,03] Die Entfernung von fünfzehn Feldwegen wurde bemessen von dem Tempelvorhofe aus, wo eine Säule als römischer Meilenmesser aufgestellt war, ähnlich wie ihr solche Marksteine auch noch jetzt in den kleineren Ortschaften vorfindet. Man ging diese fünfzehn Feldwege in gemächlichem Schritt in anderthalb Stunden, bis man Bethanien von dem eben genannten Punkte aus erreichte.

[GEJ.11_033,04] Daraus kann an Ort und Stelle ein etwaiger Altertumsforscher nun schon etwas genauer finden, wo das echte Bethanien gestanden haben mag. Aber außer einer wilden Gegend, außer Steinen und Gestrüpp wird er heutigentags nichts mehr vorfinden von dem Ort, wo Ich das letzte und vor den Juden öffentlich größte Werk vollbrachte.

[GEJ.11_033,05] Wie schon bekannt, war Lazarus einer der reichsten Männer von ganz Judäa, und da er ohne Leibeserben gestorben war, so gehörte nach dem Tempelgesetz ein Drittel seines gesamten Vermögens dem Tempel an, während seine Schwestern, die ohne männlichen Familienschutz – Lazarus hatte keine weiteren nahen Verwandten – waren, der Oberhoheit des Tempels unterstanden, der eine höchst unbequeme Vormundschaft in solchen Fällen ausübte. Die Pharisäer und Tempeljuden waren schon längst sehr begierig auf den reichen Besitz des Lazarus und hatten, wie bekannt, schon allerhand Schliche und Ränke ersonnen, den Lazarus in ihre Finger zu bekommen, um möglichst das gesamte reiche Erbe sicher in ihre Hände zu bringen. Mit den beiden Schwestern fertig zu werden, schien ihnen nicht allzu schwer.

[GEJ.11_033,06] Lazarus hatte aber alle keck vorgebrachten Ansprüche und Anerbietungen zurückgewiesen und ärgerte sich wegen der Zudringlichkeit des Tempelgeschmeißes oft so sehr, daß Ich ihn warnte, seine Hitze abzulegen, da dieses böse Folgen für ihn haben könne. Er befolgte auch Meinen Rat nach Kräften und wurde, seit Ich ihm die bewußten Hunde zugeführt, wegen Mangels an Belästigung auch bei weitem ruhiger.

[GEJ.11_033,07] Jetzt jedoch, kurz vor seinem Tode, hatte er wieder einen Strauß mit den Tempelmitgliedern, indem diese ihn angeklagt hatten, er ließe es an der nötigen Achtung des Tempels fehlen, was so weit ginge, daß er die Mitglieder desselben, die in der besten Absicht der Seelsorge zu ihm kämen, mit Gewalt vertreibe und seine Leute sogar von dem Besuche des Tempels und von den notwendigen Buß- und Reinigungsopfern abhalte.

[GEJ.11_033,08] Wußten auch die Templer, daß diese und ähnliche Lügen, sowie das Bemühen, ihn als Freund des Völksaufwieglers Jesus auch den Römern verdächtig zu machen, hinfällig waren, so rechneten sie doch auf die bekannte Hitze seines Charakters, wodurch er vielleicht bei etwaigen Verhören unvorsichtig sich Blößen gäbe, durch die es möglich sei, ihn an den Tempel zu fesseln, so daß er, um freizukommen, mindestens große Versprechungen, die auf das Erbe Bezug hatten, hätte machen müssen.

[GEJ.11_033,09] Lazarus durchschaute diese geschickten Pläne sehr wohl, wies die Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden, vor dem römischen Statthalter gewichtig zurück, so daß er frei ausging, ohne dabei äußerlich sichtliche Erregung gezeigt zu haben.

[GEJ.11_033,10] Um so mehr kochte es jedoch in ihm, so daß er in ein hitziges Gallenfieber verfiel, das ihm in kürzester Zeit den Tod brachte. Das war die äußere Veranlassung seines Todes; die innere, rein geistige war schon durch die Antwort angedeutet, die Ich dem Knechte gab, und auch durch die Worte an Meine Jünger.

 

34. Kapitel – Die Ankunft in Bethanien.

[GEJ.11_034,01] Als wir uns nun Bethanien näherten, kam uns auch derselbe Knecht, der Mich bereits gesprochen hatte, entgegen und erzählte tränenden Auges, daß sein Herr bereits an demselben Tage, an dem er ausgesandt worden, gestorben sei und schon seit vier Tagen im Grabe ruhe.

[GEJ.11_034,02] Es war, zumal in Palästina, Sitte der Juden, einen Toten nie über Sonnenuntergang hinaus im Hause zu behalten, sondern sogleich nach festgestelltem Tode in die eigens hergerichteten Grabkammern niederzulegen, – eine Sitte, die durch die schnelle Verwesung ihre Berechtigung hatte.

[GEJ.11_034,03] Der Knecht eilte, nachdem er Mich getroffen hatte, in das nicht mehr sehr fern liegende Haus, um den Schwestern Meine Ankunft mitzuteilen, die nach damaliger Sitte von einem großen Bekannten- und Freundeskreis tagelang besucht wurden, um sie über die schmerzliche Trennung zu trösten und ihnen die nunmehrige Einsamkeit leichter zu machen; denn trauernde Weiber durften in der ersten Zeit das Haus gar nicht verlassen, sondern es forderte der Anstand der damaligen Zeit, daß sie möglichst sichtbar nur der Trauer lebten, die sich auch durch recht vieles Wehklagen bemerkbar machen mußte.

[GEJ.11_034,04] Maria und Martha hatten, obgleich sie ja nicht frei waren von den eingefleischten Gebräuchen ihres Volkes, wenig Neigung zu dem bedrückenden Formelkram, zudem sie von dem geistigen Fortleben innigst überzeugt waren. Sie erwarteten sehnsüchtigst Mein Kommen, um den rechten Trost an Meinem Wort zu finden. Wenn auch der Gedanke, Ich würde ihnen den Bruder erwecken, nicht in ihren Seelen aufgestiegen war, so hofften sie aber doch, bei Mir Rat und Hilfe vor den sich sofort breitmachenden Pharisäern zu finden, die bereits mit lüsternen Augen das fette Erbe betrachteten und sich mit der Tempelwache schon eingefunden hatten, um sich das Erbe zu sichern.

[GEJ.11_034,05] Als der Knecht, der Mich zuerst gesprochen hatte, in das Haus trat, fand er zunächst Martha, welche in ihrer gewohnten Art sich des Hauswesens annahm und auch trotz ihrer Trauer, soweit es eben der anwesenden Juden wegen anging, dafür sorgte, daß alles in Ordnung verblieb wie bei Lebzeiten ihres Bruders, der bei der Verteilung der Arbeitskräfte stets eine mustergültige Ordnung und Übersicht der auf einem so großen Besitztum notwendigen Einrichtungen bewiesen hatte.

[GEJ.11_034,06] Ich war aber mit den Meinen noch nicht nahe zum Hause getreten, sondern befand Mich noch außerhalb des kleinen Ortes, um vorläufig noch kein Aufsehen zu erregen. Martha aber kam nun eilends uns entgegen, die wir eine kleine Rast am Wege hielten, und als sie Mich sah, stürzte sie laut weinend auf Mich zu.

[GEJ.11_034,07] Ich stärkte sie in ihrer Seele, und nun sprach sie zu Mir die bekannten Worte (Martha): „Herr, wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!“

[GEJ.11_034,08] Damit meinte sie, es wäre Mir ein leichtes gewesen, ihn wieder gesund zu machen, wie so viele andere.

[GEJ.11_034,09] Darum setzte sie hinzu (Martha): „Denn ich weiß es noch sehr wohl, daß alles, um was Du Gott bittest, Dir von Ihm gegeben wird.“

[GEJ.11_034,10] Diese Worte waren aber nur eine Wiederholung der Meinen, da Ich öfter in Meinen Belehrungen gesagt hatte: ‚Um was der Sohn den Vater bittet, das wird Ihm gegeben!‘, – nicht aber waren diese Worte eine feste Überzeugung dessen, daß Ich Selbst der Vater sei, trotzdem doch so viele Beweise vorlagen, die den Mir Nächststehenden hätten schon längst gründlich die Augen öffnen müssen, wer in Mir lebte.

[GEJ.11_034,11] Ich sprach daher, um ihr Herz weiter dem Glauben und der Erkenntnis zu öffnen, mit großer Überzeugungskraft: „Dein Bruder wird auferstehen!“

[GEJ.11_034,12] Martha aber, wie auch ihre Schwester Maria hatten über den ihnen fast unüberwindlich scheinenden Schicksalsschlag eine solche Zagheit der Seele erhalten, daß nur die große Trübsal, in der sie sich befanden, vorläufig vor ihren Augen stand und der frühere feste Glaube zu Mir und Meiner Sendung völlig in den Hintergrund trat, – wie denn meistens die Menschen sich scheinbar recht stark im Glauben bekunden, solange die äußeren Lebensverhältnisse recht günstige sind, sofort aber wieder in Zagheit, ja Unglauben verfallen, sobald eine kleine Prüfung an sie herantritt, die sodann nach ihrer Meinung Gott hätte schon darum abwenden müssen, weil sie sich doch zu den Gläubigen zählen, – daher Gott geradezu die Verpflichtung habe, sie vor jedem Übel zu schützen.

[GEJ.11_034,13] Wie lange werden noch die unmündigen Kinder dem Lehrer Anweisungen zu geben sich erdreisten, wie er sie erziehen soll?! Ich, der Lehrer, erziehe aber Meine Kinder nicht, wie sie wollen, sondern wie es für sie zum Besten ist. –

[GEJ.11_034,14] Auch Martha, anstatt durch Meine Worte erweckt zu werden und sich zuerst den Bruder der Liebe, den gestorbenen Glauben zu erwecken, antwortete daher: „Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am Jüngsten Tage!“

[GEJ.11_034,15] Antwortete Ich ihr: „Weißt du nicht, daß jeder Tag der ‚jüngste‘ ist, und daß Ich die Auferstehung und das Leben bin?! Wer aber an Mich glaubt, wird leben, auch wenn er leiblich stürbe. Wer aber da lebt und glaubt an Mich, der wird nimmermehr sterben. Wem aber Gewalt gegeben ist, die Seelen zu erwecken, damit sie in sich das wahrste und hellste und reinste Leben haben mögen, wie soll der da nicht die Leiber wieder beleben können, die doch erst von der Seele erschaffen werden?! – Glaubst du das?“

[GEJ.11_034,16] Sagte Martha, in der erst jetzt wieder ein Erinnerungsstrahl der früheren gehörten Totenerweckungen und damit die Hoffnung, Ich möchte hier ein Gleiches tun, erwachte, voll hoffnungsvoller Liebe zu Mir: „Herr, ja, ich glaube, daß Du bist Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist, uns zu erlösen!“

[GEJ.11_034,17] Als sie das gesagt hatte, wollte sie vor Mir niederfallen. Ich aber verhinderte das und ermahnte sie, frohen Mutes zu sein und Maria herzusenden, selbst aber über das, was wir geredet hatten, zu schweigen.

[GEJ.11_034,18] Und Martha ging alsogleich, Meinem Wunsche zu willfahren.

 

35. Kapitel – Der Herr und Maria.

[GEJ.11_035,01] Maria aber saß in dem Prunkzimmer, das in jedem jüdischen Hause vorhanden war, umgeben von den vielen Freunden und Bekannten des Lazarus, die ihr Trost zusprachen und die vielen Vorzüge des Verstorbenen rühmten. Maria verblieb in diesem Kreise um so lieber, als einige Pharisäer, die – wie bereits gesagt – sich hier ziemlich ungeniert als Herren gebärdeten, dadurch wenigstens von ihrer Person abgelenkt wurden und sich nicht mit allerhand bereits ziemlich frech vorgebrachten Anerbietungen ihr weiter nahen konnten.

[GEJ.11_035,02] Maria war, bevor sie Mich kennengelernt hatte, ein sehr lebensfrohes Geschöpf gewesen, das durch den Reichtum, den sie besaß, sich sorglos den Vergnügungen, die das damalige üppige Leben des Herodes Antipas heraufbeschworen hatte, hingab. Unabhängig war sie des Glaubens, unter dem Schutze ihres Bruders auch unverantwortlich zu sein gegenüber der Meinung der allerdings feilen Menge. Infolgedessen wurden ihr oftmals üble Erfahrungen zuteil, da sie den Glauben der Leichtfertigkeit bei den lüsternen Pharisäern erregt hatte.

[GEJ.11_035,03] Ihr früheres, mehr äußerliches Leben hatte sich jedoch völlig verinnerlicht und ihr den klaren Blick verliehen, Mich auch am meisten von ihren Geschwistern zu erkennen. Jetzt, nach dem Tode ihres Bruders, traten die Pharisäer um so unverschämter auf, da diese an eine wahre Umwandlung ihres Innern nicht glaubten und sogar Mich als den von Lazarus begünstigten Liebhaber auszuschreien versuchten und auch bereits hierüber, sowie über das Ausbleiben Meiner Wunderkraft, die doch den Freund hätte retten müssen, höhnische Bemerkungen gemacht hatten.

[GEJ.11_035,04] In dem Augenblick Meines Kommens waren die meisten Pharisäer nicht zugegen, sondern hatten sich nach der schon bekannten, dem Lazarus gehörigen Herberge am Ölberge begeben, um sich über die Pachtbedingungen zu orientieren. Diese Herberge war, wie bekannt, von den Pharisäern in Verruf gebracht worden, und sie berieten darüber, diese vor allen Dingen zu beanspruchen, da der Tempel nach Aufhebung des Makels mit derselben ein recht gutes Geschäft machen könnte, zumal sie früher der schönen Aussicht halber von den Juden als eine Art Vergnügungsort sehr besucht war.

[GEJ.11_035,05] Martha ging heimlich zu Maria, welche sich gerade etwas seitwärts von den anwesenden Juden hielt, und sagte ihr leise: „Der Meister ist da und ruft dich!“

[GEJ.11_035,06] Schnell fragte Maria, wo Ich sei, und Martha gab ihr auch darüber kurze und schnelle Auskunft. Als sie das gehört, stand Maria eilends auf und eilte hinaus.

[GEJ.11_035,07] Die Juden jedoch, als sie sahen, wie eilends sie sich entfernte, waren erst erstaunt; dann aber sagte Ephraim, ein Freund des Lazarus, der bereits seinen Vater genau gekannt hatte und auch Mich oftmals im Hause gesehen und gehört hatte, wodurch er so eine Art Halbgläubiger geworden war, der Mich mindestens für einen beachtenswerten Menschen, wenn auch nicht für den Messias hielt: „Sie geht gewißlich zum Grabe, um dort zu weinen und zu beten. Gehen wir, Freunde, sie aufzusuchen, damit sie in ihrem Schmerze sich nicht etwa ein Leid antue!“

[GEJ.11_035,08] Die übrigen Juden willigten ein, und so folgten sie langsam der dahinschreitenden Maria. Diese aber, als sie Mich in der Mitte der Meinen erblickte, eilte ungestüm auf Mich zu und fiel Mir laut weinend zu Füßen.

[GEJ.11_035,09] Schluchzend konnte sie in ihrem Schmerz und in ihrer Freude, Mich zu sehen, keine Worte finden, bis Ich sie liebevoll fragte: „Maria, warum weinst du? Weißt du nicht, daß dein Bruder lebt in Meinem Reiche?“

[GEJ.11_035,10] Schmerzvoll nickte sie mit dem Kopfe und wiederholte die Worte der Schwester (Maria): „Herr, wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!“

[GEJ.11_035,11] Ich hob sie vom Boden auf und sprach: „Der Geist, der in Mir lebt, hätte, so ihr glaubtet, deinen Bruder auch schützen können, wenn Ich auch nicht anwesend war; aber ihr seid unmündige Kindlein und begreifet die Wege Gottes nicht!“

[GEJ.11_035,12] Unterdessen waren auch die Juden herangekommen, welche Maria gefolgt waren und eine Gesellschaft von etwa zwölf Personen ausmachten. Als diese sahen, wie Maria gar so heftig weinte und, von Mir gehalten, sich scheinbar nicht trösten lassen wollte, wurden auch sie tief ergriffen, ebenso wie die Meinen, welche dieser Szene beiwohnten, und auf beiden Seiten gab es reichlich Tränen des Mitgefühls.

[GEJ.11_035,13] Sagte nun Ephraim, der ein bereits ergrauter Mann war: „Meister, wie gar so grausam ist doch der Tod, der dieser den Hüter und besten Bruder von der Seite gerissen hat in der vollen Manneskraft! Warum mußte nur so etwas geschehen?“

[GEJ.11_035,14] Und auch die andern Juden, die Mich und Mein Wort doch alle kannten – denn es waren das wahre Freunde des Lazarus, denen er bei Lebzeiten viel Gutes erwiesen hatte, und die ihm ein dankbares Herz entgegenbrachten, selbst aber arm waren –, stimmten dem Sprecher zu und haderten mit Gott. Maria aber fing an, um so heftiger zu weinen, und die Meinen sahen Mich mit Blicken an, die deutlich aussprachen, daß sie hier die Wege der Gottheit nicht begriffen.

[GEJ.11_035,15] Da erfaßte Meine Seele eine tiefe Wehmut, daß in den Herzen derer, die Mir nun so lange zugehört und so viele herrliche Werke des in Mir wohnenden Gottesgeistes angesehen hatten, doch noch so wenig wahrhaft lebendigen Glaubens emporgewachsen sei. Und alle Kraft Meiner Seele als Menschensohn faßte sich zusammen in dem heißesten Wunsche, die Schlange, die da verhindere, daß die Kinder völlig klar sehen, gänzlich zu vernichten, damit der Lebensbaum in ihnen gedeihe und herrliche Früchte trage.

[GEJ.11_035,16] Diesen Vorgang in Mir bezeichnet der Evangelist mit den Worten: ‚Er ergrimmte im Geiste und betrübte sich selbst‘. Denn bevor Mein Leib nicht gestorben war, war, wie bei jedem Menschen, noch nicht die völlige Verschmelzung des Materiellen und Geistigen vor sich gegangen, sondern es forderte des Menschen Sohn ebensosehr seine Rechte als Körpermensch wie jeder andere, war untertan den Bedürfnissen des Leibes wie auch den Seelenstimmungen, die nur durch den Glauben und festes Wollen sich aus Zweifeln zum Wissen emporhoben und so die völlige Einigung von Körper, Seele und Geist hervorriefen.

[GEJ.11_035,17] Von jenem Augenblick an, wo in dem einsamen Tal die Gottheit in Mir den letzten Versuch gemacht hatte, mit Luzifer zu rechten, trat auch der Menschensohn wieder mehr in den Vordergrund, der in Gethsemane schließlich alle Seelenängste und Vorkosten des Todes durchmachen mußte, um alle Riegel des Todes, Unglaubens und Zweifels zu zerbrechen, unbeschadet der in ihm wohnenden allmächtigen Gottheit, die mit einem Worte ihre Schöpfung hätte vernichten können, Sich aber Selbst tiefer als die niedrigste Kreatur demütigte, um sie zu retten. –

[GEJ.11_035,18] Diese Worte sind sehr notwendig, daß jeder sie wohl in sein Herz aufnehme und begreifen lerne, ansonst er nie verstehen wird, warum Ich ins Fleisch kam, litt und starb, und wodurch diese scheinbare Doppelnatur des Menschensohnes und Gottessohnes begründet wird.

 

36. Kapitel – Die Auferweckung des Lazarus.

[GEJ.11_036,01] Ich fragte nun die Juden, da Maria noch immer weinend in Meinem Arme lag, um sie zu versuchen: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ Denn sie hätten wissen müssen, daß Mir der Ort wohlbekannt war.

[GEJ.11_036,02] Sie sprachen aber (die Juden): „Herr, komme und siehe es!“ und wandten sich, Mir den Weg zu zeigen.

[GEJ.11_036,03] Auch Maria trocknete die Tränen, entwand sich Meinem Arm und schritt voran, Mir den Weg zu zeigen.

[GEJ.11_036,04] Bedurfte der Kenner aller Wege wohl der Führer? – Und Mir gingen die Augen über.

[GEJ.11_036,05] Da sprachen die Juden untereinander: „Siehe, wie hat er ihn liebgehabt!“

[GEJ.11_036,06] Notabene. Wüßten die Menschen, was in diesem Vorgang alles enthalten ist, und was in der geistigen Welt derselbe bedeutet, sie würden nie und nimmermehr zweifeln, daß Gott die alleinige Liebe ist!

[GEJ.11_036,07] Späteren Schreibern soll es aufbewahrt bleiben, wenn die Herzen noch empfänglicher und reiner geworden, diese innersten Herzensgeheimnisse des ewigen Gottesgeistes klarzulegen und in faßbaren Worten den gläubigen, kindlichen Gemütern darzustellen, damit sie erkennen, wie unendlich groß und unerschöpflich der Quell Meiner Liebe ist. Amen. –

[GEJ.11_036,08] Einige der Juden, die mit Ephraim gekommen waren, flüsterten nun unter sich, indem sie auf Meine Wundertat an jenem Blinden an der Straße nach Jericho hinwiesen: „Konnte der, der dem Blinden die Augen aufgetan hat, nicht schaffen, daß auch Lazarus nicht gestorben wäre?!“

[GEJ.11_036,09] Abermals erfaßte Mich innerlich, da Mir alle diese Reden, wenn auch für die um Mich Stehenden unhörbar, dennoch klar hörbar waren, die tiefste Wehmut wegen des so wenig lebendigen Glaubens.

[GEJ.11_036,10] Und Ich wandte Mich an Meinen Jünger Johannes, der Mir zur Seite schritt und sagte zu ihm: „Johannes, wenn du berichtest über die Tat, die auszuführen Ich Mich jetzt zum Grabe begebe, so berichte auch über jene Zweifler, damit die Nachwelt ein deutliches Zeichen habe, wie wenig die Wunderwerke nützen, und daß alle Kraft nur im Worte lebt, das vom Glauben durchweht ist! Darum sollen aber auch in späteren Tagen die Meinen nur mit dieser schärfsten Waffe kämpfen; denn was da von Gott ist, sei untrügbar durch das innere, bleibende Wesen!“

[GEJ.11_036,11] Wir kamen nun zum Grabe, das außerhalb Bethaniens auf einer freien Aussicht, umgeben von Ölbäumen und Büschen, in den Felsen vertieft eingehauen war. Lazarus hatte dasselbe bereits zu Lebzeiten herrichten lassen, weil es ihm früher ein Lieblingsgedanke war, inmitten seiner Besitzung zu ruhen und gleichsam auch nach dem Tode ein Schützer derselben zu sein. Dieses Grab, welches sogar jetzt noch vorhanden, keineswegs aber das den Fremden und Reisenden gezeigte ist, war nicht in der üblichen Art der jüdischen Gräber hergestellt, mit Vorkammer und Grabnische, sondern mehr nach Art der römischen Begräbnisstätten oder Kolumbarien.

[GEJ.11_036,12] Es war ein tiefer Gang in den Felsen gehauen, ziemlich hoch gewölbt, und an dessen Ende eine Vertiefung im Felsen, in die der Tote hineingelegt worden war, bedeckt von einem großen, viereckigen Stein, den fortzurollen ziemliche Mühe verursachte. Dieser Gang sollte rechts und links Nischen erhalten für die zukünftigen Gräber der Schwestern nach der Idee des Lazarus. Jedoch hatten diese nicht gewünscht, bereits zu Lebzeiten ihre einstigen Grabstätten kennenzulernen, weswegen ihr Bruder dieses unterließ und ein Einzelgrab herstellte.

[GEJ.11_036,13] Als wir an diesem Grabe angelangt waren, sprach Ich zu einigen Knechten des Lazarus, welche beschäftigt waren, die Umgebung des Grabes herzurichten, und jetzt neugierig zusahen, was denn geschehen würde: „Hebet den Stein von dem Grabe ab!“

[GEJ.11_036,14] Ungläubig hörten diese den Ruf, und Martha, welche ihnen nicht zu verstehen gab, Meinem Befehl zu folgen, sagte zu Mir in besorgtem Ton: „Herr, er stinket schon; denn er ist vier Tage gelegen!“

[GEJ.11_036,15] Antwortete Ich ihr: „Martha, warum stellst du dich Meinem Wort entgegen? Habe Ich dir nicht gesagt, daß du die Herrlichkeit Gottes schauen wirst, so du glaubst?! – Tuet also, wie Ich euch gesagt habe!“

[GEJ.11_036,16] Da hoben sie mit großer Mühe den schweren Stein von dem Grabe, und alsogleich entfernten sich die Arbeiter des gar so üblen Geruches wegen, der von dem Toten ausströmte. Es konnte daher auch niemand in nächster Nähe des Felsenganges bleiben, sondern die Mitfolgenden stellten sich seitwärts, verwundert und erwartungsvoll Meinem Beginnen zuschauend.

[GEJ.11_036,17] Ich aber stellte Mich an den Eingang des Felsenganges und sagte mit lauter Stimme: „Vater, Ich danke Dir, daß Du Mich, Deinen Sohn, erhört hast! Doch Ich weiß, daß Du Mich allzeit hörst; denn Deine Stimme lebt und tönt in Mir. Nicht um Meinetwillen, sondern um des Volkes willen, das umhersteht, sage Ich das, damit sie endlich völlig glauben und einsehen, Du habest Mich gesandt und Du lebest in Mir, wie Ich in Dir!“

[GEJ.11_036,18] Nach diesen Worten wandte Ich Mich zum Grabe und rief mit lauter Stimme: „Lazarus, komme heraus!“

[GEJ.11_036,19] Alsogleich verschwand der üble Geruch, und der belebte Leichnam fing an, sich zu regen. Maria und Martha, die in ihrem Herzen gefühlt hatten, worauf Mein Beginnen beim Hinauswandern zum Grabe hinausging, jedoch den Zweifel des Gelingens in sich trugen – wie denn jeder immer lieber dann glaubt, wenn es sich um andere handelt, geht es aber um seine eigene Haut, weit schwergläubiger sich zeigt –, schrieen vor Freude laut auf und eilten hinein ins Grab.

[GEJ.11_036,20] Lazarus aber war völlig von den Leichentüchern eingehüllt, das Gesicht bedeckt von einem Schweißtuche. Er hatte sich erhoben und saß im Grabe wie einer, der vom tiefen Schlafe erwacht und seine Sinne noch nicht recht sammeln kann.

[GEJ.11_036,21] Ich sprach daher zu den Schwestern: „Löset ihm die Tücher auf und lasset ihn gehen!“

 

37. Kapitel – Die Bekehrung vieler Juden.

[GEJ.11_037,01] Als dieses geschehen war, erkannte Mich Lazarus alsbald und eilte auf Mich zu. Sodann kniete er vor Mir nieder und rief laut aus: „Mein Herr und mein Gott!“

[GEJ.11_037,02] Ich aber hob ihn auf, drückte ihn an Meine Brust und sagte: „Lazarus, du hast den Tod durch Mich überwunden, – sorge, daß du dieses auch ohne Meine Hilfe könnest; denn wahrhaft frei ist der Mensch erst von allen Banden des Todes, wenn er aus sich heraus Meine Kraft an sich reißt und sodann als Sieger und Herrscher hervortritt aus der Grabeshöhle, in der seine Seele schlummerte! – Jetzt aber gehe hinein und stärke dich, damit dein Leib neue Kräfte sammle zum irdischen Leben!“

[GEJ.11_037,03] Lazarus sprach kein Wort weiter, sondern grüßte stumm und ging, gestützt von seinen Schwestern, langsam, angetan mit dem Grabgewande, dem Hause zu.

[GEJ.11_037,04] Alle anderen aber, die bei dieser Szene zugegen waren, wurden so von Staunen ergriffen, daß sie erst nach geraumer Zeit Worte fanden, dieses auszudrücken.

[GEJ.11_037,05] Namentlich die Juden, welche anfangs sich zweifelnd geäußert hatten über Meine Wunderkraft, sahen mit einer scheuen Furcht zu Mir herüber, so daß Ich zu ihnen sagte: „Fürchtet ihr euch vor Mir, da ihr sahet, daß Ich dem Tode gebieten kann? Sehet ihr denn nicht, daß Ich ein Herr des Lebens bin?! So ihr aber Den fürchtet, was soll dann geschehen, so ihr wüßtet, daß Ich den Tod als Begleiter mit Mir führe?! Habt ihr nicht alle Ursache zu jubeln? Was zaget ihr also?“

[GEJ.11_037,06] Sagte einer derselben, der schon früher für die andern einen Sprecher abgegeben hatte: „Herr, wir sehen nun wohl allerklarst ein, daß in Dir wahrhaft alle Kraft Gottes verkörpert ist; so wir das aber einsehen, sollen wir da nicht bangen, Dem gegenüberzustehen, dessen Hauch uns ins Leben gerufen, und der uns unserer vielen Sünden wegen eben wieder mit einem Hauche vernichten könnte? Denn siehe, wie gar so erbärmlich wir vor Dir sind und gar so unnütz in unserm Tun, das ist uns nun so recht klar geworden, nachdem unsere Augen die Werke Deiner Macht sehen durften! Wir bangen daher, wie wir vor Dir bestehen können!“

[GEJ.11_037,07] Sagte Ich: „So allein die Gerechtigkeit die einzige Eigenschaft Gottes wäre, wahrlich, ihr würdet nicht – und keiner dieser aller – vor Mir bestehen können; denn es ist kein Haar an euch, das nicht der Sünde und damit der Vernichtung verfallen wäre! Aber Gottes Liebe, Sanftmut und Barmherzigkeit ist ebenso unendlich, als da ist die Unendlichkeit des gesamten Weltenraumes, und daher vergißt Er auch nicht das geringste aller Geschöpfe, die Er jemals geschaffen hat.

[GEJ.11_037,08] Er aber will euch allen ein liebreichster Vater sein, – kein Gott, vor dessen Zorn ihr zittert und banget. Der Gott der Rache lebt nur in eurer Phantasie. Ihr habt Ihn erst dazu gemacht, weil nur ein rachsüchtiger, strenger Gott den Juden verehrungswürdig schien, weswegen auch von diesen auf die mannigfachen Strafgerichte so großes Gewicht gelegt wurde, die aber nie wahre Strafgerichte, sondern nur allein Folgen der Bosheit, Dummheit und Verstocktheit der Menschen waren.

[GEJ.11_037,09] Ich aber bin der Vater Selbst, der nun in Menschengestalt herabgekommen ist, den Menschen eine übergroße Liebe zu beweisen und ihnen die Pforten des Lebens zu öffnen, die sie sich selbst verrammelt haben. Was fürchtet ihr euch also, so ihr sehet, daß Ich die Pforten des Todes sprenge, damit das Leben in vollen Strömen einziehen kann?“

[GEJ.11_037,10] Sagte der Sprecher, der nun ganz zutraulich wurde und näher trat: „O Herr, wir fürchten uns auch nicht mehr! So Du uns annehmen wolltest, so würden wir gern ewiglich bei Dir bleiben!“

[GEJ.11_037,11] Sagte Ich: „Habt ihr schon jemals gehört, daß Ich jemand, der nach Mir verlangt hat, abgewiesen hätte? – Also kommet alle her zu Mir, damit Ich euch erquicke und nun völligst freimache von allen Banden des Todes!“

[GEJ.11_037,12] Nach diesen Worten eilten alle die so zaghaften Zuschauer zu Mir, und jeder suchte Meine Hände zu fassen oder Mein Gewand zu berühren. Dabei standen allen die Tränen in den Augen; denn sie wurden mächtig durchdrungen von Meinem Liebegeist, der ihnen die heftigste Sehnsucht nach Mir einflößte.

[GEJ.11_037,13] Ich ermahnte sie nun, sich zu fassen und mit Mir zu Lazarus zu gehen, der inzwischen das Haus erreicht hatte und von dem zahlreichen Gesinde seines Hauses anfangs wie ein Gespenst voller Furcht angestaunt, dann aber, nach den erklärenden Worten der Schwestern, mit größtem Jubel umringt wurde; denn Lazarus war ein sehr gerechter Mann, der von allen in seinem Hause sehr geliebt wurde. Durch seinen Tod war jedoch die Fortexistenz seiner Besitzungen sehr in Frage gestellt worden, da – wie schon erwähnt – Lazarus keine männlichen Erben hinterließ, so daß die vielen auf seinen Gütern beschäftigten Arbeiter, Mägde und Knechte um ihr ferneres Unterkommen und namentlich, wer ihr zukünftiger Herr sein würde, sehr besorgt waren. Jetzt war diese Sorge plötzlich eine überflüssige, und der Jubel war in zweifacher Hinsicht – des Lazarus wegen und der eigenen, freien Lebensaussicht wegen – ein äußerst freudiger.

[GEJ.11_037,14] Es ist leicht zu denken, wie Ich beim Betreten des Hauses, nachdem der erste Freudenrausch verflogen war, nun von allen bestürmt wurde, die Mich als den Retter aus schlimmer Not begrüßten. Ich nahm diese Danksagungen alle freundlichst entgegen und ermahnte die vor Freude geradezu Berauschten, ihren Dank dem Herrn darzubringen und Ihm zu danken, der im Menschensohne so Großes vollbringe. Ich mußte dort also reden, weil viele von ihnen noch lange nicht reif dazu waren, zu wissen, daß Ich Selbst der Herr sei, dem ihr Dank zu gelten habe.

[GEJ.11_037,15] Es wurde von Lazarus, der sich inzwischen mit Speise und Trank gestärkt hatte und nun so frisch und munter wie jemals war, der Befehl zu einem großen Festmahl gegeben, das nach jüdischer Sitte bei keiner irgendwie frohen Gelegenheit fehlen durfte. Er bat Mich, daß Ich dasselbe mit den Seinen teilen möchte und fragte Mich, ob er auch seine Nachbarn dazu entbieten dürfe, die noch nicht zugegen waren. Ich gestattete ihm das gern; denn es war nach Meinem Willen, daß diese Tat in den weitesten Kreisen bekannt werde, da jetzt der letzte und größte Fischzug für Mein Reich eingeleitet werden sollte.

 

38. Kapitel – Der Plan der Pharisäer.

[GEJ.11_038,01] Einige der Juden, die zu des Lazarus Freunden gehörten und sich über das unverschämte Auftreten der Pharisäer am meisten geärgert hatten, waren nun zu der Herberge auf dem Ölberg gegangen, wo sie die Pharisäer noch wußten, weil sie sich die geheime Schadenfreude nicht versagen wollten, diesen hungrigen Wölfen den fetten Bissen selbst aus dem Rachen zu ziehen. Man kann sich leicht denken, mit welchem Schrecken und Unglauben die Nachricht von diesen aufgenommen wurde, welche gerade in dem Gefühl schwelgten, schon Besitzer der Herberge zu sein, und mit dem ob dieser Aussicht sehr betrübten Wirte sehr herrisch verfuhren, sich auch sogleich den besten Wein hatten geben und ganz ungewohntermaßen auch die Schergen der Tempelwache hatten reichlich bewirten lassen. Die ganze Gesellschaft war bereits in recht weinseliger, fröhlichster Stimmung, als die Juden eintraten und mit ihrer Nachricht die schon etwas stark umnebelten Köpfe sehr ernüchterten.

[GEJ.11_038,02] Als sie nun hörten, daß Ich zugegen sei, meinten sie, nachdem sie sich zu einer Beratung zurückgezogen, es würde wohl in Bethanien ein großartiger essäischer Betrug von Mir ins Werk gesetzt, irgendein dem Lazarus sehr ähnlicher Mensch untergeschoben worden sein, damit der Tempel um seinen Anteil betrogen werde. Ich sei ja stets ein gemeinsamer Liebhaber der zwei Schwestern gewesen und würde natürlich alles versuchen, Meinen Geliebten dienstbar zu sein.

[GEJ.11_038,03] An die wahre Auferweckung glaubten sie keinesfalls. Und so war ihre nächste Sorge, wie sie Mich, den falschen Lazarus und die beiden Schwestern in ihre Gewalt bekommen könnten. Sie hatten auch einen ganz klugen Plan ausgedacht, daß nämlich zwei von ihnen Mich und den falschen Lazarus hinausrufen sollten, daß diese gar keinen Zweifel zeigen dürften, sondern ihre Freude wegen der Erweckung beweisen und dabei suchen sollten, uns beide etwas abseits des Hauses zu locken. Sodann sollte die Tempelwache hervorstürzen und uns sofort in Gewahrsam bringen.

[GEJ.11_038,04] Dieser Plan war insofern ganz gut, als die beiden Pharisäer, welche ausgesucht waren, Mich und Lazarus zu begrüßen, in hohem Ansehen standen und es gegen allen Anstand und alle Sitte gewesen wäre, etwa diesen hohen Priestern nicht entgegenzukommen, falls sie ein Haus mit ihrer Gegenwart zu beehren dachten. Wären wir echte Juden der damaligen Zeit gewesen, so hätten wir sofort Haus und Gesinde diesen hohen Gästen gänzlich zur Verfügung stellen müssen, ansonst es dem Lazarus als eine höchste Mißachtung des Tempels und seiner Vertreter angerechnet worden wäre.

[GEJ.11_038,05] Die Juden hatten sich mit dem Wirt, der bei Überbringung der den Pharisäern so unangenehmen Nachrichten sich vor Freude nicht zu fassen vermochte, sogleich wieder entfernt und kamen eilends zurück, um zu melden, was sie getan hatten, – im festen Vertrauen darauf, daß Derjenige, der dem Tode gebiete, auch sicherlich die Bosheit des Tempels vernichten könne.

[GEJ.11_038,06] Ich verwies ihnen aber mit sanften Worten ihr Tun, das wohl menschlich zu nennen, aber dennoch nicht in Meiner Ordnung sei, da Schadenfreude selbst bei so hartherzigen Bösewichtern nicht am Platze sei und das Herz dadurch dem Mitleid mit der Finsternis dieser Menschen unzugänglich würde. Sie waren über diesen Tadel ganz betrübt und beruhigten sich erst, als Ich ihnen versicherte, daß in diesem Falle zwar niemand geschädigt werden würde durch ihr Handeln, daß sie aber in Zukunft ähnliches unterlassen sollten. Das versprachen sie auch und wurden nun wieder ganz heiter.

[GEJ.11_038,07] Die Pharisäer waren unterdessen mit den Tempelschergen herangekommen und waren so weit vom Haus entfernt, um sich noch ungesehen ein Versteck als Hinterhalt auszusuchen. Nochmals berieten sie ihren Plan, und wie es ihnen hauptsächlich darum zu tun sei, Mich in die Gewalt zu bekommen, damit Mir sogleich als Betrüger und Volksaufwiegler der Prozeß gemacht werden könne.

[GEJ.11_038,08] Sie waren etwa zehn Minuten von Bethanien entfernt bei einer Wegkrümmung, die ihnen die Häuser noch verbarg. Es wollten sich die beiden hohen Priester nun auf den Weg machen mit einem Diener, der ihre Ankunft im Hause melden sollte, – als ihre Rechnung einen garstigen Strich erhielt.

[GEJ.11_038,09] Mit einem wütenden Gebell stürzten nämlich die bekannten großen Schutzhunde hervor und umringten die ganze Schar in so furchterregender Weise, daß sich keiner zu rühren getraute. Diese Hunde, welche dem Lazarus von Mir gegeben worden waren, hatten seit seinem Tode sich völlig teilnahmslos verhalten und waren nicht mehr zu bewegen gewesen, ihr Schutz- und Wächteramt zu versehen, weswegen auch die Templer sich ganz ungehindert breitmachen konnten. Nun aber, da Lazarus lebte, war auch die alte Kraft und Lebendigkeit in sie zurückgekehrt, die sich in für die Pharisäer höchst unerfreulicher Weise bemerkbar machte. Die riesigen Tiere umkreisten die Schar zähnefletschend, und als einer der Knechte wagte, nach einem der Tiere zu schlagen, lag er auch sofort am Boden und lief Gefahr, zerrissen zu werden. Dieses eine Beispiel genügte, um die Schergen abzuhalten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen, zumal die Tiere sich begnügten, die ganze Gesellschaft festzustellen, ohne sie anzugreifen, aber auch ohne sie vom Platze zu lassen.

 

39. Kapitel – Die Vertreibung der Pharisäer.

[GEJ.11_039,01] Ich teilte dem Lazarus und den Anwesenden mit, was draußen geschehen war, und forderte sie auf, mit Mir hinauszugehen, damit sie sich von der Wahrheit überzeugten, und damit noch ein Versuch gemacht würde, die Pharisäer zu belehren, daß hier ihre Macht völlig ohnmächtig wäre. Wir taten also und gingen nun zu den Gefangenen.

[GEJ.11_039,02] Dort angekommen, forderte Ich die Schergen auf, freiwillig sich ihrer Waffen zu entledigen, was diese auch sofort taten. Ein Knecht des Lazarus nahm diese in Empfang, und alsbald legten sich auch die großen Hunde ringsherum ruhig nieder, immer aber ihre Feinde scharf beobachtend und bereit, auf einen Wink ihres Herrn sich auf diese zu stürzen.

[GEJ.11_039,03] Ich wandte Mich nun zu den Pharisäern, die zähneknirschend dastanden aus Scham und Wut, weil sie den ihnen sehr wohl bekannten Lazarus sogleich als den echten erkannt hatten, nun aber insgeheim meinten, daß er überhaupt nicht gestorben gewesen, sondern daß da nur ein sehr geschicktes, verabredetes Blendwerk mit seiner Krankheit, seinem Tode und seiner Auferweckung vor sich gegangen sei, das geeignet sei, Meine ebenfalls falsche Wunderkraft bei dem Volke recht ungeheuerlich darzustellen, die bei Ausübung an einer so bekannten Persönlichkeit, wie es Lazarus war, Mir ja sicherlich in ganz Judäa sehr viele Anhänger sichern mußte.

[GEJ.11_039,04] Nachdem Ich ihnen erst haarscharf ihre Gedanken auseinandergesetzt hatte, fragte Ich die Templer: „Wie lange wollt ihr, daß Ich euch doch noch ertragen soll? Alle Zeichen, die Ich verrichte, und die so unzweifelhaft für Mich zeugen, verachtet ihr; Mein Wort aber erkläret ihr als Lüge. Wisset ihr nicht, daß es eine Grenze gibt, über die hinaus der Mensch nicht schreiten darf, wenn er nicht gänzlich dem geistigen Tode verfallen soll, und daß, wenn diese Grenze erreicht ist, Gottes Barmherzigkeit die Leiber vernichten muß, damit die Seelen durch den Mißbrauch derselben nicht gänzlich verderbt werden?! Ihr aber seid alle dieser Grenze nahe gekommen!

[GEJ.11_039,05] Alles, was ihr durch eure Leiber euch nutzbar machen könnt zur Veredlung der Seele, verkehret ihr in euch zu deren Tötung. Habt ihr dazu eure Sinne? Ihr sehet nicht, um zu sehen; ihr höret nicht, um zu hören; ihr schmecket, fühlet, riechet nicht, um die Sinne als Vermittler zu gebrauchen, sondern nur, um eurer Sinnlichkeit zu frönen. Darum seid ihr aber auch schon ein stinkendes Aas geworden, das vertilgt werden muß, damit es nicht alles verpeste, und damit es wenigstens in seiner Asche noch zum Düngemittel des sonst guten, brauchbaren Bodens werde.

[GEJ.11_039,06] Wahrlich, Ich sage euch: Die Axt ist euch an den Stamm gelegt, daß der Giftbaum eures Lebens umgeschlagen werde! Aber nicht Gott klaget darum an, sondern lediglich euch selbst! Ihr sehet nun, was hier Großes geschehen ist, und viele untrügliche Zeugen stehen umher, die für die Wahrheit bürgen; in euch aber gärt dennoch der Haß und der Wunsch, Mich und die Meinen zu vernichten, was euch aber nimmer gelingen wird! So gehet denn von hinnen in eurem Zorn, – doch wisset, was ihr säet, werdet ihr selbst ernten!“

[GEJ.11_039,07] Nach diesen Worten erhoben sich die sieben großen Hunde und jagten mit Gebell die Templer und Schergen den Weg nach Jerusalem entlang, den diese springend und stürzend in äußerster Angst und Geschwindigkeit zurücklegten und nicht eher ruhten, bis die sicheren Stadtmauern Jerusalems sie bargen, bis zu denen die Tiere sie verfolgten, ehe sie zurückkehrten.

[GEJ.11_039,08] Von dem Tage an hatte Lazarus, trotz der bösen Anschläge des Rates, sowohl in Bethanien als auf dem Ölberg, völlige Ruhe; denn dort hinaus wagte sich der Hunde wegen kein feindlicher Priester noch Tempelscherge mehr.

 

40. Kapitel – Die zukünftige Mission des Lazarus.

[GEJ.11_040,01] Wir kehrten nun, nachdem der Ölberg von den Pharisäern gesäubert war, nach Bethanien zurück in das Haus des Lazarus, wo alles zu einem Festmahl vorbereitet worden war, und begaben uns zunächst in des Lazarus großen Speisesaal, der uns schon oftmals aufgenommen hatte.

[GEJ.11_040,02] Es begann nun ein großes Gerede und Befragen des Lazarus, was er denn, während er im Grabe gelegen, getan habe, und ob ihm eine Erinnerung verblieben sei über das, was er in der Geisterwelt doch sicherlich erfahren und gesehen haben müsse. Er aber bekundete, daß ihm zumute sei, als habe er recht tief geschlafen und auch recht lebhaft geträumt, aber daß von dem Geträumten ihm nur dunkle Bilder verblieben seien. Er wisse wohl, daß er mit verschiedenen Verstorbenen, wie auch mit seinem Vater, gesprochen habe, ohne jedoch sich wesentlich des Gesprochenen erinnern zu können. Trotz alledem wisse er aber sehr genau, daß er wahrhaft gestorben sei und nicht etwa nur geträumt habe; denn die letzten Stunden seien ihm sehr lebhaft im Gedächtnis geblieben, zumal er die Todesfurcht sehr wohl empfunden habe, wie auch das langsame Erlöschen seiner Lebensgeister.

[GEJ.11_040,03] Auf Befragen, wie er denn erwacht sei, erklärte er: Er habe Meine Stimme gehört, die da befohlen habe, er solle herauskommen, und so sei er erwacht wie ein Mensch, der aus dem Schlafe erwacht sei, und habe Mir gehorcht, da er sofort wußte, wie und was mit ihm geschehen war.

[GEJ.11_040,04] Die anwesenden Freunde und Meine Jünger fragten noch gar mancherlei, was jedoch Lazarus ihnen nicht beantworten konnte, – so nach den Gesprächen, die er geführt, wo er sich befunden habe und so manches andere, was, wie sie vermeinten, ihnen noch nähere Aufschlüsse geben könne über das Leben in der Geisterwelt. Es zeigte sich jedoch, daß Lazarus nichts von alledem wußte.

[GEJ.11_040,05] Nun fragten sie Mich nach der Ursache dieses Vergessens, und Ich sagte ihnen: „Wenn ihr gefangen seid in einem Kerker, und es wird euch die Freiheit auf kurze Zeit gegeben, so daß ihr ungehindert umherstreifen und euch mit ebenso gänzlich freien Wesen auf das beste unterhalten könnet über viele Wunder der Natur, die in der lieblichsten Gegend euch ganz von selbst ins Auge fallen, und ihr werdet gezwungen, in den alten Kerker wieder einzutreten, der jedoch früher euch gar nicht einmal als Gefängnis erschien, solange ihr nichts Besseres kennengelernt hattet, – wird sich nicht eure Seele dann verzehren nach Wiedererlangung der so kurz genossenen Freiheit? Ja, wird ihr das Zwangsleben nicht unerträglich werden, da sie stündlich sich die Herrlichkeit der genossenen Freiheit vormalt, wenn die Erinnerung die freudigen Stunden stets wieder belebt?

[GEJ.11_040,06] Seht, so ist es Lazarus ergangen! Ich habe ihm aber die Erinnerung für das, was mit ihm in den vier Tagen, da er im Grabe gelegen, geschehen ist, deswegen genommen, weil er berufen ist, noch viel auf dieser Erde für Mich zu wirken. Ihm würde aber die Sehnsucht nach Wiedererlangung der einmal genossenen vollen Freiheit hinderlich sein, falls diese verzehrende Sehnsucht in ihm wüchse.

[GEJ.11_040,07] Es ist daher schon ganz gut, so wie es ist, und ihr alle werdet es noch leicht einsehen, wenn auch ihr einst werdet die Leiber von euch geworfen haben. Außerdem habt ihr selbst in diesem Hause so viel schon erfahren von dem Leben nach dem Tode, daß eure Fragen mehr müßiges Geschwätz bedeuten als eine Ergründung des Lebens nach dem Tode, von dem ein jeder von euch denn doch nun schon zur Übergenüge überzeugt sein muß!“

[GEJ.11_040,08] Sagte Lazarus zu Mir: „Herr, Du sprichst von einem Amte, das mir zu wirken noch hier vergönnt sein wird. Darf ich wissen, wie denn da das Wirken für Dich gemeint ist?“

[GEJ.11_040,09] Sagte Ich: „Das ergibt sich alles in der Folge von selbst; denn Meine Hand leitet dich und alle, die für Mein Reich zu arbeiten berufen sind, in so sanfter Art, daß sie glauben könnten, es geschähe nur aus eigenem Antriebe. Und es geschieht das im Urgrunde auch; denn will Ich freie Wesen, so muß die freie Entschließung ihnen anheimgestellt bleiben. Nur die äußeren Vorkommnisse kann Ich so leiten, daß Meinen Dienern die Entscheidung zwischen zwei Wegen, die sie zu wandeln hätten, zufällt. Meine wahren Kinder werden dann aus Liebe zu Mir nie im Zweifel sein, welcher Weg der rechte ist. Immer aber muß der Willensimpuls von ihnen ausgehen.

[GEJ.11_040,10] So wirst auch du noch, wie ganz von selbst, in deinem Leben dich zu entschließen haben, ob du rechts oder links gehen sollst. Der eine Weg führt direkt zur Arbeit in Meinem Namen, der andere aber zur bequemeren Lebensweise des trägen Zuschauens. Je nachdem du wählst, wird dann auch dein Wirken sich gestalten. Ich weiß aber und sage es dir auch, daß du aus Liebe zu Mir schon recht wählen wirst. Und somit sei das genug; denn mehr zu sagen ist um deiner selbst willen vom Übel!“

[GEJ.11_040,11] Sagte Lazarus: „Herr, mir genügt das auch schon vollkommen; macht es mich doch überaus selig zu wissen, daß Du mich schwaches Werkzeug gebrauchen kannst und willst! Gib mir nur die rechte Kraft, daß ich das versprochene Amt dann auch völlig auszufüllen vermag!“

[GEJ.11_040,12] Sagte Ich: „Darüber mache dir keine Sorge, sondern vertraue nur recht gläubig, so kann Ich durch dich wirken und du durch Mich! Das rechte Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist dann auch in euch, wie es sich jetzt in Mir zeigt!

[GEJ.11_040,13] Darum aber bin Ich ja in die Welt gekommen, euch zu zeigen und zu lehren, daß ihr noch weit mehr als Ich Selbst jetzt leisten könnet, so ihr nur guten Willens und voll Glaubens seid.

[GEJ.11_040,14] Wie weit die Menschen und vornehmlich die Juden aber voll Glaubens und guten Willens sind, wird sich gar bald zeigen; denn es naht die Zeit, wo die Ernte Meiner Lehrjahre eintreten soll und muß. Ist diese auch noch so klein, und sind der fruchtbaren Samenkörner auch noch so wenige, so wird doch jedes Korn hundertfältige Frucht tragen, die den ganzen Erdboden versorgen soll und wird, bis dann einstens eine große Ernte eintreten kann, die die Scheuern des Vaters mit reichlicherer Frucht füllen wird, so daß dann nie wieder eine solche große Hungersnot entstehen kann, wie sie jetzt zugelassen wird, damit der verlorene Sohn umkehre und sich sättige. Ihr verstehet zwar diese Meine Worte jetzt nicht; aber drüben in Meinem Reiche werdet ihr sie völlig verstehen lernen.

[GEJ.11_040,15] Du aber, Mein Lazarus, sieh dich jetzt vor und bereite dich, viele Gäste zu empfangen; denn der Ruf deiner Erweckung ist bereits hinab zur Stadt gedrungen, und gar viel Volk macht sich auf, dich und Mich zu sehen! Diese aber sollen alle erquickt werden, und Meine Diener, die dir schon bekannt sind, werden dir behilflich dabei sein!“

 

41. Kapitel – Anschläge der Templer.

[GEJ.11_041,01] Als Ich diese Worte ausgesprochen hatte, stand der allen bekannte Raphael schon neben Mir und begrüßte Lazarus auf das freundlichste. Dieser wiederum war hoch erfreut, den Raphael zu sehen und sprach seine Freude in Worten lebhaft aus, ebenso Meine Jünger und verschiedene Freunde des Lazarus, die bereits früher Zeugen der außerordentlichen Wunderkraft des Erzengels gewesen waren.

[GEJ.11_041,02] Es wurde nun in äußerster Schnelle der Saal zum Empfang der angekündigten Gäste hergerichtet, und ein doppelt reges Leben äußerte sich im ganzen Hause, so daß ein Gespräch unter uns schwierig wurde und wir hinaus ins Freie traten, um den geschäftigen Dienern des Hauses, die den Anordnungen Raphaels eifrig und freudig folgten, nicht hinderlich zu sein.

[GEJ.11_041,03] Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß aus schon angedeuteten Gründen – der freieren Geistesentwicklung der Meinen wegen – kein allzu fühlbares Eingreifen Meiner Kraft mehr stattfand, sondern alles, was nun als wunderbar und außergewöhnlich zu bezeichnen war, stets einen äußerlich mehr einfachen, menschlichen Anstrich erhielt.

[GEJ.11_041,04] Wenn Ich nun sage, daß innerhalb von etwa einer halben Stunde in dem großen Saale des Lazarus, sowie in den anstoßenden Gemächern, Tafeln aufgestellt wurden, an denen mehrere hundert Menschen gespeist werden sollten, daß in fast ebenderselben Zeit für diese auch die Speisen bereitet wurden, so wird man einsehen, daß solche Arbeit auch von sehr emsigen Dienern nicht geleistet werden kann, deren etwa zwanzig zur Verfügung standen; denn die Bereitung der Speisen allein kostet nach natürlichem Gange mehr Zeit. Dennoch war alles zustande gekommen ohne sichtliche außergewöhnliche Hilfe, nur die Behendigkeit der Leute schien eine große.

[GEJ.11_041,05] Mit diesem Bemerken soll klargemacht werden, daß das Nahen des größten Ereignisses der Zeiten ohne außergewöhnliches Eingreifen vorbereitet wurde; denn selbst die Auferweckung des Lazarus erschien den Anwesenden wohl höchst wunderbar, jedoch nicht so überwältigend wie zum Beispiel das Verwandeln öder Gegenden in fruchtbares Land und anderes.

[GEJ.11_041,06] Diese Auferweckung bildete aber den Schlußstein Meines Lehramtes und leitete dessen Ernte ein.

[GEJ.11_041,07] Wer da Verständnis hat und bemüht ist, sich zu erwecken, der begreife! Wer da noch im Grabe liegt, der lasse den Stein von diesem abwälzen, damit der tote Lazarus erweckt werde und herauskomme. Amen! –

[GEJ.11_041,08] Als wir draußen vor dem Hause standen, sahen wir schon auf dem Wege von Jerusalem her eine Menge Volkes heranziehen, das sich Bethanien als Ziel erwählt hatte. Es waren Juden, denen die Kunde gebracht worden war, Lazarus sei wieder lebendig geworden, und die sich davon überzeugen wollten. Diese kamen näher, und als sie Lazarus und Mich sahen, eilten sie schnellen Schrittes heran und staunten uns beide an, den Erweckten und den Erwecker.

[GEJ.11_041,09] Lazarus sprach nun recht freundlichen Tones zu ihnen: „Liebe Freunde, ihr staunet und begreifet nicht, daß ich lebe, der doch sichtlich und ganz gewiß gestorben war; aber ihr wißt, daß bei Gott kein Ding unmöglich ist, und Er, der alles belebt, wird doch auch diesen irdischen Staub wieder beleben können, wenn auch das Leben aus ihm entflohen war. Sehet, ich lebe wahrhaftig, und hier steht Der, der mich wiederum ins Leben rief! Könnet ihr nun noch zweifeln, daß alles das die Kraft Gottes bewirkt, die in Ihm, dem Messias, wahrhaft lebt und sich kundgibt? Wahrlich, wer da jetzt noch zweifelt, der gleicht einem härtesten Stein, der auch nicht gerührt werden kann als nur durch die äußerste Anwendung rohester Kräfte, daß er zergehe, – an dem das Wasser abfließt, ohne nur ein kleinstes Teilchen von ihm abzulösen.

[GEJ.11_041,10] Ihr seid gekommen, mich zu sehen. Da betrachtet mich nun, und überzeugt euch, daß ich wahrhaft lebe! Dann aber gehet hin zu diesem Meister alles Lebens und lasset auch euch erwecken zum wahren Leben und zum wahren Erkennen aller Geheimnisse Gottes, die Er im Menschensohne wirkt; denn die Zeit ist nahe herangekommen, wo die Guten und Schlechten getrennt werden und der Weizen von der Spreu gesäubert werden muß, auf daß dieser Weizen ausgesät werde zur Vervielfältigung einer reichlichen Frucht!“

[GEJ.11_041,11] Diese Worte sprach Lazarus aus begeistertem Herzen und in Meinem Namen, so daß die Juden tief ergriffen wurden und sich um Mich und die Meinen scharten und verlangten, belehrt zu werden. Dieses geschah auch.

[GEJ.11_041,12] Es kamen aber immer noch mehr aus der Stadt, so daß sich alsbald fast an tausend Personen einfanden, die sich alle überzeugten von der Wundertat und laut Gott priesen und lobten, der in Mir solche Dinge verrichte.

[GEJ.11_041,13] Als nun die Gemüter sich langsam beruhigten, gab Ich Lazarus einen Wink, und dieser forderte alle Anwesenden auf, mit ihm zu gehen. Und alle folgten in die Gemächer, in denen das große Festmahl vorbereitet worden war.

[GEJ.11_041,14] Dieses nahm keinen ungewöhnlichen Verlauf, so daß davon nichts Besonderes zu berichten ist. Nur ist zu erwähnen, daß nicht Meine nächsten Jünger, die zwölf Apostel, das Amt verwalteten, die vielen Juden, welche die Neugierde heraufgetrieben hatte, zu unterrichten und zu belehren, sondern daß die andern Jünger und Anhänger, welche Mir bereits seit langem nachfolgten und ebenfalls wohlunterrichtet waren in Meiner Lehre, dieses Amt versahen.

[GEJ.11_041,15] Wir – das ist Lazarus mit seinen Schwestern und die Apostel, sowie selbstverständlich Ich – saßen an einem Ende des Saales etwas abseits. Lazarus warf jetzt die Frage auf, was denn die Pharisäer nun wohl zu tun gedächten, nachdem sie so übel von den großen Hunden bedient und nach Jerusalem zurückgejagt worden waren.

[GEJ.11_041,16] Sagte Ich ihnen: „Dieselben sind sofort in den Tempel geeilt und haben daselbst ihre Kollegen zusammengerufen. Sie halten jetzt einen großen Rat untereinander ab und tragen ihre Klagen vor, die darauf hinausgehen, daß hier ein großer Betrug vorliege.

[GEJ.11_041,17] Es ist ein Hin- und Widerreden unter den Mitgliedern des Rates; denn viele sind doch darunter, welche sich von den tatsächlichen Wunderwerken überzeugt haben. Auch ist Nachricht von den Pharisäern eingetroffen, die wir bei Mucius getroffen haben, und welche bezeugen, daß die Gegenden am Nebo wesentlich verändert seien, und daß sie eine Handelskarawane angetroffen haben, welche die bei Aphek geschehenen Wunder berichtete. Alles dieses aber habe nach Aussage unzweifelhaft glaubwürdiger Leute Ich getan, so daß, falls diese Dinge auf Wahrheit beruhten, es nicht unmöglich sei, daß Lazarus gestorben und auferweckt sei; denn ganze Gegenden zu verwandeln, sei denn doch wohl noch ein größeres Werk, als einen nur entseelten Körper wieder neu zu beleben.

[GEJ.11_041,18] Es erhebt sich jetzt ein großer Streit; denn die Mir feindlichen Pharisäer suchen auch diese Nachrichten so zu erklären, als wenn Betrug vorliege. Da kommen sie aber in Streit mit den Freunden der abgesandten Pharisäer, welche dafür einstehen wollen, daß diese sich nicht täuschen lassen, da sie als besonders nüchtern Denkende auch besonders geschickt zur Untersuchung seien und daher mit dem Auftrage betraut wurden.

[GEJ.11_041,19] Es erhebt sich jetzt einer von den ersten Schriftgelehrten und spricht: ‚Es ist zweifellos, dieser Mensch tut große Wunder, weswegen denn auch schon der Tempel sich viele Mühe gegeben hat, ihn für sich zu gewinnen, aber stets ohne Erfolg. Ebenso gewiß ist aber auch, daß er stets gegen die Diener geeifert und die Mißachtung im Volke gegen uns, die Diener Gottes, bis auf das Höchste gefördert hat.

[GEJ.11_041,20] Wollen wir aber in Frieden mit den Römern leben, so ist unbedingt notwendig, daß uns das Volk blindlings gehorche; denn dieses zu lenken ist des Tempels Pflicht und Recht. Daher rate ich, daß wir diesen Jesus von Nazareth sobald als möglich als einen Volksaufwiegler zu ergreifen suchen und dem Gerichte der Römer unterstellen oder von diesen fordern, daß er nach unserem Tempelgesetz bestraft und unschädlich gemacht werde.‘

[GEJ.11_041,21] Sagt Kaiphas, der Hohepriester: ‚So die Römer nicht Herren im Lande wären, läge dieser Mensch schon längst in Ketten und Banden; aber er besitzt unter den höchsten Römern selbst mächtige Freunde, die ihn schützen werden. Daher muß eine Gelegenheit gefunden werden, daß er sich selbst uns durch irgendeine Tat überliefere, die uns das Recht gibt einzugreifen und das Recht der Strafe beantragt. Er ist aber klug genug, nicht gegen die Römer, sondern nur gegen uns zu eifern; daher ist er gefährlicher als jeder andere, den die Römer sonst alsogleich als Volksaufwiegler ergreifen und richten würden.‘

[GEJ.11_041,22] Sagt Nikodemus, der auch zugegen ist, um etwa ein Wort für Mich einzulegen: ‚Liebe Freunde, ihr wißt doch, daß dem Jesus viel Volk anhanget; denn wie viele er gesund gemacht hat, davon ist vielleicht nur der kleinere Teil hier bekanntgeworden. Sollte es nicht besser sein, ihn dem Volke zu lassen seiner Wunderkraft wegen, die doch einen großen Segen verbreitet?!‘

[GEJ.11_041,23] Jetzt erhebt sich ein großer Sturm der Entrüstung im Rate wegen solch einer schweren Zumutung, und unser Nikodemus muß gar viele Scheltworte und Verdächtigungen anhören, daß er dem Hohen Rate solchen Vorschlag vorlegen kann. Er hört aber alles ganz gelassen an; denn Ich gebiete ihm jetzt in seinem Herzen, zu schweigen und sich hierher zu begeben.

[GEJ.11_041,24] Kaiphas aber spricht jetzt wieder, nachdem Ruhe eingetreten ist: ‚Wahrlich, ihr wißt nichts und bedenket auch nichts! Es ist uns allen besser, der Mensch sterbe für das Volk, ehe das ganze Volk verderbt werde. Und so gebiete ich denn, daß ein jeder bedacht sei, die rechte Gelegenheit zu erforschen, von der ich sprach; denn was da geschehen soll, geschehe bald!‘

[GEJ.11_041,25] Die Mitglieder des Hohen Rates sind mit diesen Worten einverstanden und schließen ihre Sitzung. Nikodemus aber entfernt sich still und unbemerkt und wird bald hier eintreffen.

[GEJ.11_041,26] Seht, jetzt wißt ihr, wie es drunten im Tempel aussieht; aber seid ohne Sorge! Nicht eher können diese ihre Pläne ausführen, als bis Ich Selbst Mich in ihre Hände gebe!“

 

42. Kapitel – Die Abreise von Bethanien.

[GEJ.11_042,01] Sagte Lazarus: „O Herr, Du wirst Dich dieser Brut doch nicht Selbst überliefern, die nur würdig ist, baldigst vernichtet zu werden?!“

[GEJ.11_042,02] Sagte Ich: „Was da zu geschehen hat, liegt im Willen des Vaters. Sein Wille geschehe; der Sohn aber hat zu gehorchen! Kümmere dich daher um nichts, was da nicht deines Amtes ist, sondern sorge, daß auch du fortschreitest im Erkennen des Willens deines und Meines Vaters!“

[GEJ.11_042,03] Fragte Mich Lazarus: „Herr, bist Du denn nicht der Vater?“

[GEJ.11_042,04] Sagte Ich: „Ich bin es, und doch kommt jetzt die Zeit, wo der Vater in Mir Sich zurückziehen muß, damit der Sohn frei entscheide. Was Ich euch soeben offenbarte, was drunten im Tempel vor sich geht, das ist der erste Schritt, damit der Sohn Sich entscheide. Und glaubet Mir, Er hat Sich bereits entschieden, damit das Volk nicht untergeht! Doch fraget jetzt nicht weiter, sondern sorget, daß alle diese Anwesenden keinerlei entbehren; denn sie sind zum letzten Male in Meiner irdischen Nähe als Kinder, für die Ich leiblich sorge!“

[GEJ.11_042,05] Fragte Lazarus besorgt: „Herr, willst Du uns denn wieder verlassen?“

[GEJ.11_042,06] Sagte Ich: „Ja, Ich werde dich morgen in aller Frühe wieder verlassen und nicht eher wiederkommen, als bis es gilt, das große Osterlamm zuzubereiten!“

[GEJ.11_042,07] Lazarus meinte nun, Ich möchte doch, wie schon früher, länger in der Winterszeit bei ihm bleiben.

[GEJ.11_042,08] Ich erwiderte ihm: „Du weißt doch, was der Tempel vorhat; Ich aber will nicht, daß die Meinen um Meinetwillen belästigt werden. Darum ziehe Ich fort von hier – dahin, wo Ich bis zur Osterzeit in Ruhe verbleiben kann; und so geschehe es denn!“

[GEJ.11_042,09] Darauf sagte Lazarus nichts mehr und beeilte sich, als Hauswirt nachzusehen, ob die vielen Gäste auch gut bedient würden.

[GEJ.11_042,10] In nicht langer Zeit kam denn auch Nikodemus bei uns an und berichtete, was drunten im Tempel geschehen sei, was natürlich mit Meinen Aussagen genauest übereinstimmte. Er fürchtete sich anfangs der vielen Anwesenden wegen, von denen ihn gar viele sehr genau kannten, jedoch beruhigte Ich ihn und gab ihm die Versicherung, daß niemand von diesen ihn verraten würde.

[GEJ.11_042,11] Es ist von diesem Abend, der sehr bedeutungsvoll wurde dadurch, daß alle Anwesenden sich zu Mir und Meiner Lehre bekannten, nichts weiter zu berichten, was nicht schon in ähnlicher Art bei früheren Gelegenheiten geschehen wäre, weswegen über diese ganze Angelegenheit hinweggegangen werden kann, nachdem das Wichtigste bereits gesagt worden ist.

[GEJ.11_042,12] Die ganze Gesellschaft blieb bis zum Sonnenuntergang bei Lazarus zusammen, worauf sie sich von ihm und von Mir mit Worten des herzlichsten Dankes verabschiedete und wieder nach Jerusalem zurückkehrte, um das Wunder dort noch weiterzutragen, so daß Lazarus in den nächsten Tagen nichts anderes zu tun hatte, als nur durch Zeigen seiner Person der allgemeinen Neugierde und Bewunderung gerecht zu werden. Dabei unterließ er es nicht, eifrigst auf Mich und Mein Wort hinzuweisen und hielt auch – zum größten Verdruß des Tempels – mit der Erzählung, wie die Pharisäer sich auf seinen Gütern benommen hatten, und wie dieselben bedient worden waren, nicht hinter dem Berge, so daß der Spottlust der Juden völlig freier Lauf gelassen wurde. Daß auch diese ganze Angelegenheit sehr dazu diente, das Ansehen der Pharisäer zu untergraben und die Habsucht des Tempels recht augenfällig darzutun, liegt auf der Hand, weswegen denn auch langsam unter dem Rate der Entschluß reifte, ihn ebenfalls zu beseitigen, was auch sicherlich gelungen wäre, wenn Lazarus nicht durch seine Hunde so gut geschützt worden wäre, daß keine irdische Leibwache eines Fürsten bessere Wächter hätte abgeben können.

[GEJ.11_042,13] Als nun die Einwohner der Stadt uns verlassen hatten, richtete Ich an Lazarus das Verlangen, uns rechte Lagerstätten herzurichten, damit die Meinen, welche heute alle für Mich gut gearbeitet hatten, auch vorsorglich der Ruhe pflegen könnten und morgen frisch und gestärkt sein würden.

[GEJ.11_042,14] Ich sagte auch allen Mir nachfolgenden Jüngern, daß jeder, der da zu den Seinen zurückkehren wolle, dieses tun könne; denn Ich würde Mich jetzt von der Welt zurückziehen und Meine Gegenwart bis Ostern verheimlichen. Wer da also ein Geschäft habe, das ihm wichtig schiene, oder wer während des Winters, der jetzt eintreten würde, bei den Seinen verbleiben wolle, solle sich zu diesen begeben, begleitet von Meinem Segen.

[GEJ.11_042,15] Es meldeten sich da viele, als sie hörten, es sei mit Meinem Segen, wenn sie gingen. Nur die zwölf Apostel und noch etwa zwanzig Personen, welche sich nicht trennen wollten von Mir, blieben übrig, Mir auch dahin zu folgen, wohin Ich sie immer führen würde. Ich segnete denn auch diese, wie Ich versprochen, und ermahnte alle, fest an Meinem Worte zu hangen und dieses weiterzuverbreiten. Zum Osterfest würden sie Mich hier wiederfinden, wo sie Mich verlassen.

[GEJ.11_042,16] Wir ruhten denn nun die Nacht in Frieden, und in aller Frühe versammelte Ich die Meinen nochmals um Mich und verabschiedete Mich kurz von den Zurückbleibenden: von Lazarus, den Schwestern und dem ganzen Hause, die Mich nur sehr ungern entließen, jedoch durch Meine Zusage, zu Ostern wieder bei ihnen zu sein, recht getröstet und beruhigt wurden.

[GEJ.11_042,17] Wir gingen nun schnell aus dem Orte Bethanien hinaus und schritten die Straße entlang nach Jericho zu.

[GEJ.11_042,18] Was nun in der Zeit bis zu der Rückkehr nach Bethanien geschehen ist, das macht die Periode aus, in der der Mensch Jesus von Nazareth sich in den Vordergrund stellte, in der nochmals die ganze Annehmlichkeit des Lebens sich herannahte, damit der Mensch Jesus sich frei zu dem nun notwendig gewordenen Opfertod entschließe. Diese Dinge jetzt aufzudecken, ist noch zu früh. Nur ein Geschlecht, das völlig eingedrungen sein wird in die Wesenhaftigkeit Meiner Liebe, wird das begreifen können. Jetzt würde es als unwahr bezeichnet werden. Darum übergehe Ich nun vorläufig diese Dinge und werde nur das mehr Historische berühren.

 

43. Kapitel – Die Bedeutung der Auferweckung des Lazarus.

[GEJ.11_043,01] Als wir die Straße längere Zeit schweigend beschritten hatten, näherte sich Mir Johannes und sagte: „Herr, Du weißt, wie sehr ich stets aufgemerkt habe auf alles, was Du getan und gesprochen hast! Ich habe mir auch manche Anmerkungen gemacht, vorzüglich über Deine Lehre, und mir alle Deine Worte getreu ins Herz und dadurch auch ins Gedächtnis geprägt, so daß es mir nun jederzeit leicht sein würde, schriftlich niederzulegen, was hauptsächlich in unseren Herzen leben soll. Bis jetzt ist das aber nur teilweise geschehen. Diese Begebenheit mit Lazarus, von der wir alle nun die aufmerksamsten Zeugen gewesen sind, möchte ich denn aber doch ganz besonders aufzeichnen; denn sie scheint mir von einer besonderen Bedeutung, die doch wohl noch einen anderen Ursprung hat, als nur den, einen toten Körper wieder zu beleben.“

[GEJ.11_043,02] Sagte Ich: „Was für eine Bedeutung scheint dir denn noch dieser Begebenheit innezuwohnen?“

[GEJ.11_043,03] Antwortete Johannes: „Herr, Lazarus war Dir ganz besonders teuer wegen seines gerechten Lebenswandels vor Dir und mußte doch sterben an einer Krankheit, die er sich selbst durch sein Verschulden zugezogen hatte. Ist das nicht ein deutliches Zeichen, daß der Mensch, sobald er nicht vor Deinen Augen bewußt wandelt, das heißt sich beobachtet glaubt von Deinen doch allwissenden Augen, trotz aller Gerechtigkeit dennoch nur zu leicht in allerhand Fehler verfallen kann, durch die er in einen geistigen Todesschlummer verfällt, aus dem nur Du allein ihn wieder erretten kannst?

[GEJ.11_043,04] Und wenn dann die leidtragenden Schwestern des Menschen – das sind seine werktätige Liebe und sein guter Wille – zu Dir kommen und sagen: ‚Siehe, Herr, den Du lieb hattest, aber der da dennoch fehlte, ist jetzt tot! Er wäre nicht gestorben, so Du hier gewesen wärest!‘ – das heißt also: wenn er unter Deinem Auge sich wandelnd gefühlt hätte, so hätte er nicht gesündigt –, wirst Du dann nicht aus Erbarmen ihn aus der Todesnacht befreien, die Binden ihm abnehmen lassen und ihn mit dem Lebenswasser wieder erquicken und so herstellen, als wäre er nie gestorben?

[GEJ.11_043,05] Siehe, Herr, diese und noch viele andere Gedanken sind mir gekommen, und ich glaube daher auch, daß noch vieles mehr in dieser Begebenheit verborgen ist, als die Zeugen derselben vermeinen!“

[GEJ.11_043,06] Sagte Ich: „Johannes, wohl dir, daß du im Geiste erkennst, was dieser allein dir offenbaren kann, und durch die äußere Begebenheit den inneren Sinn lasest! Ich sage dir daher auch, daß noch unendlich viel mehr in dieser Begebenheit verborgen liegt.

[GEJ.11_043,07] Dann, wenn erst der große Lazarus, um dessentwillen Ich ins Fleisch gekommen bin, wird auferweckt werden durch Meine Liebe, – dann erst ist der Augenblick gekommen, wo vor jedweder Kreatur die Liebe des Vaters so offenbar wird, daß die innere Liebe eurer Herzen euch zersprengen würde, wenn nicht eure Seelen durch viele Schulungen gefestet genug wären, diese ungeheure Liebeerkenntnis zu ertragen.

[GEJ.11_043,08] Jetzt allerdings sehen die Menschen nur eine gewöhnliche, wenn auch außerordentliche Totenerweckung in ihr, die sie mit Staunen wohl, aber noch nicht mit Liebe zu Gott erfüllt. Und auch spätere Geschlechter werden wenig von dem inneren Sinne spüren. Du aber, als der erste, der davon spürte, sollst auch darum Zeugnis darüber geben und in deinen Berichten diese wichtigste aller Begebenheiten nicht vergessen!

[GEJ.11_043,09] Nun aber schweige hiervon; denn was wir sprachen, ist nur für dich allein und noch nicht für die übrigen!“

[GEJ.11_043,10] Wir gingen nun wieder schweigend unseres Weges weiter. Nach einiger Zeit fiel es nun doch dem Judas auf, daß Ich so gar keine Anstalten machte, Mich über die Richtung des einzuschlagenden Weges zu äußern, und da es ihn juckte, womöglich in Jericho zu bleiben, das bekanntlich zu Meiner Zeit eine sehr blühende Stadt war, voll aller damaligen Vergnügungen eines Wohnsitzes der Reichen, weswegen sich auch dort leichter als irgendwo sonst ein kleines Geschäft als eine Art Wundertäter machen ließ, so fragte er Mich geradezu, ob Ich in Jericho längere Zeit zu bleiben gedächte.

[GEJ.11_043,11] Ich antwortete ihm: „Wer sagt dir, daß Ich überhaupt nach Jericho ziehen will?“

[GEJ.11_043,12] Judas, etwas verdutzt und enttäuscht über diese Gegenfrage, die ihm die Vereitelung seines Wunsches anzudeuten schien, beeilte sich, sich zu entschuldigen, daß er dieses nur vermutet hätte, da die Straße dahin führe.

[GEJ.11_043,13] Ich antwortete ihm: „Ein jeder geht die Straße, die ihn der Geist führt! Zieht es dich nach Jericho, so gehe dorthin! Ich halte dich nicht. Frage aber nicht, wohin Mein Weg geht; denn dieser ist nicht der deine!“

[GEJ.11_043,14] Meinte Judas, dem es doch allzu verlockend war, die Palmenstadt aufzusuchen, ob Ich zürnen würde, wenn er kurze Zeit dahin gehen würde.

[GEJ.11_043,15] Sagte Ich: „Habe Ich doch die andern alle ohne Unmut, ja mit Meinem Segen entlassen, warum sollte Ich dir zürnen? Jeder gehe, wohin der Geist ihn führt! So gehe auch du nach Jericho; denn deine Seele ist schon dorten!“

[GEJ.11_043,16] Daraufhin dankte Mir Judas für diese Erlaubnis und verschwand auch unbemerkt am nächsten Herbergshause, deren es auf der Straße nach Jericho viele gab, aus unseren Reihen. Er verbrachte die ganze Zeit, von der jetzt berichtet werden soll, in jener Stadt und machte dort als Erzähler und Augenzeuge der Auferweckung des Lazarus bei den wundersüchtigen Römern und Fremden, von denen Jericho angefüllt war, recht gute Geschäfte.

[GEJ.11_043,17] Nebenbei sei aber auch gesagt, daß er zur Kenntnisnahme Meiner Lehre nicht wenig beitrug, die er oftmals mit großem Feuer und viel Rednergabe vortrug, – immer aber mit einem gewissen Beigeschmack, auf sich selbst auch einen Teil der Bewunderung zu ziehen, der Meiner Weisheit galt. So wurde er dennoch gerade für diese Art Leute in Jericho ein ganz gutes Werkzeug, trotz aller seiner Nebenabsichten, – wie denn auch nicht oft genug betont werden kann, daß Judas keineswegs ein schlechter Mensch gewesen ist, sondern nur ein solcher, der gleichzeitig sich selbst und damit der Welt und dem Geiste dienen wollte, dadurch aber in gar argen Zwiespalt geriet, den dann andere, weit schlechtere Menschen später auszunutzen verstanden.

 

44. Kapitel – Der Herr in Ephrem (Joh.11,54).

[GEJ.11_044,01] Als wir nun fast bis gegen Abend gegangen waren, nachdem wir eine längere Rast gehalten hatten, um unsere Leiber zu stärken, versammelte Ich die Meinen um Mich und sagte ihnen, daß Ich willens sei, nach Ephrem zu ziehen und dort längere Zeit zu verweilen; sie sollten jedoch gegen jedermann davon schweigen, da Ich diese Zeit zu ihrer und Meiner Kräftigung gebrauchen würde und auch zur Befestigung einiger schwacher Gemüter, die für die nun bald kommende Zeit der Erfüllung gestärkt werden müßten.

[GEJ.11_044,02] Ephrem war eine kleine, unbedeutende Stadt, die selbst zu Meiner Zeit kaum beachtet und vielen gänzlich unbekannt war. Sie lag nicht weit vom Toten Meere ab, inmitten des Gebirges, gänzlich abgeschieden. Wollt ihr deren Lage genauer wissen, weil heutzutage kein Gelehrter mehr eine Ahnung hat, wo dieser Ort zu suchen ist, so ziehet von dem oberen Teile des Meeres, dort, wo die Karten eine etwas starke Buchtung zeigen, eine Linie nach links bis in die Anfänge des Gebirges, welches als ‚Wüste Juda‘ bezeichnet wird, und ihr habt die Gegend gefunden, wo einstens Ephrem zu finden war, die aber jetzt nichts mehr von dessen Spuren aufweist.

[GEJ.11_044,03] Es war schon fast Abend geworden – die Straße nach Jericho hatten wir schon früher verlassen und uns südwärts gewandt –, als Ich, wie schon bemerkt, das Reiseziel angab. Wir kamen daher kurz vor Eintritt der Nacht daselbst an.

[GEJ.11_044,04] Ephrem war eine arme Stadt und wurde nie von Reisenden besucht. Daher fand sich auch dort kein Herbergshaus, wo wir hätten übernachten können. Nur armselige, kleine Hütten standen umher, die den Namen einer Stadt gar nicht verdienten. Es ernährten sich deren Bewohner kümmerlich von Viehzucht und allerhand Schnitzereien aus hartem Holz und Asphalt, welchen das Tote Meer lieferte. Der Ort war früher einmal als eine Art Festungsplatz benutzt worden gegen die Einfälle der Nomadenvölker. Daher befand sich auch auf einer Höhe eine Art verfallener Burg, die, aus uralter Zeit stammend, zwar gänzlich verfallen war, aber doch eine Unterkunft gegen Wind und Wetter bot.

[GEJ.11_044,05] Diese Ruine bezogen wir für die Nacht und richteten uns dort ganz häuslich ein. Sie bot genügend Raum für alle, und Petrus meinte, wenn Ich, wie schon sooft, auch hier mit Meiner Kraft diesem alten Gebäude ein wenig nachhelfen wollte, so würde es sich schließlich ganz gut in dem noch recht festen Gemäuer überwintern lassen. Ich sagte ihm und den andern, das würde auch geschehen, doch müßte der Bewohner wegen dieses alles mit Vorsicht geschehen, damit Ich nicht verraten würde und sie keinen Schaden nähmen an ihrer Seele; denn dieses seien noch recht einfältige Menschen, die uns eine ungebührliche Verehrung zollen würden. Daher müsse alles hier einen nach außen hin mehr natürlich gleichmäßigen Anschein haben.

[GEJ.11_044,06] Fragten Mich jetzt die übrigen, warum Ich denn nicht gleich direkt nach diesem Ort gegangen wäre, anstatt die Straße nach Jericho so weit hinauf zu ziehen, wodurch ein großer Umweg gemacht worden war.

[GEJ.11_044,07] Ich erklärte ihnen, das sei der Juden wegen geschehen, vor denen wir Ruhe haben wollten, und die Mich hier gewiß nicht suchen würden, sondern nun jenseits des Jordans oder im Jordantale. Gerade hier, so recht nahe bei Jerusalem, seien wir in dieser Wildnis am sichersten.

 

45. Kapitel – Die Unterhandlungen mit dem Stadtältesten von Ephrem.

[GEJ.11_045,01] Wir ruhten in diesen Ruinen denn auch ganz gut bis zum frühen Morgen. Sodann sandte Ich einige von den Jüngern hinab in das Städtchen, damit sie Lebensmittel einkaufen und mit den Bewohnern unterhandeln sollten, daß es uns gestattet würde, in dem Gebäude zu bleiben.

[GEJ.11_045,02] Sehr bald kam denn auch der Stadtälteste zu uns mit einigen seiner Leute, begierig, die sonderbaren Leute kennenzulernen, welche um die Erlaubnis baten, in einem Hause zu bleiben, das bisher nur den Vögeln und allerhand Getier als Schlupfwinkel gedient hatte. Wir nahmen ihn denn auch ganz freundlich auf, und da Ich ihm als das Haupt der Gesellschaft bezeichnet wurde, fragte er Mich, ob wir etwa Flüchtlinge oder Ausgewiesene seien, die hier in dieser abgelegenen Gegend sich zu verbergen gedächten. Ich beruhigte ihn hierüber und bewies ihm sehr bald, daß wir so gut wie er Hebräer wären, jedoch in Beschaulichkeit den Winter verbringen möchten, um würdig Gott zu dienen.

[GEJ.11_045,03] Als er anfangs eine etwas bedenkliche Miene machte und nicht übel Lust zu haben schien, uns kurz und bündig abzuweisen, trat einer aus den Reihen Meiner Anhänger hervor und begrüßte ihn als alten Freund, mit dem er in Jerusalem zusammen die Tempelschulen besucht hätte. Dieses Erkennen verwandelte den Mann völlig, und als er nun gar von seinem Freunde hörte, Ich sei der berühmte Heiland von Nazareth, den er zwar selbst noch nie gesehen, von dem er aber um so mehr gehört hatte, bat er wegen seines Mißtrauens viele Male um Entschuldigung und gab uns gern die Erlaubnis, in den Räumen zu schalten nach Belieben. Er bat uns auch, zu ihm zu kommen.

[GEJ.11_045,04] Ich aber sagte ihm: „Freund, dein allerdings stets gastliches Haus würde für unsere Gesellschaft doch zu klein sein, und hier werden wir uns bald ganz häuslich eingerichtet haben. Darum bleiben wir schon am besten hier. Du aber verrate Mich nicht deinen Untergebenen und den Stadtbewohnern vor der Zeit, damit ihr und wir unbehelligt bleiben mögen von den Tempelhäschern und feindlichen Juden!“

[GEJ.11_045,05] Er versprach das denn auch und versicherte, er würde niemandem sagen, wen diese Mauern bergen, sondern alle neugierigen Fragen abweisen. Diese alte Burg gehöre der Gemeinde an, und er als deren Haupt habe das Verfügungsrecht darüber und sei niemand Rechenschaft schuldig, wem er dieselbe überlasse.

[GEJ.11_045,06] Ich sagte ihm, die Meinigen würden das Gemäuer wiederherstellen, und so hätte er auch der Gemeinde gegenüber ein gutes Recht zu seinem Handeln, da diese kostenlos zu einem guten Gebäude kommen würde.

[GEJ.11_045,07] Der Vorsteher war darüber sehr erfreut und fragte sogleich, ob wir irgendwelchen Materials bedürften, er wolle es uns beschaffen.

[GEJ.11_045,08] Ich aber sagte ihm, er solle sich deswegen gar nicht kümmern, wir würden das schon selbst tun.

[GEJ.11_045,09] Weiterhin fragte er, ob er denn wiederkommen dürfe, und es war selbstverständlich, daß ihm das gern gestattet wurde.

[GEJ.11_045,10] Nachdem der Vorsteher mit seinem Freunde, den er noch Meinetwegen recht ausfragen wollte, gegangen war, verteilte Ich die Arbeit, – und es ist leicht zu denken, daß Ich als geschickter Zimmermann gerade keine Mühe hatte, das Haus baldigst zu einem einfachen, aber nach damaligen Begriffen recht behaglichen Wohnsitz umzugestalten. Wir brauchten dazu aber dennoch einige Tage; denn es sollte, wie schon bemerkt, nichts allzu Auffälliges hier geschehen. Allerdings hätten auch recht fleißige Arbeiter sonst ebenso viele Wochen dazu benötigt.

 

46. Kapitel – Der Herr deutet den Grund Seines Sterbens an.

[GEJ.11_046,01] Als die Wohnungen nun geordnet und verteilt waren, ein jeder auch eine ihm zusagende häusliche Beschäftigung übernommen hatte, meinte Petrus zu Mir: „Herr, wie so gar behaglich ruht es sich doch hier unter diesem Dache! Oh, es ist doch ein herrlich Ding um eine eigene, sorgenfreie Häuslichkeit! Warum nur tatest Du nicht früher dergleichen? Nie hast Du vordem dafür gesorgt, eine eigene Ruhestätte zu haben; erst jetzt bereitest Du Dir eine solche! Könnten wir nicht immer hierbleiben und nur ab und zu die Juden draußen aufsuchen, um sie zu belehren? Am besten aber wäre es schon, wir blieben von nun an immer hier; denn die da draußen sind mit wenig Ausnahmen doch nicht wert, Deine Taten zu sehen und Deine Stimme zu hören!“

[GEJ.11_046,02] Sagte Ich: „Lieber Bruder, diese Stätte ist auch keine dauernde für des Menschen Sohn; aber Er bedarf derer, damit Er Kraft gewinne zum Schlußstein seines Wirkens! Solange Ich draußen wirkte und lehrte, trieb Mich der innere Geist, dem dieser Leib auch untertan ist, – jetzt aber soll der Schlußstein gelegt werden, ohne daß der Geist treibe, sondern allein die Seele aus Liebe sich entscheide.

[GEJ.11_046,03] Siehe, was jetzt in Meiner Seele vorgeht, davon wird nie ein Menschenherz etwas erfahren; denn jetzt muß der Menschensohn sich aufschwingen zum Gottessohn! Darum aber wird jener auch entkleidet aller seiner Macht, und ihr, die ihr bisher um Mich waret, sollet erkennen, was der Vater will!“

[GEJ.11_046,04] Fragte Petrus: „Ja, Herr, Du bist doch Selbst der Vater, – wie kannst Du da der Macht entkleidet werden?“

[GEJ.11_046,05] Antwortete Ich: „Der ist der größte Krieger und Held, der auch ohne Waffen dem Feinde entgegentritt und den Tod nicht scheut, so er weiß, daß er den Feind am ehesten niederstreckt durch seine Todesverachtung. Und so lege Ich denn auch alle Waffen der Kraft von Mir und trete dem Feinde entgegen nur mit der Kraft des Wortes, der Sanftmut und der Liebe, damit auch er alle Waffen der Hinterlist und Bosheit von sich gebe und reuevoll nahe als verlorener Sohn.

[GEJ.11_046,06] Doch siehe, das fassest du noch nicht! Darum merke wohl auf – auf alles, was du nun sehen wirst!“

[GEJ.11_046,07] Petrus ging nun sehr ernst zu den Brüdern und teilte ihnen Meine Worte mit, aber auch sie verstanden dieselben nicht und meinten, Ich sei wieder recht sonderbar in Meinem Wesen, wie schon früher einmal bei Kapernaum. Doch fragten sie nicht mehr ein Weiteres, sondern suchten Meine Worte zu ergründen.

[GEJ.11_046,08] Eines Tages nun, nachdem wir etwa seit acht Tagen in unserer Burg wohnten, kam denn auch der Vorsteher wieder zu Mir und sagte: „Meister, ich habe von einem Einwohner Ephrems Deine letzte große Tat erfahren, aber auch, daß Dir darum der ganze Tempel nun sehr aufsässig ist und sich alle Mühe gibt, diese Erweckung als den allerbarsten Schwindel hinzustellen.

[GEJ.11_046,09] Ja, es ist sogar der Versuch gemacht worden, Lazarus vor den Rat zu bringen, damit er sich reinige durch Widerruf. Aber Lazarus ist nicht erschienen und sagt, was man von ihm hören wolle, könne man in seinem Hause auch erkunden. Die Priester haben jedoch sein Haus für unrein erklärt und weigern sich, zu ihm zu kommen, – wohl nur aus Furcht; denn er soll in ganz wunderbarer Weise geschützt werden.

[GEJ.11_046,10] Dir ist das jedenfalls alles längst bekannt. Jedoch fürchte ich um Deinetwegen sehr, daß durch die große Nähe Jerusalems irgendein Zufall Dich verrate und sie Dich etwa hier auszuheben versuchen könnten.“

[GEJ.11_046,11] Sagte Ich: „Mein lieber Vorsteher der Stadt, da habe keine Furcht; denn ehe Ich es nicht Selbst zulasse, hat alle Bosheit des Tempels keine Gewalt über Mich, und niemand kann es gelingen, Mich zu greifen. So wie Ich bis jetzt unbekannt geblieben bin, werde Ich es bleiben. Haben doch selbst die Einwohner dieser Stadt gar kein Arg und Verlangen, Mich näher kennenzulernen, nur weil Ich es so haben will! Sei also ganz unbesorgt! Du bist hier der einzige, der mit Mir und den Meinen verkehren will, und dem die Pforte des Hauses daher auch nicht verschlossen ist. Sonst aber wird keiner so leicht diese Schwelle übertreten, – außer der Geist führte ihn zu Mir.“

[GEJ.11_046,12] Sagte der Vorsteher, ganz beruhigt über Meine Worte: „Herr, ich weiß, daß Du mehr bist als irgendein Prophet oder sonstiger Gesalbter Gottes; denn nur Der, in dem die Gotteskraft selbst wohnt, kann derartige Werke tun, wie sie durch Dich geschehen! Und so bin ich denn auch völlig mit Deinem Treiben und Willen einverstanden. Du Selbst wirst es jetzt gewiß am besten wissen, warum es so von Dir vorgesehen ist und nicht anders! Doch bitte ich Dich, Du wollest mich in Deine Lehre vollends einführen, die mir nur teilweise bekanntgeworden ist!“ Ich wies ihn nun an Meine Jünger, die ihn denn auch in der nächsten Zeit völlig unterrichteten.

 

47. Kapitel – Des Herrn und Seiner Jünger Beschäftigung in Ephrem.

[GEJ.11_047,01] Man wird nun fragen, was wir denn eigentlich in diesem Mauernest tagsüber getrieben haben, wo wir so abgeschieden von der Welt lagen; denn daß dies nutzlos für Meine Jünger geschehen sein sollte, ist doch wohl nicht anzunehmen.

[GEJ.11_047,02] Das ist wahr! Denn diente diese Zeit der Abgeschiedenheit auch hauptsächlich dazu, um Meinen Erdenmenschen für die schwere Zeit vorzubereiten und für die Umwandlung zum ewigen, unveränderlichen Christus geeignet zu machen, so sollte diese selbe Zeit doch auch Meine Jünger und namentlich die Apostel für ihren zukünftigen Beruf vorbereiten, Lehrer für alle Menschen zu werden. Der Vorgang, der in Mir sich vollzog, blieb allen Augen verborgen, jedoch wie Meine Jünger sich selbst und gegenseitig erzogen, soll hier genau enthüllt werden, damit jedermann, der wahrhaft an seiner inneren Vervollkommnung arbeiten will, daran eine Richtschnur findet, die zur Wiedergeburt des Geistes führt.

[GEJ.11_047,03] So höret denn, worin unsere äußere und innere Beschäftigung bestand!

[GEJ.11_047,04] Die äußere ist schnell erklärt. Sie bestand einfach in einer genauen Regelung aller häuslichen Geschäfte, denen sich jeder gern aus Liebe für seine Brüder unterzog, und die bei den geringen Bedürfnissen der Gesellschaft auch nicht viel Zeit beanspruchten. Die Hauptsache war hier, daß jeder unaufgefordert sich dort nützlich machte, wo er bemerkte, daß irgendeine Dienstleistung geschehen konnte; denn diese Aufmerksamkeit ist schon ein Zeichen der tätigen Nächstenliebe, während der im Geiste Träge gar nicht bemerkt, wo irgendeine kleine Liebetätigkeit anzubringen wäre.

[GEJ.11_047,05] Während unseres Aufenthaltes unterstützte Ich nur wenig die äußeren Geschäfte des Hauses, wie zum Beispiel das Beschaffen der Nahrungsmittel, damit einesteils die Trägheit nicht um sich greifen könne, andernteils damit auch die Meinen lernten, sich nicht nur auf außergewöhnliche Kraft zu verlassen. Daß es uns trotzdem an nichts fehlte, brauche Ich wohl nicht erst zu betonen.

[GEJ.11_047,06] Die Hauptsache war die geistige Nahrung! Und wie wurde nun diese geleitet? Zunächst in der Beherrschung einer völligen inneren Ruhe, die sich nicht durch irgendwelchen Ärger oder kleinliche Reizbarkeit aus dem Gleichgewicht bringen ließ, – sodann durch Übung der Willenskraft, die imstande ist, jede Leidenschaft und Neigung zum Gegenpol niederzukämpfen. Erst derjenige, der sich besiegt hat, kann auch andere besiegen!

[GEJ.11_047,07] Weiterhin wurde das innere, geistige Auge geübt und immer mehr erschlossen. Nicht daß Ich die innere Sehe den Meinigen Selbst eröffnete, sondern sie mußten imstande sein, selbst ihr geistiges Auge auf Gegenstände zu richten, die sie erkennen wollten. Diese Fähigkeit erfordert jedoch ganz besondere Läuterung der Seele; denn diese, von Haus aus irdisch gesinnt, kann natürlich nur dann rein Geistiges aus sich selbst heraus schauen, wenn sie sich schon bedeutend vergeistigt hat, oder, richtiger gesagt, wenn der in ihr wohnende Geist so weit mächtig geworden ist, daß er der Seele, welche seinen Leib bilden soll, so viele Begriffe des Geistigen beigebracht und diese so weit mit seinem Lichte erhellt hat, daß sie auch die geistigen Bilder sieht, erkennt und begreift. Solange nur die äußerlichen, rein körperlich materiellen Dinge durch den künstlichen Leibesmechanismus der Seele begreiflich gemacht werden, ist diese noch geistig blind. Sobald sie lernt, durch die Hülle der äußeren Körper hindurchzublicken, wird sie geistig sehend.

[GEJ.11_047,08] Die Mikroskope der heutigen Welt geben nur ein sehr genaues, bis ins kleinste hinein detailliertes Bild der äußeren Hülle, ohne Aufschlüsse zu geben über das rein geistige Leben aller Dinge. Dieses zu erkennen ist nur die sehend gewordene Seele imstande, niemals aber die noch so verschärften Instrumente irgendeines Gelehrten.

[GEJ.11_047,09] Ist aber erst einmal die Seele imstande, das innerste Leben zu erkennen, so durchschaut sie natürlich auch die feinsten Bauten der dieses innerste Leben umschließenden Hüllen mit derselben Leichtigkeit.

[GEJ.11_047,10] Es ist aber natürlich, daß Meine Jünger, welche als Lebensmeister und Lehrer auftreten sollten, in allem unterrichtet sein mußten, wenn Ich körperlich nicht mehr bei ihnen war, und sie hatten sich somit alles völlig zu eigen zu machen.

[GEJ.11_047,11] Man wird nun fragen: Hatten die Meinigen denn nicht schon alle diese Dinge sich völlig zu eigen gemacht, und bedurfte es denn erst dieses abgeschiedenen Aufenthaltes in der Wüste, um zur inneren Selbstherrschaft zu gelangen?

[GEJ.11_047,12] Hier ist wiederum darauf hinzudeuten, daß dieselben früher stets unter einer Art Zwang, den Meine Person durch ihre Gegenwart ausübte, und sodann durch das Bewußtsein der einzelnen, daß sie von dem vielen folgenden Volke stets beobachtet wurden, zu leiden hatten. Jeder wird aber recht wohl wissen, daß es weit leichter ist, das Böse zu meiden, wenn man sich unter Beobachtung weiß – weil dadurch eine Art Scham vor den Fremden oder auch der Ehrgeiz, als gut zu gelten, eintritt –, als wenn man sich völlig frei von jedem Zwange fühlt.

[GEJ.11_047,13] Hier war aber nun Gelegenheit zur Prüfung reichlich geboten; denn erstlich zog Ich Selbst Mich oft tagelang fast ganz zurück zur eigenen Vorbereitung, zweitens wandelten die Meinen hier gänzlich frei von den bewundernden Volkshaufen, die da oft vermeinten, diese Meine Jünger müßten doch ihrem Lehrmeister mindestens gleich sein, wenn nicht am Ende gar ihn übertreffen, wie es doch schon oft vorgekommen sei, daß der Schüler den Meister geschlagen habe.

[GEJ.11_047,14] Die Einwohner von Ephrem kümmerten sich so gut wie gar nicht um uns, sondern lebten still ihrem Geschäfte und hielten uns für eine neue Art Sekte der Juden, wie sie gerade zu Meiner Zeit nicht allzu selten entstanden, und glaubten, wir seien Anhänger des Johannes, die sich hier für das kommen sollende Gottesreich vorbereiten wollten. Da sie außerdem wußten und auch sahen, daß wir die alte Burg wieder herstellten, so hielten sie uns erst recht für Sonderlinge, mit denen umzugehen nicht gut sei, um von deren Verdrehtheiten nicht angesteckt zu werden.

[GEJ.11_047,15] So war denn also auch gerade dieser Ort der geeignetste zur inneren Selbstschulung; denn die äußere Weltlust hatten diejenigen, die Mir hierher gefolgt waren, längst abgestreift, so daß es da irgendwelcher Proben nicht mehr bedurfte. Und die in dieser Hinsicht noch zu lernen hatten, waren von uns zurückgelassen worden.

[GEJ.11_047,16] Es sind aber nun doch noch verschiedene Ereignisse hier geschehen, die wiederzugeben notwendig ist, damit an diesen ein jeder noch lerne, wie die Schulung zu geschehen hat, und wie oft unbedeutsame Ereignisse einen großen Eindruck hervorzubringen vermögen bei der inneren Läuterung und Festigung des Willens. Diese sollen nun hier gegeben werden, damit ihr wisset, was Johannes mit den Worten ‚Er hatte sein Wesen daselbst mit seinen Jüngern‘ (Joh.11,54) so eigentlich gemeint hat.

 

48. Kapitel – Der Seelenzustand der Jünger.

[GEJ.11_048,01] Als Meine Jünger (es sind die Apostel gemeint) einst einen Ausflug in das Gebirge getan hatten – Ich Selbst hatte ihnen dieses geboten, damit sich ihr Sinn auch ohne Mein Beisein öffne für ihre Umgebung –, wurden sie zwischen tiefen Felsenschluchten von einem heftigen Regenguß überrascht. In Palästina tritt der Winter mit heftigen Regengüssen auf, die nicht so harmlos sind wie in Europa. Die Wasser strömen schneller zusammen, und in den Gebirgen, die während des Sommers unter der Sonne ausdörren, bilden sich in den Schluchten sehr bald starke Wasserströme, die dem Wanderer gefährlich werden, da die Wasser sehr heftig und plötzlich niederrauschen, der Felsboden jedoch die Wassermengen nicht aufsaugen kann, sondern nur als Sammelbecken für die Wasser dient. Es ist daher gefährlich, in der Zeit der plötzlichen Regengüsse diese Schluchten aufzusuchen, da in diesen der Unvorsichtige sich zu retten nicht imstande ist, falls ihn ein Unwetter überrascht.

[GEJ.11_048,02] So erging es auch den Meinen, die mitten in einer langen Schlucht vom Unwetter überrascht wurden und nun sehr bald von tosenden Wassern umgeben waren, die ein Vor- oder Zurückweichen unmöglich machten.

[GEJ.11_048,03] Jetzt wäre eine Gelegenheit gewesen, ihre Glaubensstärke zu beweisen, die denn auch, solange das Wasser die Felsblöcke umspülte, auf welche sich die Jünger retteten, ganz gut anhielt. Als aber auch diese vom Wasser erreicht und überspült wurden, fing ihr Glaube doch sehr zu sinken an, und die Furcht vor dem elendesten Leibestode begann sich immer mehr zu regen. Ihre Seelen riefen wohl um Hilfe zu Gott, jedoch zu dem Jehova der Väter, nicht aber zu Dem, den sie doch in Mir verkörpert wußten, so daß ihr Klagen und Rufen ungehört verhallte.

[GEJ.11_048,04] Schon gaben sich alle die Hände und stemmten sich vereint gegen die anstürmenden Wasser, um den schwachen Halt unter ihren Füßen zu behaupten, als auch die Felsblöcke unter dem Druck des Wassers sich zu bewegen anfingen und die Gefahr auf das höchste stieg.

[GEJ.11_048,05] Da rief Johannes in seiner Herzensangst laut aus: „Herr und Meister, rette Du uns, wie Du schon oftmals den Elementen gebotest!“

[GEJ.11_048,06] Und siehe da, alsogleich ließ das Wasser zu toben und zu drängen nach, und die Meinen standen in kürzester Zeit wieder auf festem Boden, zwar tüchtig naß, aber doch unversehrt!

[GEJ.11_048,07] Innig dankten sie nun wohl im Herzen Mir als dem Retter, doch sprachen sie sich bald untereinander darüber aus, warum denn wohl ihr erstes Rufen unerhört geblieben, da doch Jehova und Ich eine Person seien.

[GEJ.11_048,08] Da fragte Johannes die Brüder, ob sie denn auch bei dem ersten Rufen wohl an Mich gedacht hätten, oder nur an den Gott der Väter wie an einen Gott außer Mir.

[GEJ.11_048,09] Beschämt bekannten sie alle, daß sie allerdings diesen Unterschied wohl in ihrer Herzensangst gemacht hätten, und sie begriffen nun auch recht wohl, warum ihr Schreien ohne Erfolg gewesen war. Sie suchten Mich denn auch sogleich auf und baten Mich wegen ihres Vergehens um Verzeihung.

[GEJ.11_048,10] Ich aber sagte ihnen: „Was habe Ich euch denn zu vergeben? Hätte Ich nicht gewollt, daß ihr also in eurem Glauben geprüft werdet, so hätten die Wasser eure Leiber nicht umspülen können. Glaubet aber hinfort um so überzeugter, daß wahrlich Der in Mir wohnt, der das Weltall regiert, und lasset ab von den Unterscheidungen, die euch euer engherziges Judentum noch aufgedrängt hat; denn niemand kann zum Vater kommen als durch Mich allein, den Sohn!“

[GEJ.11_048,11] Diese Rede machte sie wieder stutzig; denn sie begriffen immer noch nicht, wenn Ich in letzter Zeit ihnen die Unterscheidung des Sohnes vom Vater entgegenhielt, daß der Leib noch nicht verklärt war, sondern noch der Erde angehörte.

[GEJ.11_048,12] Erst nach Meiner Auferstehung fiel es ihnen völlig von den Augen, warum Ich nicht anders sprach und sprechen konnte. Sie unterredeten sich daher viel über diesen Punkt, und sie mußten sich alles dessen entäußern, was noch an verkehrten Begriffen in ihnen steckte, und sie taten das auch um so mehr, wenn Ich nicht bei ihnen war.

[GEJ.11_048,13] Daß da noch recht viel Verkehrtes, Altjüdisches, was nach Tempelvorurteilen schmeckte, hervorkam, ist leicht zu denken, zumal sie durch gar kein äußeres Wunder weitere Zeugen Meiner Kraft waren, die übrigens, als etwas Allbekanntes, in den Jahren unseres Beisammenseins auf Meine Jünger keinen allzu großen Eindruck mehr machte.

[GEJ.11_048,14] Jeder, der nun weiß, wie aber gerade diese Entäußerung, die eine Reinigung der Seele bedeutet, not tut, wird begreifen, wie notwendig auch die Abschließung der Meinen war, die durch ihre Reden sich selbst nicht gefährden konnten, wohl aber andere, die ihnen zuhörten. In ihrer Gesellschaft verbesserte so einer den andern, und fehlte es, so wußte Ich sehr wohl, wenn der Augenblick Meines Redens wieder gekommen war. Vor unreifen Ohren jedoch hätten weder Meine noch der Meinen Reden gehört werden dürfen, um die noch unreifen Früchte nicht verdorren und abfallen zu lassen.

 

49. Kapitel – Die Sorge der Jünger um den Herrn.

[GEJ.11_049,01] Viele werden sich hier vielleicht wundern, wie Meine Jünger nach so vielen Lehren und Beweisen Meiner Göttlichkeit in Mir doch noch immer in Zwiespalt mit sich und in Zweifel verfallen konnten. Jedoch ist da stets auf die menschliche, schwache Natur in dieser Hinsicht zu verweisen, deren Überwindung ihnen nun wieder schwerer wurde als euch jetzt, indem Mein ganzes Leben jetzt dem nur einigermaßen Gläubigen mit einem Blick übersehbar ist und Mein Besiegen des Todes als erster Hauptpunkt sich vor Augen stellt, während damals eine Entwicklung ihrer Seelen nur mit Meinem Entwicklungsgang möglich war, von dem dieser Hauptpunkt als Siegel Meiner Lehre aber ja erst den Schlußstein bildete.

[GEJ.11_049,02] Weiterhin bildet aber Meine Kreuzigung und Auferstehung erst den Schlüssel zum Verständnis des Menschen- und Gottessohnes. Da es aber nun notwendig war, die Meinen so weit zu führen, daß sie von nun an auf eigenen geistigen Füßen ständen, so mußten derartige äußere Erlebnisse das Mittel bilden, die innere Erkenntnis zu fördern.

[GEJ.11_049,03] Es geschah nun weiterhin folgendes: Die Meinen waren ins Gespräch verwickelt und tauschten ihre Meinungen wieder einmal darüber aus, weshalb Ich seit einiger Zeit den schon öfter von Mir erwähnten Unterschied des Vaters und des Sohnes in Mir wieder betonte. Es waren sich diese denn auch soweit einig, daß der Vater in Mir wohl wohne und der menschliche Körper und die Seele von Mir als der Sohn bezeichnet werde. Da kam nun von einem der übrigen zwanzig Nachfolger der Gedanke zum Vorschein, es sei doch schwer zu begreifen, wie denn der Geist Gottes gleichzeitig in Mir wohnen könne als Mensch, menschlich handle und wandle – also gleichsam eingeschlossen sei – und dennoch das Weltall regiere; ob Ich also denn wohl um die Regierung des Alls wüßte, oder ob zeitweise sich etwa der Geist zurückziehe, so daß Ich dann nur Mensch allein sein könne; dann auch, wie es denn mit Meinem Leibe im Schlafe wäre, ob da auch der Geist Gottes noch in Mir stecke oder nicht.

[GEJ.11_049,04] Diese Fragen brachten erst ein gewisses Staunen bei den andern hervor ob der anscheinend großen Kurzsichtigkeit des Fragestellers. Dann aber merkte doch jeder schließlich an sich, daß auch in ihm einige Unklarheiten über diese Punkte steckten. Namentlich aber der Umstand, was denn im Schlafe mit Mir geschähe, erregte einige starke Bedenken.

[GEJ.11_049,05] Andreas meinte, es sei wohl möglich, daß Ich im Schlafe nur allein Mensch sei; denn auf dem See Genezareth sei doch während des Sturmes Meine Gotteskraft erst nach dem Erwachen tätig geworden, so daß, hätte man Mich nicht geweckt, vielleicht ein plötzlicher Leibestod alle hätte überraschen können.

[GEJ.11_049,06] Es gab da nun ein großes Hin- und Herreden, das schließlich darauf hinausging, annehmen zu müssen, daß wohl während des Schlafes Mein Leib ebenso schutzlos sei wie der jedes andern Menschen, so daß es da die Jünger für notwendig erachteten, über Mich zu wachen, da man nicht wissen könne, ob die vielen feindlichen Juden nach so vielen vergeblichen Attentaten nicht auch einmal eine Überrumpelung zur Nachtzeit versuchen würden, um Mich zu töten. Keiner dachte jedoch daran, Mich einfach zu fragen; denn ihre Liebesorge um Mich meinte, ihre Wachsamkeit sei doch auch ein nicht unwesentlicher Schutz, und es handle sich ja nur um die Zeit des Schlafes. Daß aber ihr Schutz im Tageszustande nicht nötig sei, das wußten sie aus deutlichen Beweisen.

[GEJ.11_049,07] Ich ließ nun die Meinigen gewähren und merkte es anscheinend auch gar nicht, daß in dem einsamen Hause nun stets ein Jünger Nachtwache hielt.

[GEJ.11_049,08] Nach etlichen Tagen zog Ich Mich eines Abends, nachdem wir das Abendmahl eingenommen hatten, recht ermüdet zurück, um der Ruhe früher als gewöhnlich zu pflegen, und die Meinen blieben alle versammelt. Das Gemach, welches in der geräumigen Burg Mir als Schlafgemach diente, lag an dem einen Ende des Gebäudes, so daß erst mehrere Zimmer durchschritten werden mußten, um dahin zu gelangen. Die Meinen aber waren in einem Saale versammelt, der sich in der Mitte des Hauses befand.

[GEJ.11_049,09] Während sie nun im eifrigsten Gespräch waren, entstand plötzlich in den leeren Zimmern, die die Verbindung mit Meinem Schlafgemach bildeten, ein starker Feuerschein. Erschreckt eilten die Jünger hinzu und sahen nun, daß die leeren Zimmer hellauf brannten, so daß es unmöglich war, zu Mir zu gelangen, ebensowenig aber ein Mensch von dort zu ihnen konnte. Alles eilte bestürzt durcheinander und suchte zu löschen; – vergeblich, die Flammen fraßen weiter und mußten nach der Meinen Meinung längst auch Mein Gemach erreicht haben.

[GEJ.11_049,10] Verzweiflungsvoll suchten einige die Flammen zu durchdringen. Doch vergeblich; der Boden der Zimmer war eingestürzt und die Verbindung unmöglich! Nun meinten andere, der starke Rauch, der auch allen äußerst lästig war, müsse Mich bereits schlafend erstickt haben. Keiner jedoch wollte weichen und den sehr gefährdeten Saal verlassen, ehe sie nicht über Mein Schicksal im klaren waren.

[GEJ.11_049,11] Um nun ihrer Angst und Qual ein Ende zu machen, ließ Ich die Flammen langsam verlöschen, und in einiger Zeit war denn auch völlige Ruhe. Über verkohlte, rauchende Balken hinweg kletterten die Jünger angstvoll nach Meinem Schlafgemach und fanden dasselbe unversehrt, Mich aber ruhig schlafend auf einem Ruhebett. Dieser Anblick machte sie fast sprachlos, und keiner wagte, Meinen anscheinenden Schlummer zu stören.

[GEJ.11_049,12] Ich erhob Mich nun, und sogleich bestürmten Mich die Meinen mit Fragen, ob Ich denn nicht wüßte, was vorgefallen sei.

[GEJ.11_049,13] Ich sah sie ernst an und sagte: „Wißt ihr doch, wer in Mir wohnt, und wißt ihr doch, daß Diesem kein Ding verborgen bleiben kann! Was aber der Vater weiß, tut Er auch dem Sohne kund!

[GEJ.11_049,14] Die Flammen aber, die euch verletzten, konnten Mir ebensowenig etwas anhaben als alle Nachstellungen der gehässigen Juden. Erst wenn dieser Körper mit Meinem Willen übergeben werden wird, hat die Bosheit Gewalt über ihn.

[GEJ.11_049,15] Aber wißt ihr denn nicht, daß der Geist wacht, auch wenn der Körper schläft, und wißt ihr denn nicht, daß dieser Fürsorge trifft für sein Haus?

[GEJ.11_049,16] Wie könnt ihr so töricht sein zu meinen, ein Gotteswerk wie der Aufbau dieses Meines Leibes bedürfe des Schutzes der Menschen?! Können die Werkzeuge, die von des Meisters Hand gemacht wurden, den Meister schützen, oder kann das Geschöpf, das erst vom Schöpfer alles erhielt, den Schöpfer Selbst vor einem Übel bewahren, das Er zuläßt?

[GEJ.11_049,17] Sehet wie töricht – wenn auch aus Liebe – war euer Beginnen! Und so lasset denn ab, Mich schützen zu wollen! Der in Mir wohnt, weiß um alle Dinge, und Seiner Macht widersteht keiner!

[GEJ.11_049,18] Gehet nun, und seid nicht betrübt über Meine Zurechtweisung, die euch nicht schmerzen soll! Aber erkennet immer mehr, wer der rechte Herr ist, ob Er auch bei Zeiten jetzt körperlich schlafe oder wache!“

[GEJ.11_049,19] Die Jünger wollten sich nun entfernen, konnten jedoch über die schwarze, verbrannte Kluft nicht so schnell zurück, als wie sie die Sorge um Mich wohl herübergebracht hatte. Ich rief sie daher nochmals zu Mir, und in wenigen Augenblicken zeigten sich die Zimmer wieder so unversehrt wie vor dem Brande, so daß sie nun ohne Mühe zu ihrem Saale zurückgelangen konnten und sich auch bald, jeder mit seinen Gedanken tief beschäftigt, zur Ruhe begaben.

 

50. Kapitel – Die Wiedergeburt der Seele.

[GEJ.11_050,01] Anderntags trat Simon Petrus zu Mir und sagte: „Herr und Meister, wir sehen nun alle wohl ganz klar ein, daß wir gefehlt haben, indem ganz sicherlich Gott Selbst nie der Hilfe oder Fürsorge der Menschen bedürfen wird; aber dennoch ist es uns bisher immer noch etwas unklar geblieben, weswegen da Dein Leib in einer Art zeitweiser Unabhängigkeit von dem innern Geiste bleibt, so daß auch nach Deinen Reden es klingt, als wärest Du nun der ewige Gottgeist in Person Selbst, dann aber wieder, als sei Dein Körpermensch gänzlich unabhängig und nur zeitweise durchdrungen von Ihm! Wir kommen da stets in einen gewissen Zwiespalt in unseren Anschauungen, die Du uns gewiß verzeihen wirst, weil wir ja fest an Dir hangen und an Dich glauben, aber dennoch Dich in Deiner innersten Natur noch nicht so ganz begreifen. Wie ist es denn damit!“

[GEJ.11_050,02] Sagte Ich ihm: „Mein lieber Petrus, du sowohl als die Brüder verstehet eben so manches noch nicht, weil ihr diejenige Geistesstufe in euch noch nicht so erklommen habt, um diesen in sich doch sehr einfachen Vorgang begreifen zu können, den Ich euch auch schon oft genug erklärt habe. Jetzt aber seid ihr hier, um an euch selbst das zu erproben, was euch an Mir noch unklar ist.

[GEJ.11_050,03] Was nützt es, euch stets auf die Unterschiede des Menschen- und Gottessohnes hinzuweisen, wenn ihr in euch selbst nicht den Unterschied des Geist- und Körpermenschen zu erkennen und zu fühlen vermöget?

[GEJ.11_050,04] Erst die vollendete Wiedergeburt schon im Körper wird euch diese Frage zur vollsten Zufriedenheit lösen, und ihr habt auch zur Erlangung derselben schon alle recht geeignete Schritte getan, so daß euch das Ziel nicht fern steht. Dennoch ist dasselbe noch nicht ganz erreicht.

[GEJ.11_050,05] So beantwortet Mir aber nun einige Fragen, damit euch das Verständnis für diesen Hauptpunkt nähergerückt werde!

[GEJ.11_050,06] Zunächst: Wie empfindet ihr euer Denken und Fühlen? Ist dasselbe ein äußeres oder inneres, das heißt, könnt ihr eine euch gestellte Frage nur deshalb beantworten, weil ihr durch das Gedächtnis von eurem Lehrer die Antwort gelernt habt, oder beantwortet euer eigenes inneres Ich dieselbe durch Schlußfolgerung?

[GEJ.11_050,07] Ihr werdet sagen: ‚Beides kann geschehen!‘ Wäre der Mensch nun aber bloß Maschine, wenn auch mit einer selbstbewußten Seele begabt, so würde diese nur äußerlich denken können, das heißt, durch Gedächtniseindrücke sich ein Wissen schaffen können, das nur durch Belehrung erlernt ist, ungefähr wie man ein Tier abrichtet. Die Schlußfolgerung jedoch ist ein Fragen der Seele an ein im Menschen lebendes, inneres Prinzip, welches Antwort gibt auf gestellte Fragen und als Geist in der Seele noch lebt und als solcher, wie Ich euch schon oft gesagt habe, vollendet ist. Daher kann auch im Innern des Menschen ein regelrechtes Frage- und Antwortspiel beginnen.

[GEJ.11_050,08] Man wird sagen: ‚Ja, ist der Geist vollendet, warum kommen denn da oft so ungemein törichte Schlußfolgerungen zum Vorschein? Antwortet denn da der Geist nicht immer richtig?‘

[GEJ.11_050,09] Das tut er schon; aber weil er zunächst im Menschen das Lebensprinzip der Seele darstellt, so kann diese als selbstbewußt auch nach ihrem Wesen wie ein Spiegelbild ähnlich handeln. Geradeso wie ein rechtes Spiegelbild nicht ohne ein vorhandenes Objekt entstehen könnte, das demselben völlig gleich ist, so kann auch die Seele ihre Urteile nur dann als freitätig bekunden, wenn diese vom Geiste als Reflexe ausgehen. Wie aber ein Spiegelbild alles verkehrt darstellt, gerade entgegengesetzt dem Objekte, und dennoch wieder wahr ist, so geschieht es auch hier, solange beide nicht ineinander aufzugehen suchen.

[GEJ.11_050,10] Nur ein Mensch, der den Geist so weit in sich erweckt hat, daß die Seele keine irdischen verkehrten Reflexe zurückwirft, hat die Wiedergeburt erlangt und steht in der völligen Wahrheit. Diese Schranken zu zerbrechen ist natürlich nicht leicht, weil durch den materiell-irdischen Körper die irdisch veranlagte Seele einen größeren Hang zu diesem hat als wie zu dem sich nur schwach fühlbar machenden Geiste, dessen Wirken sie ohne erlernte Unterscheidung gern für ihr eigenes Wirken annimmt.

[GEJ.11_050,11] Diese Schranken zu durchbrechen ist Meine und eure Aufgabe, sowie aller Meiner Nachfolger, – und den Weg hierzu findet ihr durch euren inneren Geist, den ihr zur Sprache zu bringen habt. Dieser allein nur ist der einzig rechte Lehrer, weil er mit dem allgemeinen Gottgeiste zusammenhängt und von diesem ein Abbild im kleinen ist, demnach alle Wahrheit nur aus ihm schöpft.

[GEJ.11_050,12] Hat sich die Seele nun völlig seinem Wesen untergeordnet und ist sie dadurch irdisch wunschlos geworden, so daß sie nur noch einzig und allein nach Geistigem strebt und in dem Geistigen demnach als selbstbewußte Seele aufgegangen ist, so hat der vollendetere Mensch eine Stufe erreicht, welche von den indischen Weisen als ‚Nirwana‘ bezeichnet wurde, also einen Zustand, in dem jeder Wille, welcher fleischlich-irdische Neigungen bedingt, vernichtet ist, und welcher jedes Leben im Fleische als materielle Existenz ausschließt. Dieser Zustand ist im materiellen Leben möglich, ja soll erreicht werden, damit der völlige Friede einziehe ins Menschenherz.

[GEJ.11_050,13] Dieser Wiedergeburt der Seele seid ihr alle nahe. Drüben in Meinem Reiche jedoch gibt es, wenn Ich aufgefahren sein werde, noch eine andere Wiedergeburt: das ist die des Geistes, die sodann in unauflöslicher Gemeinschaft mit Mir besteht. Sodann herrschen die höchste Glückseligkeit der Kinder im Vaterhause und Freuden, die keines Menschen Herz je ahnen kann, weil sie die reingeistigsten sind, von denen euch vorher auch nicht der kleinste Abglanz begreiflich gemacht werden kann.

[GEJ.11_050,14] Trachtet zuvor danach, daß eure Seele die Wiedergeburt erlange, damit eure Seele nur noch durch des Geistes Auge zu schauen lerne und dadurch sich selbst und ihren Ursprung immer mehr erkenne!

[GEJ.11_050,15] Da Ich aber Selbst alle diese Stufen in Mir als Mensch wie ihr erklimmen muß – da Ich der Pfadbrecher der Menschheit bin, die sich immer wieder trotz vieler Abgesandter in Irrtümer verstrickt hat –, so werdet ihr auch wohl endlich begreifen, daß Ich, um euch dieses Aufsteigen zur Vollendung anschaulich und begreiflich zu machen, nicht anders sprechen kann, als es geschieht!“

 

51. Kapitel – Winke zur Veredlung der Seele.

[GEJ.11_051,01] Sagte Petrus: „Ja, Herr, das sehe ich jetzt wohl ganz gut ein und begreife auch immer mehr, daß Deine menschliche Natur der unsern so ganz gleich ist, und daß der Unterschied nur in dem Geiste in uns liegt. Sicherlich werden wir alle auf das äußerste bestrebt sein, alle Ziele, welche Du uns zeigst, zu erringen. Nun aber hapert es doch noch gewaltig bei uns mit der Wiedergeburt unserer Seelen. Zwar sind wir schon auf dem rechten Wege, aber so wir allein sind, kommen da doch gewisse Rückfälle, die uns zu Torheiten verleiten, wie Du uns jetzt schon mehrere hast ausführen sehen. Wie denn könnten wir diese wohl vermeiden?“

[GEJ.11_051,02] Sagte Ich: „Zunächst dadurch, daß ihr die rechte Glaubenskraft erringet, auch wenn ihr Mich nicht sehet, – denn selig sind, die da glauben und nicht sehen! Dann aber, indem ihr euch frei machet von jeder Furcht und nur mit ganzer Kraft Gott liebet, den ihr in Mir wisset und erkannt habt!

[GEJ.11_051,03] Zwar weiß Ich, daß ihr Mich sehr liebet; aber jetzt gilt diese Liebe noch mehr Meiner Person als Meinem Geiste. Die unerschütterliche Liebe, die gar keine Zweifel mehr kennt, die sich auch bei euch unbegreiflichen Dingen nicht schwankend machen läßt, besitzet ihr noch nicht, sondern nur einen Glauben, der vorläufig nur aus Meinen Taten entsprungen ist und noch kein Felsen ist, sondern mit lockerem Erdreich untermischt ist, das die Regengüsse des Leides noch wegwaschen können.

[GEJ.11_051,04] Glaubet nicht nur, wenn Ich bei euch bin, sondern glaubet und vertrauet völlig auf Meine Kraft, auch wenn Ich leiblich nicht bei euch bin! Forschet in euren Seelen, wo noch irgend etwas Unreines steckt, und werfet es von euch!

[GEJ.11_051,05] Solange ihr noch Mißmut, Ärger, Unzufriedenheit, unreine Gedanken in euch entdecket, so lange regt sich auch noch der Zweifel und läßt den lebendigen Glauben nicht erstarken. Dem Geiste sind jedoch alle diese Untugenden fremd, daher kann er die Seele nicht durchdringen, die freiwillig sich alles dessen entäußern muß!“

[GEJ.11_051,06] Sagte Petrus: „Ja, Herr, wir wissen das alles recht wohl und bemühen uns auch, nach Deinen Worten zu handeln; aber es wird doch oft recht schwer, sich selbst zu überwinden. Und dennoch lieben wir Dich von ganzem Herzen und mit allen Kräften!“

[GEJ.11_051,07] Sagte Ich: „Laß das jetzt nur gut sein! Darum habe Ich euch ja nach Ephrem geführt, daß ihr euch reinigt und die innere Vollendung frei- und selbsttätig erringet, und so lasse denn nur dieses! Wäret ihr auch Meine Jünger, wenn Ich nicht dächte, euch dahin zu führen, daß ihr dem Vater dienet, gleichwie Ich Ihm jetzt diene?! Der Vater weiß doch wohl, was Er tut, und welche Werkzeuge Er Sich auserwählt! Was euch noch fehlt, werdet ihr erringen, und so strebet denn danach! An Kraft wird es nicht fehlen, so ihr darum bittet.“

[GEJ.11_051,08] Sagte Petrus: „Ja, Herr, wohl wissen wir, daß Du uns stets die Kraft gibst, deren wir bedürfen, so wir darum bitten; aber gar zu oft nur vergessen wir gerade das Bitten, weil wir uns schon für recht stark halten und denken, aus eigener Kraft siegen zu können! Und dieses Kraftgefühl erfüllt uns mit großer Zuversicht, die sich aber gar zu leicht in große Zerknirschung verwandelt, wenn irgendein Umstand die gar zu große Schwäche des menschlichen Herzens und die Wankelmütigkeit trotz aller guten Vorsätze beweist. Sollen wir denn aber nun gar nicht trachten, aus eigener Kraft auch etwas tun zu können?“

[GEJ.11_051,09] Antwortete Ich: „Wer nach Vereinigung mit Gott strebt, wird zuerst trachten, Seinen Willen zu erfüllen und den eigenen unterzuordnen; denn nur der im Menschen lebendig gewordene und tatkräftige Gotteswille kann und wird niemals Schiffbruch leiden. Ist der Mensch aber eigenwillig und sucht etwas auszuführen, ohne sich darum zu kümmern, ob seine beabsichtigte Tat auch dem Willen Gottes entspricht, so darf er sich nicht wundern, wenn diese Tat nicht zu seinen Gunsten ausschlägt.

[GEJ.11_051,10] Dieses Kraftgefühl, von dem du sprichst, ist aber oft nichts anderes als ein geistiger Hochmut, der sich vorgedrungen vor anderen Menschenbrüdern fühlt und daher etwas Außergewöhnliches leisten möchte zur eigenen Eitelkeitsbefriedigung oder auch aus Bewunderungssucht vor anderen. Hütet euch daher vor diesen Trieben; denn Meine Anhänger sollen arm im Geiste sein, wie ihr wisset, damit sie eben alles von Mir erhalten und Gott wahrhaft schauen können! Die aber, welche sich geistig reich wähnen, das sind eben die, welche meinen, Vollendete zu sein, mit ihrer Selbstüberwindung prunken und voll des geistigen Hochmutes werden.

[GEJ.11_051,11] Siehe an die Pharisäer, wie sie glauben, nur Gott zu dienen mit allerlei nichtssagender Weisheit und Formelkram und doch nur sich selbst und ihrem Wohlsein dienen! Diesen auch nur eine noch so kleine Weisheitslehre Meiner Himmel in ihr Herz einfließen zu lassen, ist rein unmöglich; denn es ist angefüllt von allerlei Reichtum ihres Seelendünkels, während nur dort gegeben werden kann, wo vollständige Armut herrscht. – Verstehst du das und die Brüder?“

[GEJ.11_051,12] Sagte Petrus, der hier, wie sooft, den Sprecher für die andern machte, nachdem er die anwesenden Brüder angeschaut hatte, die alle bejahende Zeichen machten: „Ja, Herr, das verstehen wir recht gut; denn Du hast schon öfter mit ähnlichen Worten derartige Lehren gegeben. Aber etwas anderes möchten wir wohl von Dir wissen!

[GEJ.11_051,13] Du sprachst von einer Wiedergeburt des Geistes und der Seele. Es ist uns dieser Unterschied sehr aufgefallen, weil wir da nie einen Unterschied gesucht hätten und wähnten, daß mit dem einmal vollendeten Aufgehen der Seele in den Geist auch alles erreicht ist, was erreicht werden kann. Wie steht es nun damit, willst Du Dich da nicht deutlicher erklären?“

[GEJ.11_051,14] Sagte Ich: „Was ihr jetzt fassen könnt, sollt ihr hören! Doch kann euch alles erst völlig klar werden in Meinem Reiche, wo ihr mit eigenen Augen und Sinnen die Bestätigung finden werdet. Aber nicht nur euretwegen, sondern auch eurer Nachfolger wegen müßt ihr wissen, was Ich mit der Wiedergeburt des Geistes meine und andeuten will. – So höret denn!“

 

52. Kapitel – Die Wiedergeburt des Geistes.

[GEJ.11_052,01] (Der Herr:) „Alle diejenigen, welche bereits auf Erden Mir und Meinem Worte nachfolgen, werden dasjenige Ziel erreichen, welches Ich euch schon so oft als die Wiedergeburt der Seele bezeichnet habe: das ist also ein Hindurchdringen des Geistes in die Seele, die dadurch fähig wird, schon im Leibe in alle höhere Weisheit der Himmel einzudringen und nicht nur Herr ihrer selbst, sondern auch damit Herr ihrer Umgebung zu werden, ja, selbst auch der Natur und verborgener Kräfte, wenn sie trachtet, Meinen Willen aus Liebe und zum Nutzen des Nächsten zu erfüllen. Die Mittel, um zum Ziele zu gelangen, heißen Glaube und wahre Liebe zum Nächsten.

[GEJ.11_052,02] Solche wiedergeborene Menschen können und müssen auch sehr gerechte Menschen sein, wie es solche auch zu allen Zeiten stets gegeben hat, die diese äußerste Seelenvollendung besaßen; aber sie brauchten deswegen noch nicht bis zur Gemeinschaft mit dem persönlich wirkenden Gottgeiste gelangt zu sein.

[GEJ.11_052,03] Ja, bis jetzt war das überhaupt noch nicht möglich, weil außer in Mir die Gottheit überhaupt noch nicht persönlich anschaubar vorhanden war! Alle die Gerechten vor Meinem Leibesleben, welche die Wiedergeburt der Seele erlangten, konnten dessenungeachtet noch lange nicht die Gottheit schauen, so wie ihr Sie schauet. Es zeigen deswegen ihre Lehren auch an, daß das Eindringen in die höchste Vollendung ihnen als ein Aufgehen in die Unendlichkeit erschien, weil Gott Selbst, als unpersönliches Wesen, eben die Unendlichkeit bedeutet, in der das Wehen Seiner Kraft wohl geistig empfunden werden kann, nicht aber der Seele damals anschaulich in einer Person dargestellt werden konnte.

[GEJ.11_052,04] Erst nach Meinem Tode, wenn dieser Mein Leib aufgenommen sein wird als ein Kleid der allmächtigen, unendlichen Gottheit Selbst, werden alle diejenigen, die vor dieser Meiner Zeit das Leibesleben verlassen haben, auch imstande sein, durch Anschauung der nun persönlichen Gottheit in ewiger Gemeinschaft mit Dieser zu leben, und zwar in einer Stadt, welche Ich euch bereits gezeigt habe, als jene zwölf leuchtenden Säulen die Jerusalemer nächtlich erschreckten, und welche das wahre himmlische Jerusalem, die ewige Stadt Gottes, darstellt. Dieses gemeinschaftliche ewige Zusammenwohnen Gottes mit Seinen Kindern ist die Wiedergeburt des Geistes.

[GEJ.11_052,05] Sehr wohl werden nach Mir noch viele die Wiedergeburt der Seele erreichen können, daher auch sehr selig und glücklich sein, ohne aber diese höchste und letzte Stufe zu erringen. Viele Abgesandte Meines Geistes kamen zur Erde nieder und zeigten den verirrten Menschen die Wege, wie sie zum Frieden und zur inneren Erleuchtung gelangen konnten, ohne aber imstande zu sein, die direkten Wege zu Mir zu zeigen, weil diese ja noch nicht geöffnet waren. Alle, welche also die früheren Wege wandeln wollen, können daher sehr wohl zur Wiedergeburt der Seele gelangen, aber nicht zur Gemeinschaft mit Mir.

[GEJ.11_052,06] Letzteres ist nur möglich durch den Glauben an Mich, daß Ich wahrlich bin Christus, der Gesalbte, dem alle Kraft und Herrlichkeit des Vaters ist gegeben worden, damit die Menschen glücklich und höchst selig werden durch den Sohn. Ich bin die Pforte, – eine andere gibt es nicht! Wer die Wege zum Himmel betreten will, ohne Mich kennen zu wollen, der kann wohl einen hohen Grad von Vollkommenheit erreichen, nie aber in klare, anschauliche Gemeinschaft mit Gott Selbst gelangen. – Habt ihr das nun verstanden?“

[GEJ.11_052,07] Sagten alle: „Ja, Herr, das war doch klar gesprochen; wer sollte das nicht verstehen?“

[GEJ.11_052,08] Meinte Petrus nun wieder: „Herr, werden denn nun die, welche die Wiedergeburt erlangt haben, und welche drüben also nun recht selig leben, auch alle die Wiedergeburt im Geiste erlangen, oder ist es wohl möglich, daß diese auch stehenbleiben auf ihrer Vollendungsstufe?“

[GEJ.11_052,09] Sagte Ich: „Diese Frage könntest du dir eigentlich selbst beantworten; denn es ist doch ganz selbstverständlich, daß da niemand gezwungen wird! Ist aber ein Land durch einen breiten Strom getrennt, und es kommt ein geschickter Baumeister, der eine Brücke schlägt, und ruft nun alle, die bisher ans jenseitige Ufer nicht gelangen konnten, zusammen, mit ihm hinüberzugehen zum jenseitigen Ufer, – werden ihm da alle folgen? Jedenfalls der größere Teil, und die Zurückbleibenden werden gewiß nach einiger Zeit des Harrens, so sie sehen, daß die ersten nicht zurückkommen, auch hinübergehen, – noch dazu, wenn sie sehen, daß das jenseitige Ufer im hellen Sonnenschein daliegt und lieblich anzusehen ist!

[GEJ.11_052,10] Sieh, so ein Baumeister bin Ich! Und jeder wird bestrebt sein, den Aufgang der Brücke auch nach Mir zu finden; denn der innere Geist wird ihm sagen: ‚Es gibt noch ein höher, köstlicher Ding als das, was du dir bereitet hast durch dein gerechtes Leben; suche danach!‘

[GEJ.11_052,11] Und jeder Suchende, der das Leibesleben abgeschüttelt hat, wird auch diese Brücke finden können, gleichviel, ob er durch Meine euch jetzt gegebene Lehre oder durch die eines von Mir erweckten anderen, früheren oder späteren Lehrers zu einem Gerechten geworden ist.

[GEJ.11_052,12] Solchen Gerechten trete Ich Selbst schon zur geeigneten Zeit als Brückenzöllner entgegen, und sie entrichten dann freiwillig ihre Maut, das ist, sie nehmen die Lehre an: Der Vater ist in dem Sohn, und wer den Sohn sieht, sieht auch den Vater!

[GEJ.11_052,13] So werden sie dann ebenso aufgenommen wie alle die, welche von Anfang an Meine Wege wandelten.

[GEJ.11_052,14] Darum sollt ihr aber auch nicht verächtlich auf die Heiden sehen; denn Ich sage euch, es sind darunter Gerechtere, als da jemals unter dem Volke der Juden gewandelt haben, und darum werden auch die Heiden angenommen und die Juden verworfen werden!“

[GEJ.11_052,15] Sagte Petrus: „Herr, wenn es unter den Heiden so gerechte Menschen gibt, wie haben sie denn diese Gerechtigkeit erlangt?“

[GEJ.11_052,16] Antwortete Ich: „Ich sagte dir ja schon, daß stets Abgesandte Meines Geistes diese belehrten, welche das Licht aus Meinen Himmeln überbrachten und die Menschen je nach ihrem Verständnis belehrten. Diese Abgesandten lehrten aber vor allen Dingen das Versenken in das Innere des Geistes, so daß jeder, der in sich die Wahrheit finden wollte, diese auch finden konnte; das ist aber, wie ihr wißt, die Wiedergeburt der Seele. Dieses Versenken habe Ich euch auch oft anempfohlen als ein geeignetes Mittel, die Seele frei und rein zu machen von allen Flecken und Makeln ihrer Selbstsucht und dadurch zu Mir zu gelangen.

[GEJ.11_052,17] Übet euch auch darin, damit das innere Auge sich mehr öffne und ihr an euch erfahret, was der Geist alles offenbaren kann, wenn er erst in euch lebendig geworden ist! Wie das aber geschieht, wisset ihr von Mir ganz genau, und so handelt denn auch danach!“

[GEJ.11_052,18] Die Jünger zogen sich nun alle zurück und dachten viel über Meine Worte nach, die sie sehr beherzigten. Zumal war es Petrus – der bisher sich wenig mit den Eigenschaften abgegeben hatte, die der Geist der Seele bringen kann –, welcher sich nun sehr befleißigte, sein Geistesauge offen zu halten, um sich und seine Umgebung mehr zu erkennen.

 

53. Kapitel – Das geistige Schauen.

[GEJ.11_053,01] Es sind hier nun einige Worte über das geistige Schauen hinzuzufügen für die, welche Meine Wege wandeln und an sich selbst erkennen wollen, wieweit die Seele schon im Leibe entwicklungsfähig ist. Es soll hier nicht gelehrt werden, besondere wunderbare oder magische Eigenschaften zu erlangen, oder das Rezept gegeben werden, nur nach diesen zu streben, sondern es soll der Weg angegeben werden, wie die mannigfachen Herzenszweifel überwunden werden, die die Seele empfindet, solange sie das Fleisch nicht gelockert hat. Dieses aber ist der wahre Zweck: unabhängig vom Fleische mit allen seinen Gelüsten, Zweifeln und Irrtümern zu werden, um in der eigentlichen, echten und wahren Welt, in welche die Seele nach dem Tode völlig frei und unabhängig eingehen soll, sich wohl zu fühlen und in sie eingehen zu können.

[GEJ.11_053,02] Es liegt auf der Hand, daß das Seelenleben ganz von selbst sich zeigen muß, wenn die einschnürenden Fesseln des Fleisches sich lockern. Und alle, die wohl mein Wort hören, sonst aber nichts von diesem inneren Seelenleben verspüren, stecken eben noch ganz in ihren Fleischesbanden, sind Hörer aber nicht Täter des Wortes.

[GEJ.11_053,03] Jeder, der die Fesseln abstreift, erhält einen klareren Blick über Menschen und Natur, zunächst nur in der Art, daß er meint, seine Beobachtungsgabe sei sehr geschärft; in Wahrheit aber ist es das Sichregen des Geistes, der freiere Bewegung erhält. Sodann gewöhne sich der Mensch, in sich zu blicken, das heißt die Bilder zu erkennen, welche sein geistiges Auge unabhängig von seinen fleischlichen Augen sieht und beobachten kann, so wird er schnell, wenn er in der Liebe zu Mir steht und auf diesen Grund weiterbaut, zu den Eigenschaften des Geistes gelangen, welche ihr ‚Hellsehen‘ nennt, was jedoch keine magische, sondern eine ganz natürliche Eigenschaft der Seele ist, gegen welche sie sich allerdings ebensogut verschließen kann, wie ihr im Fleische euch gegen die Ausbildung verschiedener Fähigkeiten verschließen könnet.

[GEJ.11_053,04] Bei Krankheiten, in denen oftmals eine Lockerung der Seele vom Körper stattfindet – die aber sodann wegen der Schwächung des Körpers eine Art ungesunden Hellsehens ist, weswegen da viele Unrichtigkeiten vorkommen –, ist ein Leben der Seele in ihrer dem Körper fremden Welt nichts Ungewöhnliches, und viele Phantasien sind da weiter nichts als Entsprechungsbilder der Seelenwelt, – Entsprechungsbilder darum, weil die Sprache des Geistes, mit der er zur Seele spricht, nicht Worte, sondern nur vollständige Begriffe sind, während Worte erst die Begriffe mühsam vermitteln.

[GEJ.11_053,05] Diese Fähigkeit auszubilden, die Sprache zu verstehen, welche als Entsprechungssprache wenigstens im Worte euch bekannt ist, ist nicht nur zu Lebzeiten nützlich, sondern sogar notwendig, weil sonst nach dem Leibestode sich die Seele im Geisterreiche vorkommt wie ein Fremder, der in ein ihm stockfremdes Land eintritt, dessen Sprache er nicht versteht, und dem es nur mit größter Mühe gelingt, sich verständlich zu machen, – nur mit dem Unterschied, daß die Bewohner dieses Landes wohl den Fremdling, nicht aber dieser die Einheimischen begreift, die sich erst in die schwerfälligen Fesseln des Seelenlebens wieder einfügen müssen, um die ungewohnt gewordene, schwerfällige Körpersprache wieder anzunehmen, die den Verkehr nur durch Worte, nicht aber durch Gedankenreihen vermittelt.

[GEJ.11_053,06] Geistig vorgeschrittene Menschen bedauern daher auch oft die Unmöglichkeit, ihre Empfindungen genügend in Worten ausdrücken zu können, oder die Unmöglichkeit, den Gedankenflug so schnell zu fixieren, durch Schrift oder Sprache, wie der Geist es die Seele schnellstens erschauen läßt. Das wäre alles nicht möglich, wenn es diese Sprache des Geistes in schnellen Bildern und Begriffsreihenfolgen nicht geben würde.

[GEJ.11_053,07] Es gibt daher mehr, als Wort und Schrift vermitteln können, und niemand möge daher glauben, daß die höchst entwickelte Schriftsprache oder Rednergabe das Glänzendste sei, was die Seele des Menschen ausdrücken kann; denn das sind nur sehr schwache Ausflüsse des innersten Geistesbestrebens, die Seele teilhaftig werden zu lassen dessen, was in dem Geiste höchst vollendet verborgen liegt. Niemand glaube auch daher, etwas Besonderes zu leisten, wenn er für einen Meister dieser äußeren Mittelwege gehalten wird. Er ist nur ein elender Stümper gegen die Reichhaltigkeit des inneren Meisters, der seine Gaben nicht nach außen hin entfaltet.

[GEJ.11_053,08] Das Streben, diesen jedoch in sich durch Meine Kraft und durch die Liebe zu Mir zur vollendetsten Sprache zu bringen, heißt Meine Wege und Mir nachwandeln; denn Ich ging zur Erdenzeit im Fleische denselben Weg und mußte mühsam Stufe für Stufe erringen gleichwie jeder andere Mensch. – Kehren wir jetzt zu den Meinen zurück!

 

54. Kapitel – Von der Heiligkeit Gottes.

[GEJ.11_054,01] Petrus hatte Meine Worte sich ganz besonders tief ins Herz geschrieben, und mit der ihm eigenen tatkräftigen Willensstärke ging er auch sofort daran, seine Seele auszubilden, wo es ihm noch mangelte. Er zog sich alsogleich von den übrigen zurück, um das innere Auge öffnen zu können, und blieb einige Tage für alle fast unsichtbar.

[GEJ.11_054,02] Es ist hier wiederum zu betonen, daß Meine Jünger hier versammelt waren, um aus eigenem, freien Antrieb, unabhängig von Meiner Person und ganz ohne jede äußere Nötigung durch die Umgebung, eine Art freiwilliger Prüfung sich selbst gegenüber durchzuführen, so daß die schon errungenen, von Mir aber für ihren späteren Apostelberuf gegebenen Eigenschaften jetzt ihr ausschließliches Eigentum werden konnten. Von diesem Gesichtspunkte aus ist alles zu betrachten, was in Ephrem geschah.

[GEJ.11_054,03] Nachdem Petrus sich wieder mehr in dem Kreise der Brüder zeigte, von denen jeder seine Wege des inneren Lebens für sich ging – weswegen dieses Zurückziehen gar nicht einmal sehr bemerkt wurde, da er bei den regelmäßigen Mahlzeiten sich stets einfand, schweigend kam und ging –, so blieben eines Abends die Jünger länger als gewöhnlich beisammen, veranlaßt durch die Frage des Jakobus, weswegen wohl die Heiligkeit Gottes sich durch die Sünden der Menschen verletzt fühlen könnte, da doch gerade diese Sünden oftmals das Mittel zur Läuterung seien und auch diese Möglichkeit des Sündenbegehens von Gott zugelassen sei. Es müsse demnach doch mit diesem Satze des Tempels noch eine besondere Bewandtnis haben, da doch gerade Ich auch viel mit Sündern verkehrt hätte und noch nie durch die ärgsten Sünder Mich verletzt gefühlt habe.

[GEJ.11_054,04] Es gab da ein Durcheinanderreden vieler Art, indem Meine früheren Lehren hervorgeholt wurden und jeder sich einen besonderen Standpunkt gebildet hatte, von dem er die Heiligkeit Gottes betrachtete. Johannes erklärte denn schließlich eingehend, daß unter ‚Heiligkeit‘ im wahren Sinne die große, selbstverleugnende Liebe Gottes zu verstehen sei, die allerdings durch das Widerstreben gegen die Liebe in der Sünde verletzt werden könnte, ebenso wie ein guter Vater sich durch lieblose Kinder wohl verletzt, aber deswegen noch nicht erzürnt fühlen wird, sondern nach möglichst sanften Mitteln suchen wird, diese Lieblosigkeit auszurotten und, falls die sanfteren Mittel nichts fruchten, erst zu strengen und strengsten greifen wird, nicht aber aus Zorn, sondern lediglich aus Liebe und zu dem rechten Zwecke.

[GEJ.11_054,05] Die sämtlichen Jünger erklärten sich mit diesen Worten einverstanden, jedoch fügte Petrus dem noch hinzu, daß die Heiligkeit Gottes nicht nur die große Liebe Gottes bedeute, sondern auch die große Weisheit, mit welcher Er alles Geschaffene eingerichtet habe in seiner großen, vollkommenen Zweckmäßigkeit. Diese Ordnung, welche die Zweckmäßigkeit in sich schließe, nicht zu stören, sei die heiligste Pflicht des Menschen. Aber gerade darin sei so unendlich viel von der Menschheit gesündigt worden, daß sie sich der Ordnung entgegengestellt und dadurch auch die Zweckmäßigkeit der Naturgesetze zu ihrem Schaden zu zertrümmern gesucht habe. So sei die Sündflut entstanden, weil die Ordnung und damit die Zweckmäßigkeit gestört worden sei, welche die Berge als Belaster unterirdischer Wasserbecken erfüllen, nachdem die Hanochiten die Berge sprengten. Und so sündige der Mensch auch jetzt noch gegen die Ordnung, und damit verletze er die Heiligkeit Gottes in der Ordnung, indem er seinen Körper mißbrauche und sich der Völlerei und Unzucht ergebe, wodurch der Körper unbrauchbar werde, als Sitz einer gesunden Seele zu dienen. Die Ordnung aber zu erkennen, in der wir leben sollen, sei ein wichtiger Schritt zur Wiedergeburt, und daher habe er auch in diesen Tagen erkannt, wie notwendig das Versenken in sich selbst sei, weil nur durch das Suchen in sich selbst es möglich sei, von Gott gelehrt zu werden und die Wahrheit zu erkennen.

[GEJ.11_054,06] Fragten die andern, ob er denn das getan habe. Petrus bejahte und erklärte, er habe das mit großem Fleiße in diesen Tagen getan und sei auch überzeugt, jetzt den Weg gefunden zu haben, um ein rechter Jünger unseres Herrn und Meisters zu werden. Er sei zwar überzeugt, daß die Brüder alle die letzten Worte des Herrn beherzigt hätten und nach Erreichung der nahen Ziele strebten; aber er fühle sich gedrängt, seine Beobachtungen zu schildern, da doch der eine oder der andere etwas daraus für sich entnehmen oder auch ihm etwas mitteilen könne, was wieder ihm, dem Petrus, zu nützen vermöchte.

 

55. Kapitel – Der Weg zur inneren Vollendung.

[GEJ.11_055,01] Die Brüder baten ihn nun nochmals, seine Gedanken und Erfahrungen zu berichten, und Petrus begann: „Liebe Brüder, wir sind nun bald drei Jahre stete Begleiter des Herrn, der uns eingeführt hat in alle Wunder Seiner Welt, und wir zweifeln wohl alle nicht, wen wir in Person in Wahrheit vor uns haben; aber trotz der Erkenntnis dieser Wahrheit und des Bewußtseins, in unmittelbarer Nähe Dessen zu wandeln, der unser aller Schöpfer ist, wollte es mir dennoch manchmal nicht gelingen, gelinde aufsteigende Zweifel ganz zu besiegen, welche mir zuflüsterten: ‚Alle deine Erkenntnis und dein Bemühen ist nutzlos, da du doch niemals imstande sein wirst, diejenige Reinheit zu erlangen, welche dich überhaupt berechtigt, in der Nähe Dessen zu bleiben, der wahrhaft ein Mensch ohne Fehl ist.‘ Dieses Bewußtsein der Sündhaftigkeit, welche uns wohl allen anhaftet, hat mir manche Träne aus zerknirschtestem Herzen erpreßt, und nur durch die liebende Zusprache des Herrn wurde ich aufgerichtet und mit neuem Mut erfüllt, die so vergeblich scheinende Arbeit wiederaufzunehmen.

[GEJ.11_055,02] Es ist mir auch so ziemlich gelungen, den Glauben als festestes Gut mir unerschütterlich zu erhalten, daß in unserem Herrn und Meister das einzige Vorbild zur Vollendung liegt; aber nicht ist es mir bisher geglückt, zu glauben, selbst nur eine kleinste Stufe dieser Vollendung zu erreichen. Wohl aber den Willen hierzu zu festen, ist mir gelungen, um mit festem Vorsatz auch nicht durch das Bewußtsein eigener Unwürdigkeit von der Erreichung des fernen Zieles abzulassen.

[GEJ.11_055,03] Ich erkannte aber nun, daß die Gesetze der Ordnung zu erforschen jedenfalls ein Bestreben sei, durch dessen Erreichung es uns weit leichter sein dürfte – wenigstens für viele –, die Seele von den vielen Schlacken zu reinigen; denn wessen Auge imstande ist, die äußeren, weisheitsvollen Einrichtungen zu erkennen, die das Mittel zur Schulung der Seele bilden, der wird von diesen äußeren Einrichtungen auch sehr bald zu dem eigentlichen inneren Zweck derselben dringen, und sein Herz wird zunächst mit Staunen, Bewunderung und Ehrfurcht erfüllt werden und dann doch ganz sicher in die Liebe zu dem allmächtigen Wesen übergehen müssen, das hier in Seiner heiligen Ordnung die größte Zweckmäßigkeit errichtete zum Heile und zum Fortschritt des gesamten Universums, das in dem einen Ziel gipfelt, Wesen zu bilden, die in seligster Gemeinschaft mit dem Gottgeiste wirken und schaffen können.

[GEJ.11_055,04] Weiterhin wird dieses Erkennen aber auch der Ansporn sein, alles zu unterlassen, was der Ordnung zur Erreichung dieses höchsten Zieles entgegen ist, und dadurch wird die Seele bestrebt sein, gut und gerecht vor Gott zu leben. Nur die ärgsten Toren und Teufel in Menschengestalt können sich den erkannten Gesetzen zu ihrem eigenen leiblichen und geistigen Schaden entgegenstellen.

[GEJ.11_055,05] Seht, liebe Brüder, dieser Gesichtspunkt leitete mich schon längst; aber erst hier bin ich jetzt zu dem Ziele gekommen, daß ich mit wachenden Augen imstande bin, aus eigenem Wollen, nicht durch die erst vom Herrn durch Seine Willensmacht geöffnete Sehe, die äußeren Naturgesetze zu erkennen, welche die erhabensten innersten Liebegesetze umkleiden, und ich hoffe, damit auch ein gutes Stück in der eigenen Ausbildung vorwärtsgekommen zu sein.“

[GEJ.11_055,06] Fragte Andreas, wie er denn das gemacht habe, diese innere Sehe zu erhalten. Er zwar halte nicht viel davon, auch die äußere Sehe zu erhalten, da das Verständnis des Wortes ihm höher stehe und diese innere, geistige Sehe ihm wichtiger wäre als alles Erkennen der äußeren Naturgesetze; doch gehe in diesem Urteil eben jeder nach seinen eigenen Überzeugungen, weswegen er keinesfalls des Petrus Bestreben als nicht gut benennen wolle.

[GEJ.11_055,07] Petrus meinte nun, diesen Weg zu betreten sei nicht schwer, da nur Glaube an Gott und Willenskraft nötig seien, denjenigen Gegenstand, den man erforschen wolle, zu durchdringen. Sodann erscheine deutlich beim Betrachten der äußeren Form auch gleichzeitig die innerste, und der Geist erkläre sodann auch deutlich die durch Anschauung nun sichtbar gewordenen Gesetze.

[GEJ.11_055,08] Es sei aber ganz selbstverständlich, daß beim Betrachten der vielen Dinge, die sich darbieten, nun nicht etwa die Seele nur ein Vergnügen daran finden dürfe, diese äußeren Fähigkeiten zu erhalten, ohne die Stimme des Geistes in sich klar ertönen zu lassen. Beides müsse stets zusammengehen, und sodann sei auch die Ausbildung dieser Eigenschaften der Seele bei gesundem Körper sicherlich kein Fehler.

[GEJ.11_055,09] Er habe nun zum Beispiel beobachtet, wie sich die Pflanzen aufbauten, und habe da so recht erkannt, wie die Seelensubstanz der Pflanze ebensogut in sich ein völlig abgeschlossenes, aber nur noch weiter entwicklungsfähiges Wesen sei wie der Mensch selbst. Während er früher in den Pflanzen nur Auswüchse der belebten Erde gesehen habe – ungefähr wie einem Menschen am Körper Haare wachsen –, so wüßte er nun, daß dem nicht so sei, sondern daß jedes Pflänzchen ein abgeschlossenes Seelenganzes, wenn auch in Unvollkommenheit, darstelle, das sich seinen Körper ebensogut aufbaue wie die vollendete Seele des Menschen. Zwar habe er wohl schon früher aus den Erklärungen des Herrn gewußt, wie die Entstehung der menschlichen Seele durch die sichtbare Welt geschehe, aber einen so eingehenden, bis ins einzelne gehenden Blick, den er jederzeit wiedererhalten könne, habe er doch noch nicht gehabt, und es sei ihm vieles, was er früher mehr als wahr gefühlt, jetzt greifbar wahr geworden.

[GEJ.11_055,10] Es entstand nun ein mannigfaches Fragen hauptsächlich der Jünger, die nicht zu den Zwölfen gehörten, die von Petrus noch mancherlei Aufschlüsse wünschten, was hier jedoch als unwesentlich übergangen werden kann. Nur sei noch bemerkt, daß bei diesen Gesprächen die Frage aufgeworfen wurde, ob denn die unvollkommenen Seelenteile, welche in Augenblicken der geöffneten Sehe vielen schon sichtbar geworden wären, bewußt wären, und ob in den niederen Stufen der anorganischen Körper mit diesem Bewußtsein ein Empfindungsvermögen Hand in Hand ginge, wie doch wohl anzunehmen sei, und ob dieses für bestimmte Zwecke notwendig wäre.

 

56. Kapitel – Über das Empfindungsvermögen.

[GEJ.11_056,01] Petrus gab über diese Punkte nun folgende Erklärungen ab, die er aus der Anschauung gewonnen hatte:

[GEJ.11_056,02] Erstlich habe er gesehen, wie die Form von der Seele aufgebaut werde – stets zu dem Zweck der Weiterentwicklung, nicht aber, nur um ein möglichst bequemes Haus zu haben. Es sei das ungefähr so, wie wenn ein Läufer sich ein Ziel stecke und nun emsig trachte, dasselbe zu erreichen, dabei aber stets berücksichtige, wieviel Kraft er seinem Körper streckenweise vorgeben lassen könne, um zu seinem Ziel zu gelangen. Die Seele stecke sich hier auch das Ziel, eine gewisse Reife zu erlangen, die aber nur mittels der Form erworben werden könne; daher sei diese dem Zwecke angemessen angenommen und der Charakterfärbung nach gewählt.

[GEJ.11_056,03] Daraus gehe aber hervor, daß schon in den untergeordnetsten Stufen ein Selbstbewußtsein, wenn auch noch so gering, vorhanden sei, da ohne dieses eine geistige Entwicklung nicht möglich sei. Nicht aber sei ein körperliches Empfindungsvermögen in den unteren Stufen vorhanden. Dieses sei erst eine Folge entwickelteren Seelenlebens und beginne auf der Grenze derjenigen Wesen, bei denen die Säftezirkulation besteht.

[GEJ.11_056,04] (Petrus:) „Pflanzen zum Beispiel haben daher ein Empfindungsvermögen, wenn auch niederen Grades, die untersten Stufen der Tierwelt aber schon ein weit höheres.

[GEJ.11_056,05] Die Säftezirkulation ist ein Bestreben, von einem Mittelpunkte aus den Organismus zu beleben und dadurch zum Selbstbewußtsein zu entwickeln, indem diese Konzentrierung einen Lebenskern bedingt, der beim Menschen im Herzen zu finden ist. Die Pflanzen haben zwar noch kein Herzorgan, jedoch im innersten Mark ein Lebensprinzip, das sich durch das Bestreben kundgibt, den Baum, die Pflanze zu nähren und zu erhalten, und zwar durch geeignete Säftezirkulation in einem ungemein feinen Röhrensystem, das im Frühjahr und im Herbst in Tätigkeit tritt.

[GEJ.11_056,06] Solche Zirkulation benötigt aber stets eines Erregers in Gestalt von Nerven, die bei den Pflanzen noch sehr grob sind, bei den Tieren aber immer feiner werden. Stets haben diese Nerven das gemeinsam, Erregungsvermittler von äußeren und inneren Reizen zu sein und durch geeignete Organe sich vor schädigenden Reizen zu schützen, bei nützenden sich deren Wirkung hinzugeben. Die Blume schließt und öffnet deshalb den Kelch, das Tier flieht daher oder setzt sich dem wohltuenden Einfluß aus.

[GEJ.11_056,07] Mir scheint es dadurch zweifellos, daß die Gesamtheit der Schöpfung das Empfindungsvermögen erst dann erhält, wenn die Seelentätigkeit weit genug gediehen ist, um gleichzeitig den Wunsch nach Weiterentwicklung zum Bewußtsein zu bringen. Und dieser Wunsch ist die treibende Liebe, welche der Herr als leise anspornendes Mittel jedem Wesen mitgegeben hat, und wodurch das Ziel der Umgestaltung des Weltalls erlangt wird – ohne Zwang, sondern nur aus eigenster, freier Entschließung, die Wege der Vervollkommnung auch wandeln zu wollen. Dieser Treiber aber ist der Geist aus Gott, der erst im Menschen lebendig werden kann, die Form in sich aufnimmt und sodann vor Gott dasteht als Sieger, der die äußere Form durchbrochen und gleichsam in sich verschlungen hat.

 

57. Kapitel – Der Herr und Ephraim.

[GEJ.11_057,01] Nachdem die Jünger mit diesen Auseinandersetzungen des Petrus sich einverstanden erklärt und noch mancherlei aus ihren eigenen Urteilen hinzugefügt hatten, ergriff nun Johannes das Wort und setzte den Brüdern auseinander, daß doch vornehmlich Meine Liebesorge stets darauf bedacht sei, das Endziel mit möglichster Sicherheit für das Individuum zu erreichen, und daß hauptsächlich dieses Endziel auch die Wege bestimme, welche das Individuum bei seiner Entwicklung bis zum Menschen zu gehen habe. Da aber nun aus sehr weisen Gründen jeder Mensch anders geartet sei, so sei auch da eines jeden Menschen Seele bis zur vollen Entwicklung anders geleitet, weswegen sich ein allgemeines, feststehendes Gesetz, welche Wege eine werdende Seele zu wandeln habe, wohl nur im Allgemeinen feststellen lasse, nicht aber im Besonderen, da Gott nur allein das Endziel kenne und kein anderer – sogar das betreffende Wesen selbst nicht einmal – sich darüber klar sein könne, zu was für einer Stellung im Dienste Gottes es gelangen würde und könne.

[GEJ.11_057,02] „Daher, liebe Brüder“, fuhr Johannes fort, „befleißigt euch vor allem Wissen zunächst einer rechten Liebe und Demut, damit der Herr euch ungehindert leiten kann! Wollet nichts als nur Seine Liebe, so gelanget ihr zur größten Erkenntnis, und diese ist: Wohnung zu nehmen im Herzen Gottes, wo ihr alsdann alles erschauet, nicht durch euch selbst, sondern durch Gottes Liebe, die es euch wie Schuppen von den Augen fallen lassen wird!“

[GEJ.11_057,03] Als die Jünger nun noch so mancherlei über den angeregten Gegenstand sprachen, geschah es, daß an der einen Fensteröffnung des großen Saales ein Geräusch entstand, als wenn ein Mensch sich dort festzuhalten suche, der in Gefahr ist, herabzustürzen. Schnell eilten die Jünger hinzu und fanden einen Mann, sich an der Brüstung festklammernd, der offenbar ihren Reden gelauscht hatte, dabei das Gleichgewicht verlor und nun hinabzustürzen drohte. Er wurde hinaufgezogen und freundlich gefragt, ob er denn keinen Schaden genommen habe, und wie er denn da zu der ziemlich hohen Fensteröffnung hinaufgekommen sei.

[GEJ.11_057,04] Der Mann, erst etwas verstockt wie ein ertappter Verbrecher, sagte alsbald freundlich, da er nicht unwillige Gesichter auf sich gerichtet sah: „Liebe Freunde, ich sehe nun wohl, daß ich mich sehr in euch geirrt habe, und bitte euch daher auch alles von Herzen ab, was ich euch in meinen Worten, euch unbewußt, angetan habe! Aber erlaubt, daß ich genauer aussage, was mich hergeführt hat, und warum ich beinahe verunglückt wäre!

[GEJ.11_057,05] Seht, ich bin ein Einwohner der Stadt Ephrem und habe euch schon lange, seit eurem Hiersein, beobachtet und mir allerhand Gedanken gemacht, was ihr denn wohl in diesem Mauernest treiben möchtet, und wer ihr sein möget. Da haben denn manche meiner Verwandten und Freunde gesagt, ihr seiet Essäer, die hier Zauberei trieben und damit umgingen, eine neue Verschwörung gegen die Römer in Jerusalem zu planen, wozu hier ein geeigneter Ort sei. Andere wieder meinten, ihr seiet wohl Zauberer, die vieles fertigbrächten – zum Beispiel auch die so ungemein schnelle Herstellung dieser Burg –, aber keine Verschwörer, dazu taugte euer freundliches, offenes Wesen nicht.

[GEJ.11_057,06] Ich aber verlachte diesen Zauberglauben an euch, wie ich denn überhaupt von solchen Dingen nichts halte, sondern weiß, daß alles auf Erden nur mit sehr natürlichen Dingen zugeht, gelobte mir aber, selbst ergründen zu wollen, wer und was ihr seid. Ich habe mich daher schon öfter des Nachts aufgemacht und dieses Wohnhaus umkreist, ob nicht eine Gelegenheit zu erforschen sei, meine Neugierde zu befriedigen. Stets aber hielt mich eine eigenartige Scheu davon ab, zu euch einzudringen.

[GEJ.11_057,07] Heute aber wurde das Verlangen in mir so mächtig, daß ich um jeden Preis euer Geheimnis ergründen wollte, und so traf ich denn Maßregeln, zu euch eindringen zu können. Vor jenem Fenster, an dem ihr mich ergriffet, steht ein Baum, der seine Zweige weit ausbreitet. Ich nahm einige starke Stangen mit und legte diese von den Zweigen auf das Fenstergesims und konnte so auf dieser Brücke recht gut hierhergelangen und euer Gespräch belauschen. Die große Aufmerksamkeit nur, mit der ihr euch unterredetet, hat meine frühere Entdeckung verhindert, und eure Reden ergriffen mich so, daß ich ganz vergaß, ein Eindringling zu sein und am liebsten gleich zu euch hineingesprungen wäre. In dieser Selbstvergessenheit achtete ich gar nicht mehr auf meine leichte Brücke und stieß unversehens an die Stangen, die nun herabfielen. In dem Verlangen, dieses zu verhindern, wäre ich selbst fast gestürzt, wenn ihr nicht herbeigeeilt wäret.

[GEJ.11_057,08] Ich bitte euch nun, liebe Freunde, mir verzeihen zu wollen; denn daß ich kein Dieb oder verbrecherischer Eindringling bin, werdet ihr mir wohl glauben, – wenigstens habe ich an eurer Weisheit schon gehört, daß es wohl schwer sein würde, euch zu täuschen!“

[GEJ.11_057,09] Sagte Petrus: „Lieber Freund, was hätten wir wohl zu verzeihen, da wir doch alle recht gut wissen, daß weniger deine Neugierde, als dein innerer Geist es gewesen ist, der dich hierher zu uns getrieben hat? Ferne ist es uns daher, in dir irgendeine verbrecherische Absicht zu vermuten. So komme denn, setze dich zu uns, stärke dich und laß uns miteinander reden, wie es sich für aufrichtige und wahrhafte Männer ziemt! Willst du irgend etwas von uns wissen, so frage nur! Wir werden dir gewißlich gern Rede stehen.“

[GEJ.11_057,10] Der Ephremite, der nun seine anfängliche Scheu gänzlich verloren hatte, setzte sich denn auch zu den Jüngern, stärkte sich und fragte dann bald ganz ungeniert nach allen möglichen Dingen: unserem Herkommen, was wir hier wollten, und warum wir gerade dieses Mauernest zu unserm Aufenthalt ausgewählt, und vieles andere Persönliche über die Jünger, was ihm dann auch ganz offen beantwortet wurde.

[GEJ.11_057,11] Als er nun auch wußte, daß die Meinen Jünger des ihm wohlbekannten Nazareners seien, fragte er sofort nach Mir und wollte Mich durchaus sehen. Petrus verwies ihm die etwas ungestüme Art seines Wesens und sagte, er solle sich gedulden, wüßte doch keiner von ihnen, ob ihr Meister es auch dulden wolle.

[GEJ.11_057,12] Darauf sagte der Ephremite ganz kühn: „Freunde, ich habe es von jeher so gehalten, stets an die Quelle zu gehen, nicht aber lange den Abzügen eines Flusses nachzuforschen, wenn es galt, auf den Kern einer Sache einzudringen! Ich vermutete gewißlich, daß etwas Besonderes hinter euch stecke, und es ist auch schon seit langem mein Wunsch, den Heiland kennenzulernen und von Ihm Selbst die Worte zu hören, die ich so nur auf Umwegen erlangen konnte. Ist es da nicht sehr begreiflich, daß ich mit allen Kräften so schnell als möglich mich Ihm zu nähern suche, zumal mein Herz sich so mächtig nach Ihm sehnt?! Würdest du deinem Kinde gebieten können, fern von dir zu bleiben, wenn es dich umarmen möchte? Ich aber weiß sehr wohl aus der Schrift und aus vielen anderen Dingen, die jetzt geschehen sind, wen ich in Jesus von Nazareth vor mir habe. Und so war es eigentlich auch das innere Gefühl, hier von Ihm etwas zu erfahren, was mich hertrieb, weswegen es auch wahr ist, als du sagtest, der Geist treibe mich, nicht die Neugierde.

[GEJ.11_057,13] Ist es aber wirklich so, daß hier der König Zions haust, von dem David und alle Propheten weissagten, so wird Er Sich auch nicht dagegenstellen, daß ein einfaches Menschenkind, das nur ein Herz voll höchster Liebe Ihm entgegenbringt und nichts weiter als diese Liebe, nicht vergebens an Seine Türe pocht und um Einlaß bittet. Ich glaube, den höchsten Geist, der nun in einem Körper Wohnung nahm, besser zu kennen, als daß ich nicht meinen könnte, Er wisse genau, was hier geschieht, und erwarte mich, um mein Liebesopfer in Empfang zu nehmen!“

[GEJ.11_057,14] Sagte Petrus ganz verwundert: „Höre, Freund, du redest hier unsern Ohren eine Sprache, die uns mindestens ungewohnt ist; denn noch nie sahen wir einen Menschen, der, ohne den Herrn zu kennen, so von Ihm geredet hätte! Woher weißt du so genau, wer Er so eigentlich ist?“

[GEJ.11_057,15] Sagte der Ephremite: „Nun, das muß doch wohl einem jeden sofort klarwerden, wenn er Augen zu sehen und Ohren zu hören hat!? Beide Leibesorgane sind bei mir aber noch in recht gutem Zustande, sodann auch mein Verstand und wohl auch mein Herz, das eine viel deutlichere Sprache zu reden versteht als der erstere, – und daher habe ich auch alle meine Sinne offengehalten und erfahren, was andere nicht durch die handgreiflichsten Beweise erfahren konnten.

[GEJ.11_057,16] Braucht man denn immer zu sehen, um zu glauben? Muß man stets die fremden Länder gesehen haben, um glauben zu können, daß sie bestehen? Sicherlich nicht! Nun, siehst du, Freund, so geht's auch mir! Was ich hörte, genügte mir, um, nachdem ich es durchgeprüft, zu glauben, und daher weiß ich nun auch, wen ich in eurem Meister zu suchen habe, und ich bin dessen völlig gewiß, daß ich auch in Ihm finden werde, was ich suchte und fest von Ihm glaube.“

[GEJ.11_057,17] Als der Ephremite so geredet hatte, trat Ich in den Saal ein und rief ihm zu: „Selig sind, die da glauben und nicht sehen! Und so sei du Mir denn als der letzte aller derer, die nur durch Mein Wort zu Mir gelangen, willkommen, und bleibe hinfort bei Mir, damit dein Glaube gekrönt werde! Du heißt Ephraim und sollst Mir von jetzt ab zur Säule werden, die eine gute Stütze gibt für den Bau Meines Reiches. Ihr andern aber nehmt euch ein Beispiel an diesem, damit ihr lernt, was es heißt, nach dem Herzen zu leben und allein dessen Willen und Empfindungen zu folgen!“

[GEJ.11_057,18] Ephraim eilte nun zu Mir, völlig überwältigt von seinen Gefühlen, und es folgte nun eine jener Szenen, wie sie schon öfter beschrieben worden und bedingt sind durch die Liebe des Kindes, das seinen Vater erkennt und nun in seligster Freude begrüßt.

[GEJ.11_057,19] Nachdem diese Szene vorüber war und Ich Ephraim gestärkt hatte, erklärte Ich den Jüngern, daß nun der letzte derer gewonnen sei, die als Zeugen Meiner irdischen Laufbahn aus dem Weltall zur Erde niedergekommen seien, um als Stütze Meines Reiches zu dienen, und daß nun damit die Zahl derer erfüllt sei, welche berufen seien, Lehrer zu werden für Mein Schulhaus des Geistes, welches zu errichten und durch Sein Beispiel zu besiegeln der Menschensohn erschienen sei.

[GEJ.11_057,20] Die Jünger wurden nochmals ermahnt, festzuhalten an allem, was sie gesehen und gehört hatten, und die kurze Spanne Zeit wohl zu benutzen, sich recht zu festigen für die Zukunft, damit sie Sieger bleiben könnten sich selbst gegenüber und dadurch auch den Menschen gegenüber.

 

58. Kapitel – Der Abschied von Ephrem. Aufbruch nach Bethanien.

[GEJ.11_058,01] Es ist nun in der nächsten Zeit nichts besonders Wichtiges geschehen nach außen hin. Wir lebten sehr ruhig und gleichmäßig. Und da nun starke Kälte für Palästina eingetreten war, die sich in der rauhen Berggegend ziemlich stark fühlbar machte, so waren die Jünger mehr als sonst in dem schützenden Hause in Geselligkeit beisammen und tauschten Rede und Frage eifrig aus. Alle waren emsig bemüht, sich recht im Geiste zu bilden, und es wurde daher vieles nochmals von ihnen besprochen, was Bezug auf Mich und Meine Lehre hatte, das zu wiederholen unnütz ist, da es schon in anderer Form des öfteren gesagt wurde.

[GEJ.11_058,02] Nur eines ist hier noch zu berühren. Es fiel ihnen auf, daß dieser Winter eine für Palästina ungewöhnlich niedere Temperatur zeigte, und sie forschten da nach den Gründen, woher dieses kommen möge. Da sahen sie denn im hellsehenden Zustande, daß das Land bedeckt war von den schon öfter genannten Friedensgeistern, Elementargeistern, denen besonders die Ordnung aller irdischen Verhältnisse zusteht, und wie diese eifrig bemüht waren, alle aufsteigenden hitzigen Seelenpartikel möglichst zu fangen und zu sänftigen. Es war das ein großer Kampf in der Natur, der sich durch die erwähnte Kälte stark fühlbar machte.

[GEJ.11_058,03] Sie fragten Mich, woher dieser Kampf gerade jetzt entstände, und Ich erklärte ihnen kurz, daß dieses im engsten Zusammenhang stände mit dem Zu-Ende-Gehen Meiner Mission. Jetzt jedoch würden die aufsteigenden Zornelemente, welche erregt würden durch den Widerstand des verlorenen Sohnes, noch gewaltsam bezwungen, damit das Werk nicht gestört und das Volk, welches sich durch seine Sünden zur Aufnahme derselben und zu dadurch entstehender Verhärtung der Seelen sehr empfänglich gemacht habe, nicht verderbt werde. Vor Toresschluß, bevor das Maß zum Überlaufen voll sei, werde stets die Barmherzigkeit zu verhindern suchen, daß ein jeder sich selbst verderbe. Wenn jedoch auch eine letzte große Warnung nicht beachtet werde, so trete das Gesetz herein, und die Folgen aller Sünden würden sich furchtbar geltend machen.

[GEJ.11_058,04] So sei es auch mit den Juden. Ändern sie ihre Gesinnung nicht, verschließen sie nicht ihre Seele gegen die Empfänglichkeit und Aufnahme der vielen Zornelemente durch Umkehr von den bisher betretenen Wegen, so werden diese nicht mehr zurückgehalten werden, und es wird damit das Verderben über Menschen und Land hereinbrechen.

[GEJ.11_058,05] Als wir nun fast drei Monate in Ephrem zugebracht hatten, kam eines Tages ein Knecht des Lazarus, welcher heimlich abgesandt worden war, zu uns und verlangte Mich zu sprechen.

[GEJ.11_058,06] Ich ließ ihn zu Mir, und er sagte (der Knecht): „Herr und Meister! Lazarus, der von Dir Erweckte, sendet mich zu Dir und bittet Dich, Du wollest ihm Rat und Hilfe spenden! Die Priester des Tempels sind ihm jetzt aufsässiger denn je, seitdem er von den Toten auferstanden ist und drohen ihm mit Verfluchung, so er nicht gestehe, daß er nicht gestorben gewesen sei, da es noch nie in Wahrheit geschehen, daß ein Toter zurückgekehrt sei. Ihm wird gedroht, er solle das verfluchte Wasser trinken, um zu beweisen, wieweit Gott mit ihm sei. Lazarus aber kennt die Arglist und weiß sehr wohl, daß man ihm im letzten Falle ein ganz besonderes Wasser geben würde, das ihn mit Sicherheit zum zweiten Male sterben ließe. Er weiß jedoch nun nicht, ob er, im Vertrauen auf Dich, sich ihnen dennoch stellen oder dem Tempel, der doch von Gott gegründet worden ist, nun ganz entsagen soll.“

[GEJ.11_058,07] Sagte Ich ihm: „Sage Meinem lieben Lazarus, er solle Gott da suchen, wo er Ihn zu finden glaubt! Weiß er, daß Er im Tempel wohnt, so tue er, was der Tempel verlangt; weiß er aber, daß Jehova dort nicht wohnt, was fragt er da nach dem Tempel und dessen Priestern? Mir sind die Kinder am liebsten, welche sich mit dem Vater im Herzen einigen und dort lauschen, was Er ihnen zu tun gutheißt! – Geh und sage das deinem Herrn!“

[GEJ.11_058,08] Der Bote, der einer der Getreuesten des Lazarus war, ging sofort und brachte ihm diese Nachricht, worauf Lazarus sich keinen Augenblick besann und sich völlig vom Tempel lossagte und den Bedrängern drohte, er würde römischer Bürger werden und sich völlig unter den Schutz Roms stellen, wenn man ihn noch länger beunruhige. Die Priesterschaft ließ ihn denn nun auch ungestört, weil ihr durch die Ausführung dieser Drohung jede Aussicht auf einstmaligen Besitz seiner Güter verlorengegangen wäre, während sie so noch auf krummen Wegen zu ihrem Ziele zu gelangen hoffte.

[GEJ.11_058,09] Es war nun allmählich die Zeit herangekommen, in der die kalte Zeit aus Palästina wich und die ersten Vorbereitungen des Osterfestes sich bemerkbar machten. Zu dieser Zeit wallfahrten viele Juden nach Jerusalem, die sodann ihr Haus wohl bestellten, damit in ihrer Abwesenheit daselbst nichts in Unordnung geraten könne. Und so bemerkte man denn auch in Ephrem eine größere Rührigkeit der Einwohner, die sich rüsteten, einige Zeit in dem nahen Jerusalem zubringen zu können.

[GEJ.11_058,10] Damit nahte nun die Zeit, in der Mein Leib geopfert werden sollte, und die Seele beschlich Traurigkeit und Vorgeschmack der großen Leiden, die Meiner harrten. Gleichzeitig aber wurde sie durchströmt von dem Bewußtsein der großen Aufgabe, die zu erfüllen war, und sie fügte sich dem Willen des Vaters. Die Jünger sahen den Kampf und fragten Mich besorgt, was mit Mir wäre. Ich aber wies sie alle zurück und sagte ihnen, es würde noch in Kürze alles offenbar werden.

[GEJ.11_058,11] Wenige Tage hatten wir noch in Ephrem zuzubringen. Daher versammelte Ich die Meinen und sagte ihnen, sie sollten sich zur Reise bereitmachen, da wir zu Lazarus ziehen würden, um bei ihm Wohnung zu nehmen.

[GEJ.11_058,12] Petrus warnte Mich nochmals vor den Templern, und Ich sagte ihm: „Jetzt ist die Zeit gekommen, wo des Menschen Sohn als schwach befunden werden wird und es Seinen Feinden gelingen wird, Ihn zu überwältigen, ihnen zum Gericht, aber der Welt zum Heil.“

[GEJ.11_058,13] Petrus war darüber ganz bestürzt und sagte Meine Worte den Brüdern, die ebenfalls besorgt wurden um Mich. Petrus aber trug von jener Stunde an stets ein Schwert heimlich bei sich, bereit, sein Leben für Mich zu opfern, falls die Häscher kämen, Mich zu fangen.

[GEJ.11_058,14] Der Tag des Abschiedes nahte nun heran. Ich übergab dem Vorsteher der Stadt unsere Burg mit allem, segnete ihn und durch ihn die Gemeinde, berief die Jünger, und schnellstens begaben wir uns nun zur Landstraße, welche nach Jerusalem führte, da wir noch selben Tages bei Lazarus eintreffen wollten, um dort zum letzten Male einen Aufenthalt zu nehmen, bevor Meine irdische Laufbahn abgeschlossen werden sollte.

 

59. Kapitel – Über die Zulassung des Krieges.

[GEJ.11_059,01] Als wir nach mehrstündiger Wanderung die Straße erreichten, welche von Jericho nach Jerusalem führt, hatten wir Gelegenheit, uns eine kleine Rast zu gönnen, weil ein größerer Trupp römischer Soldaten, welche ihre Quartiere wechselten und nach Rom zurückbefördert werden sollten, die Straße einnahm. Wir lagerten uns daher etwas abseits, um den Zug erst vorbeiziehen zu lassen, dem wir sodann zu folgen hatten, um Bethanien zu erreichen.

[GEJ.11_059,02] Als nun Meine Jünger diese straffen, starken Menschen betrachteten, die alle wettergebräunt und markig aussahen – sie gehörten zu Kerntruppen, die in Jericho, als einem damaligen Weltplatz, aus besonderer Bevorzugung überwintert hatten –, meinte Jakobus zu Mir, ob denn diese Leute wohl wirklich eine rechte Freude an ihrem Kriegerhandwerk fänden, oder ob der doch auch in ihnen wohnende Geist sich nicht rege, um ihnen klarzumachen, daß der Krieg doch die Unbrüderlichkeit und die Loslassung aller möglichen Laster bedeute. Schließlich wurde Mir die Frage gestellt, wieso Ich denn den Krieg überhaupt zulasse, wodurch so viele blühende Menschenleben und Existenzen vernichtet, die Seelen verroht und oft gänzlich verdorben würden. Alle blickten Mich fragend an, da noch niemals diese direkte Frage gestellt wurde.

[GEJ.11_059,03] Ich forderte daher alle auf, sich Mir mehr zu nähern, damit Ich nicht allzulaut zu sprechen brauchte und die Aufmerksamkeit der Vorüberziehenden nicht erregt würde, und sprach also: „Es ist stets notwendig, daß ihr bei Betrachtung aller Dinge, die sich im menschlichen Leben dem Auge zeigen, niemals nach der Außenseite urteilt, sondern stets nach dem inneren Wesenheitskern. Materielle, äußere Dinge und geistige, innere, das heißt entsprechende Dinge können im scheinbar größten Widerspruch stehen, weil sie sich oftmals polar zueinander verhalten, ja, als sich völlig entgegenstehende Begriffe so verhalten müssen, trotzdem eines ohne das andere nicht bestehen kann. Treten diese Gegensätze recht grell vor eure Augen, so glaubt ihr unerklärliche Widersprüche zu entdecken, die jedoch für des Geistes Auge durchaus keine solchen bedeuten. So zum Beispiel hier:

[GEJ.11_059,04] Der römische Soldat, dessen Gewerbe der erlaubte Mord ist, wie steht er in seiner äußeren menschlichen Stellung, die gewiß nicht Meiner Friedenslehre entspricht, zu seinem inneren Menschen, der doch auch von Gott ist und zu Gott zurückkehren soll? Ja, wie ist es möglich, fragt ihr, daß Ich es zulasse, daß eine Seele, mit dem göttlichen Geistesfunken beschenkt, sich in solche Verkehrtheiten verstrickt?

[GEJ.11_059,05] Ihr glaubt hier keine Erklärung entdecken zu können; denn wenn Ich auch auf den freien Willen des Menschen hinweise, durch den derselbe ja in seiner äußeren Stellung ergreifen kann, was er will, so werdet ihr fragen: ‚Ist es denn aber gerade notwendig von Dir, den Menschen soviel Freiheit zu gestatten, daß sie diese zu Mord und Totschlag benutzen, und wäre es nicht besser, diese Freiheit dahin wenigstens zu beschränken, daß sie nicht benutzt werde zu soviel unredlichem Weh und Leid auf Erden?‘ Ja, ihr werdet fragen: ‚Kann die Gottheit, welche die wahrhafte Liebe ist, bei so unendlich vielem Unglück und fürchterlichstem Elend, wie sich die Menschen bereiten, denn so ruhig zuschauen, ohne zu zucken oder Halt zu gebieten? Muß diese so liebevolle Gottheit nicht eine gefühllose Gottheit sein, die eine Art Freude empfindet am ruhigen Zuschauen, wie sich Ihre Geschöpfe zerfleischen? Ein jeder Mensch würde, so ihm die Kraft dazu ist, bei so vielem Elend nicht ruhig zusehen, sondern das Mitleid allein würde ihn schon zwingen, hinzuzuspringen und mit heiligstem Ernste den streitenden Parteien ein Halt zu gebieten. Warum tut das nun die Gottheit nicht, die doch über alle Kräfte gebietet?‘

[GEJ.11_059,06] Sehet, so fragt gar manche zagende Seele, in die schon viel Meines hellsten Lichtes geflossen ist, und beginnt zu zweifeln an der wahren Liebe und sogar an dem Vorhandensein eines Gottes der Liebe, verirrt sich in allerhand Abgründe des Zweifels und fällt schließlich von dem wahren Glauben ab.

[GEJ.11_059,07] Ich will euch aber ein Licht geben, welches alle diese Fragen genügend beleuchtet. So höret denn!

[GEJ.11_059,08] Es ist zunächst zu betrachten, wie der Mensch sich zum Menschen stellt, und dann, wie er, als in der Materie lebend, sich zu Gott stellt, – oder anders: Wie neigt er sich in seinen Begriffen zu dem Sichtbaren und Unsichtbaren?

[GEJ.11_059,09] Da ist es nun ganz natürlich, daß der einfache, seelisch noch unentwickeltere Mensch, der seinen Gedankenflug naturgemäß zunächst nur auf das ihn umgebende Äußere richtet, auch nur nach dem urteilt, was er sieht und hört. Nur das rein Äußere der Erscheinungen wird ihn zunächst anziehen; er wird es beurteilen, seine Schlüsse ziehen und aus den gemachten Erfahrungen heraus es verstehen, sich die äußere Umgebung zunutze zu machen. Erst wenn er so weit eingedrungen ist, um dieses Äußere der Naturbegebenheiten zu beherrschen, wird der Verstand ihn anregen, nach dem Warum zu fragen und dieses zu erforschen. Der Entwicklungsgang ist aber in der materiellen Welt stets der, daß erst die äußere Hülle studiert und dann der geistige Kern oft nur sehr mühsam herausgeschält wird.

[GEJ.11_059,10] Ihr wißt aber nun, daß die Entwicklung des Tierreiches sowie des vorangehenden Pflanzenreiches auf der Vernichtung der äußeren Form beruht, unbeschadet des in ihr waltenden inneren Lebensprinzips, welches die Vervollkommnung erstrebt. Dieses äußere Naturbeispiel bleibt natürlich dem nicht seelisch entwickelten Menschen auch nicht verborgen, ja es lebt in ihm als zu überwindende Seelenstärke, da seine Lebensbahn diesen Zerstörungssinn in sich einschließt. Er ahmt es also auch insofern nach, als er das Recht des Stärkeren für sich beansprucht und auch ausübt, solange er sich in dem Zustande befindet, der die innere seelische Entwicklung noch behindert. Erst wenn Zeitperioden eintreten, in welchen die seelische Ausbildung obenan steht, wo gewisserart das rein äußerliche, materielle Beobachten als ein überwundener Standpunkt betrachtet wird, kann diese Seelenhärte nicht mehr auftreten und das Recht des Stärkeren im Menschen gänzlich verschwinden. Es tritt dann das Recht des erleuchteten Menschengeistes in Kraft, welches weit unüberwindlicher ist als die erste physische Kraft.

[GEJ.11_059,11] Jene Soldaten aber stehen sämtlich auf der Stufe der rein äußeren Naturbeobachtung, die sie das Recht des Stärkeren lehrt – um seelische Entwicklung kümmern sie sich noch nicht –, ahmen daher auch diesen Kampf in der Natur nach und empfinden vorläufig auch gar keine Leere in sich. Ja, sie können sogar dabei recht gute Menschen sein, sogar gutmütig, solange sie keinen eingebildeten Feind in Gestalt eines fremdländischen, kriegführenden andern Soldaten vor sich haben, dem sie jedoch als erbittertster Gegner gegenüberstehen, sowie die Trompete zum Streite ruft.

[GEJ.11_059,12] Diese Erziehung jedoch muß Ich walten lassen, weil das Erkennen des inneren Kernes nur möglich ist durch das Hindurchdringen durch die harten äußeren Schalen, der Menschengeist aber nicht anders zu erwecken ist als durch Erfahrung.

[GEJ.11_059,13] Experientia docet heißt es hier, und wie wahr dieses Sprichwort ist, wißt ihr; denn durch Erfahrung lernt ein Schüler mehr als durch hundert auswendig gelernte, unerprobte Regeln. Die Erde ist aber ein Schulhaus, wo die Geister durch Erfahrung klug werden sollen; daher ist ihnen auch hier die mannigfachste Gelegenheit gegeben, Erfahrungen über Erfahrungen zu sammeln, damit der Geist schnell ausreife. Wie aber diese Summe schwerer, bitterer und unangenehmer Erfahrungen, welche einem wilden Bergstrom gleichen, zu einem sanft gleitenden, ruhigen Fluß eingedämmt wird, sagt Meine Lehre, und Mein Leben soll und wird stets ein Beispiel bleiben, wie alle Erfahrungen dazu dienen, den Geist im Menschen Gott nahe, ja innig nahe zu bringen.

[GEJ.11_059,14] Wenn ihr daher eure Erfahrungen mißachtet, so werdet ihr auch niemals kluge Bauleute am Reiche Gottes werden können; denn allezeit heißt es bei Mir, auf praktischem Wege die Menschen zu erziehen. Meine Stimme kann aber in der Menschenseele meist erst dann klar ertönen, wenn durch viele bittere Erfahrungen aller Art die Seele verinnerlicht wurde und von dem Äußeren sich abgewendet hat.

[GEJ.11_059,15] Will also die Menschheit durch äußere Kämpfe und Kriege hindurchgehen, in denen es sich doch nur darum handelt, eine möglichst große Machtstellung zwischen zwei Staaten zu behaupten oder zu erringen, so wird die Erfahrung sehr bald lehren, wie wenig Glück und Zufriedenheit sowie innere Geistesentwicklung möglich ist, wenn Kriegsgeschrei die Länder durchtobt und alle Lebensfreuden untergräbt.

[GEJ.11_059,16] In späteren Zeiten wird denn auch der Krieg als ein Unding, als ein dem Menschen verabscheuungswürdiger und nicht rühmlicher Zustand erkannt werden, während jetzt noch Ehre und Ruhm von ihm erwartet wird, und der Krieg wird völlig verschwinden. Das Menschengeschlecht wird sich nach Abwendung von diesen äußeren Kämpfen den inneren zuwenden, und jeder wird durch Besiegung des inneren Feindes mehr Ruhm vor Mir erringen können als der siegreichste Feldherr vor den Augen seines Imperators.

[GEJ.11_059,17] Zu dieser Erkenntnis ist aber die Erfahrung nötig, deren Weg durch viele Mühsale und Irrungen hindurchgeht. Diese Schule ist einzig und allein die, welche wirklich eine freie Entschließung der Menschenseele zuläßt. Daß aber Gott Selbst zusehen kann, liegt doch einfach darin, daß hier das Ziel höher steht als alles andere. Die Mittel, welche das Ziel erreichen helfen, sind jedoch höchst weise und schließen stets die sicherste Wirkung in sich.

[GEJ.11_059,18] Wenn ein Vater ein ungezogenes Kind besitzt, das wenig Neigung hat, seinen Worten und Geboten zu gehorchen, so wird er ihm auch Gelegenheit geben, durch irgendeine böse Erfahrung recht gründlich anzurennen, wird aber dabei suchen, möglichst die bösen Folgen zu lindern. So ist es auch bei Gott und den Menschen. Gott sucht allezeit die Mittel hervor, welche sanft sind, muß jedoch, falls diese wirkungslos bleiben, selbst zu den kräftigsten greifen, um die Menschheit auf der Bahn zu erhalten, welche zum Ziele des Friedens und der reinsten Glückseligkeit führt.

[GEJ.11_059,19] Wenn aber ein Mensch diese Bahnen nicht wandeln will, weil er alles mißachtet, was ihm durch diese Erziehungsmethode in den Weg gelegt wird, so ist es doch ganz natürlich, daß diese Mißachtung ihn schließlich ins Verderben führen muß, weil er keineswegs durch Schaden klug werden will, sondern sogar alle Hemmnisse, die sich ihm entgegenstellen, geradezu herausfordert, so daß er leicht sein Leibesleben einbüßen kann durch Nichtbeachtung der einfachsten Vorsichtsmaßregeln, die dem Klügeren sich von selbst aufdrängen. Wie kann aber da die Gottheit verantwortlich gemacht werden für das, was der einzelne Mensch selbst aus eigenstem Antrieb verschuldet? Sie ist also da weder grausam noch ist Sie irgendwie geneigt, ein Vergnügen an den Leiden Ihrer Geschöpfe zu finden, sondern Sie ist lediglich gezwungen, des Zieles wegen Ihre Liebe zurückzudrängen und die Weisheit vorherrschen zu lassen.

[GEJ.11_059,20] Da habt ihr also nochmals eine Erklärung für das, was in ähnlicher Form euch schon des öfteren gesagt worden ist. Betrachtet demnach die Außendinge nur von ihrem inneren Zusammenhange aus, damit ihr nicht mehr auf allerhand Zweifel und Widersprüche stoßet!“

 

60. Kapitel – Barabbas.

[GEJ.11_060,01] Während die Jünger sich noch über das Gehörte aussprachen, sahen wir, wie ein Trupp Soldaten mehrere Menschen zwischen sich führte, welche anscheinend Gefangene waren. Es waren das mehrere Menschen, welche gegen die Verordnungen Roms gefehlt hatten und nun nach Jerusalem zu Pilatus geführt werden sollten, um nach den Gesetzen Roms verurteilt zu werden.

[GEJ.11_060,02] Einer ward schwer gefesselt zwischen zwei Soldaten geführt, die mit gezogenen Schwertern neben ihm gingen, bereit, ihn bei dem geringsten Fluchtversuch niederzuhauen.

[GEJ.11_060,03] Philippus fragte Mich, was denn der wild aussehende Mann verbrochen habe, und wer er sei.

[GEJ.11_060,04] Ich antwortete ihm: „Dieser ist ebensowohl ein Werkzeug Gottes, wie ihr es seid, wenn er auch seine Fähigkeiten nicht in die Dienste des Vaters gestellt hat. Er muß dienen, den Sohn zu verherrlichen, ebensogut wie ihr berufen seid, Sein Werk zu verbreiten.“

[GEJ.11_060,05] Fragten Mich verwundert die andern, wie Ich das meinte.

[GEJ.11_060,06] Ich verwies ihnen diese Frage, weil in kürzester Zeit die Tatsachen ihnen die Antwort geben würden.

[GEJ.11_060,07] Es war aber der Gefangene, der so scharf bewacht dahergeführt wurde, ein Anführer der räuberischen Wüstenbewohner, welche den Gesetzen der Römer nicht untertan sein wollten, und welche in den Gebirgen so viele Schlupfwinkel besaßen, daß die römische Justiz ihrer nicht habhaft werden konnte, ähnlich wie auch noch jetzt im südlichen Palästina und ostwärts des Jordans die dortigen Stämme ein ungebundenes Leben führen und der türkischen Herrschaft spotten.

[GEJ.11_060,08] Dieser Mann hieß Barabbas, war ungemein kühn und verwegen und hatte den Römern schon manches kleine Gefecht geliefert, als sie Truppen aussandten, den Anführer zu fangen. Er genoß im Volke ein gewisses Ansehen durch seine Verwegenheit, welche ihn stets glücklich durch alle Gefahren hindurchführte, so daß sich ein gewisser Sagenkreis um seine Person gebildet hatte, wie es bei ähnlichen Charakteren auch in späteren Jahrhunderten oft geschehen ist.

[GEJ.11_060,09] Trotz seiner Räubereien galt er als ein nicht unedler Charakter, der dem geringen Manne nie Leides tat, sondern ihn beschützte, wo es in seiner Macht stand. Er war jedoch ein geschworener Feind der Reichen und namentlich der Römer, die ihn unterjochen wollten. Als letzterer stand er bei den Juden in hohem Ansehen, da auch sie die Römer haßten. Er fand sogar im Tempel einen gewissen Schutz, da dieser hoffte, durch Barabbas einen Einfluß auf die arabischen Völker zu gewinnen.

[GEJ.11_060,10] Als er jedoch gar zu frech wurde und eine römische Kolonne, welche nach Petra zog mit Geldern und Schätzen für den dortigen Prokonsul, überfiel, wurde ihm von dem römischen Heerführer in Petra eine Falle gelegt und er nach heftigstem Widerstand gefangengenommen. Bei dem stattgefundenen Kampf erschlug Barabbas den Sohn des Statthalters von Petra und wurde nun, des Aufruhrs und des Mordes bezichtigt, nach Jerusalem gesandt, um von Pontius Pilatus abgeurteilt zu werden.

[GEJ.11_060,11] Dieser Barabbas nun wurde in Jerusalem zunächst in das allgemeine Richthaus abgeführt, um sodann, nachdem eine umfassende Klage durch die Zeugenverhöre aufgestellt wäre, dem römischen Gerichtshof überliefert zu werden. Solange letzteres aber nicht geschehen war, hatte Pontius Pilatus als der oberste Herr über Judäa vollständige Gewalt über ihn und war nur dem Kaiser allein für sein Tun und Handeln verantwortlich.

 

61. Kapitel – Ankunft in Bethanien. Aufenthalt bei Lazarus. Des Judas Rückkehr. Sein Gespräch mit dem Herrn.

[GEJ.11_061,01] Die Römer waren nun mit ihrem Troß und den Gefangenen vorübergezogen, so daß auch wir jetzt unseren Weg fortsetzen konnten.

[GEJ.11_061,02] Nach kurzer Zeit näherten wir uns Bethanien, wo Lazarus wohnte, und dieser, welcher in seinem Innern getrieben, schon große Sehnsucht nach Mir hatte, weswegen er täglich nach seinem Lieblingsplatze hinaufstieg, um Umschau nach Mir zu halten, stand auch jetzt auf dem Aussichtspunkte. Sobald er nun unsern Trupp auf der Straße herankommen sah, fühlte er auch im Herzen, daß Ich es sei, und er eilte uns schnellstens entgegen, dabei nach seinen Knechten rufend, die es im Hause verkünden sollten, daß der Herr wieder ankomme.

[GEJ.11_061,03] Lazarus fand uns denn nun auch bald auf der Straße, und es ist überflüssig, von seiner sowie der Seinen Freude zu berichten als sie nach längerer Trennung uns wiedersahen und uns in ihrem Hause wieder aufnehmen konnten.

[GEJ.11_061,04] Es folgten nun sehr bedeutsame Tage, welche dazu angetan waren, sowohl Lazarus als auch Meine Jünger davon zu überzeugen, was Mein Endziel mit der Menschheit sei, weswegen ihnen noch vieles eröffnet wurde, was jetzt nochmals der Welt zu offenbaren nicht an der Zeit ist. Später jedoch wird dieses geschehen.

[GEJ.11_061,05] Wir saßen meistens abends in dem bekannten großen Saale der Herberge auf dem Ölberg, welche ebenfalls dem Lazarus gehörte, beisammen, weil hier viel Volk zusammenströmte und dieses ebenfalls Mich sehen und hören sollte.

[GEJ.11_061,06] Kaum war es denn auch offenkundig geworden, daß Ich Mich wieder öffentlich zeigte und Lazarus ebenfalls – der seit seiner Erweckung sich sehr zurückgezogen hatte und ein still-beschauliches, inneres Leben führte, wodurch er Mich weit mehr erkannte als früher und über Mein Handeln und Tun, sowie über Meine Lehre als auch Meine Person nun gar keine Zweifel oder Unklarheit empfand –, als auch ein überaus großer Zulauf von Jerusalemer Juden und noch mehr solcher aus den Landen, die des Festes wegen nach Jerusalem gekommen waren, stattfand. Hauptsächlich waren es die Nichteinheimischen, welche von der Wundertat und von Mir gehört hatten, die oft der Neugierde wegen, aber auch aus reineren Gründen, zu uns kamen. Alles, was überhaupt von dem jüdischen Volke nur einigen guten Sinnes noch war, ist auch in jener Zeit in Meiner Nähe gewesen, damit die Seelen erleuchtet werden konnten, so daß Meine Jünger und Ich vollauf zu tun hatten, um alle die Herandrängenden, in ihrer Seele Dürstenden zu erquicken. –

[GEJ.11_061,07] Doch ist hier nicht etwa zu denken, als ob dieses nur von den Juden allein gelten sollte. Auch viele Fremde – Griechen, Römer und andere Völker –, die von Mir gehört hatten und nicht so recht wußten, was sie aus Mir machen sollten, kamen in diesen Tagen und wurden aufgeklärt, so daß die Tage bis zu Meiner Verurteilung einen reichen und letzten Fischzug bedeuten für alles, was noch zu erlangen war.

[GEJ.11_061,08] Diese Tatsache zu wissen ist notwendig, damit das Weitere auch verstanden werde. –

[GEJ.11_061,09] Am Abend des ersten Tages nun, da wir bei Lazarus ankamen, hatten wir uns von dem Volk, das sich an diesem Tage noch nicht so sehr viel einfand, zurückgezogen und waren in dem Saal, der uns stets zur Zusammenkunft diente, allein, als plötzlich Judas Ischariot zur Tür hereintrat und uns alle begrüßte. Die Meinen waren schon recht froh gewesen, ihn so lange nicht gesehen zu haben, und hofften, ihn überhaupt nicht wiedersehen zu müssen, und zogen daher etwas krause Gesichter bei seinem Gruß.

[GEJ.11_061,10] Er fragte Mich ganz höflich, ob Ich ihm gestatte, sich zu uns zu gesellen, worauf Ich ihm erwiderte, er könne tun nach seinem Belieben.

[GEJ.11_061,11] Judas erzählte nun viel von Jericho und von seinem Treiben daselbst, daß er für Mich gearbeitet habe und hoffe, Meine Zufriedenheit zu erlangen. Er schilderte hierbei mit lebhaften Farben, wieviel Elend er aber auch daselbst und auch auf seinem Wege hierher gefunden habe, wie das arme Volk gedrückt werde und in Knechtschaft schmachte. Ja, er kam in eine solche rednerische Begeisterung, daß alles ihm erstaunt zuhörte, da noch niemand die wirkliche Gewalt seiner Rede so mächtig empfunden hatte.

[GEJ.11_061,12] Er (Judas) schloß mit den Worten: „O Herr, hätte ich nur ein Zehntel Deiner Kraft in mir, wie wollte ich da in Kürze all der Gewalttätigkeit der Großen ein Ende machen, das Volk, welches, in Fesseln geschlagen, zu Jehova um Rettung schreit, befreien und froh und glücklich machen, daß es den Namen seines Herrn und Gottes lobe und jauchze vor Freude! – O Herr, wie lange kannst Du nur noch zaudern und die Bitten ungehört verhallen lassen?

[GEJ.11_061,13] Siehe, Er ist da, der König, den zu empfangen Israel bereit ist, und Er zeigt Sich nicht! Er verhüllt Sich noch, der sehnlichst erwartete Messias, der Sohn Davids, der Mann mit der Macht Gottes in Sich. Er zaudert, diese große Macht zu entfalten zum Heile Seines Volkes, und Israel muß trauern und weiterhin wehklagen, ob seines tiefen Falles.

[GEJ.11_061,14] O Herr, erbarme Dich des Volkes, der Armen und Betrübten! Führe sie ein zum Glück; denn siehe, Zion wartet seines Königs!“ –

[GEJ.11_061,15] Nach diesen Worten, aus denen deutlich hervorklang, wie Judas in Mir auch den weltlich befreienden Messias erhoffte, der nicht zu sein Ich doch oft betont hatte, entstand eine große, erwartungsvolle Stille, und Ich erwiderte ihm: „Habe Ich nicht die Armen jederzeit zu Mir gerufen?! Sind die Betrübten nicht von Mir getröstet, die Kranken gesund und die Armen reich gemacht worden, soweit sie dessen bedurften?! Wer zaudert also? Nicht Ich, – die Welt zaudert, die nicht zum Heile kommen will! Doch wird des Menschen Sohn bald zu der Höhe der Macht gelangen, die erreichbar ist, damit die Welt sehe, daß Er wohl erlangen könne, wohin die Welt strebt, und was ihr wünschenswert erscheint. Jedoch nicht zum Heile der Welt, – zum Heile Meiner Himmel soll dieses geschehen! Und so beruhige dich denn nur mit dem, was du schon gesehen hast und baldigst noch sehen wirst!“

[GEJ.11_061,16] Judas schwieg nun und freute sich in seinem Herzen; denn er glaubte, durch seine Worte nun den Anstoß gegeben zu haben, daß Ich vielleicht doch auch einen entscheidenden Schritt tun würde, das Volk vom Römerjoche zu befreien, wozu er die Kraft in Mir recht wohl wußte.

[GEJ.11_061,17] Er war aber zu diesen Begriffen, die, wie er wohl wußte, nicht in Einklang standen mit Meinen bisherigen Reden, durch folgenden Umstand gekommen: Als er sich in Jericho aufhielt, suchte er soviel als möglich von seinen Talenten Gebrauch zu machen und sprach auch von Mir und Meiner Sendung oftmals vor größerem Volk. Dadurch erwarb er sich ein gewisses Ansehen, zumal es ihm auch wirklich gelang, in Meinem Namen einige Heilungen zu bewirken.

[GEJ.11_061,18] Herodes, welcher in Jericho überwinterte, hörte ebenfalls von ihm. Schon lange begierig, mit Mir, dem Wundertäter, wie er Mich nannte, in Berührung zu kommen, ließ er ihn zu sich berufen, um Näheres von Mir zu hören. Judas, als unverfrorener Mensch, benutzte diese Gelegenheit eifrigst für sich, sich als Schüler des Nazareners hinzustellen, und verstand es auch, dem König durch sein Auftreten eine gewisse Achtung einzuflößen, da seine Worte durch sein gutes Gedächtnis unterstützt wurden und somit oft ganze Redewendungen wiedergaben, die Ich gebraucht hatte.

[GEJ.11_061,19] Herodes erkannte bald, daß an den vielen Erzählungen und Gerüchten, die von Mir im Munde waren, mehr Wahres sei, als er anfangs geglaubt hatte, und er faßte in seiner Seele den Gedanken, daß ein Wundertäter solch besonderer Art ihm jedenfalls bei den Römern insofern nützen könne, als er dadurch, wenn es nötig sei, sie in Furcht und Schrecken setzen könne.

[GEJ.11_061,20] Herodes und Pontius Pilatus, der Landpfleger, waren Feinde, weil sich jener durch diesen bedrückt sah. Die Willkür des Herodes wurde von Pontius Pilatus stets eingeschränkt, sowie sie nur irgend eine Machtentfaltung verlangte, weswegen nun wieder Herodes, der stets in sich den Wunsch nach der unabhängigen Herrschaft über Judäa und Syrien nährte, arg erbittert wurde. Eine übernatürliche Gewalt nun, die der Macht der Römer nicht untertan, wäre ihm sehr willkommen gewesen. Aus diesem Grunde war er auch gegen den Johannes nicht feindlich gesinnt gewesen, der ihm als ein Prophet erschien, und schwerlich hätte er ihn töten lassen, wenn er nicht dazu überlistet worden wäre.

[GEJ.11_061,21] Judas als guter Menschenkenner hatte in Jericho Gelegenheit genug gehabt, sich über des Herodes und der Römer Reibereien zu erkundigen. Er merkte auch sehr bald, wohinaus das große Interesse des Königs ging. Er meinte nun, Meiner Sache nur zu dienen, wenn er bestrebt sei, Mir die Wege zur Machtentfaltung zu bahnen, und wußte nicht genug von der außerordentlichen Kraft Meines Willens zu berichten, dem alles auf Erden untertan sei. Namentlich glänzte in seinen Erzählungen die Vernichtung jener grausamen Krieger, welche Ich von wilden Tieren töten ließ, – als Beweis dafür, daß Ich den römischen Waffen unüberwindliche Wesen entgegenzustellen vermöchte.

[GEJ.11_061,22] Judas, welcher ebenso wie das jüdische Volk den befreienden Messias in äußerlicher Weise erwünschte und Mich als den Geeignetsten für diese Mission vermeinte, wurde durch diese Zusammenkünfte noch mehr in der falschen Ansicht bestärkt und fühlte in sich den Antrieb, möglichst zu dieser Seite Meines Werkes beizutragen. Er erhielt von Herodes den Auftrag, Mich zu veranlassen, zu ihm zu kommen, da er den direkten Befehl aus Furcht vor Meiner Kraft nicht auszusprechen wagte.

[GEJ.11_061,23] Die Übersiedlung nach Jerusalem zu dem Feste wurde als der günstigste Zeitpunkt vereinbart, und so kam denn Judas wieder zu uns als ein Abgesandter des Herodes, um Mich für die weltlichen Pläne des Königs zu gewinnen und mit ihm denen des Tempels geneigt zu machen.

[GEJ.11_061,24] Es versteht sich von selbst, daß Ich von diesen Plänen sehr genau unterrichtet war und daher nicht erst nötig hatte, Mich mit Judas selbst in irgendein Gespräch einzulassen. Er aber vermeinte, daß Ich wohl nicht imstande sei, diese geheimsten Gedanken zu lesen; denn er, als ein bei allen guten Anlagen des Geistes dennoch materieller Mensch, war durchaus nicht so tief in das Wesen und Verständnis Meiner Person eingedrungen, um etwas anderes als nur einen sehr begabten, mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgerüsteten Menschen in Mir zu sehen. Er meinte wohl – wie er ja auch genugsam Beweise hatte –, daß Mir niemand äußerlich widerstehen könne; aber ob innerlich die geheimsten Züge des Menschenherzens Mir offenbar seien, zweifelte er an. Ich war ihm gegenüber zwar stets freundlich-liebevoll, aber doch verschlossener als jedem andern gegenüber, so daß er die Sprache Meines Geistes, welche allein nur durch die Liebe des Geschöpfes zu Mir erschlossen wird, und die er Mir nicht bot, nicht verstehen konnte.

[GEJ.11_061,25] Er gab sich denn auch später große Mühe, Mir mit glänzendster Rednergabe die Notwendigkeit der äußern Volksbefreiung auseinanderzusetzen, wobei er auf des Herodes Unterstützung anspielte. Ich verwies ihm aber solche Reden ernstlich, so daß er stets verschlossener und in sich gekehrter wurde.

[GEJ.11_061,26] Diese Bemerkung zu geben ist hier nötig, um den Vorgang in seinem Gemüte zu verstehen.

 

62. Kapitel – Jesus wird von Maria gesalbt (Joh.12,1-8)

[GEJ.11_062,01] Als wir nun alle nach der Rede des Judas in Stillschweigen noch dasaßen, ein jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, öffnete sich die Tür und Maria, die Schwester des Lazarus, trat herein. Die Augen auf Mich gerichtet, kam sie zu Mir, ohne sich um die Anwesenden zu kümmern. Sie sank Mir zu Füßen und bedeckte diese mit Küssen. Sodann nahm sie eine Flasche köstlichen Nardenöls, zerbrach diese und salbte Mir mit dem Öl die Füße, diese sodann mit ihrem langen Haare wieder trocknend. Dabei weinte sie laut und bat Mich mit rührender Stimme, Ich möchte diese Salbung doch zulassen.

[GEJ.11_062,02] Es ist nun wenig bekannt, daß nur sehr vornehme Personen sich einen solchen Luxus gestatten konnten; denn ebenso wie das oftmalige Fußwaschen eine unbedingte Notwendigkeit in jener Zeit war, da Schuhe zu tragen von den meisten der Ärmeren verschmäht wurde, so war auch das öftere Salben der Füße notwendig, um die Haut geschmeidig zu erhalten.

[GEJ.11_062,03] Das Nardenöl jedoch hatte besondere belebende Eigenschaften, duftete sehr lieblich und wirkte ungemein erfrischend, war aber seiner gesuchten und seltenen Eigenschaften wegen sehr teuer, so daß eine derartige Fußwaschung zu dem außerordentlichsten Luxus gehörte, den nur sehr Reiche sich gestatten konnten.

[GEJ.11_062,04] Das Haus ward von dem Geruche des Öls auch ganz voll, ein Zeichen von der außerordentlichen Güte desselben, so daß Judas, der stets das Geld arg im Auge hatte, sich nicht der Bemerkung enthalten konnte: „Hätte man nicht lieber die Salbe verkaufen können und mit deren Erlös soundso viele Arme speisen können?! Was bedarf denn der Herr eines solchen Öls, da Ihm doch die Kraft innewohnt, auch ohne eines solchen sich jederzeit zu erfrischen?!“

[GEJ.11_062,05] Dieses sagte er aber nur aus Geiz, da der Reichtum des Lazarus ihm stets ärgerlich war und er auch oft Gelegenheit nahm, anzudeuten, daß die Reichen schwelgten, während rechtschaffene Israeliten Not leiden müßten.

[GEJ.11_062,06] Ich aber antwortete darauf, auf die noch knieende Maria deutend: „Was diese getan hat, hat sie aus Liebe getan, und Mir ist ein jedes Opfer angenehm, das da aus liebevollem Herzen kommt. Mit dieser Tat aber hat sie nicht wohl so sehr Meinen Leib, als Meine Seele gestärkt; denn wo soviel Liebe geboten wird, werde Ich durch diese der Menschheit noch mehr Liebe wiedergeben. Sie hat sich dadurch das Recht behalten, Mir für den Tag Meines Begräbnisses die rechte Kraft zu geben, die die Seele noch braucht, das Schwerste zu überwinden. Und darum soll auch ihre Liebestat nie vergessen werden, und wo ihr Mein Evangelium predigen werdet, sollet ihr auch diese nicht vergessen! Drum lasset sie in Frieden!“

[GEJ.11_062,07] Ich hob nun die noch heftig Weinende vom Boden auf, segnete sie und sagte zu ihr: „Maria, deine Sünden sind dir vergeben von Meinem Vater! Doch was du Mir, dem Sohne, getan, davon werde Ich zeugen vor Meinem Vater, und es wird dir in Seinem Hause tausendfältig und abertausendfältig vergolten werden.

[GEJ.11_062,08] Jetzt aber setze dich zu uns, stärke deinen Leib und verbleibe in unserer Mitte; denn die da Mir Kraft spendete durch ihre Liebe, soll nicht von Meiner Seite gehen!“ –

[GEJ.11_062,09] Diese Tat, die der der Maria Magdalena ähnlich ist, hat zu Verwechslungen Anlaß gegeben. Maria, die Schwester des Lazarus, war es jedoch, welche in reinster Liebe Mir zugetan war als ihrem Herrn und Meister, nicht mit irgendwelcher irdischen Liebe; daher ist auch ihre Tat von ganz anderer Bedeutung als die der Maria von Magdalon. –

[GEJ.11_062,10] Ich wandte Mich nun zu den Jüngern und redete also weiter: „Wer da wahrhaft reich im Herzen ist, kann auch von seinem Reichtum abgeben, ohne daß er selbst arm würde, – ja, um so mehr er gibt, um so reicher wird er noch werden; wer aber arm ist in sich, dem wird noch das wenige genommen werden, weil er es verlieren muß durch sich selbst. Leiblich und geistig Arme habt ihr nun immer um euch, und denen gebet auch stets von eurem Überfluß! Mich aber habt ihr nicht immer, und so werdet ihr auch bald Meinem Leibe nach Mir nichts mehr erweisen können.“

[GEJ.11_062,11] Ich sagte dieses aber, um die Jünger immer wieder auf Mein Hinscheiden vorzubereiten, dessen baldiger Augenblick ihnen nicht vor der Seele stand.

 

63. Kapitel – Erster Verrat des Judas.

[GEJ.11_063,01] Es fragte Mich nun Petrus, ob Ich die Absicht habe, morgen zur Stadt hinabzugehen und im Tempel zu predigen. Als Ich dieses bejahte, riet er Mir dringend davon ab, da er bereits in der Herberge verschiedene Tempeljuden gesehen habe, die Mich mit gehässigen Blicken betrachteten und jedenfalls Übles gegen Mich sannen.

[GEJ.11_063,02] Ich sagte ihm darauf: „Des Volkes wegen muß Ich hinunter, und niemand wird Mich daran hindern; denn nur um dessentwillen bin Ich hierhergekommen, auf daß es erlöst werde!“

[GEJ.11_063,03] Als Judas das hörte, stand er heimlich auf und entfernte sich, ohne daß jemand anders als Ich allein darum wußte.

[GEJ.11_063,04] Er aber ging hinaus zu dem Volk, das sich in und bei der Herberge angesammelt hatte, und erzählte allen, daß Ich da sei und morgen nach der Stadt kommen würde. Sie sollten Sorge tragen, daß es bekannt würde: der Heiland von Nazareth käme zum Fest.

[GEJ.11_063,05] Es waren unter den Fremden in der Stadt aber viele, welche um Meinetwillen überhaupt zum Fest gekommen waren, weil sie sicher glaubten, Mich dann zu sehen. Diese hatten, da es offenkundig war, daß Ich stets bei Lazarus einkehrte, Boten hinausgesandt, zu erfahren, ob Ich da sei, und was Ich wohl zu tun beschlossen habe. Diese erfuhren nun durch des Judas ersten Verrat, was Ich beabsichtigte, und sie brachten es in der Stadt baldigst herum. (Joh.12,9)

[GEJ.11_063,06] Er selbst aber ging ebenfalls nach Jerusalem in die verschiedenen Herbergen und suchte die Fremden und Einheimischen zu bewegen, Mir entgegenzugehen, wenn Ich morgen auf das Fest kommen würde.

[GEJ.11_063,07] Da nun Meine Anhängerzahl eine sehr große war, so wurde es auch schnellstens überall bekannt, zumal es für das Volk selbst nichts Wichtigeres in Jerusalem gab als Mein Auftreten in der Stadt.

[GEJ.11_063,08] Wir saßen, während dieses sich in der Stadt vorbereitete, ganz ruhig in des Lazarus Haus und unterhielten uns nun von mehr gleichgültigen Dingen, als endlich Petrus bemerkte, daß Judas nicht mehr anwesend war. Er machte die anderen Brüder zunächst darauf aufmerksam und fragte Mich sodann direkt, wo denn Judas hingekommen sei.

[GEJ.11_063,09] Ich erwiderte darauf, er solle sich nicht um ihn kümmern. Was er tue, tue er aus freiem Antrieb, und es habe nichts mit dem gemein, was die Jünger anginge.

[GEJ.11_063,10] Er fragte nun auch nicht weiter, sondern äußerte nur seinen Unwillen darüber, daß dieser Mensch doch stets wiederkehre, wo sie alle schon so oft gehofft hätten, ihn nicht wiedersehen zu müssen.

[GEJ.11_063,11] Lazarus meinte nun: „Wenn der Herr ihn forthaben wollte, so wäre Ihm das gewiß ein kleines. Da Er aber ihm stets gestattet, in Seiner Nähe zu bleiben, so ist auch er sicherlich für große Dinge auserlesen, und uns geziemt es daher nicht, irgendwelches Urteil zu fällen, sondern uns selbst dessen zu enthalten.“

 

64. Kapitel – Des Lazarus Erlebnisse im Jenseits.

[GEJ.11_064,01] Um nun nicht mehr auf dieses Gespräch zu kommen, begann Lazarus selbst von seiner früheren Krankheit zu reden und wie er sich noch recht gut aller Einzelheiten vor seinem Tode erinnere, aber nichts mehr von dem wisse, was sodann mit ihm vorgegangen sei.

[GEJ.11_064,02] Das gab nun Gelegenheit, von dem Leben nach dem Tode selbst zu reden, und wie die ankommende Seele im Jenseits sich doch sogleich fühlen möge.

[GEJ.11_064,03] Lazarus fragte Mich, warum er denn so gar kein Gedächtnis mehr von dem habe, was mit ihm in der Zeit geschehen sei, als er im Grabe gelegen habe.

[GEJ.11_064,04] Ich erörterte ihm nun, der Grund läge darin, weil seine Seele sich in einem Zustand der höchsten Glückseligkeit befunden habe, der es ihr unerträglich machen würde, bei Beibehaltung des Gedächtnisses sich jetzt noch der irdischen Tätigkeit zu widmen. Dem sei vergleichbar, als würde ein überaus guter und weiser König, der sich auch nur in einer ihm würdigen Gesellschaft bewegt hat, plötzlich gezwungen sein, mit dem allerschlechtesten Volk zu verkehren und in der erbärmlichsten Behausung zu leben, ohne imstande zu sein, seine Lage zu verbessern.

[GEJ.11_064,05] (Der Herr:) „Damit du aber siehst, daß Ich nicht zuviel gesagt habe, sollst du auf kurze Zeit das Gedächtnis zurückerhalten und uns allen klar auseinandersetzen, wie es dir ergangen ist, und was du erlebt hast. Rede denn nun, wie dir die Rückerinnerung kommt, und sprich klar aus, was du empfindest! Ich will aber, daß du nicht irgendwie dabei deine jetzige Körpergefangenschaft empfindest, sondern als freier Geist redest!“

[GEJ.11_064,06] Alsogleich verfiel Lazarus in eine kurze Betäubung von einigen Augenblicken, erwachte sodann und sprach mit würdigstem, verklärtem Ausdruck folgendes: „Oh, ich sehe jetzt im Geiste nochmals klar und deutlich, was ich in jener Todesstunde fühlte und dachte!

[GEJ.11_064,07] Es war mir am Anfang unsäglich bange, als ich merkte, daß das Leben in mir erlöschen wollte. Dann aber trat ein Gleichmut ein, und ich empfand das Bedürfnis, fest zu schlafen. Das Weinen der Schwestern, die an meinem Lager standen, kam mir unnütz vor; denn ich wußte doch, daß ich wieder erwachen würde. Dann schlief ich ein.

[GEJ.11_064,08] Als ich erwachte, fühlte ich mich leicht und frei von allen körperlichen Beschwerden. Ich atmete die reinste Luft und fühlte mich wunderbar gestärkt. Ich hatte die Augen geschlossen, da es mir wohlig und angenehm war, mich ganz der Ruhe hinzugeben. Dann aber empfand ich das Bedürfnis, die Augen zu öffnen, was aber nicht so recht gelingen wollte. Ich fühlte, wie eine Hand meine Augen berührte, und nun konnte ich diese öffnen.

[GEJ.11_064,09] Ich sah in das lächelnde Antlitz meines Vaters und war erst sehr erstaunt darüber, da ich ihn doch gestorben wußte und ihn nun neben mir stehen sah. Er sagte mir, daß ich körperlich gestorben und nun in die freie Geisteswelt eingegangen sei und in seinem Wohnhaus mich befände.

[GEJ.11_064,10] Ich sah mich um und erblickte ein herrliches Gemach, strahlend in hellsten, reinsten Farben. Mich ergriff die Schönheit dieses Gemaches, in welches helles Licht flutete, so sehr, daß ich staunend ausrief: ‚Wenn ich nicht deinen Worten glauben wollte, so würde doch dieser Raum mir zeigen, daß ich der Welt entrückt bin, mein Vater! Sage, ist das hier dein Aufenthalt?!‘

[GEJ.11_064,11] Antwortete mein Vater: ‚Es ist dieses Gemach gleichsam mein Geheimkämmerlein, wo ich mich mit meinem Herrn und Schöpfer ganz allein und doch durch Ihn überall befinde, wo es notwendig ist. Ich habe dich, mein Sohn, in diesem Heiligtum aufgenommen, weil du nur erst ein Gast dieses Reiches bist und später in dein Eigentum eingehen wirst. Mir ist es aber eine große Freude, dich hier aufnehmen zu können; denn der ein Freund des erdenwandelnden Herrn ist, hat auch Anspruch auf unser Bestes in uns und damit außer uns.

[GEJ.11_064,12] Du verstehst nicht, wie das gemeint ist? So siehe, dieses Gemach bedeutet das innerste Herzenskämmerchen meines Wesens und ist somit das Zentrum meiner Sphäre, von wo aus ich dich überall hinführen kann, soweit sich mein Geist erstreckt! Dadurch bist du gleichzeitig mit mir, umschlossen von meiner Liebe, Mitherrscher meines Selbst, solange du dich hier befindest. Jeder Mensch hat im Jenseits so ein Allerheiligstes, in das er sich gänzlich zurückziehen kann, um von den Strahlen des reinsten Lichtes, das hier durch alle Wände ungehindert hereindringt, durchdrungen zu werden. Auch du wirst das genießen, so du dauernder Bewohner hier sein wirst; aber jetzt bist du es, wie gesagt, noch nicht, sondern nur ein Gast, weil ich, als dein irdischer Vater, das nächste Anrecht auf deine Seele habe, diese zu schützen!‘

[GEJ.11_064,13] Ich erhob mich nun von dem Ruhesitz, auf dem ich mich wiedergefunden hatte, und umarmte voller Liebe meinen Vater, dessen Seite ich auch nicht verlassen habe, bis Du, o Herr, mich zurückriefst. Ich habe mit ihm auch Wanderungen gemacht, und er hat mir gezeigt, was alles ihm untersteht. Es war das vornehmlich die Aufgabe, ankommende Seelen der Erde zu sammeln und diese in die rechte Geistestätigkeit einzuführen.

[GEJ.11_064,14] Ich habe auch gesehen, wie diese Seelen oft schwer behangen waren mit allerlei Weltunrat, von dem sie sich befreien mußten, und habe gesehen, wie alles das, was im Geiste sich darstellt, auch ein entsprechendes Bild in der äußeren Erscheinung zeigt, so daß aus diesem Willen und Wollen der Seelen bleibende Bilder entstehen, die erst mit dem wechselnden Willen sich ändern und so die Sphäre oder die sichtbare Gedankenwelt der Seele darstellen. Die verbergende Körperhülle ist geschwunden und damit auch die Möglichkeit der Verbergung des Gedankenwillens.

[GEJ.11_064,15] Es ist aber diese Gedankenwelt durchaus nicht etwas, was nicht vorhanden ist – also Phantasie wäre –, sondern auch für jeden Geist etwas stofflich Vergeistigtes, Aufgebautes, sobald der Liebewille, der mit dem Liebewillen Gottes harmonieren muß, es fixiert. Harmoniert der Wille des Geschöpfes nicht mit dem Liebewillen Gottes, so kann dessen Gedankenwelt nicht dauernd bestehen, sondern wird wieder vergehen müssen. Die irdischen stofflichen Aufbauten und in das Materielle übersetzten Gedanken des Menschen sind vergänglich, weil die Materie im Liebewillen Gottes überhaupt nicht besteht, sondern nur zu bestimmtem Zweck als wandelbare Form fest gestellt wurde; diejenigen des Geistes aber sind unvergänglich, weil dessen Schaffen der Endzweck des göttlichen Schaffens selbst ist, das heißt, Gott will durch Seine Geschöpfe schaffen und so Seligkeiten geben, genießen lassen und durch Seine Geschöpfe Selbst genießen.

[GEJ.11_064,16] Es ist daher das jenseitige Leben hauptsächlich ein Arbeiten im Geiste, das heißt also ein Schaffen unvergänglicher Werke, nicht aber der materiellen Werke, die in Schutt und Staub wieder zerfallen müssen.

[GEJ.11_064,17] Im Anschauen der vielen Dinge, die sich meinem Geiste nun darboten, habe ich einen Teil der zukünftigen Seligkeit bereits genossen und werde daher stets gern bereit sein, diesen Körper wieder abzulegen, wenn Du, o Herr, es befiehlst, ebenso willig, als ich auch wieder zurückkehrte, als Deine Stimme in das Gemach hallte und mich zur Rückkehr anhielt. Mein Vater hatte mir dieses Ereignis bereits angekündigt, so daß ich völlig darauf vorbereitet war.

[GEJ.11_064,18] Ich weiß nunmehr aber auch, daß ein jeder Mensch von Dir also auferweckt werden muß dem Leibe nach, da in diesem nach Verlassen der Seele noch vielerlei zurückbleibt, was die Seele für ihr jenseitiges Leben braucht. Es beruht das darauf, daß diejenigen Stoffe, welche im Körper die Materie ausmachen, auch nach ihrem Auflösen und Aufsteigen aus der Körperform in einer Art Verwandtschaft zur Seele bleiben, – ungefähr wie ein Mensch, der lange Zeit in einer Gegend lebte, nach Verlassen derselben doch stets eine Sympathie für diese behält und die Erfahrungen, welche er in derselben machte, doch stets in seinem seelischen Fühlen mit der Umgebung zusammenhängen, so daß eines ohne des anderen Wechselwirkung nur ein unklares Bild geben würde.

[GEJ.11_064,19] Die Seele sucht daher das seelische Element, welches die kleinsten Stoffteile ihres verlassenen Körpers beherrscht, zu sich heranzuziehen und mit sich zu einen, da dadurch ebenfalls eine Art Erlösung der Materie geschieht, oder – besser gesagt – ein In-sich-Aufnehmen, Verschlingen des noch Unreinen vom Reinen. Das ist nun allerdings ein Vorgang, der dem noch irdischen Menschen ganz unverständlich bleibt, wenn er nicht in geistigen Dingen weit vorgeschritten ist. Jedenfalls aber ist diese Auferweckung des Leibes von der Seele, die nicht schnell vor sich zu gehen braucht, ebenso notwendig wie die Auferweckung der Seele vom Geiste, während dieser wieder erst direkt von Dir, o Herr, erweckt, das heißt ins Leben gerufen wird. Diese Stufenfolge ist ein besonderes Geheimnis Deiner Schöpfung, wie ich erst im Jenseits gesehen und erfahren habe, und wie jeder Mensch an sich erfahren wird.

[GEJ.11_064,20] Als nun Deine Stimme zu mir erschallte, fühlte ich mich hinweggezogen und hatte die Empfindung, als wenn im Traum die Bilder wechseln und sodann bald das Erwachen folgt. Zwischen den geträumten Bildern empfinden wir aber eine Lücke, die die Seele in ihrem Bewußtsein nicht auszufüllen imstande ist. Ich glaubte also, wie von einem langen Schlafe zu erwachen, und fand mich sodann im Grabe liegend. Ich wußte, was mit mir vorgefallen war, hatte aber doch nur die Rückerinnerung des Traumes.

[GEJ.11_064,21] Jetzt, wo ich mich momentan von meinem Körper frei fühle, empfinde ich es auch sehr wohl, daß die Fesseln des Körpers nicht imstande sind, die sich frei fühlende Seele zu bändigen, wenn sie erst einmal die wahre, seelische Freiheit gekostet hat, weswegen Du, o Herr, auch die Körperbande mir gelöst hast, damit dieser nicht zerstört werde. Ich weiß jetzt auch, daß Du nach meiner Erweckung mir alles erklärt hattest, was jedoch meinem Gedächtnis wieder entschwunden war. Nun aber werde ich diese Ereignisse nicht wieder vergessen, sondern als unschätzbares Gut gewißlich in mir bewahren.“

[GEJ.11_064,22] Ich sagte nun zu Lazarus, er solle wieder der frühere werden und der irdisch lebende Lazarus sein, worauf er abermals in eine kurze Betäubung verfiel und dann wohlgemut mit der Erinnerung eines lebhaften Traumes in dem Kreise der Meinen erwachte.

[GEJ.11_064,23] Allen Anwesenden war diese Szene nun ein lebhaftes Anschauungsbild des Sterbens gewesen und diente später sehr dazu, ihnen jede etwa noch übriggebliebene Furcht vor dem Augenblick des Todes fortzunehmen.

[GEJ.11_064,24] Ich ermahnte nun die Meinen, sich zur Ruhe zu begeben, damit sie morgen gestärkt wären zu großer Arbeit, und alsbald folgten denn auch alle diesem Rate.

 

65. Kapitel – Der Herr begibt Sich allein auf die Höhe des Ölberges. – Gespräch zwischen der Gottheit und dem Menschensohn Jesus.

[GEJ.11_065,01] Ich aber verließ das Haus und begab Mich allein auf die Höhe des Ölberges, von wo aus man eine weite Aussicht über Jerusalem und die ganze Umgegend genießt.

[GEJ.11_065,02] Hier trennte sich die Gottheit in Mir von dem Menschensohn Jesus und sprach zu diesem: „Siehe hier, vor dir liegt die Stadt deines Leidens, das da in den nächsten Tagen beginnen wird, wenn du freiwillig das Joch auf dich nehmen wirst, das zur Erlösung der gesamten Menschheit dienen soll!

[GEJ.11_065,03] Du bist in deinem irdischen Leibe, getrennt von Mir, ein Mensch wie jeder andere. Du hast dich bemüht, den Geist in dir zu erwecken, der da die Fülle der Gottheit Selbst ist. Du hast mit Aufopferung deines Willens den Willen der Allmacht in dir wachsen lassen. Jetzt aber hängt es von deinem Willen als Mensch selbst ab, ob du das letzte und schwerste Werk übernehmen willst. Daher frage Ich dich: Willst du als Mein Sohn aufgehen in dem Vater, indem du alles, was Dieser dir zu tun befiehlt, ausführst? Oder willst du als Sohn des Menschen dieser Menschheit allein angehören und nur von dieser Welt bleiben?

[GEJ.11_065,04] Du kannst sein ein Herrscher der Weit und bleiben ein Erlöser der Welt; aber du kannst auch sein ein Wegweiser zu Mir, der da führt zu Gottes innerstem Herzen, indem du aufgehest völlig in Mir und damit ein Herrscher des Lebens in allen Ewigkeiten wirst. Du kannst sein ein Fürsprecher der Menschheit – als Wesen, die da ausgingen, von Meiner Macht erschaffen, und wiederkehren sollen zu dem Herzen des Vaters; aber du kannst auch sein ein Fürsprecher der Liebe, die der Weisheit gebietet, ihre Gerechtigkeit zur Erbarmung umzugestalten. Und so wähle denn jetzt, wo dir vor Augen liegt, was dir am Leibe geschehen wird, ob du den Weg neben Mir oder den Weg in Mir wandeln willst; denn die letzte Entschließung ist da!“

[GEJ.11_065,05] Da sprach die Seele Jesus, der Menschensohn: „Vater, Dein Wille ist allezeit der meine, und nur, was Du allein willst, geschehe! Denn was mir die Erde geben kann, ist erst durch Dich der Erde geworden. Ich aber will den geraden Weg gehen und aus Deiner Hand allein empfangen, was mir werden soll, und somit will ich stets Deinem Willen allein gehorchen!“

[GEJ.11_065,06] Darauf sagte die Gottheit in dem Herzen des Menschensohnes: „Noch einmal werde Ich dich also fragen wie heute, und dann geschehe, wie du willst, so du noch dieselbe Antwort gibst! Jetzt aber siehe, was die Welt dir bieten wird!“

[GEJ.11_065,07] Im stillen Gebet verblieb der Menschensohn nun auf dem Berge und begab sich sodann vor Sonnenaufgang hinab in die Behausung des Lazarus, ohne daß irgendeiner dessen gewahr geworden wäre. –

 

66. Kapitel – Der Einzug in Jerusalem.

[GEJ.11_066,01] Andern Morgens, schon bevor die Sonne aufgegangen war, waren alle munter, und wir begaben uns sofort ins Freie.

[GEJ.11_066,02] Daselbst rief Ich Meine Jünger, die zwölf Apostel, um Mich und redete sie also an: „Meine Lieben, der heutige Tag wird des Menschen Sohn zu einem hohen Ehrentage bringen, weil es der Vater um der Menschen willen also will! Aber dennoch soll dieses euch nicht weiter berühren, als es der Geist in euch zuläßt, damit ihr nicht voll Hochmutes werdet! Verschließet eure Herzen daher gegen alle Einflüsterungen der Eitelkeit und der Herrschsucht, damit der Feind nicht Gewalt über euch erhalte und euch zu seinem Werkzeuge mache!“

[GEJ.11_066,03] Fragten Mich die Jünger, unter denen sich auch Judas wieder befand, der gegen Morgen heimlich wiedergekommen war: „Herr, wie meinst Du das, und wodurch können wir uns schützen vor dem Feinde?“

[GEJ.11_066,04] Sagte Ich: „Sehet und öffnet eure Seelen dem Lichte der Weisheit, so werdet ihr jetzt begreifen, wovon die Propheten geweissagt haben! Liebet aber Gott allein und nicht die Welt, so werdet ihr euch auch schützen können vor allen Angriffen!“

[GEJ.11_066,05] Hierauf wandte Ich Mich nach der Gegend von Jerusalem und rief laut: „Du aber, Tochter Zions, bereite dich, deinen König zu empfangen!“

[GEJ.11_066,06] Nach diesen Worten ging die Sonne helleuchtend auf mit einem Glanz, wie er noch nicht gesehen ward, und in ebendemselben Augenblick sahen Meine Jünger – außer Judas, der erregt beiseite stand – mit geistigen Augen, wie sich im Äther eine große, weite Stadt bildete, die ein Abbild des irdischen Jerusalems war, doch weit herrlicher. Weit waren die Tore geöffnet, und eine unabsehbare Menge herrlichster Menschengeschöpfe standen erwartungsvoll, als warteten sie eines Fürsten, der da eingeholt werden soll.

[GEJ.11_066,07] Nur kurze Zeit währte dieses geistige Schauen; sodann verschwand das Bild, und Ich sagte zu ihnen: „Dort wird der Sohn erwartet und von jetzt ab thronen in Ewigkeit. Es ist billig, daß auch des Menschen Sohn erhöht werde. Kommt und folget Mir!“

[GEJ.11_066,08] Fragte Mich Petrus, ob Ich denn ohne Abschied von Bethanien gehen wolle und ohne Lazarus und dessen Schwestern zu benachrichtigen.

[GEJ.11_066,09] Sagte Ich: „Weißt du, warum dieses notwendig ist? Ich weiß aber, was Mir zu tun notwendig ist. Also kümmere dich um nichts! Lazarus wird mit seinen Schwestern uns schon zur rechten Zeit zu finden wissen, – auch noch viele andere, denen dieser Tag notwendig ist.“

[GEJ.11_066,10] Die Jünger sagten nun nichts mehr, verwunderten sich aber sehr und flüsterten untereinander, was Mein sonderbares Wesen zu bedeuten habe; denn so hätten sie Mich schon lange nicht mehr gesehen. Johannes aber ermahnte sie, sich jeden Wortes zu enthalten und stillschweigend zu tun, was Ich verlangen würde, damit nicht das Geringste gegen Meinen Willen getan werde. Das gelobten auch alle, und besonders Petrus versicherte hoch und heilig, Mir bis in die Hölle zu folgen, auch wenn er nicht wüßte, warum Ich diesen Weg ginge.

[GEJ.11_066,11] Meinte Judas, der diese Worte gehört hatte, lächelnd: „Freund, der Herr weiß schon, welchen Weg Er zu wandeln hat! Nicht in die Hölle, doch zum Ruhm und zur Ehre Seines Volkes wandelt Er den Weg des Gottgesandten!“

[GEJ.11_066,12] Begeistert blickte er auf Mich hin; denn Mein lauter Ausruf schien ihm eine Bestätigung aller seiner Wünsche zu sein, so daß er den Weg zu allen Ehren offen sah, die ihm ebenfalls werden mußten als dem Wegbereiter des Messias, der ihm viel zu danken haben würde.

[GEJ.11_066,13] Petrus sah erstaunt auf Judas hin, der eine so stolze, selbstbewußte Haltung zeigte, schwieg jedoch, da ihm das ganze Gebaren dieses Morgens höchst wunderlich ankam, und setzte nun mit den anderen elf ruhig seinen Weg fort. –

[GEJ.11_066,14] Wir waren nun auf dem halben Wege von Bethanien bis zu den Toren von Jerusalem gekommen. Vor uns lag zur linken Hand ein Örtchen, welches Betphage hieß, nun aber ganz verschwunden ist, als Ich Meine Jünger aufforderte, daß zwei von ihnen Mir einen Liebesdienst erweisen sollten. Es meldeten sich nun alle dazu. Ich aber wählte Johannes und Petrus und hieß sie, in den Ort zu gehen, welchen sie vor sich sähen. Daselbst würden sie an dem ersten Hause eine Eselin finden, welche, mit ihrem Füllen angebunden, das Gras abweide. (Mark.11,1)

[GEJ.11_066,15] (Der Herr:) „Dieses Füllen bringet Mir; denn Ich bedarf seiner! Werdet ihr gefragt, wer euch gesandt hat, so antwortet nur: ‚Der Herr ist es und bedarf des Tieres!‘, so wird man es euch geben!“ (Mark.11,2.3)

[GEJ.11_066,16] Die beiden gehorchten auch alsbald und begaben sich nach dem Orte, während wir uns am Wege unter Sträuchern und blühenden Bäumen lagerten, die Rückkunft der Abgesandten zu erwarten.

[GEJ.11_066,17] Es wohnte aber in Betphage ein Mensch namens Migram, welcher ein römischer Lanzenträger gewesen war, viele Feldzüge mitgemacht hatte und sich bei dem Heere eine geachtete Stellung durch seine Tapferkeit und Klugheit errungen hatte, weswegen er von seinen Vorgesetzten wohlgelitten war. Als eine schwerere Verwundung, durch welche er das rechte Bein nachziehen mußte, ihn zwang, den Abschied zu nehmen, war er reich beschenkt und mit der Befreiung von jeglicher Steuerzahlung entlassen worden. Dieser ein früherer Bekannter des alten Markus, hatte bei seinem Freunde Heilung gesucht in seinen Bädern und hatte bei der Abreise die schon früher erwähnte Eselin gekauft und nach seinem Häuschen mitgenommen, wo sie ihm als treues Tier diente, das seinem Herrn die Erzeugnisse seines kleinen Gartens nach Jerusalem zum Verkauf trug.

[GEJ.11_066,18] Dieser Migram hatte durch Markus viel von Mir gehört, war in Meine Lehre eingeweiht und als Römer, der sich um die Jerusalemer Juden nicht kümmerte, da er nur mit den Abgesandten und Bürgern Roms sich abgab, ein offener Anhänger von Mir. Als daher die beiden Jünger zu seinem Hause kamen, dort auch beide Tiere fanden, von denen sie alsbald das jüngere von den Fesseln lösten, trat der Besitzer schnell aus seinem Hause und mit ihm mehrere andere, die sich bei ihm eingefunden hatten, um Früchte zu kaufen, und fragte sie barsch, wie sie dazu kämen, das Tier mitnehmen zu wollen. (Mark.11,4.5)

[GEJ.11_066,19] Johannes antwortete sogleich nach Meinen Worten, und Migram, hoch erfreut, als er hörte, es gälte, Mir einen Dienst zu erweisen, beeilte sich, schnellstens auch die alte Eselin loszulösen, um sie selbst mitsamt dem Füllen Mir zuzuführen. Zwar sagten die Jünger, der Herr brauche nur das Füllen. Er aber hörte nicht darauf in seinem Eifer und trieb schnell die Tiere an, um den Ort zu erreichen, wo Ich Mich aufhielt, so daß die Jünger Mühe hatten, ihm zu folgen. (Mark.11,6)

[GEJ.11_066,20] Als Migram Mir nun die Tiere brachte, die er Mir freudvoll anbot, sagte Ich zu ihm: „Migram, Ich erkenne deinen guten Willen und werde es dir vergelten, was du sofort an Mir tatest, als Ich die Meinen zu dir sandte! Doch jetzt bereite Mir das Tier, welches Meine Jünger von dir forderten, als Reittier!“

[GEJ.11_066,21] Er tat denn auch gleich also, indem er seinen Mantel, den er nach römischer Sitte trug, zusammengefaltet über den Rücken des Tieres ausbreitete. Ebenso taten auch einige der Meinen, um einen bequemen Sitz zu erlangen. (Mark.11,7)

[GEJ.11_066,22] Als wir noch mit diesen Vorbereitungen beschäftigt waren, kam ein großer Trupp Menschen die Straße von Jerusalem heraufgezogen. Als sie unser ansichtig wurden, eilten sie auf uns zu, und in kürzester Zeit waren wir von einigen Hunderten von Menschen umringt, welche Mich stürmisch bewillkommneten und als Retter Israels begrüßten. Es waren das aber zumeist zum Feste hinzugezogene Juden, welche Mich teilweise von Meinen Reisen durch das Land her kannten und daher Mich und Meine Jünger bereits früher als Heilsspender kennengelernt hatten. Diese Menschen priesen Mich als ihren König, zumal viele unter ihnen waren, die damals von Mir wunderbar gespeist worden waren und bereits damals die Absicht hatten, Mich zum König auszurufen, weswegen Ich Mich ihnen entzog.

[GEJ.11_066,23] Als diese Mir begeistert zuriefen, kam Lazarus mit seinen Schwestern und seinem nächsten Hausgesinde, die ausgegangen waren, Mich zu suchen, eiligst auf Mich zu, drängten sich durch die Mich Umstehenden hindurch und waren erfreut, Mich gefunden zu haben. Als die Anwesenden den allen wohlbekannten Lazarus erblickten, dessen Name seit seiner Erweckung in aller Munde war, kannte ihr Jubel keine Grenzen, und unter Hosianna- und Heilrufen wurden wir alle umgeben. Ich wehrte diesen Ehrenbezeigungen nicht, sondern bestieg schweigend das zubereitete Tier, das sich nun auf der Straße nach Jerusalem hin bewegte.

[GEJ.11_066,24] Die Menge wuchs aber mehr und mehr an, da durch den Lärm alles angelockt wurde und nachfolgte. Die Menschen hieben grünende Baumzweige ab und streuten sie auf den Weg. Sodann breiteten sie ihre Kleider aus und ließen das Lasttier darüber hinwegtreten, – alles Ehrenbezeigungen, mit denen die früheren Könige begrüßt wurden. Als wir uns dem Abhang des Ölberges näherten, von wo aus man eine weite Übersicht über Jerusalem hatte, sahen wir Tausende an den Toren stehen und das Kidrontal angefüllt mit Menschen. (Joh.12,12-16)

[GEJ.11_066,25] Jerusalem war zwar eine große Stadt, jedoch konnte es zur Osterzeit die Anzahl der vielen Fremden nicht fassen. Es war daher Sitte, daß die Ärmeren, oder auch solche, welche zu spät gekommen waren, um in den überfüllten Herbergen noch ein Unterkommen zu finden, im Kidrontal unter freiem Himmel oder in Zelten sich lagerten; denn nächst dem Tempel galt das Kidrontal als geheiligter Boden. Alle diese, welche auch jetzt in dem Tale sich gelagert hatten, strömten herbei, da sie durch das Gerücht erfahren hatten, Ich käme nach Jerusalem, um Mich zu bewillkommnen, wobei sie Meine Taten und hauptsächlich des Lazarus Erweckung, der nun sichtbar neben Mir herging, laut priesen und so in den allgemeinen Lobgesang mit einstimmten. (Joh.12,17.18)

[GEJ.11_066,26] Als wir zu dem Tore Jerusalems kamen, das vom Ölberge aus den Haupteingang bildete, versuchte die römische Torwache, dasselbe zu schließen, da die Wachthabenden fürchteten, es bereite sich ein Aufstand vor. Sie wurden jedoch durch den mächtigen Andrang des Volkes, welches aus der inneren Stadt herausdrängte und vom Tempelvorhof aus teilweise den herannahenden Zug gesehen, sowie auch das Rufen gehört hatte, daran gehindert. Als die Römer außerdem sahen, daß das Volk friedlich mit Baumzweigen und Palmenblättern in den Händen nahte, unterließen sie auch jeden Widerstand, staunten vielmehr den Zug als etwas ihnen noch Unbekanntes und vielleicht zum Feste Gehöriges an. So kamen wir alle ungehindert zur Stadt hinein und nahmen sofort den Zug nach dem Tempel hin.

 

67. Kapitel – Jesus im Tempel.

[GEJ.11_067,01] Die Pharisäer, Priester und Bediensteten des Tempels waren inzwischen in größte Aufregung geraten, was bei dieser großen Kundgebung zu tun sei. Daß es unmöglich sei, sie mit Waffengewalt zu unterdrücken, sahen sie sehr bald ein, da sicherlich sofort ein Aufruhr gegen die ohnehin mißliebige Tempelwirtschaft entstanden wäre. Das Volk war in einem Begeisterungstaumel, der durch Gewalt nicht hätte beseitigt werden können. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als vorläufig die Dinge gehen zu lassen, um daraus bei einem unvorhergesehenen Umschwung nach Möglichkeit Vorteil für das Ansehen des Tempels zu ziehen.

[GEJ.11_067,02] Vor allen Dingen riet der Hohepriester Kaiphas in einem schnell zusammengerufenen Rat, es abzuwarten, was Ich denn eigentlich beginnen wolle und wohin Ich die ganze Bewegung zu lenken dächte. Wolle Ich Mich zum König ausrufen lassen, so stände ihnen die Macht der Römer schnellstens zur Seite, gälte es aber dem Tempel und dessen Dienern, so würde Ich, ohne das Volk zu erbittern, auch nur wenig tun können, da dieses sich den Glauben an Jehova nicht nehmen lassen würde. Es käme also zunächst darauf an, abzuwarten und alle etwaigen Fehler Meinerseits klug auszunutzen.

[GEJ.11_067,03] Sie selbst, die Priester, jedoch beschlossen, sich nicht sehen zu lassen, sondern den Tempel gerade weit zu öffnen, so daß dessen Heiligkeit selbst zum Volke spräche. Es wurden daher schnellstens alle Tore geöffnet, auch das Heilige nicht verschlossen, jener Raum, den ohne Vorbereitung kein Israelit betreten durfte und auch kein Priester ohne besondere Zeremonien, Gebet und vorherige Waschung betrat.

[GEJ.11_067,04] Die Tempeldiener jedoch wurden schnellstens angewiesen, den Verkäufern in den Vorhallen des Tempels, die sich wieder recht zahlreich eingefunden hatten, Mitteilung von Meinem Kommen zu machen, damit eine ärgerliche Szene, wie Ich sie schon einmal bereitet hatte, vermieden würde. Diese Vorsorge kam jedoch zu spät; denn kaum hatten die Geldwechsler und Verkäufer aller Art, durch das Geschrei außerhalb der Mauern aufmerksam gemacht, vernommen, um was es sich handle, als sie auch schon, in guter Erinnerung Meiner früheren Tat, schnellstens ihre Sachen zusammenpackten und fluchtartig mit ihren feilgehaltenen Waren das Gebäude verließen.

[GEJ.11_067,05] Diese zweite Reinigung des Tempels, welche nicht direkt durch Mein Auftreten geschah, hat zu Mißverständnissen Anlaß gegeben, als sei die früher geschilderte Szene jetzt bei Meinem Einzug geschehen, während sie doch viel früher, zu Anfang Meines Lehramtes geschah. (Matth.21,12.13)

[GEJ.11_067,06] Als nun das Volk mit vielem Geschrei in den Tempel eindrang, suchte es vor allen Dingen nach den Priestern; vornehmlich wollte es von dem Hohenpriester Kaiphas verlangen, daß er Mich mit heiligem Salböl zum Könige salbe, worauf sie Mich in die Zionsburg zu führen gedachten, um Mir zu huldigen. – Die Priester jedoch waren nicht zu finden. Ungehindert drang das Volk durch die Vorhöfe in das Heiligtum ein.

[GEJ.11_067,07] Die Meinigen umdrängten Mich besorgt, da sie sahen und hörten, welche Absichten das Volk mit Mir hatte, und Petrus fragte Mich besorgt: „Herr, was soll das werden, willst Du Dich hier zum Könige Israels ausrufen lassen?“

[GEJ.11_067,08] Ich hieß ihn schweigen und gebot den Umstehenden, Mir Platz zu lassen, um in den Tempel ungehindert eintreten zu können, nachdem Ich das Lasttier bereits früher verlassen hatte.

[GEJ.11_067,09] Das Volk gehorchte, und Ich betrat, gefolgt von viel Volkes, durch die Hallen das innere Heiligtum, betrat das Heilige selbst und schritt auf den großen Opferaltar zu, dessen Stufen Ich bestieg.

[GEJ.11_067,10] Hierhin durfte das gewöhnliche Volk nach den Tempelsatzungen nicht folgen, sondern mußte außen in den Gängen stehenbleiben, von wo aus es den priesterlichen Handlungen in dem Heiligen zuschauen konnte.

[GEJ.11_067,11] Die Pharisäer und Tempelobersten hatten ganz richtig die leicht erregbare Stimmung des Volkes beurteilt; denn während dieses vordem sich nicht besonnen hätte, die Priester nach seinem Willen zu zwingen, falls diese sich nicht willfährig zeigten, so war jetzt durch den Eindruck, den der Ort selbst machte, und an dem durch die Abwesenheit aller Priester keine persönliche Anfeindung möglich war, der allgemeinen Erregung ein feierliches Verstummen und die Erwartung dessen, was Ich beginnen würde, gefolgt. Ich hatte auch den Meinen geboten, zurückzubleiben, und so stand Ich denn nun allein, von allem Volke gesehen.

[GEJ.11_067,12] Mit lauter Stimme sprach Ich nun zum Volke: „Es ist die Stunde gekommen, da nun alle Welt an sich erfahren soll, wohin die Wege führen, welche sie bisher betreten hat, und jeder sich entscheiden soll, ob er zum Vater will oder nicht. Ihr habt Mich hierhergeführt in dieses Haus, wo der Geist Gottes früher sichtbarlich wohnte; doch jetzt ist er aus diesen Mauern gewichen, und leer ist die Stätte geworden. Nun aber hat er sich eine andere Stätte gewählt, und jeder Mensch kann sich einen Tempel erbauen, so er nach Meinen Worten handelt und nach Meinen Lehren, die Ich euch gegeben habe.

[GEJ.11_067,13] Ein jeder lasse sich tragen von der Demut und gehe sodann geraden Weges ein in das erbaute Gotteshaus, das da leer geworden ist, doch von neuem angefüllt werden soll von den Taten der Liebe. Jede Liebestat ist ein Baustein zum Tempel, und es wird dieser Tempel gekrönt werden mit dem Zeichen der Weisheit und der Kraft, so nur allein die Liebe den Grundstein bildet. Darum aber bin Ich zu euch gekommen, daß ihr die Liebe von Mir lernet, die ihr mißachtetet, – nicht die Eigenliebe, die ihr wohl habt, sondern die Liebe zum Nächsten, welche ihr nicht habt, die euch aber vergöttlicht und allein zu Gott führen kann.

[GEJ.11_067,14] So ihr aber glaubt, Ich sei und wolle sein euer König, so wisset denn, daß Mein Reich nicht von dieser Welt ist, sondern daß dieses in aller Herrlichkeit in dem Menschen wohnt und das Erbteil bildet, welches der Vater dem Sohne und durch Diesen allen Menschen auf Erden und allen Himmeln gegeben hat. Denket also nicht, Ich würde einziehen in die Burg Davids, um ein irdisches Reich zu gründen! Wer Mir folgen will, der folge Mir nach in Meinen Taten, so wird er selig werden. Der Sohn ist vom Vater, und weil Er vom Vater ist, ist Er in Ihm und der Vater in dem Sohne, und wer dem Sohne folgt, folgt dadurch auch dem Vater.

[GEJ.11_067,15] Bringet her zu Mir alle, die da gebrochenen Leibes und Herzens sind, so werde Ich sie heilen, damit sie gesunden! Die da aber gebrochenen Verstandes sind, werden sich an Mir stoßen, und Ich werde sie nicht heilen können; denn wer sich an Mir stößt, der ist voll Ärgers und Hochmutes und entbehrt der Liebe, weil sie ihm unklug und hart erscheint. Ich aber will eure Herzen heilen und durch diese eure Seelen und Leiber; denn nur im Herzen wohnt der Glaube, und wo dieser nicht wohnt, da herrscht Finsternis. Denn der Glaube, der da gewachsen ist aus der Erkenntnis, ist ein Licht, welches jede Finsternis verjagt. Also glaubet an Mich und an den Vater, damit ihr sehet und die Finsternis von euch weiche!

[GEJ.11_067,16] Wahrlich, Ich sage euch: Ohne den wahren Glauben wird niemand selig werden können! Ich aber habe euch gesagt, was und woran ihr glauben sollet. Also handelt auch nach Meinen Worten, so wie Ich nach diesen Meinen Worten gehandelt habe! Alle werden dann tun können, was Ich getan habe, und es wird niemand mehr auf Erden sein, der da sagen kann, es seien ihm die Wege zur Seligkeit verschlossen.

[GEJ.11_067,17] Damit ihr aber sehet, was des Vaters Kraft im Menschen bewirkt, so bringe man Mir die Kranken, welche an ihren Leibern leiden, damit Ich sie heile!“

[GEJ.11_067,18] Nach diesen Worten trat Ich von dem Altar herab und begab Mich in die Vorhallen, wo viele Kranke lagen, welche opfern wollten und hofften, durch der Priester Gebete gesund zu werden, wie das hauptsächlich zu Ostern eine allgemeine Sitte war, doch meistens nur für solche, welche eine Opferspende in Goldmünzen geben konnten, da ohne solche die Priester des Tempels einen solchen Kranken nicht bevorzugten. Gar mancher raffte nun seine letzten Habseligkeiten zusammen, um diesen letzten Versuch, seine Gesundheit zu erlangen, zu machen, und er verließ sodann den Tempel, ohne seine Gesundheit wiedererlangt zu haben.

[GEJ.11_067,19] Diesen Kranken also näherte Ich Mich und fragte sie voll Ernstes: „Glaubet ihr, daß euch der Gott eurer Väter heilen kann, so ihr Ihn darum bittet? Oder vermeinet ihr, daß ihr durch der Menschen Hilfe gesunden könnet?“

[GEJ.11_067,20] Riefen da viele hoffnungslose Kranke: „Meister, uns kann nur Gott allein helfen, dem wir hier in diesem Tempel gewißlich am nächsten sind!“

[GEJ.11_067,21] Andere aber schwiegen, und so fragte Ich denn diese, was ihre Meinung wäre.

[GEJ.11_067,22] Darauf antwortete Mir einer aus ihrer Mitte (ein Kranker): „Meister, uns ist gesagt worden: So der Hohepriester nicht bei Gott im Allerheiligsten für uns bitte, so würde uns nicht geholfen werden können; denn er allein ist der Fürsprecher vor Gott! Wir müssen daher warten, bis solches geschieht!“

[GEJ.11_067,23] Darauf sagte Ich: „Glaubet ihr denn, daß Gott nicht zu jedem Menschen kommen kann, so er Ihn nur darum bittet? Was bedarf es denn da erst eines Mittlers? – Glaubet, so wird auch euch geholfen werden können!“

[GEJ.11_067,24] Sagte da wieder der erste Sprecher: „Meister, wir glauben ja, was uns gesagt worden ist, und dennoch ist uns noch nicht geholfen worden! Was sollen wir denn da noch glauben?“

[GEJ.11_067,25] Antwortete Ich: „Ihr sollt glauben, daß Gott, der Vater von Ewigkeit, von unendlicher Güte ist und zu jedem kommt, der Ihn allen Ernstes anruft! Ihr sollt glauben, daß Gott nicht erst der Menschen bedarf, um Seine Kraft zu ihnen zu senden, sondern daß diese Kraft von jedem Menschen durch die Liebe zu Gott angezogen werden kann, sodann in dem Menschen sich entfaltet und zur Wirkung gebracht werden kann! – Kannst du das glauben?“

[GEJ.11_067,26] Sagte der Kranke, indem er Mich fest ansah: „Meister, ich glaube es, weil Du es mir sagst; denn so wie Du hat noch niemand zu uns gesprochen!“

[GEJ.11_067,27] Sagte Ich: „Meine Worte sind die Wahrheit, und weil sie die Wahrheit sind, sind sie auch das Leben und die Kraft des Lebens. Ich habe als Mensch stets danach gehandelt, und so bin Ich ein Meister des Lebens geworden. Darum sage Ich euch allen: Gehet hin, tuet desgleichen, doch sündiget nicht mehr, weder in Worten noch in Werken! Sündiget nicht mehr, indem ihr nichts tut, was gegen die Liebe zu Gott und dem Nächsten verstößt, so werdet ihr gesund bleiben und wahre Lebensmeister werden! – Stehet auf und wandelt!“

[GEJ.11_067,28] Nach diesen Worten schwanden alle Gebrechen von den Leibern der Kranken, und sie erhoben sich, gesund und kräftig an ihren Leibern. Das Volk aber, das umherstand, brach wieder in laute Rufe aus und jubelte und lobte Mich über alle Maßen. Viele fielen vor Mir nieder und suchten Meine Hände und Kleider zu erfassen, um diese zu küssen. Ich wehrte ihnen nicht, sondern ließ alle an Mich herankommen.

[GEJ.11_067,29] Viele wollten nun abermals den Versuch machen, zu den Hohenpriestern einzudringen, um die Absicht auszuführen, Mich zu salben; diese hatten sich aber so gut verborgen, daß keine Spur von ihnen zu entdecken war, weswegen die Abgesandten bald unverrichtetersache zurückkehrten.

[GEJ.11_067,30] Als diese nun zu Mir hindrängten, um Mich stürmisch zu umgeben, gebot Ich ihnen Ruhe und sagte zu den Königslüsternen: „Saget, kann der, der da vor Gott steht als ein Träger von dessen Kraft, auf Erden noch höher gestellt werden, als er schon steht vor Gott?!“

[GEJ.11_067,31] Sagte etwas betroffen der Anführer dieser Schar: „Meister, er selbst wohl nicht; aber die da ihm anhangen, wollen doch ein sichtliches Zeichen seiner Macht – auch nach außen hin, so daß unter seiner machtvollen Hand das Volk glücklich – und nicht gepreßt – werde!“

[GEJ.11_067,32] Sagte Ich: „Als Samuel auf Verlangen des Volkes den Saul zum König salbte, – was hatte denn das Volk dadurch gewonnen? Gewißlich nicht Frieden und Ruhe, sondern Kampf und Unruhe. Und warum das? Weil es des sanften Joches, welches der Herr ihm nach seinem Tun auferlegte, müde geworden war und der kraftvollen Hand eines sichtbaren Herrschers zustrebte. Es hat denn auch weiterhin nicht an Königen gefehlt, und auch jetzt ist euch in Herodes ein König geworden. Glaubt ihr nun, daß ein neuer König, den ihr in Mir suchet, euch Frieden brächte, so er auch ein äußerer, machtvoller König würde sein wollen? Herodes und die Römer würden alle seine Anhänger und ihn selbst zu vernichten suchen. Es würde Elend, Krieg und Not heraufbeschworen werden, so Ich euer irdischer König würde. Wie aber vertrüge sich das mit Meiner Lehre: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!‘, wenn Ich euch den Krieg und den Mord bringen wollte?! Darum lasset das Äußere von Mir ab – Mein Reich ist nicht von dieser Welt – und errichtet in euch das rechte Friedensreich, dort will Ich stets gern euer König sein und bleiben!“

[GEJ.11_067,33] Nach diesen Worten wandten sich die Königslustigen unmutig von Mir ab und meinten, Ich sei kein Held, von dem das Volk Israel ein Heil auch nach außen hin erwarten könne.

[GEJ.11_067,34] Die Königsschreier begaben sich nun unter das Volk und verhehlten ihren Unmut über Meine ablehnenden Worte nicht. Doch war das übrige Volk deswegen noch keineswegs Mir abwendig zu machen, da Meine Taten zu gewaltig zu ihm sprachen, um Mich alsogleich wegen der Abweisung, ein König der Juden zu sein, fallen zu lassen.

[GEJ.11_067,35] Es trat aber nach der allgewaltigen Erregung nunmehr eine ruhigere Stimmung in dem anwesenden Volk auf, und Ich sowie Meine Jünger benutzten diese, um nochmals Meine Lehren vielen auseinanderzusetzen. So entstanden nun einzelne große Gruppen, die in den Tempelvorhöfen zerstreut standen.

[GEJ.11_067,36] Da war es nun, daß zwei Griechen, welche ebenfalls zum Fest gekommen waren, und die zu Anfang der ganzen Szene nicht zugegen waren, hinzukamen. Es war jedoch den Nichtjuden verboten, das innere Heiligtum zu betreten, weswegen an der Grenze, bis zu der solche Nichtjuden gehen durften, Warnungstafeln angebracht waren. (Joh.12,20)

[GEJ.11_067,37] Die Griechen sahen Philippus an dieser Grenze stehen und baten ihn, sie möchten Jesus gerne sehen und wo möglich sprechen. Philippus wagte es jedoch nicht, diese beiden aufzufordern, zu Mir zu gehen, da das Verbot ihm zu beachtenswert erschien. Daher sagte er es Andreas, und beide gingen nun zu Mir, der Ich in einem Kreise vieler Zuhörer stand, die Meinen Worten lauschten, und trugen Mir die Bitte der beiden Griechen vor, und daß diese des Volkes wegen nicht wagten, zu Mir zu kommen. Da sagte Ich ihnen, sie sollten die Griechen auffordern, zu Mir zu kommen. Beide gingen nun hin und taten also. Doch fürchteten sich die Griechen zu sehr, das Verbot zu überschreiten, und blieben daher an der Grenze stehen. (Joh.12,21.22)

[GEJ.11_067,38] Es hatten jedoch die Tempeljuden, Priester und Pharisäer jetzt gemerkt, daß eine weit ruhigere Stimmung Platz gegriffen hatte, und einige von ihnen hatten sich verkleidet unter das Volk begeben, um zu spionieren, wie es denn nun stände. Schnell hatten sie mit den Königslustigen, die nun sehr verstimmt auf Mich waren, gemeinsame Sache gemacht, um Mich beim Volke zu verhetzen und eine Gegenstimmung hervorzubringen. Einer dieser verkleideten Hetzer stand nun auch nahe bei Mir und redete sogleich den Umstehenden unwillig zu, wie Ich den Heiden gebieten könne, das jüdische Heiligtum zu betreten und so dasselbe unrein machen zu wollen. Ob es denn des Messias, der Ich doch sein wollte, würdig sei, heilige Gebräuche zu mißachten?! Mehrere, denen Meine Aufforderung ebenfalls mißfällig war, stimmten diesem Sprecher bei, so daß sich ein Gemurmel erhob.

[GEJ.11_067,39] Ich bemerkte das sehr wohl und sagte zu Johannes und Lazarus, die stets in Meiner Nähe geblieben waren, sowie zu den anderen Jüngern: „Jetzt ist die Zeit gekommen, daß des Menschen Sohn verklärt werde; denn nun hat Er Sich gänzlich Selbst überwunden. Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es wohl allein; wenn es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte. (Joh.12,24) So wird auch Mein Tun, das ihr jetzt sehet, viele Früchte bringen.“

[GEJ.11_067,40] Mit dem Hinweis auf jene Griechen, die furchtsam ferne standen, sprach Ich nun laut: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Wer Mir dienen will, der folge Mir nach; und wo Ich bin, da soll Mein Diener auch sein. Und wer Mir dienen wird, den wird Mein Vater ehren.“ (Joh.12,25.26)

[GEJ.11_067,41] Jener Sprecher nun, der bereits vordem leise gegen Mich sprach, hetzte nun wieder weiter, indem er sagte: „Ein schöner Messias das, der Heiden und jedermann einlädt, ihm zu dienen, damit der Vater ihn ehre! Wer ist überhaupt dessen Vater? Ich bedanke mich dafür, mein Leben zu hassen, um ein unbekanntes, ewiges Leben zu erhalten; da ist doch das gewisse mir lieber!“

[GEJ.11_067,42] In ähnlicher Weise nahmen auch die anderen verkleideten Tempeljuden gegen Mich Partei und suchten das Volk vorsichtig gegen Mich zu stimmen. –

[GEJ.11_067,43] Meine Seele jedoch empfand nun, daß Meine Stunde geschlagen hatte, und sie wurde traurig wegen der nahe bevorstehenden Leiden, und daß das Volk so wankelmütig sei; daher sagte Ich zu Meiner nächsten Umgebung: „Jetzt ist Meine Seele betrübt. Und was soll Ich sagen? Vater, hilf Mir aus dieser Stunde? Doch darum bin Ich in diese Stunde gekommen. O Vater, verkläre Deinen Namen!“ (Joh.12,27.28a)

[GEJ.11_067,44] Da tönte eine Stimme wie vom Himmel, die aber in Wahrheit in den Herzen aller erschallte, die nur irgendwie zu einem Geistesleben noch zu erwecken waren: „Ich habe Ihn verklärt und will Ihn abermals verklären!“ (Joh.12,28b u. c)

[GEJ.11_067,45] Diejenigen, die diese innere Erregung vernahmen, sprachen nun, je nach dem Wachsein ihres Geistes: „Es donnerte“, andere sagten: „Es sprach ein Engel mit ihm.“ (Joh.12,29)

[GEJ.11_067,46] Keiner von denen aber empfand in sich die Stimme, sondern versetzte sie nach außen, je nach seinem Erwecktsein.

[GEJ.11_067,47] Ich sagte ihnen daher: „Diese Stimme ist nicht um Meinetwillen geschehen, sondern um euretwillen; denn jetzt ergeht das Gericht über diese Welt. Nun wird der Fürst der Finsternis, welcher ein Fürst dieser Welt war, ausgestoßen. Niemand steht mehr zwischen dem Vater und dem Kinde als des Menschen Sohn. Und Ich, wenn Ich erhöht werde von der Erde, so will Ich sie alle zu Mir ziehen, damit sie zum Vater gelangen.“ (Joh.12,30-33)

[GEJ.11_067,48] Antwortete Mir wieder jener Sprecher und einige, die diesem wohlwollten: „Wir haben gehört im Gesetz, daß Christus ewiglich bleibe. Wie sagst du denn, des Menschen Sohn muß erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn, von dem du redest? Kann jemand noch höher steigen, als daß er ewig ist und uns sein Reich bringt?“ (Joh.12,34)

[GEJ.11_067,49] Antwortete Ich ihnen nun, da Ich wohl einsah, wie Meine Worte stets verdreht würden von diesen Verstockten: „Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle! Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Glaubet an das Licht, dieweil ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid und nicht Kinder der Finsternis werdet!“ (Joh.12,35.36)

[GEJ.11_067,50] Nachdem Ich diese Worte gesprochen hatte, wandte Ich Mich von diesem Kreise ab, und wir gingen nach den Vorhöfen der Heiden zu, jene äußerste Grenze, die die Nichtisraeliten betreten durften. (Joh.12,37a)

[GEJ.11_067,51] Es hatten aber die Priester und Tempelobersten inzwischen genauest erfahren, daß das Volk ruhig geworden sei, und daß Ich Mich geweigert habe, einen offenen Staatsstreich auszuführen, um Mich zum Herrn und König ausrufen zu lassen. Weiterhin wußten sie, daß ein augenblicklicher Unmut deswegen sich geltend machte, und schnell suchten sie diese Stimmung auszunutzen. Es wurden alle Priester und Leviten schnell beordert, um einen glänzenden Zug zu bilden. Posaunenbläser schritten voran, und Herolde verkündeten dem Volke, der Hohepriester habe vom Herrn den Befehl erhalten, ein großes, außerordentliches Versöhnungsopfer für die Sünden des Volkes zu leisten, da der Herr diesem gnädig gesinnt sei und Er alle Sünden vergebe, welche das Volk innerhalb eines halben Jahres begangen habe. Mit allem Glanz und größter Feierlichkeit zogen die Scharen auf, und Kaiphas selbst vollzog das Opfer auf dem großen Brandaltar des Tempels.

[GEJ.11_067,52] Durch diese Handlung erreichte der Tempel seine Absicht; denn das Volk hing noch sehr an alten Zeremonien und an allem, was vom Tempel ausging. Es wurde so ein Gegenzug von starkem Eindruck, der durch die Außergewöhnlichkeit wirkte, auf die Gemüter ausgeübt, und noch im Laufe des halben Tages war von der außergewöhnlichen Erregung des Volkes, die durch Meinen Einzug entstanden war, nichts mehr zu verspüren. Der Tempel erwies sich sehr gnädig an diesem und den nächsten Tagen; es wurden in den Vorhöfen viele Arme gespeist und beschenkt, Gebete gesprochen und alles mögliche getan, um für ihn und seine Vertreter recht gute Stimmung zu erzeugen und so die ihn schreckende Gefahr, die durch Meinen Einfluß drohte, abzuwenden.

[GEJ.11_067,53] Der glänzende Zug trat in dem Augenblick auf, als wir die Vorhöfe erreicht hatten. Voller Neugierde wandte sich alles dem ungewöhnlichen Schauspiel zu, und wir benutzten diesen Augenblick, ohne Aufsehen das mächtige Gebäude zu verlassen, um uns der Behausung des Lazarus wieder zuzuwenden.

 

68. Kapitel – Nikodemus und die Obersten beim Herrn.

[GEJ.11_068,01] Wir gelangten denn auch in nicht zu langer Zeit dorthin. Ein jeder hatte den Weg stillschweigend zurückgelegt, und besorgte Blicke der Meinen trafen Mich oftmals, da es ihnen allen klar erschien, daß Ich heute einen Hauptschlag zu führen versucht hätte, der aber, ihnen allen unbegreiflich, fehlgeschlagen war. Wo war Meine Wunderkraft geblieben, die doch so leicht durch ein starkes äußeres Zeichen Meine Sendung hätte bekräftigen können? Denn das Gesundmachen der Kranken galt ihnen schon als etwas Alltägliches, das auch Meinen Jüngern gelang, und daher für etwas vor dem Volke nichts Außergewöhnliches. Auch die Stimme vom Himmel war ihnen zweifelhaft, da diese nicht mächtig genug geschallt habe, um alle Zweifel niederzuwerfen.

[GEJ.11_068,02] Alle diese Fragen erörterten die Meinen sehr ausführlich, als wir in Bethanien angelangt waren und Ich Mich in ein einsames Gemach zurückgezogen hatte, um Mich, das heißt Meine Seele, zu sammeln und zu stärken. Vornehmlich war es im Kreise Meiner nächsten Jünger Judas, welcher am meisten erregt war über den anscheinenden Mißerfolg, und er sprach sich auch ganz unverhohlen darüber aus, daß Meine allzu große Sanftmut und Güte Mich daran hindere, dem Volke machtvoll entgegenzutreten.

[GEJ.11_068,03] Er (Judas) sagte: „Der Herr ist ganz gewißlich ein Mensch von ganz außergewöhnlicher Kraft und Weisheit, und ich zweifle auch durchaus nicht daran, daß Er und kein anderer der erwartete Messias ist; aber dieser starke Geist, der oft blitzartig in seiner außerordentlichen Kraft in Ihm wohnt, wird umschlossen von einer zu schwachen Hülle, die für die Menschen noch zu viele Schwächen zeigt. Nicht Sanftmut und Güte allein ist es, die die Welt regieren, sondern auch die Faust, welche das Schwert zu führen weiß und, wenn es sein muß, mit blutiger Strenge dareinfährt, sichert den Erfolg! Wenn der Herr gezwungen wäre, Sich und die Seinen zu schützen vor den Händen gieriger Henkersknechte, so würde die in Ihm wohnende Gotteskraft ganz anders auftreten müssen, damit Er mit den Seinen nicht untergeht, sondern Sein Werk gedeiht. So aber ist es Ihm noch immer mißlungen.“

[GEJ.11_068,04] Sagte ihm Petrus: „Judas, hast du denn noch nicht gesehen, wie oft sowohl der Herr als auch wir bedrängt wurden, und daß wir ohne diese in Ihm wohnende Kraft schon längst untergegangen wären?! Entsinne dich, wie Er dem Sturm gebot, und wie oft die Anschläge des Tempels, der die Schergen gegen uns sandte, vernichtet wurden!“

[GEJ.11_068,05] Antwortete Judas: „Und doch ist das kein Beweis; denn allezeit traten so günstige Umstände dabei ein, daß wir vielleicht auch ohnedies, durch eigene Kraft, uns noch hätten aus all den Gefährnissen herausziehen können! Nein, ich meine, wenn ganz plötzlich eine leibliche Gefahr an Ihn herantreten würde, so daß diese ein jeder sehen und fürchten müßte, – würde da der Herr nicht viel kraftvoller handeln müssen?! Würde Ihm das Volk dann nicht ganz anders anhangen und nicht durch ein albernes, prunkhaftes Tempelspiel wieder abwendig gemacht werden können?!“

[GEJ.11_068,06] Meinte Petrus und die anderen kopfschüttelnd: „Wie sollte so etwas eintreten können, und wer will das entscheiden? Der Herr wird wohl Selbst am besten wissen, was Er vorhat, und wie Er handelt.“

[GEJ.11_068,07] Judas schwieg nun nachdenklich und blieb des Tages über finster und verschlossen. –

[GEJ.11_068,08] Im Hause des Lazarus war es ruhig, und niemand störte Mich, der Ich in Meinem Kämmerlein allein verblieb und Zwiesprache hielt mit Meinem Vater in Mir. Es wird aber kein Mensch so recht begreifen, wieso letzteres möglich war. Darum sei hier gesagt, daß Meine Seele recht wohl sah, wie es möglich sei, allen Leiden zu entgehen, und daß diese zagte, da auch sie an die Erde gekettet war wie die Seele eines jeden andern Menschen, der irgendeine Aufgabe zu erfüllen hat. Nur der Geist in Mir, von dem jedermann weiß, wer Dieser war, schrieb Mir den Weg vor und legte der Seele vor, ob sie aus Liebe zu Ihm und den Menschen die gewiesenen Wege gehen wolle oder nicht. So trat denn auch jetzt in letzter Stunde die Entscheidung wiederum näher, und der Menschensohn entschied sich abermals für die Wege des Vaters.

[GEJ.11_068,09] Als es nun Abend zu werden anfing, begab Ich Mich wieder heiteren Gemütes zu den Meinen und beauftragte Lazarus, für unser leibliches Wohl zu sorgen. Es wurde dieses auch hinreichend getan, und in der Gemeinschaft der Zwölf, des Lazarus und seiner Schwestern, sowie der Maria von Magdalon, welche seit Meiner früheren Anwesenheit des Lazarus Haus nicht wieder verlassen hatte, nahmen wir ein nächtliches Mahl zu uns.

[GEJ.11_068,10] Als wir dasselbe eingenommen hatten, trat ein Diener des Lazarus zu uns mit der Nachricht, daß mehrere Männer draußen ständen, die Mich und Lazarus zu sprechen wünschten, jedoch unerkannt bleiben wollten. Lazarus fragte Mich, wer denn diese seien.

[GEJ.11_068,11] Ich antwortete ihm: „Es sind mehrere Obersten des Volkes, unter ihnen auch Nikodemus, die, durch die heutigen Ereignisse getrieben, zu uns kommen, jedoch die Welt mehr fürchten als Gott, weshalb sie auch in Verkleidung und in der Nacht zu uns kommen, – zwar in wohlmeinendster Absicht, jedoch so heimlich als möglich.“ (Joh.12,42.43)

[GEJ.11_068,12] Darauf wandte Ich Mich zum Diener und sagte ihm, er solle die Fremden auffordern, zu uns zu kommen, und ihnen sagen, sie könnten offenkundig zu uns eintreten, da niemand unter uns sei, der sie verraten würde.

[GEJ.11_068,13] Nach kurzer Frist traten denn auch die Fremden ein. Es waren Nikodemus und drei höhere jüdische Beamte seiner Familie, die bedeutende Stellungen in Jerusalem einnahmen, alle jedoch mehr oder weniger vom Tempel abhängig waren.

[GEJ.11_068,14] Nikodemus eilte nun sogleich auf Mich zu und ergriff voller Gefühl Meine Hand, Mich dabei bittend, Mich jedenfalls nicht in nächster Zeit hier blicken zu lassen, da der Tempel auf das höchste über Mein heutiges Auftreten aufgebracht sei und Kaiphas, sowie auch der Hohe Rat, geschworen habe, Mich um jeden Preis unschädlich zu machen.

[GEJ.11_068,15] Dieses Mal, meinten Meine Gegner, sei es durch Mein unkluges Handeln noch gelungen, die Gefahr abzuwenden. Wer aber könne wissen, ob das bei nächster Gelegenheit noch möglich sei?! Es müsse daher schnell gehandelt werden, ehe es Mir gelänge, das Volk wieder für Mich einzunehmen, das jetzt durch Mein Zaudern entmutigt sei, aber ebenso schnell durch eine rasche Tat Meinerseits wieder entflammt werden könne.

[GEJ.11_068,16] Auch wüßten sie wohl, daß Herodes, der schlaue Fuchs, der stets den Tempel nur für seine Zwecke ausgebeutet habe und in seiner Geldgier sich herzlich freue über die arge Klemme, in die die Priesterschaft dem Volke gegenüber geraten sei, Mir ebenso wie seinerzeit dem Johannes wohlgesinnt sei. Es müsse daher um so schneller gehandelt werden, damit Ich Mich nicht etwa mit diesem in Verbindung setze und dadurch sicherer geschützt werde; denn würde der Tempel des Herodes Schutz gegen das Volk vonnöten haben, so würde dieser Schutz enormes Geld kosten, da er nichts der Liebe wegen tue und mindestens versuchen werde, Jesus als Trumpf gegen den Tempel auszuspielen.

[GEJ.11_068,17] Nikodemus sowie auch die mit ihm Gekommenen waren daher sehr ängstlich um Mich besorgt und baten Mich dringend, weder dem Herodes zu trauen, noch Mich der dringenden Gefahr, die jetzt vom Tempel drohe, auszusetzen. Sie allein hätten gewagt, Mir diese Nachrichten zu überbringen. Es wären auch noch viele andere aus ihren Kreisen Mir freundlich gesinnt, doch wagten diese um der Pharisäer willen nicht, selbst zu Mir zu kommen.

[GEJ.11_068,18] Ich sagte nun dem Nikodemus und seinen Freunden: „Meine Lieben, was ihr Mir da mitteilet, ist Mir schon längst bekannt und wohl von Mir erwogen worden; denn so der Vater nicht wollte, daß alles so geschähe, wie es geschehen ist, – wäre es dann so? Und wäre nicht der Vater mit Mir, würde Ich dann wissen, was die nächste Zeit Mir bringen muß?

[GEJ.11_068,19] Darum glaubet nur, daß alles gerade so recht ist, wie es geschehen ist, und wie es der Vater auch also will; denn wer an Mich glaubt, der glaubt nicht an Mich, sondern an Den, der Mich gesandt hat! Und wer Mich sieht, der sieht Den, der Mich gesandt hat. (Joh.12,44.45)

[GEJ.11_068,20] Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit jeder, der an Mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe, sondern in Tageshelle wandle. Darum aber habe Ich auch vor dem Volke also gesprochen, wie es allezeit geschehen ist, und habe ihnen auch gesagt, daß Mein Reich nicht von dieser Welt sei, und habe ihnen auch allezeit die Wege gewiesen, die sie zu wandeln haben, um dieses Mein Reich zu erringen. (Joh.12,46)

[GEJ.11_068,21] Wer also Meine Worte hört und glaubt nicht, den werde Ich darum nicht richten; denn Ich bin nicht gekommen, daß Ich die Welt richte und ihr gebiete als ein tyrannischer König, sondern daß Ich die Welt selig mache durch das Wort und ihr den Frieden bringe. Wer Mich verachtet und nimmt Meine Worte nicht auf, der hat schon dessen genug, was ihn richtet; denn das Wort, welches Ich geredet habe, und welches ewiglich bleiben wird, das wird ihn richten an seinem jüngsten Tage, an welchem er abscheiden wird von dieser irdischen Welt, um einzugehen in das ewige Reich, wo Ich wahrhafter König sein und ewig bleiben werde. (Joh.12,47.48)

[GEJ.11_068,22] Ich habe nicht aus Mir Selber geredet, sondern der Vater, der Mich gesandt hat, der hat Mir ein Gebot gegeben, was Ich tun und reden soll. Und Ich weiß, daß Sein Gebot das ewige Leben ist. Darum auch rede Ich also, wie Mir der Vater gesagt hat. Seid also unbesorgt um das, was geschehen ist und noch geschehen wird; der Vater will es so!“ (Joh.12,49.50)

[GEJ.11_068,23] Sagte Judas darauf ganz erregt: „Herr, der Vater ist doch mit Dir in Seiner ganzen Kraft! Kann da diese Kraft von Dir weichen, da beide doch eins sind?“

[GEJ.11_068,24] Sagte Ich: „Der Vater, der Sohn und die Kraft sind eins und werden es bleiben und können auch nie getrennt werden, wie du wohl weißt; und es ist der Vater im Sohn und der Sohn auch bald im Vater, geeint durch die Kraft. Aber der Sohn hat dem Vater zu gehorchen, und so Er dieses tut, wird der Vater Ihm auch alles zu eigen geben; und das weiß der Sohn, weil es Ihm der Vater gesagt hat. Und nur eine kleine Weile noch wird es dauern, so ist der Sohn ewiglich im Vater. Wie aber dieses zu erreichen ist, das geht euch jetzt noch nichts an; doch wird es euch und der ganzen Menschheit zugute kommen.“

[GEJ.11_068,25] Sagte Nikodemus: „Herr, wir verstehen diese Deine Worte nicht ganz; auch scheint es uns vor allen Dingen notwendig, daß Du an Deine eigene persönliche Sicherheit denkst, weswegen wir hierhergekommen sind, Dir diese nach unseren Kräften zu verschaffen. Wäre es daher nicht am besten, Du verließest diesen Ort, um Dich zu verbergen? Hier, meines Bruders Sohn, würde Dich sicher geleiten, da er viele Verbindungen außer Landes hat, wo Du völlig gesichert eine Zeitlang leben könntest.“

[GEJ.11_068,26] Sagte Ich: „Seid nicht so töricht; Ich bedarf der Hilfe der Menschen nicht. Wollte Ich Meine Feinde vernichten, so wäre Mir das ein kleines. So aber will Ich das nicht; denn auch sie sollen noch des Heiles teilhaftig werden und mit ihnen das gesamte Volk. Ich bleibe hier, – und seid gewiß, niemand wird Mich eher ergreifen, als bis Ich Selbst dieses werde wollen!“

[GEJ.11_068,27] Nikodemus wollte sich nun zwar nicht gleich beruhigen, da ihm die Furcht vor dem Tempel stets im Nacken saß. Schließlich gab er sich jedoch zufrieden und meinte, er habe seine Schuldigkeit getan. Ich erkannte seinen guten Willen denn auch an, und er begab sich alsbald mit seinen Begleitern unter dem Schutze der Dunkelheit wieder nach Jerusalem zurück, wo er ungehindert und unerkannt ankam.

[GEJ.11_068,28] Wir selbst begaben uns sehr bald zur Ruhe, da dieser Tag auch den Körpern große Anstrengung gebracht hatte. Wir verbrachten die Nacht in größter Ruhe; nur des Judas Seele konnte diese nicht finden. Viele Gedanken und manche Einflüsterungen zogen durch seine Seele, so daß er schlaflos die Nacht verbrachte.

 

69. Kapitel – Gespräch zwischen Judas und Thomas. – Abschied von Bethanien. – Aufenthalt am Jordan.

[GEJ.11_069,01] Als es Morgen wurde, suchte Judas sich dem Thomas zu nähern und ihn abseits zu führen.

[GEJ.11_069,02] Beide gingen ins Freie, und daselbst besprachen sich beide wie folgt:

[GEJ.11_069,03] „Bruder“, sagte Judas, „kannst du die Handlungsweise des Herrn wohl recht begreifen? Siehe, wir sind doch beide Männer, die da stets gewußt haben, was sie wollen, und die ein einmal ins Auge gefaßtes Ziel stets mit allen Kräften verfolgt haben! Hier aber sehe ich denn nun doch nicht mehr klar, was der Herr denn so eigentlich will, und ich glaube auch nicht mehr so ganz überzeugt, daß Er Sich Selbst über Sein Endziel klar ist.

[GEJ.11_069,04] Wir sind doch nun beide gestern Zeugen Seines Triumphes gewesen, wie es Ihm doch nur ein kleines gewesen wäre, das Volk, welches Ihm fest anhängt, so an Sich zu ketten, daß es Ihm gefolgt wäre, wohin Er nur wollte. Aber anstatt von Seiner Messiassendung nun alle Welt zu überzeugen, läßt Er Sich vom Tempel alle Früchte Seiner Arbeit aus den Händen nehmen, unternimmt nichts von dem, worauf die Hoffnungen des Volkes gerichtet sind, trotzdem in Ihm doch wahrlich soviel Kraft ist, daß Er dem Tempel und dem ganzen Römerreiche gebieten könnte, so Er Sich nur aufraffen wollte!

[GEJ.11_069,05] Was nützt Ihm alle Kraft Gottes, mit der Er den Stürmen, den Kranken und allem Unheil gebieten kann, wenn Er in Sich Selbst schwächlich genug ist, da diese Kraft nicht anzuwenden, wo sie notwendig ist?! Sollen die Gesunden, welche unter dem Druck der Römerlast und des Tempelwuchers schwer genug leiden, in Ihm keinen Heiland finden? Was ist das Elend der wenigen Kranken gegen das große Elend der Allgemeinheit? Juda, ja die ganze Welt seufzt unter dem Druck des herrschsüchtigsten Volkes. Habgierige Könige und ein allmächtiger Kaiser, der im Wohlleben schwelgt, nehmen die Throne ein, die ein weiser, gerechter und von Gott aus äußerst kräftiger Fürst innehaben sollte. Wie würde sich die Welt zum Paradiese gestalten, wie würde Leid und Wehe zu eitel Lust und Freude, wie Armut sich in Reichtum verwandeln, wenn Er den Thron beherrschte, den jetzt Roms Kaiser einnimmt!

[GEJ.11_069,06] Oh, mir zittert das Herz im Busen vor Freude, wenn ich daran denke, wie alles sein könnte, – wie es aber nicht ist! Und warum ist es nicht? Weil Er, der einzige, in dem die Kraft Gottes lebt, nicht den Mut in Sich finden kann zur raschen, entschlossenen Tat!

[GEJ.11_069,07] Sieh, Bruder, das schmerzt mich, das bekümmert mich tief; denn ich besitze wahrlich noch ein Herz für das tiefe Elend des Volkes; doch Er, scheint mir fast, hat außer für die Kranken und Schwächlinge das Seine bereits verloren!“

[GEJ.11_069,08] Antwortete ihm Thomas: „Bruder, wie sprichst du doch! Sagte nicht der Herr Selbst: ‚Ich bin nicht in die Welt gekommen für die Gesunden, sondern für die Kranken und Gebrechlichen, daß Ich ihnen helfe und sie tröste‘? Willst du besser wissen als Er Selbst, weswegen Er zu uns kam?!“

[GEJ.11_069,09] Hitzig antwortete Judas: „Und wer ist denn gesund im Lande? Sind nicht alle Kranke und Gebrechliche? Nur der Tempel und die wenigen Großen schwelgen, mästen sich von dem, was sie durch ihre Macht erpressen, und der außen gesunde Leib der Menschen ist inwendig elend, krank und beschmutzt von Zorn und Wut, die das Treiben der Allherrlichen in ihnen erweckt.

[GEJ.11_069,10] Zu diesen ist Er doch auch gekommen! Braucht das Volk nur einen Messias der körperlich Gebrechlichen? Das Volk will und soll glücklich sein, das ist der Wille Gottes; aber zu diesem Glück gehört auch eine gesicherte Außenstellung, wie es eine solche unter Salomo genossen hat, damit es in Frieden lebe und sich bei äußerem Wohlstande auch in der Seele entwickle.

[GEJ.11_069,11] Nein, Bruder, mein Herz ist voll des Grams! Dir öffne ich es; denn du warst noch allezeit derjenige, der mit seinem Verstand und Urteil nicht zurückhielt, – so wie die andern, die alles bedingungslos glauben, ohne zu wissen warum. Nein, ich bin und will kein Sklave des Aberglaubens sein, – ich will wissen, wohin der Weg führt! Ich will nicht Kinderspiele, ich will Männertaten sehen!“

[GEJ.11_069,12] Thomas entsetzte sich über den grimmig dreinschauenden Judas, der mit einem Male sich ihm so unerwartet erschloß, und sagte warnend: „Bruder, ich bin wohl hartgläubig; aber dennoch bin ich auch überzeugt von dem, was ich einmal glaube! Willst du aber in meinem Glauben an den Herrn mich wankend machen, wie es mir scheint, so ist das vergebliche Mühe; denn ich weiß, was von Ihm zu halten ist. Also laß mich!“

[GEJ.11_069,13] Entgegnete Judas erregt: „Das sei fern von mir! Auch ich bin fest überzeugt, daß alle Welt nur allein von Ihm das Heil erhalten kann; aber ebenso fest bin ich auch überzeugt, daß etwas geschehen muß, um dieses Heil zu verwirklichen. Jetzt ist es Zeit – oder nie!

[GEJ.11_069,14] Der Herodes ist Ihm wohlgesinnt. Der Römer Macht ist gerade jetzt eine geringe hier, weil sie ihre Streitkräfte anderswo gebrauchen; also liegt alles günstig für Ihn, den mächtigsten Mann, – wenn Er nur wollte! Aber dieses Wollen in Ihm wachzurufen, daran liegt es! Denn wie sehr Er zögert, haben wir gesehen, und was der Tempel will, haben wir gehört. – Besäße ich nur den kleinsten Teil Seiner Kraft, ich spottete ebensosehr der Tempelschliche, als Er es bisher getan! Dieses erbärmliche Geschmeiß hat gewißlich keine Gewalt über Ihn; weder hat es diese früher gehabt, noch wird es diese je besitzen. Aber es ist zu fürchten, daß auch Gott Selbst Ihm die Kraft einst nehmen wird, so Er Sich dem Willen Gottes entgegenstellt, Sein Volk glücklich zu machen.

[GEJ.11_069,15] Hier in dem Herrn haben sich alle Bedingungen geeinigt, die es ermöglichten, in Ihn die Gotteskraft zu legen. Wir werden Ewigkeiten warten müssen, ehe wieder ein Mensch entsteht, der so Großes leisten kann. Darum muß Er es auch tun, jetzt oder nie, ehe sich die Langmut Gottes verzehrt! Findet Er in Sich nicht den Mut zu unternehmen, was not ist, weil es von Gott so verheißen wurde, so muß er gezwungen werden, es zu tun!“

[GEJ.11_069,16] Erschreckt fuhr Thomas auf und flüsterte: „Zwingen? Wer will Den zwingen, aus dem der Allmächtige Selbst spricht?!“

[GEJ.11_069,17] „Ist Er Der, für den Er Sich ausgibt, so beweise Er es! Ist Er es nicht, was warten wir dann auf ein Nichts?!“, murmelte halblaut Judas finster.

[GEJ.11_069,18] Thomas flüsterte ängstlich: „Wie auch sollte man Ihn zwingen?! Bruder, laß ab von solchen Gedanken; es taugt nicht, – mir graut davor!“

[GEJ.11_069,19] Finster redete Judas nun: „Graut dir Schwächling vor großen Gedanken? – Doch weiß ich es selbst noch nicht, wie das möglich sein sollte. Ich fühle nur: es muß etwas geschehen, es muß! –

[GEJ.11_069,20] Leb wohl, Bruder, schweige über das, was wir sprachen, zu den andern! Hörst du? Versprich es mir! Sie alle da drinnen lieben mich nicht sehr; ich möchte nicht noch mehr Haß auf mich laden.“

[GEJ.11_069,21] Thomas reichte ihm die Hand und meinte: „Wer hätte auch Nutzen von meinem Reden? Ich verspreche es dir!“

[GEJ.11_069,22] Darauf wandte sich Judas mit einem kurzen Gruß von ihm und begab sich auf die Höhe des Ölberges, um in Einsamkeit nachzudenken. Thomas aber ging beklommenen Gemütes wieder zu den andern und suchte seine Unruhe durch ruhiges Gespräch mit den Brüdern zu bekämpfen.

[GEJ.11_069,23] Als wir nun, außer dem Judas, beim Morgenmahl saßen, fragte Mich Lazarus, was Ich nun zu tun gedächte, – ob Ich, was ihm ja das liebste sei, die Festtage bei ihm verbringen wolle, oder wohin Ich Mich sonst zu wenden gedächte.

[GEJ.11_069,24] Ich sagte darauf ihm und den Jüngern, daß Ich gedächte, noch heute Bethanien zu verlassen, – nicht aus Furcht, sondern daß ich dieses täte des Volkes und der Templer wegen. Diese würden viel Böses anrichten, so sie wüßten, daß Ich hier sei und dennoch nicht zu erlangen wäre. Um aber das zu verhindern und niemand irgendwie Schaden zuzufügen, würde Ich Mich jetzt auf einige Tage verbergen und nicht finden lassen.

[GEJ.11_069,25] Fragten Mich die Meinen, wohin Ich gehen würde.

[GEJ.11_069,26] Sagte Ich: „So ihr mit Mir gehen wollt, so sollt ihr es sehen! Es schläft jedoch ein Verräter unter euch; darum sollt ihr es jetzt noch nicht erfahren.“

[GEJ.11_069,27] Die Jünger entsetzten sich über diesen Ausspruch und sahen verwundert umher – es waren hier nicht nur die Apostel anwesend, sondern noch viele vom Hausgesinde des Lazarus, die ihm in der Verwaltung seiner Güter nahestanden –, wen Ich wohl gemeint haben könnte. Doch wagte keiner ein Wort weiter danach zu fragen.

[GEJ.11_069,28] Wir beendeten schweigend unser Mahl. Danach nahm Ich Abschied von Lazarus und den Seinen, die Mich nur höchst ungern und beklommenen Herzens scheiden sahen. Jedoch hob sie ihr Glaube an Mich über alle Sorge hinweg, daß Mir irgend etwas geschehen könne von seiten des Tempels.

[GEJ.11_069,29] Wir gingen die Straße nach Jericho zu und sahen alsbald Judas auf uns zukommen, der von der Höhe aus unsern Abschied bemerkt hatte und sich uns anschloß, ohne daß er die deswegen nicht gerade freudigen Gesichter der Apostel beachtete. Diesen Zug nun unternahm Ich allein mit den Zwölfen, und es war von Meinen übrigen Anhängern sonst niemand mehr bei uns.

[GEJ.11_069,30] Wir wandten uns alsbald dem Jordan zu, dorthin, wo Johannes getauft hatte, einem Orte, der jetzt völlig leer stand, seitdem die Stimme des Predigers in der Wüste verhallt war. Dort lagerten wir uns und blieben auch daselbst völlig ungestört.

[GEJ.11_069,31] Es ist diese Gegend namentlich im Frühjahr eine sehr angenehme, da hier eine weit wärmere Temperatur herrscht. Am Ufer des Jordans wuchsen üppige Bäume und Sträucher, die allen kühlen Schatten und sichere Lagerstätten boten. Hier am Jordan verbrachten wir noch zwei volle Tage, nachdem wir von Lazarus uns entfernt hatten, und Ich benutzte diese Zeit, um den Aposteln nochmals ihren Beruf und Meine Lehre klarzulegen.

 

70. Kapitel – Judas vor dem Hohen Rat.

[GEJ.11_070,01] Auch Judas hörte dem zu, jedoch ohne dadurch von seinen falschen Ansichten befreit werden zu können. Im Gegenteil, er wurde nur noch mehr davon überzeugt, daß es so bald nicht irgendeinem Menschen gelingen würde, die Kraft Gottes so mit sich zu vereinen, daß nach Mir ein anderer als weltbefreiender Messias auftreten könne. Er fand es daher nur für rühmlich und freute sich in seinen ehrgeizigen Gedanken, wenn er es wäre, der den seiner Meinung nach notwendigen letzten, zwingenden Schritt vorbereite, der Mich veranlassen müsse, von der Mir verliehenen Macht nach seinen Wünschen Gebrauch zu machen. Er erschien sich selbst als eine Art Erlöser und vermeinte in seiner Verblendung, durch Mich wirken zu können. Als der Gedanke einmal in ihm erwacht war, Mich zwingen zu können, und die feste Überzeugung verblieb, Ich würde jeder Gefahr trotzen und sie auch leicht überwinden können, da erschien ihm auch alles recht, was imstande sei, diesen Plan zu verwirklichen.

[GEJ.11_070,02] Er machte Mir daher am zweiten Tage unseres Aufenthaltes am Jordan den Vorschlag, sich unerkannt nach Jerusalem begeben zu wollen, um auszuspionieren, wie dort die Stimmung für Mich sei, und ob das Volk über Mein Verschwinden beunruhigt sei.

[GEJ.11_070,03] Ich sagte ihm, er möge tun, wie er denke, und die andern, froh, seiner loszuwerden, stimmten seinem Anerbieten nur zu.

[GEJ.11_070,04] Er fragte, wo er Mich würde antreffen können, und Ich sagte ihm, an eben dieser Stelle würde Ich bis andern Tages zur Mittagszeit verbleiben.

[GEJ.11_070,05] Darauf verabschiedete sich Judas von uns und begab sich nach Jerusalem. Alsbald erfuhr er dort, daß alles über Mein plötzliches Verschwinden erstaunt war. Von der großen Erregung, welche Mein Einzug hervorgerufen hatte, war nichts mehr verblieben, und allgemein urteilte das Volk, Ich sei vor der Macht des Tempels geflüchtet. Dieser selbst war jedoch von den Tempelwächtern und herodianischen Soldaten stark bewacht. Außerdem durchzogen römische Soldaten täglich die Stadt, um etwaige Volksansammlungen zu zerstreuen. Der Tempel hatte bereits beim Landpfleger Pontius Pilatus Schutz gegen etwaigen Aufruhr gesucht und Mich als Volksaufwiegler verklagt.

[GEJ.11_070,06] Es war denn auch von Pilatus bereits eine Untersuchung eingeleitet worden, welche jedoch ergeben hatte, daß das Volk keinerlei feindliche Kundgebungen gezeigt hatte, sondern nur eine hohe Begeisterung für den dem Pontius Pilatus durchaus nicht mehr unbekannten Wunderheiland. Er legte daher auch dem Ereignis keine tiefergehende Bedeutung bei, ließ jedoch der aufrechtzuerhaltenden Ordnung wegen oftmals Soldatentrupps die Stadt durchstreifen. Das Volk wurde durch diese Maßnahmen stark eingeschüchtert, wußte es doch nur zu gut, daß Roms Macht und Strenge bei Ausschreitungen zu fürchten sei.

[GEJ.11_070,07] Der Tempel hatte nun wieder stark Oberwasser, und es schien ihm die Zeit gekommen, einen vernichtenden Schlag gegen Mich zu führen, – wenn sie nur gewußt hätten, wo und wie sie Mich ungefährlich aufheben könnten; denn daß auch dieses nicht so leicht sei, hatten sie schon oft genug verspürt.

[GEJ.11_070,08] In geheimer Sitzung wurden die Mittel und Wege hin und her beraten, ohne daß die Templer sich hätten einigen können. Da wurde ihnen gemeldet, daß ein Mensch dem Hohen Rat eine Auskunft überbringen wolle, wo sich der Nazarener befinde.

[GEJ.11_070,09] Hocherfreut ließ Kaiphas den Menschen, der Judas Ischariot war, zu sich kommen und führte ihn vor den Hohen Rat. Daselbst eröffnete Judas demselben, daß er glaube imstande zu sein, den gesuchten Jesus von Nazareth den Händen der Tempelwache zu überliefern, wenn nur die nötige Vorsicht dabei beachtet werde.

[GEJ.11_070,10] Auf die Frage, wie er denn das vollbringen wolle, antwortete Judas: „Ich habe mich längere Zeit in seiner Nähe aufgehalten, kenne daher auch seine und seiner Anhänger Eigentümlichkeiten. Ja, es gab eine Zeit, wo ich vermeinte, in ihm den erwarteten Messias der Juden sehen zu müssen. Jetzt aber habe ich mich überzeugt, daß er nichts anderes bezweckt, als unsere altehrwürdigen Satzungen und Gesetze, zu deren heiligem Hüter der Tempel bestimmt ist, umzustoßen, ohne daß er aber imstande wäre, etwas kraftvoll Besseres dafür zu geben. Er ist daher gefährlich, und als ehrlicher Jude, der bemüht sein muß, die Achtung vor Mosis Gesetz zu festigen, biete ich daher die Hand, diesem gefährlichen Treiben ein Ende zu machen. Noch weiß ich nicht, ob es gelingen wird; aber wo so viele weise Männer versammelt sind, wird es gewißlich gelingen, das rechte Mittel ausfindig zu machen, wie dieser Wunderheiland zu fangen sein wird.“

[GEJ.11_070,11] Fragte ihn Kaiphas: „Weißt du, wo er sich jetzt befindet?“

[GEJ.11_070,12] Sagte Judas: „Nein; denn ich kann nicht wissen, ob er den Ort nicht schon verlassen haben wird. Aber ich weiß, daß er, wie immer, auch in diesem Jahre das Osterlamm im Kreise seiner Anhänger wird essen wollen, und daß dieses nirgendwo anders als in der Nähe der Stadt geschehen wird.“

[GEJ.11_070,13] Rief einer jener Pharisäer, die nach der Auferweckung des Lazarus so übel bedient wurden: „Nur suche ihn keiner in Bethanien zu fangen! Dort wäre es nutzlos; denn seine Teufelskraft würde dort wieder zum Vorschein kommen. Das Beste wäre, man finge ihn des Nachts, – einesteils des Volkes wegen, das ihm doch viel anhängt, und dann habe ich immer sagen hören, daß in der Nacht die Kraft von solchen Zauberern eine schwächere sei. Ja, in einer bestimmten Stunde soll auch der ärgste Zauberer schwach wie jeder gewöhnliche Mensch sein, so daß er keinem widerstehen kann. Sag an – du mußt es wissen, der in seiner Nähe war –: hat auch dieser Mensch seine schwache Stunde? Was treibt er in der Nacht?“

[GEJ.11_070,14] „Er schläft wie jeder andere Mensch“, antwortete Judas. „Ich glaube wohl die Stunde zu kennen, in der er am schwächsten ist.“

[GEJ.11_070,15] Triumphierend wandte sich der Pharisäer zu den andern und meinte, diese Stunde müsse benutzt werden.

[GEJ.11_070,16] Unmutig wollte Kaiphas davon nichts wissen, indem er sicher sei, der Nazarener verfüge über keine anderen übernatürlichen Kräfte als auch die Essäer, die derentwegen genug bekannt seien; aber er sei ebenfalls dafür, nachts denselben zu ergreifen, um jedes Aufsehen zu vermeiden.

[GEJ.11_070,17] Es wurde daher mit Judas vereinbart, er solle am Tage des Osterlammes sich nachts im Tempel einfinden, um dort mit den Schergen zusammenzutreffen, die er nach dem Orte hinzuführen habe, wo sich der Nazarener befinde.

[GEJ.11_070,18] Kaiphas fragte ihn nun, was er für diesen Dienst verlange.

[GEJ.11_070,19] Judas, der sich innerlich freute, daß der Hohe Rat in die, wie er meinte, von ihm gestellte Falle gegangen sei, war nun noch mehr erfreut, daß sein Plan ihm auch noch Geld einbringen sollte – was anfangs nicht seine Absicht war –, und forderte nun die dreißig Silberlinge, welche ihm auch auszuzahlen versprochen wurde, wenn er sich am Abend der Tat einfinden würde.

[GEJ.11_070,20] Judas eilte nun, vom Tempel kommend, durch die Stadt und horchte überall, damit er erfahre, wie das Volk von Jerusalem und auch die große Zahl der Fremden gegen Mich gesinnt sei. Er fand überall großes Erstaunen ob Meiner augenscheinlichen Schwäche; nirgends aber fand er im Volke Menschen, welche nicht von Meiner Kraft überzeugt gewesen wären, die sich oft und auch noch zuletzt augenscheinlich bewiesen habe. Er erkannte deutlich, daß es Mir auch weiterhin gelingen würde, das gesamte Volk mit Mir zu reißen, sowie nur irgendeine heroische Tat von Mir ausginge, – daß das Volk wohl stutzig geworden, aber von Mir nicht gänzlich abgefallen sei.

[GEJ.11_070,21] Diese Erkenntnis erfreute und bestärkte ihn noch mehr in seiner Absicht, Mich in eine Lage zu bringen, die Mich zwingen würde, Meine Angreifer, um Mir diese vom Leibe zu halten, womöglich zu vernichten, oder doch so unschädlich zu machen, daß jedermann deutlich erkenne, wie Mir niemand auf Erden widerstehen könne, so Ich nur ernstlich wolle. Er machte sich denn auch, nachdem er von allem sich gründlich überzeugt zu haben glaubte, und ohne sich auch in der Zeit etwa um Herodes zu kümmern, der ihm für seine Zwecke nicht mehr notwendig erschien, da er auch ohne diesen auszukommen glaubte, wieder nach dem Jordan auf, Mich aufzusuchen und zu berichten, was er erfahren habe.

[GEJ.11_070,22] Wir wurden von ihm an der alten Stelle noch angetroffen, und er berichtete nun genau über die Stimmung in Jerusalem, und wie das Volk Meiner noch immer als des Erlösers harre. Ich hörte alles dieses ruhig an und antwortete nichts darauf, wodurch Judas nur überzeugt wurde, seine Rede habe tiefen Eindruck auf Mich gemacht. Er war nun auch Menschenkenner genug, nicht weiter in Mich zu dringen, da er meinte, es müßten seine Worte in Mir ausreifen. Er verhielt sich auffallend schweigsam, doch konnte man ihm anmerken, wie er zufrieden in sich war und nur noch beobachtete.

 

71. Kapitel – Das Osterlamm. – Die Fußwaschung. – Judas verrät den Herrn. – Das Abendmahl des Herrn.

[GEJ.11_071,01] Nachdem die Mittagszeit herangekommen war, hieß Ich die Meinen aufbrechen, und wir begaben uns nun gemächlichen Schrittes wieder nach der Landstraße zwischen Jerusalem und Jericho. Es war aber heute der Tag des Osterlammes, und die Meinen fragten Mich, ob und wo Ich dasselbe mit ihnen essen wolle. Ich bejahte diese Frage und verlangte, zweie sollten vor uns in die Stadt gehen und dort das Lamm bereiten, sodann wolle Ich mit den übrigen nachkommen. (Mark.14,12.13a)

[GEJ.11_071,02] Es lebte aber in der Stadt ein Mensch, welcher zu der Zahl derer gehörte, die von Mir schon im Anfange Meiner Lehrzeit gesund gemacht worden waren, als Ich das erstemal in Jerusalem selbst auftrat. Dieser war ein treuer Anhänger Meiner Lehre und fürchtete sich nicht vor den Juden und den mißgünstigen Pharisäern. Er hatte eine kleinere Herberge, die stets von besten Gästen besucht wurde. Namentlich verkehrten viele Römer bei ihm, die nach Jerusalem reisten, und er stand sich daher gut im Ansehen des Volkes und in seinem Lebensunterhalt. Dieser Wirt hatte schon früher durch Meine Jünger des öfteren Mich bitten lassen, bei ihm einzukehren.

[GEJ.11_071,03] Zu diesem sandte Ich nun Petrus und Johannes, um das Osterlamm daselbst zu bereiten. Als Zeichen, wo dessen Haus zu finden sei, gab Ich ihnen an, sie sollten einem Menschen folgen, dem sie begegnen würden, der einen Wasserkrug trage und diesen in das Haus tragen würde. (Mark.14, 13b.14)

[GEJ.11_071,04] Beide waren dem Besitzer nicht unbekannt, und als er Mein Verlangen hörte, ließ er sogleich in seiner Wohnung seinen besten Saal, den er sonst bei Familienfesten für sich selbst brauchte, herrichten, damit wir dort ungestört dem Brauche des Osterlammes folgen konnten, den er selbst, als ein nach der Meinung des Tempels abgefallener Israelit, der es mit den Römern hielt, nicht mehr beachtete, zumal er eine Griechin zur Frau hatte, mit der er nach Meiner Lehre, ohne jeden Formelkram des Tempels, lebte.

[GEJ.11_071,05] Dieses ist der Inhaber des gepflasterten Saales, von dem die Evangelisten außer dem Johannes berichten, weil es ihnen später sehr wichtig schien, anzugeben, wo das Abendmahl stattgefunden habe (Mark.14,15.16), während Johannes sich nur um die hier gesprochenen Worte und nicht um das Äußere kümmerte.

[GEJ.11_071,06] Es war Abend geworden, als Ich mit den Meinen ankam. Nachdem wir von unserem Gastgeber und dessen Familie freudig begrüßt worden waren, wurden wir unter der Versicherung, daß niemand uns hier stören würde, in den bewußten Saal geführt, wo wir uns zu dem bereiteten Osterlamm niederließen.

[GEJ.11_071,07] Was an diesem Abend alles gesprochen wurde, das hat auch der Evangelist Johannes genau aufgezeichnet und ist daselbst nachzulesen (Joh.13-17). Hier ist nur einiges noch nachzuholen, damit das Verständnis dafür mehr gefördert werde, wie die Ereignisse sich vollzogen.

[GEJ.11_071,08] Nachdem wir in der hergebrachten Sitte das Lamm verzehrt hatten, stand Ich auf, gürtete Mich und nahm die Fußwaschung (Joh.13,4-12) vor, wodurch die tiefste Demütigung des Menschensohnes bezeigt wurde, da dieses ein Geschäft der niedrigsten Diener und Sklaven war. Gleichzeitig wird aber damit gesagt, daß niemand Meine Wege wandeln kann, ohne daß Ich ihm vorher die Werkzeuge gereinigt habe, welche es ihm ermöglichen, auch diese Wege zu gehen, – das heißt also, sein Herz muß von allem Staube der bisher gewandelten Landstraßen der Welt völlig gesäubert sein, und zwar bin Ich es, der ihm dazu die Mittel reichen wird. Es soll daher niemand diese Waschungen fürchten, ansonst er keinen Teil an Mir haben wird.

[GEJ.11_071,09] Ich gab also hier den Jüngern eine tiefe Lehre in einem Symbol, wobei allerdings dieses letztere nicht die Hauptsache ist, sondern der in diesem steckende Kern alles bedeutet.

[GEJ.11_071,10] Wie Ich aber Meine Jünger reinigte, so sollen auch die Menschen untereinander bemüht sein, sich zu reinigen, damit sie reinen Herzens, also mit gewaschenen Füßen, Mir wahrhaft nachfolgen können. –

[GEJ.11_071,11] Es war nun Sitte, daß nach dem Mahle von dem Hausvater noch ein Bissen verabreicht wurde, indem er einen Spruch der Schrift dazu dem sagte, der diesen Bissen erhielt. Diese Sitte hat sich nicht bis zur Jetztzeit erhalten, wurde jedoch damals allgemein ausgeübt und galt bei vielen als eine Art Weissagung für die kommende Zeit.

[GEJ.11_071,12] Während Ich nun diese bereitete, überfiel Meine Seele große Traurigkeit, und Ich sagte die Worte: „Einer unter euch wird Mich verraten!“ (Joh.13,21)

[GEJ.11_071,13] Die Jünger, entsetzt über diesen Ausspruch, der ihnen dunkel erschien, bestürmten Mich mit Fragen, wie Ich das meine, und wer Mich verraten könne. (Joh.13,22) Ich lehnte aber jede Antwort ab und begann, die Bissen zu verteilen, indem Ich jedem nach seinem Charakter noch eine Ermahnung sagte. Petrus, der einer der ersten war, war am meisten von Meinem Ausspruch bedrückt und winkte dem Johannes, der Mir zunächst saß, er möge forschen, wer es wäre, den Ich meine. (Joh.13,23.24)

[GEJ.11_071,14] Das ‚An-der-Brust-Liegen‘ ist vielfach falsch verstanden worden, indem die vielen Deutungen nur durch Mißverstehen des Sprachgebrauchs entstanden sind. Wir lagen nicht zu Tische, wie die Römer es taten, wie oft gedeutet wird – diese Sitte nahmen die Juden als heidnisch nie an, wie sie alles vermieden, was sie mit heidnischen Völkern hätte gemein machen können –, sondern wir saßen. Derjenige nun, dem eine besondere Freundesauszeichnung gegeben werden sollte, saß dem Hausvater zur Rechten und wurde von ihm dadurch geehrt, daß er ihm die Speisen zubereitete. Geschah dieses, so mußte sich der Hausvater ihm oftmals zuwenden, ihm die Brust entgegenstellen. Im Sprachgebrauch der damaligen Zeit bedeutete dieser Umstand eben das, was jetzt mit ‚An-der-Brust-Liegen‘ übersetzt ist, wodurch allerdings ein anderer Begriff mit untergelaufen ist, der nicht beabsichtigt war. (Joh.13,25a)

[GEJ.11_071,15] Johannes fragte Mich nun leise, und ihm, als dem vertrautesten Meiner Jünger, sagte Ich: „Der ist es, dem Ich den Bissen gebe!“, wonach Judas denselben erhielt mit den Worten: „Was du tust, das tue bald!“ (Joh.13,25b-27)

[GEJ.11_071,16] Natürlich konnten die andern Jünger aus diesem Spruch nicht entnehmen, was Ich meinte. Judas aber, der ebenfalls durch Meinen ersten Ausspruch erschreckt war, da er sich getroffen fühlte, nahm diese Worte nun ganz als Aufforderung auf, die seinen Plänen zustimmte, erhob sich schnell und ging innerlich triumphierend hinaus. (Joh.13,28-30)

[GEJ.11_071,17] Der ganze Hochmut eines zukünftigen Mitherrschers, der er durch Mich nun zu werden hoffte, sowie die größte Begierde, Ruhm und Ehre rücksichtslos einzuheimsen, erfüllte ihn nun, so daß Satan mit allen Hochmutsteufeln von seiner Seele Besitz nahm, die nur in dem Wunsche erglühte, zu herrschen und alle Gegner zu vernichten. –

[GEJ.11_071,18] Hätte Ich aber nun dieses alles nicht vermeiden können?

[GEJ.11_071,19] Gewiß! Es stand hier aber dem Menschensohne die Wahl, allen Glanz und alle Ehre der Welt ergreifen zu können. Er mußte daher auch wahrhaft in die Lage kommen, zu wählen, und hierin lag die Entscheidung für Ihn in dem Sinne, wie sie schon früher angedeutet worden ist.

[GEJ.11_071,20] Daher sprach Ich nach des Judas Fortgang: „Nun ist des Menschen Sohn verklärt, und Gott ist verklärt in Ihm. Ist Gott verklärt in Ihm, so wird Ihn Gott auch verklären in Sich Selbst und wird ihn bald verklären!“ Das heißt also: Der Menschensohn wird wahrhaft Gottes Sohn sein, und der Vater wird Sich bald für alle Ewigkeit mit Ihm vereinen. (Joh.13,31.32)

[GEJ.11_071,21] Ich gab nun Meinen Jüngern nochmals Meine gesamte Lehre in kurzen Worten wieder, wie es in Johannes, Kapitel 13 bis 17, genau zu lesen ist mit allen Reden und Gegenreden der Jünger, mit des Petrus und Philippus Einwänden und der Begegnung derselben.

[GEJ.11_071,22] Es war aber über allen diesen Reden schon spät geworden, und Ich nahm nun das Brot nochmals, von dem Ich die ersten Bissen zubereitet hatte, und sagte zu den elfen: „Nehme noch jeder einen Bissen, den Ich hier bereite. Es ist Mein Leib, das Fleisch gewordene Wort, welches in euch lebendig werden soll. Nehmet auch diesen Kelch, trinket alle daraus, es ist Mein Blut, welches für euch zur Vergebung eurer Sünden vergossen werden wird. Wer nicht Mein Fleisch isset und Mein Blut trinket, wird nimmermehr selig werden. Ihr wisset aber nun, wie ihr dieses zu verstehen habt, und werdet euch nicht mehr an solchen Worten stoßen. Esset, trinket, und solches tut, sooft ihr es tut, zu Meinem Gedächtnis. (Matth.26,26-88; Mark.14,22-24) Wo aber zwei solches tun werden zu Meinem Gedächtnis und sind versammelt in Meinem Namen, da bin Ich auch unter ihnen.“ (Matth.18,20)

[GEJ.11_071,23] Die Jünger taten nun also, wie Ich gesagt hatte. Und sodann begaben wir uns aus dem Hause, nachdem Ich auch unserem Wirte gedankt hatte, der sich liebevoll von Mir verabschiedete.

 

72. Kapitel – Jesus in Gethsemane. – Jesu Gefangennahme.

[GEJ.11_072,01] Wir gingen nun zum Tore hinaus und wandten uns dem Ölberge zu. Dort lag also der Garten, der jetzt noch ‚Gethsemane‘ benannt wird, jedoch an einem ganz andern Orte. Der Garten Gethsemane gehörte zu jener Herberge am Ölberge, die dem Lazarus gehörte und als beliebter Ausflugsort bekannt war. Unterhalb jener Herberge, die auf der Höhe lag und eine weite Aussicht bot, erstreckte sich eine parkartige Anlage, durch welche hindurch ein sehr angenehmer Weg hinauf zur Höhe führte. Dieser Park selbst aber ist das eigentliche Gethsemane gewesen und liegt daher an einer ganz andern Stelle als das jetzt gezeigte, das mit ihm nur den Namen gemein hat, weil die dortigen sehr alten Bäume den späteren Suchern dieses Ortes es wahrscheinlich machten, die richtige Stätte gefunden zu haben. (Joh.18,1)

[GEJ.11_072,02] Wir versammelten uns ja oft bei dem Wirte, und so glaubte auch Judas sicher, Mich bei diesem zu finden, da Ich Lazarus sonst nicht verlassen haben würde, um mit Meinen Jüngern allein sein zu können. Der Park selbst bot wegen der großen Stille, die dort herrschte, einen geeigneten Ort zur inneren Beschauung, und darum führte Ich die Jünger dorthin, damit sie die letzten Ereignisse nochmals überdenken möchten. (Joh.18,2)

[GEJ.11_072,03] Wir lagerten uns abseits des Weges, und Ich forderte Petrus, Johannes und Jakobus auf, mit Mir von den andern weg etwas abseits zu gehen. Sie taten so und folgten Mir.

[GEJ.11_072,04] Hier trat nun der Augenblick ein, wo die ganze Wucht des nahenden Unheils die Seele des Menschensohnes befiel und die Gottheit sich wiederum gänzlich zurückzog, um die freieste Entschließung dem Menschen Jesus zu überlassen. (Mark.14,33)

[GEJ.11_072,05] Daher empfand dieser auch die bange Stunde und sagte (Jesus): „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod!“ Er sagte sodann auch zu den dreien: „Bleibet hier und wachet mit mir!“ (Mark.14,34)

[GEJ.11_072,06] Und er ging abseits und betete die Worte: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst!“ (Mark.14,35.36)

[GEJ.11_072,07] Da jedoch in diesen Worten noch nicht der eigene feste Entschluß steht, so trat die Gottheit auch noch nicht in ihn zurück.

[GEJ.11_072,08] Jesus ging zu den Seinen zurück und fand sie schlafend.

[GEJ.11_072,09] Daraus ersah er, daß er nur eine Stütze finden könne an dem Vater in sich, weckte die drei und sprach die bekannten Worte: „Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“ (Mark.14,37.38)

[GEJ.11_072,10] Mit diesen Worten meinte er nicht nur die drei, sondern auch sich selbst zu bezeichnen.

[GEJ.11_072,11] Jesus ging nun zurück und betete abermals: „Mein Vater, ist es nicht möglich, daß dieser Kelch von mir gehe, so trinke ich ihn denn, und Dein Wille geschehe!“ (Mark.14,39)

[GEJ.11_072,12] Wiederum von Unruhe getrieben, suchte die Seele Anschluß nach außen bei den Seinen und fand diese wiederum schlafend, und zwar so fest, daß sie nicht erweckt wurden, sondern bei ihrem Anruf sich nur schlaftrunken regten. (Mark.14,40)

[GEJ.11_072,13] Jetzt hatte Jesus, der Menschensohn, gesiegt.

[GEJ.11_072,14] Mit einem Blick des Mitleids überschaute er die Seinen, eilte zurück und rief laut: „Vater, ich weiß, es ist möglich, daß dieser Kelch vorübergehe; aber Dein Wille allein geschehe, und darum will ich ihn trinken!“

[GEJ.11_072,15] Da kehrte die Gottheit in ihn völlig zurück und stärkte ihn, durchdrang ihn völlig und sprach: „Mein Sohn, zum letztenmal hattest du dich zu entscheiden! Nun sind Vater und Sohn in dir geeint und ewig untrennbar geworden. Trage, was dir zu tragen gegeben worden ist! Amen!“

[GEJ.11_072,16] Darauf erhob Ich Mich wieder und ging zu Meinen Jüngern, die wieder schlafend dalagen, weckte sie und sprach: „Wie könnet ihr nur schlafen und Mich allein lassen in der schwersten Stunde? Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet; denn der Geist ist wohl willig, aber das Fleisch ist schwach. Ihr aber sollet allzeit stark sein. Sehet, jetzt ist die Stunde gekommen, wo Ich Meinen Feinden überliefert werde; darum schlafet nicht, und seid stark!“ (Mark.14,41)

[GEJ.11_072,17] In diesem Augenblick nahte sich eine Schar bewaffneter Tempelwächter mit Fackeln, welche Judas anführte, und die er nach der Herberge führen wollte, wo er Mich vermutete. Die Jünger fragten Mich, was das bedeute. Ich aber hieß sie zurücktreten und ging auf dem Wege der Schar entgegen. Als Mich Judas sah, trat er auf Mich zu, grüßte Mich und wollte Mich küssen als Erkennungszeichen für die Schergen. Ich aber wehrte ihm und sagte: „Judas, verrätst du also des Menschen Sohn? Dir wäre besser, nie geboren zu sein!“ (Joh.18,3)

[GEJ.11_072,18] Darauf wandte Ich Mich zu dem Haufen und fragte mit starker Stimme: „Wen suchet ihr?“ (Joh.18,4)

[GEJ.11_072,19] Der Anführer antwortete: „Jesum von Nazareth!“

[GEJ.11_072,20] Darauf gab Ich Mich mit den Worten: „Ich bin's!“ ihnen zuerkennen und trat ihnen einige Schritte näher. (Joh.18,5)

[GEJ.11_072,21] Die Schergen aber wichen zurück, weil sie von Meiner Kraft gar manches gehört hatten und sich vor dieser fürchteten, – weswegen auch von Kaiphas nur solche Knechte ausgewählt worden waren, die Mich noch nicht kannten. Einige der zuletzt Stehenden fielen von dem Anprall der Vorderen sogar zu Boden. (Joh.18,6)

[GEJ.11_072,22] Wiederum fragte Ich sie, da die Knechte zögernd und ängstlich dastanden: „Wen suchet ihr?“

[GEJ.11_072,23] Und auf die nochmalige Antwort des Anführers wiederholte Ich: „Ich habe es euch gesagt, daß Ich es bin! Suchet ihr aber Mich, so lasset diese hier gehen!“ (Joh.18,7.8)

[GEJ.11_072,24] Als nun die Knechte merkten, daß ihnen nichts geschehe, schämten sie sich ihres anfänglichen Schreckens, drangen auf Mich ein und umringten Mich alsbald, während der Anführer ihnen zurief, nur auf Mich zu achten, da der Befehl des Hohepriesters laute, nur Mich zu fangen.

[GEJ.11_072,25] Petrus aber, der da nun erkannte, daß ernstlich Gefahr für Mich drohe und keinerlei Wunder geschehe, Mich zu befreien, zog das stets verborgen getragene Schwert und drang zu Mir hin. Ihm stellte sich Malchus entgegen, der ihn mit dem Spieße abwehrte. Da führte Petrus einen Streich nach ihm, der dem Malchus das Ohr abtrennte. (Joh.18,10)

[GEJ.11_072,26] Ich rief nun dem Petrus zu: „Stecke dein Schwert in die Scheide! Soll Ich den Kelch nicht trinken, den Mir Mein Vater gegeben hat?“ (Joh.18,11)

[GEJ.11_072,27] Darauf wich Petrus zurück. Ich aber berührte das wunde Ohr des Knechtes, und alsobald ward es heil. (Luk.22,51) Diese Tat verwunderte die Knechte, so daß sie sich um die Jünger nicht weiter kümmerten, sondern nur bedacht waren, Mich fortzubringen.

[GEJ.11_072,28] Da Ich nun alles schweigend über Mich ergehen ließ, Mir auch die Hände von ihnen ohne jedes Widerstreben binden ließ (Joh.18,12), so sprachen sie unter sich ihre Verwunderung aus, warum doch ihnen gesagt sei, die äußerste Gewalt zu gebrauchen, da doch einen solchen Menschen zu fangen nichts weniger als gefährlich sei. – Judas aber stand dabei und wartete, daß irgend etwas geschehe, wodurch die Wächter in Schrecken versetzt würden. Da aber nichts geschah, glaubte er um so sicherer, es werde sich vor dem Hohen Rate Meine Kraft schon entfalten.

 

73. Kapitel – Jesu Verhör und Verurteilung.

[GEJ.11_073,01] Der Zug ging nun über den Kidron durch dasselbe Tor hindurch, durch welches Mein Einzug geschehen war. Die Tempelwachen führten Mich zunächst zu Hannas, welcher des Hohenpriesters Kaiphas Schwäher war. Hannas aber war darum der erste, zu dem Ich gebracht wurde, weil er Stellvertreter des Kaiphas war und in dieser Angelegenheit sich stets sehr regsam verhalten hatte, weswegen auch ihm zunächst die Nachricht gebracht wurde, es sei geglückt, Mich zu fangen. (Joh.18,13)

[GEJ.11_073,02] Notabene. Es ist nun durchaus nicht die Absicht, hier das alles zu wiederholen, was im Evangelium Johannis schon ausführlich behandelt worden ist – denn diese Schrift soll das Evangelium Johannis durchaus nicht überflüssig machen –, sondern es wird in den folgenden historischen Ereignissen nur ergänzt werden, was als Lücke empfunden werden kann.

[GEJ.11_073,03] Die Art, wie Hannas Mich empfing, und auch des Petrus Fall ist daher dort nachzulesen. (Joh.18,13-27). –

[GEJ.11_073,04] Hannas sandte Mich gebunden zu Kaiphas.

[GEJ.11_073,05] Judas, welcher nun einsah, daß alles wohl anders abzulaufen schien, als er gemeint hatte, sah, wie Ich fortgeführt wurde, und folgte dem Zuge bestürzt und voller Furcht über das Gelingen seiner Absicht. Er wollte auch mit Mir zum Hohenpriester eindringen, jedoch wurde ihm der Eintritt verwehrt.

[GEJ.11_073,06] Bei Kaiphas war der ganze Hohe Rat versammelt, der auf Mein Erscheinen schon längst ungeduldig und rachebrütend wartete. Dort wurde nun in aller Form die Anklage gegen Mich erhoben, und Zeugen traten wider Mich auf, die da bezeugen sollten, Ich sei ein Hochverräter. Hierzu wurde namentlich der Einzug benutzt, sowie, daß Ich es gewagt hätte, das Heiligtum zu betreten, und Mir dadurch priesterliche Kraft angemaßt hätte, die Ich nicht besäße. Sodann wurde haarscharf bewiesen, daß Ich das Volk gegen den römischen Kaiser aufbringen wolle, um Mich Selbst zum Könige zu machen. Als es jedoch dazu kam, Zeugen hierfür zu gewinnen, welche diese Absicht durch Meine Worte beeiden konnten, fanden sich keine.

[GEJ.11_073,07] Schließlich traten die Zeugen auf, welche sagten, Ich habe gesagt: ‚Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will Ich ihn wieder aufbauen!‘

[GEJ.11_073,08] Kaiphas sagte nun, dies sei eine Schmähung gegen den Tempel selbst; denn um dies zu vollbringen, dazu gehöre göttliche Gewalt, die dem Gesalbten des Herrn, der da einmal in großer Kraft kommen würde, nur allein eigen sein könne. Ich aber habe gesagt, Ich sei Christus, der Gesalbte, und so beschwor er Mich, zu sagen, ob Ich wirklich sei Christus, der Sohn Gottes. (Matth.26,63)

[GEJ.11_073,09] Darauf antwortete Ich: „Du sagst es. Doch sage Ich euch: Von nun an wird es geschehen, daß des Menschen Sohn wird sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels zu dem Vater, der da in Ihm wohnt!“ (Matth.26,64)

[GEJ.11_073,10] Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sprach: „Er hat Gott gelästert! Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Ihr habt seine Gotteslästerung gehört.“ (Matth.26,65)

[GEJ.11_073,11] Natürlich stimmten alsbald alle dem zu; denn im Rate waren nur die versammelt, von denen Kaiphas wußte, daß sie ihm ergeben und willfährig waren. Die da aber Mir irgendwie freundlich gesinnt waren – wie sich bei den letzten Sitzungen bereits erwiesen hatte –, denen war die Absicht, Mich zu fangen, und des Judas Verrat verheimlicht worden. So war denn auch das Todesurteil schnell fertig, und es handelte sich nur darum, die Genehmigung des Pontius Pilatus zu erlangen.

[GEJ.11_073,12] In der Frühe wurde Ich dahin gebracht und dem Landpfleger die Sache vorgetragen: Ich sei ein Rebell und Gotteslästerer und habe als solcher den Tod verschuldet. (Joh.18,28-32)

[GEJ.11_073,13] Pontius Pilatus, dem Mein Einzug sehr wohl bekannt war und der nichts Rebellenhaftes an ihm hatte finden können, suchte Mich zu retten, da er als Römer geneigt war, in Mir eine Art Halbgott von besonderen Kräften zu sehen. Er sprach nun mit Mir, wie es im Evangelium Johannis (18,33-38) zu lesen ist, und sagte den vor dem Richthause stehenden Templern, daß er keine Schuld an Mir fände.

[GEJ.11_073,14] Darauf trat einer der höheren Priester vor und erklärte ihm nochmals, daß Ich das Land durchzogen und gegen den Tempel und dessen Diener gepredigt habe, die doch die Hoheit des Landes und Stellvertreter Gottes seien. Bei dieser Gelegenheit wurde gesagt, daß Ich aus Galiläa sei.

[GEJ.11_073,15] Pilatus war froh, als er diese Botschaft hörte, und sah einen Ausweg, sich den ganzen Handel vom Halse zu schaffen. Galiläa stand unter der Oberhoheit des Herodes, und so konnte dieser hier ein Urteil sprechen. Er endete also kurz das Verhör und gab Befehl, Mich zu Herodes zu senden, um diesen das Recht sprechen zu lassen über einen seiner Untertanen. (Luk.23,6.7)

[GEJ.11_073,16] Herodes war sehr erfreut, als Ich zu ihm gebracht wurde, da nun sein Wunsch, Mich persönlich zu sehen, erfüllt wurde und er sich nun überzeugen wollte, was an den vielen Gerüchten von Meiner Wunderkraft Wahres sei. (Luk.23,8) Er ließ Mich sogleich vor sich führen und befahl seiner Umgebung, sich zu entfernen. Wir blieben allein. Er sprach seine Verwunderung aus, daß ein Mann wie Ich, der doch über besondere Kräfte verfüge, sich habe fangen lassen, und wollte wissen, wie das hätte geschehen können. Ich antwortete ihm jedoch nicht, so daß er darüber in Verlegenheit geriet und ernstlich verlangte, er wolle Antwort von Mir haben. Mein fortgesetztes Schweigen verstimmte ihn zunehmend, und er geriet in eine große Wut darüber, so daß er auf Mich zulief und Mir mit der Folter drohte. Ich sah ihn nur ruhig an, und alsogleich erzitterte der alte Sünder ob dieses Blickes so sehr in seinem Herzen, daß er angstvoll nach seiner Umgebung rief. – Ich war ihm äußerst unheimlich geworden, und um seine Furcht zu verbergen, spottete er nun Meiner vor dem Hofgesinde, das selbstredend sogleich mit dem Herrscher in solche Spottreden einstimmte. (Luk.23,11a)

[GEJ.11_073,17] Herodes sah sich nun in seinen Hoffnungen betrogen, durch übernatürliche Macht etwas ausrichten zu können, und wollte nun wenigstens noch soviel als möglich Nutzen aus der ganzen Sache ziehen. Daher gab er Befehl, Mich zu Pilatus wieder zurückzuführen, indem er mit verbindlichen Worten sagen ließ, daß er der Oberhoheit Roms gern untertan sei und verzichte, über einen seiner Untertanen zu richten, der nach Ausspruch des Tempels sich auch gegen die Oberhoheit Roms auflehnen wollte. Mit einem weißen Kleide angetan, das Mir Herodes als ein Zeichen der Unterwerfung geben ließ, kam Ich nun zu Pilatus zurück, der über Meine Rückkunft nicht sonderlich erbaut war, wohl aber über das Handeln des Herodes, das auch später eine völlige Versöhnung zwischen beiden Machthabern verursachte. (Luk.23,11b)

[GEJ.11_073,18] Pilatus war inzwischen von seinem Weibe gewarnt worden, welches im Traum gesehen hatte, wie die Guten und Bösen vom Sohne geschieden wurden (Matth.27,19), und er trachtete danach, Mich loszulassen. Er verfiel daher auf die Idee, dem Volke vorzuschlagen, Mich freizugeben, da es zur Osterzeit Sitte war, irgendeinen Verbrecher zu entlassen, für den das Volk sprach. (Joh.18,39)

[GEJ.11_073,19] Die Priester und Templer hatten jedoch ihren ganzen Anhang aufgeboten, der vor dem Richthaus stand, und dieser ließ niemand von dem übrigen Volke hinzu, so daß die eingeschüchterte, Mir anhängliche Volksmenge nicht in nächster Nähe stand, sondern nur diese Tempelsippe, die ihren Zweck, Mich zu beseitigen, mit aller Macht zu erreichen suchte. Da, wie schon früher gesagt, Barabbas beim Tempel gut angeschrieben war, so wurde auf die Frage des Landpflegers, welchen Gefangenen er losgeben sollte, sogleich verabredetermaßen ‚Barabbas!‘ gerufen und Mich zu kreuzigen verlangt, wobei immer betont wurde, Ich sei ein Aufrührer und gegen den Kaiser. (Joh.18,40)

[GEJ.11_073,20] Pilatus wußte sich nicht mehr zu helfen, da wohl Beschuldigungen genug gegen Mich vorgebracht worden waren, er aber die Schuldfrage bei sich nicht bejahen konnte. Er glaubte nun, durch eine Geißelung allein genug Strafe über Mich zu verhängen und verlas diese denn auch. Und so wurde Ich denn gegeißelt. (Joh.19,1-3)

[GEJ.11_073,21] Nach dieser Strafe führten die Knechte Mich im erbarmungswürdigsten Zustande, im Purpurmantel und mit Dornen gekrönt, heraus, da Pilatus hoffte, dieser Anblick würde die Juden zum Mitleid bringen, so daß er Mich freilassen könne. (Joh.19,4.5)

[GEJ.11_073,22] Doch der Juden Herzen waren härter als Stein und wieder schrien sie: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“

[GEJ.11_073,23] Pilatus wiederholte: er finde keine Schuld an Mir, die den Tod verdiene, und Ich sei nun genug gestraft. (Joh.19,6)

[GEJ.11_073,24] Da schrien die vordersten und erbittertsten pharisäischen Priester: „Er muß sterben, denn er hat Gott gelästert! Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht, und nach unserem Gesetz ist der des Todes, der Gott lästert!“ (Joh.19,7)

[GEJ.11_073,25] Da erschrak Pilatus noch mehr, als er das hörte; denn seine römische Ansicht, Ich könne ein Halbgott sein, fand hier neue Nahrung. Darum ging er wiederum in das Haus, in das Mich die Knechte ebenfalls zurückgeführt hatten, und fragte Mich, von wannen Ich sei, das heißt welcher Herkunft und welchen Landes, da er Mir glauben wolle, nicht Meinen Anklägern. (Joh.19,8.9)

[GEJ.11_073,26] Ich jedoch antwortete ihm nicht – und das aus Erschöpfung. Pilatus fragte wiederum, wie Johannes, Kapitel 19, Vers 10, angegeben. Auch die weiteren Ereignisse spielten sich nach Vers 11,12 und 13 ab. –

[GEJ.11_073,27] Pilatus, welcher nun eingeschüchtert war – denn er kannte den Tempel und wußte, daß dieser zu allem fähig war, wenn es galt, etwas durchzusetzen –, wollte daher der Sache ein Ende machen und bestieg den Richtstuhl, eine Zeremonie, die bei den Römern Sitte war, wenn es galt, ein unumstößliches Urteil zu fällen. Er stellte Mich nochmals dem Volke vor und fragte, wen er freilassen solle. (Joh.19,13)

[GEJ.11_073,28] Der Anhang schrie wiederum: „Barabbas!“

[GEJ.11_073,29] Es wurde daher nun nach diesem gesandt, um ihm die Freiheit zu geben. Sodann wies Pilatus auf Mich und sagte: „Sehet hier, euer König! Was geschehe mit ihm?“ (Joh.19,14)

[GEJ.11_073,30] Schrie wiederum der Haufe: „Kreuzige ihn!“

[GEJ.11_073,31] Pilatus sagte nun spöttisch: „Soll ich euern König kreuzigen?“

[GEJ.11_073,32] Darauf trat einer der Hohenpriester vor und sagte sehr nachdrucksvoll: „Wir haben keinen König denn den Kaiser; dieser aber ist gegen den Kaiser und hat sich selbst zum König gemacht. Auf ihn kommt die Schuld!“ (Joh.19,15)

[GEJ.11_073,33] Sagte Pilatus sehr ernst: „Und wenn nun dennoch unschuldig Blut vergossen wird?“

[GEJ.11_073,34] „So komme sein Blut über uns und unsere Kinder!“ rief laut der Hohepriester. Und der Anhang fiel lärmend in diesen Ausruf ein, ihn oft wiederholend. (Matth.27,25)

[GEJ.11_073,35] Da sah nun Pilatus, daß er Mir nicht helfen könne, ohne sich selbst schwere Ungelegenheiten zu bereiten. Auch fürchtete er, das römische Ansehen könne darunter leiden, wenn er zu viel Schwäche zeige.

[GEJ.11_073,36] Um aber ein äußeres Zeichen zu geben, daß er sich frei von der Verantwortung fühle, wusch er sich vor allem Volk die Hände und sprach (Pilatus): „Ich bin unschuldig an dem Blute dieses Gerechten; denn nach unserm Gesetz hat er nicht gefehlt. (Matth.27,24) Anders mag es sein nach eurem Gesetz, wie ihr sagt, – und so übergebe ich ihn nun eurem Gesetz!“ (Joh.19,16)

[GEJ.11_073,37] Darauf überantwortete er Mich den bereitstehenden Tempelwächtern, die Mich alsbald in Gewahrsam nahmen, zu derselben Zeit, als Barabbas entlassen und vom Volke mit lauten Zurufen begrüßt wurde.

 

74. Kapitel – Jesu Kreuzigung, Tod und Begräbnis.

[GEJ.11_074,01] Der Tempel hatte nun anscheinend gesiegt, und derselbe beeilte sich, das ausgesprochene Todesurteil so schnell als möglich zur Vollstreckung zu bringen. –

[GEJ.11_074,02] Es soll nun weiterhin nicht die genaue Beschreibung aller Martern erfolgen, die Mein Leib durchzumachen hatte; denn das sind Dinge, die keines Menschen Seele im Leibe schon fassen kann. Erst im freigeistigen Zustande ist es dieser möglich zu begreifen, inwiefern diese Todesqual geeignet war, den Leib völlig zu vergeistigen und dadurch auch zur Erlösung der Materie beizutragen, obschon nicht gerade die Notwendigkeit dieser Peinigung vorlag.

[GEJ.11_074,03] Es sollen hier nur verschiedene Irrtümer noch berichtigt und Klarheit in einige Dinge gebracht werden, damit an der Hand der bezüglich des Leibestodes ziemlich genauen Evangelien ein deutliches Bild der letzten Stunde des Menschensohnes gegeben werde.

[GEJ.11_074,04] Es ist hier zunächst das Kreuztragen ins Auge zu fassen. Es war bei den Römern Sitte, daß jeder zum Tode der Kreuzigung verurteilte Verbrecher sein Marterholz selbst bis zur Richtstätte tragen mußte, und oft, falls ihn die Kräfte hierzu verließen, wurde er auf das grausamste gepeinigt, um diese Strafe zu vollführen. Auch Mir blieb natürlich dieses nicht erspart; jedoch verließen den auf das höchste erschöpften Körper sehr bald die Kräfte, so daß Ich mehrere Male zu Boden stürzte.

[GEJ.11_074,05] Simon von Kyrene nun, der ein Anhänger Meiner Lehre und als solcher den Priestern sehr wohl bekannt war, begegnete dem Zuge und beobachtete voller Entsetzen und Mitleid Meine jammervolle Lage.

[GEJ.11_074,06] Da rief ihm einer der Templer höhnend zu: „Da sieh deinen großen Meister, der sich nicht selbst helfen kann! Jetzt kommt all sein Betrug elend zutage.“

[GEJ.11_074,07] Simon entgegnete empört und weissagenden Geistes: „Ihr werdet noch der Stunde fluchen, in der ihr solches getan habt! Ich aber wünsche, meinem Meister dienen zu können, damit dieser Schmerzensweg Ihm leichter werde.“

[GEJ.11_074,08] „Das sollst du!“, riefen erbost mehrere Priester. „Denn da du es wagst, die Handlungen des Tempels zu schmähen, so legen wir dir Buße auf, und du sollst das Kreuz deines Meisters tragen!“ Als Simon das hörte, eilte er freudig hinzu, nahm das schwere Kreuz auf seine starken Schultern und bot Mir, dem am Boden Liegenden, noch seine Hand, damit Ich Mich stützen möge. Ich nahm diese, und Simon ward so sehr in seiner Kraft gestärkt, daß es ihm leicht wurde, die schwere Last zu tragen.

[GEJ.11_074,09] Es waren aber alle Meine nächsten Freunde, die während der Aburteilung nicht zu dem Richthause gelangen konnten, nun gefolgt, und auch nahte sich jetzt viel des Volkes, das erst eingeschüchtert von ferne gestanden hatte, als der Anhang des Tempels sein ‚Kreuzige ihn!‘ geschrien hatte. Diese nahmen alsbald eine drohende Haltung an, als der Zug sich dem Tore näherte, an dem ein weiter Platz es ermöglichte, sich auszubreiten. Die Pharisäer hatten aber sehr wohl so etwas befürchtet und hatten daher eine größere Abteilung römischer Soldaten beordert, welche den Zug am Tore nach Golgatha hin erwartete, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.

[GEJ.11_074,10] Als nun die Mir Wohlgesinnten sahen, daß Ich rettungslos verloren und eine etwaige gewaltsame Befreiung aus den Händen der Tempelschergen unmöglich sei, erhob sich ein großes Wehklagen, in das namentlich die Weiber stark einstimmten.

[GEJ.11_074,11] Ich wandte Mich daher zu den Nächststehenden und sagte zu ihnen: „Weinet nicht über Mich, sondern über euch und eure Kinder; denn diesen wird Schlimmeres widerfahren, als ihr nun sehet, daß es Mir geschieht! Ich gehe ein zu Meinem Vater; jene aber werden nicht wissen, wohin sie gehen!“

[GEJ.11_074,12] Es heißt in der Überlieferung der Kirche, die Magd Veronika habe Mir ein Tuch gereicht, um den Schweiß zu trocknen. Das ist wohl wahr; denn diese stand in den ersten Reihen der Wehklagenden. Das Abdrücken des Gesichtes in dies Tuch ist jedoch eine später entstandene Sage, ebenso wie es hier gesagt sei, daß es zu Meiner Zeit nie einen Juden Ahasver gegeben hat, der Mich von seinem Hause verjagte. Beides sind Mythen, die später entstanden sind aus Erzählungen frommer Gemüter, die bemüht waren, Meinen Leibestod mit allen möglichen Wundern auszuschmücken, die sich auch in den Evangelien eingeschlichen haben.

[GEJ.11_074,13] Wäre tatsächlich, während der Leib am Kreuze hing, all derartiges geschehen, wie es berichtet wird – das große Erdbeben, die Verfinsterung der Sonne, das Erscheinen der Geister und vieles andere –, so hätte Jerusalem, gezwungen durch diese starken Zeichen, noch desselben Tages Buße in Sack und Asche getan und Meine Auferstehung nicht mit Zweifeln, sondern mit Freuden und als Zeichen der Vergebung aller Sünden betrachtet. So ist aber in der Zeit des Absterbens des Leibes nichts so Außergewöhnliches geschehen, daß es gerade auf Meinen Tod zwingend Bezug hätte haben müssen. Und es kann das nicht anders sein, weil die Freiheit des Willens gewahrt werden muß, Mir jedoch, falls dieses Hauptprinzip nicht gewahrt werden sollte, es jedenfalls schon früher möglich gewesen wäre, durch solche Wunder einen Zwang auszuüben. Alles, was geschah, war derart, daß es auch wohl ohne Meinen Leibestod hätte eintreten können, – und so wollen wir jetzt genauer betrachten, was das gewesen ist.

[GEJ.11_074,14] Als Ich nun hinausgeführt worden war nach Golgatha, der derzeitigen allgemeinen Richtstätte von Jerusalem, kam Judas Ischariot in höchster Verzweiflung angestürzt und versuchte, den Ring zu durchbrechen, welchen die Tempelwächter um die Stätte gezogen hatten. Er wurde mit Gewalt zurückgetrieben und blieb mit stieren Augen in der Nähe stehen, immer noch hoffend, es werde etwas Außergewöhnliches zu Meiner Befreiung geschehen. Er war stets in der Nähe gewesen, als Meine Verurteilung erfolgte, und je mehr es ihm klar wurde, daß Meine Kraft hier entweder erloschen sei oder nicht von Mir gebraucht werde, in um so größere Angst geriet er.

[GEJ.11_074,15] Schließlich eilte er zu dem Hohen Rate zurück und wollte das Geld zurückgeben, indem er sagte, er habe unschuldig Blut verraten, und sich selbst heftig anklagte. Voll Hohnes wurde er natürlich abgewiesen mit dem Bemerken, er solle sehen, wie er da mit sich fertig werde. Voller Verzweiflung warf er das Geld in den Almosenkasten des Tempels und eilte hinaus, noch immer sich mit schwacher Hoffnung daran haltend, Ich würde Mich Selbst befreien, ehe das Schlimmste eintrete. Als er nun sah, wie Mein Leib zu Boden geworfen und auf das Kreuz gelegt wurde, als er die Hammerschläge hörte, die die Nägel durch Mein Fleisch ins Holz trieben, schrie er laut auf und stürzte eilends davon. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, eilte er in eine einsame Gegend, wo er sich an einem Feigenbaum mit seinem Gürtel erhängte.

[GEJ.11_074,16] Er hatte seinen Irrtum, seine Geldgier und Selbstsucht teuer bezahlt. Was jedoch mit ihm sodann geworden ist, davon wird noch einmal berichtet werden.

[GEJ.11_074,17] Erst mehrere Tage nach seinem Leibestode ward sein Leichnam gefunden, der von dem Gürtel heruntergefallen war und von den Hunden und Schakalen benagt wurde. An derselben Stätte wurde er auch verscharrt. –

[GEJ.11_074,18] Es wird nun berichtet, es sei eine Finsternis eingetreten, als Mein Leib am Kreuze hing. Ja, eine große innere Finsternis trat ein über Jerusalem, aber keine äußere. Eine innere, die jeder fühlte, als sei ihm etwas verlorengegangen, ohne daß er wußte, was es sei, und selbst die Hohenpriester, Schriftgelehrten, Pharisäer und Tempeljuden, die doch sehr nach Meinem Tode verlangt hatten, fanden keine Befriedigung und keine Freude an ihrer Tat.

[GEJ.11_074,19] Daher kam es auch, daß der Tempel keinerlei Schritte tat gegen Meine Jünger und nächsten Anverwandten, auch nicht gegen Nikodemus, Joseph von Arimathia und Lazarus, die alle zu Meinem Kreuze wallfahrten und in der letzten Lebensstunde zugegen waren. Vornehmlich der Würde des Nikodemus als Mitglied des Hohen Rates verdankten es die Meinen, daß sie in nächster Nähe zu bleiben die Erlaubnis erhielten, während sonst der Platz von Soldaten abgesperrt und niemand hinzugelassen wurde. Dieser Fürsprache zufolge wurde eine Ausnahme gemacht. Meine allernächsten Jünger jedoch, außer Johannes, waren nicht zugegen, wie Ich es auch schon oftmals früher vorhergesagt hatte. Der Hirte war geschlagen, und so zerstreuten sich die Schafe. Nach Meiner Gefangennahme hatten sie sich teilweise zu Lazarus geflüchtet, teils waren sie bei Freunden versteckt, die sie verborgen hielten.

[GEJ.11_074,20] Nur Johannes allein wagte es, sich überall offen zu zeigen und Meiner Leibesmutter Maria eine Stütze und ein Trost zu sein.

[GEJ.11_074,21] Petrus, der nach seinem Falle von tiefster Reue erfaßt worden war, folgte allerdings heimlich dem Zuge, der Mich durch die Straßen von Jerusalem von einem Oberhaupte zum andern führte, hielt sich jedoch von allen Brüdern fern, da er in seiner Seele das Bedürfnis des Alleinseins fühlte und nun erst zur völligen Klarheit hinsichtlich Meines Wirkens gelangte, wozu die Übungen in Ephrem ihm ganz besonders dienlich waren. Er erkannte das Wesen und den Zweck Meines irdischen Heimganges und war auch fest durchdrungen von dessen Notwendigkeit und von Meiner vorhergesagten Auferstehung, auf die er, zwar ohne ein Wort darüber zu äußern, fest vertraute.

[GEJ.11_074,22] Bezüglich Meiner letzten Stunden ist das Notwendigste bereits früher gesagt worden, und wer es sich nochmals vergegenwärtigen will, lese „Die sieben Worte am Kreuz“, so wird er über Meine letzten Stunden genugsam aufgeklärt sein.

[GEJ.11_074,23] Als Meine Seele sich nun vom Körper trennte, entstand allerdings ein Erdbeben; aber das war wiederum eine Erscheinung, die nicht zu sehr auffiel, da in jener Gegend zu Meiner Zeit die unterirdischen Gewalten des Jordantales noch weit häufiger sich bemerkbar machten als jetzt, daher Erdstöße nicht allzu selten waren. Daß allerdings aber diese Erscheinung wirklich mit Meinem Tode zusammenhing, kam den verstockten Juden nicht in den Sinn.

[GEJ.11_074,24] Auch ist es richtig, daß der Vorhang im Tempel zerriß als ein äußeres Zeichen, daß es nun gar keine Schranke mehr gebe, um zum allerheiligsten Herzensraum des Vaters zu gelangen, ja, daß ein jeder dahin gelangen könne, um das ewige Leben daselbst zu empfangen; aber auch diese Erscheinung, wenn auch verwunderlich, machte weiter kein Aufsehen. Die diensttuenden Priester hingen den Vorhang wieder auf, und damit war die Sache abgetan.

[GEJ.11_074,25] Weiter wird berichtet, daß die Sonne ihren Schein verlor. Es ist schon gesagt, daß eine Finsternis nicht eintrat, – wohl aber ist es jedem bekannt, daß sich Erdbeben in heißeren Ländern durch eine starke Trübung der Atmosphäre ankündigen, wodurch die Sonne an Glanz verliert. So geschah es ähnlich auch hier. Allerdings hatte aber diese Glanzlosigkeit der Sonne einen andern Grund als den gewöhnlichen, – wenn auch die Erscheinung die nämliche war.

[GEJ.11_074,26] Es wird noch berichtet, daß Verstorbene aus ihren Gräbern stiegen und vielen erschienen sind. Dieser Bericht muß richtig verstanden werden, und es wird ihn jeder besser begreifen, wenn er das Folgende in sich aufnehmen wird. –

[GEJ.11_074,27] Als nun der Körper gestorben war und die Zahl der Feinde ihre Rache völlig gekühlt hatte, verlief sich das Volk auch bald, weil ein inneres Grauen – eben die innere, schon berichtete Finsternis – jeden veranlaßte, einen Schutz in seinem Hause zu suchen, wo sich die Juden nach ihren Satzungen nun zum Sabbat vorzubereiten hatten, der mit Sonnenuntergang herannahte.

[GEJ.11_074,28] Meine Anhänger näherten sich nun immer mehr der Richtstätte, so daß der Kreis der Mir Nahestehenden sich ziemlich vergrößerte. Joseph von Arimathia war schon früher zu Pilatus gegangen und hatte um Meinen Leib gebeten, eine Vergünstigung, die nicht immer gegeben wurde.

[GEJ.11_074,29] Pilatus jedoch gab sie ihm gern, da er dadurch, sowie auch durch die in drei Sprachen ausgeführte Schrift an der Spitze des Kreuzes, welche besagte, Ich sei der Juden König, den Juden einen Ärger bereiten wollte.

[GEJ.11_074,30] Meine Freunde nahmen alsbald den Körper herab, reinigten und salbten ihn und trugen ihn sorgsam zu einem Felsengrab, das dem Joseph von Arimathia gehörte, auf einem Grundstück, welches dieser dem Nikodemus abgekauft hatte, um daselbst einst seine eigene letzte Ruhestätte zu finden.

[GEJ.11_074,31] Golgatha war zwar ein Felsenhügel, jedoch war die Stätte in nächster Nähe eines vielbewohnten Villenviertels, wo sich viele reiche Römer und Juden angekauft hatten und herrliche Landhäuser erbauten; daher ist die Nähe des Gartens erklärlich.

[GEJ.11_074,32] In dieses Grab legten sie den Körper und verwahrten es wohl, aus Furcht, die Juden möchten in ihrer Bosheit sonst auch noch dem Leichnam Böses antun.

[GEJ.11_074,33] Diese aber hatten wiederum Furcht, Meine Anhänger möchten den Leichnam entführen und dann etwa behaupten, Ich sei auferstanden; denn sie hörten und wußten sehr wohl, daß die Rede von Meinem vorhergesagten Tode und auch von Meinem Auferstehen im Volke umging. Daher baten sie den Pilatus um Wachen, die dieser auch bewilligte, schon aus Neugierde, ob denn da etwas Wunderbares herauskommen würde, wie allerseits sowohl von den Freunden erwartet, als auch von den Feinden befürchtet wurde. Es wurden daher Wächter bestellt, römische Soldaten, welche fünf Tage lang an dem Grabe Wache stehen sollten. –

 

75. Kapitel – Über den Tod des Herrn.

[GEJ.11_075,01] Was ist denn aber nun geschehen, während der Leib im Grabe lag, und was war denn der eigentliche, zwingende Grund Meines Sterbens? – Hierüber soll jetzt eine kurze, aber klare Erklärung folgen. Und so höret:

[GEJ.11_075,02] Es ist bereits früher öfter auseinandergesetzt worden, daß Adam als erster Mensch – im Sinne der völligen Geistesfreiheit – dieser Erde dazu erschaffen worden war, eine Form zu bilden, aus der heraus die Materie wieder zum freien Geistesleben zurückgeführt werden könnte. Dazu gehörte aber vor allen Dingen die Überwindung der Materie selbst, das heißt: es mußte durch freien Entschluß ein Zustand geschaffen werden, der nach der einen Seite hin die Besiegung aller niederen, als irdische Lüste, Begierden und Neigungen bekannten Eigenschaften aufwies, um nach der andern Seite ein freies Aufsteigen zum reinsten Geistesleben zu ermöglichen.

[GEJ.11_075,03] Es ist schon oft genug gesagt worden, daß die menschliche Seele aus kleinsten Anfängen besteht, welche, wachsend und zu immer höheren Bewußtseinssphären sich entwickelnd, schließlich im Menschen wieder diejenige Form erlangen, welche eben als irdische Form nicht weiter mehr entwicklungsfähig ist, wohl aber in ihrer seelischen. Deswegen begegnen sich im Menschen zwei Prinzipien: das Ende des materiellen Lebens als höchst ausgeprägtes Selbstbewußtsein und der Anfang eines seelischen, unwandelbaren Lebens in der höchsten errungenen Formenvollendung. Deswegen kann der Mensch auf dieser Messerschneide des irdischen Lebens sich dem Bewußtsein, daß er lebt, wohl nicht verschließen – denn dessen ist er sich selbst Beweis –, aber dennoch gar keine Ahnung davon haben, daß er an der Schwelle eines geistigen Lebens angelangt ist, welches nun in der unwandelbar bleibenden Menschenform seinen Anfang nimmt, – mit anderen Worten: nachdem er viele Leibeswandlungen, welche die Menschengestalt als Ziel sich setzten, durchgemacht hat, bleibt diese jetzt in ihrer allgemeinen Gestaltung unberührt; wohl aber beginnt jetzt eine seelische Wandlung, die das Ziel hat, sich immer mehr dem Gottgeiste Selbst zu nähern und mit Diesem in eine Gemeinschaft zu treten.

[GEJ.11_075,04] Wer nun zu denken vermag, der denke! Was kann geschehen, wenn nicht dieser Übergang vermittelt wird? Denn hier stehen sich Materie und Geist schroff gegenüber, die sich wohl gegenseitig immer mehr verfeinern, nie aber – als Polaritäten – ganz berühren können. Es muß doch jedenfalls hier ein Weg gezeigt, eine Brücke geschlagen werden, über welche es möglich ist, von der Materie zum Geiste zu gelangen, – und dieser Weg muß ein Beispiel sein, dem jedermann nachzufolgen imstande ist. Würde dieser Weg nicht gefunden, das heißt also, würde nicht ein Mensch denselben betreten, so würde der Austritt aus der Materie, um in ein freigeistiges Leben hinüberzukommen, unmöglich werden.

[GEJ.11_075,05] Es muß also das Bestreben der Gottheit Selbst sein, Ihre Geschöpfe, welche Sie aus Liebe und zu ihrer Rettung in den Materiegang einzwängte – nachdem diese die Grenze erreicht haben, von wo der geistige Weg möglich ist –, auch zu Sich heranzuziehen und so in das Verhältnis des Vaters zum Kinde zu führen. Adam sollte diese Brücke in sich bauen und hatte es eigentlich sehr leicht, indem die Anreizungen der Materie sehr gering waren im Vergleich zu jetzt. Es bedurfte bei ihm nur der Selbstbesiegung, des Gehorsams, so war die Brücke geschlagen, und in ihm konnte das geistige Leben blühend erwachen, da Gehorsam gegen Gott bei einem Menschen, der sonst frei von jedweder Sünde ist, das einzige Prüfungsmittel ist. Erst aus dem Ungehorsam folgen alle anderen Vergehen von selbst, wie jeder bei Kindern leicht beobachten kann. Nun fiel Adam, und damit war ein Zurücktreten in die Materie, das heißt in diejenige Polarität geschehen, welche sich ebensoweit von Gott entfernen kann, als zu Gott Selbst zu immer höheren Seligkeiten aufzusteigen vermag.

[GEJ.11_075,06] Mit diesem Falle aber war die Sünde deswegen in die Welt getreten, weil Gott nie ein Werk schafft, um es etwa wieder zu zerstören, sondern der einmal geschaffene Weg wird weiterverfolgt, sozusagen zu korrigieren gesucht, weil die göttliche Weisheit von vornherein die Folgen eines Mißlingens berücksichtigt. Soll es aber heißen, freie Geschöpfe zu schaffen, keine Geistmaschinen, so ist der Weg der Selbstentwicklung im Menschen überhaupt nur der Weg hierzu. Mit dem Entstehen des Menschengeschlechtes als Völker aber war die Folge der sämtlichen Sünden, die in langer Reihe als nun immer tieferer Fall bestehen, gegeben, da deren Anfang als Ungehorsam nun einmal bestand. Das heißt, wäre Adam nicht ungehorsam gewesen, so hätte auch keiner seiner Nachkommen ungehorsam sein können, weil er in sich sodann einen Keim vernichtet hätte, der dann nicht mehr fortvererbt werden konnte. So aber befruchtete er diesen Keim, und in seinen Nachkommen wuchs er zu dem Baume aus, der das Licht der Sonne durch sein starres Blätterdach kaum mehr hindurchscheinen läßt.

[GEJ.11_075,07] Oftmals wurde es nun von besonders starken Seelen versucht, durch dieses Blätterdach hindurchzubrechen, um die Sonne durchscheinen zu lassen, und je nachdem dieses auch bei einzelnen Teilen desselben gelang, besitzt die Menschheit uralte Religionen. Nicht aber gelang es diesen starken Seelen, den Kern des Baumes so zu treffen, seine Krone so zu brechen, daß dieser mächtige Baum ersterben mußte. Und zwar gelang es ihnen darum nicht, weil sie selbst in ihrem irdischen Leben nicht ohne Schuld waren, sondern erst die Welt verkosteten, ehe sie Durst nach Wahrheit, nach Gotteserkenntnis empfanden. Die Welt schmeckte ihnen schal, – nun erst suchten sie Besseres.

[GEJ.11_075,08] Die altindischen Religionen sind die ältesten, die euch bekannt sind; denn die altägyptische in ihrer echten Lehre war die älteste, und deren Kenntnis ist verlorengegangen. Alle diese Lehrer waren solch starke Seelen, welche das Blätterdach für sich durchbrachen, den Weg zeigten, auch Wahres und Echtes beschrieben und ausgesprochen haben, jedoch nicht anders schreiben konnten zu ihrer Zeit, wodurch jetzt vieles hinfällig geworden ist, was in seinem Zusammenhange der Dinge leicht erklärlich ist. Darüber nun folgendes:

[GEJ.11_075,09] Gott war, bevor die Einkleidung ins Fleisch als Jesus geschah, unpersönlich. Daher konnte auch niemand zu Seiner Anschauung gelangen, sondern nur zu der Empfindung Seines Wesens, das naturgemäß sich allein als Licht bemerkbar machen konnte, da Gott in Sich Selbst pures Licht ist, das seine Strahlen aussendet. Wo jedoch Licht ist, ist es auch überall; es durchflutet alles und belebt alles. Die Unpersönlichkeit Gottes bedingt aber nun nicht einen Ausstrahlungspunkt, wie von einer Sonne aus, sondern ein Lichtmeer, in dem es keine Konzentration gibt. Diejenigen also, welche geistig zu dem Gottwesen hinaufdrangen, konnten das Gottwesen auch nicht anders empfinden als ein Leben im Licht, das Schweben und Ruhen im Lichte, das wunschlose Sich-Vermählen mit dem Lichte. Als der Mensch Jesus nun die Personifizierung Gottes wurde, war das Empfinden der Gottheit für den, der sich Ihr näherte, ein ganz anderes, – einfach das Sich-Nähern eines Menschen an den andern, und somit haben die alten Seher recht; aber die neueren, welche nach Mir lebten, haben ebenfalls recht.

[GEJ.11_075,10] Nach dem Falle Luzifers, als die materielle Welt in die Erscheinung trat, war allerdings die geistige Sonne geschaffen worden als Sitz der Gottheit; aber trotz alledem war diese nicht als eine alleinige Konzentrierung aufzufassen. Das Licht war in der geistigen Welt überall, und für den leiblichen Menschen ist, solange seine Seele an diesen Leib gebunden war, vor Meinem irdischen Leben diese geistige Sonne nicht sichtbar geworden. Das Sichtbarwerden derselben war eine Krönung des Glaubens der Geistwesen; denn erst für diese war sie sichtbar, jetzt jedoch auch dem Menschen, der an Mich glaubt, sowie ihm das geistige Auge geöffnet ist, weil der Mensch Jesus allen, die an Ihn glauben, auch Sein gesamtes Reich jederzeit enthüllen kann.

[GEJ.11_075,11] Es fragt sich noch: Warum findet man in den alten Religionen dieselben Grundzüge?

[GEJ.11_075,12] Für den, der diese Enthüllungen begriffen hat, wäre es nur verwunderlich, wenn es nicht so wäre; denn sind diese alten Religionen Vorläufer der Lehre des Menschen- und Gottessohnes, so müssen sie auch die Grundzüge der letzteren enthalten, sie können nicht von ihr Verschiedenes enthalten. Daß das Leben der einzelnen Lehrer, welche erstanden, auch Gleichheiten mit dem Meinen enthält, beruht auf demselben Grund.

[GEJ.11_075,13] Würde die altägyptische Religion in ihren urältesten Grundzügen, die durch den späteren Götterkultus nur verwischt auf die Jetztzeit gekommen sind, gänzlich bekannt sein, so würde es heißen: die christliche Religion ist der altägyptischen entnommen, – so sehr gleichen sich diese, hauptsächlich wenn die Wesenheiten des Osiris, der Isis und des Horus genau in ihrem uranfänglichen Sinn erkannt würden.

[GEJ.11_075,14] Inwiefern nun gelang es aber Mir, den Sündenbaum zu brechen und nicht nur das Blätterdach zu durchbrechen?

[GEJ.11_075,15] Zunächst mache sich da einmal jedermann klar, was es heißt, ‚sündigen‘!

[GEJ.11_075,16] Mancher wird da schnell mit der Antwort fertig sein und sagen: Sünde ist alles, was gegen Gottes Willen verstößt! – Das ist schon richtig. Aber was ist denn Gottes Wille, und wie erkennt diesen der Mensch, der nicht einmal an Gott glaubt und noch viel weniger dessen Willen anerkennt?

[GEJ.11_075,17] Es muß da aus dem menschlichen Leben heraus geurteilt werden. – Sündigen kann niemand gegen Gott, wenn er Ihn nicht erkannt hat. Ebensowenig wie sich jemand an einem Blinden ärgern wird, der da behauptet, es gäbe kein Licht, nur weil er dieses nicht sieht, ebensowenig wird Gott denjenigen bedrücken, der Ihn aus Unverstand nicht erkennt. Wohl aber kann ein Blinder seinen Nachbar oder einen andern Menschen, den er zwar auch nicht sieht, jedoch hört, fühlt, und dessen direkt fühlbare Wohltaten er genießen kann, beleidigen, wenn er sich ihm in irgendeiner Weise widersetzt. Er kann gegen dessen Liebe sündigen; denn trotz der Blindheit kann er sich dessen Wesenhaftigkeit nicht verschließen.

[GEJ.11_075,18] So ist es auch mit dem geistig Blinden, der gegen das Gebot der Nächstenliebe sehr wohl verstoßen kann, auch wenn er Gott nicht erkennt. Die Nächstenliebe ist der Weg zur Gottesliebe, – das ist schon oft erklärt worden.

[GEJ.11_075,19] Da der Mensch Jesus nun aber dieses Gebot bis in das Kleinste erfüllte, und zwar von Jugend auf, so wuchs in ihm auch die Gottesliebe, so daß er schließlich in ihr aufgehen konnte. Die Sünde hatte keine Macht über ihn; denn er war bestrebt, von dem anfangs sichtbaren Weg der Nächstenliebe, der sich durch äußere Werke kundtut, zu dem innerlichen, unsichtbaren Weg in der Gottesliebe zu gelangen.

[GEJ.11_075,20] Gott hatte Adam ein Gebot gegeben: unbedingten Gehorsam. Er mißachtete es und fiel. Der Mensch Jesus gab sich aus Liebe zu Gott freiwillig dieses Gebot, nichts ohne des Vaters Willen zu tun, und ward dadurch das leuchtende Vorbild zur Nachfolge. Er errang also in sich die Stufe, die Adam nicht errungen hatte, und versöhnte also in sich die Gottheit, die in Ihrer Heiligkeit verletzt war, durch das mißachtete Gebot.

[GEJ.11_075,21] Die Weisheit gab das Gebot; der Wille, die Kraft, verlangte die Erfüllung; die Liebe fand den Weg, in dem Menschen Jesus die Bedingungen zu erfüllen, welche notwendig waren, um den früheren Seligkeitszustand für alle Geschöpfe zurückzubringen. Darin aber, daß nun dieser Weg eröffnet ist, der direkt zu Gott führt, und darin, daß dieser Weg von dem Menschensohn Jesus erfüllt wurde, der dadurch zum Gottessohn wurde, liegt die Erlösung. Das Sterben Jesu ist die Besiegelung des unbedingten Gehorsams. Es wäre nicht notwendig gewesen; aber da die Menschheit in ihrem unbeschränkt freien Willen es durch Luzifers Hauch verlangte, so unterwarf sich Jesus auch dieser Forderung und starb leiblich. –

[GEJ.11_075,22] Das Verfallen von einer Sünde in die andere erzeugt stets größere Seelenhärte. Man spricht von versteinerten Herzen, um diesen Zustand auszudrücken. Wie weit das nun führen kann, ist unabsehbar. Die Materie, die äußere Lust, wächst immer mehr, und naturgemäß schwindet damit das Bewußtsein von irgendeinem geistigseelischen Wesenskern immer mehr. Diese Verhärtung führt schließlich zu einem tierischen Zustand, der nichts weiter als Erhaltung und Fortpflanzung kennt, ohne geistige, innere Freiheit. Die Erlösung aus solchem Zustand bietet nur eine reingeistige Lehre, welche zum sittlichen Bewußtsein der Menschenwürde führt, und diese Lehre wurde gegeben in nicht mißzuverstehender Kürze und größtmöglicher Klarheit. Die Befolgung sprengt die Ketten der Materie, lockert die Bande der irdischen Genußsucht und führt schließlich die materiellen Wünsche und Begierden zu einem Zustande des reinsten Empfindens, als Kenntnis des Bösen, jedoch nicht mehr zur Vollbringung des Bösen, weil das eigene Ich immer mehr zusammenschmilzt, während sonst dieses Ich (Egoismus) sich immer mehr auswächst. Je mehr es schwindet, desto mehr erlöst sich (erweicht sich) die Materiefessel, um schließlich nicht mehr als Fessel empfunden zu werden.

[GEJ.11_075,23] Der Baum der Sünde wurde und konnte also nur durch Jesus gebrochen werden, weil er in sich eben den Gottesgeist umschloß, der bereits Adam das Gebot gegeben hatte, ohne daß dieser es erfüllte.

[GEJ.11_075,24] Man wird nun sagen: Wo liegt denn nun aber der Beweis, daß es sich so verhält, daß nicht die früheren Lehrer dasselbe vollbrachten? Denn was hier gesagt ist, entzieht sich dem Menschenauge, ist ein innerer Vorgang, über den ein anderer als eben Jesus Selbst nicht berichten kann, während der äußere Vorgang, das Auftreten eines vortrefflichen Lehrers, dessen Wandel und gute Lehren, auch das Sterben, sich schon öfter gezeigt hat. Wieso ist nun hier der Sündenbaum wirklich gebrochen und dort nur das Blätterdach durchbrochen? Die äußere Wirkung in der Welt ist wenig zu spüren, denn die Sünde blüht zur Stunde wie noch nie, – und andere als äußere Merkmale kann die Menschheit doch nicht beurteilen!

[GEJ.11_075,25] Ja, das scheint schon auf den ersten Blick so zu sein, aber näher betrachtet – doch nicht!

[GEJ.11_075,26] Jeder, der den inneren Weg beschreitet, wird bald gewahr werden, wie er in Wahrheit beschaffen ist. Der äußere Anschein besagt da gar nichts; denn dieser ist eine hohle Nuß. Wer aber den inneren Weg nicht gehen will, der ist ebensowenig zu überzeugen, oder ihm ist ebensowenig auch nur ein Bild von diesem Wege zu geben, als es unmöglich ist, einem Blinden einen Begriff von den Farben zu geben. Hier entscheidet der Erfolg. Der Weg ist da, betretet ihn, – dann urteilet!

[GEJ.11_075,27] Ohne Mich kann niemand zum Vater gelangen, und ohne den Glauben an Jesus hat auch noch kein Weiser jemals das allgewaltige Gottwesen als den Urquell aller Liebe, die sich persönlich darstellen kann, empfunden. Das Unpersönliche wird zum Persönlichen nur in Jesus, und diese Vereinigung beider in der Menschenform ermöglicht das Herantreten des Geschöpfes an den Schöpfer, das Aufgehen der Materie in den Geist, die Rückführung der entstandenen Sündenfolge aufwärts über die Scheidewand von Materie und Geist als sonst sich unmöglich berühren könnende Punkte hinweg – Brücke ist das Leben Jesu. –

[GEJ.11_075,28] Es entsteht also nun die Frage: Wie weit konnten denn nun vor dem Tode des Menschensohnes die abgeschiedenen Seelen gelangen?

[GEJ.11_075,29] Sie konnten natürlich, je nachdem sie eine gegebene Lehre der vielen schon früher aufgetretenen Lehrer befolgten, zur Erkenntnis und auch zur Seligkeit in sich gelangen, natürlich aber nicht zur Anschauung der personifizierten Gottheit.

[GEJ.11_075,30] Das geschah aber nun in der Zeit erstmalig, als der Leib Jesu im Grabe lag. Der rein irdische Leib lag da, während die Seele mit dem innewohnenden Gottgeiste hinüberging und dort allen sich zeigte als Der, der Er ist und war.

[GEJ.11_075,31] Darüber sind hier nur Andeutungen zu geben. Später soll aber auch der genaue Vorgang offenbar werden.

[GEJ.11_075,32] Mit diesem Sich-Offenbaren in der Geisterwelt entstand der Bau und die Bevölkerung des neuen Jerusalem als der Stadt Gottes, und sie wird bestehen bleiben in Ewigkeit. –

 

76. Kapitel – Jesu Auferstehung und Himmelfahrt.

[GEJ.11_076,01] Am dritten Ostertage nun kehrte die Gottheit zurück und rief den Körper des Menschensohnes an, der sich sofort gänzlich auflöste und nun als Gewand der Seele noch hinzugefügt wurde. Diesen Vorgang ersahen die römischen Wächter als ein glänzendes Licht, das die Grabhöhle erfüllte, und das sie so erschreckte, daß sie eilends davonliefen, um Kunde zu geben, Ich sei auferstanden. Der Stein wurde von der Öffnung hinweggewälzt, so daß nun jedermann Einblick in das Grabgewölbe haben konnte.

[GEJ.11_076,02] Die Soldaten eilten zu Pilatus, der sich höchlich verwunderte und dem Hohen Rat mit einer gewissen Schadenfreude Mitteilung machte. Bald gingen daher einige von dessen Mitgliedern hinaus und fanden die Stätte leer, worauf sie ängstlich des Volkes wegen, dessen Unmut sie kannten, die Sache zu vertuschen suchten, den Wächtern Geld gaben und verlangten, sie sollten sagen, die Jünger hätten den Leichnam, während sie schliefen, gestohlen. Gleichzeitig sicherten sie ihnen Straflosigkeit zu bei Pilatus, der ein solches Vergehen des Schlafens auf dem Posten mit dem Tode hätte bestrafen müssen.

[GEJ.11_076,03] Pilatus aber wollte diese Straflosigkeit nicht zugestehen, sondern sagte, als ein höherer Priester mit ihm zu verhandeln suchte: „Entweder haben die Kriegsleute geschlafen, so sind sie doppelt schuldig, indem sie schliefen und mich belogen haben, oder sie haben nicht geschlafen; sodann stelle ich mich nicht dem Zorn des Auferstandenen durch eine Lüge entgegen!“

[GEJ.11_076,04] Es war mit ihm da nichts zu machen, weswegen die Priester den Soldaten viel Geld gaben, daß sie in ferne Gegenden flüchten sollten, was diese auch taten, wonach dann die Rede vom Diebstahl des Leichnams ins Werk gesetzt wurde, welcher Glaube sich auch erhalten hat bis auf diesen Tag.

[GEJ.11_076,05] Es ist aus den Evangelien bekannt, daß Ich nach diesem Vorgang vielen erschienen bin, und nicht nur an den angegebenen Orten ist das geschehen, sondern überall, wo Ich gelehrt habe, um den Anhängern zu beweisen, daß die Lehre, die Ich ihnen gab, richtig sei.

[GEJ.11_076,06] Nicht nur Meine Person ist sichtbar geworden, sondern auch viele derer, die schon vorher abgerufen worden waren, erschienen ihren Angehörigen in hellen Träumen und vereinzelt auch selbst am Tage, um ihnen Kunde zu geben von dem neuen Jerusalem. Diese Tatsachen sind später mit dem Augenblick des Todes in Verbindung gebracht worden, und es ist hier die Erklärung dafür zu suchen, daß viele Tote auferstanden und ihren Anverwandten in den Häusern erschienen sind.

[GEJ.11_076,07] Was nun noch wichtig ist aus der Zeit bis zur Wegnahme auf dem Ölberge, soll jetzt ganz kurz erwähnt werden.

[GEJ.11_076,08] Zunächst war es Maria Magdalena, welche Mich gesehen hat. Es war der Vorgang genau so, wie ihn Johannes angibt (Joh.20,1-18).

[GEJ.11_076,09] Maria war mit noch sechs anderen Weibern schon sehr frühe zum Grabe gegangen – noch bevor der Hohe Rat Kunde hatte –, um dort zu beten und die wohlriechenden Salben, die den Körper vor der Zersetzung bewahren sollten, nochmals über diesen auszugießen. Sie fanden aber das Grab leer und eilten nun zurück, es den Jüngern zu sagen.

[GEJ.11_076,10] Als sich die Aufregung derselben gelegt hatte und alle zurückgingen, die Kunde den übrigen zu bringen, die noch nicht wußten, daß etwas geschehen sei, blieb Maria Magdalena allein zurück.

[GEJ.11_076,11] Es ist nun bereits gesagt, warum Ich sie zurückwies mit den Worten: „Rühre Mich nicht an!“ – Ihre noch unreine Liebe zu Mir hätte sie vernichten können, wenn sie Mein nun reingeistiges Wesen berührt hätte.

[GEJ.11_076,12] Weiterhin berichtet Johannes, daß Ich den Jüngern erschien, als sie hinter verschlossenen Türen versammelt waren (Joh.20,19-23). Dieser Vorgang war folgender Art: Es entstand alsbald, nachdem die Pharisäer ihre falschen Berichte ausgesprengt hatten, eine große Unruhe unter dem Volk in Jerusalem. Die meisten glaubten den Templern nicht; denn die entgegengesetzte Meinung wußte sehr wohl, daß es etwas Unerhörtes sei: Römische Soldaten sollten einen unter ihre Bewachung gegebenen Ort derart vernachlässigen, daß ein Grab geöffnet und geleert werden könnte! Es wurden daher auch bald allerhand Bemerkungen über den tiefen Schlaf der Soldaten laut, die diese unwahrscheinliche Erklärung verhöhnten und den viel tieferen Schlaf des Tempels mit dem der Soldaten verglichen. Es wurden die Priester daher sehr erbost und suchten die Jünger, welche durch die Erzählung des Sachverhaltes ihre Lügen zuschanden machten, möglichst zu fangen, um auch diese unschädlich zu machen.

[GEJ.11_076,13] Die Jünger versammelten sich daher, um zu beraten, was sie tun sollten, und zwar bei dem Wirte in der Herberge des Ölberges, der hinlänglich bekannt ist.

[GEJ.11_076,14] Thomas jedoch war bei dieser ersten Versammlung nicht zugegen, da er in Jerusalem bemüht war, zu erforschen, wie die Sachen daselbst standen.

[GEJ.11_076,15] Mitten in diese Versammlung, bei welcher auch Lazarus zugegen war, trat Ich hinein und begrüßte die Anwesenden, die nach dem ersten Staunen, von Freude überwältigt, sich um Mich drängten. Ich belehrte sie an diesem Abend nun nochmals über den Zweck Meines Sterbens, sowie über das ihnen nun überkommene Lehramt, sodann, daß sie keine Furcht haben sollten, da sie bei festem Vertrauen und Liebe zu Mir vor allen Nachstellungen gesichert seien. Ich bewies ihnen die Unsterblichkeit in Meinem Reiche somit durch Mein Erscheinen, und alle waren jetzt völlig von Glauben erfüllt und eifrigen Herzens.

[GEJ.11_076,16] Sodann verabschiedete Ich Mich von ihnen, nachdem Ich ihnen anriet, sie sollten sich nach acht Tagen wiederum hier versammeln, und jeder solle suchen, sein Haus zu bestellen.

[GEJ.11_076,17] Nach acht Tagen folgte sodann die beschriebene Szene mit Thomas, wieder wie Johannes berichtet (Joh.20,26-29).

[GEJ.11_076,18] In dieser Zeit nach Ostern bin Ich allen denen persönlich erschienen, die mit Mir in direktem Verkehr gestanden haben, um diesen den Beweis für die Wahrheit Meiner Worte zu geben und die Gemüter für die Verbreitung der Lehre zu kräftigen. Niemand ist ausgeschlossen worden. Diejenigen, welche durch Meinen Tod auf die Juden erbittert waren, wurden besänftigt und die Wankelmütiggewordenen gekräftigt.

[GEJ.11_076,19] Es ist jedoch nutzlos, alle diese Fälle zu beschreiben, da nichts hierbei vorgefallen ist, was sich nicht jeder selbst vorzustellen vermag. Diese Taten sind nur für jene eine Krönung ihres Glaubens gewesen, nicht jedoch ist dadurch eine Erweiterung Meiner Lehren erfolgt.

[GEJ.11_076,20] Die Erzählung der beiden Jünger von Emmaus zum Beispiel gibt ein ziemlich genaues Bild aller dieser ähnlich verlaufenden Ereignisse; daher ist sie auch überliefert worden.

[GEJ.11_076,21] Die Offenbarung am Galiläischen Meer (Joh.21,1-19) hatte jedoch den Zweck, Petrus, der unter dem Bewußtsein, Mich verleugnet zu haben, unsäglich litt, wieder aufzurichten und zu stärken. Daher wurde ihm die Probe auferlegt, seinen Glauben zu betätigen. Als die Jünger im Schiffe waren und Mich erkannten und dieses Erkennen zu Petrus äußerten, warf er sich sofort ins Meer, um den Weg zu Mir abzukürzen. Dieser Glaube reinigte ihn von den noch anhaftenden Schlacken; denn jeder, der Mich erkannt hat, muß durch das brandende Meer den kürzesten Weg zu Mir suchen.

[GEJ.11_076,22] Seinem dreimaligen Verleugnen entspricht sodann auch die dreimalige Frage: „Hast du Mich lieb?“ –

[GEJ.11_076,23] Es liegt in diesem Vorgang eine große Entsprechung, die jeder sich lösen kann, der dieses Werk mit dem Herzen gelesen hat und nicht nur mit dem Verstande. Darum prüfe sich ein jeder, ob er diese Entsprechung löse!

[GEJ.11_076,24] Die Jünger gingen alsbald ein jeder wieder seiner Beschäftigung nach, um ihr Haus zu bestellen. Ich hatte ihnen geboten, sich an einem bestimmten Tage wiederum bei dem Wirte zu versammeln, wie es auch geschah. Dieser Tag war der vierzigste Tag nach dem Osterfest, entsprechend den vierzig Tagen in der Wüste, derer jeder zur Vorbereitung bedurfte.

[GEJ.11_076,25] Es kamen denn auch alle, die Mir nahestanden, zusammen, und Ich trat wiederum mitten unter sie und führte sie auf die Spitze des Ölberges, von wo man eine weite Umschau hatte. Dort versammelte Ich die Apostel um Mich. Die übrigen Jünger umstanden uns in weitem Kreise. Ich ermahnte nochmals alle, fest an Mir und Meiner Lehre zu halten. Auch gab Ich Meinen Jüngern den Auftrag, in alle Welt zu gehen und das Evangelium zu predigen in Meinem Namen. Alsdann verabschiedete Ich Mich von ihnen und erklärte ihnen, daß sie Mich nun leiblich nicht mehr sehen würden, jederzeit jedoch geistig mit Mir verbunden bleiben würden.

[GEJ.11_076,26] Dann segnete Ich sie, und alsbald war Ich aus ihrer Mitte verschwunden. – – –

77. Kapitel – Schlußwort.

[GEJ.11_077,01] Hiermit ist nun alles besprochen und getreulich niedergeschrieben, was mit Meinem leiblichen Leben zusammenhängt und was auf Erden in sichtbare Erscheinung getreten ist.

[GEJ.11_077,02] Es fehlt jedoch hier noch ein großer Teil, nämlich das, was in der geistigen Welt sich abspielte. – Das zu fassen, ist die Welt noch viel zu unreif, und auch die wenigen, die Meinem direkten Worte glauben, können es noch nicht in sich aufnehmen. Es wird jedoch eine Zeit kommen, und sie ist nicht allzu ferne, wo die Menschen zu einem reingeistigeren Empfinden zurückkehren. Sodann ist es Zeit, auch dieses zu offenbaren und wird es sodann geschehen.

[GEJ.11_077,03] Jetzt begnüge sich jeder mit dem Gebotenen und folge Meiner Lehre nach, damit diese Zeit bald ganz nahe komme; denn die Völker sollen (einander) genähert werden und die Erde eine Stätte des Friedens werden. Amen! –