Band 2 (GS)
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits.
Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber.
Nach der Siebten Auflage 1988.
Lorber-Verlag – Hindenburgstraße 5 – D-74321 Bietigheim-Bissingen.
Alle Rechte vorbehalten.
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1. Kapitel – Der Herr auf den wunderbaren Wegen Seiner Liebe.
[GS.02_001,01] Sehet, da vor uns liegt schon wieder jenes wohlbekannte Hügelland mit den kleinen, niedlichen Wohnhäusern. Aber diesmal erscheint es in einem noch helleren Lichte als die vorigen Male. Der Grund davon ist, weil die Liebe dieser drei zum Herrn überaus mächtig und groß ist.
[GS.02_001,02] Sehet, wie der Herr Selbst in Seiner höchsten Schlichtheit diesen dreien alle die Wunderherrlichkeiten des hauptmittäglichen Himmels erklärt und ihnen anzeigt, wer und woher alle die seligen Einwohner in dieser Gegend sind. Auf der Erde hätte solch eine Erklärung auf unseren Prior sicher eine sehr ketzerisch aussehende Wirkung gemacht, da diese überaus herrliche und endlos weitgedehnte himmlische Gegend nahe von lauter Protestanten bewohnt ist. Aber jetzt ist er in einem ganz anderen Lichte und kann über jede Äußerung des Herrn Seine unendliche Güte, Liebe und Erbarmung nicht genug loben und preisen.
[GS.02_001,03] Wir sind bei dieser Gelegenheit auch schon wieder an unseren wohlbekannten Fluß gekommen, und der Herr, allda etwas innehaltend, spricht zum Prior, somit auch zu dessen Weibe und zum Laienbruder: Siehe, hier ist die Grenze zwischen Morgen und Mittag. Du kannst hier an Meiner Seite beide Gegenden schauen. Aber diejenigen, die hier wohnen, vermögen solches noch nicht. Nur die von ihnen bewohnte Gegend mögen sie erschauen, und das in großer Klarheit, aber die Gegend des Morgens mögen sie nicht anders erschauen als eine rötliche Glorie, welche über ein fernes überhohes Gebirge zu ihnen herabstrahlt. Da du aber nun die beiden Gegenden siehst, so sage mir, in welcher Gegend meinst du wohl, daß Ich hierorts wohne?
[GS.02_001,04] Der Prior, sich ein wenig umsehend und am linken Ufer des Stromes eine große Stadt erblickend, spricht: O Du liebevollster Vater! Dort am Strome, sicher voll des lebendigen Wassers, wird wohl Dein himmlisches Jerusalem stehen, von welchem geschrieben steht, daß sie ist die Stadt des lebendigen Gottes. – Demnach wäre es vielleicht nicht zu weit fehlgeworfen, wenn ich sage, Du wohnest in dieser heiligen Stadt; denn etwas so unnennbar Erhabenes wie da ist eben diese heilige Stadt, kann sich ja doch wohl sicher kein geschaffener Engelsgeist in Ewigkeiten mehr denken.
[GS.02_001,05] Der Herr spricht: Mein lieber Sohn, Freund und Bruder! Du hast eben nicht so fälschlich geraten, denn in solchen Städten, deren Zahl längs dieses ewig weit gedehnten Stromes kein Ende hat, pflege Ich nicht selten bei gewissen Gelegenheiten Mich einzufinden. Aber so ganz eigentlich zu Hause bin Ich da mitnichten, außer in der Sonne, die du ersiehst, durch welche Ich wohl in allen Himmeln gleicherweise zu Hause bin. Daher magst Du weiter raten.
[GS.02_001,06] Der Prior spricht: So wirst Du, o Herr und liebevollster Vater, vielleicht wohl in einem oder dem andern jener großen Wunderpaläste zu Hause sein, also sichtbar wie jetzt, denn Du hast ja Selbst von einem großen Hause in den Himmeln gesprochen, darinnen viele Wohnungen seien. Da aber in einem solchen nahe unübersehbar großen Palaste doch auch sicher sehr viele Wohnungen sein werden, so könntest Du wohl etwa in einem allergrößten unter den endlos vielen zu Hause sein?
[GS.02_001,07] Der Herr spricht: Ich sage dir, Mein lieber Sohn, Bruder und Freund! Auch hier hast du die Sache eben nicht gar zu fälschlich beraten, denn fürwahr, wie in den Städten, also pflege Ich Mich auch bei großen Gelegenheiten in diesen großen Wohnhäusern persönlich wesenhaft einzufinden. Aber für beständig und für eigentümlich bin Ich auch in diesen großen Wohnhäusern nicht anders wie in den Städten gegenwärtig; daher magst du dich noch einmal beraten.
[GS.02_001,08] Der Prior spricht: O heiliger, liebevollster Vater! Mir geht jetzt ein Licht auf. Da Du Dich auf der Welt stets nur den Kleinen und Unbedeutenden also liebevollst und zutraulich genähert hast, so wirst Du vielleicht auch hier dort eine Wohnung haben, wo auf jenen Hügeln uns kleine niedliche Wohnhäuser gar so gastfreundlich anlächeln. Da aber diese kleinen Wohnhäuser alle sich völlig gleichen, so dürfte es mir wohl schwerfallen, aus den vielen das eigentlich rechte zu bestimmen; und das nächste beste zu nehmen, das käme mir vor Dir, o Herr, Deiner etwas unachtsam und unwürdig vor.
[GS.02_001,09] Der Herr spricht: Mein Sohn, Bruder und Freund! Hier hat dein „Vielleicht“ eingeschlagen; denn siehe, da kannst du wählen, das welche du willst, und es wird schon das rechte sein. – Weißt du aber, daß du Mich auf der Erde vielleicht einmal getragen hast? – Möchtest du Mir nun nicht auch raten, wie, wann und wo?
[GS.02_001,10] Der Prior spricht: O Herr! Ich kann mich an dieses „Vielleicht“ erinnern und harre nun mit großer, seligster Sehnsucht der Enthüllung desselben. – Bezüglich der Tragung Deines allerheiligsten Wesens auf der Erde von mir wird wohl sicher nichts anderes verstanden sein können, als daß ich Dich unter den Gestalten des Brotes und Weines in meinen Händen getragen habe. Hier kommt's mir vor, als wären die drei Bedingungen: wie, wann und wo erschaulich sicher. Sonst wüßte ich wahrhaftig nichts bezüglich Deiner Tragung Würdiges hervorzubringen.
[GS.02_001,11] Der Herr spricht: Mein lieber Sohn, Bruder und Freund, sieh hin auf die Stadt und auf den Strom! Das stellt vor die Gestalt des Brotes und des Weines; – wie Ich in der Stadt zu Hause bin in Meiner urwesentlichen Eigentümlichkeit, also in deinem Brote und Weine. Siehe, also hat es da mit der Tragung ein Häkchen, und du hast den Sinn der Frage nicht erraten, denn also hast du Mich nicht getragen, und du wirst daher schon müssen das wie, wann und wo auf einen anderen Punkt hinwenden.
[GS.02_001,12] Der Prior spricht: O Herr und liebevollster heiliger Vater! Wenn ich mich da geirrt habe, so weiß ich wahrhaftig nichts anderes, als wenn ich mir denke, Du warst in Deinem Heiligen Geiste, wenn ich in Deinem Namen zum Volke gepredigt und Dein Wort geredet habe, in meinem Munde und auf meiner Zunge. Denn Dein Wort ist ja doch sicher Deine allerreinste Wohnung nach dem Zeugnisse Johannis!
[GS.02_001,13] Der Herr spricht: Mein lieber Sohn, Bruder und Freund, sieh hin auf die herrlichen Paläste! Siehe, diese sind voll Klarheit, voll Lichtes und voll Lebens aus Mir! Aber wie Ich eben auch urwesentlich eigentlich in diesen Palästen zu Hause bin, also auch hast du Mich getragen mit deinem Munde und mit deiner Zunge. – Du hast aber gesehen, daß Ich allda nicht urwesentlich eigentümlich zu Hause bin; also wird es auch da mit deiner Tragung ein Häkchen haben. Und es stellt sich heraus, daß du Mich weder über Band noch über Arm getragen hast; über Band als Freund und Nachfolger Meiner ersten Jünger, über Arm als Bruder, als der Kundgeber und Verkünder Meines Wortes. Daher kannst du dich auch hier über das wie, wann und wo noch einmal deutlicher ausdrücken.
[GS.02_001,14] Der Prior spricht: O Herr und liebevollster heiliger Vater! Ich ahne Größeres, und kaum getraue ich mir es auszusprechen. Es wird doch nicht etwa sein, als ich Dich als Knabe noch in meinem Herzen so herzinnig liebte, daß ich darob oft vor Liebe in Tränen zerfloß, oder vielleicht auch in meinem Amte, da ich ebenfalls heimlicherweise eine so mächtige Liebe zu Dir empfand, welche mich nicht selten vor lauter Entzückung förmlich krank machte, oder vielleicht in jenen Momenten, wo ich beim Anblicke meiner armen Brüder zu Tränen gerührt wurde und ihnen auch mit Deiner Gnade, soviel es mir möglich war, helfend beisprang. – Habe ich Dich etwa einmal in einem solchen Zustand getragen, da wüßte ich aber dennoch nicht, welcher aus allen diesen derjenige wäre, wo Du Dich, o heiliger Vater, so tief herabgewürdigt, daß Du Dich hättest tragen lassen von mir.
[GS.02_001,15] Der Herr spricht: Mein lieber Sohn, Bruder und Freund! Sieh hin nach den kleinen Wohnungen des Morgens: wie dort, so hier. Wohin du greifest, da greifst du auf den rechten Ort hin; – und siehe, hier ist das wie, wann und wo in Eins vereint. Wie trugst du Mich? – Siehe, allzeit in deiner Liebe zu Mir! – Wann trugst du Mich? – Siehe, allzeit in deiner Liebe zu Mir! – Wo trugst du Mich? – Siehe, überall und allzeit in deiner Liebe zu Mir; du trugst Mich somit allzeit im Herzen!
[GS.02_001,16] Wer Mich aber im Herzen trägt, der trägt Mich auch über Band und Arm. Wie aber im Arme und im Bande keine tragende Kraft ist, wenn sie nicht zuvor ausgeht vom Herzen, so kann Mich auch niemand über Band und Arm tragen, der Mich nicht trägt zuvor im Herzen. Also ist demnach das „Vielleicht“ vor dir enthüllt, denn ungewiß war es dir, wie, wann und wo du Mich trugst.
[GS.02_001,17] Nun aber ist das wie, wann und wo in Eins verschmolzen, und aus dem Freunde und Bruder ist ein Sohn geworden. Darum sage Ich denn nun auch zu dir nicht mehr: Mein Freund, Bruder und Sohn, sondern allein: Mein geliebter und liebeerfüllter Sohn, folge Mir nun weiter auf jene Höhe zu den Wohnungen; allda wollen wir unter einem Dache beisammen wohnen und wirken ewiglich! Amen! –
2. Kapitel – Das große Wesen eines Kindes Gottes von der Erde.
[GS.02_002,01] Sehet, unser erhabenster Führer zieht mit den dreien hin auf die Höhe, welche, wie schon zuvor bezeichnet wurde, diesmal von einer noch stärkeren Glorie umflossen ist. Und wie ihr sehet, so geht der erhabene Zug auch hurtig weiter.
[GS.02_002,02] Aber nun sehet auch so ein wenig auf unsere Morgengegend hin, und da namentlich auf die Höhen der Hügel, und betrachtet dort, welch eine zahllose Menge allerseligster Engelsgeister in mehr denn sonnenglänzenden Gewändern, dem Herrn mit ihren Händen freundlichst entgegenwinkend, den neu Ankommenden zu verstehen gibt, wer Der ist, der die drei nach Hause führt! Psalmen ertönen von allen Seiten und seligste Jubelrufe strömen uns entgegen; und das alles, um ganz besonders den Neuangekommenen zu zeigen, was der Herr ist in seinem Hause!
[GS.02_002,03] Ihr saget und fraget hier zwar: Die Sache sieht so aus, als wenn der Herr aus Liebe zu diesen dreien auf eine kurze Dauer den ganzen obersten Himmel verlassen hätte; und wenn Er nun nach Hause kehrt, sich alle diese seligen himmlischen Engelsheere über die Maßen jubelnd freuen, daß der Herr und heilige, liebevollste Vater von einer solchen Ernte-Reise wieder heimkehrt.
[GS.02_002,04] Ich sage euch: Bei so gewissen Gelegenheiten hat solches auch so einen Sinn, denn bei solchen Erlösungen macht es der Herr nicht selten wirklich also, als verreisete Er aus dem Morgen, und nach einer solchen Reise ist Er dann auch – außer in der stets sichtbaren Gnadensonne – persönlich wesenhaft in dem ganzen unendlichen himmlischen Morgenreiche nirgends zu erschauen.
[GS.02_002,05] Dieser Zustand, in welchem während einer solchen Abwesenheit die seligsten Geister den Herrn nicht sehen, wird eine „Wonneruhe“ genannt; denn in diesem Zustande werden alle die Seligen durch sich selbst wieder zu einer höheren Seligkeit vorbereitet, und die große Sehnsucht, mit welcher sie den Herrn erwarten, ist dasjenige, was sie vorbereitet.
[GS.02_002,06] Aus diesem Grunde aber sehen wir nun auch die ganze endlos weit gedehnte Morgengegend vor unseren Augen wie in ein Leben übergegangen, denn von allen endlosen Räumen dieses Himmels strömen die Engelsgeister herbei, um den nun anlangenden Vater mit dem allerheißliebendsten Herzen zu empfangen.
[GS.02_002,07] Nun aber richten wir auch einen Blick auf unsere überaus erstaunte Gesellschaft. Der Prior wendet sich zum Herrn und spricht: O Du endlos heiliger und allerliebevollster Vater, was um Deines heiligen Willens wegen ist denn das? – Sind das lauter allerhöchst selige Engelsgeister, oder ist das alles nur eine Erscheinlichkeit? Denn es ist ja doch beinahe kaum anzunehmen, daß bei der außerordentlich großen Bosheit der Menschen auf der Erde Deine allerhöchsten Himmel also bevölkert sein sollten. Denn auf der Erde wußten wir aus dem Munde frommer, in den reinen Geist verzückter Menschen, daß nur ganz entsetzlich wenige in diesen allerhöchsten Himmel gelangen; etwas mehr in die zwei unteren Himmel, sehr viele in den sogenannten Reinigungsort, und gar außerordentlich viele – O Herr, behüte uns davor – in die Hölle!
[GS.02_002,08] Da die Erde nur etwas über fünftausend Jahre das Menschengeschlecht trägt, so ist diese Erscheinung von der Unzahl der hier nun sichtbaren Geister nicht begreiflich. Es sind ihrer hier ja nur nach einem oberflächlichen Augenmaße genommen so viele, daß sie, Mann an Mann gestellt, eine ganze Million von Jahren von Jahr zu Jahr abwechselnd und sich fortwährend neu ersetzend, die Erde also anfüllen möchten, daß zwischen ihnen sicher kein Apfel, der unter sie fiele, auf den Boden käme. O Herr und allerbester und liebevollster Vater! Das ist für mich ein ganz und gar unbegreiflicher Anblick! Es müßten nur auch in Deinem obersten Himmel vollkommene Zeugungen stattfinden; sonst ist mir die Sache rein unbegreiflich.
[GS.02_002,09] Der Herr spricht: Ja, Mein lieber Sohn, du wirst in Meinem Hause auf noch so manche Erscheinungen stoßen, die dir noch viel unbegreiflicher vorkommen werden denn diese. Aber sie sind nichts weniger als etwa pure Erscheinungen, sondern die allervollkommenste und allergediegenste Wahrheit!
[GS.02_002,10] Hier gibt es durchgehends keine Augentäuschungen, wie auch keine Spiegelfechtereien, sondern alles, was du hier siehst, ist vollkommen fest und handgreiflich wahr. Im Reiche der Liebe ist alles vollkommen truglos und in seine möglichst engste Schranke in sich vereint. Daher sind auch diese Geister so gut wie nun du vollkommen wahre Wesen und sind alle samt und sämtlich Meine lieben Kinder!
[GS.02_002,11] Wenn du den Maßstab von all diesen Kindern allein auf deine Erde ausdehnst, da dürftest du mit deiner Rechnung freilich wohl recht haben, denn Meiner Kinder von der Erde sind freilich nicht so viele hier, und welche von da sind, diese sind ausschließlich Bewohner Meiner heiligen Stadt.
[GS.02_002,12] Wenn du aber je auf der Erde bei einer heiteren Nacht den gestirnten Himmel betrachtet hast, wirst du dich von der zahllosen Menge der Gestirne überzeugt haben. Meinst du, diese Gestirne seien bloß glänzende Punkte am unermeßlichen Himmel? Siehe, das sind ebenfalls zahllose Welten, auf denen überall die gleichen Menschen wohnen und Mich überall als den Herrn Himmels und ihrer Welt erkennen.
[GS.02_002,13] Doch die Kinder der Erde sind Mir am nächsten, weil Ich sie dort wesenhaft persönlich im Fleische zu Meinen ersten Kindern gemacht habe. Sie sind demnach hier – nach Mir – diejenigen, welche da richten die zwölf Geschlechter Israels, was in dieser allerhöchst himmlisch weitesten und geistig allerinwendigsten Bedeutung soviel besagt als:
[GS.02_002,14] Diesen Meinen Kindern ist es von Mir aus gegeben, mit Mir zu beherrschen, zu erforschen und zu richten die Unendlichkeit und alle zahllosen Schöpfungen in ihr. Und die Kinder aus den anderen Gestirnen stehen ihnen also zu Diensten, wie die Glieder eines Leibes zum Dienste des Willens im Geiste allzeit bereitstehen. Daher bilden diese Geister mit einem Meiner Kinder in großem Maßstabe der Liebetätigkeit nach genommen wie einen Menschen, versehen mit allen zum Bedarfe seines Willens notwendigen Gliedern.
[GS.02_002,15] Demnach ist ein Kind von der Erde aus Mir gehend ein vollkommener Wille von zahllosen anderen Geistern aus den Gestirnen, die zwar an und für sich auch ein jeder seinen eigenen Willen haben und können tun nach ihrer freien, wonnigen Lust, was sie wollen. Dennoch aber geht in liebewirkenden Fällen der Wille Meiner Hauptkinder in sie alle aus und ein, und dann sind sie zu Milliarden wie ein Mensch, dessen wirkender Willensgeist eines Meiner Kinder ist! – Solches verstehst du nun freilich noch nicht so ganz und gar, aber mache dir vor der Hand nichts daraus; denn in Meiner ewigen Wohnstadt gibt es noch gar viele Hochschulen, in welchen du noch so manches Neue kennenlernen wirst.
[GS.02_002,16] Für jetzt aber begnüge dich auf deine Frage mit dieser Meiner Liebeantwort und gehe nun mit Mir samt deinem Weibe und deinem Bruder in diese Meine Hütte, die wir soeben erreicht haben. Allda sollst du zuerst in Meinem Reiche an Meinem Tische speisen und genießen das ewig wahre Brot und das allerlebendigste Wasser. Und so denn gehet mit Mir in die Wohnung!
[GS.02_002,17] Sehet, alle begeben sich hinein, und der Prior macht große Augen, als er in der Hütte diese goldene Einfachheit antrifft, versehen mit ganz ländlich ordinärem Hausgeräte. Und der Herr fragt ihn: Nun, Mein geliebter Sohn, wie gefällt dir Mein Hauswesen? Der Prior spricht: O Herr, Du liebevollster, heiligster Vater. Da gefällt es mir gar überaus wohl, denn es sieht doch wahrhaftig so aus, als wenn man sich auf der Erde in einer reinlichen, friedlichen Landmannshütte befände. Aber nur kommt es mir wirklich überaus wunderbarlich vor, wie Du, o allerbester heiligster Vater, dem doch alle himmlischen und weltlichen Herrlichkeiten zu eigen sind, Dich mit einer so einfachen Behausung begnügen magst. Fürwahr, das macht Dich ja noch ums Unaussprechliche liebenswerter und heiliger, als sich der allervollkommenste Geist nur im allergeringsten Teile davon vorzustellen vermag.
[GS.02_002,18] Der Herr spricht: Ja sieh, Mein geliebter Sohn, bei Mir heißt es denn doch auch und das sicher mit Recht: Sapienti pauca sufficiunt! – Der Prior beugt sich vor lauter Liebe zur Erde und spricht in gänzlicher Zerflossenheit seines Gemütes: O du allerbester, liebevollster heiliger Vater! Nicht Sapienti, sondern: quam maxime aeterne Sapientissimo! – Und das sind, o Herr und mein allerliebevollster heiliger Vater, sicher nicht pauca, sondern ebenfalls quam maxime immense multa! – Denn diese an und für sich einfachen und wenigen Sachen sind sicher in sich von so außerordentlicher, wunderbarer Bedeutung, daß ich davon wohl ewig kaum den geringsten Teil erfassen werde!
[GS.02_002,19] Der Herr spricht: Mein lieber Sohn! Stelle dich nur wieder gerade, und es wird sich nach dem eingenommenen Mahle an Meinem Tische schon gar bald zeigen, wieviel du von diesem Wenigen auf einmal wirst zu fassen imstande sein. Mache aber mit der Mahlzeit kein großes Wesen, denn hier wirst du finden, wie im buchstäblichen Sinne des Wortes und der Bedeutung die kurzen Haare bald gebürstet sind. Von den sogenannten großen himmlischen Freßtafeln ist hier keine Rede, sondern hier speiset man ganz einfach und lebt sozusagen bei Brot und Wasser. Aber du wirst es an Meinen Kindern gar bald entdecken, daß sie bei dieser einfachen Kost überaus gut aussehen. Daher setze dich nur zum Tische, denn dieser ist schon mit Brot und Wasser versehen, und esse und trinke so wie du Mich essen und trinken wirst sehen.
3. Kapitel – Stets wachsende Seligkeit bedingt Tätigkeit.
[GS.02_003,01] Sehet nun, unsere erhabene Gesellschaft speiset, und unser Prior wie auch die andern verwundern sich hoch über den unendlichen Wohlgeschmack dieses Brotes und ebenso auch über den des lebendigen Wassers. Und der Prior spricht in der größten Devotion: O Herr und allerliebevollster heiliger Vater! Dieses Brot schmeckt ja gerade also, als wenn es zusammengesetzt wäre aus den allerschmackhaftesten und allernährendsten Speisen der ganzen Erde, und das Wasser, als wäre es ein Auszug aus den allerbesten Weinen, die je irgend auf der Erde wachsen, wenn man hier eine solche Vergleichung machen darf und kann.
[GS.02_003,02] Der Herr spricht: Ja, Mein lieber, geliebter und geliebtester Sohn! Du hast den Geschmack dieser einfachen Mahlzeit nicht schlecht bemessen. Siehe, wie aus der reinen Liebe in Mir alle guten Früchte auf der Erde wie auf allen anderen Weltkörpern zum Vorschein kommen und ihr Geschmack, ihr Wohlgeruch, ihre Tauglichkeit bezüglich der Ernährung und dann ihre schätzbare Wirkung hervorgehen, – also wird auch dieses Brot als der erste Grundbegriff alles dessen, was auf allen Weltkörpern vorkommt, dieses in liebeguter und brauchbarer Art ursächlich in sich enthalten.
[GS.02_003,03] Aus diesem Brote stammt jedes Brot ab, weil dieses Brot ein wahrhaftiges, lebendiges Brot ist, und ist gleich Meiner Liebe, die sich hier allen Meinen Kindern zur ewigen lebendigen Sättigung darbietet. Und das Wasser ist ebenfalls wie das Brot der Grund aller Dinge, denn es ist das Licht der Liebe, und ist somit der Mitgenuß für alle Meine Kinder ewig an Meiner Weisheit, d.h. alle Meine Kinder, die hier bei Mir sind, sind in Meiner Weisheit Tiefe, und somit auch in aller Meiner Macht und Kraft!
[GS.02_003,04] Siehe, das ist das wahre lebendige Wasser, von dem Ich auf der Erde geredet habe zum Weibe am Jakobsbrunnen, daß denjenigen ewig nimmer dürsten wird, der von diesem Wasser trinken wird!
[GS.02_003,05] Der Prior spricht: O Herr und allerliebevollster, heiligster Vater! Dieses sehe ich jetzt ganz klar ein. Fürwahr, nach dem Genusse dieses Wassers fange ich an, in die unbegreiflichen Tiefen Deiner Allmacht und Deiner Weisheit zu schauen, daß es mich wahrhaft erhaben seligst angenehm zu schauern anfängt. Aber dieses möchte ich denn doch noch wissen, ob ich fürderhin nimmermehr so ein Wasser werde zu trinken und so ein gutes Brot daneben zu essen bekommen?
[GS.02_003,06] Der Herr spricht: O Mein geliebter Sohn, darum sei dir ja nicht bange. Diese Speise und dieser Trank wird hier ewig nimmer ausgehen, und du wirst es allzeit in so reichlicher Menge haben können, daß du dich irgend eines Mangels ewig nie wirst zu beklagen haben. Denn in diesem Meinem Reiche gibt es ewig unversiegbare Quellen, Flüsse, Ströme und Meere in endlos großer Menge. Daher ist denn auch durchaus nicht zu befürchten, als sollte davon nicht ein jeder in der hinreichendsten Menge haben.
[GS.02_003,07] Siehe, Ich bin nur auf den materiellen Weltkörpern etwas ökonomisch und halte da Meine wahrhaftigen Bekenner und Nachfolger so kurz als möglich. Denn da der Mensch die Wege des Lebens werktätig studieren muß, um sich auf diesen Wegen das ewige Leben eigen zu machen, da gehört kein voller Magen dazu. Denn ihr habt ja bei euern Studien ein altes Sprichwort: „Ein voller Bauch schlägt alles in Wind und Rauch“, – oder: „plenus venter non studet libenter.“
[GS.02_003,08] Siehe, eben daher bin Ich auch aus höchst weisen Gründen etwas karg auf den Weltkörpern, dafür aber bin Ich dann hier die unendliche Freigebigkeit selbst; und es muß alles in der allerhöchsten Reichlichkeit und Fülle ewig vorhanden sein. Auf den Weltkörpern sehe Ich nicht gern, so da jemand spricht: Dieser Stein ist mein. Hier aber will Ich euch ganze Sonnengebiete, wie ihr zu sagen pfleget, an den Rücken hängen. Denn Ich habe dergleichen Schätze ja in endloser Menge; die ganze Unendlichkeit ist erfüllt von den größten Wunderwerken Meiner Liebe, Weisheit und Allmacht. Warum sollte Ich da karg sein? Wenn auf der Erde ein tausend Klafter großes Fleckchen tausend Taler kostet, so gebe Ich hier um einen Taler tausend Sonnen mit allen ihren Planeten her. Ich meine, dieser Umtausch wird doch von einiger Bedeutung sein.
[GS.02_003,09] Darum sorge dich denn ja nicht, ob du immer etwas zu essen und zu trinken haben wirst; denn bei so viel Grundstücken wird sich doch mit der leichtesten Mühe von der Welt ein ehrliches Stückchen Brot gewinnen lassen.
[GS.02_003,10] Der Prior spricht: O Du mein herzinnigst allerliebster Jesus! Für diese Deine Verheißung bin ich noch viel zu ungeheuer blöd und dumm. Ich bin ja hier in diesem Häuschen so unendlich zufrieden und unaussprechlich selig, daß ich mir ja nicht ein Sonnenstäubchen mehr hinzuwünschen könnte. Dafür überlaß ich auch diese von Dir erwähnten unendlichen Güter von ganzem Herzen einem andern viel Würdigeren denn ich bin. Wenn ich nur die Versicherung habe, daß Du hier beständig zu Hause bist, da brauche ich für die ganze Ewigkeit nichts mehr. Denn das Bewußtsein des ewigen Lebens in Deiner Gegenwart und die allerwunderbarst selige Anschauung Deiner Allmachts-Werke, dann dieses mir von Dir geschenkte Weibchen und dieser mein Bruder in mein Mitgefühl und in meine Mitliebe aufgenommen und nur so manchmal ein Stückchen Brot und ein kleines Schlückerl von dem Wasser, da bin ich ja schon für die ganze Ewigkeit unaussprechlich seligst versorgt!
[GS.02_003,11] Der Herr spricht: Ja, Mein lieber Sohn, das sehe Ich wohl; aber siehe, dieses dein seliges Gefühl ist nur ein erster Anflug der eigentlichen wahren Seligkeit. Würdest du hier bloß in aller Ruhe und Untätigkeit dieses alles genießen, so würdest du mit der Länge der Dauer bei aller Anmut dennoch übersättiget werden, und es würde dich gar vieles, was dich jetzt erfreut, nicht mehr erfreuen. Darum habe Ich für die stets wachsende Seligkeit dadurch schon von Ewigkeit vorgesorgt, daß ein jedes Meiner Kinder hier fortwährend eine wohlangemessene Tätigkeit und einen guten Wirkungskreis überkommt; daher auch kann nicht von einem beständigen Bleiben in einer solchen Hütte die Rede sein.
[GS.02_003,12] Wir werden daher selbst diese Hütte auf eine Dauer verlassen und uns in Meine Stadt begeben. Allda wirst du erst dein Eigentum kennenlernen, wie mit demselben Deine wahrhaftige ewige Bestimmung. Darum wollen wir uns nun auch wieder erheben und unsere Reise weiter fortsetzen. Die Heere der Geister aber, die du vorhin unsrer harrend erblickt hast, sind keineswegs der vollkommene summarische Inbegriff aller der Einwohner dieses ewigen obersten Morgenhimmels, sondern diese Heere gehören allein deinem künftigen Wirkungskreise an. Doch nicht hier, sondern in Meiner Stadt und in deinem eigenen Wohnhause in derselben sollst du das Nähere erfahren. Sehet, der Prior sinkt fast in den Boden vor dem unendlichen Ausspruche des Herrn. Aber der Herr stärkt ihn und winkt nun allen dreien, Ihm zu folgen. Also folgen denn auch wir diesem erhabenen Zuge weiter.
4. Kapitel – Die drei Himmel – ihre Struktur.
[GS.02_004,01] Sehet nun, wie alle die zahllosen Heere von seligen Geistern her an unsere Straßen ziehen und da gleichsam ein lebendiges Spalier bilden, welches, wie ihr in eurem Geiste leicht sehen könnet, sich in einer geraden Linie unabsehbar hin vorwärtszieht. Betrachtet euch die mannigfaltigen himmlisch schönen Gestalten, welche sich zu beiden Seiten im Vorübergehen unserer Anschauung darbieten, denn in dieser Betrachtung könnet ihr Bewohner aller Gestirne besehen, nur müßt ihr euch dabei nicht denken, daß in dieser endlosen Reihe nun etwa viele von einem Gestirne oder Planeten hier gegenwärtig sind, sondern von jedem Gestirne sind nur zwei, nämlich ein männlich und ein weiblich Wesen. Denn würden mehrere nur von jedem einzelnen Gestirne gegenwärtig sein, so wäre dieser wenn schon für euer Auge endlos weitgedehnte Raum, wenn auch geistig genommen, zu klein, um sie alle zu fassen, und ihr möchtet sie dann nicht überschauen.
[GS.02_004,02] Ihr fraget hier: Nachdem eures inneren Wissens zufolge sich auch auf so manchen großen Planeten und besonders Sonnen riesenhaft große Menschen vorfinden, so ist es hier zu verwundern, daß diese seligen Geister hier dennoch von ganz gewöhnlicher Größe sind, nur mit kleinen Unterschieden wie allenfalls auf dem Erdkörper. Ich sage euch: Hier, wo der Herr wohnt, ist nirgends ein Unterschied, wohl aber in anderen Himmelsgebieten, wo der Herr nur in Seiner Gnadensonne gegenwärtig ist.
[GS.02_004,03] Dergleichen Himmelsgebiete sind fürs erste der erste oder unterste Himmel, in dem bloß die Weisheit und die aus dieser hervorgehende Liebachtung zum Herrn wohnt, und fürs zweite der Mittags- oder zweite Himmel, welcher da besteht aus denen, die aus dem Glaubenswahren in der Liebe zum Nächsten und daraus zum Herrn sind.
[GS.02_004,04] Jeder dieser zwei genannten Himmel ist an und für sich unendlich und fasset alle die zahllosen Myriaden Geister, welche irdischermaßen ehedem auf ihren Weltkörpern rechtlich gelebt haben. Und dazu sind diese beiden Himmel noch so eingeteilt, daß in entsprechender Form die Planetargeister gerade an jener Stelle des Himmels ihre freien seligen Wohnungen haben, allwo sich naturmäßigerseits ihr Erdkörper befindet. Ihr müsset euch demnach diesen Himmel also vorstellen, daß sein geistiger Flächenraum ein endlos weitgedehnter und alle Sonnen und Planeten in sich wie einzelne Punkte fassender ist.
[GS.02_004,05] Ihr fraget freilich, wie solches möglich, da es fürs erste drei geschiedene Himmel gibt, die Planeten aber ungeschieden, und zudem auch die Planeten und Sonnen so unter- und übereinander gesteckt sind, daß sie darob unmöglich mit einer Fläche gewisserart planimetrisch übereinstimmen können. Wie sei demnach solches zu verstehen?
[GS.02_004,06] Ich sage euch: Naturmäßig genommen wird das freilich wohl nicht so recht übereinander zu bringen sein; aber entsprechend geistig sicher auf das anschaulichste und klarste. Dessen ungeachtet aber kann euch auch ein naturmäßiges Bild die Sache sehr aufhellen. Wir wollen versuchen, ob wir nicht eines aufzustellen imstande sind, das da für unseren Zweck taugen möchte. Und so höret denn!
[GS.02_004,07] Nehmet z.B. euren Erdkörper. Der feste Boden und dessen bevölkerte Oberfläche bilde den ersten Himmel, die Region der Luft, namentlich die der Wolken, bilde den zweiten Himmel, die über den Wolken weitgedehnte Äther-Region den dritten und obersten. So greifen alle diese drei Himmel ineinander, sind aber dennoch voneinander so abgesondert, daß aus dem unteren Himmel wohl niemand in den zweiten und noch weniger in den dritten, wie auch vom zweiten in den dritten niemand gelangen kann; wohl aber ist es umgekehrt der Fall.
[GS.02_004,08] Auf jedem Erdkörper halten sich in diesen drei Regionen zahllose lebende Wesen auf. Auf dem Boden gröbere materielle, in der Wolkenregion geistigere und leichte, in der dritten Region ganz ätherisch leichte und völlig unsichtbare. Und dennoch stehen diese drei Wesengattungen auf jedem Erdkörper in beständiger wechselseitiger Korrespondenz.
[GS.02_004,09] Nun hätten wir einen Teil des Bildes. Ihr wisset aber auch, daß ein jeder sich frei bewegende Erdkörper von den zahllosen Strahlen anderer entfernter Weltkörper beschienen wird. Sehet, auf diese Weise nimmt er in seine drei Regionen oder seine drei Flächen Teile vom ganzen Universum auf.
[GS.02_004,10] Durch diese wechselseitige Einwirkung steht er denn auch in steter Verbindung mit dem ganzen Universum, und der ganze Einfluß setzt sich dann auf einem und demselben Erdkörper in all seinen drei Regionen wohl entsprechend in die stete Verbindung. Das Ätherische bleibt in dem Äther, das Atmosphärische in der Atmosphäre, und das Tellurische auf dem Erdkörper.
[GS.02_004,11] Dadurch stehen aber die Atmosphären aller Sonnen und Planeten stets also gegeneinander in wechselseitiger Entsprechung, daß sich das Ätherische fremder Planeten nur mit dem Ätherischen eures Planeten, das Atmosphärische mit dem Atmosphärischen und das Tellurische mit dem Tellurischen verbindet.
[GS.02_004,12] Da wir nun solche Verbindungen ersichtlichermaßen dargestellt haben, so können wir zur dritten Betrachtung unseres Bildes übergehen, und diese ist die entsprechend geistige. Vollkommen entsprechend Gleiches entspricht in geistiger Beziehung einer Fläche, die sich allenthalben durchaus gleich ist; demnach ist in der geistigen Erscheinlichkeit das naturmäßig oder tellurisch Gleiche aller Weltkörper wie eine endlos weitgedehnte Fläche, ebenso das Atmosphärische wie das Ätherische anzusehen.
[GS.02_004,13] Die Entsprechungen aber bestehen in der geistigen Welt nur aus dem Gemütsleben der Menschen auf den Erdkörpern. Ihr saget, daß das Tellurische in seiner endlosen Mannigfaltigkeit den vielen naturmäßigen Gestirnen entspricht. Also ist es auch. Auch das naturmäßige Gemütsleben eines Menschen hat Entsprechung mit dem naturmäßigen Gemütsleben der Menschen aller Gestirne; eben also ist es der Fall mit dem weisegeistigen, und eben also auch mit dem liebegeistigen Teile des Menschen auf eurem Erdkörper. – Nun sehet und habet acht!
[GS.02_004,14] Der Mensch auf eurem Erdkörper ist gleichsam in seiner Art das Zentrum aller Menschen anderer Erdkörper, und das darum, weil der Herr auf der Erde Selbst ist ein Mensch dem Fleische nach geworden.
[GS.02_004,15] Der erste oder unterste Himmel, welcher auch der naturmäßig-geistige Himmel genannt wird, faßt selige Menschen eures Erdkörpers, und ein jeder solche selige Mensch bildet eine gleiche Fläche, in welcher alle anderen Gestirnmenschen zu ihm sich also verhalten wie die Linien, welche von einem Mittelpunkte ausgehen oder von einem möglichst weitesten Kreise wieder in den Mittelpunkt zusammenlaufen.
[GS.02_004,16] Aber die naturmäßige Fläche ist und kann nicht sein eine ununterbrochen fortlaufende, sondern ist in sich allzeit wie erscheinlich abgeschlossen. Daher werdet ihr auch den naturmäßigen Himmel allzeit wie in einzelne, wenn schon zahllos viele Vereine getrennt erschauen.
[GS.02_004,17] Der zweite Himmel, welchen wir unter dem mittägigen kennen, ist schon konkreter, hat aber dennoch in seiner endlosen Ausdehnung gewisse Zwischenräume, die sich wie endlos weitgedehnte Meere ausnehmen, über welche die diesem Himmel eigentümlichen Geister nur unter einer höheren Leitung gelangen können.
[GS.02_004,18] Betrachtet aber nun die dritte ätherische Abteilung, in welcher naturmäßig alle zahllosen Weltkörper schwimmen. Diese ist allenthalben vollkommen konkret. Also ist demnach in entsprechender Form auch der höchste Liebehimmel so gestellt, daß er alle anderen umgibt, sie trägt und leitet. Es wird nun gar nicht schwer sein, zu begreifen, daß mit diesem höchsten Himmel sich alles andere am Ende wie konkret verflachen muß, indem alles von ihm werktätig durchdrungen wird.
[GS.02_004,19] Daher haben die seligen Geister der Erde in diesem Himmel denn auch diesen unbegrenzten Wirkungskreis aus der Liebe des Herrn. Sie können sich allenthalben hin verfügen. Überall ist für sie ein ebener Weg. Für sie gibt es nirgends ein „Auf“ und ein „Ab“ wie ihr in entsprechender Weise auch nicht annehmen könnet, daß ein ätherisch leichter Mensch, auf welchen kein Erdkörper mehr eine Anziehung zu äußern vermag, sich im lichten Äthermeere irgend leichter und schwerer, auf und ab bewegen könnte, indem er sicher nach jeder Richtung sich mit gleicher Leichtigkeit bewegen wird, also wie ein Gedanke, dem das „Auf“ und „Ab“ doch auch hier sicher einerlei ist.
[GS.02_004,20] Solches aber wird in entsprechend geistiger Weise „eben“ genannt und ist erschaulich wie eine unendliche Fläche, darum denn auch aller Welten Geister sich in dieser Fläche notwendig samt ihren entsprechenden Weltkörpern aufhalten und dann auch mit uns Zentralgeistern aus dem Herrn in notwendig dienlicher Verbindung stehen müssen.
[GS.02_004,21] Das sei euch vorläufig eine gute Beantwortung auf eure Frage. Wenn aber mit unserer nächsten Betrachtung der Herr diese Seine Gesellschaft installieren wird in ihre ewige Bestimmung, da werdet ihr aus Seinem Munde alles dieses in einem werktätig noch viel helleren Lichte erschauen.
[GS.02_004,22] Es ist schwer, geistige Verhältnisse und naturmäßige mit der naturmäßigen Sprache in ersichtlich begreifliche Verbindung zu bringen. Aber dessen ungeachtet vermag die große Liebe und Weisheit des Herrn allenthalben Wunder zu wirken. Daher werdet ihr auch hier den besseren Teil erst aus dem Munde des Herrn bekommen. – Nun aber nähern wir uns schon wieder der heiligen Stadt, daher wollen wir unsere Aufmerksamkeit auch dahin wenden.
5. Kapitel – Das Wesen der Liebe. Liebe des Nächsten aus Liebe zu Gott und Liebe zu Gott aus Liebe zum Nächsten.
[GS.02_005,01] Sehet, wie diesmal noch größere Scharen im höchsten Glanze uns entgegenziehen! Und wenn ihr ebenfalls eure Ohren öffnen wollet, so werdet ihr auch große Gesangschöre vernehmen, wo das Wort in sich selbst als die höchste, vollkommenste aller Musik zu vernehmen ist.
[GS.02_005,02] Ihr denket hier freilich wohl nach, wie solches möglich sei. Ich aber sage euch: Es ist nichts leichter möglich wie auch nichts geistig ordnungsmäßiger als eben die Musik des Wortes. Warum denn? Wenn ihr euer artikuliertes Wort hier aufstellet, das an und für sich nur die äußerste Rinde des eigentlichen wahren Wortes ist, welches ganz inwendig in dem äußeren Worte ist, so wird es mit der musikalischen Darstellung des Wortes wohl ein wenig schwer gehen. Aber wenn ihr auf den eigentlichen Grund des Wortes zurückgeht, so werdet ihr die Sache ganz natürlich ordnungsmäßig finden.
[GS.02_005,03] Was aber ist der Grund des Wortes? Der erste Grund ist natürlich wie von allem so auch vom Worte – die Liebe. Wie spricht sich aber die Liebe inwendig aus? Die Liebe spricht sich stets mit einem begehrenden Zuge aus, das heißt, sie will alles an sich ziehen! Dieser edle Zug sieht nach allen Seiten um sich her, und was seinem Auge begegnet, das ergreift er in der Art, wie es ist, und bemüht sich, den erschauten Gegenstand sich stets näher zu bringen und endlich gar mit sich zu vereinen.
[GS.02_005,04] Dieser Zug wird bei euch die Begierde genannt. Was liegt denn eigentlich in dieser Begierde? Nichts als das Bedürfnis, sich stets mehr zu erfüllen mit dem, was eben dieser Begierde vollkommen harmonisch zusagt. Diese Begierde ist aber somit auch eine fortwährend lebendige Empfindung, durch welche eben die Begierde in sich das Bedürfnis wahrnimmt, sich stets mehr und mehr zu erfüllen.
[GS.02_005,05] Nun habet acht! Die Liebe zum Herrn und daraus zum Nächsten empfindet demnach das Bedürfnis nach dem Herrn und nach allem dem, was des Herrn ist.
[GS.02_005,06] „Böse Liebe“ aber ist, wie ihr wißt, in allem das Gegenteil. Wenn nun die gute, edle Liebe in sich die stets wachsende Erfüllung mit dem empfindet, was ihr ein einziges Bedürfnis ist, so fühlt sie in sich eine Sättigung. Und diese Sättigung ist das sich wonniglich selbstbewußte Gefühl, welches eben durch seine Sättigung und die aus dieser Sättigung bewirkte Lebenstätigkeit das Licht der Liebe in sich hervorbringt. In diesem Lichte wird alles in sich Aufgenommene wie plastisch und geht in harmonische Formen erhabenster Art über.
[GS.02_005,07] Aus dem Bewußtsein der Sättigung und aus der Anschauung der lebendigen Formen in sich geht dann erst jenes wonnige Gefühl hervor, welches ihr unter dem Begriffe: Die Seligkeit des ewigen Lebens kennet.
[GS.02_005,08] Nun gebet ferner acht! Wenn die lebendige Liebe einmal auf diese Weise gesättigt und in ihr Licht übergegangen ist, so findet sie dann ein zweites Bedürfnis, nämlich die Mitteilung. Und diese Mitteilung ist dann gleich der Nächsten- oder Bruderliebe, welche aber nie eher vollkommen dasein kann, als bis der Mensch in seiner Liebe zum Herrn eben vom Herrn diese gerechte Sättigung überkommen hat.
[GS.02_005,09] Daher ist auch die wahre Ordnung der Nächstenliebe nur diejenige, so jemand seinen Bruder aus dem Herrn liebt. Im Gegenteil aber, wenn jemand den Herrn liebt aus seinen Brüdern, ist das dann eine umgekehrte Ordnung, welche mit der ersten Ordnung in keinem harmonischen Zusammenhange steht. Warum denn? Weil es doch hoffentlich natürlicher ist, in dem, in dem alles ist, auch alles zu suchen, als in dem, da noch bei weitem nicht alles ist, das vollkommenste Alles zu suchen. Oder noch deutlicher gesprochen:
[GS.02_005,10] Es ist doch sicher geordneter, in Gott alle seine Brüder zu suchen, als in seinen Brüdern den unendlichen Gott! In Gott wird sogar ein jeder alles finden, aber in seinem Bruder dürfte es wohl manchmal sehr stark im Zwielichte stehen, das allerhöchste Wesen Gottes zu finden. Er findet es wohl auch; aber es ist ein großer Unterschied zwischen dem Finden und Finden.
[GS.02_005,11] Diesen Unterschied könnet ihr irdischermaßen also bemessen, als so ihr da hättet ein gutes Fernrohr. Sehet ihr am rechten Orte durch dasselbe, d.h. daß ihr das große Objektivglas nach außen wendet und die kleinen Okulargläser ans Auge setzet, so werdet ihr damit die Gegenstände, die ihr beschauet auch in der natürlichen Vergrößerung finden; denn hier schauet ihr wie aus dem Zentrum des Objektivglases Strahlenweite hinaus. Wenn ihr aber das Fernrohr umkehrt, so werdet ihr zwar wohl auch die Gegenstände erblicken, welche ihr früher erblickt habt; aber diese Gegenstände werden ums eben so Vielfache verkleinert erscheinen, als sie ehedem vergrößert dastanden, und ihr werdet euch eine ganz entsetzlich große Mühe nehmen müssen, wenn ihr nur einigermaßen entfernte Gegenstände werdet erblicken und dieselben völlig erkennen wollen.
[GS.02_005,12] Ihr fraget, ob das geistig genommen gesündiget ist oder nicht. O nein! Gesündigt ist es durchaus nicht. Denn wenn ihr durch ein umgekehrtes Fernrohr die Gegenden betrachtet, so werden sie euch auch gar schön und wunderlieblich vorkommen, nur wird es euch, wie gesagt, sehr viele Mühe kosten, sie nur einigermaßen zu erkennen als das, was sie sind.
[GS.02_005,13] Also ist es auch mit der Liebe zum Herrn aus dem Nächsten. Der Herr ist wohl in einem jeden Bruder, denn Er ist ja das Leben Selbst in einem jeden, aber im kleinsten Abbilde, also, wie der Mensch selbst des ganzen unendlichen Himmels kleinstes Abbild ist, oder – der Mensch ist ein Himmel in kleinster Gestalt.
[GS.02_005,14] Wer aber aus dem Herrn den Bruder liebt, der schaut aus dem Zentrum des Strahlenbrennpunktes, vom Objektive seines Fernrohres ausgehend, alle seine Brüder liebend an und sieht da in seinen Brüdern viel mehr, als was er ehedem gesehen hat.
[GS.02_005,15] Ehedem sah und gewahrte er eigentlich vielmehr, daß in seinen Brüdern ein göttlicher Funke wohne, und sah somit eine Menge göttlicher Fünklein. Jetzt aber sieht er in seinen Brüdern, daß der Herr in ihnen alles in allem ist, und statt der Fünklein sieht er jetzt große Sonnen in seinen Brüdern flammen, aus deren Lichte sich fortwährend neue herrliche Formen gleich wunderbaren Schöpfungen Gottes entwickeln.
[GS.02_005,16] Ich meine, solches dürfte euch nun klar sein, und wir wollen daher jetzt sehen, wie wir unsere Wortmusik aus dem allem herausbekommen werden. Ich sage euch, nichts leichter als nun das. Nur eine Frage müssen wir noch voransenden und diese ist: Was ist denn eigentlich die Musik – in sich? Die Musik, in irdischer Form nur betrachtet, ist nichts als ein durch Tonmittel für die äußeren gröberen Sinne vernehmbar gemachtes und gewisserart verkörpertes Darstellen des inneren harmonischen Gefühles.
[GS.02_005,17] Wenn aber das also dargestellte innere harmonische Gefühl äußerlich dargestellt Musik ist, so wird doch etwa das Gefühl in sich selbst um so mehr die wahre Musik sein, da es der Grund der äußeren Musik ist.
[GS.02_005,18] Wir Geister fühlen in unserer seligen Liebesättigung und denken durch die aus dem Liebelichte in uns entstandenen Formen aus dem Herrn. Dieses Fühlen und Denken ist unsere allergrößte Seligkeit, weil sich eben darin das Leben des Herrn in uns ausspricht.
[GS.02_005,19] Denket euch nun die Harmonie. Der Herr ist in uns das Grundwort, also der Grundton, unsere Sättigung aus dem Herrn ist das zweite harmonische Intervall, das Licht aus dieser Sättigung ist das dritte harmonische Intervall, die Formen aus dem Lichte sind, was ihr Melodie nennt.
[GS.02_005,20] Ihr habt aber in eurer Musik, damit sie vollendeter und ein wohl zusammengreifendes Ganzes sei, einen Kontrapunkt, da ihr eine Melodie auf eine lebendige Weise begleitet und diese Begleitung in sich selbst ebenfalls als ein reines Thema aufgestellt werden kann.
[GS.02_005,21] Wir wollen sehen, ob sich solches auch in unserer Grundmusik vorfindet. Ganz sicher; denn was ist der gegenseitige Ideen- und Formenaustausch, oder der Austausch unserer inneren, seligsten Gefühle anderes als ein wahrhaft himmlischmusikalischer Kontrapunkt, da ein seliger Bruder die Seligkeit seines Bruders aufnimmt und dieselbe mit der Seligkeit der anderen harmonisch verbindet. Auf diese Weise wird dann das selige ineinander Überströmen und Verbinden und wieder Lösen gleich einem nach eurer Art allerkunstvollst gebauten großen himmlischen Oratorium! – Versteht ihr nun solches?
[GS.02_005,22] Ihr fraget, ob man dergleichen Musik immer hört? Ich aber frage euch: Wann höret denn ihr auf der Erde eine Musik? Ihr saget: Wenn sich Musiker zu einem solchen Zwecke vereinen und dann nach dem vorbeschriebenen Zeichen anfangen, ihren Tonwerkzeugen die Töne zu entlocken. Gut, sage ich euch; also ist es auch mit der Grundmusik in dem Himmel der Fall.
[GS.02_005,23] Bei solchen Gelegenheiten, wo der Herr also wieder einzieht, wie jetzt, wird das selige Gefühl aller himmlischen Geister auf das Höchste getrieben, und diese höchste Stufe des allerseligsten Gefühles spricht sich wie die allerherrlichste Musik aus.
[GS.02_005,24] Im gewöhnlichen Zustande aber spricht sich das Wort also aus wie bei euch. Dessen ungeachtet aber hat dennoch jeder himmlische Geist hier das vollkommene Vermögen in sich, alles, wenn er will, in vollster Harmonie in sich selbst zu vernehmen, wie auch andere vernehmen zu lassen, was er in dieser harmonischen Hinsicht denkt und fühlt.
[GS.02_005,25] So könntest du, A. H. W., ein Tonwerk, das du auf der Erde nur einzeltönig (successio) dichten und erfinden kannst, sogleich in dir selbst wie mit dem größtmöglichsten Orchester aufgeführt vernehmen.
[GS.02_005,26] Ich meine nun, daß euch bereits alles klar sein dürfte. Daher könnet ihr euch nun im Geiste auch mit mir ein wenig vergnügen, wie die herrlichen Harmonien aus den uns stets näher kommenden seligen Scharen an unser Ohr dringen.
[GS.02_005,27] Sehet aber nun auch unseren Prior ein wenig an, wie er sich aus lauter überseliger Wonne nicht mehr zu raten und zu helfen weiß und soeben den Herrn fragt, was solches denn doch alles zu bedeuten habe. Der Herr aber spricht zu ihm: Mein geliebter Sohn, habe nur noch eine kleine Geduld und empfinde der Seligkeit ersten Grad; an Ort und Stelle soll dir alles klarwerden. Wir wollen zuvor die Stadt erreichen und dann erst in der Stadt selbst das Weitere abmachen.
[GS.02_005,28] Sieh aber die erste kleine Schar, die Mir entgegenkommt, und rate, wer diese sind, aus denen die Schar besteht?
[GS.02_005,29] Der Prior spricht: O Herr! Woher sollte ich das aus mir nehmen? Daß es überselige Brüder und Engel sind, das ist gewiß; wer sie aber namentlich sind, das könnte ich wohl nimmer erraten.
[GS.02_005,30] Der Herr spricht: Nun, so will Ich dir es denn kundgeben: das sind Meine Brüder. Die ersten vorderen zwei sind der dir sicher wohlbekannte Petrus und der Paulus, hinter dem Petrus einhergehend siehst du Meinen lieben Johannes, hinter dem Johannes siehst du den Matthäus und Lukas. Der Markus aber folgt uns und war derjenige, der euch zuerst von Mir gesandt aufsuchte. Und die noch mehr rückwärts Folgenden sind die anderen Apostel. – Doch nun nichts mehr weiter, sondern wie gesagt in der Stadt, Mein geliebter Sohn, wird erst die Enthüllung folgen!
6. Kapitel – Persönliche Einzelheiten der Apostel durch Insignien dargestellt.
[GS.02_006,01] Sehet, wir sind am euch schon bekannten Stadttore, welches so wie die Mauer um die Stadt und die Häuser in der Stadt gemacht ist aus allen Edelsteinen.
[GS.02_006,02] Sehet in die Gasse, welche da genannt wird die Hauptstraße, die Straße des Herrn und die Straße der Mitte alles Lichtes, wie in dieser Straße gar viele allerseligste Engelsgeister, wie Kinder angetan, uns von allen Seiten entgegenströmen.
[GS.02_006,03] Sehet, alles ist voll des allerhöchsten Liebeweisheitsglanzes. Aber beschauet dagegen den Herrn, der geht noch immer so einfach daher, wie wir Ihn vom Anfange gesehen haben; ein blauer Rock ist alles, was Ihn ziert der äußeren Erscheinlichkeit nach. Aber auch Seine Brüder gehen Ihm gleich einfach einher, und wie ihr auch bemerken könnet, so trägt ein jeder ein kleines Zeichen wie einen Orden am Rocke von dem, was ihn auf der Erde wesentlich unterschied von einem andern seiner Brüder, wie auch, was er auf der Erde als naturmäßiger Mensch zur Fristung seiner natürlichen Bedürfnisse für ein Gewerbe trieb.
[GS.02_006,04] So werdet ihr bei dieser Gelegenheit den Petrus erschauen geziert mit zwei Schlüsseln, die übers Kreuz gelegt sind. Unter den zwei Schlüsseln aber werdet ihr ein Fischernetz in kleinem Maßstabe wie aus kleinen Diamanten gewirkt erschauen. Die Bedeutung dieser beiden Insignien brauche ich euch wohl nicht mehr zu erklären. Manchesmal bei besonderen Gelegenheiten bekommt so ein Apostel noch mehrere Insignien. So erblickt man auch manchmal als eine Bußzierde den Hahn wie auch ein Schwert.
[GS.02_006,05] Sehet den Paulus an, der hat ein zweischneidiges Schwert; unter dem Schwerte aber, mit farbigen Diamanten gewirkt, einen kleinen Teppich. Bei besonderen Gelegenheiten hat er auch noch ein rötliches Pferd und über dem Pferde wie einen Feuerstrahl, unter dem Pferde aber eine Rolle und einen Griffel. Und so wie diese zwei ersten Apostel, so haben auch alle anderen bei solchen Gelegenheiten auf ihren Kleidern auf ihr irdisches Leben und Wirken Bezug habende Insignien.
[GS.02_006,06] Diese Insignien sind von sehr großer Bedeutung und dienen ihren Inhabern im allerhöchst und tiefst geistigen Sinne dazu, wozu einst nur äußerlich vorbildlich in der jüdischen Kirche dem Hohenpriester seine Thumim- und Urim-Täfelchen gedient haben. Denn auch hier sind die allerseligsten Geister nicht in einem stets gleich hohen Grade der innersten Weisheit aus dem Herrn, sondern darin findet auch hier ein Zustandswechsel statt, welcher zu vergleichen ist mit dem Wirkungsstande und dem darauf erfolgten Raststande. Im Wirkungsstande ist ein jeder nach Bedarf mit der tiefsten Weisheit des Herrn ausgerüstet, im Raststande aber bedarf niemand solcher Tiefe, sondern auch hier einer gewissen Sabbatruhe in der stillen himmlischen Liebe zum Herrn.
[GS.02_006,07] Aus dem Grunde sind denn auch im Wirkensstande die Apostel wie auch alle anderen seligen Geister mit ähnlichen Insignien versehen; nicht als ob sie nicht ohne dieselben aus dem Herrn möchten in die Fülle der Weisheit gesetzt werden, sondern weil diese Insignien gewisserart die Wurzel anzeigen wie auch das ursprüngliche Samenkorn, aus welchem alle ihre Weisheit aus dem Herrn hervorgegangen ist. Darum werden sie denn auch grundweise und wahrhaftige „Fürsten des Himmels“ geheißen, was sie auch in aller Wahrheit sind.
[GS.02_006,08] Aber nun sehet, wir befinden uns schon vor einem gar mächtig großen, überstark glänzenden Palaste. Der Herr hält vor dem majestätischen Tore desselben, aus welchem schon wieder neue herrliche Lobgesänge entgegenhallen, und spricht zum Prior: Nun, mein geliebtester Sohn, hier sind wir in unserer unveränderlichen ewigen Wohnung zu Hause. Wie gefällt es dir hier? Sage Mir, ob du eine große Lust hättest, hier zu bleiben? – Der Prior spricht, in eine tausendfache Demut versunken: O Herr, Du alleiniger ewiger König aller Majestät und Glorie! Du Gott, heilig, überheilig, Du allmächtiger Schöpfer aller Himmel und aller Welten! Als ich von Dir in den früheren Himmel geleitet ward, da blieb in meinem Herzen aber dennoch so viel Raumes übrig, daß ich noch irgendeines Wunsches fähig war. Aber hier, wo sich Deine unendliche Herrlichkeit in solch einer nie geahnten endlosen Fülle darstellt und ich vor meinen Blicken wie zahllose Schöpfungen auf- und untergehend erschaue und Deine endlos weiten Pläne und Wege voll des allerhöchsten Lichtes, – da, o Herr, ist mein Herz vor Dir nicht mehr fähig zu reden, denn zu groß, zu herrlich und heilig bist Du, und ein unendliches Nichts bin ich vor Dir!
[GS.02_006,09] In der vorigen Himmelsgegend, da hätte ich mich wohl noch zu wünschen getraut, etwa ein allergeringster Hausknecht bei irgendeinem seligen Bruder zu sein. Aber hier, wo mir alles so unendlich heilig vorkommt, wo ich mich kaum zu atmen getraue und meinen allerunwürdigsten Fuß zu setzen auf den Boden dieser allerheiligsten Stadt, der ja einen bei weitem größeren Lichtglanz von sich strömen läßt als das Licht aller Sonnen zusammengenommen, und wo mich die zu unendliche Majestät dieser heiligen Wohnungen und ihrer Einwohner zufolge meiner gänzlichen Nichtigkeit ganz rein verzehrt, – da bleibt mir, o Herr, kein Wunsch mehr übrig! Wenn ich Dich aber schon um etwas bitten dürfte, so wäre das dahin gerichtet, daß Du mich irgendwo hinaus in so eine ganze einfache Hütte möchtest verschieben lassen; denn dieser unendlichen Wonne und Seligkeit bin ich zu unwürdig!
[GS.02_006,10] Der Herr spricht: Aber mein lieber Sohn, dein größter Wunsch war ja doch der, bei Mir zu sein. Wenn Ich aber nun hier wohne, wie magst du dich denn scheuen vor Meiner Wohnung? Du hast dich doch selbst dahin ausgesprochen, sagend: O Herr! Wo Du bist, da ist überall gut sein! Wenn Ich aber hier für ewig beständig vorzugsweise zu Hause bin, soll demnach hier nicht gut sein, zu sein? – Daher bedenke dich und rede!
[GS.02_006,11] Der Prior spricht: O Herr, Du allerbester, allmächtiger, heiliger Vater! Mit diesem meinem Ausspruche wird es wohl ewig seine Richtigkeit haben wie auch damit, daß es hier nur zu unendlich wonnig und selig zu wohnen wäre. Aber nur das einzige, o Herr, bemerke ich hier, daß allhier lauter Fürsten wohnen, und keiner von ihnen hat irgendeinen Knecht und geringen Diener. Wenn es möglich wäre, irgendwo in einem allerletzten Winkel dieser heiligen Stadt so ein Dienstplätzchen zu bekommen von der möglichst allergeringsten Art, vorausgesetzt, daß hier dergleichen Dienstposten existieren, da möchte ich mir freilich hier vor allen anderen Plätzen in der ganzen Unendlichkeit ein solches Plätzchen von Dir erbitten. Aber in so einem Palaste, wie dieser da ist, vor dessen Tor wir nun stehen, da kommt mir schon der möglichst allergeringste Posten zu endlos groß, wichtig und heilig vor, als daß ich mich nur höchst entferntermaßen demselben nähern könnte.
[GS.02_006,12] Der Herr spricht: Hast du denn nicht gehört, daß in Meinem Reiche derjenige der Größte ist, welcher der Kleinste und Letzte sein will? Wenn du demnach gar so klein hinaus willst, da bleibt Mir nichts anderes übrig, als dich zum möglichst Größten hier zu machen.
[GS.02_006,13] Der Prior spricht: O Herr, Du allerbester, heiligster Vater! Wenn ich bestimmt wüßte, daß hier derjenige im Ernste der Geringste und am wenigsten Bedeutende ist, der sich für den Vorzüglichsten und Größten hält, da mache mich nur geschwinde zum größten und glänzendsten Fürsten dieser Stadt, damit ich darob der Unbedeutendste und Allergeringfügigste werde!
[GS.02_006,14] Der Herr spricht: Mein geliebtester Sohn! Wer nach deiner Art groß werden will, der ist bei Mir wahrhaftig groß. Daher sage Ich dir aber nun auch: Nicht ein Diener und nicht ein Knecht in diesem Wohnhause sollst du Mir sein, sondern dieses Haus habe Ich für dich errichtet zum ewig eigentümlichen herrlichen Besitze. Daher ziehe hier mit deinem Weibe und deinem Bruder an Meiner Seite ein. Ich will dich hier installieren und dir die Herrschaft über dieses ganze Haus einräumen. Die Dienerschaft dieses Hauses hast du schon gesehen. Sie besteht aus jenen seligen Geistern, die uns beim ersten Eintritte in dieses Mein Reich in zahllosen Heerscharen entgegengekommen sind. – Und so ziehe mit Mir ein, und Ich werde dir in diesem deinem Hause erst deine volle ewige Bestimmung enthüllen!
7. Kapitel – Die Abendmahlstafel mit Lamm, Brot und Wein.
[GS.02_007,01] Nun sehet da gerade vor uns eine breite, glänzende Treppe, welche mit lauter wie von durchsichtigem Golde angefertigten Geländern versehen ist. Diese Treppe führt hinauf in die mittlere Herrnwohnung. Unsere Gesellschaft bewegt sich nun hinauf, begleitet von den Aposteln; also folgen auch wir ihnen nach. – Hier sind wir schon am Eingangstore in den großen Herrnsaal. Der Herr öffnet die Türe, und wir alle ziehen hinein in den Saal. Sehet, welche unendliche Pracht und Herrlichkeit in diesem übergroßen Herrnsaale anzutreffen ist! Der Boden ist ebenfalls wie von durchsichtigem Golde, und wenn ihr deutlich auf denselben sehet, so werdet ihr aus diesem Golde allenthalben eine Schrift schimmern sehen.
[GS.02_007,02] Was etwa wohl diese Schrift besagt? Ich sage euch: Nichts mehr und nichts weniger, als alle die Taten, welche unser Prior aus seiner wahren inneren Liebe verrichtet hat. – Dann sehet zu beiden Seiten des großen Saales fünf rote leuchtende Säulen, welche aussehen wie weißglühendes Erz in einer viertelstundweiten Entfernung auf der Erde betrachtet, allwo es hellrötlich aussieht, und das zwar zufolge der Dichtigkeit der Luft, durch welche so ein Strahl sich durcharbeiten muß. Nur ist natürlicherweise, wie ihr es im Geiste hier erschauen könnet, das Leuchten dieser Säulen ums Unaussprechliche stärker.
[GS.02_007,03] Sehet aber nun auch auf die Fußgestelle dieser großen Säulen, wie sie ebenfalls wieder allenthalben geschmückt sind mit einer mehr denn alle Sonnen stark leuchtenden Schrift. Leset es und ihr werdet finden, daß darauf die zehn Gebote gezeichnet sind. Betrachtet aber die Schrift noch näher, und ihr werdet in einem jeden einzelnen Buchstaben eine kleinere Schrift entdecken, aus welcher Schrift der innere Sinn der Gebote erkannt werden kann.
[GS.02_007,04] Sehet aber auch in die Höhe, und ihr werdet von einer jeden Säule einen weißglänzenden überherrlichen Bogen gegen die Mitte des hohen Plafonds strahlenförmig hin- und zusammenlaufen sehen. Auf dem Punkte, wo die Bögen sich strahlenförmig ergreifen, seht ihr eine mächtig stark leuchtende Sonne, und mitten in der Sonne werdet ihr mit hellrot flammender Schrift das endlos viel bedeutende Wort Liebe gezeichnet finden.
[GS.02_007,05] Sehet aber auch die Wände dieses Saales an, welche aus den allerkostbarsten Edelsteinen erbaut sind. Nähert euch einem Teile der Wand und betrachtet sie genau, und ihr werdet allenthalben eine Schrift entdecken, und zwar in der Mitte der Gesteine gleich kleinen Sternchen schimmernd. Und wenn ihr nur ein wenig wollet zu lesen anfangen, so werdet ihr alsbald finden, daß diese Schrift das Wort Gottes enthält, und zwar im Buchstabensinne zuerst, etwas tiefer im Steine den geistigen und noch tiefer und zumeist in der Höhe den himmlischen Sinn darstellend. Diese vier Wände enthalten nur die vier euch bekannten Evangelien; die beiden langen Seitenwände den Matthäus und Lukas, die schmäleren Wände des Hinter- und Vordergrundes den Markus und Johannes.
[GS.02_007,06] Ihr möchtet wohl auch wissen, ob hier nirgends auch das Alte Testament zu erblicken ist? Hier in diesem Gebäudeteile nicht; aber was ihr gewisserart bei euch „zu ebener Erde“ nennt, das ist alles gebaut aus dem Alten Testamente, und was ihr bei euch auf der Erde die unsichtbare Grundfeste des Hauses nennet, das besteht aus der Urkirche der Erde.
[GS.02_007,07] Nun aber sehet auf den Vordergrund hin; da werdet ihr eine herrliche Tafel gedeckt erschauen, ein wie gebratenes Lamm in der Mitte in einer goldenen Schüssel, einen Laib Brotes daneben und einen großen Kelch voll des herrlichsten Weines.
[GS.02_007,08] Sehet, nun spricht der Herr zum Prior: Mein geliebter Sohn, siehe hier eine andere Tafel; wie kommt sie dir vor? Der Prior spricht: O Herr, Du allerliebevollster heiliger Vater! Obschon die endlose Herrlichkeit dieses Saales mich zu Boden drückt, so bemerke ich aber dennoch, daß diese Tafel eine überaus starke Ähnlichkeit mit derjenigen hat, welche Du auf Erden vor Deinem bitteren Leiden mit Deinen lieben Aposteln und Jüngern gehalten hast.
[GS.02_007,09] Der Herr spricht: Mein geliebter Sohn, du hast recht gesprochen, denn also sprach Ich ja an der Tafel, daß Ich weder von dem Lamme noch von dem Weine eher etwas mehr genießen werde, als bis es im Reiche Gottes, also in Meinem Reiche, neu bereitet wird. – Siehe, hier ist es neu bereitet! Hier wollen wir demnach dieses Mahl wieder miteinander halten und wollen dabei nicht mehr in die Traurigkeit, sondern in die allerhöchste Freude übergehen. Daher setzet euch alle mit Mir zu dieser Tafel, und zwar in der Ordnung, wie wir auf der Erde gesessen sind.
[GS.02_007,10] Du fragst zwar hier auch nach dem Judas, ob dieser auch bei der Tafel sein wird. Was meinst du wohl, ob sich der Verräter hierher schicken möchte? – Der Prior spricht: O Herr, Du allerliebevollster heiliger Vater! Ich weiß wohl, daß Deine Gerechtigkeit so groß ist wie Deine Liebe, Gnade und Erbarmung. Aber dessen ungeachtet, ich muß es Dir offen bekennen, würde es mir dennoch etwas hart geschehen, wenn ich diesen verlornen Apostel im Ernste für ewig missen müßte; denn Du hast ja selbst gesagt, daß dieser eine verloren ging, damit die Schrift erfüllet werde. Dieser Text hat mich denn auch heimlich in Hinsicht dieses unglücklichen Apostels stets mit einem kleinen Trost erfüllt, denn ich sagte zu mir: Der Judas mußte vielleicht, wenn schon nach seiner freien Wahl, auch so ein Dir dienendes Werkzeug sein, also ein Apostel der Toten, damit eben durch seinen Verrat Dein sicher von Ewigkeit vorbestimmter heiliger Plan in die allerheiligst herrlichste Ausführung kam! – Siehe, o Herr, Du allerliebevollster heiliger Vater! Solches flößte mir dann immer eine selige Hoffnung für den armen, unglücklichen Apostel ein. Noch mehr aber ward ich allzeit dadurch beruhigt, wenn ich bedachte, wie Du am Kreuze den Vater in Dir für alle Deine Feinde um Vergebung batest; und da konnte ich denn den armen Judas trotz seines Selbstmordes nicht ausschließen. Dazu war ja auch doch offenbar an dieser seiner letzten Tat nach der Schrift der in ihn fahrende Teufel schuld. Daher also möchte ich wohl auch diesen Apostel, wenn schon nicht hier, so aber doch wenigstens irgendwo nicht im höchsten Grade unglücklich wissen.
[GS.02_007,11] Der Herr spricht: Höre, Mein geliebter Sohn, es gibt nicht einen, sondern zwei Judas Iskariot. Der erste ist der Mensch, der mit Mir auf der Erde gelebt, und der andere ist der Satan, der in seiner damaligen Freiheit sich diesen Menschen zinspflichtig gemacht hatte. Dieser zweite Judas Iskariot ist wohl noch gar vollkommenst der Grund der alleruntersten Hölle, – aber nicht also der Mensch Iskariot, denn diesem ward es vergeben, und in wie weit, brauchst du dich nur umzusehen. Denn derjenige, der soeben mit deinem Bruder spricht und nun auch einen Liebeverrat begeht, indem er deinem Bruder schon im voraus Meine große Liebe zeigt, ist eben derjenige Judas Iskariot, um den du besorgt warst. Bist du nun zufrieden mit Mir?
[GS.02_007,12] Der Prior, vor Liebe zum Herrn beinahe vergehend, spricht: O Herr, Du allerunendlichst liebevollster, allerheiligster Vater! Wahrlich wahr, ich habe Dich mir wohl allzeit allerhöchst liebevoll und endlos gut vorgestellt. Dessen ungeachtet aber hätte ich mir nie zu denken getraut, daß sich Deine unendliche Erbarmung, Gnade und Liebe auch bis zum Judas erstrecken sollten! Denn auf der Erde hätte ich mich mit einem solchen Gedanken sicher für grob versündigt geglaubt. Aber nun sehe ich, wie endlos weit Deine unendliche Güte, Gnade und Erbarmung alle menschlichen Vorstellungen übertreffen. – O Herr, was soll ich denn tun? Wie soll ich Dich denn lieben, daß ich doch nur einigermaßen in meinem Herzen solcher Deiner unendlichen Liebe entsprechen könnte?
[GS.02_007,13] Der Herr umarmt den Prior, drückt ihn an Seine Brust und spricht zu ihm: Siehe, Mein geliebter Sohn, also wie du Mich jetzt liebst, gibst du Mir den größten Ersatz für Meine unendliche Liebe. Daher gehe nun aber auch mit Mir an den Tisch und esse und trinke das wahre lebendige Abendmahl, damit du in diesem Genusse alle die Stärkung überkommst, welche dir, einem großen Fürsten in diesem Meinem Reiche, stets und ewig wachsend vonnöten ist!
[GS.02_007,14] Sehet, nun setzen sie sich alle zur Tafel und an der rechten Seite des Herrn nimmt der Prior mit seinem Weibe und seinem Bruder Platz. Zur linken Seite sehet ihr den Johannes, dann gleich nach ihm den Petrus und dann den Paulus sowie auch die anderen Apostel und Jünger.
[GS.02_007,15] An der rechten Seite des armen Bruders des Priors sitzt der Judas und nach ihm noch einige andere, die ich euch hier noch nicht nennen will. Weiter herüber sehet ihr auch unseren Joseph und neben ihm die Maria; neben der Maria die Magdalena und noch andere euch wohlbekannte weibliche Wesen. Daneben sehet ihr den Lazarus, den Nikodemus und noch einige große Freunde des Herrn.
[GS.02_007,16] Ihr fraget nun, da noch mehrere Stühle unbesetzt sind, ob sich darauf niemand setzen wird? Ja, meine lieben Freunde und Brüder, auch ich muß mich zu Tische setzen und ihr, als noch irdische Geister, dürfet nicht aus meiner Sphäre. Daher wird nichts anderes übrigbleiben, als daß wir nach der geheimen Beheißung des Herrn die drei noch leer gelassenen Stühle in Beschlag nehmen. Daher folget mir nur mutig zur Tafel und esset und trinket dort mir und allen andern gleich.
[GS.02_007,17] Wenn ihr an dieser Tafel – wenn auch für eure Sinne unfühlbar, werdet gespeist haben, so wird euch ein inneres, euren Geist sättigendes Gefühl sagen, daß ihr im Geiste an dieser Tafel gespeist habt. Es wird euch daraus eine große, bedeutende Stärkung werden, welche ihr gar wohl empfinden werdet. – Scheuet euch nicht, sondern in eurer Demut und Liebe genießet das Mahl des ewigen Lebens. Und so denn folget mir ganz beherzt und unbedenklich zur Tafel!
8. Kapitel – Die große Bedeutung dieses Mahles, besonders für die Erde. Austritt aus der Sphäre des Markus.
[GS.02_008,01] Da wir uns nun bei der Tafel befinden, so wollen wir auch an dem hohen Schatze der Tafel teilnehmen. Höret aber, was der Herr vor dem Mahle spricht, indem Er sagt: Meine geliebten Kindlein! Als Ich einst auf Erden nach Meiner Auferstehung zu euch kam, da fragte ich euch, indem ihr etwas hungrig waret und eben nicht viel zu essen hattet: „Kindlein, habt ihr nichts zu essen?“ – Da zeigtet ihr Mir etwas Brot und etliche Fische. Ich segnete euch die Fische und das Brot und setzte Mich dann mit euch zu Tische und aß mit euch. Nun frage Ich euch nicht mehr, ob ihr zu essen oder nicht zu essen habt, sondern aus Meinem unendlichen Schatze und Vorrate habt ihr in endloser Fülle ewig genug. Aber soll darum dieses von Mir auf Erden ausgesprochene Wort für hier keine Geltung haben?
[GS.02_008,02] Ich sage euch: Diese Frage soll hier noch mehr eine vollkommene Geltung haben denn auf der Erde, und Ich kann aus diesem Meinem Reiche allezeit diese höchst gewichtige Frage tun: Kindlein, habt ihr nichts zu essen? Ihr werdet Mir darauf antworten:
[GS.02_008,03] O liebevollster Vater! Wir haben hier in Deinem großen Hause nur zu unendlich viel zu essen. Ich aber sage euch:
[GS.02_008,04] Diese Frage soll von Mir aus nicht an euch gestellt sein, als beträfe sie euch, sondern diese Frage soll also gestellt sein, daß sie von Mir aus durch euch hinab zu Meinen Kindern auf die Erde dringen solle und durch diese übergehen in die ganze Unendlichkeit. Die Kinder auf der Erde sind nun in dem Zustande, in welchem ihr waret alsbald nach Meiner Auferstehung. Sie sind voll trauriger Gedanken- und wissen noch nicht, was mit dem Herrn geschehen ist. Sie haben ebenfalls nur eine dürftige Nahrung, die da gleicht den Fischen und dem Brote, das ihr hattet.
[GS.02_008,05] „Die Fische“ sind das Alte, und „das Brot“ das Neue Testament. Wie aber diese Speise ist bei den Kindern auf der Erde zum Teil versalzen, zum Teil verschimmelt, zum Teil ausgetrocknet, so ist es hier unter uns um so mehr an der Zeit, uns nun öfter mit dieser Frage an diese Kindlein zu wenden und sie zu fragen: Kindlein! habt ihr nichts zu essen?
[GS.02_008,06] Sie werden uns ihren Vorrat vorweisen, und wir wollen ihnen diese Speise segnen zum guten, lebendigen Gedeihen, wie Ich euch eure Fischlein und euer Brot gesegnet habe. Wir wollen uns dann mit ihnen zum Tische ihres Glaubens und ihrer Liebe setzen und mit ihnen essen, d.h. wir wollen sie im Geiste und in der Wahrheit aus ihrem schwachen Vorrate die wahren Wege zum ewigen Leben kennen lehren!
[GS.02_008,07] Sehet, hier ist die Mahlzeit, die Tafel gedeckt mit dem wohlbereiteten Lamme, Brote und Weine. „Das Lamm“, eine Speise gleich Meinem Herzen, „das Brot“, eine Speise gleich Meiner Liebe und Erbarmung, „der Wein“ ein Trank aus Meiner unendlichen Weisheit Fülle.
[GS.02_008,08] Ihr genießet es mit Mir, und Ich habe nicht nötig, euch zu fragen: Kindlein, habt ihr etwas zu essen? Aber so ihr es genießet mit Mir, da gedenket der armen Kindlein auf der Erde und fraget sie aus Meiner höchsten Liebe in euch: Kindlein, Brüder und Schwestern, habt ihr etwas zu essen? Und die Kindlein werden euch erwidern: O Brüder! Sehet uns an in unserer großen Armut; ein wenig hartes Brot und etliche stark versalzene Fischlein ist all unsere Habe! Machet sie uns nur einigermaßen genießbar.
[GS.02_008,09] Wenn ihr solches vernehmen werdet, da kehret euch hin zu ihnen und bringet ihnen die lebendigen Überreste von dieser Tafel, d.h. gebet ihnen eine lebendige Erleuchtung; helfet ihnen reinigen ihr Gemach, damit Ich auch bei ihnen einziehen kann und sie dann Selbst frage: Kindlein! Habt ihr nichts zu essen?
[GS.02_008,10] Und wenn sie dann sagen werden: O Herr, Du liebevollster Vater! Siehe, ein wenig Brot und einige Fischlein haben wir, so werde Ich dann zu ihnen sagen: Bringet alles her, was ihr habt, und Ich will es euch segnen mit Meiner Liebe, Gnade und Erbarmung und will euch geben nun ein lebendiges, inneres, geistiges Brot! So ihr dieses Brot essen werdet und trinken von Meinem Weine, so werden dadurch euer hart gewordenes Brot und eure versalzenen Fische erweicht und gereinigt und euch also zu einer lebendigen Speise werden, an welcher ihr euch hinreichend sättigen werdet zum ewigen Leben.
[GS.02_008,11] Also, Meine lieben Kinder, Brüder und Freunde, ist diese einst von Mir an euch gestellte Frage auch hier von der größten Wichtigkeit und von der allertiefsten Bedeutung!
[GS.02_008,12] Esset also nun mit Mir und trinket und seid dabei in aller Liebe eingedenk derjenigen, die noch in der Tiefe ihres Fleisches wohnen, und nicht erschauen können Mein Reich, Meine Gnade, Meine Liebe und Erbarmung! –
[GS.02_008,13] Sehet, nun zerteilt der Herr das Lamm, wie auch das Brot und teilt es an alle aus. Nun ist es ausgeteilt; wir haben unsere Portionen vor uns, danken wir dafür dem heiligen Geber so guter Gaben und genießen dann in Freude und großer Liebewonne unseres Herzens dies heilige Mahl des ewigen Lebens!
[GS.02_008,14] Sehet, alle greifen nun nach dem dargereichten Mahle und verzehren dasselbe mit großer, freudiger Rührung im Hinblick auf den allerliebevollsten heiligen Geber. Also greifen auch wir darnach und tun, was die andern tun.
[GS.02_008,15] Wir zehren nun an dem heiligen Mahle des Lebens. Wie herrlich, wie wohlschmeckend, wie stärkend und belebend ist es! Mit jedem Schlucke empfinden wir, als würden unsere Blicke in die unendlichen Tiefen der göttlichen Gnade erweitert, und desto heller fängt die Flamme der ewigen Liebe in unsern Herzen zu lodern an. Mit dem Genusse des Fleisches enthüllen sich wunderbare neue große Gedanken Gottes in uns. Mit dem Genusse des Brotes werden diese großen Gedanken zu einer endlos großen neuen Wirklichkeit, und mit dem Genusse des Weines strömt in die neuen Schöpfungen ein neues wunderbarst herrliches Leben über. Wir sehen in dem Gesamtgenusse eine Vollendung, vor deren Größe, Erhabenheit, Herrlichkeit und Heiligkeit aus dem Herrn selbst unsere allergrößten himmlischen Gedanken und Gefühle wonnigst angenehm erschauern und vor dem Herrn wie in ein Nichts herabsinken!
[GS.02_008,16] Was saget ihr, meine lieben Freunde und Brüder, zu dieser Mahlzeit? Ihr seid, wie ich merke, stumm vor der zu großen Enthüllung, welche euch samt mir ward in diesem Mahle.
[GS.02_008,17] Ich aber sage euch: Bei solchen Gelegenheiten geht es niemandem aus uns auch nur um ein Haar besser. Denn niemals ist der Herr größer und unerforschlich wunderbarer als eben in solchen Momenten, da Er sich am allermeisten herabläßt zu Seinen Kindern!
[GS.02_008,18] Er liebt zwar fortwährend alle Seine Kinder gleich mächtig, aber nicht immer läßt Er sie die große Macht Seiner Liebe in aller Fülle empfinden. In solchen Momenten aber läßt Er solches zu. Daher sind dann aber auch Seine Kinder von einer solchen Seligkeitsfülle durchdrungen, daß sie von der größten Liebe zum Herrn ergriffen werden, aber zugleich auch die größte Demut in ihren Herzen zu Ihm empfinden.
[GS.02_008,19] Nun aber ist, wie ihr sehet, die Tafel auch schon zu Ende, und der Herr wendet sich an den Prior und spricht zu ihm: Nun, Mein geliebter Sohn, wie hat dir Meine Mahlzeit geschmeckt?
[GS.02_008,20] Der Prior spricht ganz zerknirscht: O Herr, Du allerbester, allerliebevollster, allerheiligster Vater! Diese Deine Mahlzeit hat mir nicht nur unendlich wohl geschmeckt, sondern ich bin dadurch mit einem neuen Leben erfüllt worden. Nun ist mir alles klar. Ich sehe nun meine Bestimmung, und Deine unendlich wunderbaren Wege, auf welchen Du Deine Kinder zum Leben führest, sind enthüllt vor mir.
[GS.02_008,21] Ich weiß nun, was ich zu tun habe, und meine größte Wonne sehe ich wie einen klar vorgezeichneten Weg vor mir, wie ich zu gehen und zu wirken habe. Endlos groß ist zwar der Wirkungskreis, den Du mir allergnädigst als einem unwürdigsten Diener zugeteilt hast. Aber ich sehe ja auch, wie Du nur allein alles in allem bist, und wie leicht mit Dir die größten Dinge zu vollenden sind!
[GS.02_008,22] Daher bin ich denn nun auch überseligst froh darüber, daß Du mir einen solchen Wirkungskreis erteilt hast, und freue mich endlos darauf, wann es Dir wohlgefallen wird, mich den ersten Dienst tun zu lassen in Deinem Reiche!
[GS.02_008,23] Nur eines, o Herr und allerheiligster, liebevollster Vater, ist mir noch ein wenig unklar, nämlich hinsichtlich der Bewohnung dieses Hauses und hinsichtlich derjenigen Dienerschaft, die Du mir schon außer der Stadt in Deinem Reiche gezeigt hast. Soll wohl ich auch in diesem Deinem Hause wohnen oder wird mir irgendeine andere Wohnung beschieden und werden dann diejenigen seligen dienenden Geister auch in dem Hause wohnen, wo ich wohnen werde in dieser Stadt?
[GS.02_008,24] Der Herr spricht: Mein geliebter Sohn, siehe, diese ganze Stadt ist im Grunde des Grundes Mein großes Wohnhaus; dessen ungeachtet aber ist dennoch eben dieser Teil, in dem wir uns hier befinden, gewisserart Meine Hauptresidenz, und Ich bin hier der vollkommenste Hausherr.
[GS.02_008,25] Viele Geister wohnen in abgesonderten Häusern dieser Stadt, und diese Häuser sind ihnen ein vollkommenes ewiges Eigentum. Gar viele Häuser dieser, Ich sage dir, endlos großen Stadt sind schon bewohnt. Aber noch gar endlos viele stehen leer, darum Ich dir denn auch gar leicht ein eigentümlich Haus geben könnte. Allein Ich will solches nicht, sondern Ich will dich behalten samt deinem Weibe und deinem Bruder in dieser Meiner Hauptresidenz. Alle, die da an der Tafel gespeist haben, sind Bewohner dieser Meiner Residenz und sind darum aus Mir die Hauptgrundfesten Meines Himmels und die Hauptlenker Meiner Schöpfungen. Sonach denn verbleibe auch du hier für ewig bei Mir! Was die Dienerschaft betrifft, so wohnt sie nicht in der Stadt, sondern ihre Wohnungen sind in den endlos weiten Umkreisen dieser Stadt; aber du hast sie alle in dir. Den du willst, den rufe in dir, und er wird da sein.
[GS.02_008,26] Wenn Ich dich absenden werde auf eine oder die andere Welt, da rufe zu dir die Geister eben dieser Welt, und du wirst in der Sphäre dieser Geister ihre Welt und das Bedürfnis dieser Welt erschauen. Hast du solches erschaut, dann rufe in deinem Herzen die Macht Meiner Liebe hervor, und wirke aus dieser dem Bedürfnisse einer oder der andern Welt wohl entsprechend.
[GS.02_008,27] Ich könnte dir auch alle die Sphären mit einem Blicke erschaulich machen, aber du würdest dadurch eines mächtigen Grades der Seligkeit beraubt werden. Daher sollst du – deiner eigenen, größtmöglichsten Seligkeit wegen – eine Welt erst dann erschauen in all ihrer von Mir ausgehenden Wunderfülle und Tiefe, wenn du auf einer oder der anderen Welt wirst aus Meiner Liebe heraus zu tun haben. Siehe, hier aber gleich anstoßend an diesen Saal ist eine große Wohnung; in dieser wirst du deine bleibende Stätte antreffen und wirst nachbarlich wohnen mit allen diesen Meinen Kindern, Brüdern und Freunden. Du möchtest zwar wohl auch wissen, wo denn so ganz eigentlich in diesem Hause Meine Wohngemächer sind?
[GS.02_008,28] Ich sage dir: Ich habe in diesem Hause keine eigentümlichen Wohngemächer, die Ich als ein unmittelbarer Herr bewohnen möchte, sondern Ich wohne stets unter euch, bald bei dem einen, bald bei dem andern. Und dieser Saal ist unser Ratssaal; von da aus geht es allzeit ans Geschäft. So werden auch soeben jetzt mehrere – zufolge Meiner ersten Tafelanrede – zur Erde hinabgehen und dort an die Kinder Meine Frage tun. Du aber sollst erst nach einer nächsten Mahlzeit ein gar wichtiges Geschäft überkommen.
[GS.02_008,29] Wenn du dich aber unterdessen manchmal mit Meinen Kindern aus dem Alten Testamente besprechen willst, so laß dich nur hinabgeleiten zu ebener Erde; da wirst du sie alle antreffen. Und somit segne ich dich wie alle die hier Anwesenden und durch sie die ganze Unendlichkeit und hebe somit die Tafel auf! –
[GS.02_008,30] Sehet, nun erhebt sich alles von der Tafel, und alles dankt und lobt den Herrn. Und der Herr geht hin und umarmt einen jeden und segnet ihn noch sonderheitlich! Alles geht nun auch seiner neuen Bestimmung zu, und der Herr führt unseren Prior, sein Weib und den armen Bruder in die bestimmte Wohnung und spricht zum armen Bruder: Siehe, du hast noch kein Weib, es ist aber eines schon auf dem Erdkörper für dich bestimmt. Wenn dieses hier ankommen wird, da sollst du mit demselben in die Ehe treten. Unterdessen aber sei ein treuer Bruder aller deiner Brüder, wie du dann ein lieber Bruder aller deiner Brüder bist.
[GS.02_008,31] Nun ist die große Installation geschehen. Ihr habt gar Wunderbares bei dieser Führung mit angesehen. Bis hierher mußte ich euch führen; nun aber wird euch ein anderer führen. Daher möget ihr nun wieder aus meiner Sphäre treten. – Ihr seid hinausgetreten und sehet, da harret der Herr eurer am euch schon gar wohlbesetzten Platze!
9. Kapitel – Verschiedenheit der Sphäre jedes seligen Geistes. Grund – gegenseitige Unentbehrlichkeit.
[GS.02_009,01] Nun frage Ich, euer Hauptführer, euch wieder: Wie hat es euch behagt in der Sphäre dieses Meines Bruders? Ich sehe in euch die Antwort mit gar vielen Buchstaben geschrieben, und diese Antwort lautet: O Herr, Du allerliebevollster, heiligster Vater! In der Sphäre dieses Geistes haben wir ja doch Dinge geschaut, die von so außerordentlicher und wichtiger Art waren, daß wir uns darüber gar nicht auszusprechen vermögen. Haben wir auch nicht alles gesehen, wie Deine Wege überall beschaffen sind, so haben wir aber dennoch einen so triftigen allgemeinen Überblick bekommen, wie Deine unendliche Liebe und Weisheit die verirrten Schafe sucht und findet, daß wir demnach füglich behaupten möchten, wir sind in der Sphäre dieses Geistes auf den Hauptpunkt einer allgemeinen Übersicht geführt worden, von welchem aus wir alle die Geisterwelt von der unvollkommensten bis zur allervollkommensten Sphäre haben kennengelernt, wofür wir Dir ewig nie genug werden danken können. Ja, es kommt uns nun also vor, als könnte man das Wesen des geistigen Reiches unmöglich mehr triftiger durchgehen in der Kürze der Zeit, bezüglich des umfassenden Anblickes und der Erfahrung, als wir in der Sphäre, dieses Brudergeistes aus Dir es geschaut haben. –
[GS.02_009,02] Ja, Meine lieben Kinder, solches ist sicher, richtig und wahr; ihr habt die Verhältnisse im vollen Lichte der Wahrheit geschaut. Aber dessen ungeachtet mache ich euch auf Mein schon vor eurem Eintritte in die geistigen Sphären bekanntgemachtes Diorama aufmerksam, und demzufolge sage Ich euch, daß sich die Dinge in der Geisterwelt in der Sphäre eines jeden einzelnen seligen Geistes wieder ganz anders gestalten, und sind dann in dieser anderen Gestaltung wieder ebenso gut und wahr wie in der Sphäre eines früheren Geistes. – Solches muß auch im allervollkommensten Reiche der Engel stattfinden; sonst wäre ja ein Geist dem andern entbehrlich, und keiner würde dem andern können eine neue übergroße Seligkeit bereiten. Da aber ein jeder Geist dann etwas Besonderes hat und Ich es einem jeden zulasse, daß sich das Seinige gestalte nach seiner Art, so hat dann auch die selige Freude eines Engels an der Seligkeit eines anderen ewig nimmer ein Ende! Damit ihr aber solches so recht tüchtig einsehen und begreifen möget, so will Ich euch solches noch zuvor durch einige anschauliche Beispiele erhellen, bevor ihr euch wieder in die Sphäre eines zehnten Geistes begebet.
[GS.02_009,03] Nehmet an, es wären in einem großen Saale hundert wirklich tief gelehrte Männer. Diesen Männern würde ein sehr denkwürdiger Stoff, z.B. über die Strahlenberechnung des Lichtes, zur Bearbeitung gegeben. Unter diesen hundert Gelehrten aber sind nicht alle Gelehrte vom gleichen Fache, sondern der eine ist ein berühmter Rechenmeister, der andere ein Philosoph, ein Naturforscher, ein Astronom, ein Botaniker, ein Zoolog, ein Mineralog, und wieder andere ein Geognost, ein tüchtiger Optiker, ein Geograph. Andere wieder wären ein Geschichtsforscher, ein Archäolog, ein Dichter, ein Philolog, ein Psycholog, ein Anthropolog, ein Arzt, ein anderer wieder ein Physiolog, der ein Mystiker, der andere ein Theosoph und so fort durch alle Stufen menschlicher Gelehrtheit. Alle diese hundert Gelehrten haben sicher die schriftstellerische Eigenschaft, ihre Gedanken über das aufgegebene Thema wohlabgesondertermaßen zu Papier zu bringen.
[GS.02_009,04] Wenn aber nun alle diese hundert Gelehrten mit der Arbeit fertig sein werden, da nehmet dann eines jeden Arbeit zur Hand und leset seine aufgezeichneten Gedanken oder das bearbeitete Thema, und ihr könnet vollends versichert sein, es werden nicht zwei darunter sich vorfinden, die dieses Thema auf eine und dieselbe Art bearbeitet hätten. Ganz anders wird sich der Mathematiker, ganz anders der Dichter, ganz anders der Mystiker und ganz anders, wie gesagt, ein jeder gegen den andern ausdrücken, und wenn ihr recht aufmerksam die Ausarbeitungen durchgehet, so wird sich in eines jeden Ausarbeitung sein Steckenpferd gar leicht erkennen lassen.
[GS.02_009,05] Wenn ihr aber dann gefragt würdet um das Urteil, welcher aus all diesen hundert Gelehrten das Thema der Wahrheit am angemessensten bearbeitet habe, so werdet ihr nichts anderes sagen können als: Wir finden, daß da ein jeder für sich den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Da ist keinem in seiner Art etwas einzuwenden, es hat ein jeder recht. In der Hauptsache stimmen sie alle überein, nur die Art der Darstellung ist nach der Liebe des Darstellers verschieden.
[GS.02_009,06] Gut, sage Ich euch. Sehet, wie die Gedanken über einen und denselben Gegenstand von vielen Menschen verschieden sind, also sind auch die Sphären der Engelsgeister verschieden; aber im Grunde des Grundes gehen sie doch alle auf eine und dieselbe Wahrheit hinaus. Um die Sache aber noch anschaulicher zu machen, nehmen wir ein anderes Beispiel:
[GS.02_009,07] Es wäre über einen Psalm Davids eine gute Musik zu setzen. Ein König eines Landes setzt einen großen Preis auf die bestmusikalische Bearbeitung dieser Aufgabe, und sobald machen sich an allen Orten die tüchtigsten Musiker an die Arbeit. Nach abgelaufener Frist werden die Kompositionen eingesandt; es sind vierzig Exemplare da. Der König als ein großer Liebhaber solcher klassischen Musik läßt nacheinander von Tag zu Tag eine Komposition um die andere aufführen. Gehet aber hin in diese Aufführungen und höret sie an. Und wenn ihr sie alle werdet angehört haben, wie wird da euer Urteil lauten, nachdem sie von lauter allertüchtigsten Komponisten bearbeitet sind?
[GS.02_009,08] Ihr werdet sicher sagen: Fürwahr, da ist in seiner Art eine Arbeit so tüchtig und wunderschön wie die andere; aus einer jeden läßt sich der große Meister erkennen. Aber wie verschieden die Auffassung, wie verschieden die angebrachte musikalische Rhythmik, wie verschieden die Grundtonarten, wie verschieden die Instrumentierung und die Verteilung des Gesanges, wie verschieden die Melodien, wie verschieden die Begleitungen derselben! In einer jeden ganz andere Bindungen und ganz andere Lösungen!
[GS.02_009,09] Gut, sage Ich euch; saget Mir aber nun auch, welche Komposition – bei der natürlich bestmöglichsten Aufführung – euch am meisten wohlgefiel. – Da werdet ihr im Grunde des Grundes nichts anderes sagen können als: Eine jede dieser Kompositionen hat uns in ihrer Art überaus wohl gefallen; dennoch aber waren einige darunter, die uns gewisserart mehr befreundend vorkamen denn manche andere.
[GS.02_009,10] Wieder gut, sage Ich euch; was das „mehr befreundend“ betrifft, das liegt in der Annäherung der Sphäre des Komponisten an die eure. An und für sich aber ist jede Komposition voll Leben, Geist und Wahrheit.
[GS.02_009,11] Die welche wird aber dann den Vorrangpreis bekommen? Ich sage euch: Wenn der geistreiche König Mir gleich gerecht sein will, so wird er seinen Beutel über die bestimmte Prämie hinaus öffnen müssen und einem jeden die ausgesprochene Prämie zukommen lassen.
[GS.02_009,12] Aus dem aber könnet ihr nun schon sehr bedeutend klar entnehmen, daß die Sphären der Engelsgeister sich ebenso, nur natürlich in hellst beschaulicher Erscheinlichkeit, gestalten müssen, wie uns dieses zweite Beispiel gar klar gezeigt hat. Überall ist Wahrheit; aber weil nach dem verschiedenen Grade der Liebe auch das formende Licht verschieden ist, so sind auch die Formen anders, aber dennoch immer also gestellt, daß sie einer und derselben Grundwahrheit völlig entsprechen.
[GS.02_009,13] Damit ihr aber nicht denket, als ließe sich dergleichen nur in diesen zwei gegebenen Beispielen erschauen, so will Ich euch zufolge Meiner sehr erfinderischen Eigenschaft noch einige andere auftischen. Nehmen wir an: Von zehn großen Malern sollte eine Morgenlandschaft geliefert werden. Die Landschaftsbilder sind fertig und geliefert. Gehet hin und betrachtet sie, es ist eine schöner und wahrer als die andere. Eine jede drückt auffallend eine Morgengegend aus; aber keine sieht der andern auch nur in einem Punkte gleich.
[GS.02_009,14] Sehet, das kommt daher, weil ein jeder Geist seine eigene von Mir aus wunderbarst gestellte Sphäre hat, durch welche er sich selbst und allen seinen Brüdern die größte Wonne und Seligkeit bereiten kann. Dazu ist noch eines jeden Geistes Sphäre unendlich, und in ihrer Art ewig unerschöpflich an den allermannigfaltigsten Wundergestaltungen. Aber so endlos wunderbarst mannigfaltig die Gestaltungen in der Sphäre eines Engelsgeistes auch sind und ihr bei der Betrachtung der einen offenbar sagen müsset: Über diese unendlich wundervolle Mannigfaltigkeit läßt sich kein weiterer Gedanke mehr fassen! da sage Ich euch: geht nur geschwinde in die Sphäre eines andern über und euer Urteil wird gleich anders lauten und ihr werdet da sagen: Ja, was ist denn das? Da sind ja schon wieder ganz unerhört andere Formen! Und Ich sage euch dazu: Also ist es der Fall mit dem geistigen Diorama. Das äußere Fensterchen ist gleich; aber nur hineingeguckt und überall eine andere Welt!
[GS.02_009,15] Ich habe aber noch ein Beispiel vorrätig: Wenn ihr in der Schrift alle die Propheten, dann die Evangelisten wie auch die Briefe des Paulus, die noch anderer Apostel und Jünger und am Ende noch die Offenbarung Johannis durchgehet, da werdet ihr doch offenbar sagen müssen: Da schreibt doch ein jeder eine andere Sprache, bedient sich anderer Bilder und bearbeitet einen ganz anderen Stoff; selbst die vier Evangelisten stimmen sogar bei den geschichtlichen Tatsachen nicht miteinander überein. Der Paulus predigt in seinen Briefen weder ein noch das andere Evangelium; und die Offenbarung Johannis ist an und für sich schon in so wunderliche Bilder eingehüllt, daß man daraus nie völlig klug werden kann.
[GS.02_009,16] Nun frage Ich aber, weil in gewisser Hinsicht ein jeder anders geschrieben hat: Welcher hat denn dann recht geschrieben? Die Antwort kann darauf wohl unmöglich eine andere sein als diese: Ein jeder schreibt eine und dieselbe Wahrheit, ein jeder predigt Mich, ein jeder gebietet die Liebe, die Demut, Sanftmut und Geduld. Von Tatsachen sind von jedem ganz dieselben erzählt; wer sie im gerechten geistigen Lichte auffaßt, der wird darin die wunderbarste Übereinstimmung finden. Wenn ihr die verschiedenen Verse zusammenstellet aus allen Propheten und Evangelisten, so werden sie sein, im wahren Lichte betrachtet, wie Früchte eines und desselben Baumes.
[GS.02_009,17] Nun sehet, eben also auch wieder verhält es sich mit den Sphären der vollkommenen Geister. Ich könnte euch noch eine Menge Beispiele geben; aber vorderhand genügen diese.
[GS.02_009,18] Da an Meiner Seite aber steht schon derjenige Geist, in dessen Sphäre ihr alles dieses tatsächlich erschauen und am Ende sagen werdet: Fürwahr, ganz anders waren die Dinge in dieses Geistes Sphäre gestaltet; aber im Grunde des Grundes laufen sie dennoch auf eines hinaus und zeigen, daß der Herr alles in allem, also überall die ewige und unendliche Liebe und Weisheit Selbst ist.
[GS.02_009,19] Da ihr denn nun solches im voraus wisset, so begebet ihr euch in die Sphäre dieses zehnten Geistes, und habet da auf alles abermals sehr wohl acht. Amen. –
10. Kapitel – Unterschied zwischen Glaubenslicht und Liebelicht. – Der Geist des Menschen.
[GS.02_010,01] Ihr befindet euch schon in seiner Sphäre, und somit will Ich euch auch alsogleich kund tun, daß ihr euch in der Sphäre Meines lieben Johannes befindet. Haltet euch an ihn, er wird euch gar viel Wunderbares und Erhabenes in seiner Art zeigen. – Der Johannes winkt euch, ihm zu folgen; also folget ihm denn auch!
[GS.02_010,02] Johannes spricht: Meine geliebten Brüder in unserem Herrn Jesu Christo, ihr habt mich zwar schon aus der Sphäre eines anderen lieben, seligen Brudergeistes gesehen; aber damals war es noch nicht an der Zeit, euch in meine Sphäre aufzunehmen. – Da ihr aber nun durch meinen lieben Bruder Markus seid in so vielen wichtigen Dingen unterrichtet worden, so ist es nun an der Zeit, daß ihr nach dem Willen unseres Herrn Jesu Christi auch in meiner Sphäre Erfahrungen machet, welche in ihrer Art euch ganz besonders in die geheime Liebe des Herrn mehr und mehr einweihen sollen.
[GS.02_010,03] In all den früheren Sphären habt ihr Erscheinungen geschaut, und aus diesen Erscheinungen mußtet ihr die Wahrheit erst finden. Sehet, das ist die erstere Art, wo der Mensch aus seinem Glaubenslichte zuerst die Formen erschaut, sie aber nirgends bis auf den Grund erschaut und sie erst dann versteht, wenn sie ihm im obersten Lichte der höchsten Liebe enthüllt werden.
[GS.02_010,04] Aus diesem Grunde habt ihr auch in der Sphäre meiner neun vorhergehenden Brüder alle die Erscheinungen anfangs so angeschaut wie ein Blinder die Farben. Ihr sahet mannigfache Formen und Handlungen, habt aber beim ersten Anblicke nichts von allem verstanden, da ihr geschaut habt aus eurem Glaubenslichte. Aber ein zweites, viel tieferes Schauen ist dasjenige, welches aus der Liebe geschieht. Allda sieht man nicht sogleich, was schon da ist, sondern man sieht nur das, was man in seiner Liebe erfaßt, und sieht dann das Erfaßte vom Grunde aus.
[GS.02_010,05] Aus dem Glaubenslichte ist man ein suchender Betrachter des schon Daseienden; aus dem inwendigen Liebelichte, welches da ist das eigentliche lebendige Licht des Herrn im Menschen, wird man aber selbst ein Schöpfer und beschaut dann dasjenige vom Grunde aus, was man geschaffen hat.
[GS.02_010,06] Ihr denket euch wohl, als wäre demnach der frühere Zustand ein günstigerer denn dieser zweite, inwendigste, tiefste. Ich aber sage euch: Solches ist irrig; denn je beständigere Außenformen ein geschaffenes Wesen beschaut, desto unvollkommener ist es in seiner Art.
[GS.02_010,07] Der Mensch in seinem naturmäßigen Leben auf dem Erdkörper ist zuallererst in einem solchen Schauen. Er vergnügt sich zwar an der Begaffung konstanter Formen; aber wie verhält er sich zu ihnen in seinem Geiste? Ich sage euch, wie ein allerverarmtester Bettler vor der Flur des Hauses eines hartherzigen Reichen. Er sieht auch die wunderbare reiche Pracht des großen Hauses des Reichen, aber wenn er in dasselbe eintreten will, so wird er von hundert dienstbaren Wesen dieses Hauses allerhärtest abgewiesen. Was hat der Arme nun beim Anblicke dieses Prachthauses gewonnen? Nichts als ein beklommenes, schmerzendes Herz, welches zu ihm spricht: Für derlei Paläste zu betreten hast du keinen Fuß! –
[GS.02_010,08] Sehet, gerade so verhält es sich mit dem Beschauen konstanter Außenformen. Welche Lust ist es wohl, sich vor einen Baum hinzustellen und zu beschauen seine Formen? Wenn man aber an den Baum klopft und möchte eingelassen werden, um zu schauen sein lebendiges, wunderbares Walten, so wird man allezeit hart abgewiesen und es heißt: Nur bis zu meiner Oberfläche, bis zu meiner Außenform, von da aber um kein Haar mehr weiter! Ihr könnet zwar einen Stein in eure Hand nehmen und ihn werfen, wohin ihr wollt; ihr könnet ihn auch zerstoßen und zermalmen, auflösen und gänzlich verflüchtigen, und dennoch ist der Stein euer Herr und läßt euch nicht schauen in seine Geheimnisse.
[GS.02_010,09] Also steht es mit allen Außenformen, welche sich einem Auge zur Beschauung darstellen. Sie sind fortwährend Herren und Meister des Beschauers, und dieser kann tun, was er will, so kann er nirgends den Einlaß bis auf den Grund bekommen. Daher müssen überall langgedehnte Erklärungen und Erläuterungen hinzugefügt werden, wenn der Beschauer nur irgendein kleines Licht über die geschauten (gefesteten) Dinge bekommen will.
[GS.02_010,10] In der Art sind denn auch die Formen in der Geisterwelt, wenn sie sich schon als daseiend in einer gewissen Bestimmtheit dem Auge des Beschauers darstellen. Der Beschauer sieht sie wohl, aber er versteht sie nicht. Also habt auch ihr gar viele Formen in der Sphäre meines lieben Bruders geschaut; saget mir aber, ob ihr auch nur eine eher verstanden habt, als bis der Führer euch dieselbe erleuchtet hat?
[GS.02_010,11] Hat sie aber der Führer auch also beschaut, wie ihr? Sehet, das ist eine andere Frage. Ich sage euch: Wenn er sie also beschaut hätte, so hätte er euch wohl schwerlich über das eine oder das andere ein gerechtes Licht verschaffen können. Allein er hat sie aus sich beschaut, d.h. er hat sie aus dem Lichte des Herrn in ihm selbst geschaffen, und ihr sahet somit seine Schöpfungen! Sie waren die vollkommenste Wahrheit in allen ihren Teilen; aber ihr verstandet sie nicht ohne seine Erläuterung.
[GS.02_010,12] Nun aber in meiner Sphäre werdet ihr eine ganz umgekehrte Erfahrung machen, welche ihr sogleich von diesem unserem ganz unförmlichen dunstähnlichen Standpunkte aus ersehen könnet. Sehet ihr irgendeine Form, eine Welt, einen Himmel, irgendein Licht außer dem grauen Dunste, welcher uns von allen Seiten umgibt?
[GS.02_010,13] Ihr saget: Liebster Freund und Bruder in der Liebe des Herrn! Außer uns, dir und dem grauen Dunste sehen wir nach allen Richtungen hin nichts. – Gut, sage ich euch, meine geliebten Brüder, ihr brauchet auch durchaus nicht mehr zu sehen; denn gerade dieser Standpunkt ist notwendig, damit ihr in das eigentliche wahre Grundschauen des Geistes könnet eingeweiht werden.
[GS.02_010,14] Ihr wisset, daß der Geist des Menschen ein vollkommenes lebendiges Abbild des Herrn ist und hat in sich den Funken oder Brennpunkt des göttlichen Wesens. So er aber solches unleugbar in sich faßt, so faßt er ja auch das Alles des Herrn in sich. Er trägt somit das Unendliche vom Kleinsten bis zum Größten vollkommen göttlicherweise in sich, oder er hat des Herrn Alles durch seine mächtige Liebe zu Ihm wie auf einen Punkt in sich vereint.
[GS.02_010,15] Nun, wenn also, wozu demnach die Anschauung fremder außengestellter Formen? Heraus mit dem, was jeder von euch mir gleich in sich trägt, und wir werden dann gar bald Dinge wie aus uns geschaffen erschauen.
[GS.02_010,16] Ihr fraget: Wie wird wohl solches möglich sein? Ich aber sage euch: Habt ihr noch nie eure Gedanken näher geprüft und eure Wünsche neben den Gedanken?
[GS.02_010,17] Woher kommen denn die Gedanken? Die Antwort liegt einfach wie endlosfach im Brennpunkte Gottes in euch. Sehet, in diesem mächtigen Brennpunkte ist die Fabrik eurer Gedanken und Wünsche erstellt; von diesem Brennpunkte aus denket ihr ursprünglich, und die Zahl eurer Gedanken ist unendlich, weil in dem göttlichen Brennpunkte in euch ebenfalls Göttliches in all seiner Unendlichkeit vorhanden ist.
[GS.02_010,18] Ihr möchtet sagen: Wenn also, woher kämen denn hernach arge Gedanken? Ich aber sage euch, daß in diesem Brennpunkte durchaus keine argen Gedanken zugrunde liegen wie auch keine argen Wünsche. Alle Gedanken sind da frei und makellos, nur die Wünsche sind unter die Botmäßigkeit des freien Willens eines jeden Menschen gestellt. Denket ihr aus euch heraus, so werden eure Gedanken alle aus der Liebe entspringen, und ihr werdet in euch bald das selige Bedürfnis der fortwährenden Mitteilung gewahren, zufolge dessen ihr alles mit euren Brüdern allerreichlichst teilen möchtet. Dadurch werdet ihr dann aber auch Schöpfer von lauter guten Werken, die euch folgen werden.
[GS.02_010,19] Aber da ein jeder Mensch auch den freien Willen hat und dazu das Vermögen, aus sich heraus auch äußere, also fremde Formen zu beschauen, so kann er mit seinem Willen und mit seiner seinem Willen untertänigen Liebe diese fremden Formen ergreifen und sie sich zu eigen machen. Sehet, diese fremden Formen werden dann als geraubte auch zu begierlichen Gedanken im Menschen und diese, weil sie nun aus der Eigenliebe entspringen, welche ist eine Raub- und Herrschliebe, weil sie sich aller fremden Formen für sich bemächtigen will und herrschen über alles, dessen sie sich bemächtigt hat, das sind dann die eigentlichen bösen Gedanken. – Ihr saget ja selbst: Fremdes Gut tut kein gut! Das ist denn doch in der Hauptlebensfrage sicher die allergewichtigste Bedingung, und ein jeder, der nicht auf seinem Grunde baut, der baut auf Sand. – Wie man aber auf eigenem Grunde baut, das soll euch meine Sphäre lehren. –
11. Kapitel – Das ganze Universum und der Himmel ist in euch!
[GS.02_011,01] Johannes: Vermöget ihr hier etwas zu denken? Ihr bejahet solches. So denket euch denn einen Gegenstand, was immer euch beliebt; suchet nicht lange, sondern nehmet das nächste beste. Wenn ihr aber den Gedanken habt, da haltet ihn fest und lasset ihn nicht weiter.
[GS.02_011,02] Ihr habt einen Gedanken gefaßt; was ist sein Bild? Ihr saget: Es ist ein einziger Stern, den wir uns jetzt denken. Gut, sage ich euch; stellet euch den Stern so recht lebendig vor, lasset ihn nicht aus und saget mir dann, wie euch der Stern vorkommt.
[GS.02_011,03] Ihr sprechet: Je fester wir ihn fassen, desto größer und leuchtender kommt er uns vor. Wieder gut, sage ich euch; fasset ihn noch tüchtiger und fixieret ihn mit den Blicken eurer inneren Sehe noch fester. Was sehet ihr jetzt?
[GS.02_011,04] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, es kommt uns vor, als finge der Stern an auseinanderzugehen gleich einer Blütenknospe im Frühjahre, sein Licht wird noch stärker und mächtiger, und es kommt uns vor, als gewönne der Stern an seinem Flächenraume und ist schon meßbar.
[GS.02_011,05] Abermals gut, sage ich euch; vertiefet euch aber nur noch inniger, machet eure Blicke groß und fest und wollet fest in euch den Stern näher entwickelt haben; dann saget mir, wie euch nach dieser Betrachtung der Stern vorkommt.
[GS.02_011,06] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, der Stern hat bereits Mondesgröße bekommen, und sein Licht blendet schon nahe die Sehe unseres Geistes!
[GS.02_011,07] Wieder gut, sage ich euch. Es ist also; denn ich ersehe den Strahlenglanz eures Sternes ja schon aus euren Augen. Ich aber sage euch nun weiter: Lasset ja den Stern nicht aus, sondern betrachtet ihn inniger und inniger und fester und fester und werdet mächtiger in eurem Wollen, so wird sich der Stern alsbald nach der Macht eures Wollens und Schauens richten. Was erschauet ihr nun?
[GS.02_011,08] Ich sehe schon, wie ihr voll Erstaunens werdet, denn ihr sehet euren Stern schon so erweitert und vergrößert vor euch, daß ihr mit leichter Mühe große, erhabene Einzelheiten desselben ausnehmet. Nun bemerket ihr sogar schon Bewegungen auf der Oberfläche dieses groß gewordenen Sternes. Ihr möchtet zwar schon im voraus wissen, was diese Bewegungen sind und was sich da bewegt. Ich aber sage euch nichts; denn nun sollet ihr selbst alles finden.
[GS.02_011,09] Fixieret euren Stern nur noch fester und stärker und mächtiget euer Wollen, und es soll sich sogleich zeigen, was diese Bewegungen sind und was sich da bewegt. Was habt ihr denn für Gedanken bei diesen erschauten Bewegungen?
[GS.02_011,10] Ihr saget: Wir denken dabei an Wolken und an ein wogendes Meer.
[GS.02_011,11] Ich sage euch: Haltet jetzt auf dem Sterne, den ihr nicht mehr verlieren könnet, auch diese Gedanken fest und saget mir dann, was ihr erschauet.
[GS.02_011,12] Ihr fraget nun: Lieber Freund und Bruder im Herrn! Wir erschauen nun im Ernste, wie über uns schon sehr nahe stehenden Weltflächen Wolken hin und her ziehen, und zwischen den großen Landflächen entdecken wir noch größere Flächen wogenden Meeres. Wir sehen auch schon große Unebenheiten der weitgedehnten Ländereien und ersehen leuchtende Inseln inmitten der großen Meeresflächen; aber weiter können wir noch nichts ausnehmen.
[GS.02_011,13] Gut, sage ich euch; ziehet euch nun die großen Ländereien und die großen Meeresflächen dieses eures Sternes nur näher, und ihr werdet gleich mehreres darauf erschauen. Ich merke schon aus euren Augen, daß ihr meinen Rat befolget. Nun, was erschauet ihr denn nun?
[GS.02_011,14] Ihr sprechet: Siehe da, das Land ist uns schon äußerst nahe gekommen. Wir entdecken nun schon weitgedehnte Wälder, auch eine Menge zerstreuter Wohnhäuser von einer sehr seltsamen Form sowie große Flüsse. Und siehe, nun können wir auch schon kleinere Bäche ausnehmen, und an den Ufern des großen Meeres entdecken wir auch hier und da wie Städte errichtet; auch Bewegungen auf der Oberfläche des Gewässers wie von allerlei Schiffen können wir entnehmen.
[GS.02_011,15] Nun gut; was meinet ihr wohl, woher dieses alles kommt? Ihr sprechet: Lieber Freund und Bruder, wir wissen es nicht. Ich aber frage euch: Woher kam denn der Stern? Ihr saget: Diesen dachten wir und hielten ihn dann fest in unseren Gedanken.
[GS.02_011,16] Nun, wenn der Stern aus euch kam, woher sollte denn seine Entwicklung anders kommen als von euch? Denn als der Stern durch euer Festhalten größer und größer ward, da entwickelte er durch seine Größe in euch den mit der Begierde gefüllten Gedanken, an dem Sterne selbst eine Welt zu erschauen. Diesen Gedanken hieltet ihr dann unwillkürlich mit dem Sterne selbst fest und waret dadurch Schöpfer alles dessen, was ihr nun auf der weitgedehnten Oberfläche dieses Sternes erblicket.
[GS.02_011,17] Ihr wisset aber, daß ohne Kraft und Gegenkraft ewig nie an eine Wirkung gedacht werden kann. Also sage ich zu euch und frage euch: Warum konntet ihr denn einen Stern anfangs denken? Ihr sehet mich groß an; ich aber sage euch: Weil nicht nur ein sondern gar viele Sterne in eurem Geiste in kleinster Abbildgestalt zugrunde liegen. Aus diesen vielen Sternen habt ihr ein Exemplar aus euch genommen und es euch stets näher und näher beschaulich vorgestellt.
[GS.02_011,18] Wie war aber die Vergrößerung dieses kleinsten Abbildes möglich in euerem Geiste? Hier kommt es auf die Kraft und Gegenkraft an. Die Kraft liegt in euch, die Gegenkraft ist geschaffen und ewig gefestet von Gott. Wenn ihr die Kraft in euch hervorrufet, was ist da wohl natürlicher, als daß diese in dem Augenblicke des Hervorrufens mit der entsprechenden Gegenkraft aus Gott nach eurem Wollen stets mehr und mehr zusammenstoßen muß? Denn die Kraft liegt in euch; die Gegenkraft ist außer euch; und alles, was ihr demnach in euch hervorrufet, muß dann in Gott seinen ewig vorbildlichen Gegensatz finden. Der Stern als Gegensatz ist erschaffen von Gott, wie er ist in seiner Ordnung, Form und Gestalt; dessen vollkommen ebenmäßiges Abbild aber ist auch als abgeleitete Kraft in euch gelegt, weil euer Geist selbst ein Abbild Gottes ist.
[GS.02_011,19] Nun, wisset ihr aber, auf welche Weise alle Dinge beschaut werden? Ihr saget: Durch das Licht. Gut, sage ich euch; das Licht fällt auch irdischermaßen genommen zum größten Teile hinaus in den unendlich großen freien Raum. Was erblicket ihr aber bei einem heiteren Tage in der wohlerleuchteten blauen Atmosphäre? Ihr saget: Da erblicken wir nichts, außer die blaue Farbe der Luft. Ich aber frage euch: Warum erblicket ihr da nichts? Ihr saget: Weil es da keinen Gegenstand gibt. Was verstehet ihr aber unter einem Gegenstande? Warum saget ihr nicht lieber Vorstand als Gegenstand? Ihr wisset nicht, was ihr da sagen sollet; ich aber sage euch: Wenn ihr ein Ding beschauet nach seiner Form, so ist das Ding doch offenbar etwas, das euch gegenübersteht, also ein Gegen-stand. Wenn aber etwas zwischen das Ding und euch gestellt würde, etwa eine Wand, ein Schleier, eine Wolke, so würdet ihr doch sicher sagen: Dieses steht uns vor dem Gegenstande, den wir beschauen möchten, und ist somit ein offenbarer Vorstand oder ein hindernder Vorgegenstand. Wenn ihr aber nun zufolge eines solchen Vorstandes den eigentlichen Gegenstand nicht erschauen möget, was wird davon wohl der Grund sein? Sehet, nichts anderes, als daß euch die vom Gegenstande zurückgeworfenen Strahlen nicht begegnen können, und somit auch nicht das in euch schon zugrunde liegende Vorbild belebend hervorzurufen vermögen.
[GS.02_011,20] Wisset, so ihr nicht in euch hättet die Sonne, und brenneten deren Millionen am Himmel, so möchtet ihr nicht eine erschauen! Und hättet ihr nicht in euch die Erde und alles, was in ihr und auf ihr ist vom Atome angefangen bis zur größten allgemeinen Form hinüber vollkommen, so könntet ihr nicht eines der Dinge erschauen und keines derselben denken und dasselbe im Worte aussprechen.
[GS.02_011,21] Und hättet ihr ferner nicht das ganze Universum in euch, da wäre sternlos der ganze Himmel für euer Auge. Und hättet ihr also nicht in euch das geistige Reich der Himmel und das ewige Leben aus dem Herrn, wahrlich, ihr könntet dasselbe weder denken noch aussprechen. – Wie sich aber dieses alles verhält, also ist es zu nehmen mit der Kraft und Gegenkraft.
[GS.02_011,22] Auf der naturmäßigen Welt ruft der von außen in euch fallende Strahl das in euch ruhende Ebenmaß hervor, und ihr erschauet durch die Wirkung der Gegenkraft und der Kraft in euch den also beschauten Gegenstand.
[GS.02_011,23] Wie geht denn solches im Geiste vor sich? Wie ist das rechte geistige Schauen bestellt? Gerade umgekehrt. Ihr nehmet ein Abbild aus euch. Dieses Abbild findet aber sobald seinen Gegensatz, wenn es in euch fest hervorgerufen wird. Je mehr ihr nun den in euch gefaßten Gegenstand festhaltet, desto mehr strebt dieser seinen ewig gestellten Gegensatz an, entwickelt ihn mehr und mehr und macht ihn eben also auch stets beschaulicher.
[GS.02_011,24] Wenn ihr wie durch euren vorliegenden Stern es mit der inneren Beschauung so weit gebracht habt, daß er sich euch schon sehr ausgebreitet und enthüllt darstellt, so sollet ihr nicht denken, solches sei etwa ein Werk einer leeren Phantasie. O nein! Das ist es nicht im geringsten, sondern es ist volle Wirklichkeit. Aber nur ist sie noch unbekannt in ihrem Grunde, woher sie ist und wo sie ruht. Kann man denn solches nicht erfahren? O sicher; denn wo die Wirklichkeit ruht, da ruht auch ihr Name, ihre Ordnung, ihr Wirkungskreis und ihr Standort.
[GS.02_011,25] Es heißt aber im Worte des Herrn: „Aus den Früchten möget ihr den Baum erkennen.“ Wenn wir solches wissen, da wird es wohl nicht schwer sein, auf die Wirklichkeit dessen zu kommen, was sich nun vor euren Blicken schon so nahe entwickelt hat. Daher versuchet euch in der erhöhten Tätigkeit eures Geistes. Beschauet die vorliegende Welt genauer, bringet sie euch näher und näher, bis sie euch so nahe wird, daß ihr eure Füße auf den Boden derselben setzen möget.
[GS.02_011,26] Ist solches geschehen, so habt ihr euch mit diesem Gegenstande in eine lebendige Verbindung gesetzt; er wird euch zur Grundlage, und ihr werdet auf dieser Grundlage tätig werden können. Wenn ihr es in dieser Tätigkeit werdet so weit gebracht haben, daß ihr darin den mächtigen Zug der Liebe des Herrn in euch verspüren werdet, und diese Liebe heißer und heißer wird und wird sich entzünden, in helle Flammen übergehend, so wird dadurch eure Unterlage in allen ihren Teilen, wo ihr nur immer hinblicken werdet, in selbst lebendige Formen sich auflösen nach der Art, wie sie in euch abbildlich vorhanden sind. Diese Formen werden dann rückwirkend die in euch zugrunde liegenden belebend hervorrufen und werden euch selbst kundgeben, wer und wo eure Grundlage ist.
[GS.02_011,27] Sehet, also ist alles Erkennen eine Folge des vorhergehenden Erschauens; das Erschauen aber die Folge des Strahlens und Gegenstrahlens oder die Folge der Kraft in euch und der Gegenkraft außer euch. – Wir haben unsere Welt uns auf diese Weise schon sehr nahe gebracht; also nur noch einen kräftigen Zug im Geiste, und wir werden uns sogleich mit unseren Füßen auf der aus euch hervorgehenden Welt befinden!
12. Kapitel – Rechte Erbauung – Entwicklung dessen, was in euch ist.
[GS.02_012,01] Nun sehet, die Welt ist unter unseren Füßen; versuchen wir, auch ein wenig auf ihr herumzugehen. Ihr wundert euch jetzt wohl, daß euch diese Welt so gut trägt, und ihr schauet die herrlichen Ländereien, viele Berge mit Wäldern; die herrlichsten Fluren, Äcker und Gärten mit verschiedenartigen Wohnhäusern sehet ihr allenthalben umher. Ihr saget: Aber solches haben wir doch nicht gedacht!
[GS.02_012,02] Ich aber sage euch: es hat solches streng genommen auch nicht not; denn habt ihr mit der Kraft in euch die Gegenkraft angezogen, welche eigentlich der Grund der Kraft in euch ist, da gibt dann die angezogene Gegenkraft schon ohnehin das, was sie in sich hat. Denn eure Kraft entspricht der Gegenkraft in allen ihren Teilen.
[GS.02_012,03] Durch die Wirkung der Gegenkraft, welche ihr in euch angezogen habt, aber werden die Teile der Kraft in euch entwickelt, und so ist der Akt dieser scheinbaren Schöpfung aus euch nichts anderes als eine Entwicklung dessen, was in euch ist.
[GS.02_012,04] Ihr könnet daher auch nicht so ganz eine Welt nach eurem Belieben erschaffen, sondern nur die hervorrufen, welche in euch zugrunde liegt. Es brauchen auch nicht alle Teile einer solchen Welt von euch gedacht zu werden; ist die Welt gedacht und eure Liebe vollkommen entwickelt, dann kann sie sich unmöglich anders vorstellen, als wie sie bestellt ist urgründlich vom Herrn aus.
[GS.02_012,05] Ihr seid demnach nicht etwa im Ernste Schöpfer dieser Welt, denn das Schöpfungsrecht kann nie ein Geschöpf überkommen. Aber die Fähigkeit, das Geschaffene, welches endlos in euch vorhanden ist, aus euch hervorzurufen auf die euch nun bekannt gegebene Art, solches liegt in der Fähigkeit eines jeden vollkommenen Geistes. Unvollkommene Geister haben zwar auch eine ähnliche Fähigkeit in sich; aber weil sie keine Festigkeit haben, so können sie das in ihnen zugrunde Liegende eben nicht hervorrufen. Ein unvollkommener Geist ist ein unbeständiger Geist. Er ist eine Wetterfahne und ein Rohr, das vom Winde hin und her geweht wird, und ist zugleich ein törichter Baumeister, der sein Haus auf lockerem Grunde baut. Darum denn kann auch ein unvollkommener Geist nichts anderes, als nur Ephemeriden hervorrufen, die da gleich sind den vorüberfliehenden Augenlidbildern, welche ihr erschauen möget, so ihr in der Nacht eure Augen schließet. Allda erschauet ihr ein chaotisches Gewirre und mitten in diesem Gewirre verschiedenartige Zerrbilder, welche sich flüchtig entwickeln und wieder also flüchtig vergehen.
[GS.02_012,06] Aber nicht also ist es mit dem vollkommenen Geiste, der in seinem Zentrum feststeht. Was er hervorruft, ruft er in der Ordnung des Herrn hervor und ruft nicht etwas Ungeschaffenes, also eine leere Phantasie, sondern ein urgeschaffenes Ding hervor.
[GS.02_012,07] Sehet, also stehen die Sachen. Wir aber befinden uns nun auf dieser Welt, die ihr aus euch hervorgerufen habt und wollen sie darum ein wenig überwandern und beschauen.
[GS.02_012,08] Da vor uns ist ein großer Garten mit einem sehr prachtvollen Gebäude, welches in der Mitte des Gartens steht, da wollen wir hinziehen; also folget mir!
[GS.02_012,09] Sehet, da ist schon das Gartentor. Wie ich aber bemerke, so seid ihr ja sehr prachtliebende Bauherren, denn die Gartenmauer besteht aus lauter Edelsteinen und das Tor ist gediegenes Gold. Und da sehet nur einmal hin: die Gartenwege sind alle mit gold- und silberdurchwirktem Sand überzogen, und die Fruchtbeete des Gartens sind ja auf das zierlichste mit kleinen Goldgeländern umfangen und die Spangen der Geländer durchgehends mit unterschiedlichen herrlichen Edelsteinen besetzt. Nein, wahrhaftig, das heißt doch verschwenderisch gebaut! Sogar die in den schönsten Reihen gesetzten herrlichen Fruchtbäume sind mit silbernen Geländern umfangen, und je in der Mitte eines jeden Beetes ist ein kleiner Springbrunnen angebracht, der sein Gewässer in verschiedenartigsten Formen aus sich treibt. Weil die Wege gar so herrlich bestellt sind, müssen wir denn doch eine Promenade tiefer in den Garten hinein machen.
[GS.02_012,10] Die Wege sind, wie ich merke, sogar wie Sofas von unten gepolstert; ja es ist eine stets größere Verschwendung in eurer Baukunst zu erschauen. Wir haben bereits schon eine tüchtige Strecke in dem Garten zurückgelegt; aber das Hauptwohngebäude scheint noch im weiten Hintergrunde zu stehen.
[GS.02_012,11] Doch da vorne sehe ich ja gerade eine weitgedehnte Säulengalerie, die Säulen aus lauter geschliffenen Diamanten, die herrlichen Bögen über den Säulen aus lauter Rubinen, der Gang über den Bögen aus blankem Golde, die Galerie aus reinstem durchsichtigem Golde und die Spangen der Galerie aus allerfeinstem weißem Golde. Das will ich denn doch eine Pracht heißen! Und unter dem Gange zwischen den Säulen, also zu ebener Erde, sehe ich wie einen Wasserkanal, über welchen die herrlichsten Brücken führen. Da sehet nur einmal hin, über dem Kanal ist ein überaus großer, freier Platz. Der Boden dieses Platzes ist eine Fläche aus feinstem, durchsichtigem Golde. Dort, schon nahe an dem herrlichen Gebäude, erschaue ich himmelanragende Säulen aus weißem Gesteine und auf der Spitze einer jeden Säule flackert eine große, dreifarbige Fahne aus Weiß, Rot und Grün.
[GS.02_012,12] Fürwahr, je weiter man euer Bauwerk betrachtet, desto großartiger, kühner und erhabener wird es; und das eigentliche Wohngebäude erst im Hintergrunde, das hat ja eine beinahe meilenweite Front aus drei Stocken bestehend! Jedes Stockwerk hat ein Maß nach dem Auge geschätzt von sechshundert sechs und sechzig Ellen; das ist die Zahl eines Menschen. Die Fenster sind hoch und breit. Das Eingangstor ist überhoch und überbreit und ist verfertigt aus reinstem Golde, und aus den Fenstern, deren Front ebenfalls 666 zählt, strahlt aus der untersten Reihe ein weißes, aus der mittleren ein grünes und aus der obersten Reihe ein rotes Licht. Das Dach dieses übergroßen Gebäudes bildet eine einzige, ungeheure Pyramide. Es fehlt dem ganzen Garten und Gebäude nichts als Einwohner. Wo habt ihr denn diese gelassen, als ihr dieses herrliche Gebäude aufgeführt habt?
[GS.02_012,13] Ihr saget wohl: Lieber Freund und Bruder, du bist zwar ein großer Liebling des Herrn, aber bei dieser deiner Sprache guckt denn doch so eine kleine Fopperei heraus. Denn von so einer unermeßlichen, reichen Pracht ist uns noch nie etwas auch nur im allertiefsten Traume vorgekommen, geschweige erst, daß wir da Baumeister eines solchen endlos herrlichen und allerreichlichst prachtvollsten Werkes sein sollten. Wenn wir so etwas gebaut hätten, da müßten wir doch auch „dabei gewesen“ sein. Aber davon haben wir nicht die leiseste Spur auch nur von einer allerleisesten Ahnung. Daher wird es bei uns auch einen sehr starken Haken haben hinsichtlich der Bewohner, welche allenfalls diesen unbeschreiblich prachtvollen Palast bewohnen sollten.
[GS.02_012,14] Meine lieben Freunde und Brüder, ihr denket hier unrecht. Ihr habt dieses Werk freilich nicht erbaut, so wenig als diese ganze Welt. Aber ihr habt dieses prachtvolle Wohngebäude samt dieser Welt aus euch hervorgerufen, und das will ja denn doch auch etwas gesagt haben. Ihr sprechet aber ja nicht selten unter euch: Dieses und jenes hat mich erbaut. Was wollet ihr denn damit sagen? Ich sage euch, nichts anderes als: Dieses und jenes hat aus meinem inneren Lebensgrunde eine Kraft erweckt, die mich belebt hat in dieser oder jener Art. Diese Belebung bildete sich in mir zu einer erhabenen geistigen Form aus, und ich erkannte in dieser Form, daß der Herr überall die allerhöchste Liebe und Weisheit Selbst ist! Mein Herz entbrannte in dieser Erkenntnis, und ich betete Gott darin an im Geist und in der Wahrheit!
[GS.02_012,15] Das also ist eine rechte „Erbauung“. Und nun sehet, da haben wir ja eine Form der Erbauung vor uns. In euch selbst habt ihr euch erbaut; die Erbauung ward zur Form, und ihr schauet in dieser Form der göttlichen Liebe und Weisheit unendliche Macht und Kraft, und das ist gleich einer großen Verwunderung, welche allezeit der Liebe vorangeht. Warum denn? Welcher aus euch ist je in ein weibliches Wesen eher verliebt geworden, bevor er es gesehen und bewundert hatte?
[GS.02_012,16] Sehet, also ist es auch hier der Fall. Wer könnte wohl Gott lieben, wenn er Ihn nicht zuvor erkennete? Also das Erkennen geht der Liebe doch notwendig voraus! Wie aber kann der Mensch Gott erkennen?
[GS.02_012,17] Wenn der Mensch das Wort Gottes hört und Seine Werke betrachtet, dadurch wird der Gedanke Gottes im Menschen hervorgerufen. Ist der Gedanke einmal hervorgerufen, so soll ihn der Mensch nicht mehr auslassen, sondern ihn ebenfalls fester und fester fassen. Dieses Fester- und Festerfassen ist der Glaube. Wenn nun der Mensch durch den festen Glauben, also durch das stets größere Fixieren des Gedankens Gottes in sich, Gott Selbst zu einem lebendigen Gefühle gemacht hat, so betritt er mit seinen Füßen die Welt Gottes in sich. Er erschauet in dieser Welt Wunderdinge über Wunderdinge.
[GS.02_012,18] Dieses Erschauen ist die wachsende Erkenntnis Gottes. Aber die Welt, die wundervolle, ist noch wesenleer, das Prachtgebäude hat noch keine Bewohner. Aber sehet, dort in der Mitte des Gebäudes, das nun vor uns steht, ist ein Opferaltar errichtet und auf dem Opferaltare eine Menge frisches Holz gelegt. Wir wollen es anzünden, und es soll sich dann sogleich zeigen, ob diese Welt wesenleer ist. Womit aber werden wir das Holz anzünden?
[GS.02_012,19] Ich sage euch: Das sehr merkwürdige Feuerzeug liegt auch in eurem Herzen; es heißt Liebe! Diese wollen wir an den Altar hintragen, und ihr werdet euch dann sobald überzeugen, daß im Menschen nicht nur die puren Gedanken Gottes, sondern auch die lebendigen Wesen wohnen! Was würde es auch nützen, so jemand sagte: Siehe hier meine Brüder, siehe da meine Schwestern, wenn er sie aber nicht liebete? Liebt er sie aber, so liebt er sie doch sicher nicht draußen, sondern in seinem Herzen! Und so denn sind sie für ihn auch nicht draußen, sondern sie sind in der Liebe seines Herzens. Also zünden wir das Holz nur an, damit dieses Gebäude Einwohner bekomme!
13. Kapitel – Jesus, der Name aller Namen und seine Wirkung. Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Christo.
[GS.02_013,01] Ihr fraget: Wie werden wir Feuer unserem Herzen entlocken, damit wir mit demselben dieses Holz entzünden möchten? – O Brüder und Freunde! Welch eine Frage von euch! Ist denn nicht ein einziger Gedanke an Jesum hinreichend, um das Herz für Ihn überhell aufflammen zu machen? – O Brüder und Freunde! Könntet ihr es fassen, was dieser Name aller Namen besagt, was er ist, und welch eine Wirkung in Ihm, ihr müßtet ja augenblicklich in eine so mächtige Liebe zu Jesu übergehen, deren Feuer hinreichend wäre, ein ganzes Heer von Sonnen zu entzünden, daß sie darob noch ums Tausendfache heller flammen möchten in ihren endlos weiten Raumgebieten, als solches bis jetzt der Fall ist.
[GS.02_013,02] Ich sage euch: Jesus ist etwas so ungeheuer Großes, daß, so dieser Name ausgesprochen wird, die ganze Unendlichkeit von zu großer Ehrfurcht erbebt. Saget ihr: Gott, so nennt ihr zwar auch das allerhöchste Wesen; aber ihr nennt Es in seiner Unendlichkeit, da Es ist erfüllend das unendliche All und wirkt mit Seiner unendlichen Kraft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Aber in dem Namen Jesus bezeichnet ihr das vollkommene, mächtige, wesenhafte Zentrum Gottes, oder noch deutlicher gesprochen:
[GS.02_013,03] Jesus ist der wahrhaftige, allereigentlichste, wesenhafte Gott als Mensch, aus dem erst alle Gottheit, welche die Unendlichkeit erfüllt, als der Geist Seiner unendlichen Macht, Kraft und Gewalt gleich den Strahlen aus der Sonne hervorgeht. – Jesus ist demnach der Inbegriff der gänzlichen Fülle der Gottheit oder: In Jesu wohnt die Gottheit in Ihrer allerunendlichsten Fülle wahrhaft körperlich wesenhaft; darum denn auch allezeit die ganze göttliche Unendlichkeit angeregt wird, so dieser unendlich heiligst erhabene Name ausgesprochen wird!
[GS.02_013,04] Und dieses ist zugleich auch die unendliche Gnade des Herrn, daß Er sich hatte gefallen lassen, anzunehmen das körperlich Menschliche. Warum aber tat Er dieses? Höret, ich will euch nun ein kleines Geheimnis enthüllen!
[GS.02_013,05] Vor der Darniederkunft des Herrn konnte nimmerdar ein Mensch mit dem eigentlichen Wesen Gottes sprechen. Niemand konnte dasselbe je erschauen, ohne dabei das Leben gänzlich zu verlieren, wie es denn auch bei Moses heißt: „Gott kann niemand sehen und leben zugleich!“ Es hat sich zwar der Herr in der Urkirche, wie auch in der Kirche des Melchisedek, zu der sich Abraham bekannte, wohl öfter persönlich gezeigt und hat gesprochen mit Seinen Heiligen und Selbst gelehrt Seine Kinder. Aber dieser persönliche Herr war eigentlich doch nicht unmittelbar der Herr Selbst, sondern allzeit nur ein zu diesem Zwecke mit dem Geiste Gottes erfüllter Engelsgeist.
[GS.02_013,06] Aus solch einem Engelsgeiste redete dann der Geist des Herrn also, als wenn unmittelbar der Herr Selbst redete. Aber in einem solchen Engelsgeiste war dennoch nie die vollkommenste Fülle des Geistes Gottes gegenwärtig, sondern nur insoweit, als es für den bevorstehenden Zweck nötig war.
[GS.02_013,07] Ihr könnet es glauben: in dieser Zeit konnten auch nicht einmal die allerreinsten Engelsgeister die Gottheit je anders sehen als ihr da sehet die Sonne am Firmamente. Und keiner von den Engelsgeistern hätte es je gewagt, sich die Gottheit unter irgendeinem Bilde vorzustellen, wie solches auch noch unter Mosis Zeiten dem israelitischen Volke auf das strengste geboten wurde, daß es sich nämlich von Gott kein geschnitztes Bild, also durchaus keine bildliche Vorstellung machen sollte.
[GS.02_013,08] Aber nun höret: Diesem unendlichen Wesen Gottes hat es einmal wohlgefallen, und zwar zu einer Zeit, in welcher die Menschen am wenigsten daran dachten, Sich in Seiner ganzen unendlichen Fülle zu vereinen und in dieser Vereinigung anzunehmen die vollkommene menschliche Natur!
[GS.02_013,09] Nun denket euch: Gott, den nie ein geschaffenes Auge schaute, kommt als der von der allerunendlichsten Liebe und Weisheit erfüllte Jesus auf die Welt!
[GS.02_013,10] Er, der Unendliche, der Ewige, vor dessen Hauche Ewigkeiten zerstäuben wie lockere Spreu, wandelte und lehrte Seine Geschöpfe, Seine Kinder, nicht wie ein Vater, sondern wie ein Bruder!
[GS.02_013,11] Aber das alles wäre noch zu wenig. Er, der Allmächtige, läßt sich sogar verfolgen, gefangennehmen und dem Leibe nach töten von Seinen nichtigen Geschöpfen! Saget mir: Könntet ihr euch eine unendlich größere Liebe, eine größere Herablassung denken, als diese, die ihr an Jesu kennet?!
[GS.02_013,12] Durch diese unbegreifliche Tat hat Er alle Dinge des Himmels anders gestaltet. Wohnt Er auch in Seiner Gnadensonne, aus welcher das Licht allen Himmeln unversiegbar zuströmt, so ist Er aber dennoch ganz derselbe leibhaftige Jesus, wie Er auf der Erde in all Seiner göttlichen Fülle gewandelt ist als ein wahrer Vater und Bruder, als vollkommener Mensch unter Seinen Kindern gegenwärtig. Er gibt all Seinen Kindern alle Seine Gnade, Liebe und Macht und leitet sie Selbst persönlich wesenhaft, endlos mächtig zu wirken in Seiner Ordnung!
[GS.02_013,13] Ehedem war zwischen Gott und den geschaffenen Menschen eine unendliche Kluft, aber in Jesu ist diese Kluft beinahe völlig aufgehoben worden; denn Er Selbst, wie ihr wisset, hat uns dieses ja doch sichtbar angezeigt, fürs erste durch Seine menschliche Darniederkunft, fürs zweite, daß Er uns nicht einmal, sondern zu öfteren Malen Brüder nannte, fürs dritte, daß Er mit uns aß und trank und alle unsere Beschwerden mit uns trug, zum vierten, daß Er als der Herr der Unendlichkeit sogar der weltlichen Macht Gehorsam leistete, zum fünften, daß Er sich hat von weltlicher Macht sogar gefangennehmen lassen, zum sechsten, daß Er sich sogar durch die weltlich mächtige Intrige hat ans Kreuz heften und töten lassen, und endlich zum siebenten, daß Er Selbst durch Seine Allmacht den Vorhang im Tempel, welcher das Allerheiligste vom Volke trennte, zerrissen hat!
[GS.02_013,14] Daher ist Er auch der alleinige Weg, das Leben, das Licht und die Wahrheit. Er ist die Türe, durch welche wir zu Gott gelangen können, d.h. durch diese Türe überschreiten wir die unendliche Kluft zwischen Gott und uns, und finden da Jesum, den ewigen, unendlich heiligen Bruder!
[GS.02_013,15] Ihn, der es also gewollt hat, daß diese Kluft aufgehoben würde, können wir denn nun doch sicher über alles lieben!
[GS.02_013,16] Daher, wie ich gleich anfangs gesagt habe, genügt zur Erweckung unserer Liebe zu Jesu ja doch sicher schon ein einziger Gedanke – nur Sein Name in unseren Herzen ausgesprochen sollte ewig genug sein, um in aller Liebe für Ihn zu erbrennen! Daher sprechet auch ihr in euren Herzen diesen Namen würdig aus, und ihr werdet es selbst erschauen, in welcher Fülle das Feuer der Liebe aus euren Herzen hervorbrechen wird, zu entzünden das Holz des Lebens, durch welches die Heiden genesen sollten an diesem neuen Opferaltare.
[GS.02_013,17] Solche Heiden, wie sie einst mein Bruder Paulus bekehrte, gibt es in unserer Zeit noch gar viele; ja es gibt Heiden, die sich „Christen“ nennen, aber dabei ärger sind in ihren Herzen als diejenigen, die einst Moloch und Baal anbeteten.
[GS.02_013,18] Wenn das Holz auf diesem Altare wird zum Brennen kommen, da erst werdet ihr in dieser aus euch selbst gerufenen Welt so manches erschauen, das ihr bis jetzt noch nicht erschaut habet. Denn ich sage euch: In der Welt der Geister gibt es unergründliche Tiefen. Kein geschaffener Geist könnte dieselben je ermessen; aber wir sind im Geiste des Herrn. Sein Geist lebt, waltet und wirket in uns, und in diesem Geiste ist uns keine Tiefe unergründlich; denn niemand kann wissen, was im Geiste ist, denn allein der Geist. So kann auch niemand wissen, was in Gott ist, denn allein der Geist Gottes. – Jesus, der vereinigte Gott in aller Seiner Fülle, aber hat uns erfüllt mit Seinem Geiste. Und mit diesem Seinem Geiste in uns können wir auch dringen in Seine göttlichen Tiefen. – Also denket euch nun den Namen aller Namen, den Heiligsten aller Heiligkeit, die Liebe aller Liebe, das Feuer des Feuers – und das Holz am Altar wird brennen!
14. Kapitel – Liebe, das große Erkenntnismittel.
[GS.02_014,01] Ihr habt es getan und gedacht den Namen, der da heilig, heilig, heilig ist in euch! Und sehet, schon lodert eine herrliche Flamme auf dem Altare, verzehrend das Holz des Lebens als eine Nahrung zur Belebung der Wesen dieser Welt in euch.
[GS.02_014,02] Nun sehet euch aber auch ein wenig um. Blicket hinauf in die überaus herrlichen Galerien dieses Prachtgebäudes und saget mir, was ihr erschauet. – Ihr sprechet: O Freund und Bruder, da sehen wir ja eine übergroße Menge Menschen beiderlei Geschlechtes. Ihre Formen sind herrlich und wunderbar schön, und sie sind gekleidet herrlicher denn die Könige der Erde. Wie ist solches möglich? Sind diese auch in uns?
[GS.02_014,03] Liebe Brüder, ich sage euch: Wo eine ganze Welt ruht, da muß ja doch auch das vorhanden sein, was die Welt trägt. Ihr saget freilich: Gibt es denn wohl eine Welt von solcher Herrlichkeit im unermeßlichen Schöpfungsraume? Jawohl, meine lieben Freunde und Brüder! Ihr müsset andere Weltkörper nicht nach eurer Erde bemessen, denn diese ist ein Bettelstübchen nur gegen die Paläste der Fürsten. Ihr habt bei der naturmäßigen Darstellung der Sonne und einiger Planeten eures Sonnengebietes sicher die Beobachtung gemacht, um wievieles prachtvoller und herrlicher diese eingerichtet sind denn eure Erde. Ich aber sage euch: Dieses alles ist noch eine pure Bettelei gegen so manche Herrlichkeit der größeren Weltkörper im unermeßlichen Schöpfungsraume. Auch selbst diese Welt, die ihr aus euch hervorgerufen habt und auf der wir nun herumgehen, ist noch bei weitem die herrlichste nicht.
[GS.02_014,04] Es gibt in dem Bereiche des Sternbildes Orion, Löwe und im Sternbilde des Großen Hundes Sonnenwelten, vor deren Herrlichkeit und unermeßlicher Pracht ihr beim kürzesten Anblicke schon vergehen würdet.
[GS.02_014,05] Doch ihr möchtet wohl wissen, was das für eine Welt ist. Wie werden wir aber solches herausbringen? Fraget ihr einen Bewohner dieser Welt, so wird er euch höchstens mit einem fremden Namen bereichern; das wird aber dann auch alles sein, was ihr davon erfahren möget. Sage ich es euch, so werdet ihr auch nicht viel mehr gewinnen. Ihr sollet es aber in euch finden. Seid ihr solches imstande, so wird die Erkenntnis dieser Welt für euch in der geistig wissenschaftlichen Sphäre erst nützlich sein.
[GS.02_014,06] Wie aber solches anstellen? Das ist freilich eine andere Frage. Wir wollen es dennoch versuchen. Ein Beispiel soll uns da den Weg zeigen. Und so habet denn acht! – Wenn ihr beispielsweise von irgendeinem Punkte, an dem ihr euch befindet, irgendeinen Gegenstand erschauet, der sich in einer mäßigen Entfernung von euch befindet, so könntet ihr leicht bestimmen, welchen Gegenstand ihr erschaut habt, denn ihr könntet euch in diesem Falle, wie ihr zu sagen pfleget, orientieren.
[GS.02_014,07] Wollt ihr den Gegenstand näher beschauen, so brauchtet ihr nichts als entweder eine tüchtige Augenwaffe oder eine allfällige Hinreise zu dem vorher beobachteten Gegenstande. Das wäre somit der natürliche Weg. Wenn ihr euch aber gleich anfangs bei einem merkwürdigen Gegenstande befindet, so wird es schon ein wenig schwerer zu bestimmen sein, von welchen äußeren Aussichtspunkten dieser Gegenstand wohlerkenntlich am vorteilhaftesten zu erschauen ist. Und habt ihr solche Punkte in der weiten Peripherie des merkwürdigen Gegenstandes in eurer Nähe auch wirklich aufgefunden, so werdet ihr denn doch genötiget sein, diese Punkte alle zu bereisen, um von ihnen aus die Überzeugung einzuholen, wie sich euer naher Gegenstand von ihnen aus beschauen läßt. Habt ihr solches getan, so habt ihr dann schon sicher das Resultat überkommen, daß dieser Gegenstand sich hauptsächlich nur von einem Punkte am vorteilhaftesten ausnehmen und erkennen läßt.
[GS.02_014,08] Das wäre alles klar und verständlich, saget ihr; aber unsere Welt, auf der wir sind, will uns noch nicht bekannt werden. – Macht nichts, meine lieben Freunde und Brüder, wir sind mit unserer Erörterung auch noch nicht am Ende. Es wird schon zu rechter Zeit uns alles noch klar werden. Habet nur acht auf den weiteren Verlauf meiner beispielsweise Verhandlung. –
[GS.02_014,09] Wenn ihr auf der Erde seid und schauet bei einer sternhellen Nacht den gestirnten Himmel an und habt zugleich auch eine gute Sternkarte bei euch, so wird es euch eben nicht zu schwer werden, bald einen und bald den andern Stern beim Namen zu nennen. Habt ihr aber, dadurch etwas gewonnen? Kennt ihr jetzt den Stern? Oder werdet ihr ihn erkennen als einen schon von der Erde aus beobachteten, wenn ihr ihn selbst betreten würdet? Ich sage euch: Solches wird ebensowenig der Fall sein wie jetzt.
[GS.02_014,10] Ich setze aber den umgekehrten Fall, ihr befändet euch auf irgendeinem von der Erde noch gar wohl sichtbaren Sterne, z.B. auf einem Sonnenkörper im Sternbilde der sogenannten Plejaden. Wenn ihr aber dann wieder zurückkommet auf eure Erde, würdet ihr da wohl mit Bestimmtheit angeben können, welcher aus den etlichen neunzig Sternen dieses Sternbildes gerade derjenige ist, auf dem ihr euch befunden habt? Solches, meine ich, wird auch etwas schwer sein, weil die Sterne dieses Sternbildes nur von eurer Erde gesehen eine solche Form bilden, in ihrer eigentlichen Stellung aber sind sie durch unermeßliche Räume voneinander entfernt. Und wenn ihr euch demnach auf einem oder dem anderen Sterne befindet, so werden die anderen, welche von eurer Erde aus gesehen dieses Sternbild ausmachen, sich unter ganz anderen Sterngruppen des gestirnten Himmels befinden, und ihr werdet es in der Wirklichkeit sicher ewig nicht herausbringen, welche Sterne von eurer Erde aus gesehen das Sternbild der Plejaden formten. – Daher werdet ihr denn auch nicht bestimmen können, auf welchem Sterne dieses Sternbildes ihr euch befunden habt.
[GS.02_014,11] Ihr saget: Das ist wieder richtig; aber noch immer befinden wir uns auf einer fremden Welt. Ich sage euch: Auch dieses ist richtig, sage euch aber noch hinzu, daß sich auf diese für euch gewöhnliche Beobachtungs- und Erkenntnisweise diese Welt nicht wird erkennen lassen. Wie werden wir denn hernach solches entziffern? Denn es hilft da weder Beobachtung, noch Mathematik, noch Sternenkarte und die allerbesten mathematischen Sehwerkzeuge.
[GS.02_014,12] Solches ist richtig; aber dessen ungeachtet gibt es ein ganz einfaches Mittel, solch eine Welt mit der leichtesten Mühe von der Welt zu erkennen. Ich werde euch im Verlaufe dieses meines begonnenen Beispiels nur so kleine Stößchen versetzen, und ihr werdet dadurch bald von selbst, wie ihr zu sagen pflegt, den Nagel auf den Kopf treffen. Jetzt will ich euch das erste Stößchen versetzen; und so habet denn acht!
[GS.02_014,13] Wisset ihr, woher eure Kinder sind? Wißt ihr, wo sich ihr geistiges und ihr seelisches Prinzip ehedem aufgehalten hat, bevor sie euch aus den Weibern sind geboren worden? Ihr saget: Solches wissen wir durchaus nicht. Ich frage euch aber wieder und gebe euch dadurch ein neues Stößchen: Wie erkennet ihr demnach die geborenen Kinder als die eurigen und wie die Kinder euch als ihre Eltern? Diese Frage sollte euch schon so einen recht starken Wink geben. Ist es nicht die Liebe, die euch die Kinder gibt? Werden sie nicht in der Liebe empfangen? Sehet, wenn das Kind zur Welt geboren wird, da umfassen es die Mutter und der Vater sogleich mit großer Liebe, und das ist schon die erste Taufe. Hat das Kind auch noch keinen Namen, so hat es aber doch ein Zeichen glühend in die Herzen der Eltern eingegraben, welches unauslöschlich ist. Dieses Zeichen ist nichts anderes als die Liebe. Durch diese Liebe wächst die beiderseitige Erkenntnis und Bekanntschaft immer größer, sie entfaltet sich immer mehr und mehr, wird am Ende so intim, stark und mächtig, daß ihr euer Kind unter jeder Zone sobald erkennen werdet, und das Kind wird dasselbe ganz sicher imstande sein, besonders wenn es nota bene in irgendeiner kleinen Not steckt.
[GS.02_014,14] Sehet, in euren Kindern habt ihr so auf dem Wege der Liebe eine bei weitem wunderbarere Welt für beständig kennengelernt, als diese da ist, welche wir jetzt betreten, und ihr kennet sie dennoch recht gut und werdet das Merkmal nicht leichtlich vergessen und es verlöschen lassen in euren Herzen.
[GS.02_014,15] Wie gefällt euch dieses Stößchen? Könnt ihr den Nagel noch nicht auf den Kopf treffen? Ich sehe, es will euch dieser Hieb noch nicht so ganz und gar gelingen, wir wollen daher noch ein Stößchen versuchen: Ihr kommt nach einem fremden Landgebiete des Erdteiles Amerika, und zwar alldort in eine Stadt. Es ist euch alles weltfremd, und ihr möget schauen, wie ihr wollt, und horchen, wie ihr wollt, so wird euch kein bekannter Strahl außer ein solcher der Sonne, des Mondes und der Sterne in die Augen fallen, und kein bekannter Laut wird euren Ohren begegnen. Ihr werdet euch so fremd vorkommen, daß ihr euch beinahe selbst nicht kennet.
[GS.02_014,16] Aber wie ihr euch so in den Gassen herumtreibet, da begegnet euch auf einmal ein Mensch, der euch so von ganzem Herzen freundlich anblickt. Dieser Blick hat euch diese Gasse schon etwas freundlicher gemacht, und ihr werdet sie euch am meisten merken.
[GS.02_014,17] Dieser Mann aber geht auf euch zu, spricht euch in eurer Muttersprache an, und die noch sehr fremde Gasse wird euch schon nahe ganz heimatlich vorkommen. Der Mann aber nimmt euch auf mit aller Liebe; ihr ziehet mit in sein Haus. Dadurch ist diese ganz fremde Stadt euch auf einmal so heimelig geworden, daß ihr anfanget, sie in eurem Herzen zu umfassen.
[GS.02_014,18] Der Mann führt euch ferner in mehrere Häuser, wo ihr liebevollst und freundlichst aufgenommen werdet; und ihr seid in der fremden Stadt wie zu Hause. In kurzer Zeit lernet ihr auch noch dazu die Landessprache kennen, und ihr seid wie Eingeborne. Die Gegenden dieser fremden Welt oder des fremden Erdteiles werden euch ganz heimatlich ansprechen, und ihr seid sozusagen in diesem Lande ganz zu Hause. Werdet ihr es auch auf eine Zeit verlassen, und dann wieder dahin kommen, so werdet ihr es sicher auf der Stelle erkennen.
[GS.02_014,19] Was ist aber das Kennzeichen, welches Merkmal hat wohl das Land, daß ihr es wieder so schnell erkennt? Fraget die Liebe und das freudige Gefühl eures Herzens und sie werden euch augenblicklich den Grund kundgeben, auf welchem eure Erkenntnis dieses Landes ruht. Auf diese Weise werdet ihr nun auch mit der leichtesten Mühe von der Welt nach kurzem Verlauf unserer Betrachtungen auf dieser Welt diese Welt selbst also erkennen, daß es euch eine Unmöglichkeit wird zu sagen: Wir kennen sie nicht! Ich sage euch: Wie die Liebe alles in allem ist, so ist auch alles aus der Liebe!
[GS.02_014,20] Wonach läßt sich wohl eine Frucht erkennen? Ihr saget: Aus der Form, Farbe und dem Geschmack. Wessen Produkte aber sind Form, Farbe und Geschmack? Sie sind Produkte der Liebe. Ihr erkennet am Geschmacke die Muskatellertraube; warum denn? Weil dieser Geschmack einem bestimmten Teile eurer Liebe entspricht. Also wollen wir denn auch hier sehen, welchem Teile unserer Liebe diese Welt entsprechen wird. Und haben wir das mit der leichtesten Mühe gefunden, so haben wir auch schon alles. Das Wie, Wo und Woher wird sich dann von selbst künden.
15. Kapitel – Die drei Weisen aus dem Morgenland, ihre Wesenheit. Die große Bedeutung unserer Erde.
[GS.02_015,01] Ihr saget: Gut wäre es freilich, wenn man nur gleich wüßte, welchem Teile unserer Liebe, oder welcher Himmelsgegend derselben man eben diese Welt unterschieben sollte. Ich aber sage euch, meine lieben Freunde und Brüder: Da ihr die Hauptsache schon durch mein Stößchen zum Dreiviertelteile aus euch gefunden habt, so wird es wohl nicht so schwer sein, auch das vierte Viertel durch allenfalls noch ein paar Stößchen zu finden. Ich will euch zu dem Behufe sogleich eine Frage geben, deren Beantwortung ihr schon zum voraus in euch habt. Die Frage aber sei diese: Habt ihr nie etwas gehört von der sogenannten alten Astrologie? Ihr saget: O sicher, dergleichen Bücher finden sich noch heutigen Tages unter uns vor. Aber auf diese wird man doch etwa nicht zuviel halten dürfen? Ich sage euch: Auf die Art, wie ihr darauf zu halten pfleget, freilich wohl nicht, denn das wäre ein absurder Aberglaube und wäre sündhaft, darauf zu halten. Aber es hat jede Sache zwei Seiten, nämlich eine Licht- und eine Schattenseite. Wir wollen uns daher nicht der Schatten-, sondern der Lichtseite dieses altertümlichen Mysteriums bedienen.
[GS.02_015,02] Wie lautet aber diese? Ihr Name heißt: Kunde der Entsprechungen. Auf dem Wege der Entsprechung aber haben ein jedes Ding, eine jede Form und ein jedes gegenseitige Verhältnis der Formen wie der Dinge einen entsprechend geistigen Sinn. Und so hatten einen solchen Sinn und haben es noch alle die Sterne und ihre Bilder. Wer demnach diese Bilder von dieser Lichtseite lesen und verstehen kann, der ist auch ein Astrolog; aber kein Astrolog mit Hilfe der finsteren Mächte, sondern ein Astrolog aus dem Reiche der Geister des Lichtes, d.h. er ist ein wahrhaftiger Weiser, wie da die drei Astrologen (Sternkundige) aus dem Morgenlande wahrhaftige Weise waren. Sie hatten den Stern des Herrn erkannt, haben sich von ihm führen lassen und haben durch ihn den Herrn der Herrlichkeit gefunden.
[GS.02_015,03] Ich sehe wohl in euch soeben eine Frage betreffend die eben erwähnten drei weisen Sternkundigen aus dem Morgenlande. Ich weiß, daß ihr darüber auch schon eine Erläuterung bekommen habt. Aber solches wißt ihr nicht, daß eben aus den Himmeln keine Kunde völlig enthüllt zu den Menschen auf der Erde gelangen kann, sondern noch allezeit ist eine jede Kunde mit einer Hülse umschlossen. Denn ohne eine solche hülsige Umschließung könnte keine Kunde aus den Himmeln, welche rein geistig ist, zu den Menschen gelangen, so wenig als da jemand von euch imstande wäre, den für den Leib nur tauglichen ätherischen Nahrungsstoff ohne Beigabe gröberer Materie in sich aufzunehmen.
[GS.02_015,04] Das Brot, das ihr esset, besteht aus lauter kleinen Hülschen, welche die Träger des eigentlichen Nährstoffes sind.
[GS.02_015,05] Wenn aber demnach eure schon empfangene Kunde über die drei Weisen aus dem Morgenlande ebenfalls noch ein wenig umhülset ist, so können wir sie hier ebenfalls ein wenig enthülsen. Es kann aus dieser Enthülsung ja etwa auch so ein kleines Stößchen hervorgehen, und unsere Lichtseite der Astrologie, die wir eben brauchen, wird uns stets anschaulicher.
[GS.02_015,06] Ihr habt so viel erfahren über diese drei Weisen, daß sie seien dagewesen – den Adam, den Kain und den Abraham vorstellend. Solches ist richtig; aber würdet ihr es ganz wörtlich nehmen, so würdet ihr dadurch ebensogut noch in einer Irre sein, als wenn ihr an das ominöse Himmelszeichen glauben wolltet, in welchem ihr nach der Kalenderrechnung geboren seid. Ihr saget: Das mag wohl sein; aber wie soll man denn hernach die Sache nehmen, die doch hier und da zumeist kerzengerade ausgesprochen ist? – Ich sage euch: Wie man solche Sachen nehmen soll, wird sich sogleich klärend darstellen.
[GS.02_015,07] Ihr habet doch auch allerlei handgreifliche Gegenstände vor euch als da sind allerart Mineralien, Pflanzen, Tiere und Menschen. Saget mir, wenn ihr diese Gegenstände also nehmet und begreifen wollet, wie sie kerzengerade vor euch stehen, versteht ihr sie dann? Ihr könnet z.B. wohl sagen: Siehe, das ist ein hoher Berg, er hat eine sehr romantische Form, sein Gestein besteht aus Urkalk, auf seiner höchsten Spitze muß eine herrliche Aussicht sein, und in seinem Innern werden vielleicht manche Metalle rasten. Wenn ihr solches von dem Berge ausgesagt habt, dann seid ihr aber auch schon fertig.
[GS.02_015,08] Um kein Haar besser wird es euch bei den Pflanzen und Tieren gehen, da ihr nur das beurteilen könnet, und das noch dazu überaus oberflächlich, was euch in die Sinne fällt oder was kerzengerade vor euch ist. Aber was die innere, höhere, geistige Ordnung betrifft, saget, mit welchem Maßstabe wollet ihr diese bemessen?
[GS.02_015,09] Also stehen auch hier Adam, Kain und Abraham unter dem Bilde der „drei Weisen“ aus dem Morgenlande kerzengerade vor euch zufolge der euch gewordenen Kunde aus den Himmeln.
[GS.02_015,10] Aber wie ihr das Reich der Mineralien, der Pflanzen und Tiere durchaus noch nicht verstehet aus dem Grunde, also ist es auch der Fall mit den drei Weisen aus dem Morgenlande.
[GS.02_015,11] Ja, Adam, Kain und Abraham waren zugegen. Solches ist euch gegeben worden zur Kunde über die Frage hinsichtlich der Bedeutung der drei Weisen aus dem Morgenlande. – Wie aber waren sie zugegen? Sehet, das ist eine andere Frage. Diese habt ihr nicht gestellt; daher blieb diese Frage auch eine Hülse über die euch gewordene Kunde. Nun aber ist es an der Zeit, diese Hülse zu brechen, da wir zu unserem Zwecke die reinere Wahrheit gebrauchen. Und so wisset denn:
[GS.02_015,12] Diese drei Weisen waren drei ganz gewöhnliche Priester besserer Art aus den Gefilden Assyriens. Ihr wisset, daß zur Zeit Salomonis die euch wohlbekannte große Königin des Assyrischen Reiches nach Jerusalem kam, um Salomons Weisheit zu hören. Also zu dieser Zeit schon war auch diesem heidnischen Volke durch seinen besseren Teil der Priester eine Prophezeiung gemacht worden, daß ihre Söhne einst einen Stern entdecken werden, welcher allen Völkern der Erde aufgehen wird. Seit dieser Prophezeiung blieb denn auch immer ein Teil der besseren Priesterschaft dieses Volkes dabei stehen und beobachtete fortwährend den gestirnten Himmel. Diese Priester reisten zu dem Behufe auch nach allen Landen, wo in derselben Zeit sich irgend große Weise aufhielten, und lernten von solchen so manche tiefere Weisheit, besonders aber die Weisheit in der Kunde der Entsprechungen.
[GS.02_015,13] Zur Zeit der Geburt Christi war das Gremium dieser Priester ziemlich groß geworden; aber bis auf drei ließen sich alle von der Gewinnsucht hinreißen und dienten somit dem Mammon. Nur drei blieben bei der reinen Weisheit, verschmähten die Welt und ihre Schätze und suchten den Lohn ihrer geistigen Tätigkeit allein im Geiste und in der Wahrheit.
[GS.02_015,14] Was geschah denn zur Zeit der Geburt unseres hochgelobten und über alles geliebten Herrn?
[GS.02_015,15] Sie entdeckten einen ungewöhnlich glänzenden Stern aufgehend und beobachteten seinen Gang und die Sternbilder, unter denen er aufging und welche er passierte. Als sie so mit der inneren entsprechenden Bedeutung dieses Sternes beschäftigt waren, und der Stern gegen die Mitte der Nacht gerade über ihren Zenith zu stehen kam, da erschienen ihnen drei Männer mit weißen Kleidern angetan und sprachen zu ihnen: Kennet ihr den Stern? Und die Weisen sprachen: Wir kennen ihn nicht. – Die Männer aber, die da erschienen sind, sprachen zu den Weisen: Lasset euch anrühren von uns an euren Stirnen und an euren Brüsten, und ihr werdet sobald die große Bedeutung dieses Sternes erkennen. Die Weisen aber sagten: Seid ihr etwa Zauberer aus Indien, daß ihr uns solches antun wollet?
[GS.02_015,16] Die drei erschienenen Männer aber erwiderten: Das sind wir mitnichten, denn wir wollen euch nicht die Macht der Hölle enthüllen, sondern die Kraft Gottes wollen wir euch zeigen und euch führen dahin, da sich der ewige Herr Himmels und der Erde niedergelassen hat in aller Seiner göttlichen Fülle. – Einer Jungfrau ward die endlose Gnade zuteil: Sie hat vom Herrn empfangen und hat geboren ein Kind aller Kinder, einen Menschen aller Menschen und einen Gott aller Götter! – Sehet, das wollen wir euch zeigen, und aus diesem Grunde lasset euch anrühren von uns! Und die Weisen sprachen: Es sei denn, wie ihr wollet; aber zuvor saget uns, wer ihr seid?
[GS.02_015,17] Und der eine aus den drei Erschienenen sagte: Habt ihr je etwas gehört, wie es war im Anfange der Welt? Sehet, ein Leib ward mir gegeben von Gott, den trug ich neunhundertunddreißig Jahre und ward also geschaffen der erste Mensch dieser Erde; mein Name war Adam, der Erstling Gottes auf dieser Erde. Nach diesen Worten ließ sich der Älteste von dem Geiste Adams anrühren, und als der Geist den Ältesten anrührte, ward er sobald unsichtbar; aber der Älteste war erfüllt von dem Geiste Adams.
[GS.02_015,18] Und auf dieselbe Weise geschah es mit den beiden anderen, und sie wurden erfüllt, der Ältere mit dem Geiste Kains und der Jüngere mit dem Geiste Abrahams, ohne jedoch dabei von ihrer eigentümlichen Individualität nur im geringsten etwas zu verlieren. Aber im Augenblicke dieser Handlung erkannten sie die große Bedeutung dieses Sternes und die Worte der Prophezeiung, welche geschah, wie schon gesagt wurde, zu der Zeit der großen Königin dieses Landes.
[GS.02_015,19] Daher machten sie sich auch sobald auf den Weg von ihrem Beobachtungsplatze, rüsteten ihre Kamele aus und geboten ihren Knechten, einzukaufen Myrrhen, Gold und Weihrauch. Denn solches war im selben Lande die gebräuchliche Opferung einem neugeborenen Könige; Myrrhen dem Kinde, Gold dem Könige, welcher bei ihnen hieß Mensch der Menschen, wie ein solches königliches Kind ein Kind der Kinder, und Weihrauch opferte man dem Könige ebenfalls, weil der König als gesalbter Machthaber der Gottheit auf Erden angesehen ward. – Als solches alles herbeigeschafft worden war, da wurde auch sogleich die Reise angetreten. Der Stern war der Wegweiser, und die drei Geister waren die inneren Führer unserer bekannten drei Weisen aus dem Morgenlande.
[GS.02_015,20] Sehet, in dieser Darstellung habt ihr euere Kunde enthülset und dennoch auch zugleich die innere Wahrheit mit, daß in eben diesen drei Weisen Adam, Kain und Abraham gegenwärtig waren. Abraham, der sich gar lange schon auf diesen Tag in seinem Geiste gefreut hat, daß er ihn sehen möchte, wie es der Herr Selbst von ihm aussagte, hat ihn auch wirklich gesehen leiblich durch die Weisen, geistig in sich und himmlisch in dem erschauten Kinde der Kinder, Menschen der Menschen und Gott der Götter! –
[GS.02_015,21] Aus dieser Darstellung aber könnet ihr auch zur Genüge ersehen, wie die wahre Astrologie beschaffen sein solle. Wir haben ebenfalls einen Stern erschaut von ganz ungewöhnlicher Art in uns oder am Firmamente unseres Geistes. Sind wir rechte Astrologen, so werden wir auch sicher mit der leichtesten Mühe unser letztes Viertelchen finden und werden gar wohl erkennen, wo hinaus es so ganz eigentlich mit unserem Sterne will.
[GS.02_015,22] Es ist wahr, es liegen noch Milliarden und Milliarden von Sternen und Welten in euch; aber aus diesen Milliarden hat sich einer nur gelöst. Dieser steht vor uns und liegt unter unsern Füßen gleichwie ein herrliches himmlisches Vaterland; aber wir fragen: Wo stehst du, herrliche Welt, in deiner großen Wirklichkeit? Aus welcher Gegend der weiten Himmel traf dein mächtiger Strahl dein Ebenbild in uns und stellte es hinaus, einen herrlichen Abglanz aus dir? Doch wir wissen nicht, woher dein Strahl kam!
[GS.02_015,23] O Freunde und Brüder! Es klingt sonderbar solch ein Fragen, wenn man das Werk unter seinen Füßen hat. Habt ihr nie etwas gelesen von einer großen Burg der Geister wie von einer Burg der Seelen? Sehet, darin liegen kleine Andeutungen von einer großen geheimen Wahrheit, die aber bis jetzt noch unentdeckt geblieben ist. Ich aber sage euch: Was zum Herrn will, muß auch den Weg zum Herrn gehen. Ich sage euch noch gar gewichtig hinzu: Freuet euch hoch, denn der Herr hat aus Milliarden den Staub, die Erde, erkoren; sie ist die Geburtsstätte der Geister, welche zum Herrn wollen, aus allen endlosen Gebieten der Schöpfung geworden! –
[GS.02_015,24] Nun haben wir nicht mehr weit, sehet an diese Welt, die nun unter euren Füßen ist, ein altes Vaterhaus eures Geistes! Große Pracht treffet ihr hier, und solche Prachtliebe habt ihr auf die Erde mitgenommen. Aber der Herr mag die Pracht nicht, darum hat Er die Erde gedemütigt. – Wisset ihr jetzt noch nicht, wo hinaus es mit unserer Welt will? Ja, ich sehe schon, ihr könnet die Astrologie noch nicht recht verdauen. Ich werde euch aber nun auf etwas aufmerksam machen.
[GS.02_015,25] Es war zu allen Zeiten und bei allen Völkern gebräuchlich, daß sie sagten und auch hier und da ganz fest glaubten, dieser oder jener sei „ihr Stern“. Buchstäblich genommen hätte es freilich wenig Grund, aber geistig genommen hat es einen desto tüchtigeren; denn woher irgendein Geist ist, von dorther hat er auch seine Liebe. Nun aber sind all die Myriaden Gestirne entweder Vor- oder Nach-Wohnstätten der Geister. Wenn solches der Fall, so ist es auch sicher klar, daß eines jeden Erdmenschen Geist aus einem Sterne als Vorwohnorte her ist; und dieser Stern ist der erste, der bei der inneren Beschauung auch sicher zuerst auftaucht.
[GS.02_015,26] Nun dürfet ihr einmal den gestirnten Himmel mustern und den wohlgefälligsten Stern betrachten; der euch am behaglichsten anstrahlen wird, bei dem bleibet. – Sehet, das wird der entsprechende sein, durch welchen dieser geweckt wurde.
[GS.02_015,27] Darin liegt aber auch der Unterschied zwischen den Kindern der Welt, welche da sind von unten her und sind Kinder der Erde, und zwischen den Kindern des Lichtes, welche sind von oben her und sind Kinder der Sonnen oder Kinder des Lichtes und demnach berufen, als Knechte so oder so gleich dem Herrn zu dienen und zu leuchten den Kindern der Welt, damit auch diese würden gewonnen zu Kindern des Lichtes und wahrhaftigen Erben des ewigen Lebens, welches der Herr bereitet allen Seinen geschaffenen Geistern von Ewigkeit her, indem Er für sie gemacht hat im unendlichen Schöpfungsgebiete zahllose Schulen zur Gewinnung der Freiheit des Lebens und hat ihnen selbst gesetzt auf dieser Erde ein heiliges Ziel in Seinem Kreuze, damit sie alle würden wahrhaftige Kinder Seiner Liebe und allerseligste Erben Seiner Erbarmung und Gnade!
[GS.02_015,28] Ich meine, das vierte Viertel ist uns hoffentlich bekannt. Wenn wir uns aber auf dieser Welt erst ein wenig werden umgeschaut haben, da wird uns schon noch wie von selbst so manches Geheimnis klar werden, davon euch und aller Welt bisher noch eben nicht zuviel geträumt haben möchte.
[GS.02_015,29] Es hat aber der Herr nach Seiner Auferstehung noch gar vieles mit uns, Seinen Erwählten, gesprochen, welches nicht aufgezeichnet ward; und wäre es auch aufgezeichnet worden, so hätte die Welt die Bücher vor der Menge und vor der Größe und Tiefe des Inhaltes nicht fassen können. Hier aber wird euch so manches davon kundgetan; daher möget ihr wohl aufmerksamen Geistes sein, um in euch zu fassen das große Geheimnis des Lebens und die innere große Weisheit des Geistes! – (Joh.20,30.31. und Joh.21,25.)
16. Kapitel – Zweierlei Menschen – Geschöpfe und Kinder. Vorbedingungen zur Gotteskindschaft.
[GS.02_016,01] Wir wollen nun einen weiteren Versuch machen und wollen uns auch diese menschlichen Wesen hier ein wenig näher vertraut machen, um daraus zu entnehmen, wessen Geistes Kinder sie sind, und auf welcher Stufe innerer Geistesverwandtschaft wir mit ihnen stehen. – Sehet die Formen dieser Menschen ein wenig näher an, und ihr werdet gar bald daraus ersehen, daß eben diese Menschen ihrer Form nach mit euch eine sehr bedeutende Ähnlichkeit haben. Solche Beobachtung gibt uns einen bedeutenden Wink, daß sie dem geistigen Vermögen nach euch so ziemlich ähnlich sein müssen, weil ihre äußeren Formen solches, wenn schon etwas oberflächlich, kundgeben.
[GS.02_016,02] Wie aber ihre innere geistige Beschaffenheit, als da ist ihre Liebe und ihre Begierde wie auch ihr Verständnis, näher und klarer beschaulich aussieht, das wollen wir aus ihren Gesprächen abnehmen; denn wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Und der Herr hat in eines jeden Menschen Herz den Trieb gelegt, demzufolge er nie mit dem so ganz zufrieden ist, was er hat, sondern fortwährend nach etwas Höherem trachtet. Dieser Trieb hat, wie alles, zwei Seiten, eine Licht- und eine Schattenseite. In der Schattenseite ist der Mensch blind, und das Höhere, das er verlangt, ist niedriger, als was er hat. Aber in der Lichtseite dieses Triebes verabscheut der Mensch alles Gegebene und will durchaus nur das Allerhöchste, nämlich nichts mehr und nichts weniger als den Herrn Selbst!
[GS.02_016,03] Und so denn werden wir auch sogleich vernehmen, wie diese Menschen hier durchaus nicht zufrieden sind mit dem, was ihrer ist. Die unbeschreibliche Pracht ihrer Wohnung, dieses Gartens wie auch dieser ganzen Welt, um deren Besitz eure Erdenkönige tausend Jahre Krieg führen würden, sehen diese Menschen mit keinen anderen Augen an, als mit welchen ihr da ansehet auf eurer Erde eine allergemeinste Land-Wohnhütte. Sie haben daher fortwährend größeres Verlangen nach etwas Erhabenerem, Großartigerem und bei weitem Würdigerem. Wir aber wollen sie doch selbst ein wenig behorchen, um daraus zu entnehmen, was für Triebe in ihrem Geiste walten.
[GS.02_016,04] Sehet, da vor uns befindet sich ein ehrwürdiger Greis, der soeben bei der Gelegenheit, da das Opferholz auf dem Altare von selbst ist brennend geworden, eine Rede an die Bewohner dieses Palastes halten wird; denn eine solche Erscheinung gilt den Bewohnern dieser Welt als ein heimliches Wahrzeichen, aus welchem sie entnehmen, daß der Herr ihren Wünschen nachkommen will. – Und so höret denn! Er spricht:
[GS.02_016,05] Ihr alle, die ihr dieses mein Stammhaus bewohnet, seid Zeugen, daß auf unser Rufen eine heilige Flamme über den Altar gekommen ist, um zu verzehren das wohlduftende Opfer. Gar viele, die auf dieser Welt leben, beachten solches nicht und halten es nur für Trug und Täuschung der Sinne. Wir Bewohner unseres Hauses aber sind der alten Offenbarung getreu, in welcher gesagt wird, daß Gott, unser Herr, ein einiger Gott ist, der da gemacht hat diese Welt für uns zur Bewohnung und hat uns den freien Willen gegeben, entweder selig zu verbleiben auf dieser Welt im Geiste fürder und fürder oder sich zu erheben von dieser Welt in irgendeine andere, allda Er ewig zu Hause ist unter Seinen Kindern.
[GS.02_016,06] Wer aus euch, demnach die große Lust und Sehnsucht hat, den Weg dahin anzutreten, der mag sich nun an den Herrn wenden, da Er Sein Ohr zu uns gewendet hat, damit der Herr ihn umwandle und ihn setze auf die Welt, da Er selbst unter Seinen Kindern zu Hause ist.
[GS.02_016,07] Ihr wisset, daß der Herr, unser einiger Gott, zweierlei Wesen gestaltet hat, die sich selbst frei bestimmen können. Die erste Art sind wir Geschöpfe, begabt mit freiem Willen und einem verständigen Gemüte, auf daß wir selbsttätig sein möchten zu unserer Freude und zu unserer großen Wohlfahrt. Aber diesen Seinen Geschöpfen hat der Herr nur diese Welt leiblich wie geistig zur Wohnung eingeräumt für bleibend.
[GS.02_016,08] Dieses angenehme Los zu erreichen ist überaus leicht, denn wer da glaubt, daß der Herr ist ein einiger Gott Himmels und aller Welt, die wir betreten mit unseren Füßen, und gibt aus diesem Gedanken heraus dem Herrn der Herrlichkeit die Ehre durch Opfer und Anbetung auf die Art, wie desgleichen üblich ist auf dieser ganzen Welt, insoweit wir sie kennen, der hat sich, wie ihr alle wißt, dieses angenehmen Loses würdig gemacht. Die Umwandlung wird geschehen, wie uns allen bekannt ist, auf die höchst angenehme und wohltuende Art, auf welche überaus sich zu freuen ein jeder Bewohner dieser Welt das vollste Recht hat.
[GS.02_016,09] Wenn wir aber die zweite Art der Geschöpfe betrachten, deren freilich wohl viel weniger sein dürften, so finden wir an ihnen laut der Offenbarung, daß sie nicht nur Geschöpfe wie wir, sondern wahrhaftige Kinder des einigen Gottes sind. Diese Kinder sind in aller Machtvollkommenheit Gottes, und ihre Seligkeit ist gleich der Seligkeit Gottes; denn sie haben alles, was Gott hat, Sie tun alles, was Gott tut, und Gott tut, was sie tun!
[GS.02_016,10] Ihnen ist Gott nicht mehr ein Gott also, wie Er uns ist – ein ewig unzugänglicher, den nie ein Auge schauen kann, das da ist ein Auge dieser Welt; sondern ihnen ist Er ein wahrhaftiger Vater, der allzeit unter ihnen ist, sie führet und leitet und spricht mit ihnen wie ich mit euch und sorget für sie, bauet für sie und kocht für sie, daß sie ewig keine Sorge haben dürfen, und sie sind in ihrer Vollendung dann vollkommene Herren wie ihr allmächtiger Vater über die ganze Unendlichkeit und freuen sich ihrer unendlichen Machtvollkommenheit, die ihnen ist aus ihrem Vater!
[GS.02_016,11] Solch ein Los ist freilich wohl ganz etwas anderes als das unsrige; ja es ist gegen das unsrige unter gar keinem Verhältnisse mehr aussprechlich.
[GS.02_016,12] Sind wir Geschöpfe dieser Welt aber für ewig ausgeschlossen, dieses unaussprechliche Los auch zu erlangen? Was spricht darüber die Offenbarung, die wir dereinst in der Urzeit der Zeiten von einem mächtigen Geiste bekommen haben für alle Zeiten dieser Welt?
[GS.02_016,13] Also lautet sie mit kurzen Worten: Einen Altar erbauet euch in eurer Wohnung, und dieser Altar sei allzeit belegt mit wohlduftendem Holze übers Kreuz und über die Quere. So jemand den einen Gott erkannt hat in seinem Glauben, der frage sein Herz, ob es entzündbar ist, so wird die Flamme des Herzens das Holz am Altare ergreifen und es verzehren unter hellen Flammen. In diesen Flammen wird der im Herzen Entzündete lesen die großen, heiligen, aber überschweren Bedingungen, durch welche er zu einem Kinde Gottes werden kann.
[GS.02_016,14] Nun sage ich euch: Welcher aus euch, meinen Hausgenossen und Kindern, die Bedingungen in der Flamme lesen mag, der trete herbei und lese! Hat jemand die überschweren Bedingungen genehm gefunden, der lege – nach der Offenbarung – seine Hand an den Altar, und Gott der Allmächtige wird seinen Geist nehmen, ihn führen auf jene Welt, da Er wohnt, und wird den Geist zu einem neuen Menschen gestalten, der zwar nur auf eine kurze Zeit einen sterblichen, schmerzhaften Leib wird herumschleppen müssen und wird sich müssen in diesem Leibe bis zum Tode demütigen. Und wenn er schon wird durch und durch gedemütiget sein, dann noch wird er sich müssen schmerzhaft töten lassen, um aus dem Tode erst dann zu erstehen zu einem wahren Kinde Gottes! –
[GS.02_016,15] Nun sehet, es tritt ein Mann aus der Mitte der ganzen bedeutenden Menge und liest aus der Flamme folgende Bedingung: Unzufriedener mit deinem seligen Lose! Was willst du? Wohin willst du? – Du kennst bis jetzt keine Leiden, und nie hat ein Schmerz dein Wesen berührt. Der Tod ist dir fremd, und noch nie hat eine schwere Bürde deinen Nacken berührt. Bleibst du auf dieser Welt nach der ewigen Ordnung Gottes, so kannst du ewig nie fallen, verdorben werden und zugrunde gehen. Was dein Herz wünscht und fühlt, hast du und wirst es allzeit haben.
[GS.02_016,16] Bist du aber mit dem nicht zufrieden und willst dahin ziehen, da die Kinder Gottes gezeugt werden, so wisse, daß dich Gott, dein Herr, mächtig durch allerlei große Leiden, Schmerzen und Trübsale wird bis auf den letzten Lebenstropfen durchprüfen lassen, bevor du durch den Tod umwandelt wirst zu einem Kinde! Wehe dir aber, wenn du die Prüfung nicht bestanden hast; da wirst du für die Eitelkeit dieser deiner Bestrebung ewig im Zornfeuer der Gottheit büßen müssen, und es wird mit dir nimmer besser, sondern stets ärger und qualvoller dein ewiger Zustand!
[GS.02_016,17] Du wirst aber auf dieser Welt, da die Kinder Gottes gezeugt werden, mit der vollkommensten Blindheit geschlagen sein, und nichts wird dir von allem dem, was du nun hier erfährst, zum Behufe deiner ferneren Führung im Bewußtsein übrigbleiben; denn du wirst da genötigt sein, ein ganz neues, mühevolles und beschwerliches Leben zu beginnen. Nichts wird dir somit bleiben als allein für deine größte Gefahr die Begierde des Lebens dieser Welt.
[GS.02_016,18] Du wirst dich nach allen ähnlichen Vollkommenheiten und Herrlichkeiten sehnen, große Anlagen und Fähigkeiten des Geistes wirst du klar gewahren müssen; aber in deinem schweren, mühseligen Leibe wirst du keine ausführen können. Und wenn du aber dennoch alldort Mittel finden wirst, so manches, wenn schon unvollkommenst, ins weltliche Werk zu setzen, darnach dein Geist seinem übriggebliebenen Triebe nach sich sehnen wird, so wirst du dich dadurch schon versündigen vor Gott; und wirst du davon nicht abstehen, so wird eine ewige Verdammnis ins ewige Zornfeuer Gottes dein Los sein!
[GS.02_016,19] Hier ist dein von Gott aus, was du hast; dort auf jener Welt wirst du dir nicht einen Grashalm zueignen dürfen. Reichtum und große Pracht gehört hier zur Tugend, dort aber wird sie dir zum tödlichen Laster gerechnet werden. Hier darfst du wollen, und der Erdboden gehorcht deinem Winke; dort aber wirst du dir die Nahrung im schmerzlichen Schweiße des Angesichtes mühsamst selbst suchen und bereiten müssen.
[GS.02_016,20] Das sind die Bedingungen, die zu erfüllen deiner harren, so du dich zu einem Kinde Gottes aufschwingen willst. Es ist nicht unmöglich, daß du Gnade und Erbarmung bei Gott finden wirst, so du Ihn wirst lieben über alles und wirst sein wollen der Nichtigste und Geringste und wirst ertragen alle Leiden und Schmerzen mit großer Geduld und völligster Hingebung in den Willen Gottes; aber es ist viel leichter möglich, daß du fällst, als daß du erstehest. – Daher besinne dich und lege dann deine Hand auf den Altar, auf daß dir werde nach deinem Wollen!
[GS.02_016,21] Nun sehet, also verhält es sich mit der Sache. Wir wollen uns aber damit noch nicht begnügen, sondern diese Verhandlung noch ein wenig beobachten. Euch wird daraus gar bald in euch selbst ein gewaltiges Licht aufgehen, und ihr werdet das Wo, Woher und Wohin sehr klar zu begreifen anfangen. – –
17. Kapitel – Zentrum der Bedingungen – kannst du Gott lieben?
[GS.02_017,01] Unser Bewerber um die Kindschaft hat nun alles gelesen, was in der Flamme geschrieben stand, und richtet seine Blicke wieder an den Ältesten. Seine Frage ist sehr leicht zu erraten; ihr habt sie schon in euch. Daher braucht ihr sie nur herauszuholen, und wir werden sogleich unseren Bewerber um die Kindschaft also reden hören, wie ihr es in euch zuvor empfunden habt.
[GS.02_017,02] Die Bedingungen sind schwer, und unser Kindschaftsbewerber erschauert vor ihnen; daher fragt er denn auch den Ältesten und spricht: Ich habe gelesen die Forderungen Gottes in der Flamme Seines Eifers. Ich sehe daraus den Vorteil dieses Lebens und den großen Nachteil eines höheren, darum meine ich, es wird klüger sein zu bleiben, was man ist auf dieser unteren Stufe, als sich aufzuschwingen zu dem nahe Unerreichbaren.
[GS.02_017,03] Es mag freilich wohl für unsereinen etwas Undenkliches sein, sich als ein Gott in einem Kinde Gottes zu fühlen; ja etwas unbegreiflich Erhabenes muß es sein, mit einem Blicke in die unendlichen Tiefen der göttlichen Macht und Weisheit zu dringen. Ja etwas ganz unaussprechlich Seliges muß es sein, mit dem ewigen allmächtigen Schöpfer aller Ewigkeit und Unendlichkeit in einem stets sichtbaren allerliebfreundlichsten Verhältnisse zu stehen und in Gott dem Herrn ein Mitherr zu sein aller Unendlichkeit. Aber die Bedingungen, solche Größe zu erreichen, sind zu schauderhaft schwer und sind also gestellt, daß da sicher unter gar vielen Tausenden kaum einer den hohen Zweck seiner Unternehmung erreichen dürfte.
[GS.02_017,04] Daher habe ich mich wohl besonnen und werde vollkommen Verzicht leisten auf diese Unternehmung. Wer aber an meiner Statt solches wagen will, dem werde ich nicht in den Weg treten; aber ich werde ihm kundgeben, was ich gelesen habe in der Flamme.
[GS.02_017,05] Der ehemalige Bewerber um die Kindschaft hat seine Fragrede beendet und der Älteste holt soeben die Antwort aus uns, das heißt, er wird das sprechen, was in uns schon gesprochen ist.
[GS.02_017,06] Ihr könnet solches freilich wohl noch nicht klar vernehmen in euch; aber in der Ordnung des Herrn ist es schon einmal also eingerichtet, daß die Rede eines Menschen ein Produkt alles dessen ist, was da verborgen liegt in der Tiefe seines Lebens. Und wenn ein Mensch spricht, so wird er dazu gewisserart genötigt durch die innere Anregung, welche aus allem dem Entsprechenden hervorgeht, das da verborgen liegt in der Tiefe seines Lebens.
[GS.02_017,07] Da wir solches nun aus uns geholt haben, so wollen wir denn nun auch vernehmen, was der Älteste spricht. Höret, solche Laute entströmen seinem Munde, und solches ist ihr Sinn:
[GS.02_017,08] Mein Sohn! Du hast die große Wahrheit in der Flamme des göttlichen Eifers gelesen. Wahr ist alles bis auf ein Häkchen, und kein Zeichen kam umsonst in der wallenden Flamme zum Vorschein; aber ein Zeichen, das da in der Mitte der Flamme über der inwendigen Glut verborgen lag, hast du nicht gesehen.
[GS.02_017,09] Siehe, wenn du dieses Zeichen zu all dem Gelesenen hinzufügest, so wird dir alles in einem andern Lichte gezeigt werden.
[GS.02_017,10] Siehe, dieses aber war das Zeichen, das du übersehen hattest: In der Mitte der Glut, von allen Seiten mit der lebendigen Flamme umfaßt, stak ein Herz, und das Herz flammte, und dieses Flammen aus diesem Herzen bildete eben diejenigen Zeichen, die du gelesen hast. Liesest du diese Zeichen für sich, da sind sie schauerlich, überschauerlich; liesest du sie aber aus diesem Herzen, so sind sie gefüllt voll der seligsten Hoffnungen. Für sich allein sind sie ein Gericht, aus dem nirgends mehr ein freier Ausweg in ein besseres Leben zu erschauen ist; aus dem Herzen aber sind sie eine Erbarmung Gottes, in welcher niemand ewig je verlorengehen kann, wer sich einmal in dem Herzen befindet.
[GS.02_017,11] Siehe, mein Sohn, es kommt alles darauf an, ob du Gott lieben kannst oder nicht. Kannst du Gott lieben in aller Demut deines Herzens, so bist du in diesem Herzen; kannst du aber Gott nicht lieben, dann bist du nicht im Herzen, sondern im Gerichte. Und da ist es dann wohl besser, du bleibest hier im kleinen Gerichte selig, als daß du dich begeben möchtest zur Erstrebung der Kindschaft Gottes, aber dadurch dann gelangen in das große Gericht, von dem nach den Zeichen in der Flamme schwerlich je ein Ausweg zu finden sein wird.
[GS.02_017,12] Das sind die Verhältnisse in der Fülle der Wahrheit. Fürwahr, wir wissen es aus dem Munde der Engel Gottes, daß eben Gott keiner Welt so viel Gnade, Erbarmung und Liebe erzeiget und bezeuget hat, als eben derjenigen, allda Er für Sich zeugt und erziehet Seine Kinder. Denn Er Selbst hat alldort die Ordnung also eingerichtet, daß Er ihnen gleich ward zu einem Menschen und trug für Seine Kinder alle möglichen Beschwerden und wollte für sie aus unendlich großer Vaterliebe sogar Seinem Menschlich-Leiblichen nach getötet werden auf eine kurze Zeit durch die Hände Seiner eigenen Kinder!
[GS.02_017,13] Siehe, mein Sohn, solches alles ist uns wohlbekannt und ist richtig. Aber richtig ist es auch, daß der Herr unser Gott allda am meisten verlangen wird von Seinen Geschöpfen, zu handeln in Seiner Ordnung, allda Er für sie auch am allermeisten aus Seiner göttlichen Fülle gearbeitet hat. Nun weißt du alles, was da not tut, um einzugehen in das Reich der Kindschaft Gottes.
[GS.02_017,14] Daher magst du nun tun, was dir gut dünkt. Willst du die Bedingungen eingehen, so mußt du sie im Herzen eingehen, und du wirst nicht verloren sein. Denn solches wissen wir auch, daß der Herr eher eine ganze Schöpfung zerstören würde, ehe Er ein Kind als vollkommen verloren gäbe!
[GS.02_017,15] Wenn du demnach im Herzen bist, so wird der Herr sorgen für dich als ein allerwahrhaftigster Vater. Willst du aber ohne das Herz die Bedingungen auf dich nehmen, so wirst du nicht bestehen unter der Last der großen Prüfungen Gottes; denn für die, welche in Seinem Herzen sind, hat Er kein Gesetz gegeben, denn allein das, daß sie Ihn lieben stets mehr und mehr.
[GS.02_017,16] Welche aber außerhalb des Herzens sind, diese sind von Gesetzen über Gesetzen umlagert, welche schwer zu halten sind; und die Übertretung eines einzigen zieht schon im Augenblicke der Übertretung ein tödliches Gericht nach sich, in welchem es dann fortwährend schwerer und schwerer wird, die andere große Masse von Gesetzen zu halten. – Aus diesem kannst du nun mit voller Gewißheit beurteilen, was da erforderlich ist zur Erlangung der Kindschaft Gottes. Darnach handle denn auch; denn du bist frei!
[GS.02_017,17] Nun wollen wir denn wieder unseren Bewerber betrachten. Sehet, er bedenkt sich die Sache ganz ernstlich und spricht abermals zum Ältesten: Höre, du Vater dieses Hauses! Mir ist nun ein Gedanke gekommen, und der Gedanke lautet also: Wenn ich hier den ernstlichen Entschluß fasse, nicht ein Kind des Herrn zu werden, sondern nur ein unterster Diener der geringsten Seiner Kinder, bloß aus dem Grunde, um auf diese Weise ganz geheim liebend dem allmächtigen Herrn einmal in eine Ihn sehende Nähe zu gelangen, so meine ich, solches dürfte denn doch nicht gefehlt sein. Wird aber der Herr in der andern Welt dieses meines Grundsatzes eingedenk sein und mich in solche Verhältnisse stellen, in welchen ich diesen meinen Grundzweck erreichen könnte? Wenn das der Fall ist, so will ich meine Hand auf den Altar legen.
[GS.02_017,18] Der Alte spricht: Des kannst du vollends versichert sein; denn aus welchem Grunde da jemand zur Kindschaft des Herrn gelangen will, aus eben diesem Grunde wird der Herr ihn auch das werden lassen in jener Welt, durch was er erreichen kann, was da liegt im Grunde seines Lebens. Willst du der Geringste sein, da wird dich der Herr tragen auf Seinen Händen. Wer aber der Größte sein will, der wird den Herrn nicht zum Führer haben, sondern der Herr wird hinter ihm einhergehen und wird belauschen seine Schritte und Tritte, und wenn der Großseinwollende gelangen wird zu einem Abgrunde und er wird nicht frei umkehren, so wird ihn der Herr weder rufen, noch ziehen zurück vom Abgrunde, sondern ihm überlassen, entweder frei umzukehren oder sich frei hinabzustürzen in den ewigen Abgrund.
[GS.02_017,19] Du aber hast dir den demütigsten Grund gefaßt; dieser Grund wird dein Leben und die Erbarmung vom Herrn unwiderruflich erwirken, – und so denn kannst du getrost deine Hand auf den Altar legen!
[GS.02_017,20] Sehet nun, der Bewerber spricht: Herr, Du Allmächtiger in Deiner Liebe, Gnade und Erbarmung! Aus keinem andern Grunde, denn aus der reinen Liebe nur will ich zu Dir! daher verlaß mich nicht in der Zeit meiner Schwäche, und sei du allein all meine Kraft und Stärke! In welcher Gestalt immer ich in der neuen Welt auftreten werde, sei Deine Liebe mir das alleinige, ewige, mächtige Vorbild meines Lebens, nach welchem ich trachten will aus all meiner von Dir verliehenen eigenen Lebenskraft. Verhülle mir ganz, was ich hier war und hier hatte, damit ich desto leichter erstrebe alle Niedrigkeit in meiner großen Liebe zu Dir; aber den Grund laß allzeit auftauchen in mir, auf daß ich stets kräftiger werde in der Liebe zu Dir! – Und so denn übergebe ich mich, o Herr, Deiner unendlichen Liebe, Erbarmung und Gnade!
[GS.02_017,21] Sehet, hier legt der Bewerber seine Hand auf den Altar. Die mächtige Flamme ergreift ihn und im Augenblicke ist er nicht mehr unter den Bewohnern dieses Hauses.
[GS.02_017,22] Wo ist er denn nun hin? Sehet, in diesem Augenblicke ist er schon in die Seele einer leiblichen Mutter gelegt, die da empfangen hatte, und wird ausgeboren zu einem männlichen Kinde. Solches nimmt euch wohl ein wenig wunder; ich aber sage euch: Ist es denn weniger wunderbar, daß die Geister eurer Sonne sichtbar vor euren Augen ausgeboren werden von den Pflanzen eures Erdkörpers, wie in den nachfolgenden Tiergattungen mannigfachster Art? Solches seht ihr doch täglich und wundert euch wenig darüber, und doch ist dieser Prozeß viel verwickelter, größer und langwieriger, denn dieser der Übersiedlung eines Geistes. Denn bei der Übertragung der Sonnengeister handelt es sich um die Entwicklung eures Leibes und eurer Seele, welches alles wie ein tausendmal tausendfach Zusammengesetztes erscheint; hier aber, d.h. von dieser Sonnenwelt, die eine Zentralsonnenwelt ist, handelt es sich um die fertige Übersiedlung eines Geistes, welcher in dem neuen Leibe seines Grundes zufolge nichts anderes zu tun hat, als in seiner Liebe eins zu werden mit der lebendigen Seele in der Liebe zum Herrn.
[GS.02_017,23] Und diese Einung ist die erlangte Kindschaft des Herrn, aus welcher hervorgeht ein neues Geschöpf, erstaunlich allen Himmeln; denn es ist ein Geschöpf aus der Ehe der Himmel und ein Geschöpf der Erlösung des Herrn, und dieses Geschöpf ist groß vor dem Herrn, und ist ein Kind des ewigen heiligen Vaters! – Sehet, das ist das nun enthüllte große Geheimnis der Menschwerdung auf der Erde. Daher seid auch ihr. Aber nicht alle Menschen der Erde haben von da her ihren geistigen Ursprung, denn es gibt noch gar viele solche Geistersonnen im endlosen Schöpfungsraume. – Wir wollen uns aber noch zuvor in dieser näher umsehen, ehe wir in eine andre übergehen werden. –
18. Kapitel – Des Geistes Willenskraft, vereint mit dem Herrn, wirkt Wunder.
[GS.02_018,01] Wir haben hier nichts mehr zu tun, somit können wir uns auf unserer Welt wieder weiterbewegen; denn wenn man nur einmal eine Welt hat, also eine gute Unterlage, so kann man dann auf derselben herumgehen, wie man will, und allerlei gute Erfahrungen machen.
[GS.02_018,02] Wohin aber sollen wir uns nun begeben? Hier will ich nicht sagen: Dahin oder dorthin, sondern auch solches sollet ihr bestimmen. Aber auf eines muß ich euch aufmerksam machen, und das ist, daß ihr eine einmal gefaßte Bestimmung, hier- oder dorthin zu gehen, festhalten müsset, und es muß beim ersten Gedanken bleiben. Denn hier kommt es nicht darauf an, daß jemand sagen möchte: Ich weiß nicht recht und bin zweifelhaft, ob ich mich links oder rechts wenden solle, da bei solchen Zweifeln diese Welt, die ihr betretet, sobald wieder vor euch verschwinden würde. Daher muß ein jeder Gedanke festgehalten werden und kein zweiter den ersten verdrängen. Im Geiste ist das durchgehends der Fall; denn wer da nicht fest ist, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes. Also wie der Herr Selbst spricht: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurücksieht, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.“
[GS.02_018,03] Das will aber mit anderen Worten für unseren gegenwärtigen rein geistigen Zustand nichts anderes gesagt haben, als daß man im Geiste bei gar keiner Gelegenheit sich wankelhaft benehmen solle. Der erste Gedanke muß auch der erste Entschluß und die erste vollkommene Festigkeit sein; denn wäre im Geiste solches nicht der Fall, so stünde es schon lange gar schlecht mit aller Schöpfung.
[GS.02_018,04] Nehmet ihr nur an, ein allergeringster Wankelmut im Geiste Gottes, ein augenblickliches Zurückziehen Seines unbestechlichsten festesten Willens, würde auch sogleich eine augenblickliche Vernichtung aller Dinge nach sich ziehen.
[GS.02_018,05] Ihr saget zwar: Solches kann man sich freilich wohl gar leicht vom Geiste Gottes denken; ob aber für die Erhaltung der Dinge auch eine gleiche Festigkeit von seiten anderer Ihm nahestehender Geister vonnöten ist, das ist nicht so klar.
[GS.02_018,06] Ich sage euch aber: Es ist eines so klar wie das andere. Aus eben diesem Grunde kann nichts Unreines in das Reich Gottes eingehen; denn die Himmel sind das Zentralregiment des Herrn. Sie sind in ihrer Art vollkommen eins mit dem Willen des Herrn; und würde jemand in den Himmel gelangen, der da nicht eins wäre mit dem Willen des Herrn vollkommen, so würden dieses sobald alle Schöpfungsgebiete wahrnehmen. Denn solches würde allerlei Unordnung in der Schöpfung hervorrufen, und tausend der grimmigsten Höllen würden in all ihrer freien Wut nicht einen solchen Schaden anrichten als ein einziger unordentlicher Geist im Reiche Gottes!
[GS.02_018,07] Solange ihr unter der Führung anderer Geister bloß passive Betrachter der geistigen Verhältnisse waret, so lange konntet ihr freilich wohl mit euren Gedanken wechseln, wie ihr wolltet; und es blieb dennoch alles, wie ihr zu sagen pflegt, beim alten. – Jetzt aber seid ihr aktive Betrachter der geistigen Verhältnisse, d.h. ihr betrachtet nicht Dinge, die in meiner Sphäre sind, also nicht auf meinem Grund und Boden, sondern ihr betrachtet nun selbst als Geister Dinge eurer Sphäre. Ihr waret früher Gäste eines andern Bruders und durftet euch nicht entfernen von ihm, wolltet ihr genießen in Seinem Hause; jetzt aber bin ich euer Gast, und ihr könntet mich herumführen, wo ihr wolltet.
[GS.02_018,08] Aber, wie gesagt, es kommt darauf an, daß ihr eure Gedanken fest haltet, also eure Schöpfung fixieret; sonst stehen wir alle drei sogleich wieder in unserem früheren Dunste.
[GS.02_018,09] Als euch ehedem mein Bruder herumgeführt hat in seiner Sphäre, da mußte er ebenfalls seine Schöpfung festhalten; sonst hättet ihr gar wenig zu sehen bekommen. Dieses aber ist dem reinen vollkommenen Geiste ein leichtes, weil er seine Willenskraft vollkommen aus dem Herrn hat. Ihr habt euren Willen zwar auch aus dem Herrn, aber er ist noch nicht fest und vollkommen genug, um ihn gleich den vollkommenen Geistern allenthalben fixieren zu können. Darum aber sagte ich euch nun auch dieses, damit ihr wisset, wie man im Geiste lebt und den Schatz der Kraft seines Geistes erhält.
[GS.02_018,10] Wenn jemand auf dem Erdkörper lebt und will sein Eigentum erhalten, so muß man es wohl verwahren, damit nicht Diebe und Räuber es verderben und wegnehmen, was man besitzt. – Hier ist es eben also; Diebe und Räuber sind wankelmütige, begierliche Gedanken im Geiste. Wer diesen nicht alsogleich feste Schutzmauern setzt, der verliert bald gar leicht das schöne Eigentum seines Geistes.
[GS.02_018,11] Also sagte auch der Herr: „Wer da hat, dem wirds gegeben, daß er in der Fülle haben wird; wer aber nicht hat, dem wird genommen, was er hat, oder er wird das, was er hat, verlieren.“ – Was ist aber, das jemandem genommen werden kann, das er nicht hat, und jemandem gegeben werden, das er hat, um es dann zu besitzen in der Fülle? – Es ist des Geistes vereinte Willenskraft in dem Herrn! Wer sie hat, der wird dadurch endlose Reichtümer finden in seinem Geiste und dann im Besitze der Kraft und der Güter sein, und das ist ein Besitz in der Fülle.
[GS.02_018,12] Wer aber diese mit dem Herrn vereinte Willenskraft im Geiste nicht hat, was wird dessen Los wohl sein, da es hier für niemand einen andern Besitz gibt, als den höchst eigenen aus sich? Ich sage euch: Das Los eines solchen Geistes wird kein anderes sein als die entweder plötzliche oder sukzessive Verarmung; denn so jemand von euch einen Rock haben will, ist aber selbst kein Schneider, so muß er zu einem Schneider gehen, damit ihm dieser einen Rock mache. Wenn es aber keinen Schneider gäbe, oder wenn man aus einem Orte alle Schneider vertriebe und auch niemand sich selbst einen Rock machen könnte, so dürfte es doch ein wenig künstlich hergehen, um zu einem Rocke zu gelangen.
[GS.02_018,13] Seht, also ist es auch hier der Fall; der Herr schuf den Menschen nach Seinem Ebenbilde und hat ihn mit werktätig schöpferischer Kraft ausgerüstet. Diese aber hat Er nur wie ein Samenkorn in ihn gelegt. – Ihr saget aber selbst schon und wißt es aus der Schrift, da es heißt: „Und die Werke folgen ihnen nach.“
[GS.02_018,14] Wenn also, so kann ein unfester, kraft- und werkloser Geist, der sich nie in irgendeiner Festigkeit versucht hatte, ja doch im reinen Geisterreiche unmöglich anders als ganz leer ankommen. Wie vieles aber daran liegt, daß der Mensch festen, unwankelhaften Geistes sei, zeigt der Herr bei verschiedenen Gelegenheiten.
[GS.02_018,15] Er begünstigt Petrum wegen der Festigkeit seines Glaubens; wieder heißt Er den einen klugen Mann, der auf einen Felsen baut, wieder spricht Er von Johannes dem Täufer, daß er kein Rohr ist, das von dem Winde hin und her bewegt wird. Gar oft spricht Er: „Es geschehe dir nach deinem Glauben; dein Glaube hat dir geholfen!“ – Also spricht Er auch offenbarlich aus, indem Er sagt: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“, wodurch Er ebenfalls sagen will, daß sie, nämlich zu denen Er gesprochen hat, einen Gott gleich festen Willen haben und sich durch nichts aus der festen Richtung ihres Geistes bringen lassen sollten. Also preiset Er auch die Macht des festen Geistes mit folgenden Worten an:
[GS.02_018,16] „So ihr Glauben hättet wie ein Senfkörnlein groß, so könntet ihr zu diesem Berge sprechen: Hebe dich von hinnen und stürze ins Meer! – Es wird geschehen nach eurem Glauben.“
[GS.02_018,17] Aus diesen wenigen angeführten Texten, dergleichen es noch eine Menge gibt, könnet ihr aber auch schon hinreichend klar entnehmen, worauf es vorzugsweise im Reiche der Geister ankommt.
[GS.02_018,18] Ich sage euch aber noch hinzu, was euch vielleicht etwas sonderbar vorkommen wird, und dennoch ist es die unbestechlichste Wahrheit. Wenn die Menschen auf der Erde wüßten, worauf es ankommt, um in ihrem Wollen etwas zu effektuieren, so würde gar manches Wunderbare geschehen; aber die Menschen wissen zum größten Teile ja kaum, daß sie einen Geist haben, weil dieser bei ihnen schon lange von ihrer Materie aufgesogen worden ist. Woher sollen sie es dann wissen, was in ihrem Geiste liegt?
[GS.02_018,19] Euch aber, die ihr nun den Geist schon ein wenig habt kennengelernt, kann ich es nun schon ein wenig kundgeben, worauf es hauptsächlich ankommt, um eben aus dem Geiste mächtig, unfehlbar, bestimmt und wahrhaft wunderbar zu wirken.
[GS.02_018,20] Worauf kommt es denn eigentlich an? – Höret, ich will euch dafür ein kleines Rezeptchen geben. Nehmet davon alle Morgen und Abende einen guten Eßlöffel voll ein, und ihr werdet euch überzeugen, daß dieses Rezept ein wahrhaftiges Wunder-Arkanum ist.
[GS.02_018,21] Die erste Spezies besteht darin, daß man sich gleich nach dem Erwachen mit dem Herrn durch die Liebe in Seinem Willen vereint; solches muß auch abends geschehen. – Wenn dann jemand etwas möchte, so habe er acht auf den ersten Gedanken; das ist die zweite Spezies. Diesen halte er nun augenblicklich fest und vertausche ihn um alle Weltreichtümer nicht mehr mit einer zweiten.
[GS.02_018,22] Hat er solches getan, dann bitte er den Herrn, daß Er Sich möchte mit Seiner unendlichen Stärke vereinen mit der Schwäche des eigenen Willens, erfasse den Herrn dabei abermals mit seiner Liebe, – das ist die dritte Spezies. Ist solches in aller wankellosen Festigkeit geschehen, dann geselle er zu diesen drei Spezies noch eine vierte hinzu, und das ist der fixiert feste Glaube.
[GS.02_018,23] Wenn diese vier Spezies beisammen sind vollkommen, so ist die Wundermedizin auch schon fertig.
[GS.02_018,24] Wer es nicht glauben will, der wird in sich wohl schwerlich die Probe ausführen können; wer es aber glaubt, der gehe hin und tue desgleichen, und er wird sich überzeugen von der vereinten Kraft des Herrn in seinem Geiste. – Dieses Geheimnis mußte ich euch hier mitteilen, weil es hier am rechten Platze ist.
[GS.02_018,25] Ihr wisset demnach nun auch, was ihr hier auf dieser unserer Welt zu tun habt, damit wir weiterkommen; ein Gedanke, eine feste Bestimmung, und wir werden den Ort vor uns haben, dahin wir wollen.
[GS.02_018,26] Dieses Geheimnis aber, das ich euch nun kundgegeben habe, gilt für alle naturmäßige wie für alle geistige Welt; denn es ist ganz dasselbe, welches der Herr und alle Seine Apostel und Jünger gelehrt hat, und zwar bei der Gelegenheit, da Er sagte: „Ohne Mich könnt ihr nichts tun; mit Mir aber, versteht sich von selbst, alles!“
[GS.02_018,27] Und weiter, da Er sagte: „Um was ihr immer den Vater in Meinem Namen bitten werdet, das wird Er euch geben.“ – Hier hat der Herr in der Bitte keine Ausnahme gesetzt, indem Er sagte: „um was immer.“
[GS.02_018,28] Also zeigte Er auch: Wenn zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind, so wird Er mitten unter ihnen sein; und um was sie da bitten werden, wird ihnen gegeben. – Der Verfolg dieser Weltbereisung wird jedoch, wie schon bemerkt, euch noch so manches verborgene Geheimnis lichten. Der neue Ort aber steht schon vor uns; also wollen wir ihm uns nahen! –
19. Kapitel – Ein neuer Ort – Herrlicher Prachtbau auf einer Anhöhe.
[GS.02_019,01] Ich sollte euch zwar fragen, wie euch dieser neue Ort gefällt. Allein, da ich nun auf eurem Grund und Boden mit euch einhergehe, so kann ich solches aus der guten Ordnung der Dinge nicht wohl tun, indem doch der Fremdling, so er zu einem Hausbesitzer kommt, denselben nicht fragen kann, wie ihm sein Eigentum gefalle; wohl aber kann der Hausbesitzer solch eine Frage an den Fremdling stellen. Doch ihr möget mich hier noch nicht fragen um solches, da ihr selbst noch stark Fremdlinge in eurem Eigentume seid; daher muß ich denn doch die Ordnung umkehren und euch die Frage geben, die ihr eigentlich mir geben solltet.
[GS.02_019,02] Dies wäre einerseits wohl gut; aber ich sehe einen anderen Haken, und dieser besteht in der noch sehr mangelhaften geistigen Beschauung in euch, deretwegen ihr auf meine Frage eben nicht die ersprießliche Antwort zuwege bringen dürftet. – Was wird denn da wohl zu tun sein? Wir wollen gleich einen Mittelweg finden, auf welchem wir uns darüber verständigen werden, und dieser Weg wird darin bestehen, daß wir die Frage ganz weglassen und sodann zu einer beschaulichen Erörterung übergehen.
[GS.02_019,03] Nun sehet denn, dieser neue Ort ist fürwahr noch um bedeutendes herrlicher als es der erste war. Auf einer ziemlichen Berghöhe steht ein überaus prachtvolles Gebäude. Die Wände sind von lauter durchsichtigem Golde, die Säulengänge vor den Wänden bestehen aus diamantenen und Rubinensäulen, das Dach des überaus großen Gebäudes bildet eine Kaiserkrone, welche mit großen, allerfeinsten Edelsteinen besetzt ist.
[GS.02_019,04] Von der Ebene den Berg hinan bis zum ersten Säulengange führt eine breite Stiege, deren Staffeln aus undurchsichtigem Golde angefertigt sind. Die Geländer beiderseits der Staffeln bestehen aus lauter Pyramiden, welche von Spitze zu Spitze mit Ketten von rotem Golde miteinander verbunden sind.
[GS.02_019,05] In der Mitte einer jeden Pyramide ist ein weißer, runder Sonnenstein eingefügt, welcher im Ernste einen unbeschreiblich schönen Glanz von sich wirft; und zwischen je zwei Pyramiden hinter der Kette steht ein prächtig ausgewachsener Pappelbaum, dessen Blätter wie mit Gold eingefaßte grüne allerfeinste Sammetstreifchen spielen, und ein Baum ist so groß wie der andere.
[GS.02_019,06] Und zugleich bemerke ich auch, daß über die breite Treppe herab noch obendrauf drei bei einer Klafter breite Sammetstreifen, zwei von grüner und in der Mitte ein einzelner von der schönsten roten Farbe, also gezogen sind, daß sie sich in den Staffeln gehörig fest anliegend stufenmäßig mit den Staffeln selbst einfurchen.
[GS.02_019,07] Diese Treppe geht nicht in einem Zuge von Staffel zu Staffel fort, sondern wie ich bemerke, so hat sie von je dreißig zu dreißig Staffeln einen sehr geräumigen Absatz, über welchem sich obendrauf noch ein herrlicher Triumphbogen angebracht befindet. Der Triumphbogen besteht, wie ich sehe, über die ganze Breite der Stiege aus je dreißig diamantenen Säulen, welche zu oberst mit Bögen aus den überaus stark von selbst leuchtenden Sonnensteinen verbunden sind.
[GS.02_019,08] Über den Bögen aber ist erst eine Galerie angebracht, auf welcher sich gar herrlich herumwandeln lassen muß. Und wie ich bemerke, so ist die Galerie abwechselnd aus lauter Rubinen und Smaragden erbaut. Fürwahr, das will ich doch eine wahrhaft sonnenkaiserliche Pracht nennen!
[GS.02_019,09] Und da sehet nur wieder noch einmal hin; der ganze vollkommen runde Berg, der da einer ziemlich flachen, aber zu oberst stumpfen Pyramide gleicht, ist an seinem Fuße von einem herrlichen bei hundert Klaftern breiten Wasserkanale umgeben. Der ganze Kanal ist künstlich angelegt und durch und durch gepflastert mit dem feinsten weißen Marmor, und die beiden Ufer sind mit goldenen Geländern eingefaßt. Die Wege zu beiden Seiten des Geländers sind blank gepflastert mit Jaspis, und der Weg ist an der Seite, welche vom Kanale abgewendet ist, mit den herrlichsten Fruchtbäumen besetzt.
[GS.02_019,10] Hier, wo die Treppe oder die Stiege über den Berg hinaufgeht, ist eine überherrliche Brücke aus rotem Marmor angefertigt. Das kunstvoll mit Zieraten versehene Geländer besteht aus weißem Golde, und seine Zieraten sind besetzt mit vielen und kostbaren Edelsteinen. Aber das Herrlichste sind die spitzigen Obelisken, ein jeder aus der Mitte des Wassers im Kanale bei dreißig Klaftern hoch emporgehend. Der Obelisk ist aus Topas, und in der Höhe schießt ein noch einmal so hoher Wasserstrahl empor und fällt in zahllosen strahlenden Perlen wieder in den weiten Kanal herab. Und da sehet ins Wasser, wie dasselbe belebt ist von allerlei strahlenden Fischchen; fürwahr, das ist eine große Pracht!
[GS.02_019,11] Wir wollen uns aber nun über die Stiege hinaufbegeben und unser prachtvolles Gebäude auf dem Berge in einen näheren Augenschein nehmen. Über diese Stiege geht es sich wirklich sehr bequem und sanft. Da sehet nur wieder einmal her, wir haben die erste Ruhestelle erreicht.
[GS.02_019,12] Blicket auf den Boden; sein Grund ist blau, und in diesem blauen Grunde sind weißglänzende Sterne eingelegt, und die außerordentliche Reinlichkeit übertrifft ja alles, was man sich nur denken kann!
[GS.02_019,13] Gehen wir weiter; da sehet die zweite Ruhestelle. Diese hat einen grünen Bodengrund wie aus einem Stück poliertem Smaragde, und aus seiner Oberfläche erglänzen in der schönsten Ordnung rosenrote Sterne.
[GS.02_019,14] Gehen wir aber nur weiter; da sehet die dritte Ruhestelle. Der Boden ist rot wie Karmin, aber glänzend wie Rubin, und in der schönsten neuen Ordnung erglänzen auf seiner Oberfläche hellgrüne Sterne. Gehen wir noch weiter; da ist schon die vierte Ruhestelle. Sehet diesen Boden an; er ist violett wie aus Amethyst, und in seiner Oberfläche erglänzen in der schönsten Ordnung lichtblaue Sterne.
[GS.02_019,15] Gehen wir wieder weiter; da ist schon die fünfte Ruhestelle. Da sehet den Boden; er ist gelb wie ein Topas, und von seiner Oberfläche erglänzen karminrote Sterne. Gehen wir aber nur weiter; da seht, wir sind an der sechsten Ruhestelle. Der Boden ist dunkelgrün, und die Sterne, die von seiner Oberfläche erglänzen, schillern mehrfarbig wie geschliffene Diamanten.
[GS.02_019,16] Gehen wir aber nur weiter; da ist schon die siebente Ruhestelle. Da seht einmal diesen Boden an; dunkelrot wie der Sammet eines Kaisermantels, und dunkelorangegelbe Sterne glänzen beinahe unerträglich stark auf seiner Oberfläche und geben dem roten, durchsichtigen Boden eine ganz sonderbar geheimnisartige Beleuchtung. – Nein, ich muß es sagen, ich hätte alles eher erwartet, als eine solche Pracht in euch. Es gibt noch eine Menge solcher Ruheplätze über uns hinauf; es dürften deren wohl noch bei dreiundzwanzig sein.
[GS.02_019,17] Doch gehen wir nun alle in einem Zuge durch, denn ich bin beinahe schon müde geworden von der Anschauung der großen Pracht. – Wir haben nun einen schnellen Zug gemacht und stehen unter dem ersten Bogengange, welcher mit lauter diamantenen Säulen unterstützt ist.
[GS.02_019,18] Betrachtet einmal diesen Gangboden zwischen den Säulen; er bildet einen hellstrahlenden Regenbogen, und eine jede Farbenlinie ist mit entsprechend hellglänzenden Sternen besetzt. Fürwahr eine überhimmlische Pracht!
[GS.02_019,19] Und da sehet, außerhalb dieses Bogenganges, mehr dem Gebäude zu, erhebt sich eine allgemeine Rundtreppe, bestehend aus dreißig Staffeln. Diese sind aus lauter Smaragd und sind abermals eingelegt mit hellrot glänzenden Sternen und seht, oberhalb dieser dreißig allgemeinen Rundstaffeln befindet sich schon wieder ein zweiter Bogengang, unterstützt mit Säulen von dem allerkostbarsten glänzenden Sonnensteine. Die Bögen über den Säulen sind aus lauter Rubinen und das Geländer über den Rubinbögen aus grünem Golde. Und da seht den Boden an; dieser ist von himmelblauer Farbe wie aus gleichfarbigen Hyazinthen zusammengefügt und ist abgeteilt in sieben Reihen nacheinander fortlaufender rot und grün glänzender Sterne.
[GS.02_019,20] Wir sind diesen Bogengang hindurch. Da sehet, abermals eine Rundstaffelei, bestehend aus wieder dreißig Staffeln, über welche man auf das weite Plateau des Berges gelangt, auf dem das eigentliche Prachtwohngebäude erbaut ist. Die Staffeln sind ebenfalls aus Hyazinthsteinen angefertigt und sind auch durch und durch mit rot und grün leuchtenden Sternen geziert.
[GS.02_019,21] Nun sind wir erst auf dem eigentlichen Hauptplateau, aber da seht einmal diese Pracht an! Das Plateau, so eben und glänzend wie die Fläche eines geschliffenen Diamanten, ist von azurblauer Farbe und ist in wunderbar schönen Reihen besetzt mit verschiedenfarbig glänzenden Sternen. Es hat von diesem Rande bis zum Hauptgebäude hin einen Durchmesser von noch hundert Klaftern. Fürwahr, diese Pracht ist beinahe unaussprechlich zu nennen!
[GS.02_019,22] Aber jetzt sehet erst einmal das Hauptgebäude an! Es ist ein Rundgebäude aus drei Stockwerken bestehend, davon ein jedes eine Höhe von dreißig Klaftern hat, und die Wände bestehen aus lauter aneinandergereihten Säulen. Ein jedes Stockwerk erglänzt in einer andern Farbe, und die Stockwerke sind durch die herrlichsten Galerien nach außen hin voneinander unterschieden.
[GS.02_019,23] Und da sehet, innerhalb der Säulenreihen ist erst eine kontinuierliche Wand erbaut von dem allerkostbarsten weißen, von selbst leuchtenden Sonnensteine; – die Pracht, die Pracht! Die äußere Säulenwand besteht im ersten Stockwerke aus Smaragd; die Säulenwand des zweiten Stockwerks aus lauter Rubin, die Säulenwand des dritten Stockwerkes aus lauter Hyazinth. Wie herrlich bricht sich da das mächtige Licht der inneren kontinuierlichen Wand durch diese Säulenreihen der äußeren Wand! Man glaubt ja, alle zahllosen Farbenabstufungen im hellsten Glanze zu erschauen. Fürwahr, da ist der Pracht zu viel auf einen Punkt zusammengedrängt.
[GS.02_019,24] Es hat zwar wohl dem Anscheine nach das Gebäude bei siebentausend Klaftern im Umfange, wobei das Auge einen hinreichenden Übersichtsraum gewinnt; aber man wird bei dem überprachtvoll herrlichen Anblicke im Ernste wonnemüde. – Daher wollen wir uns auch sogleich für unsern Hauptzweck in das Innere des Gebäudes begeben und sehen, wie es dort aussieht. –
20. Kapitel – Beschreibung der ungeahnten Pracht. – Gleichnis von Winterpracht und Frühlingswärme.
[GS.02_020,01] Da stehen wir schon am Eingangstore; aber wie es mir und sicher auch euch vorkommt, so kommen wir gerade vom Regen in die Traufe. Da seht nur einmal die kaum aussprechliche Pracht des Eingangstores selbst an! Es hat die volle Höhe des ersten Stockwerkes, also eine Höhe von nahe dreißig Klaftern und eine Breite von zwölf Klaftern. Die Seitenpfeiler des Tores sind massive Diamantpflöcke, genau ins Quadrat gezogen, und die Flächen dieser beiden Pfeiler sind noch in drei Reihen nebeneinander mit blauen, roten und grünen Sternen vom hellsten Glanze geziert. Der Bogen dieses Portals ist gezogen aus dem kostbaren weißen Sonnensteine und ist ebenfalls in der schönsten Ordnung geziert mit roten, blauen und grünen Sternen. Über dem Portale, d.h. über dem Bogen desselben, ist noch ein massives Rotgoldgeländer, und zu oberst der Handleiter des Geländers sind in gerechten Entfernungen runde Kugeln von dem allerfeinsten und kostbarsten weißen Sonnenstein gestellt, welche ein außerordentlich schönes weißes Licht von sich strahlen lassen. Die Torflügel sind aus künstlich durchbrochenem feinstem Golde angefertiget und sind mit Kreuzspangen aus weißem Golde überzogen, in welche wunderbar zierlich alle möglichen Gattungen der Edelsteine vom reinsten und schönsten Schliffe eingesetzt sind.
[GS.02_020,02] Das wäre also bloß das Tor. Durch dieses gelangen wir in die wunderschöne Vorhalle, welche zu beiden Seiten mit dreifachen Galerien aus lauter weißen Säulen geziert ist. Die Gänge der Galerien sind mit Geländern von Rubinen und Diamanten versehen. Und sehet nur den Boden der unteren ebenerdigen Galerie. Er ist ein reiner Mosaikboden, in welchem ihr die herrlichsten Girlanden von Blumen hellglänzend eingearbeitet erschauet. Die Farben der Blumen in den Girlanden wechseln bei jeder Wendung und spielen wie ein künstlich gearbeiteter Regenbogen, d.h. wenn es einem Menschen möglich wäre, statt des Regenbogens einen allerverschiedenfarbigsten Blumenkreis zu setzen, in dem die Blumen aber stets also ihre Farben wechselten wie ein wohlgeschliffener Brillant in den Strahlen der Sonne.
[GS.02_020,03] Ja, was saget ihr denn zu dieser unermeßlichen Pracht? Ist das nicht mehr als ein menschlicher Geist auf einmal ertragen kann?
[GS.02_020,04] Aber gehen wir nur hinein in den Mittelraum dieses Gebäudes, von welchem uns schon ganze Ströme von Licht entgegenkommen. Sehet, es ist eine überaus große Rotunde. Der Boden ist azurblau und ist durchgehends besetzt mit den euch wohlbekannten Sternbildern eures sichtbaren Himmels. Die Sterne glänzen aber bei weitem stärker als die, welche ihr zur Nachtzeit schaut von eurer Erde. Die Wände dieser Rotunde bestehen ebenfalls aus drei übereinandergestellten mächtigen Säulenreihen. Die unterste Reihe besteht aus lauter Rubinen, die mittlere Reihe aus lauter Smaragd und die oberste Reihe aus reinstem Hyazinthe. Jede Reihe ist mit weißen Bögen miteinander verbunden, über welchen prachtvollste Galerien aus durchsichtigem Golde angefertigt sind.
[GS.02_020,05] Hinter den Säulenreihen erblicket ihr eine kontinuierliche Wand von einem selbstleuchtenden lichtrosenroten Steine aufgeführt, durch welche Mauerwand verhältnismäßig große Fenster und Türen auf die herrlichen Galerien führen.
[GS.02_020,06] Aber nun hebet eure Augen noch höher zum Plafond dieser Rotunde empor! Sehet, er ist nichts anderes als die wunderherrliche große Kuppel, welche wir schon von außen her als eine großartige Kaiserkrone erschaut haben, besetzt mit den prachtvollsten und von selbst glänzenden Edelsteinen dieses Zentralsonnen-Weltkörpers, welche Edelsteine nach der innern Rotunde herab ein wunderbares Licht verbreiten.
[GS.02_020,07] Was steht aber da in der Mitte der Rotunde? Sehet, es ist schon wieder ein Altar, und zwar aus einem Rubinstücke, in welchem in den schönsten Kreisen weißglänzende Sterne eingesetzt sind. Auf dem Altare erblicken wir abermals Holz quer übereinandergelegt. Wir dürfen nicht lange fragen: wozu dieses? sondern uns nur an unseren früheren Palast zurückerinnern, und die Antwort ist schon fertig.
[GS.02_020,08] Ich sehe aber nun etwas in euch, und dieses lautet also: Unaussprechlich verschwenderisch ist die endlos reiche Pracht dieses Palastes. Fürwahr, wenn so etwas auf der Erde darstellbar wäre, so würden sich davor sogar die größten Kaiser und Könige allzugering fühlen, um Herren einer solch endlosen Pracht zu sein, sondern sie würden solch einen Palast zu einem allgemeinen Tempel des Herrn ehrfurchtsvollst weihen. – Ja, also ist fürwahr diese endlose Pracht selbst für den kühnsten Geist zur Beschauung völlig unerträglich.
[GS.02_020,09] Aber bei dieser Pracht vermissen wir denn schon wieder gerade die Hauptsache, nämlich die Menschen. – Ohne solche ist die größte Pracht tot, und wir können ihr kein inneres Wohlgefallen abgewinnen. Wir können wohl sagen: Unendlich groß ist die wunderbare Macht und Weisheit des Herrn, der allein nur solche Herrlichkeiten gestalten kann. Sollten wir sie aber genießen ohne Brüder und Schwestern, da wäre uns die gemeinste Erdhütte mit Brüdern und Schwestern ums Unaussprechliche lieber.
[GS.02_020,10] Ja, meine lieben Brüder und Freunde, ihr urteilet zwar nach einem guten und richtigen Gefühle; wißt ihr aber auch, worin solches liegt, daß ihr allezeit eher die Wohnungen der Menschen erschauet als die Menschen in den Wohnungen selbst?
[GS.02_020,11] Sehet, das hat darin seinen Grund, weil ihr als noch naturmäßige Menschen um gute zwei Dritteile mehr an der Materie als an dem inwendigen Geistigen hänget. Diese Materie aber ist tot, weil gerichtet, damit sie sich formen lasse. Darum denn erschauet auch ihr aus eurer naturmäßigen Sphäre dasjenige, was mit ihr verwandt ist.
[GS.02_020,12] Wolltet ihr das Lebendige sehen, da müßtet ihr die zwei Drittel durchbrechen und schon wieder in das Zentrum der Liebe greifen, allwo das Leben zu Hause ist. Sodann wird das Holz auf diesem Altare zu brennen anfangen, und wir werden uns sogleich überzeugen, daß die Hallen und Gemächer dieses großen Palastes nicht so unbelebt sind, als es euch auf den ersten naturmäßigen Anblick vorkommt.
[GS.02_020,13] Ihr fraget hier, warum denn hier allezeit die Entzündung des Holzes auf dem Altare zum Behufe der beschaulichen Gewahrwerdung der Menschen, welche solch einen Palast bewohnen, vonnöten ist?
[GS.02_020,14] Ich sage euch: Um diesen Grund einzusehen, gibt es ja auf der Erde schon eine Menge Beispiele. Ich will euch nur ein paar zeigen, und ihr werdet sogleich klüger werden.
[GS.02_020,15] Sehet an die große Pracht eines Wintertages und auch einer hellen Winternacht. Die ganze weite Oberfläche der Erde ist mit zahllosen Diamanten überstreut, welche beim Lichte der Sonne wie zahllose Sterne widerstrahlen und das Auge des Beschauers vor übermäßigem Lichtglanze beinahe erblinden machen. Die Äste der Bäume sind mit lauter Diamantkristallen besetzt, und zu einer reinen Nachtzeit funkeln die Sterne am Himmel in vervielfachter Glanzpracht. Aber wenn ihr hinschauet über diese von zahllosen Diamanten schimmernde weite Fläche, so ist sie wie tot, denn das Leben sucht warme Gemächer und mag sich nicht belustigen an dieser kalten, erstarrten Pracht. Wenn aber im Frühjahre der Sonne Strahl nicht nur Licht, sondern auch Wärme zu spenden anfängt, da vergeht die große Pracht der Erde; aber dafür ersteht aus den inneren Gemächern als sich vor der kalten Pracht zurückgezogen habende Leben. Dieses Leben verzehrt die Pracht des Winters und schafft sie neu um in eine viel herrlichere.
[GS.02_020,16] Ihr brauchet bei diesem Beispiele nichts hinzuzusetzen als das, daß die Wärme gleich ist der belebenden Liebe, welche Wärme hervorgeht aus der Mitte der Sonne; so werdet ihr die Sache gar leicht verstehen, warum hier auf diesem Altare das Holz zuvor durch eure Liebe entzündet werden muß, bevor ihr die lebendigen Bewohner dieser Pracht erschauen möget.
[GS.02_020,17] Ein zweites Beispiel könntet ihr bei zwei Menschen auf der Erde noch werktätiger erschauen. Sehet dort z.B. einen Palast, diesen bewohnt ein alles Menschengeschlecht verachtender Geizhals. Gehet hin; nicht einmal gar zu viele Fliegen werdet ihr um diesen Palast herumfliegen sehen, geschweige denn erst Menschen. Warum sieht es denn hier so leer aus? Weil keine Liebe im Hause ist.
[GS.02_020,18] Gehet aber hin zu einem andern auch recht schönen Wohnhause; dieses bewohnt ein wohlhabender großer Menschenfreund. Sehet, da wimmelt es von Menschen, alt, jung, groß und klein; die Bäume sind belebt von Vögelein, die Dächer des Hauses von Tauben, der Hof vom Geflügel und anderen nützlichen zahmen Haustieren; auch für die Fliegen gibt es hier immerwährend etwas zu naschen, und alles, was ihr nur anschauet, ist fröhlich und heiteren Mutes. Ja, warum ist es denn hier so lebendig? Weil im Hause die Liebe wohnt! Die Wärme der Liebe ist fühlbar in weite Entfernung hin und zieht alles an sich.
[GS.02_020,19] Ich meine, aus diesen zwei Bildern werdet ihr noch leichter erschauen, warum wir hier eben das Holz anzünden müssen, bevor sich um uns das Leben dieses Palastes wird zu sammeln anfangen. Erfasset somit eure Liebe zum Herrn und zu allen, die aus Ihm hervorgegangen sind; und das Holz wird brennend werden, und wir werden gar bald umlagert sein von Tausenden der Menschen, die da allezeit bewohnen diese prachtvolle Wohnstätte.
21. Kapitel – Die Liebe setzt das Holz auf dem Altar in Flammen.
[GS.02_021,01] Ihr habt getan, was ich euch geraten habe; und sehet, schon ergreift eine herrliche Flamme, glänzend wie ein Morgenrot. den Holzstoß auf dem Altare, und ein unbeschreiblich hoher Wohlgeruch erfüllt die überherrlichen Hallen und Galerien dieses großen Palastes.
[GS.02_021,02] Aber nun sehet auch hinauf auf die Galerien, wie es von Menschen zu wimmeln anfängt; und alles eilt herab in die große Rotunde!
[GS.02_021,03] Sehet einmal diese Menschen an, von welch unbeschreiblicher Schönheit sie sind! Die Weiber, als wären sie vom feinsten ätherischen Lichtstoffe geformt, und die Männer sehen wie Feuerflammen aus, die sich ergriffen hätten zu einer wunderherrlichen, liebernst-majestätischen Menschenform.
[GS.02_021,04] Nun sehet, es kommt aus der großen Menge dieser herrlichen Menschen schon wieder ein Ältester hervor und trägt wie einen Herrscherstab in seiner Hand. Seine Haare sind so weiß wie frisch gefallener, von der Sonne beschienener Schnee und wallen in reichen Locken den halben Rücken hinab. Sein Bart, ebenfalls so weiß, krauset sich bis über den Unterleib; seine Größe ist ehrwürdig erhaben vor der Größe der andern Menschen. Nach eurem Erdmaße dürfte er wohl bei sieben Schuh haben.
[GS.02_021,05] Ihr möchtet wohl wissen, warum er einen Stab trägt? Ist er vielleicht ein Herrscher oder sonst etwas Erhabenes vor seinen Mitmenschen? Ich sage euch: Er ist bloß ein Ältester und hat das Ansehen eines Patriarchen. Unter ihm stehen hier bei tausend solcher Paläste, wie wir einen schon vorher gesehen haben, und er ist somit auch ein Ausbund von Weisheit.
[GS.02_021,06] Wenn die Menschen in den untergeordneten Wohnungen irgendeines hohen Rates bedürfen, so kommen sie zu ihm. Aber er sendet niemals etwa Boten aus, um die Untergeordneten in einem oder dem andern Fache der Weisheit zu unterweisen. Denn hier gilt der Grundsatz der vollkommenen Freiheit allein; und diese darf nie eigenmächtig weder durch Wort noch Tat gefährdet werden. Daher können hier die Bewohner der anderen untergeordneten Paläste in Berücksichtigung auf diesen Hauptpalast tun unter sich, was sie wollen.
[GS.02_021,07] Nur darf sich niemand wagen, feindlich in das weite Territorium dieses Palastes zu treten. Würde solches geschehen, dann würde auch sogleich der mächtige Patriarchenstab in eine durch den Willen des Patriarchen mächtige Bewegung gesetzt werden. Dergleichen jedoch ist auf dieser Zentralsonnenwelt nicht leichtlich denkbar, obschon es gerade nicht außer der Möglichkeit ist. Denn ein jedes untergeordnete Haus besitzt ebenfalls fürs erste alle erdenklichen Reichtümer, Pracht und Schätze aller Art; dazu hat noch ein jedes Haus für sich allzeit einen weisen Ältesten, wie ihr schon einen habt kennengelernt, und somit ist von einer Feindseligkeit schwerlich je eine Rede.
[GS.02_021,08] Ein einziger Umstand nur ist vorhanden, der manchmal ein wenig bedrohlich auszusehen anfängt; und das ist die mächtige Weiberliebe der Bewohner dieser Zentralsonnenwelt.
[GS.02_021,09] Die Weiber solch eines Hauptpalastes sind, wie ihr sehet, aus so manchen Rücksichten ums Bedeutende schöner als die der untergeordneten Paläste. Es verhält sich diese Sache beinahe also, wie bei euch auf der Erde, da auch, im letzteren Falle versteht sich von selbst, das Weibervolk eines gebildeten reichen Hauses, wie auch einer ganzen besseren Stadt schöner und reizender ist als das des Landmannes, welches natürlicherweise durch eine geringere Bildung des Geistes und durch die mannigfache Verkümmerung an Liebreizen durch die schwere Handarbeit jenem nachsteht. Wenn bei euch ein rüstiger Landmannssohn sich in so einem reichen, ansehnlichen und wohlgebildeten Stadtvaterhause ein Weib holen dürfte, da ließe er sicher sein Landweibervolk sitzen. Die Ursache, warum, ist mehr als mit Händen zu greifen.
[GS.02_021,10] Ein ähnlicher Fall kann sich denn auch hier ereignen, und das beinahe leichter als auf der Erde. Wenn so die Jünglinge zufolge ihrer Freiheit dann und wann so einen Hauptpalast besuchen und nicht selten allda der ätherischen weiblichen Schönheiten gewahr werden, dann fängt es sie an, ganz gewaltig lüstern zu jucken, und sie möchten dann alles aufs Spiel setzen, um in den Besitz einer solchen unaussprechlichen Schönheit zu gelangen. – Es ist aber eine Frage, ob sie so etwas nicht auf einem gerechten Wege erreichen können? Auch das können sie beinahe auf dieselbe Art, wie solches auf der Erde nicht selten der Fall ist.
[GS.02_021,11] Wie kann sich aber auf der Erde der Sohn eines sogenannten gemeinen Landmannes zum Besitze einer ausgezeichneten Tochter eines vornehmen Stadthauses verhelfen? – Durch geistigen Fleiß! Ein solcher Landjunker durchläuft mit allem Fleiß die wissenschaftliche Bahn, zieht dann durch seine eminenten Fähigkeiten die Aufmerksamkeit des Landesherrn auf sich. Dieser macht ihn zu einem hohen Beamten, und unser ehemaliger Bauernjunker kann nun als ein bedeutender Herr mit dem ruhigsten Gewissen von der Welt in einem solchen vornehmen Hause anklopfen, und man wird ihm nicht den Riegel vor die Türe schieben. Das ist ein Weg.
[GS.02_021,12] Ein anderer Landjunker wird in bedenklichen Zeiten zwar zum Soldatenstande genommen, welcher Stand sich freilich wohl für das Reich der Himmel in einem sehr umgekehrten, unvorteilhaften Maßstabe verhält. Aber wenn es eine allgemeine Not erfordert, so kann er auch gerecht sein, also wie er es war zu den Zeiten Davids.
[GS.02_021,13] Wenn dann ein solcher zum Soldatenstande gestellter Bauernjunker sich als Vaterlandsverteidiger durch Tapferkeit und Umsicht auszeichnet, so wird er in kurzer Zeit von seinem Könige oder Kaiser selbst zur Würde eines Feldherrn erhoben. Als solcher darf er dann in gräflichen und fürstlichen Häusern anklopfen, und man wird dem Günstlinge des Kaisers mit offenen Armen entgegenkommen, der von Geburt nichts als ein einfacher Bauernsohn ist.
[GS.02_021,14] Sehet, auf beinahe dieselbe Weise geht es auch hier. Auf dem einfachen Begehrungswege ist freilich wohl nichts zu erreichen; aber auf dem Wege des Verdienstes durch einen entschiedenen Grad von hoher Weisheit kann sich ein jeder Mensch der unteren Ordnung in den Besitz einer solchen ätherischen weiblichen Palast-Schönheit bringen.
[GS.02_021,15] Worin bestehen aber diese Verdienste? Ihr dürfet nur die Pracht der Gebäude ein wenig betrachten, und ihr werdet doch gar leicht zu dem Schlusse kommen und sagen: Wenn diese Gebäude von Menschenhänden aufgeführt werden, so müssen die Menschen im Fache der Kunst in baulichen Dingen, wie auch im Fache von allerlei Manufaktureien überaus große Meister sein. Ja, also ist es auch; was ihr immer hier sehet und antreffet, ist alles ein Werk menschlicher Hände, und da sie auf diesem Weltkörper des edlen Materials in großer Menge besitzen, bieten sie auch alles Erdenkliche auf, ihre Wohnstätten so wunderherrlich als nur möglich zu machen.
[GS.02_021,16] Wenn jemand aus seiner Weisheit etwas Bedeutendes erfunden und zuwege gebracht hat und bringt es dann vor den Rat der Ältesten eines Hauptpalastes und wird da sein Werk als etwas Besonderes gewürdiget, so wird er mit der Würde eines Meisters in seiner Sache belehnt. Hat er dann dazu auch für den Glanz des Hauptpalastes etwas durch sein Talent bewirkt und bewerkstelligt, so darf er dann schon mit dem besten Gewissen im Hauptpalaste anklopfen, und er bekommt ein ihm wohlgefälliges Weib.
[GS.02_021,17] Das ist dann aber auch schon der höchste Lohn, den ein solcher Weisheitsmeister in seinem Fache erlangen kann. Er verlangt aber auch keinen höheren; und ich bin der Meinung, insoweit ich euch kenne, ihr gäbet für einen solchen Preis ein ganzes Kaisertum her. – Einem solchen beglückten Weisheitsmeister in seinem Fache aber werden dann auch zufolge solch einer Beglückung ganz außerordentliche Vorteile zuerkannt. Fürs erste bekommt er einen eigenen Grund und Boden, welchen für ein gewisses Territorium nur der Älteste des Hauptpalastes zu verleihen hat. Auf diesem neuen Grunde kann er sich dann einen neuen Palast nach seinem besten Geschmack erbauen.
[GS.02_021,18] Wie bekommt er aber die Bauleute? Nichts leichter als das; denn zu solch einem Begünstigten drängt sich alles hin und sucht sich bei ihm verdienstlich zu machen, um dadurch in ihm einen begünstigenden Freund und Fürsprecher im Hauptpalaste zu gewinnen, was einigen auch dann und wann zuteil wird.
[GS.02_021,19] Aber eben bei solchen Gelegenheiten gibt es dann auch mehrere, denen solche Begünstigungen aus so manchen Rücksichten nicht zuteil werden können. Die Folge ist dann manchmal eine kleine Erbitterung, und zufolge solcher Erbitterung gesellen sich dann einige Glücks- und Begünstigungslüsterne zusammen und wollen das nicht selten mit Gewalt erreichen, was andere durch ihr Verdienst erreicht haben. Und da gibt es denn so einen kleinen Krieg, der aber allezeit für die Gewaltlinge fruchtlos ausfällt, denn der Palastälteste darf sich nur mit seinem Stabe zeigen, und die Gewalttätigen sind in die Flucht geschlagen.
[GS.02_021,20] Ja, aber warum fürchten sich denn die Gewalttätigen gar so sehr vor dem Stabe? Weil der Stab das Symbol der Willenskraft des Weisen und Ältesten des Palastes ist. Ihr habet die Willenskraft der Menschen schon in der Sonne kennengelernt, und zwar beim naturmäßigen Teile derselben. Diese Willenskraft habt ihr auch in ihrer Vollmacht dort ganz besonders in den Ältesten gefunden.
[GS.02_021,21] In dieser Zentralsonne ist aber eben die Willenskraft noch entschiedener, und die Unterschiede derselben vom Hauptältesten bis zum gewöhnlichen Menschen herab sind eben so merklich, wie da die Unterschiede der Größen zwischen Zentralsonnen, Planetarsonnen, Planeten und ihren Monden es sind; daher denn auch die Willenskraft eines solchen Hauptpalastweisen gar wohl bekannt ist unter all den anderen Menschen, die in seinem Weisheits- und Willensterritorium wohnen. – Wie aber die Weisheit eines solchen Weisen schmeckt, das sollet ihr zu eurem größten Erstaunen sogleich erfahren. –
22. Kapitel – Enthüllung der Bedingungen zur Erreichung der Kindschaft Gottes.
[GS.02_022,01] Sehet, er erhebt seinen Stab, was so viel sagen will als: Höret mich an mit der gespanntesten und allertiefsten Aufmerksamkeit! – Nachdem, wie ihr sehet und in euch gar leicht merken könnet, sich alles Volk willig zeigt, aufmerksam zuzuhören, senkt der Älteste seinen Stab und spricht: Meine gesamten Kinder und Sprößlinge meiner Kinder! Ihr seid eingeweiht, und die Führungen des allerhöchsten Gottes, des allmächtigen Schöpfers und Lenkers aller Dinge, sind euch nicht unbekannt. Also seid ihr eingeweiht in die Worte unseres Propheten, der da einst als ein großer Geist einherging im Namen Gottes über die endlos weiten Triften unserer Welt, deren Ende noch keiner ermessen hat, und niemand aus uns weiß, in welche unbegreiflichen Tiefen der Schöpfung ihre Oberfläche dringt.
[GS.02_022,02] Dieser große Geist allein überschritt die Welt von einem Ende zum andern; denn seine Bewegung war gleich der eines zackenden Lichtes, und seine Stimme rollte wie mächtige Donner, und unsere Welt erbebte bis in den innersten Grund, wenn er sprach!
[GS.02_022,03] Seine Worte sind unter uns geblieben, und wir haben sie aufbewahrt in unserer Sternenschrift. Ihr möget gehen und stehen in diesem meinem Hause, wo immer ihr wollt, so wird euch diese Sternenschrift durch ihren hellen Glanz entgegenstrahlen und allezeit von neuem beleben eures Geistes innere Weisheit.
[GS.02_022,04] Wie aber lautet aus den vielen Worten dieses Prophetengeistes ein mächtiger Wink, der hier um den Altar mit den Sternen gezeichnet ist? – Wer von euch kann sagen: Ich kann ihn nicht lesen, denn ich selbst ja habe euch alle die Zeichen der Sterne lesen gelehrt?
[GS.02_022,05] Sehen wir aber hinauf in das endlose, bläuliche Luftmeer, und ihr könnt dort allezeit von dem großen Schöpfer dasselbe gezeichnet finden, was unsere Hand hier nachgeahmt hat. – Wie lautet denn sonach dieser Wink? Höret, ich will ihn euch wiederholen: Inmitten des großen Hofes des Sternenpalastes errichte du Ältester dem einigen Gott einen Altar und lege Holz quer übereinander darauf; das Holz aber sei makellos und vom besten Geruche. Doch sollst du dieses Holz nie mit einem weltlichen Feuer entzünden, sondern ein Feuer aus deinem Gemüte soll dieses Holz zur Flamme bringen. Wenn das Holz aber durch das Feuer des Gemütes wird flammend werden, dann gehe hin und erforsche dich und die Deinen im Lichte dieser Flamme, ob jemand deines Hauses fähig sei, zu betreten die Wohnstätte Gottes. Wer sich fähig fühlt, der trete zum Altare und lese in der Flamme die Bedingungen, die er zu erfüllen hat auf der Welt, die der große Gott für Sich nur und für Seine Kinder geschaffen hat. – Also lautet der Wink.
[GS.02_022,06] Ihr wisset aber alle, wie lange nach unserem genauen Zeitmesser das Holz schon auf dem Altare liegt, und niemand aus uns vermochte es zu entzünden, denn uns allen fehlte es beständig an der Kraft des Gemütes. Wohl weiß ich, daß niemand aus uns nach der Auflegung des Holzes den Altar des Herrn nur mit einer Fingerspitze angerührt hat, und dennoch ist wunderbarerweise nun einmal das geheiligte Holz in den Brand geraten. – Was sollen wir nun tun?
[GS.02_022,07] Ich sage euch: Prüfe sich ein jedes, Mann oder Weib, wie sein Gemüt vor Gott dem Allmächtigen beschaffen ist. Wer aus euch allen hat den Mut, das allerhöchste Wesen Gottes zu erfassen mit seiner Liebe? Wer da vermag alles niederzulegen vor dem Altare und nichts zu behalten denn allein die Liebe seines Herzens zu dem allmächtigen, ewig großen Gott, der trete hervor und versuche zu lesen, was die Flamme zeigt. Fürwahr, wer solches zu tun wird imstande sein, der hat einen großen Weg vor sich, einen Weg von der größten Freiheit bis zur niedrigsten Knechtschaft, einen Weg von diesem vollkommenen Leben durch den Tod, einen Weg von diesem höchsten Lichtgrade in die größte Nacht und durch dieselbe, einen Weg von der größten Seligkeit und Wonne, die wir alle empfinden, in die größte Trübsal, in das größte Elend und in die größte Not, einen Weg von unserem ununterbrochenen Wohlbefinden in und durch einen unerträglichen Schmerz, um auf diesem Wege unsicher zu gelangen in einer nirgends bestimmten Zeit zur Wohnung Gottes. Wohl dem, der diese Wohnung je erreichen kann, wer da werden kann ein Kind Gottes!
[GS.02_022,08] Aber welch ein Weg dazu! Leichter wäre es, unsere Welt, so endlos groß sie auch sein mag, auszuforschen, als zu erreichen dieses allerhöchste Ziel.
[GS.02_022,09] So viel konnte ich euch allen im voraus sagen; wer aber den Mut hat, dem sei dadurch der Weg nicht abgeschnitten, denn wo der Herr, der Allmächtige, das eine tut, da wird Er auch das andere tun.
[GS.02_022,10] Nun sehet, also hat unser Ältester gesprochen. Mit großer Sachkenntnis und tiefer Weisheit hat er seine Worte geführt; daher wollen wir nun achtgeben, welchen Effekt sie bei seinen Kindern und Kindeskindern hervorgebracht haben. Meinet ihr wohl, daß sich bei seiner abschreckenden Reisebeschreibung jemand entschließen wird, den Weg zur Wohnstätte Gottes anzutreten?
[GS.02_022,11] Sehet, kein männlich Wesen will sich diesmal hervortun; aber dort, ein gar wundersam schönes weibliches Wesen tritt hervor und spricht zum Ältesten: Zeuger meines Lebens durch die Kraft Gottes in dir! Meine Brust schwillt auf vor mächtiger Liebe zu dem einigen Gotte, ohne dessen einmal mögliche sichtbare Gegenwart sich nie eine vollkommene Seligkeit denken läßt. Ich möchte zu Ihm, und möchte sein eine allergeringste Magd in einem Seiner kleinsten Häuser, deren Er sicher in endloser Zahl haben wird. Mich schreckt der Weg nicht ab; wo und wie er zu finden ist, wird mir die Flamme weisen. Habe ich da die Gewißheit eingeholt, da laß mich denn auch ziehen nach dem Winke des mächtigen Propheten, der da zu allem Volke dieser endlos großen Welt geredet im Namen und in der Kraft des allmächtigen Gottes!
[GS.02_022,12] Der Älteste spricht: So trete denn hierher vor mich und kehre dein Angesicht zur Flamme und lies, was sie zu dir spricht. – Das weibliche Wesen tritt hin vor den Ältesten und liest aus der Flamme: Dein Gott und dein Herr ist ein Gott voll Liebe und Erbarmung und wird dir geben zu tragen ein sanftes Joch und eine leichte Bürde! Sei demütig in deinem Herzen; vergiß dieser Welt große Pracht und empfiehl dich dem allmächtigen Schutze des großen Gottes! Er Selbst wird dich unsichtbar auf Seinen eigenen Händen tragen durch ein kurzes materielles Leben bis zu Seiner Wohnung, allda du überkommen wirst die große Kindschaft und wirst leben ewig in des allmächtigen göttlichen Vaters Hause. Hast du Mut in deiner Liebe zu diesem großen Gotte, so lege deine Hand auf den Altar!
[GS.02_022,13] Der Älteste spricht: Nun, meine Tochter, du hast die Bedingung der großen Gnade Gottes gelesen; was willst du nun tun? Die Tochter spricht: Ich will nach meiner stets mächtiger werdenden Liebe zu meinem und zu deinem Gott, und werde ich dort sein, so will ich deiner gedenken, wenn es des Herrn Wille sein wird, auf daß auch du mit noch vielen anderen mir folgen mögest. Ich weiß wohl, daß auch diese Welt herrlich ist, und daß wir mit den reinen Geistern, die einen feineren Leib angenommen haben als da ist der unserige, allzeit Gesellschaft pflegen können. Wir können erschauen mit leichter Mühe ihre hohe Seligkeit, und diese ist von der Art, daß sie uns die Seligkeit des natürlichen Lebens nicht trübt; denn viel haben die seligen Geister dieser Welt fürwahr uns nicht voraus, außer daß sie sich nach ihrem Willen erheben können und machen schnellere Bewegungen, als wir sie im natürlichen Zustande zu machen imstande sind, indem wir uns nicht erheben können gleich ihnen, hoch empor in die Räume des starken Lichtes.
[GS.02_022,14] Nun aber bedenke, was es dagegen sagen will, ein Kind Gottes zu heißen und zu sein, welches mit einem Blicke mehr erschaut, als wir in zahllosen großen Zeitabstechern. Darum will ich denn auch meine Hand auf den Altar legen und antreten den wunderbaren Weg!
[GS.02_022,15] Sehet, diese Tochter legt ihre Hand auf den Altar, und sie ist nicht mehr zu erschauen unter der Gesellschaft. – Was aber wird nun die Gesellschaft tun? Das wollen wir bei der nächsten Gelegenheit betrachten!
23. Kapitel – Weise Rede des Ältesten an sein Volk.
[GS.02_023,01] Sehet, soeben tritt wieder unser Ältester hervor und spricht zu all den Anwesenden: Meine geliebten Kinder und Kindeskinder! Ihr wisset, woher wir diejenigen Steine nehmen, welche als selbstleuchtende Sterne gar köstlich eingelegt sind in die anderen kostbaren Bausteine. Es ist der Grund der großen Gewässer, welche gar tief sind, aus dem sie unsere wohlgeübten Wassertaucher holen. Also ist alles Herrliche, Große und Kostbare in schwer zugänglichen Tiefen verborgen; also sind auch wir oberflächlich wohl für tiefe Weisheit befähigt von Gott dem Allmächtigen erschaffen.
[GS.02_023,02] Da wir einmal da sind, so empfinden wir unser Dasein unter gar keinen Schwierigkeiten; es läßt sich so ganz leicht in einem Zuge hindurch leben. Wollen wir aber die in uns vorhandenen Fähigkeiten beleben, wollen wir in die Tiefe der Weisheit dringen, dann wird das Leben kein Scherz mehr, sondern es unterliegt dann einem großen Ernste und einem angestrengten Forschen nach dem, was der göttlichen Weisheit entspricht.
[GS.02_023,03] Menschen, die den großen Schatz in der Tiefe ihres Lebensmeeres gefunden haben, werden dann ebenfalls wie das Meer selbst. Sie sind ihrem Außen nach wogend gleich anderen Menschen, und dieses Wogen spricht sich in mannigfacher weiser Tätigkeit aus.
[GS.02_023,04] Der Unterschied zwischen der wogenden Tätigkeit geweckter und gewöhnlicher Menschen besteht darin, daß der in sich selbst Geweckte tut und handelt nach dem in ihm vorgefundenen ewigen Gesetze der göttlichen Ordnung. Der gewöhnliche Mensch aber handelt nach den von außen her gegebenen Gesetzen, welche da entstammen dem lebendigen Gesetze derer, die in sich gefunden haben die innere Weisheit, welche in sie gelegt hat vom Urgrunde schon die allerhöchste Weisheit des Schöpfers.
[GS.02_023,05] Wenn aber demnach zwischen den selbst geweckten und den bloß äußerlich nachahmenden Menschen beinahe gar kein wesentlicher Unterschied zu erkennen ist, wie kann man demnach erforschen und aus der Erfahrung klar werdend sagen: Siehe, das ist ein Selbstgeweckter und das nur ein bloß äußerer Nachahmer?
[GS.02_023,06] Meine geliebten Kinder und Kindeskinder! Sehet alle hin auf den Altar, allda noch die geheiligte Flamme lodert. Welcher aus euch hatte wohl Mut, nach dem Vernehmen der Bedingungen zur Erlangung der Kindschaft Gottes seine Hand zu legen auf den Altar?
[GS.02_023,07] Als ich euch die Anforderungen aus meiner Weisheit gezeigt hatte, da bebtet ihr alle, und ein jeder schauderte vom Altare der Umwandlung zur Kindschaft Gottes zurück. Aber eine Jungfrau – welche wohl die schlichteste in diesem meinem Palaste war, so daß da niemand aus uns allen ahnen mochte, daß in eben diesem gar schlichten jungfräulichen Wesen eine so tiefe Weisheit als vollkommen geweckt zugrunde lag (ihr Werk bürgt uns dafür) – zeigte uns allen, wie diejenigen Menschen geartet sind und sein sollen, in denen die innere Weisheit geweckt ist durch die stille Selbsttätigkeit und Selbsterforschung des eigenen Geistes.
[GS.02_023,08] Wir sind Bewohner dieses Hauptpalastes, tiefe und innere Weisheit soll uns darob auszeichnen vor allen anderen gewöhnlichen Menschen; wie aber steht es mit unserer männlichen Weisheit, wenn sie zu Schanden ward vor einer schwachen Jungfrau? Ja, wie steht es dann mit unserer Weisheit, wenn in den Wohnhäusern untergeordneter Menschen sich ebenfalls so beherzte Weise vorfinden sollten, die da Mut genug besitzen – in aller Demut und Liebe zu Gott – ihre Hände auf den Altar Gottes zu legen?
[GS.02_023,09] Ihr zucket mit den Achseln und machet mit dem Kopfe und mit den Augen eine zweideutige Bewegung, ich aber sage euch: Fürwahr, unsere Weisheit ist gleich dem Schaume des Meeres, dessen Blasen auf ihrer Oberfläche zwar auch ein schönes Farbenspiel schillern lassen; aber man darf so eine schillernde Blase nur anhauchen und sie ist samt ihrem Farbenspiele wie aus dem Dasein völlig verschwunden.
[GS.02_023,10] Die Weisheit solcher aber, die da gleichen der Jungfrau hier, die Mut genug besaß, um zu legen ihre Hand auf den Altar, ist gleich demjenigen herrlichen Gesteine im tiefen Grunde des Meeres, mit welchem wir wohl das Gemäuer unserer Wohnung in Sternenform zieren und legen in die Figuration der Sterne des Propheten Worte. Wir selbst aber sind kaum gleich den flachen Bausteinen, deren Oberfläche, aber nicht deren Inneres, mit den strahlenden Steinen beschrieben ist.
[GS.02_023,11] Wer aus euch kann diesen meinen Ausspruch wohl werktätig widerlegen? Wer hat aus euch noch Mut, seine Hand zu legen auf den Altar, allda noch die Flamme lodert? Ich sehe keinen aus euch sich erheben und hervortreten, sondern ihr alle zieht euch zurück, und niemand aus euch erwidert mir etwas.
[GS.02_023,12] Was sollen wir denn tun, da noch die Flamme lodert? Ich will euch einen Rat geben und dieser lautet also: Fallet alle nieder auf eure Angesichter vor dem Altare Gottes, lobet und preiset den allmächtigen Gott, damit Er uns alle wenigstens insoweit tiefer erwecken möchte, daß wir dadurch das erkennen möchten in der Tiefe unseres Lebens, wieviel uns noch abgeht, um zu werden, was da geworden ist unsere Schwester, unsere weise Jungfrau.
[GS.02_023,13] Und sollten wir auch nimmer den hohen Mut überkommen, zu legen unsere Hände auf den Altar, so aber bitten wir doch Gott, den Allmächtigen, Er möchte uns wenigstens auf dieser Welt insoweit durch Seine unendliche Weisheit beleben, daß wir dann allezeit als wahrhaft weise Vorbilder denen vorwandeln könnten, die in großen Volksmengen diesem unserem Hauptpalaste untertänig sind, und es für das größte Glück schätzen, von diesem Hauptpalaste aus irgendeine Begünstigung oder gar eine Braut zu überkommen. Und wir sind, wie es sich jetzt gezeigt hat, bei aller unserer sonstigen Weisheit dumm genug und geben, wenn es sich um eine Braut handelt, sicher allezeit die Weiseste her; während wir in der Meinung sind, gerade diejenige herzugeben, welche für unseren Palast am wenigsten taugt. Ist es aber auch recht, daß wir also tun?
[GS.02_023,14] Ich sage: In Hinsicht dessen, wie wir es tun, ist es unrecht; aber in Hinsicht dessen, wie der allmächtige Gott Himmels und der Erde Sich auch unsere Dummheit zinspflichtig machen kann, ist es vollkommen recht, was da geschieht, und ganz besonders bei solchen Brautgaben, wenn unsere Dummheit hinters Licht geführt wird und der allweise Gott eine Blume aus unserem Hauptpalaste hinwegnimmt, deren eben dieser unser Palast nicht wert ist, also wie wir selbst es nicht wert sind, daß da diese heilige Flamme noch in gleicher Stärke fortlodert auf dem Altare Gottes.
[GS.02_023,15] Wie sehr ich aber in dieser meiner Rede an euch alle recht oder unrecht habe, dafür spricht die außerordentliche Wunderpracht dieser unserer großen Patriarchalwohnung.
[GS.02_023,16] Saget mir, wer aus uns hat wohl je einen Stein herbeigeschafft und wer je einen Bauplan entworfen? Sehet, das alles ist ein Werk derjenigen Menschen in der flachen Ebene drunten, welche uns, d.h. unserer sein sollenden tiefen Weisheit liebewillig untertänig sind. Wenn aber solches unleugbar der Fall ist, so ist es dem gegenüber auch klar, daß in der tiefen Flachheit unserer großen Landschaften es Menschen gibt, denen wir nicht würdig sind, ins Angesicht zu schauen.
[GS.02_023,17] Wenn demnach aber solche Menschen sich durch die Verdienste ihrer Weisheit unserem Palaste nähern, um sich eine bessere Braut zu erwerben, ist es dann nicht vollkommen recht und allerbilligst, daß ihnen eben die Allerwürdigste zuteil wird? Ja, meine lieben Kinder und Kindeskinder, was Gott der Allmächtige tut, das allein ist wohlgetan; und also ist es ums Unvergleichliche besser, daß wir unsere Töchter den Freunden Gottes geben zu ihrer Freude, als daß wir sie ihnen vorenthalten und sie behalten für unsere eigene große Dummheit.
[GS.02_023,18] Und so denn fallet samt mir nieder vor dem Altare und bittet um so viel Weisheit, daß ihr euch nicht heimlich schämen müsset vor denen, die vor uns gering sein wollen. Und in der Flamme werden wir dann ganz deutlich lesen, was uns zu tun übrig bleibt, um dasjenige von Gott zu erreichen, das uns mehr frommen soll, denn unsere Dummheit. – Also geschehe es! Amen!
24. Kapitel – Verstandesgebet und Herzensgebet.
[GS.02_024,01] Nun sehet, die ganze zahlreiche Inwohnerschaft dieses Hauptpalastes fällt in einem Kreise auf ihr Angesicht vor dem Altare, auf welchem noch die Flamme lodert. Auch der Älteste verabsäumt nicht, solches zu tun.
[GS.02_024,02] Ihr möchtet wohl wissen, wie solche Menschen nun beten? Solche Menschen beten in ihrer Art also, wie ihr betet in eurer Art. Sie beten zu Gott, dem allerhöchsten Herrn Himmels und der Erde. Ihr Gebet ist eine Bitte, welcher der lebendige Wunsch innewohnt, daß ihnen der Herr dies geben möchte, um was sie Ihn bitten. Ihr betet nach eurer Art, wohlgemerkt, wenn ihr wahrhaft betet, in eurem Herzen, und begleitet euer Gebet ebenfalls mit dem Wunsche des Erhörens eurer Bitte, in welcher eigentlich das Gebet besteht.
[GS.02_024,03] Bei diesen Menschen ist das Gebet mehr ein Gebärdengebet, denn ein inneres Herzensgebet; es ist ungefähr dasselbe, als so ihr arbeitet mit eurem Verstande und gebärdet euch dabei unwillkürlich nach der Art eurer Gedanken. Also ist das Gebet dieser Menschen kein Gefühlsgebet, welches aus dem Herzen kommt, sondern ein Verstandesgebet, welches aus den Gedanken der Seele im Kopfe herkommt. Die Menschen überlegen in dieser Stellung ein jeder nach dem Grade seiner Weisheit, was da wohl das Klügere wäre.
[GS.02_024,04] Ihre Stellung dabei beurkundet nicht, wie bei euch, eine gewisse demütige und zerknirschte Andacht des Herzens, sondern es ist nur ein Zeichen, daß sie in diesem Zustande sich gegenseitig nicht im geringsten stören sollen. Ein jeder überlegt ungestört bei sich das Klügere mit dem Wunsche, daß Gott der Allmächtige dasselbe möchte geschehen lassen. Hat jemand nach seiner Art den weisesten Punkt gefunden, so mag er für sich dann auch ganz ruhig wieder aufstehen und dann lesen in der Flamme, inwiefern sein Weisheitspunkt in der Schrift der Flamme sich wiederfinden läßt. Läßt er sich finden, so bleibt der aufgestandene Beter schon stehen. Läßt sich aber sein Weisheitspunkt in der Flamme nicht finden, so legt sich der Beter sogleich wieder auf sein Angesicht nieder und betet oder denkt vielmehr weiter nach, was in seiner Sphäre wohl das Klügste sein dürfte.
[GS.02_024,05] Sehet, das ist das Gebet im allgemeinen bei den Menschen dieses Weltkörpers; ganz besonders aber derjenigen, welche den Patriarchalhäusern angehören. Ihr saget hier freilich wohl: Warum wenden sich denn diese Menschen nicht lieber an den Herrn, auf daß Er ihnen zeige die rechte Klugheit? Denn das müssen sie doch einsehen, daß der Herr endlos weiser ist denn all ihr Verstand, und daß Er ihnen auch das sicher geben kann und wird, um was sie Ihn bitten.
[GS.02_024,06] Ich sage euch: Solches ist wohl richtig gedacht, insofern jemand die großen Weltverhältnisse nicht kennt, aber wenn jemand diese kennt, so wird er allenthalben die heilige Ordnung des Herrn erkennen und wird sagen, daß auch diese Menschen in ihrer Art vor Gott vollkommen gültig beten, weil also zu beten ihre Ordnung ist.
[GS.02_024,07] Warum denn aber? Die Ursache wird sich gar leicht darstellen lassen; und so höret denn!
[GS.02_024,08] Diese Menschen erkennen und sagen: Wenn wir uns zu Gott kehreten darum, daß Er uns gebe eine wahre Klugheit, so würden wir dadurch Gott einen Vorwurf machen und einen großen Schimpf antun, denn wir würden dadurch ja vor Gott die Behauptung aufstellen, als hätte Er als der Allerweiseste und Allergerechteste uns trügen wollen, und müssen wir daher die Klugheit, welche der Herr Gott Himmels und der Erde (die Bewohner dieses Weltkörpers wie jedes andern nennen ihre Unterlage ebensogut Erde wie ihr die eurige) in uns gelegt hat, in hohen Ehren halten und sie benutzen nach Seiner Ordnung. Wenn wir diese Klugheit in uns werden verbraucht haben und sehen dann das Bedürfnis nach einer höheren Klugheit ein, so erst steht uns zu, Gott zu bitten um das, was uns mangelt, indem wir es verbraucht haben.
[GS.02_024,09] Sehet, in dieser Ordnung stehen die Menschen dieses Weltkörpers und beten auch darnach. Wem entsprechen sie aber in dem Wesen des Menschen? Sie entsprechen, nachdem sie Bewohner einer Zentralsonne sind, dem Gehirne; freilich wohl nur einem einzelnen Nerven in selbem, welcher Nerv zunächst dem Ausläufer des Sehnerven ziemlich nahe an der Gehirnhaut liegt. Darum denn ist auch ihre Art und ihre Ordnung diese, daß sie zumeist mit dem, was sie haben, vollkommen zufrieden sind; ungefähr auf diese Weise, wie die Verstandesmenschen bei euch auch mit nichts so sehr zufrieden sind, wie mit ihrem Verstande, indem ein jeder glaubt, den besten zu haben, und oft, je weniger Verstand jemand besitzt, er desto zufriedener mit demselben ist.
[GS.02_024,10] Ganz anders verhält es sich freilich wohl mit dem Gefühlsmenschen, der in seinem Herzen denkt. Dieser erkennt, daß alles menschliche Verstandeswissen ein pures Stückwerk ist, und daß derjenige Mensch der verständigste ist und der weiseste, der es dahin gebracht hat, daß er in seiner Demut sagen kann: Ich weiß nichts; denn all mein Wissen wiegt nicht ein Sonnenstäubchen gegen die unendliche Weisheit Gottes auf. Ein solcher Mensch hat dann erst den wahren Weisheitshunger überkommen, welcher ihn die große Speisekammer auffinden lassen wird, die der Herr so überreichlich ausgestattet in sein Herz gelegt hat.
[GS.02_024,11] Gibt es aber nicht auch in dieser unserer Zentralsonnenwelt ähnliche Menschen? – O ja, wir haben bereits zwei gesehen, und das sind diejenigen, welche ihre Hände auf den Altar gelegt haben. Denn die Hand auf den Altar legen besagt eben solches, daß da ein Mensch seine große Armut in sich aufgefunden hat, neben ihr aber auch ein hellschimmerndes Lämpchen, das vor einer beschriebenen Tafel im eigenen Herzen steht, auf welcher mit deutlich leserlicher Schrift geschrieben steht:
[GS.02_024,12] Unsterblicher Geist! Demütige dich in deiner Hoheit; entzünde dich in deiner Liebe zu Gott und kehre also zu Ihm, der dich erschaffen hat, zurück. Alldort im großen Vaterhause wirst du es in endloser Fülle finden, was dir hier so sehr gebricht!
[GS.02_024,13] Und sehet nun, wenn jemand von diesen Menschen solches alles in sich gefunden hat, dann wird er ein stiller Weiser und trachtet nach nichts anderem sehnlicher, als auf den Weg zu gelangen, der nach jenem Ziele führt, das er gefunden hat auf der erleuchteten Tafel in seinem Herzen. Es hat zwar ein jeder Mensch dieses Weltkörpers ein solches Täfelchen in sich; aber nicht ein jeder läßt das schimmernde Lämpchen vor demselben leuchten, sondern versetzt das Lämpchen zu allermeist in die Mitte seines Gehirns. Daher es denn auch kommt, daß aus den zahllos vielen Bewohnern dieses Weltkörpers nur gar Wenige dahin gelangen, daß sie möchten ihre Hand auf den Altar legen.
[GS.02_024,14] Aber wenn ihr einen Blick auf eure Erde zurückwerfet, so werdet ihr nahe dasselbe Verhältnis ohne angestrengtes Suchen mit leichter Mühe finden. Denket nur an das Wort des Herrn, da Er sagte: „Viele sind berufen, aber wenige auserwählt.“ – Und ihr werdet die Auserwählten eines bedeutenden Ortes sehr leicht an den Fingern abzählen können.
[GS.02_024,15] Worin aber liegt der Grund? Weil niemand oder aus den vielen nur höchst wenige sich die Worte des Herrn gefallen lassen, welche da lauten: „Verleugne dich selbst, nehme das Kreuz auf deine Schulter und folge Mir nach!“
[GS.02_024,16] Den Menschen auf dieser Zentralsonnenwelt ist freilich wohl diese endlose Gnade nicht zuteil geworden, daß ihnen der Herr Selbst den geraden und nächsten Weg mit eigenem heiligem Munde gelehrt und gezeigt und ihnen auf diese Weise nicht nur ein schimmerndes Lämpchen, sondern eine ganze Zentralsonne vor ihr Täfelchen hingestellt hätte, aber dessen ungeachtet stehen sie nicht außer der Möglichkeit, das Täfelchen des ewigen Lebens in ihrem Herzen zu finden und darnach ihr Leben einzurichten. Dazu leben sie auch lange genug, um das in sich zu gewärtigen; – denn es gibt allda Menschen, die so alt sind wie ein halbes Menschengeschlecht auf eurer Erde. Zudem sind sogar die Geisterseelen der Abgestorbenen, wenn sie es wollen, derselben Übersiedlung fähig, als wie sie es waren bei ihrem Leibesleben, zwischen welchen beiden Leben bei den Menschen dieser Welt ohnehin kein gar zu bedeutender Unterschied obwaltet, indem sie sich allezeit sehen und sprechen können, so oft sie solches nur wollen.
[GS.02_024,17] Wir aber haben nun auch genug, um die Art des Betens dieser Menschen einzusehen; die Beter haben sich bereits erhoben um den Altar, und wir wollen darum ihrem ferneren Benehmen noch eine kurze Aufmerksamkeit spenden und uns sodann wieder weiterbegeben auf dieser unserer Welt.
25. Kapitel – Unterschied zwischen Kindern der Sonne und Gotteskindern.
[GS.02_025,01] Unser Ältester erhebt wieder seinen Stab und öffnet seinen Mund. Was wird er nun wohl sprechen zu seinen Kindern? Selbstanhören wird auf diese Frage die beste Antwort geben; und so hören wir denn, wie er spricht. Seine Worte lauten:
[GS.02_025,02] Meine lieben Kinder und Kindeskinder! Ihr habt euch versammelt vor dem Altare, auf dem noch die Flamme Gottes lodert. Ein würdig Lob habt ihr dem Allmächtigen dargebracht; darum spricht der Geist Gottes aus der Flamme zu uns:
[GS.02_025,03] Dem Großen bin Ich groß, dem Kleinen klein, dem Starken stark und dem Schwachen schwach; aber in dieser Schwäche ruht eine geheime Stärke, welche mächtiger ist als alle Kraft der Großen. Wer barmherzig ist, dem bin auch Ich barmherzig; wer Gutes tut, dem solle Gutes getan werden. Dem Herrn bin Ich ein Herr; aber dem Diener ein Knecht. Der Weise mag nicht mit Meinem Lichte spielen; aber dem Einfältigen soll alle Flur Meiner göttlichen Fülle offen stehen. Der da ist voll Verstand, für den wohne Ich im unzugänglichen Lichte; aber mit dem Törichten vor der Welt und ihrem Glanze will Ich wie ein Bruder einhergehen. Die Kinder der Sonne haben große Macht, ihr Hauch ist stärker, denn der kleinen Erdkörper größter Sturm, und vor ihren Gedanken beugt sich ihre Welt und treibt neue Flammen aus ihren weiten Triften. Die aber Meine Kinder sind und sein wollen, müssen schwach sein, und ihre Schwäche muß erst eine Kraft werden in Mir. Die Kinder der Sonne mögen Mich anbeten in ihrem Lichte; aber Meine Kinder beten Mich an in ihrem Feuer. Die Kinder der Sonne sind, was sie sind; aber Meine Kinder dürfen nicht bleiben, was sie sind, sondern sie müssen verzehrt werden, damit sie in ihrer Vernichtung erst Das werden, was sie sein sollen.
[GS.02_025,04] Was wollet ihr Kinder der Sonne? – Ihr habt euren gut gemessenen Teil; wollt ihr mehr, soll euch auch mehr gegeben sein; wollt ihr eine größere Seligkeit, wie könnt ihr wohl mehr verlangen, als was euch wird nach eurer Erkenntnis und nach eurem Wollen? – Wollt ihr aber Meine Kinder werden, da müsset ihr nicht gewinnen, sondern nur alles verlieren wollen. Denn wie euer Los als Kinder der Sonne ein solches ist, daß ihr euch schmücken könnet mit ewig wachsenden Schätzen und Reichtümern, so ist andererseits, das Los Meiner Kinder, stets ärmer zu werden, und das insoweit, daß sie nicht einmal das eigene Leben als ihnen eigen betrachten dürfen. Und sie müssen stets bereit sein, ihre Liebe, welche der Grund ihres Lebens ist, zahllosen Brüdern zu spenden.
[GS.02_025,05] Was ihr besitzet, ist euch gegeben zum ewigen, unumschränkten Eigentume; Meine Kinder aber dürfen nichts besitzen, nicht einmal einen eigenen Tisch führen, sondern alles, was ihnen not tut, haben sie nirgends denn bei Mir in Meinem Hause zu nehmen. Ihr seid mächtige Herrn eurer Welt; Meine Kinder aber müssen sein arme Knechte, sie müssen arbeiten mit ihren Händen. Wenn sie sich aber etwas erarbeitet haben, da dürfen sie es nicht behalten als ein Eigentum, sondern es sobald einbringen in Mein Haus, allda Ich es dann erst jedem gebe, was er liebegerechtermaßen notwendig bedarf. Ihr wohnet in Palästen, die an Glanz und großer Pracht alles Erdenkliche überbieten; Meine Kinder aber müssen Hütten bewohnen, vor deren Niedrigkeit und gänzlicher Glanzlosigkeit euch schaudern würde. Aber Meine Kinder sind dennoch Meine Kinder und sind bei Mir allezeit, und tun allzeit nach Meinem Willen, welcher endlos mächtig ist den Mächtigen, aber auch endlos sanft den Kleinen und Schwachen.
[GS.02_025,06] Wollt ihr Meine Kinder werden, so müsset ihr solches bedenken und alle Vorteile eures Lebens auf ewig fahren lassen. Selbst euer Leben mit seinem klarsten Bewußtsein muß Mir geopfert werden; nichts dürfet ihr behalten als eure gänzlich ausgeleerte Wesenheit. Denn also, wie ihr seid, seid ihr wohl auch Gefäße des Lebens, welches ausgeht aus Meinem Lichte; aber als Meine Kinder müßtet ihr zur Wohnstätte Meines eigenen ewigen Geistes werden, und dieser kann nicht wohnen in der Flüchtigkeit eures Lichtes, sondern nur in der großen Festigkeit, welche gediegen genug ist, um zu widerstehen dem allmächtigen Feuer Meines eigenen ewigen Liebelebens.
[GS.02_025,07] Euch ziert ein mächtiger Willensstab, und wenn ihr ihn erhebet, da bebt eure große Welt unter der großen Zwangsmacht eures Willens; Meine Kinder aber müssen ein schweres Querholz auf ihre Schultern lagern, welches sie zu Boden drückt und ihnen den Tod gibt, über welchen ihre kleine Welt mächtig jubelt. Erst aus diesem Tode können sie erstehen, werden Mir gleich, und tun dann was Ich tue; nicht aber um zu herrschen gleich euch, sondern um zu dienen allen mit der größten Liebe, Sanftmut und vollsten Ergebung in Meinen Willen. Meinet ihr, dies ist etwas Geringes, sich zu ergeben ganz in Meinen Willen? – Höret und vernehmet es!
[GS.02_025,08] Sich zu ergeben vollkommen in Meinen Willen will mehr sagen, als so jemand aus euch die ganze unendliche Schöpfung in seine Faust fassen möchte und spielen damit wie mit kleinsten Sandbröckelchen. Ja es will mehr gesagt haben, als so ihr hinginget an jene weiten Triften eurer Welt, allda aus unermeßlich weiten Klüften die allerhöchste Glühkraft der Flammen unaufhörlich wütet und möchte sich einer allda hinabstürzen in den Krater und in sich schlürfen mit einem Zuge die endlos wütende Glut- und Flammenmasse. Und dennoch müssen Meine Kinder Meinen unendlich ewig mächtigen Willen bis auf den letzten Tropfen in sich aufnehmen, bevor sie vollkommen Meine Kinder werden können.
[GS.02_025,09] Ihr beurteilet und kennet die unendliche Macht Meines Willens; wer aus euch kann sich Meinem Willen gegenüberstellen und sagen: Herr! laß mich kämpfen mit Dir? – Wird nicht ein leisestes Fünklein ihn sobald vernichten, als wäre er nie dagewesen? Ja, ein leisestes Fünklein Meines Willens reicht hin, zahllose Sonnenwelten, als da ist diese, die ihr bewohnet, ins Nichts zu wandeln.
[GS.02_025,10] Wenn ihr aber solches nach eurer Beurteilung klarst erschauet, was wohl werdet ihr dazu sagen, so Ich es euch aus Meinem Feuer kundgebe, daß es eine Aufgabe ist und eine unerläßliche Bedingung, daß sich Meine Kinder Meinen Willen müssen vollkommen untertan machen? Um aber diese für euch unaussprechlich große Aufgabe zu lösen, müssen Meine Kinder oder diejenigen, welche Meine Kinder werden wollen, in ihre Freiheitsprobeperiode fortwährend die Last Meines Willens tragen lernen und müssen durch das Feuer Meines Eifers unter vieler Angst und Qual sich gänzlich verzehren lassen, damit sie dadurch dem endlosen ewigen Feuer Meines Willens für ewig verwandt werden. Und gar viele, welche diese Probe in ihrer gesonderten Freiheitsperiode nicht bestanden haben, werden sich dann nach ihrer Umänderung gefallen lassen müssen, für euch undenklich lange Zeitperioden sich im Feuer Meines Willens zu reinigen, und sich dasselbe mit schwerster Mühe angewöhnen, bevor sie zur größten Geringheit unter Meine vollkommenen Kinder werden können aufgenommen werden.
[GS.02_025,11] Was wollet ihr nun? Wollet ihr bleiben? oder wollt ihr im Ernste Meine Kinder werden? – Sehet, noch lodert der kleine Funke Meines Willens am Altare. Wollet ihr bleiben, so bleibet, wollt ihr aber zur Kindschaft gelangen, so leget eure Hände auf den Altar! –
[GS.02_025,12] Sehet, also hat unser Ältester aus der Flamme allen vorgelesen. Was aber sprechen nun die Kinder auf diese Vorlesung? – Sie sprechen: Großer Gott! Es muß freilich wohl etwas Unendliches sein, ein Kind von Dir zu werden, aber wenn Dein Wille noch heftiger ist, als die endlose Glut, welche unsere Welt trägt in ihren weiten Schlünden, wer mag demnach solche ertragen und leben dabei? – Daher laß uns bleiben, was wir sind, und laß Dir allzeit ein Opfer bringen von unserer Weisheit! Nehme daher die Schreckensflamme auf Deinem Altare wieder zurück und laß uns ziehen und leben in unserem Frieden!
[GS.02_025,13] Aus der Flamme ertönt nun ein Wort: Also geschehe nach eurem Wollen. Dennoch aber solle allzeit das Holz auf dem Altare liegen; denn Ich will die Wege erhalten, auf denen Meine große Liebe und Erbarmung wandelt.
[GS.02_025,14] Wisset aber, daß es bei Mir ein Leichtes ist, das euch schwer dünkt, und etwas Hartes, was euch leicht dünkt. Euch ist zwar lieber eure herrschende Freiheit, aber Ich habe dennoch allein nur Mein Wohlgefallen an der Einfalt und dienlich untergeordneten Knechtschaft Meiner Kinder; denn es gibt keinen Herrn, dem da ein anderer Herr lieber wäre denn sein eigener Knecht, der ihm allzeit ist ein getreuester Diener. Daher gibt der eine Herr dem andern nur den bedungenen Pflichtteil; aber der Knecht wird belohnt von seinem Herrn. Meine Kinder aber sind auch Meine Knechte; daher haben sie auch Meinen Lohn als Knechte und Mein Erbe als Kinder! – Solches bedenket allzeit; und wenn einmal wieder das neue Holz auf eurem Altare wird zu flammen anfangen, so bedenket, daß ein Vater besser ist als ein Herr! – Nun aber ziehet in euren Frieden, und die Flamme Meines Willens erlösche, damit der eure herrsche auf eurer Welt! Jedoch bis hin zu jenen Gebieten, da Mein Wille lodert aus endlosen Tiefen heraus; dahin wage sich keiner. Denn nur der fruchtbare Boden bleibe euch untertan; aber die Flamme sei Mein. Amen!
[GS.02_025,15] Nun sehet, die Flamme am Altare ist erloschen. Der Älteste senkt seinen Stab, und die gesamte Bevölkerung dieses Palastes zieht hinaus ins Freie, um sich nach dieser großartigen Lektion neu zu stärken. Wir aber ziehen auch wieder hinaus, und von da fürbaß zu einem anderen Orte.
26. Kapitel – Beschreibung eines Sonnenkreisgebietes.
[GS.02_026,01] Da wären wir nun schon wieder auf unserem wohlbekannten Prachtplateau: sehet, es hat sich noch nicht verändert. Ihr möchtet gerne die vor uns hinausgewanderten Bewohner dieses Palastes sehen, wo sie sich denn nun aufhalten. Gehet nur auf den Rand des Plateaus, und ihr werdet die schönen Bewohner gar bald erschauen, wie sie sich vergnügen, einige in den euch bekannten Rundgalerien, einige auf den Triumphbogen über unserer bekannten Treppe; und da sehet, eine ganze Legion schwärmt schon unten am Kanale herum.
[GS.02_026,02] Ihr fraget, wie so schnell sich diese Menschen allorts hin verfügen können? Ich sage euch, daß solches hier gar leicht möglich ist. Fürs erste sind ihre Leiber viel leichter denn die eurigen auf der Erde; dazu ist meist allen Sonnenbewohnern eine bedeutende Willenskraft eigen, der zufolge sie so manches ausführen können, was da den Erdbewohnern sicher unmöglich ist. Und so können sie sich denn auch über ihren Weltboden mit einer bedeutend größeren Schnelligkeit bewegen, als es euch begreiflich ist.
[GS.02_026,03] Diese Eigenschaft ist aber für die Bewohner einer Welt von solch immenser Größe auch von großer Notwendigkeit, denn wenn sie sich nur so schnell wie ihr auf der Erde bewegen könnten, was würden sie da wohl ausrichten bei so manchen Gebietsbereisungen, allda oft ein einzelnes Kreisgebiet, wie da ist das dieses Palastes, einen größeren Flächenraum hat, als wie groß da ist der mehrfache Flächenraum eures Erdkörpers. Zentralsonnenkörper unterscheiden sich dadurch von den Planetarsonnen, daß sie nicht so wie diese bewohnbare Gürtel haben, sondern nur bewohnbare große Gebiete, die man allenfalls Oasen nennen könnte. Wie viel solcher Oasen auf einer Zentralsonne vorkommen, deren Umfang mehrere Billionen Meilen eures Maßes beträgt, dürfte sich verständlicherweise kaum bestimmen lassen, aber so viel könnet ihr mit Sicherheit annehmen, als es da gibt in solch einem Sonnengebiete Planetarsonnen und Planeten um dieselben, welche Planetarsonnen mit ihren Planeten freilich wohl alle samt und sämtlich zu dieser einen Zentralsonne halten müssen.
[GS.02_026,04] Sind diese übergroßen Kreisgebiete, deren es also eine Unzahl gibt, voneinander abgemarkt oder nicht? – Sie sind sehr scharf voneinander abgemarkt; – wodurch denn? – Zumeist durch endlos weitgedehnte Feuerkraterreihen, hie und da auch durch überaus hohe Gebirge, deren Spitzen, wenn sie von der Erde ausgingen, gar leichtlich euren Mond in seiner Bahn beirren dürften. Diese haben manchmal noch einen größeren Flächenraum auf ihrer Höhe, als etwa die halbe Oberfläche eurer Erde.
[GS.02_026,05] Daß die Füße solcher Berge einen sehr bedeutenden Umfang und Durchmesser haben werden, könnt ihr euch leicht von selbst vorstellen. Noch eine dritte Art Begrenzung solcher Kreisgebiete sind hie und da entweder große und breite Ströme oder auch überaus große Weltmeere, welche von einem solchen gewaltigen Wasserinhalte sind, daß eure Erde, wenn sie hineinfiele, sich gerade so ausnehmen würde und in dem Meere gerade einen solchen Unterschied bewirkte, als so ihr in das Meer eurer Erde möchtet eine Perle hineinwerfen. Es ist aber auch notwendig, daß auf einem Weltkörper, auf dem es ortweise gar so überaus feurig zu Werke geht, auch große Löschapparate vorhanden sind.
[GS.02_026,06] Hie und da entdeckt man auf diesem Weltkörper auch weitziehende und sehr breite Lichtwasserströme. Das Wasser solcher Ströme ist nicht durchsichtig und um sehr Bedeutendes schwerer als ein anderes gewöhnliches, durchsichtiges Wasser.
[GS.02_026,07] Diese Lichtflutung aber kann mit nichts Ähnlichem auf eurer Erde verglichen werden, da sie allein nur solchen Sonnenkörpern eigen ist. Die Bewohner sammeln dieses Lichtwasser in gewisse Formen, allda es dann bald stockt und zum sogenannten selbstleuchtenden weißen Steine wird. Es ist mit diesem Wasser in dieser Hinsicht beinahe ein ähnlicher Fall wie mit eurem Erdenwasser, welches auch bald in salzigen Kristallen erstockt, wenn es von der Gesamtmasse abgeschlossen wird. Aber an und für sich im Strombette stockt dieses Lichtwasser nicht, indem es eben alldort aus seinem Bette die stets erweichende Nahrung bezieht.
[GS.02_026,08] Wohin ergießt sich denn ein solches Gewässer? Ein solches Gewässer entspringt gewöhnlich aus den vielen, mit großen Feuerkratern versehenen Bergen, sammelt sich da zu einem nicht selten Tausende von Meilen breiten Strome, durchfließt dann ein Gebiet, dessen Länge häufig bedeutender ist als allenfalls die Entfernung der Erde bis zu eurer Sonne und ergießt sich dann manchmal in ein anderes großes Wassermeer, zumeist aber in hier und da ausgebrannte große Feuerkrater, füllt diese nach und nach aus, macht mit der Zeit aus den großen und übertiefen Schlünden ein ebenes Land, welches einen für euch unbeschreiblichen Glanz verbreitet. Mit der Zeit aber stockt es auch gänzlich und kann als fruchtbares Land gebraucht werden.
[GS.02_026,09] Aus solchen Stellen wird dann auch hie und da der weiße Baustein gebrochen, welcher von selbst leuchtet und gewöhnlich zu Bogen über den Säulen wie auch zu festen Wänden eines Gebäudes benutzt wird. Jedoch hat der gebrochene und dann beschnittene Stein nicht den Wert wie der aus dem Stromwasser frisch gegossene, weil er minder leuchtet als der gegossene.
[GS.02_026,10] Das wären demnach die Begrenzungen unserer Kreisgebiete. Können aber diese Begrenzungen oder Abmarkungen der Kreisgebiete nicht überschritten werden? Dieses ist hier wohl nicht leichtlich der Fall; denn fürs erste ist ein solches Kreisgebiet schon so unendlich groß, daß darauf millionenmal Millionen Menschen überaus wohl versorgt und räumlich höchst bequem leben können. Dann hat es auf seiner Oberfläche zahllose Herrlichkeiten und Wundermannigfaltigkeiten, daß die Bewohner eines solchen Kreisgebietes ihr ganzes Leben lang daran hinreichend zu schauen, zu studieren und geistig zu genießen haben, und sich dann um ein nächstes Gut fast noch weniger kümmern, als ihr euch kümmert auf eurer Erde, wie es in einem fremden Planeten aussieht, besonders wenn ihr auf derselben recht wohl versorgt seid.
[GS.02_026,11] Auch wissen gar viele der Bewohner eines solchen Kreisgebietes, solange sie in ihrem Leibe leben, nicht, daß es noch andere Gebiete gibt, sondern sind vielmehr der Meinung, wenn sie zu einer oder der andern unübersehbaren Kreisgebiet-Abmarkung kommen, daß diese entweder als Feuer oder als Wasser, Gebirge oder als Lichtflutung schon ewig fortdauert.
[GS.02_026,12] Sehr bedeutende Weise wissen es wohl aus den Gesprächen mit den Geistern, daß auf dieser ihrer Welt es noch gar zahllos viele bewohnbare Kreisgebiete gibt. Aber solches wissen sie nur unter dem Siegel einstweiliger strenger Verschwiegenheit und teilen es nur ebenfalls jenen mit, welche da in die tieferen Geheimnisse der göttlichen Weisheit wollen eingeweiht werden.
[GS.02_026,13] Es gibt hie und da wohl recht große Freunde von hohen Bergen, die sie gern besteigen, wenn sie sich nur einigermaßen besteigen lassen. Aber was da diese überaus hohen Grenzgebirge betrifft, da lassen sich auch die größten Gebirgsfreunde den Appetit vergehen, denn fürs erste sind sie ihnen denn doch ein wenig zu hoch, dann hie und da auch zu steil; und die höchsten Kuppen kommen nicht selten schon zu nahe dem ätherischen Lichtstoffe zu stehen, in welchem selbst ihre Feuerleiber noch weniger aushalten dürften als eure Fleischleiber auf jenen Höhen eurer Erde, welche ebenfalls schon so ziemlich in den Luftätherstoff hineingreifen.
[GS.02_026,14] Zudem sind auch diese hohen Grenzgebirge zumeist in überaus stark leuchtende Wolken gehüllt, welche diesen Bewohnern in großer Nähe durchaus nicht zusagen, weil sie in ihrer Nähe ein zu grelles Licht von sich werfen, durch welches das Gesicht der Menschen so sehr geblendet wird, daß sie dann nichts mehr ausnehmen mögen, was sie umgibt.
[GS.02_026,15] Sehet, also weiß der Herr allenthalben Seine freien Geschöpfe in den gehörigen Schranken zu halten.
[GS.02_026,16] Es möchte freilich wohl einer oder der andere sagen: Ja, was würde denn das machen, wenn auf solch einem Kreisgebiete Menschen von verschiedenen Gebieten zusammenkommen könnten? – Darauf kann ich nichts anderes sagen als: Die Weisheit und Ordnung des Herrn geht durchaus tiefer allenthalben, als sie ein Mensch mit seinem geringen Verstandespfunde ermessen kann. Man könnte aber auch sogar auf eurer Erde fragen, warum sich auf diesem kleinen Weltkörper die Nationen, welche auf ihm leben, nicht also bunt durcheinander mengen wollen, wie das Gras und Kräuterwerk auf einer Wiese? – Ihr werdet mir zur Antwort geben:
[GS.02_026,17] Weil die Nationen verschiedene politische und moralische Verfassungen haben, welche sich durchaus nimmer vergleichen können. Es kann zwar jede für sich in ihrer strengen Ordnung gar wohl bestehen; aber alle auf einem Haufen beisammen würden eine noch viel gräßlichere Disharmonie bewerkstelligen, als so man alle Pfeifen einer Orgel möchte zu gleicher Zeit tönen machen.
[GS.02_026,18] Die Antwort ist gut. Aus ihr aber könnt ihr auch gar leicht entnehmen, wie es auf einem solchen immensen Weltkörper zuginge, wenn auf ihm die großen Nationen sich also berühren könnten, wie sich die kleinen Nationen der Erde allenfalls berühren können. Mehr brauche ich euch in dieser Hinsicht nicht zu sagen. Damit ihr aber solches noch gründlicher verstehen möget, wollen wir auch diesmal sogleich auf ein anderes Kreisgebiet übergehen, und ihr werdet da einen sehr bedeutenden Unterschied, von diesem Kreisgebiete aus betrachtet, finden. Und so denn machen wir uns auf die Reise nach der Richtung eures Wollens.
27. Kapitel – Warum es auf den Zentralsonnen fast keine Tiere gibt. Beleuchtung des Beispiels vom reichen Jüngling.
[GS.02_027,01] Ich merke schon den Zug, dahin ihr wollet; und so gehen wir auch schon diesem Zuge nach. – Sehet, links und rechts in diesem Kreisgebiete, das wir noch betreten, welche endlose Pracht und Herrlichkeit von allen Seiten strahlt! Paläste und Wohnungen von nie geahnter Herrlichkeit, Größe und Majestät!
[GS.02_027,02] Ihr fraget zwar: In diesem Lande erdrücken einen wohl die großartigsten Herrlichkeiten; aber wie mag es kommen, daß wir allda außer den Fischen in dem Kanale, welcher um den Palastberg ging, noch kein anderes vierfüßiges größeres Tier entdeckt haben? – Meine geliebten Freunde und Brüder, außer den Fischlein, wie auch sehr sparsamen Vöglein werdet ihr in dieser Zentralsonne durchaus kein anderes Tier entdecken. Dergleichen Tiere sind nur in den Planetarsonnen und in ihren Planeten und Monden vorhanden, weil eben diese gewisserart stufenweise abwärts mehr und mehr vom Auswurfe solcher Zentralsonnen gebildet sind, wodurch, wie ihr meines Wissens schon gar oft erfahren habt, das Leben einen härteren Daseinskampf durchmachen muß, um zur gehörigen Gediegenheit und Reinheit zu gelangen; und ihr könnet euch dieses Verhältnis merken:
[GS.02_027,03] Je mehr Feuer eine Welt in sich birgt, desto weniger der harten und groben Materie, welche dem Leben nicht förderlich, sondern hinderlich ist. Je weniger Feuer aber eine Welt in sich birgt, desto grobmaterieller ist sie auch, und das Leben hat einen härteren Kampf durchzumachen, um zu seiner stets konstanten Freiheit und Reinheit zu gelangen.
[GS.02_027,04] Warum denn? Wie läßt sich solches wohl sichtlichermaßen erweisen? Solches könnet ihr schon auf der Erde ganz klar, und zwar bei den Menschen selbst erschauen. Menschen, die voll Liebe zum Herrn und zu ihren Brüdern sind, gleichen den Welten, die da voll inneren Feuers sind. Wie leicht solche Menschen zum inneren wahren Leben gelangen, lehrt euch vielfache Erfahrung und das eigene Wort des Herrn Selbst, da Er spricht: „Mein Joch ist sanft, und Meine Bürde ist leicht.“
[GS.02_027,05] Menschen aber, die wenig Feuer besitzen, also mehr lau sind, brauchen schon eines bedeutenden prüfenden Stoffes, bis sie geweckt werden und das Leben in sich finden. Es geht eben nicht zu geschwinde mit ihnen, weil sich ihre Materie noch immer als ein wahres Löschmittel gegen das Feuer des Lebens dazwischenmengt und so das baldige Erwachen des Geistes hindert.
[GS.02_027,06] Wieder nehmen wir einen andern Menschen, der bezüglich der Liebe zum Herrn ganz kalt ist. Dieser gleicht schon einem Planeten, und da gehört sehr viel Anstoßes und Triebes her, bis dieser in eine geregelte Lebensbahn kommt und sich nur nach und nach von auf ihn von außen her wirkenden Strahlen beleuchten und erwärmen läßt.
[GS.02_027,07] Warum denn solches? Weil so ein Mensch sich ganz im Grobweltlichen zuvor begründet hat und aus diesem sehr schwer ins Reingeistige übergeht. Wieder gibt es Menschen, die man als vollkommen feuerlos gleich lange ausgebrannten Vulkanen annehmen kann. Diese Menschen haben demnach auch gar nichts Geistiges mehr an sich und gleichen den Monden, die auch beinahe aller atmosphärischen Luft, wenigstens auf der einen Seite, ledig sind. Sie kehren ihrem Planeten stets die unwirtlichste Seite zu und wenden die wirtlichere stets von selbem ab; also ebenfalls dem ähnliche Menschen.
[GS.02_027,08] Sie sind nicht aufnahmefähig für ein höheres Leben, welches noch den Planeten umgibt; daher haben sie auch nur eine Richtung, und diese ist ihre eigene Selbstsucht. Wenn sie sich schon auf ihrer karg wirtlichen Seite manchmal dem Lichte zuwenden, so verzehren sie dasselbe aber dennoch nur zu ihrem materiellen Ersprießen, aber nimmer zur Belebung und zur Bildung des geistigen Lebens, welches sich in der liebetätigen Wechselwirkung durch die Sphären ausspricht, in denen jedes geistige Leben wirksam ist. Solche Menschen haben nur eine halbe Sphäre, und diese ist gleich der Eigenliebe, indem sie allzeit abgewendet ist von der Sphäre des Nächsten. Sie laufen zwar mit dem besseren Teile der Menschheit mit, halten sich aber dennoch stets gehörig fern von derselben, auf daß sie ja nichts verlieren möchten von ihrem materiellen, nichtigen Reichtume, und haben in ihrem Tun und Lassen eine stets schwankende Bewegung, durch welche sie jeder Gelegenheit ausweichen, allda sie liebtätigermaßen könnten in Anspruch genommen werden.
[GS.02_027,09] Wie schwer solche Menschen zum inneren Leben gelangen, spricht der Herr ebenfalls bei der Gelegenheit des Ereignisses mit dem reichen Jünglinge aus, der auch zum Herrn kam, um sich durch Sein Licht zu bereichern, doppelt, irdisch und geistig; aber alles zusammen dennoch im fest materiellen Sinne.
[GS.02_027,10] Es könnte leichtlich jemand fragen, warum denn hier gerade ein reicher Jüngling, und warum nicht lieber irgendein alter Geizhals im evangelischen Beispiele aufgenommen oder zugelassen ward. – Sehet, es muß alles seinen vielseitig entsprechenden Grund haben. Also ist ja auch ein jeder Mond ein Weltenjüngling, und zudem spricht sich auch das Wesen des Eigennutzes in einem Jünglinge allzeit lebendiger aus denn in einem Greise. Denn unter tausend Greisen dürftet ihr kaum zehn von geizig eigennütziger Art treffen, diese können verglichen werden mit den fernstehenden Planeten. Aber unter tausend Jünglingen werdet ihr ebenfalls kaum zehn finden, welche sich nicht vom Eigennutze lenken und treiben lassen.
[GS.02_027,11] Betrachtet nur einen Jüngling, was alles er tut und unternimmt seiner eitlen Weltversorgung wegen! Der eine rennt sich die Füße ab, um irgendeine reiche Partie zu machen; der andere studiert sich zu Tode, um es einst, versteht sich bald, möglichst zu einem ansehnlichen Beamten zu bringen. Ein anderer verlegt sich auf allerlei Kriechereien, um dadurch seinem schwächeren Talente zu überhelfen. Und so setzt der eine wie der andere fast durch die Bank alles Göttliche und Geistige völlig zur Seite und läßt sich wie eine Windfahne gebrauchen, um nur irgendein irdisches Ziel dadurch zu erhaschen.
[GS.02_027,12] Sehet, aus diesem Grunde wird denn auch im Evangelium ein Jüngling, und zwar ein reicher Jüngling, zugelassen und aufgeführt; ein Jüngling, weil er zumeist von solchen eigennützigen Interessen beseelt ist, reich aber, weil ein Jüngling eben die größte Tüchtigkeit, zum Reiche Gottes zu gelangen, in sich hat, so er sich selbst verleugnen möchte und treten in die Fußstapfen des Herrn.
[GS.02_027,13] Ich meine, aus diesem Beispiele werdet ihr mein aufgestelltes Verhältnis gründlich begreifen können; und es kommt allezeit darauf an: je mehr Feuer und daraus hervorgehender Wärme oder Liebe zu Gott und allen nächsten Brüderschaften, desto weniger Materie oder desto weniger des Todes, und somit desto mehr des Lebens in sich haltend. Im Gegensatze aber dann auch stufenfolglich: je mehr Materie, desto weniger Feuer, und somit auch desto weniger wahren Lebens ist vorhanden. Aus diesem Grunde denn auch auf einer solchen Zentralsonne, deren ganzes Wesen nahe ein pures Feuer ist, auch das materielle, tierische Leben bis auf einige Unbedeutendheiten völlig mangelt.
[GS.02_027,14] Da wir nun solches wissen, so können wir auch mit einem desto lebensfreieren Gemüte unsere Bahn verfolgen. – Da seht nur einmal vorwärts; wir stehen am Ufer eines euch schon vorhinein bekanntgegebenen Lichtstromes, über welchen wir, um in ein anderes Kreisgebiet dieses Landes zu gelangen, werden unsere Schritte setzen müssen.
[GS.02_027,15] Ihr saget, mit euren geistigen Augen diese endlos stark strahlende unübersehbare Stromoberfläche betrachtend, in eurem Gemüte: Wie werden wir über dieses Sonnenglutmeer mit wohlerhaltenen Füßen und unerblindeten Augen gelangen können? – Ich sage euch aber, wie ich euch schon einmal gesagt habe: Für den Geist darf nie eine Bedenklichkeit vorhanden sein. Festes Wollen und unerschütterliches Vertrauen müssen die ewige Richtschnur des Geistes sein. Daher bedenket auch ihr euch nicht, sondern wollet und vertrauet, so wird uns dieses Element nach unserem Wollen und Vertrauen dienstbar sein müssen. Nun ihr wollet und vertrauet, und die strahlenden Fluten tragen uns ganz wohlbehalten mit Blitzesschnelle in ein anderes fernes Weltgebiet hin.
[GS.02_027,16] Sehet, dort in noch großer Ferne taucht schon ein festes Ufer über den strahlenden Wogen empor. Himmelanstrebende Berge, mit grün leuchtenden Wäldern besetzt, sind die ersten Trophäen eines weiten, bewohnbaren Kreisgebietes, die unsere Augen überaus angenehm und erhaben herrlich begrüßen. Wird es über dieses Gebirge wohl steil zu gehen sein?
[GS.02_027,17] Wann fragt denn ein Geist, dem die Bahnen zwischen Welten selbst offenstehen, nach der Steile eines Gebirges auf einer Welt? Also werden wir wohl auch über diese Steile ohne ein lästiges Müdewerden mit der allerleichtesten Mühe gelangen.
[GS.02_027,18] Wir sind am Ufer und somit auch schon am Fuße des Berges. Sehet den Boden, wie sanft bekleidet er ist mit einem überweichen Grase und welche höchste Reinheit er uns zur Beschauung darbietet! Ist es nicht eine Lust, auf solch einem Boden unter den grünstrahlenden Bäumen zu wandeln? Ja fürwahr, das ist schon an und für sich himmlisch herrlich!
[GS.02_027,19] Ihr möchtet wohl wissen, ob diese Bäume Früchte tragen? Diese Bäume tragen keine Früchte; aber ihr grüner Strahl verbindet sich mit dem weißen Strahle des Stromes und macht den weißen Strahl dadurch intensiver, lebendiger und in endlos weite Ferne hin wirkender. Es ist beinahe dasselbe, als so jemand mit dem weißen Lichte seines Glaubens das mit demselben verbundene grüne Licht der Hoffnung betrachtet und daraus ersieht, daß der Glaube dadurch gesättigter und auch lebendiger wird, denn ein Glaube ohne Hoffnung wäre ein unerträgliches Licht. Es geschieht aber durch die Vereinigung dieser zwei Lichter auch zugleich eine Zeugung der Liebe; denn wer da glaubet und hofft, der fängt auch bald an zu lieben Den, an den er glaubt und auf den er vertraut.
[GS.02_027,20] So ist auch hier diese überweitgedehnte grünstrahlende Waldstrecke dieses großen Gebirges vor uns eine Sättigung des weißen Stromlichtes. Und sehet euch nach der Flutung des Stromes abwärts ein wenig um, da werdet ihr auch die beiden Lichter in ein rotes übergehen sehen, welches ebenfalls soviel besagt, als daß sich im Verfolge des Glaubens und Vertrauens die Liebe zu entwickeln anfängt. Ähnliches kann euch auch die Betrachtung eines jeden Regenbogens zeigen, darum er auch ein wahrer Bogen des Friedens genannt werden kann; es versteht sich von selbst, in geistiger Beziehung. – Indem wir aber nun solches wissen, so können wir uns ganz wohlgemut über die sanft aufsteigende Waldflur zu bewegen anfangen. –
28. Kapitel – Wanderung in ein weiteres Sonnenkreisgebiet. Liebe der Urgrund von Glauben und Hoffnung und zugleich deren Frucht.
[GS.02_028,01] Sehet, es geht den Berg hinan nicht so steil, als es von außen her das Ansehen hatte; denn solche Berge sehen nur von einer gewissen Entfernung sehr steil aus, in der Wirklichkeit sind sie es bei weitem nicht, was sie zu sein scheinen. Sie nehmen aber eine desto größere Fläche ein, weil sie nur ganz gemächlich aufsteigen; und das ist aber auch notwendig, damit aus solcher weitgedehnten Waldfläche ein hinreichendes Quantum des grünen Lichtes, in das weiße Licht des angrenzenden Lichtstromes überströmend, aufnehmen kann den ätherisch sättigenden Teil.
[GS.02_028,02] Denn das weiße Licht des Stromes ist noch gänzlich rein ätherisch, oder wenn ihr es leichter verstehet, es ist in sich selbst ein Äther, der noch nichts anderes in sich aufgenommen hat, aber dessen ungeachtet in ungeteilter Weise alles in sich enthält, gleichwie allenfalls das Wasser ein Träger dessen ist, was die Erde nur immer aufzuweisen hat.
[GS.02_028,03] Der grüne Lichtäther aber ist gewisserart hungrig, nachdem er sicher alle anderen ätherischen Stoffe verzehrte bis auf den grünen, der darum auch ein ausstrahlender ist. Zufolge seines Hungers bekommt er eben durch die weiße Farbe des Lichtäthers, welcher dem Strome entstammt, die vollkommene Sättigung, welche sich dann durch die rötliche Färbung ausspricht.
[GS.02_028,04] Ähnliches könnt ihr auch gar wohl vielfach auf eurer Erde finden; ihr dürfet euch nur an die meisten Baumfrüchte, wie auch an so viele Blumen hinwenden. Wie sieht da alles im unreifen Zustande aus? Grün; aber dieses Grün als eine hungrige Farbsubstanz sättigt sich fortwährend mit dem weißen Lichte der Sonne – und wie spricht sich dann die völlige Sättigung, welche das eigentliche Reifsein der Früchte bezeichnet, aus? Gewöhnlich zuallermeist in einer mehr oder weniger geröteten Farbe oder doch wenigstens sicher in einer solchen, welche der roten Farbe zunächst entstammt oder wohl gar in dieselbe übergeht.
[GS.02_028,05] Auf der Erde aber ist dieses alles nur unvollkommen vorhanden, während es auf einem Zentralsonnenkörper im tätigsten Maße zur Erscheinung kommt. Ihr saget wohl: Wie kommt es denn aber, daß bei uns auf der Erde gar viele Früchte in ihrem Reifwerden und vollkommenen Reifsein in die vollkommene blaue Farbe übergehen? Desgleichen gibt es auch eine Menge blauer Blumen, und wir wissen nicht, auf welche Weise solche blaue Farbe von der roten abgeleitet werden kann. – Ich sage euch: Betrachtet nur einmal so ganz gründlich eine solche blaue Frucht (z.B. Zwetschge) und ihr werdet es bald gewahr werden, daß die blaue Farbe nur ein äußerer leicht abwischbarer Anhauch ist; die Hauptfarbe aber ist dennoch die rote.
[GS.02_028,06] Wenn ihr da mit einem überaus feinen Glasstaube eine rote Fläche überstäuben möchtet, so wird euch die Fläche sobald nicht mehr rot, sondern bläulich vorkommen. Um aber die Sache noch besser zu erschauen, dürftet ihr aus einer solchen blauen Frucht nur den Saft herausnehmen, und ihr werdet daraus gar leicht die Erfahrung machen, daß der Grund vom Blau vollkommen rot ist. Noch deutlicher aber zeigt euch eine Morgen- oder Abendröte, wie allda die blaue Farbe der Luft bei einer gewissen Strahlenbewegung gar leicht in die rote übergeht. Darum kann denn auch die blaue Farbe für nichts anderes als nur für eine dunstige Umhülsung der roten angesehen werden.
[GS.02_028,07] Noch deutlicher werdet ihr solches ersehen, wenn ihr z.B. eine doch sicher vollkommen blaue Kornblume mit einem Mikroskope betrachtet, wo ihr aus den tausend aneinander gereihten Kristallchen gar häufig die vollkommen rote Farbe werdet hervorblitzen sehen. – Ich meine, wir haben genug, um einzusehen, daß sich die Sättigung zwischen Grün und Weiß allzeit so gut durch die rote Farbe ausspricht, wie sich die durch den Glauben genährte und gesättigte Hoffnung vollkommen in der Liebe ausspricht, deren entsprechende Farbe eben das Rot ist. – Ihr solltet zwar die Sache nun wohl verstehen und einsehen; aber ich erschaue soeben in dieser Beziehung noch eine kleine Lücke in euch, welche wir während unserer Gebirgsbesteigung noch gar leicht ausfüllen können.
[GS.02_028,08] Wie gestaltet aber stellt sich diese Lücke dar? – Seht, ihr versteht noch nicht, wie die eben erklärte gegenseitige Lichtfarbensättigung dem entsprechend verwandten Glauben, der Hoffnung und der Liebe entspricht. So habet denn acht, wir wollen die Sache gleich näher beleuchten. Die weiße Farbe entspricht dem Glauben. Wie aber die weiße Farbe als allerfeinstätherischer Stoff alle anderen Stoffe oder Farben in sich trägt, also trägt auch der Glaube in feinster geistiger Substanz schon alles Unendliche des Reiches Gottes und des göttlichen Wesens selbst in sich. Ein jeder Mensch aber ist gleich diesem mit grünstrahlenden Bäumen bewachsenen Berge, von welchem die grüne Hoffnungsfarbe beständig ausstrahlt. Und ihr werdet nicht leichtlich auf der ganzen Erde einen hoffnungslosen Menschen finden, während es eine Menge glaubens- und liebelose gibt.
[GS.02_028,09] Die Hoffnung aber verzehrt sich beständig und gelangt nie zu irgendeiner Kraft, wenn sie nicht eine gerechte Nahrung bekommt, was ihr aus einer Menge moralischer und naturmäßiger Beispiele auf eurer Erde zur Übergenüge erschauen könnet.
[GS.02_028,10] Als moralische Beispiele können euch alle erdenklichen Grade und Arten der Verzweiflung hinreichend belehrend dienen, denn eine jede Verzweiflung hat sicher ihren Grund in der sich selbst völlig aufgezehrten Hoffnung. – Naturmäßige Beispiele sind mehrere vorhanden.
[GS.02_028,11] Setzet einmal einen Blumentopf auf längere Zeit an einen vollkommen finsteren Ort; beschauet ihn dann etwa nach einem Vierteljahre, und ihr werdet nur gar zu klar finden, wie sehr da die grüne Farbe in eine weißlichtblaßgelbe, also in die völlige Farbe des Todes übergegangen ist.
[GS.02_028,12] Es versteht sich von selbst, daß man hier nur die Farbe der belebten Pflanzenwelt, aber nicht die Farbe der Mineralien verstehen muß, da in den Mineralien diese Farbe wie vollkommen gefangen ist und einem in der Hoffnung abgestorbenen Menschen gleicht, wo ebenfalls seine Hoffnung mit ihm selbst gefangen genommen ward. Aus diesem Grunde kommen denn auch solche Menschen jenseits zumeist in einer dunkelgrünen Farbe zum Vorschein, welche nach und nach durch die Einsicht, daß ihre entsprechende Hoffnung nicht realisiert werden kann, entweder in die schimmelgraue oder gar in die vollkommen schwarze übergeht, welch letztere Farbe aber eigentlich gar keine Farbe mehr ist, wie auch gar kein Licht, sondern es ist der vollkommene Mangel an allem. Also ist hier darum nur von der lebendigeren Pflanzenfarbe die Rede.
[GS.02_028,13] Es strahlt freilich wohl die grüne Farbe ihr Grün aus und verzehrt alles andere des ätherischen Farbentums. Das eben aber ist ja auch das Charakteristische der Hoffnungen. Die Hoffnung verzehrt ebenfalls alles mit großer Begierlichkeit, und wir können uns keinen größeren Vielfraß vorstellen als eben die Hoffnung. Was hofft oft nicht alles übereinander und durcheinander der Mensch und malt sich das Erhoffte mit seiner Phantasie in den allerbuntesten Farben aus; es versteht sich dasjenige, was er hofft. Alle diese Gemälde verzehrt er fortwährend, nur die Hoffnung selbst verzehrt er nicht. Und kommt er in den Zustand, daß ihm sogar seine Phantasie kein Gemälde mehr zu liefern imstande ist, dann ist er aber auch schon am allertraurigsten daran, denn da beißt er in seine eigene Hoffnung hinein und verzehrt sie. Das ist dann der Blumentopf am vollkommen finsteren Orte.
[GS.02_028,14] Wie aber kann die Hoffnung gesättiget werden? Setzet den Blumentopf nur wieder ans weiße Licht der Sonne, aber nicht zu jäh, so wird er wieder zu grünen anfangen. Warum denn? Weil er außerordentlich hungrig nach einer reellen Sättigung geworden ist.
[GS.02_028,15] Gehen wir auf den entsprechend moralischen Teil über. Wer wohl läßt sich lieber trösten als ein Betrübter, also ein in seiner Hoffnung getäuschter Mensch? Oder wer sucht begieriger einen reellen Trost, also eine moralische Sättigung einer verhungerten Hoffnung, als eben ein solch nahe hoffnungslos gewordener Mensch? Bringet ihn an den Strom des Lichtes, und er wird da in vollsten Zügen in sich aufnehmen, was ihm vorerst am meisten zusagt.
[GS.02_028,16] Aus dem aber kann auch gar klar ersehen werden, wie die Hoffnung durch den Glauben stets mehr und mehr und endlich vollkommen realisiert gesättiget werden kann. Ein hungriger Mensch ist traurig. Wollt ihr ihn heiter machen, so sättiget ihn, und in seiner Sättigung wird ihm alle Hungertraurigkeit vergehen, es wird sich eine Heiterkeit seines Gemütes bemächtigen, und in dieser Heiterkeit wird er mit der größten dankbarsten Liebe seine Gastfreunde erfassen.
[GS.02_028,17] Sehet, gerade also geht es dem nach Wahrheit oder nach der Realisierung seiner Ideen hungernden Menschen. Bringet ihn an den wahren Strom des Lichtes, und er wird sich gar bald mit demselben verbinden und sich sättigen nach seiner Herzenslust und nach seinem Bedürfnisse. Und wenn er gar leicht und gar bald gewahren wird, daß diese Sättigung eine wahrhaftige ist, welche für all seine noch leeren Ideen als vollkommen sättigend taugt, so wird er ebenfalls bald heiteren Mutes werden und den großen Gastgeber ehestens mit großer Glut seiner Liebe ergreifen; welche Liebe an und für sich schon eine vollkommene Sättigung ausdrückt, oder: in der Liebe ist alles des Glaubens und alles der Hoffnung in der vollkommen realisierten Reife und Sättigung vorhanden. Und so ist die Liebe einerseits die durch den Glauben vollkommen gesättigte Hoffnung; andererseits aber ist sie aus eben dem Grunde, weil sie die Hoffnung und den Glauben als gesättigt in sich schließt, auch der Urgrund von beiden. – Ihr saget: Wie kann denn das sein? Ich meine, etwas Natürlicheres und leichter Begreifliches dürfte es wohl kaum geben als eben das.
[GS.02_028,18] Woher kommt ein Baum? Ihr saget: Aus einem Kerne. Woher kommt denn der Kern? Aus dem Baume, saget ihr.
[GS.02_028,19] Nun, wenn also, so wird etwa doch der Kern alles, was da ist des Baumes, der aus ihm hervorgeht, eher grundursächlich in sich fassen müssen. Wenn aber der Baum sich wieder in einem neuen Kerne erneuen will, so muß er auch wieder sein Alles in den Kern niederlegen.
[GS.02_028,20] Ihr möchtet freilich wohl wissen, ob der Herr eher den Baum oder zuvor den Kern erschaffen hat? Ich meine, dieses Geheimnis müsse sich beinahe mit den Händen greifen lassen. Hätte der Herr den Baum eher erschaffen als den Kern, da könnet ihr versichert sein, daß Er solches auch gegenwärtig täte, denn Er ist in Seiner Handlungsweise durchaus nicht veränderlich, und Er tut nicht heute so und morgen anders, und ihr würdet in diesem ersten Falle fortwährend wie durch einen Zauberschlag plötzlich entstandene Bäume erblicken. – Ihr aber sehet einen jeden Baum fortwährend neu nach und nach stets mehr und mehr auswachsen und sich entwickeln.
[GS.02_028,21] Dieser Akt aber zeigt ja mehr als mit zehn Sonnen auf einmal beleuchtet, daß der Herr nicht nötig hatte, einen fertigen Baum zu erschaffen, sondern das Samenkorn nur. Und wenn dasselbe in die Erde kommt, da entwickelt es sich, und es wird dann in dieser Entwickelung eine vollendete Form dessen, was der Herr in eben das Samenkorn gelegt hat.
[GS.02_028,22] In dem Samenkorne aber liegt schon wieder die Fähigkeit, sich am Ende selbst wieder zu finden, und der Baum selbst und seine ganze Tätigkeit ist dann nichts anderes als ein zweckmäßiger Prozeß vom Kerne zum Kerne; und es ist meiner Meinung nach doch viel richtiger und klüger anzunehmen, daß eine Linie ein Produkt ist von vielen aneinander gereihten Punkten, und wird darum auch von zwei Endpunkten begrenzt, als daß man so ziemlich stark törichter Weise annehmen möchte, der Punkt sei ein Produkt einer zusammengeschrumpften Linie und sei zu beiden Seiten (N.B. deren er eine zahllose Menge hat) von zwei Linien begrenzt.
[GS.02_028,23] Ich meine, aus diesem Wenigen werdet ihr gar leicht einsehen, daß der Herr das Samenkorn eher als den Baum erschuf, d.h. Er erschuf zwar beide zugleich, aber den Baum legte Er zu gleicher Zeit unentwickelt in das Samenkorn.
[GS.02_028,24] Eben also ist auch sicher die Liebe der Urgrund von allem, und alles muß dann endlich wieder in diesen Grund zurückkehren, wenn es nicht zugrunde gehen will. – Bei dieser Gelegenheit aber haben wir auch die Höhe unseres Berges erreicht, und so wollen wir uns sogleich tiefer in unser neues Kreisgebiet wagen. –
29. Kapitel – Fortsetzung der Wanderung. In gerader Linie, mit unwandelbar festem Willen, dem Ziele zu.
[GS.02_029,01] Da sehet nur einmal hin – in die etwas tiefer gelegene unübersehbar große Ebene, die nach links und rechts, so weit nur immer das Auge reicht, von diesem bewaldeten Gebirge begrenzt ist! Was erblicket ihr in dieser Ebene? Sicher nichts anderes als ich: in einer sehr tüchtigen Entfernung ragt eine staffelförmige Rundpyramide überaus hoch empor. Man kann von dieser Entfernung außer einem Brillantglanze noch nichts Näheres ausnehmen. Aber dessen ungeachtet verspricht schon dieser erste Anblick etwas unerhört großartig Erhabenes, darum wollen wir denn auch hurtig darauf lossteuern, um uns so bald als möglich in der völligen Nähe dieses erhabenen Prachtwerkes zu befinden. Sehet, wir haben zwar keinen abgetretenen Weg, noch weniger eine Fahrstraße dahin; aber wenn ich diesen herrlichen Boden betrachte, welcher viel zarter und feiner aussieht als der allerfeinste Seidensammetstoff, da meine ich, braucht es keines abgetretenen Weges, sondern nur die Beobachtung der geraden Linie, und wir werden uns geistig schnellen Schrittes sobald dort befinden, wo wir sein wollen.
[GS.02_029,02] Wisset ihr aber auch, was geistig genommen die gerade Linie bezeichnet? Die gerade Linie bedeutet oder bezeichnet den unwandelbar festen Willen, welcher durch keine noch so widrige Erscheinung auf etwas anderes abzulenken ist; und eben diese gerade Willenslinie soll auch hier gemeint sein.
[GS.02_029,03] Ihr fraget zwar in euch, ob wir denn bei diesem Wege noch auf Hindernisse stoßen könnten, die uns die Erreichung des Zieles erschweren dürften? Das wird sich alles auf dem Wege zeigen. Bis jetzt ging es noch gut. Wir haben im Verlaufe unseres Gespräches schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt, und so ich dorthin blicke, wo dieses außerordentliche Bauwerk sich befindet, da kann ich schon so manches genau ausnehmen, was ich ehedem von der Gebirgshöhe nicht imstande war.
[GS.02_029,04] So kann ich nun schon recht gut ausnehmen, daß dieses außerordentliche Bauwerk aus zwölf Abteilungen besteht, die fast in der Art sich übereinander erheben, als wenn ihr auf der Erde ein ausgezogenes Fernrohr, natürlich von der allerriesenhaftesten Gattung, senkrecht aufgestellt hättet, welches Fernrohr eben auch zwölf Züge haben müßte. Und wenn ihr die Sache so recht betrachtet, da werdet ihr bald mit leichter Mühe entdecken, daß ein jedes dieser zwölf Stockwerke aus lauter aneinander gereihten Säulen besteht, und sehet ein jedes Stockwerk in einer anderen Farbe erglänzen.
[GS.02_029,05] Aber wozu sich die Augen durch in die Ferne sehen verderben? – Wir werden das ganze Werk in der vollen Nähe ohnehin von Angesicht zu Angesicht betrachten können; daher gehen wir nur hurtig darauf zu. Aber ich merke, daß ihr eure Augen auf einen nicht mehr fern von uns abstehenden ziemlich hohen Wall richtet. Das hätte ja so den Anschein von einem bedeutenden Weghindernisse und einer Ablenkung von unserer geraden Linie, da wir einen Mauerbrecher nicht bei uns haben.
[GS.02_029,06] Wenn die Mauer dieses Walles nach irdischem Maßstabe kerzengerade aufsteigt und unterhalb kein Tor angebracht ist, da dürfte es freilich wohl einen kleinen Haken haben, die gerade Linie fortwährend beizubehalten, und doch dürfen wir sie nicht verlassen; denn im Geiste nur um eine Linie auf die Seite gerückt, will so viel sagen, als mit einem Augenblicke diese ganze schöne Welt aus unserem Gesichtskreise verlieren. Aber wir sind ja noch nicht an der Mauer; daher den Mut nicht verlieren, und es wird sich die Sache vielleicht besser machen, als wir es erwarten.
[GS.02_029,07] Ich bemerke aber nun auch vor dem Walle große und weitgedehnte Baumreihen, aus denen allerlei Säulen und Pyramiden emporragen. Es könnte da wohl sehr leicht geschehen, daß wir bei unserer geraden Linie auf einen Baum oder auf eine Säule stoßen und wären demnach genötigt, eines solchen Hindernisses wegen ein wenig von der geraden Linie abzubiegen.
[GS.02_029,08] Ihr saget: Wie wäre es denn, so wir uns geistigermaßen in die Luft emporschwingen möchten, und durch diese am leichtesten in gerader Linie hinziehen zu unserem großartigen Ziele?
[GS.02_029,09] Ich sage euch: Auch dieses könnten wir tun; aber dadurch setzen wir uns einer doppelten Gefahr aus, diese unsere Welt aus unserem Gesichtskreise zu verlieren, fürs erste, weil ein solcher Aufschwung eben auch eine Verletzung der geraden Linie ist, und fürs zweite dürfen wir ja so lange nicht unsere Füße von diesem Boden trennen, solange wir diese Welt beschauen wollen. Denn trennen wir unsere Füße vom Boden, so sinkt die ganze Welt unter uns in ihre erste unkenntliche Sterngestalt zurück. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als allen vorkommenden allfälligen Hindernissen mit fester Stirne zu begegnen!
[GS.02_029,10] Nun sehet, die Baumreihen hätten wir bereits erreicht. Soweit als mein Auge in diesen Alleewald hineindringt, geht es überraschend geradlinig aus; aber dort recht tief darin erblicke ich etwas wie einen aufgerichteten Altar, und dieser Altar steht meines Erachtens gerade in der Mitte dieser Allee. Es macht aber nichts, nur mit fester Stirne darauf zu, und es muß sich der Weg gerade so machen, wie wir ihn haben wollen, denn es wäre für einen Geist doch wohl traurig, wenn er sich von naturmäßigen Hindernissen sollte den Weg verrammen lassen.
[GS.02_029,11] Nun, da sind wir schon am Altare. Fürwahr, dieses erste Monument zeigt schon, wenn auch noch in einem entfernten Maßstabe, von welch einer unbeschreiblichen Pracht erst das Hauptwerk sein muß.
[GS.02_029,12] Sehet diesen Altar! Er hat etwa eine Höhe von einer Klafter und besteht aus lauter Rundstäben, welche von einem überaus glänzenden Materiale angefertigt sind, das aber sicher auf keinem anderen Weltkörper in dieser Eigentümlichkeit vorkommt. Da seht nur einmal die Stäbe an; sie sehen ja nicht einmal fest aus, sondern haben das Ansehen, als wären sie lauter abwärts schießende Wasserstrahlen, welche aber ohne sogenannten Seitenspritzer abwärts in goldene Trichter schießen. Die flammende Strahlenbewegung in diesen Rundstäben zeigt beinahe solches an, als wären diese Stäbe nichts als nur runde Wasserstrahlen, welche etwa durch eine Mittelsäule von irgend her zuerst aufwärts, und hier, wie wir es sehen, nach den Regeln der Wasserbaukunst abwärts fallen. Um uns aber zu überzeugen, greifen wir mit den Händen nach den Stäben – sehet, das Ganze ist nur eine Eigentümlichkeit des Materials. Dieses hat in sich solche flammende Bewegung, daß es scheint, als wäre es ein reinstes fließendes Wasser; an und für sich aber ist es fest, als wäre es ein Diamant.
[GS.02_029,13] Und da sehet über den Stäben die herrlich eingeländerte Rundtafel, wie sie strahlt, als hätte man im Ernste eine kleine Sonne auf diese aneinander gereihten Stäbe gelegt. Die Stäbe münden zuunterst in goldene Trichter ein, welche ebenfalls wieder in eine rot und blau schillernde allerherrlichste runde Kristallplatte eingeschichtet sind. Fürwahr, diesen Altar auf diesem schönen Rundplatze zu sehen, von den herrlichsten Bäumen in der schönsten Ordnung umfriedet, deren Äste oben wie riesige Arme zusammengreifen, ist an und für sich schon etwas so Bezauberndes, daß man es mit der größten Zufriedenheit eine geraume Zeit betrachten möchte. Dazu wenn man noch den wunderbaren grünen Sammetboden bedenkt und die Stämme der Bäume, welche das Ansehen haben, als wären sie lauter mächtige blaue, halbdurchsichtige Rundsäulen, an denen nicht der allerleiseste Makel zu entdecken ist.
[GS.02_029,14] Was saget ihr denn zu dieser ersten Pracht? Ich muß es aufrichtig gestehen, daß mich diese erhabene Einfachheit mehr anspricht und fesselt, als alle schon vorher geschauten Herrlichkeiten dieser Welt. Wir vergessen bei der Betrachtung dieser Herrlichkeit aber ja ganz, daß wir noch weiterzugehen haben.
[GS.02_029,15] Aber die gerade Linie, wie werden wir diese heraus bekommen?
[GS.02_029,16] Sollten wir etwa diesen überherrlichen Altar möglicherweise niederrennen? Fürwahr, so etwas wäre beinahe nicht übers Herz zu bringen, und besonders wenn man obendrauf noch bedenkt, daß solch ein Werk viele Arbeit und vielen Fleiß von Menschenhänden dieser Welt vonnöten hatte und daß es sicher zu einem von dieser Menschheit geheiligten Zwecke dasteht. Und dazu noch ist das Zerstören überhaupt am allerentferntesten von der göttlichen Ordnung abstehend.
[GS.02_029,17] Was werden wir demnach hier tun? Ihr saget: Als Geister durch die Materie rennen, was wird es denn sein? Ist doch der Herr auch durch die verschlossene Türe zu Seinen Aposteln gekommen.
[GS.02_029,18] Ich sage euch: Das ist zwar wahr; aber wir sind nicht Herren, sondern Diener und Knechte des Herrn, diese aber dürfen nicht alles tun, was der Herr getan hat, außer der Herr wollte es. Daher weiß ich mir nun schon einen Rat. Wir werden uns an den Herrn der Herrlichkeit wenden, und zwar in der Liebe unseres Herzens, und ich bin überzeugt, es wird sich die gerade Linie gleich herstellen.
[GS.02_029,19] Nun, ich habe solches getan und ihr nun in mir; und sehet, da eilt schon aus dem Hintergrunde ein männlich Wesen hervor, rührt soeben den Altar an, und dieser teilt sich bei der Mitte wie auseinandergehend, und wir können nun unsere Linie weiter verfolgen.
[GS.02_029,20] Ihr fraget nun wohl, ob dieser Altar im Ernste solch eine mechanische Vorrichtung habe, daß er für ähnliche geradlinige Reisezwecke allzeit auf gleiche Weise teilbar ist? Ich sage euch: Für den Herrn ist alles in einem allerzweckmäßigsten Maße eingerichtet, die Menschen dürfen eine Sache noch so fest miteinander verbinden, der Herr aber ist der Werkmeister des Stoffes. Der Mensch weiß wohl um die Glieder seines Werkes, und wie diese zu trennen sind, aber der Herr kennt die Glieder des Stoffes und weiß auch, wie diese zu trennen sind.
[GS.02_029,21] Daher brauchet ihr zur Beobachtung der geraden Lebenslinie nichts als die stets wachsende Liebe zum Herrn, und ihr werdet durch Felsen, Feuer und Wasser also wandeln können, als hättet ihr mit gar keinem Hindernisse zu kämpfen.
[GS.02_029,22] Ich aber mache euch noch obendrauf aufmerksam: Habet recht wohl acht auf alle die Erscheinungen, die uns auf diesem Wege vorkommen werden, und ihr werdet am Ende so manche Verhältnisse eurer Welt darin wie in einem großartigen Zauberspiegel erkennen. – Nun aber steht vor uns schon wieder eine überaus weitgedehnte offene Allee in gerader Linie, und wir können daher wieder mit gutem Gewissen vorwärtsschreiten.
[GS.02_029,23] Ihr möchtet wohl gerne wissen, was nun mit dem geteilten Tempel geschehen wird. Wird er sich wieder ergreifen, oder wird er also geteilt verbleiben? Ich aber sage euch: Verstehet mich wohl, und lasset das, was hinter uns ist; denn wir haben vor uns noch gar vieles und bei weitem Größeres. Wenn wir aber am Hauptziele sein werden, dann werden wir ohnehin von der Höhe einen allgemeinen Überblick erhalten. Und so lasset uns weiterziehen.
30. Kapitel – Fortsetzung der Sonnenwanderung. Mangelnde Erkenntnis und Weltliebe zwei Gebetshindernisse.
[GS.02_030,01] Die vor uns liegende offene Allee ist zwar etwas enger als die vorhergehende, allein diese Erscheinung ist für den Fortschritt auf unserer geraden Linie nicht im geringsten hinderlich, sondern gerade nur das Gegenteil, denn je enger irgendeine Gasse wird, desto leichter ist ja die Mitte derselben zu beobachten und in Mitte der geraden Richtung fortzugehen.
[GS.02_030,02] Solche Erscheinung hat ja aber darin ihren Grund, daß alle diese Alleen strahlenförmig von dem Zentrum des Hauptgebäudes heraus bemessen und angelegt sind; und könnten wir von der Höhe gerade über dem Hauptgebäude herabblicken, so würden wir diese ganze Prachtanlage wie eine ausstrahlende Sonne erblicken.
[GS.02_030,03] Und sehet, das ist schon ein gutes Zeichen; also ist ja die gerade Linie schon bedingt, wir dürfen dieser nur folgen, und es kann gar nicht fehlen, daß wir baldmöglichst das Hauptziel erreichen. Wir sind schon, wie ihr sehet, gut über die Hälfte dieser zweiten Allee geschritten, und es läßt sich darum schon recht gut das vorliegende Ende erschauen. Aber ich bemerke soeben wieder hinter dem Abschlusse dieser Allee ein neues Hindernis glänzen, welches uns von der geraden Bahn ein wenig ablenken möchte. Wir aber wollen dieses vorliegenden zweiten Hindernisses kaum mehr gedenken; denn wie das erste wird auch dieses zweite uns den gerechten Platz machen müssen.
[GS.02_030,04] Was aber ist etwa das, was uns da entgegenstrahlt? Nur einige beschleunigte Schritte noch und da seht einmal hin, ja fürwahr, da kann man sich beim ersten Anblicke ja nicht einmal genug fassen; denn zu groß ist die Pracht dieser Allee-Verzierung. Was wären da auf der Erde alle noch so kunstvoll ausgedachten Wasserkünste und Feuerwerks-Evolutionen! Da sprüht es ja nur so von erhabener Pracht und Herrlichkeit.
[GS.02_030,05] Sehet, die Platte, welche dieses zweite große Baumrondell wie in einem Stücke überpflastert, sieht doch gerade so aus wie eine kleinwellige Oberfläche eines allerreinsten Wassers, und dennoch ist die Fläche vollkommen eben und überaus fest. Das Sonderbarste bei dieser ganzen Geschichte ist nur das, daß man durch eine merkwürdige Strahlenbrechung wirklich in seinem Gesichte so sehr getäuscht wird, daß man die Oberfläche dieser Pflasterung wie fort und fort wellend erschaut, und jede Wellenwendung erstrahlt in einem anderen Lichte. Das will ich denn doch ein brillantes Strahlenbild nennen.
[GS.02_030,06] In der Mitte dieses weiten Baumrondells ist eine Säule aufgestellt, diese hat gerade das Ansehen, als so man bei euch auf der Erde eine Wasserhose erschauen möchte. Sehet nur, wie sich ein förmliches Wasser wie in Wirbelkreisen sprudelnd auf und ab zu treiben scheint, und ein jeder Wirbel erstrahlt fortwährend abwechselnd in tausend Farben; und sehet und fühlet diese Säule an, sie ist bei all dieser scheinbaren Lebendigkeit fest wie ein Diamant. Fürwahr, wer diese Materialzusammensetzung und Bearbeitung solch einer Zierde nicht für wunderbar hält, von dessen Munde möchte ich doch selbst vernehmen, was ihm ein Wunder deucht.
[GS.02_030,07] Und da sehet noch ganz hinauf zur Spitze dieser Säule, wie sie dort in überaus strahlende Äste gleich einer Trauerweide ausläuft und anstatt der Blätter allerlei strahlende Zäpfchen herabhängen läßt. –
[GS.02_030,08] Ja, was sagt ihr denn zu dieser Pracht? Fürwahr, ihr seid mit Recht stumm; denn fürs Gefühl läßt sich dergleichen nicht beschreiben, und man muß zufrieden sein, wenn man nur einen höchst matten Schattenriß davon selbst mit der größten und glühendsten Sprachfertigkeit hat entwerfen können.
[GS.02_030,09] Es wäre sonst alles recht, wenn sich diese ganze herrliche Geschichte nur nicht in der Mitte unserer Wandellinie befände. Was meinet ihr wohl, wird sich diese Allee-Zierde auch also wie die vorhergehende teilen lassen? Bei der ersten könnte man noch eher versucht werden zu glauben, die ganze Sache beruhte auf künstlich mechanischen Grundsätzen und war darum auch leicht auseinander bewegbar; aber bei dieser höchst kolossalen Zierde dürfte wohl ein jeder Mechanismus zu kurze und zu schwache Arme bieten, um diese gar mächtige Säule nach der vorher geschauten Art zu entzweien. – Was sollen wir denn nun tun? Ihr saget: Derjenige, der das erste Hindernis geteilt hat, der Herr nämlich, wird auch mit diesem zweiten gar sicher leicht fertig werden.
[GS.02_030,10] Ihr habt recht geantwortet. Aber es muß dabei etwas beobachtet werden, was ihr bisher noch nicht kennet, und so höret denn: – Der Herr ist zwar überall der allmächtige Helfer und Besieger aller Hindernisse, aber Er muß auch nach dem Grade und Maße des Hindernisses zu Hilfe gerufen werden, sodann erst wird es geschehen, was da geschehen soll.
[GS.02_030,11] Ihr saget hier freilich: Ja, warum aber das? So wir den Herrn um Hilfe anflehen, da wird Er uns wohl nicht weniger helfen, als wir es vonnöten haben. Ich sage euch: Ihr habt in einer Hinsicht zwar wohl recht, aber nur insoweit, als ihr daneben irrigerweise anzunehmen genötigt seid, dem Herrn sei wenig oder gar nichts daran gelegen, wie euer eigenes Erkenntnisvermögen bestellt ist. So etwas aber anzunehmen, meine ich, dürfte doch ein wenig zu töricht sein.
[GS.02_030,12] Der Herr aber will ja vor allem die Selbsterkenntnis der Kinder erheben; daher läßt Er auch alles von ihnen (selbst) eher beurteilen und bemessen, also auch ihre Not, auf daß sie Ihm dann dieselbe nach ihrer Erkenntnis vortragen sollen, und Er ihnen dann helfe nach ihrer eigenen Erkenntnis und Verlangen.
[GS.02_030,13] Aus diesem Grunde aber, meine lieben Freunde und Brüder, soll da auf der Erde auch niemand ein sündiges Hindernis auf der eben sein sollenden Bahn seines Lebens mit einem leichtfertigen Maßstabe bemessen, sonst muß er es sich selbst zuschreiben, wenn ihm nach vielen Gebeten nicht die erwünschte völlige Hilfe wird.
[GS.02_030,14] Denn der Herr ist zwar überaus liebevollst gut und freigebig mit Seiner Gnade und Erbarmung, aber dabei dennoch stets im vollkommensten Grade respektierend die freie Tätigkeit des Geistes in jeder Beziehung, sowohl in der Willens- als in der Erkenntnissphäre.
[GS.02_030,15] Unter uns aber gesagt, tut (daher) ein jeder Mensch für sich genommen besser, wenn er in Anbetracht seiner selbst, wie ihr zu sagen pfleget, aus einer Mücke einen Elefanten macht, als umgekehrt, und es wird dann sein, daß derjenige, der von solch einem Standpunkte aus um vieles bittet, auch viel empfangen wird; wer aber um weniges bittet, der erwarte ja nicht, daß ihm der Herr ein unerkanntes und unverlangtes Plus auf den Rücken nachwerfen wird.
[GS.02_030,16] Tut ihr ja auch das gleiche auf der Erde untereinander. Warum sollte es der Herr nicht tun, der dafür den liebeweisesten Grund hat? Wird wohl selbst ein allerbestgesinnter reicher Mann einem, der ihn bittet, ihm zweihundert Taler zu leihen, allenfalls streng benötigte zweitausend Taler geben? Ich sage euch: Solches wird er nicht tun, und wüßte er es auch augenscheinlichst, daß der bittende Entleiher unumgänglich notwendig der größeren Summe vonnöten hat.
[GS.02_030,17] Er wird wohl, ebenfalls aus dem edlen Grunde seines Herzens, zum Entleiher sagen: Ich leihe dir recht gerne die verlangte Summe, wenn sie dir in deinem Bedürfnisse nur genügen wird. Wenn bei solch einem Stupfer der Entleiher noch immer in seinen blindtörichten Schüchternheitsschranken sich bewegt und bleibt bei seiner ersten Petition, saget euch selbst, wer dann die Schuld trägt, wenn dem Entleiher mit 200 Talern nicht gedient ist.
[GS.02_030,18] Aus dem Grunde aber soll sich ein jeder genau erforschen und seine Not genau bemessen, und dann erst an den heiligen, allmächtigen Helfer sich wenden, so wird ihm schon sicher die gerechte Hilfe werden, wenn er dieselbe glaubensfest, vertrauensvoll und liebeernstlich von Ihm erwartet.
[GS.02_030,19] Und so denn wollen und müssen nun auch wir hier den Herrn ein wenig fester angehen als beim ersten Hindernisse, so wird uns auch hier der Herr die Bahn öffnen. Worin aber besteht die größere Festigkeit in dem den Herrn angehen?
[GS.02_030,20] Der Schmied sagt zu seinem Gesellen: Zur Schmelzung von wenig Eisen genügt auch eine geringere Kohlenglut, und die Esse braucht dazu den Atem nicht so tief zu holen; wenn aber ein großer Klumpen Eisen soll geschmolzen werden, da spricht der Schmiedmeister zu seinem Gesellen: Nun bringe drei Körbe fester Kohle, und laß die Esse festweg gehen, sonst wird der große Metallklumpen kaum an die Rotglühhitze gelangen. Ich meine, diese Schmiedmeistersregel, welche doch so ziemlich mit Händen zu greifen ist, wird auch für uns gar überaus wohl anzuwenden sein. Mehr Kohle, mehr Essenwind heißt soviel als: mehr Liebe und mehr Vertrauen, und es wird werden nach dem gläubigen Verlangen!
[GS.02_030,21] Ich habe bei mir das getan, und ihr mußtet es tun in mir, und sehet, diese Wasserhosensäule ist schon wieder geteilt, und wir können mit der leichtesten Mühe von der Welt nun wieder unsern Marsch weiter fortsetzen.
[GS.02_030,22] Verstehet ihr aber auch dieses zweite Hindernis, welches voll trüglichen Scheines ist und sich zeigt, als wäre es lebendig in allen Ecken und Winkeln? Rührt man es aber an, da ist es überall hart und widerstrebend fest. – Sehet, sich durch die Irrtümer durchzuarbeiten, ist ein bei weitem Leichteres; denn wer nur einigermaßen geweckten Geistes ist, wird die niedrige Dummheit bald leicht von der glänzendst reinsten Wahrheit zu trennen imstande sein, und das ist die Besiegung des ersten Hindernisses. Aber hier ist die Welt im Gesamtmaßstabe mit all ihrer buntstrahlenden Flitterei; und es braucht bei weitem mehr, um dieses Hindernis aus dem Wege zu räumen als das frühere.
[GS.02_030,23] Es gibt sicher recht viele Menschen auf der Erde, welche schon lange die Wahrheit in ihrem strahlenden Lichte erkannt haben. Aber von der Welt können sie sich doch nicht trennen; denn ihre Strahlen sagen ihnen zu sehr zu. Wie viel solcher anlockender Flitterstrahlen aber die Welt in sich faßt und wie beschaffen diese sind, kann euch eine nur ein wenig scharfe Betrachtung dieser Alleeverzierung auf ein Haar zeigen. Besitztümer, Geld, allerlei Bequemlichkeiten, guter Tisch, schöne Weiber, honette Kleider und dergleichen noch sehr viel mehreres sind noch gar mächtige Flitterstrahlen der Welt, selbst für schon recht tüchtig weise Männer. Für Weiber wollen wir kein Wort führen; denn da ist die Dummheit meist in ihrem Ursitze zu Hause.
[GS.02_030,24] Es gleicht aber ein Mensch, der sich in solchem Weltflitterwerk gefällt, einem Reichen im Traume, der da mit Millionen hin und her wirft, wenn er aber erwacht, so drückt nicht ein einziger Groschen seine Börse. Ich meine, ihr werdet mich verstehen; und da unser Hindernis besiegt ist, so könnten wir schon wieder weiterziehen.
31. Kapitel – Fortsetzung der Sonnenwanderung. Der Eingang vom materiellen ins geistige Leben in Entsprechungsbildern.
[GS.02_031,01] Sehet, schon wieder ist eine herrliche Allee vor uns, die sich ebenfalls gegen das Ende verengt; das ist bereits die dritte, welche wir betreten. Wenn ihr diese drei Alleen so nacheinander betrachtet, so stecken sie gewisserart ineinander wie drei aufeinander gesteckte Kegel, von denen die Endspitze immer in die Basis des folgenden hineinfällt; denn wenn die erste Allee mit ihren Linien fort liefe, so müßten sich dieselben eben auf dem Punkte kreuzen, da wir das erste Monument angetroffen haben. Aber die Berechnung ist so gestellt, daß die beiden Baumlinien gerade dort aufhören, wo wir am Ende einer Allee allzeit ein großes Baumrondell angetroffen haben, in dessen Mitte das Ornament stand. Daher fängt jetzt diese dritte Allee ebenfalls wieder sehr breit an und wird am Ende, wie die früheren, recht schmal enden.
[GS.02_031,02] Könnte da nicht allenfalls jemand sagen: Aber ich finde die Sache durchaus nicht ästhetisch? Entweder soll die Allee gleichlinig fortlaufen, oder sie soll verhältnismäßig breiter werden, und das zwar in dem Verhältnisse auseinander laufend, in welchem Verhältnisse sich sonst eine parallel laufende Allee scheinbar verengt. Auf diese Weise würde dann so eine Allee von ihrem Anfange an das scheinbare Ansehen eines Rechteckes oder einer vollkommen gleichweiten Bahn bis ans Ende bekommen. Solch eine Anlage würde mehr Wissenschaft und Geist verraten, als solch ein scheinbares Zusammenschrumpfen einer Allee.
[GS.02_031,03] Dieses ist zwar richtig; solch eine Anlage muß für das Auge offenbar drückend erscheinen, besonders bei einer so langen Allee, wie diese da ist. Aber die Menschen, welche hier diese Allee angelegt haben, haben einen viel höheren Zweck damit verbunden als allein den der Ästhetik nur. Und so bezeichnen diese drei Alleen ganz vollkommen sinnig und richtig den Eingang vom Materiellen in das geistige, innere Leben.
[GS.02_031,04] Wie aber soll solches begriffen werden? Das werden wir gar leicht herausbringen; denn Ähnliches befindet sich auch auf eurer Erde, wenn auch nicht gerade durch eine Allee ausgedrückt. Einige Beispiele werden uns diese Sache bei Gelegenheit der Durchwanderung dieser dritten Allee, in welcher ohnehin nicht viel Erhebliches zu beschauen ist, vollkommen erhellen.
[GS.02_031,05] Nehmen wir an, irgendein eines Faches kundiger Mann schreibt für eben dieses sein Fach ein Buch. Dieses Buch fängt zuerst mit einer nicht selten überaus breiten und dazu auch gehörig langweiligen Vorrede an, und gewöhnlich ist die Vorrede allzeit um so umfangreicher, je geist- und umfangschmäler das darauf folgende Werk selbst ist. Diese Vorrede beengt sich nach und nach auf eine ganz einfache und zugleich auch nicht selten schmale Nutzanwendung, wo es gewöhnlich mit wenigen Worten gesagt ist, was ehedem unnötigerweise die ganze Vorrede gesagt hat. Die Vorrede wäre glücklicherweise zu Ende. Dieser folgt ein leeres, weißes Blatt, auf welchem manchmal nichts, manchmal aber mit großen Buchstaben das wichtige Wort: Einleitung steht. – Blättert man dieses verhängnisvolle Blatt um, so fängt dann wieder eine noch breitere Einleitung an, als wie breit ehedem die Vorrede war. In dieser Einleitung kommt eigentlich, so wie in der Vorrede, nichts anderes vor, als nur eine etwas breiter gehaltene Belobung und Anempfehlung des darauf folgenden Hauptwerkes. Womit endet aber diese mehrere Ellen lange Einleitung? Gewöhnlich mit ähnlichen kurzen Ausdrücken: Wir wollen uns nicht länger mehr mit den Vorbegriffen abgeben, sondern zur Hauptsache selbst schreiten; alldort wird der geehrte Leser alles gehörig beleuchtet finden, was in dieser Einleitung nur kurz berührt werden konnte. Und das ist aber dann auch schon das Ende.
[GS.02_031,06] Warum hat denn der Verfasser seine Einleitung so breit angefangen und ließ sie gar so entsetzlich schmal enden? Hätte er sie nicht ebensogut ganz weglassen können? Wir können diese Frage weder bejahen, noch verneinen, denn für seinen Zweck taugt sie; ob sie auch für den Zweck des Lesers taugt, das wird der Leser, wenn er das ganze Werk wird durchgelesen haben, am leichtesten selbst bestimmen.
[GS.02_031,07] Nach dieser Einleitung kommt dann das Hauptwerk selbst. Was wird wohl etwa in diesem vorkommen, das ebenfalls wieder sehr breit und vielverheißend anfängt? Sicher nichts anderes als dasjenige mit noch etwas mehr Worten gesagt, was schon in der Vorrede und in der Einleitung gesagt worden ist. Und so endet der Geograph sein Werk mit der Darstellung eines gewöhnlich sehr unbedeutenden Fleckens; denn für große Orte hat er einen besseren Platz, sie stehen allzeit mehr am Anfange.
[GS.02_031,08] Der Mathematiker setzt am Ende seines tiefdurchdachten Werkes noch einige kurze noch unaufgelöste Aufgaben hinzu, von denen gewöhnlich die letzte die am wenigsten sagende ist.
[GS.02_031,09] Auch der Geschichtsschreiber spart das allerunbedeutendste Faktum für die allerletzte Blattseite auf, während er am Anfange ganz entsetzlich breite Blicke über die ganze Erdoberfläche warf; und so dürfet ihr – mit Ausnahme des Wortes Gottes – fast alle Werke betrachten, und ihr werdet finden, daß sie am Ende ganz schmal hinausgehen. – Das wäre ein Beispiel, welches hoffentlich hinreichend durchleuchtet ist.
[GS.02_031,10] Betrachten wir aber den Bau eines Hauses, eines Turmes oder einer Kirche; wie breit geht es am Anfang zu, und am Ende endet das Haus in ein zusammenlaufendes Dach, der Turm in seine Spitze und die Kirche auch gewöhnlich in ein sehr spitz zusammenlaufendes Dach. Dieses Beispiel bedarf keiner weiteren Beleuchtung; denn der tägliche Anblick gibt hierzu die rechte Erklärung.
[GS.02_031,11] Ein drittes Beispiel gibt euch die Betrachtung eures zeremoniellen Gottesdienstes. Mit großem Pompe zieht man aus der sogenannten Sakristei und ordnet sich dann vor dem Altare wie im Hintergrunde der Kirche am musikalischen Chore stets breiter und breiter; aber allenfalls nach der dritten Meßzeremonie werden die Meßteile schon kürzer und auch gewöhnlich weniger sagend, und dort, wo man eigentlich die größte Breite erwarten sollte, nämlich bei der Gelegenheit der sogenannten „Aufwandlung“, da sieht es schon sehr schmal aus, dann wird es immer schmäler, bis sich endlich alles in das überaus kurze „Ite, messa est“ verliert.
[GS.02_031,12] Ein sogenanntes Schauspiel bei euch fängt nicht selten überaus geheimnisvoll an und endigt gewöhnlich in einer überaus wenig sagenden Blindheirat. – Also fangen auch eure musikalischen Stücke samt den musikalischen Instrumenten sehr breit an und enden nicht selten so schmal, daß man im Ernste sagen müßte: Für diesen letzten höchst einfachen Ausgang hätte es fürwahr nicht so viel Aufhebens gebraucht. So fängt auch eure Tonleiter mit einem donnerähnlichen, breitschwebenden, tiefen Baßtone an und endet am Ende in den schönsten Akkorden mit einem überaus feinen und schmalen Dünnton. Habt ihr schon genug an den Beispielen?
[GS.02_031,13] Da wir aber noch nicht an das Ende der Allee gelangt sind, sondern uns in einer schon recht tüchtigen Enge derselben befinden, so können wir ja auch noch ein Beispiel zum größten Überflusse hinzufügen, welches in unsere Sache ein überaus helles Licht geben soll; denn im Geiste geht es wie auf der Welt. Auf der Welt haben die Menschen nie zuviel Geld; und hat jemand noch so viel, so wird er es nicht verschmähen, noch mehr hinzuzubekommen. Desgleichen hat man im Geiste auch nie zu viel Licht; und so wünscht der Weise, noch immer weiser zu werden. Darum wird uns auch dieses Beispiel nicht überflüssig sein, da es das Licht vermehrt.
[GS.02_031,14] Wie lautet aber dieses Beispiel? Das liegt euch sehr nahe; ihr dürfet nur einen Blick in die gegenwärtige Erziehung eurer Kinder tun, und ihr habt das ganze Beispiel schon auf einem Haufen beisammen. Was für großartige und breite Pläne macht oft ein bemitteltes Elternpaar für seine Kinder? Der Sohn muß studieren und daneben noch allerlei andere Künste und Fertigkeiten sich zu eigen machen; und für die Tochter laufen wenigstens ein halbes Dutzend allerlei Meister ins Haus. Die Sache sieht aus, als sollte aus dem Sohne ein Regent und aus der Tochter das Weib eines Herrschers werden. Endlich hat der Sohn seine Studienbahn vollendet und die Tochter sich aus den meisterlichen Krallen mit allerlei eben nicht vielsagenden Fertigkeiten entwunden. Was geschieht aber jetzt?
[GS.02_031,15] Der wohlgebildete und vielstudierte Sohn wird in eine enge Kanzlei auf eine schmale Praktikantenbank geschoben, von der aus eben nicht die größte Fernsicht genommen werden kann, und bei der Tochter heißt es: Nun müssen wir sie auch ein wenig fürs Häusliche erziehen lassen. Wenn ihr diese Stellung nur ein wenig aufmerksam betrachtet, so kann euch die sich stets mehr verengende Allee des anfangs so breit projektierten menschlichen Lebens unmöglich entgehen.
[GS.02_031,16] Aber für den Sohn fängt bald nach seiner sehr schmalen Praxissphäre wieder eine etwas breiter anfangende Amtsallee an, und die Tochter wird an einen Mann verheiratet, von dem man anfangs auch sehr viel Breites erwartete. Aber die Amtssphäre des Sohnes schmälert sich endlich im Pensionsstande schon wieder, und die Aussichten der verheirateten Tochter gewinnen auch durchaus nicht an Breite, sondern wie bei ihr so manche weibliche Vorteile nach und nach sich verflüchtigen, so wird sie am Ende samt den Aussichten schmäler.
[GS.02_031,17] Nun, was aber ist hernach das Ende der dritten Lebensallee? Ich meine, dieses muß ich euch nicht näher bezeichnen: ihr dürfet nur in den nächstbesten Friedhof gehen, allda werdet ihr eine Menge Ausläufer breit angefangener menschlicher Lebensalleen finden.
[GS.02_031,18] Und sehet, in eben diesem Sinne bauen diese Sonnenmenschen alles gerade also, wie es den Lebensverhältnissen vollkommen entspricht.
[GS.02_031,19] Einst bauten die Menschen der Erde auch ähnlichermaßen. Die sogenannten ägyptischen Pyramiden sind noch sprechende Zeugen dafür; denn diese großartigen Bauten waren nichts als Grabmäler großer und mächtiger Menschen. Je größer und mächtiger einer war, eine desto größere Pyramide ließ er sich als Grabmal erbauen. – Wer sie zuunterst messen möchte, der würde auf bedeutende Unterschiede stoßen; aber zuoberst liefen alle auf eine ganz haargleiche Spitze aus.
[GS.02_031,20] Ähnliche Weisheit in noch viel bedeutenderem Maßstabe finden wir denn auch hier auf dieser Lichtwelt, wo die Menschen besonders dieses Kreisgebietes wahrhaftige Grundweise sind. – Jedoch die Folge wird uns davon Helleres bieten.
[GS.02_031,21] Da wir aber bei dieser Gelegenheit unserer Unterwegs-Beredung wieder an das erwünschte, hier im Ernste sehr schmale Ende der Allee gekommen sind, so wollen wir nun auch wieder einen mutigen Blick vorwärts tun und sehen, ob sich da kein Hindernis mehr vorfindet, das uns nötigen dürfte, unsere gerade Linie beugen zu müssen. Bis jetzt erschaue ich außer der uns schon nahe stehenden großen Ringmauer kein Hindernis, daher können wir uns über diese noch übrige freie Ebene bis zur Mauer schon ganz ungehindert bewegen. Wie es uns aber bei der Mauer ergehen wird, das wird die Erfahrung selbst zeigen, daher nur mutig bis zur Mauer hingeschritten!
32. Kapitel – Fortsetzung der Sonnenwanderung. Die Palastanlage entspricht den Verhältnissen des menschlichen Wesens.
[GS.02_032,01] Es möchte wohl noch eine Strecke Weges von zwei Meilen sein oder achttausend Klaftern eures Feldmaßes. Die Strecke ist eben, und man kann mit dem Auge über die Fläche hin nicht alles ausfindig machen, was irgendeinem Hindernisse ähnlich sein könnte. Für unseren gegenwärtigen Standpunkt ist außer einem Pyramidenkreise von kleiner Gattung nichts zu entdecken. Die Pyramiden selbst aber stehen so weit voneinander ab und stehen auch nicht auf unserer Linie, und so können wir sie auch nicht als ein Hindernis ansehen; es müßte nur hinter den Pyramiden sich etwas vorfinden. Ich aber sage kurz und gut, gehen wir nur darauf zu, und der Weg wird ja wohl zeigen, was wir noch zu bekämpfen haben werden.
[GS.02_032,02] Wenn ich hier nicht euer Gast, sondern ihr die meinigen wäret, da wären wir schon lange an Ort und Stelle; aber ich muß hier eure Ungewißheit und Unschlüssigkeit leitend mit euch teilen. Daher geht der Marsch auch ein wenig langsamer. Es schadet aber solches der Sache gar nicht; denn wir wissen uns den etwas zögernden Weg – mit der Gnade des Herrn – ja gar wohl zunutze zu machen.
[GS.02_032,03] Dazu ist es auch sehr angenehm zu gehen auf diesem grünlich-blauen Samtboden, und so können wir uns die etwas längere Marschdauer schon gefallen lassen. Auch rückt uns wenigstens gut die Hälfte des merkwürdigen Hauptgebäudes im Mittelpunkte dieser Ringmauer stets näher, und so haben auch unsere Augen fortwährend vollauf zu tun. Die Pyramidenreihe hätten wir bereits erreicht, wie ihr merken könnet, und es zeigt sich noch immer kein anderes Hindernis als die zufolge unserer Annäherung beständig höher werdende Ringmauer. Diese selbst, wie es mir jetzt vorkommt, ist durchaus nicht kontinuierlich, sondern besteht aus lauter Säulengalerien, welche einen überaus prachtvollen Anblick zu gewähren anfangen.
[GS.02_032,04] O sehet nur hin, es sind ja drei Säulengalerien übereinander; aber die Säulen sind bei allem dem dennoch wenigstens dem jetzigen Anscheine nach ziemlich knapp aneinandergereiht. Also nur hurtig darauf losgeschritten und den Mut nicht sinken gelassen! Bald werden wir dieses großartig scheinende Hindernis meines Erachtens als gar kein Hindernis mehr anzuschauen Ursache haben, denn, wie ich bemerke, werden bei unserer Annäherung die Räume zwischen den Säulen merklicher und merklicher; und sehet, vor den Säulen ist eine zusammenhängende Staffelei angebracht, über welche man sicher von jeder Seite her wenigstens in die unterste Galerie gelangen kann.
[GS.02_032,05] Ja, sehet nur hin, die Säulen stehen recht weit auseinander, und wir können sicher zwischen ihnen in Reih und Glied durchziehen. Ja, ja, meine lieben Freunde und Brüder, also ist es. Jede gute Arbeit ist ihres Lohnes wert; wir sind mutig darauf losgeschritten, und da wir das größte Hindernis zu finden glaubten, da finden wir gerade gar keines. Wir haben diese endlos prachtvolle Staffelei erreicht, welche meinem Erkennen nach aus lauter rotem durchsichtigem Golde angefertigt und dazu noch zwischen einer jeden Säule bis zur andern hin mit einem mir bis jetzt auf diesem Weltkörper noch nicht vorgekommenen Stoffe für die Fußwandler auf das allerprachtvollst Zierliche überdeckt ist.
[GS.02_032,06] Zwölf Staffeln sind es nur; diese werden wir gar leichtlich überschreiten. Also nur hinauf! Wir sind in der Galerie. Da sehet einmal das Bodenpflaster dieser Galerie an; sieht es nicht aus, als wäre es eine rundgestreckte, weit ausgedehnte, allerfeinst geschliffene Diamantfläche in einer Breite von zehn Klaftern eures Maßes genommen? Sehet es nur recht genau an, es ist nirgends etwas Zusammengefügtes zu entdecken, also durchgehends kein Stückwerk, sondern ein vollkommen Ganzes. Und betrachtet einmal die Säulen, die nach innen zu gewendet sind oder die inwendige Reihe bilden. Eine jede ist umfaßt mit einer Wendeltreppe aus dem allerherrlichsten Rubine. Die Treppe ist eingeländert mit den zierlichsten Stäben aus weißem Golde, und über einem jeden der vielen Stäbe des Geländers ist eine hellblau strahlende Kugel angebracht, welche ein wunderliebliches Licht von sich wirft.
[GS.02_032,07] Ihr möchtet wohl wissen, wozu diese Wendeltreppen, und das um jede Säule gleichförmig? Der erste Grund ist offenbar, um auf die zweite Galerie zu gelangen; aber dazu brauchte ja nicht eben eine jede Säule mit solch einer Wendeltreppe versehen zu sein.
[GS.02_032,08] Solches liegt in der Weisheit dieser Menschen, derzufolge sie allenthalben in die Höhe gelangen können, ohne daß eines das andere nur im geringsten beirren möchte; denn diese Säulen stellen die Lehrer oder Führer dar. Wie aber kein Führer und Lehrer also beschaffen sein soll, daß man durch sein Geleite nicht in die Höhe gelangen möchte, also darf auch keine solche entsprechende Säule ohne eine in die Höhe leitende Wendeltreppe sein.
[GS.02_032,09] Ihr saget hier gleichwohl und fraget, warum denn nicht auch aus eben dem Grunde die äußere Säulenreihe bestaffelt ist? Sehet, das liegt schon wieder im Grunde der Weisheit dieser Menschen, demzufolge die äußere Säulenreihe wohl auch Lehrer darstellt; aber Lehrer für naturmäßige Beschaffenheit, also Lehrer in äußeren Dingen. Diese aber können mit ihrem Lehrfache niemanden erheben, daher sind auch diese äußeren Säulen ohne Staffeln.
[GS.02_032,10] Ja ihr könnet hier betrachten, was ihr wollt, so werdet ihr überall die vollkommenste und innigste Entsprechung mit den äußern wie mit den innern Verhältnissen des Menschen finden. Also ist uns der Weg von unserer letzten Allee ganz einförmig vorgekommen. Es war nichts da als der schöne Boden und die etwas sparsame eben nicht ansehnliche Pyramidenreihe, darauf die beglückende Erweiterung der von uns früher als hinderlich vermeinten Ringmauer in geräumige Säulengalerien und über derselben eine halbe Ansicht des Hauptgebäudes in der Mitte. Das war aber auch alles, was uns auf der Reise über die freie Ebene vorkam.
[GS.02_032,11] Ihr meinet, hinter dieser höchst einfachen Erscheinung dürfte doch nicht gar zu viel Bedeutendes in entsprechender Hinsicht stecken. Ich aber sage euch: In eben dieser etwas langweiligen Reise liegt etwas ganz außerordentlich Tiefes verborgen. Es ist freilich wenig, was uns da begegnete; aber nach eurem Spruche, daß dem Weisen das Wenige genüge und er in selbem gar Großes finde, ist auch dieses Wenige so bestellt, daß es uns vollkommen genügen kann, wenn wir es nur mit einem einigermaßen weisen Blicke betrachten. Damit ihr euch aber davon einen kleinen Begriff machen könnet, so will ich euch vor der Hand nur einige ganz unbedeutende Stupfer geben, nach denen ihr mit sehr leichter Mühe das Tiefere selbst finden könnet.
[GS.02_032,12] Aus den drei Alleen, also aus den drei Demütigungsgraden aus dem Leiblichen, Seelischen und Geistigen, sind wir auf einmal in den freien Raum oder entsprechend in die innere Freiheit des Geistes gelangt, und das mit den Mitteln, welche uns der Herr Selbst verordnet hat. Und diese Mittel sind die äußere Weisheit der Lehre des Herrn, welche der Mensch zuerst buchstäblich beobachten muß, bis er zum inneren geistig freien Bewußtsein gelangt.
[GS.02_032,13] Herrlich ist der Boden, auf dem man wandelt, überall frei und ohne Hindernis, und blau ist seine Farbe, voll sanften Glanzes; also ist auch das freie Bewußtsein des Geistes, welches sich in einer unwandelbaren Beständigkeit ausspricht. Aber in der Mitte des freien Raumes sind Pyramiden angebracht. Das sind ja Grabmäler; was zeigen denn diese an? Ihr möchtet wohl sagen: Vielleicht das gänzliche Absterben für die Welt. Das, meine lieben Brüder und Freunde geschieht schon bei der Reise durch die drei Alleen.
[GS.02_032,14] Diese Pyramiden aber zeigen hier nur an – das Sichzurruhelegen der äußeren Weisheit, und daß man in dieser Sphäre kein Hindernis mehr zu erwarten hat, entsprechend, daß man sich der Möglichkeit enthoben hat, je mehr vor Gott sündigen zu können. Denn jeder Geist, an dem nichts Äußeres mehr klebt, kann nicht mehr sündigen und ist aus diesem Grunde erst rein.
[GS.02_032,15] Warum denn? Weil er vollkommen eins mit dem Herrn geworden ist! Mehr brauche ich euch in dieser Hinsicht nicht zu sagen; denn so jemand tut, was der Herr will und tut, der wird etwa dadurch doch nicht sündigen.
[GS.02_032,16] Als wir ganz nahe noch dem Austritte aus der letzten Allee waren, da kamen uns die herrlichen Säulengalerien noch wie eine kontinuierliche, unübersteigliche Ringmauer vor; also eine schauerliche Linie, über die zu gelangen sich beinahe gar keine Aussicht darbot. Als wir über die Pyramidenreihe hinaus waren, da fing die Mauer an, in getrennte Säulen sich aufzulösen, und nach sehr kurzer Reisefrist ward uns das zu einer großartigen Herrlichkeit und zu gar keinem Hindernisse mehr, was wir ehedem schon eine geraume Zeit hindurch am meisten befürchteten.
[GS.02_032,17] Was wohl stellt solches vor? Betrachtet den Tod eures Leibes. Das ist doch sicher für jeden noch äußerlich lebenden Menschen der am meisten gefürchtete Moment, also ein überaus allerstärkstes Lebensbahn-Hindernis. Das ist es auch sicher für jedermann, solange er die Pyramidenreihe nicht hinter dem Rücken hat.
[GS.02_032,18] Hat aber jemand bei der Ablegung alles äußeren Weisheitsscheines in seinem Geiste vollkommen den Herrn angezogen, dann wird dieses gefürchtete Hindernis ein überaus herrlicher Prachtanblick werden, und ein jeder wird da sicher den heißesten Wunsch tragen, sobald als möglich über die zwölf Staffeln in die untere Galerie zu gelangen.
[GS.02_032,19] Woher rühren denn die zwölf Staffeln? Diese stellen sinnbildlich die zehn Gebote Mosis und dann noch dazu die zwei Gebote der Liebe aus dem Munde des Herrn dar; so wie die drei übereinanderstehenden Galerien darstellen: Naturmäßiges im Geistigen, Geistiges im Geistigen, und Himmlisches im Geistigen. Ich meine nun, aus diesem Stößchen dürftet ihr die Erscheinungen auf dem Marsche über den freien Platz nun so ziemlich begreifen bis auf die halbe Ansicht des Mittelgebäudes, welches die Gnade des Herrn bezeichnet und vor der Hand allein sichtbar ist, bis jenseits der Galerien auch der Hauptgrund sichtbar wird, welcher die Liebe des Herrn ist oder der Herr Selbst in Seiner Persönlichkeit. Da wir solches wissen, so ziehen wir wieder weiter. –
33. Kapitel – Der Sonnenpalast. Ungeheure Prachtentfaltung mit Lichtwundern.
[GS.02_033,01] Wird es wohl schwer sein, von hier weiterzuziehen, und müssen wir von hier aus auch noch die gerade Linie beobachten? Gehen wir nur hinaus in den freien überaus geräumigen Raum, welcher sich zwischen dieser weiten Rundgalerie und zwischen dem Hauptmittelgebäude vorfindet, und wir werden da bald sehen, was zu machen sein wird.
[GS.02_033,02] Sehet nur einmal zwischen den zwei vor uns stehenden mit Wendeltreppen versehenen inneren Säulen hinaus und saget mir, was ihr erblicket.
[GS.02_033,03] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, für diesen Anblick finden wir keine Worte, um zu beschreiben, was alles sich da dem armseligen Auge in der allerwunderbarsten Art darstellt! Eine Fläche voll wogenden Glanzes sehen unsere Blicke, und aus einer jeden Woge sprühen Millionen Strahlen über Strahlen, ein jeder von einer anderen Farbe; und die Strahlen ergreifen sich gegenseitig und bilden vorübergehende Formen. Die Formen gehen hier und da ineinander über und bilden eine neue Form.
[GS.02_033,04] Dort, weiter gegen das Hauptmittelgebäude zu, sehen wir diese Strahlenwogen sich in den buntesten Kreisen drehen, und die Kreise erheben sich oft kegelförmig über den Boden. Diese Kegel schimmern in einem wechselnden Lichte, dessen zauberhaft schönster Reiz mit keinem Worte zu beschreiben ist. Und endlich erblicken wir über diese Lichtkreise hin die unterste Säulenreihe des großen Mittelpalastes.
[GS.02_033,05] Die Säulen scheinen aufwärts wirbelnde Flammen von hellroter Farbe zu sein, und hinter diesen merkwürdigen Säulen strahlt eine lichtblaue Wand hervor, welche zwischen den Säulen mit Eingangspforten versehen ist, aus denen ein wunderherrliches grünlich-weißes Licht strahlt. – Das ist alles, was wir bis jetzt ausnehmen können.
[GS.02_033,06] Wenn wir auf die wogende Beweglichkeit dieser Fläche hinblicken, so kommt es uns vor, als wenn der Boden irgendein Gewässer wäre, über welches dann festen Fußes nicht darüberzukommen sein dürfte. Nur auf das einzige können wir einen diese Sache widerlegenden Rückblick tun, daß wir in der letzten Alleeverzierung ebenfalls eine solche wogende Fläche angetroffen haben, welche darum nichts weniger als flüssig war, und so kann es wohl sein, daß dieses Lichtwogen dieser Fläche vor uns ebenfalls nur eine Augentäuschung ist.
[GS.02_033,07] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, also verhält es sich auch mit dieser Sache. Alles, was ihr hier als beweglich erschauet, ist nur ein Spiel des Lichtes, welches auf den Zentralsonnenkörpern besonders stark zu Hause ist, und das um so stärker auf irgendeinem Punkte, je mehr sich dieser dem großen Äquator solch einer Zentralsonne nähert. Daher gibt es hier ein Material, welches an und für sich überaus fest ist, und eine große Politur annimmt, viel stärker als der feinste Diamant bei euch. Wenn so eine große Fläche dann gehörig geglättet ist, da nimmt sie auch um so begieriger die mächtigen Lichtstrahlen aus dem einen solchen Sonnenkörper umgebenden Lichtäther auf und wirft dann nach der Übersättigung eben diese Strahlen wieder zurück. Und so entsteht aus dem Ein- und Gegenstrahlen solch eine wogende Wirkung, in der Nähe als sich zu allerlei Lichtformen bildende, durcheinanderbewegende Wogen, in der Entfernung aber zu Kreisen. Warum denn? Weil in der Ferne alle Bewegungen wie auch alle Formen sich fortwährend mehr und mehr abrunden, was ihr schon auf eurem Erdkörper aus verschiedenen Erscheinungen entnehmen könnet.
[GS.02_033,08] Gehet ihr z.B. auf eine bedeutende Höhe und sehet euch den weiten Horizont an, der an und für sich sehr uneben ist, so werdet ihr ihn aber dennoch ganz gerundet erblicken; die Ursache liegt darin, weil die kleinen Unebenheiten gegen den ganzen weiten Horizontkreis so gut als gänzlich verschwinden.
[GS.02_033,09] Beschauet ihr eine mehrkantige Säule von einer gewissen Entfernung, und sie wird euch nicht kantig, sondern rund erscheinen.
[GS.02_033,10] Gehet ferner an einen breiten Strom und betrachtet das Fortfließen des Wassers vom nächsten Ufer angefangen bis zum entgegengesetzten hin, da wird sich diese Erscheinung am meisten bestätigen. Am nächsten Ufer werdet ihr das Stromwasser bunt durcheinanderwogend erblicken, aber am entgegengesetzten Ufer werdet ihr bei einer etwas längeren Betrachtung lauter ineinander verschlungene Kreise erblicken, in denen sich die Fluten des Stromes wie langsam fortzuwirbeln scheinen.
[GS.02_033,11] Wie uneben die Weltkörper auf ihrer Oberfläche sind, das kann euch eure Erde zur Genüge zeigen; aber von großen Entfernungen betrachtet werden sie zu einem vollkommen runden Kreise, d.h. wenn schon nicht ganz vollkommen zirkelrund, so aber doch an der außen erscheinenden Randlinie als vollkommen eben.
[GS.02_033,12] Es ließen sich noch eine Menge solcher Beispiele anführen; allein ich meine, daß diese genügen, um die vor uns liegende so ziemlich stark ins Wunderbare gehende Erscheinung zu begreifen, d.h. als Erscheinlichkeit selbst, ohne innere geistig entsprechende Bedeutung, auf welche wir erst bei der passenden Gelegenheit kommen werden.
[GS.02_033,13] Wir brauchen vor der Hand nichts anderes zu wissen, als daß der vor uns ausgebreitete Boden vollkommen fest ist, und wir können uns dann sogleich schnurgerade auf demselben fortzubewegen anfangen; und so denn treten wir nur wohlgemut hinaus!
[GS.02_033,14] Wir sind heraus aus der Galerie auf dem Boden und sehet, er ist fest, und wo wir stehen, ist das Wogenspiel des Lichtes nicht zu erschauen. So können wir uns nun schon gegen das Hauptgebäude hin bewegen. Werfet aber einen Blick auf das Gebäude hin, welches nun schon in seiner ganzen enthüllten Pracht vor uns steht.
[GS.02_033,15] Was sagt ihr zu diesem Werke? Ihr saget, was ich eigentlich auch sage: Da hört das Reden auf, und man wird stumm vor dem zu großartig erhabensten Anblicke! Wenn man sich so einen ins Unendliche veredelten und verherrlichten babylonischen Turm vorstellen würde, so hätte man ungefähr wohl noch das beste Bild davon; nur müßte man die schneckenartig aufwärtsführenden Gänge des babylonischen Turmes hinwegnehmen und denselben in zehn Stockwerke einteilen, von denen ein jedes einen etwas engeren Kreis beschreibt. Das wäre aber nur eine nackte Form ohne Licht; hier jedoch ist die großartigste und edelste Form übergossen mit einer unbeschreiblichen Pracht und Glorie des Lichtes. Um wieviel steht sonach die gedachte Form dieser unbeschreiblichen, alle Begriffe übersteigenden Herrlichkeit nach.
[GS.02_033,16] Gehen wir aber nur näher; es wird sich die Sache immer mehr und mehr entwickeln in ihrer unendlichen Pracht. Ihr sehet die untere Reihe von hier so, als bestünde sie aus einzelnen großen Säulen, von denen eine jede eine Höhe von dreißig Klaftern hat. Die Höhe möget ihr wohl richtig beurteilt haben; aber die Säule an und für sich nicht. Wenn ihr genau hinsehet, da werdet ihr eine jede Säule also erblicken, als wäre sie mit Rundstäben belegt. Doch wir sind jetzt schon näher, und es läßt sich nun recht gut ausnehmen, daß eine solche Säule, die sich aus einiger Entfernung als nur eine Säule ausnimmt, in dieser Nähe ein ganzer Kreis von Säulen ist, was wir früher als einzelne Stäbe an einer großen Säule erschauten.
[GS.02_033,17] Und nun sehet, wir sind glücklicherweise schon an die große Staffel des Zentralgebäudes gekommen und erblicken, daß eine jede solche Hauptsäule aus dreißig in einem Kreise herumgestellten Säulen besteht, von denen eine jede von der andern noch so weit entfernt absteht, daß wir ganz bequem in solch ein Säulen-Rondell hineintreten und uns darin überzeugen können, daß es noch hinreichend Raum hat zur Aufnahme von tausend Menschen.
[GS.02_033,18] Aber zugleich betrachtet diese herrliche Einrichtung; längs des Kreises dieser Säulen windet sich im inwendigen Raume eine überaus prachtvolle Treppe in sanfter Steigung und mit den allerprachtvollsten Geländern versehen hinauf in das nächste Stockwerk. Und sehet, eine jede Säule oder vielmehr ein jeder Säulenkreis, den wir von hier erblicken, hat eine gleiche Einrichtung.
[GS.02_033,19] Der Boden solch eines Säulenkreises ist hellgrün und die Galerien, welche die aufsteigende Treppe einfassen, sehen aus wie flammendes Gold; und da sehet hinaus, der Boden dieser ersten großen, ebenerdigen Galerie ist von der Farbe eines allerschönsten Amethystes, in welchen allerlei Diamantzierat wie ein Mosaik eingearbeitet ist. Was saget ihr zu dieser wahrhaft unerhörten Pracht?
[GS.02_033,20] Ich sehe, daß es euch hier abermals so geht wie mir, man findet für die Buchstabensprache keine Worte. Gehen wir aber nun eine solche Treppe aufwärts und beschauen das zweite Stockwerk; allda erst werden wir Dinge zu Gesichte bekommen, die alles bisher Geschaute in den Schatten stellen werden. – Und so denn folget mir auf der Treppe.
34. Kapitel – Einzelheiten des Palastes und deren Entsprechung.
[GS.02_034,01] Sehet, da sind wir schon in der Galerie des ersten Stockwerkes. Ihr sehet wieder Säulenrondells statt einzelner großer Säulen aufgestellt, und in der Mitte dieser Säulenrondells seht ihr hier wie Altäre aufgerichtet, welche demjenigen Altare eben nicht unähnlich sind, den wir auf der Wanderung hierher in der Allee zuerst angetroffen haben. Die innere Rundung des Säulenkreises ist abermals, wie ihr sehet, allenthalben mit einer unaussprechlich prachtvollen Treppe versehen.
[GS.02_034,02] Wozu denn aber diese Altäre in der Mitte dieses Säulenrondells? Einesteils dienen sie zur offenen Zierde eines solchen Säulenrondells, andernteils aber bezeichnen sie den ersten Grad der Erkenntnis Gottes, während die Säulenrondells zu ebener Erde ganz leer sind und das Menschliche im gänzlichen Naturzustande bezeichnen.
[GS.02_034,03] Aber besehet die Pracht dieser Säulen; die sind nicht mehr glatt, sondern gewunden. In der Höhlung der Windung ist eine Verzierung von herrlichstem Laubwerke, und der Bauch der Windung ist besetzt mit den wunderherrlichsten, selbstleuchtenden Edelsteinen, welche wie Halbkugeln hineingefügt sind. Die Farbe der Säulen ist bläulich-grün, das Laubwerk ist wie flammendes Gold, der Boden des Rondells ist wie ein überaus stark funkelnder Rubin, und die Treppe ist hier von weiß flammendem Silber angefertigt.
[GS.02_034,04] Sehet aber den Boden der Galerie. Dieser ist aus lauter allerfeinstem Hyazinthe, das prachtvolle Geländer nach außen hinaus von Porphyr, und die innere Wand des Hauptgebäudes besteht aus Onyx, welcher ist ein gar herrlicher Edelstein. Das bogenartige Gewölbe zwischen den Säulen und der kontinuierlichen Wand aber besteht aus dem allerschönsten Opal, in welchem allerlei farbige, selbstleuchtende Steine in wunderbarer Ordnung eingelegt sind.
[GS.02_034,05] Und da sehet hin, zwischen einem jeden Säulenrondell ist in der festen Wand des Hauptgebäudes ein hohes und breites Tor angebracht. Dieses Tor hat, wie ihr bemerken könnet, zwei Flügel, welche an einer in der Mitte des Tores angebrachten viereckigen Säule eingehängt sind und sich somit nicht in der Mitte, sondern zu beiden Seiten öffnen. Die viereckige Säule ist ein flammendes Diamantstück, und die Torflügel bestehen aus flammendem Golde, welches noch herrlicher ist als das durchsichtige; dergleichen freilich wohl auf der Erde nicht vorkommt.
[GS.02_034,06] Ein durchsichtiges Gold könnte auf der Erde wohl erzeugt werden; wie aber? Durch Verglasung; denn ihr wisset, daß alle Metalle, wenn sie den höchsten Hitzegrad ausgestanden haben, gewisserart in eben diesem Hitzegrad verbrennen. Nach dem Verbrennen bleibt aber nichts als wie eine Art Schlacke übrig. Wenn nun diese Schlacke wieder zermalmt wird und gemengt mit einem dieselbe auflösenden Salze, so kommt sie in Fluß, und wenn sie dann abgekühlt wird, so ist diese durch das Salz und natürlicherweise durch große Hitze flüssig gewordene Masse zum durchsichtigen Glase geworden. Wenn also aus der freilich auf dem Erdkörper sehr teuer zu stehen kommenden Goldschlacke auf oben gezeigte Weise ein Glas verfertiget würde, so würde solch ein Glas von gelb-rötlicher Farbe das allerfeinste durchsichtige Gold geben.
[GS.02_034,07] Aber ein flammendes Gold auf der Erde darzustellen, wäre wohl die reinste Unmöglichkeit. Nicht einmal auf den Planetarsonnen geht solches an, sondern allein nur auf den Zentralsonnen, wo das Licht in für euch unmeßbarster Intensität zu Hause ist. Allda ist demnach jeder durchsichtige Körper der beständigen Durchflammung fähig, weil er das in sich aufgenommene Licht zufolge des ihn umgebenden Lichtes nimmer verzehren kann. Und so geschieht durch solch einen beständigen Konflikt zwischen Licht und Licht ein solches Flammen, welches den Anschein hat, als wäre die Materie im fortwährend brennenden Zustande. Rührt man aber solch eine Materie an, so ist sie vollkommen fest und nicht im geringsten irgend erhitzt, sondern gerade im Gegenteile, je flammender etwas ist, desto kühler ist es.
[GS.02_034,08] Es steht eben darum in einer nicht geringen Entsprechung mit denjenigen Menschen auf eurer Erde, die nach außen hin sehr feurig sind und über alles eifern; rührt man aber ihr Herz an, so erstaunt man über die Kälte desselben! So könnet ihr Menschen antreffen, die sich für die Unterstützung der Armen aus lauter Feuereifer die Zunge wund reden können; wenn ihnen aber heimlich ein Armer begegnet, da sind sie kälter als das tausendjährige Eis eines Gletschers, welches der gewöhnliche Sonnenstrahl nicht zu schmelzen vermag, wohl aber hie und da in kleinen Portionen ein wohlgenährter Blitz.
[GS.02_034,09] Also sieht es auch zu allermeist mit den berühmten Kanzelpredigern aus. Sie zünden mit ihrem übermäßigen Feuer eine Hölle an, in welcher es kein auch dem allermächtigsten Feuer verwandtes Wesen nur eine Sekunde lang aushalten könnte; fraget ihr sie hernach, was ihr Herz zu einem so außerordentlich hohen höllischen Hitzegrade sagt, so wird euch die Antwort werden: Ich befinde mich recht wohl dabei. Ein guter Braten und ein nicht zu kleines Glas Wein auf so eine hitzige Predigt bringt bei ihm alles wieder ins Gleichgewicht.
[GS.02_034,10] Das wäre demnach eine Entsprechung unseres flammenden Goldes; aber diese ist eben nicht die empfehlenswerte. Es gibt jedoch auch eine anempfehlenswerte, d.i. eine geistig gute, und diese lautet also:
[GS.02_034,11] Menschen, die voll Liebe sind in ihrem Herzen, gegen diese ist auch die Liebe des Herrn mächtig wirkend. Dadurch geschieht ein Konflikt zwischen Liebe und Liebe, und diese Liebe wirkt dann wohltätig nach außen. Sie erleuchtet und erwärmt, was sie umgibt; aber in sich selbst bleibt sie kühl. Warum denn? Weil sie keine Eigenliebe ist. Solches bezeigt auch das flammende Gold. – Nun wüßten wir diese Entsprechung; und so können wir die Torflügel schon ein wenig in Augenschein nehmen.
[GS.02_034,12] Da seht nur her, welche Erhabenheiten plastisch in diese Torflügel eingearbeitet sind! Sieht die Sache nicht beinahe aus wie eine Bilderschrift, welche aus der Mitte der Masse, aus welcher die Flügel angefertigt sind, in den wunderbarsten Farben durchstrahlet? Und da sehet durch eine glatte Fläche des Torflügels in das Innere des Gebäudes! Ihr fahret zurück; was alles habt ihr denn gesehen? Ich lese es schon an euren Gesichtern; ihr habt Menschen entdeckt, und das von nie geahnter Schönheit! – Ja, ja, so ist es.
[GS.02_034,13] Diesen Menschen dürfen wir uns für jetzt noch nicht nahen, wir müssen zuvor von der stets steigenden Pracht dieses Gebäudes gehörig abgestumpft werden, sonst könnten wir samt und sämtlich einen kleinen Schaden an unserer geistigen Gesundheit erleiden. Denn so vollkommen ist nie ein Geist selbst des höchsten Himmels, daß er unvorbereitetermaßen alle Schönheit der Schöpfung des Herrn anschauen könnte, ohne dabei eine zeitweise Beschädigung zu überkommen.
[GS.02_034,14] Damit wir aber hier nicht zu sehr angefochten werden, so begeben wir uns nur ganz hurtig in ein solches Säulenrondell und über die Treppe in das zweite Stockwerk, oder nach der Zahl der Galerie gewisserart in das dritte, allda uns wieder ganz andere Dinge erwarten.
[GS.02_034,15] Ich merke zwar noch einen zweifelhaften Punkt in euch, und dieser besteht wieder in einem euch unverständlichen Zahlenverhältnisse, und zwar darin, daß wir alle aus der Entfernung her dieses ganze Hauptgebäude aus zwölf Stockwerken bestehend erschauten, in dieser Nähe aber nur aus zehn. – Lassen wir die Sachen nur gut sein, wenn wir uns im zehnten Stockwerke befinden werden, so wird sich die Sache schon aufklären. Für jetzt aber gehen wir nur in unser zweites Stockwerk oder in die dritte Galerie.
35. Kapitel – Geistiges Fortschreiten durch Palasteinrichtungen dargestellt.
[GS.02_035,01] Sehet, es kommt nur auf eine Vorübung an, und man steigt dann in einer höheren Sphäre mit eben der Leichtigkeit in eine noch höhere, als man vorher von einer unteren Sphäre in eine nach ihr folgende höhere gestiegen ist.
[GS.02_035,02] Ihr saget freilich, daß es auf der Erde nicht eben ganz vollkommen derselbe Fall ist; denn je höher man dort steigt, desto schwerer werden einem auch die Füße, und so braucht jeder nächste Tritt eine etwas stärkere Anstrengung als der vorhergehende. Das ist richtig; aber ihr müsset dabei bedenken, daß so ihr irgend natürlichermaßen in die Höhe steigen wollet, ihr da in einem Zuge fortgehet und machet nicht verhältnismäßige Raststationen zwischen einem und dem andern Höhepunkte. Dadurch aber müsset ihr dann ja notwendigerweise ermüdet werden. Teilet ihr aber eine zu besteigende Höhe ab, und zwar in solche Rastabsätze, wo ihr von einem bis zum andern nicht müde werden könnet, da werdet ihr nach einer zweckmäßigen Rast jeden folgenden Absatz mit gleicher Kraft und Müdlosigkeit besteigen können.
[GS.02_035,03] Daß aber solches richtig ist, könnet ihr sehr leicht aus eurem täglichen Leben ersehen. Ihr gehet da doch häufig hin und her und werdet dabei nicht müde. Warum denn nicht? Weil ihr inzwischen wieder gehörig ausruhet. Zählet aber eure Schritte zusammen, die ihr in einem Tage hindurch machet, so werden es so viele sein, daß ihr mit denselben in einer geraden Linie leichtlich eine Strecke von zehn Stunden Feldweges zurücklegen würdet. Machet ihr nun aber einen Weg von zehn Stunden, so werdet ihr bis zum Niedersinken müde werden.
[GS.02_035,04] Sehet, also ist meine Annahme und Erklärung richtig; so jemand im Wege und im Emporsteigen desselben nicht müde werden will, da mache er Absätze mit gehöriger Rast, und er wird am Ende bei einer zurückgelegten Reisestrecke von zehn Stunden, ob eben oder aufwärts, noch dieselbe Kraft in seinen Füßen haben, wie er sie gehabt hat beim ersten Schritte, und bei einer weiter fortgesetzten Reise wird er statt müder nur stärker werden.
[GS.02_035,05] Auf dieselbe Weise aber verhält es sich auch mit dem geistigen Fortschreiten, wie auch mit demjenigen, welches halb geistig und halb materiell ist. Nehmet ihr z.B. jemanden an, der auf irgendeinem musikalischen Instrumente ein Virtuose werden wollte; was wird aus ihm wohl werden, wenn er sein Instrument den ganzen Tag und so auch noch dazu etwa die halbe Nacht nicht aus der Hand legt und dazwischen einige Stunden ruht? Ich sage euch: Nicht acht Tage wird er solch eine Übung aushalten. Warum denn nicht? Weil eine jede Bewegung sowohl des Leibes wie des Geistes eine viel größere Anstrengung der Lebenskräfte fordert als der Zustand der Ruhe.
[GS.02_035,06] Die Anstrengung der Lebenskräfte aber ist eine Verzehrung derselben, durch welche sie nicht gestärkt, sondern natürlicherweise nur geschwächt werden müssen. Der Mensch aber ist also eingerichtet, daß sich im Zustande der Ruhe seine verzehrten Kräfte durch das beständige Einfließen des Herrn aus den Himmeln wieder ersetzen. Und wenn so durch den öfteren zweckmäßigen Gebrauch die Lebenskräfte zu öfteren Malen in Anspruch genommen werden, da werden eben durch diesen Gebrauch die Gefäße zu fernerer Aufnahme der Lebenskraft nach und nach stets mehr erweitert und gestärkt. Dadurch muß dann der Mensch bei einer stufenmäßig geordneten Lebensweise an Kraft und Stärke notwendig zunehmen, weil er als ein Gefäß auf diese Art und Weise stets mehr Lebenskraft in sich aufnehmen kann.
[GS.02_035,07] Sonach wird ein Wanderer durch den zweckmäßigen Gebrauch der Kraft seiner Füße von Tag zu Tag stärker. Der auf einem musikalischen Instrumente sich zweckmäßig Übende wird tüchtiger und tüchtiger, und der im Geiste Fortschreitende wird ebenfalls von Periode zu Periode fähiger und fähiger werden, ohne wahnsinnige Ermüdung des Geistes sich in die größten Höhen und Tiefen der Weisheit emporzuschwingen.
[GS.02_035,08] Wollte aber jemand von heute bis morgen schon das erreichen, was ein geordnet Fortschreitender im Verlaufe von mehreren Jahren erreicht hat, so wird er ein Narr; denn er wird über das Maß des geordneten Zufließens seine geistige Lebenskraft verzehren und dann im Geiste zum Hinfallen schwach und ohnmächtig werden.
[GS.02_035,09] Die hungrigen Gefäße für Lebenskraft werden dann gleich einem Polypen alles aufzusaugen anfangen, was ihnen nur unterkommt, Unflat und Gold, Licht und Finsternis; also alles durcheinander. Diese ungleichartigen Substanzen aber werden dann in den Gefäßen zu gären anfangen, der Geist solcher Gärung wird bald die schwachen Gefäße zerreißen, und der Zustand, wo ihr saget: Bei dem ist das Radel laufend geworden, wird fertig sein.
[GS.02_035,10] Aus dem aber werdet ihr meines Erachtens nun schon ganz klar entnehmen können, daß ein jedes zweckmäßige Fortschreiten oder Aufsteigen in zweckmäßige Rastabsätze eingeteilt sein muß; und man wird dann mit der größten Leichtigkeit von der Welt jedes gute Ziel erreichen können.
[GS.02_035,11] Wer da ein großes Faß neuen Mostes hat und zieht ihn fortwährend von einem Fasse ins andere ab, um ihn dadurch etwa zu klären und stärker zu machen, der wird sich bei einem hundertmaligen Abziehen sicher überaus getäuscht finden. Dadurch wird der Most nicht nur allein nicht klar und stark werden, sondern, da in einem jeden Fasse etwas zurückbleibt, so wird er am Ende durch lauter Hin- und Herziehen den Most auch zum größten Teile einbüßen. Läßt er aber den Most im Fasse in der gehörigen Ruhe, so wird dieser tätig werden, alle Unreinigkeit von selbst hinausarbeiten, dadurch sich stets mehr und mehr klären und eben dadurch auch stets mehr und mehr sättigen mit der geistigen Kraft.
[GS.02_035,12] Hat er einmal die erste Stufe der Klarheit erreicht, dann wird es recht sein, ihn in ein anderes reines Faß abzuziehen, allda keine unlauteren Treber mehr auf dem Grunde liegen, welche die geistige Kraft des Weines schwächen; sondern er wird nun auf reinerem Grunde mit sich selbst, also mit seiner eigenen Kraft zu tun bekommen und sich durch diese eigene Kraftübung stets mehr und mehr stärken und kräftigen.
[GS.02_035,13] Gerade also ist es auch mit dem Menschen; von Stufe zu Stufe muß er steigen und von Stockwerk zu Stockwerk. So kommt er höher und höher in der Sphäre seines Lebens und aller Erkenntnisse desselben. Und so sind wir nun auch in unser zweites Stockwerk gelangt ohne die geringste Ermüdung und können uns nun hier in diesen herrlichen Galerien, wie ihr zu sagen pflegt, recht breitmachen und alle diese großen Herrlichkeiten betrachten.
[GS.02_035,14] Was die Bauart betrifft, so gleicht sie vollkommen der der ersten zwei von uns schon gesehenen und betretenen Galerien, nur sind die das nächste Stockwerk tragenden mächtigen Säulenrondelle etwas tiefer zurückgesetzt als die der vorigen Galerien.
[GS.02_035,15] Das Unterschiedliche zwischen dieser und der vorigen Galerie liegt zuerst in der ganz andern Färbung des Baumaterials ganz besonders aber in dem, daß in der Mitte dieser Säulenrondells statt eines Altares eine Art großer Gartenvase von der prachtvollsten und zierlichsten Arbeit sich befindet, aus welcher ein natürliches kleines Bäumchen wächst.
[GS.02_035,16] Ihr werdet etwa meinen, die Wurzeln dieses Baumes werden mit der Zeit die Vase auseinandertreiben. Des seid ohne Sorge. Die Weisheit dieser Menschen hat dagegen schon gehörig vorgesorgt; denn wird das Bäumchen mit der Zeit stärker und stärker, so wird es dann behutsam herausgenommen und versetzt in ein mächtiges Geschirr, das wir erst im nächsten Stockwerke antreffen werden. Dafür aber wird in die Vase dieses Stockwerkes wieder ein frischer Same gelegt, aus welchem ein neues ähnliches edles Bäumchen erwächst.
[GS.02_035,17] Hat denn auch diese gärtnerische Operation irgendeinen geistigen Grund? Allerdings, meine lieben Freunde und Brüder! Im ersten Stockwerke haben wir nur einen Altar in der Mitte gesehen. Dieser bezeichnete die erste gewisserart bloß nur buchstäbliche Erkenntnis Gottes; also ein Samenkorn, welches erst ins Erdreich kommen muß, um aus demselben zu einem Baume zu erwachsen, unter dessen Ästen dann die Vögel des Himmels Wohnung nehmen können.
[GS.02_035,18] Und sehet, hier ist dieses im ersten Stocke noch ledige Samenkorn schon in die Erde gelegt und aus derselben erwachsen zu einem kleinen Bäumchen. Es bezeichnet den Zustand des Menschen, wie er ein moralisches Wesen wird, sobald er von Gott eine Erkenntnis in sich aufgenommen hat und dann auch schon zur künftigen Fruchttragung geeignet ist, wie zur Wohnung der Vögel des Himmels. Und so werdet ihr im Verhältnis auch alles andere in diesem zweiten Stockwerke finden.
[GS.02_035,19] Der Boden der Galerie sieht aus wie ein weißglühend Erz, die Säulen sind rötlich-grün, der Boden der Säulenrondells, auf dem die Vase steht, ist weiß wie eine Sonne. Die Vase selbst ist aus einem Stücke Rubin geformt und ruht auf einem dreifüßigen Gestelle, welches aus flammendem Golde verfertigt ist, und das Erdreich in der Vase sieht aus wie Smaragdsamt. Die Treppe um die Säulen ist hier aus einem hellblauen Material angefertigt und mit grünem, mächtig stark schimmerndem Laubwerke verziert. Die Wand des Hauptgebäudes ist rosenrot, die Tore in das Innere sind aus Smaragd, die Mittelsäule, an der die beiden Flügel hängen, ist aus durchsichtigem Golde, und der Plafond in dieser Galerie samt seiner herrlichen Verzierung ist lichtgrün und glänzt mächtiger als die Sonne durch ein lichtgrünes Glas beschauet.
[GS.02_035,20] Nun aber begeben wir uns auch hier zu einer Türe hin und wollen durch ihr leicht durchsichtiges Material einen Blick ins Innere tun. Wir sind dabei; also sehet hinein! Was sehe ich? Ihr sinket ja völlig ohnmächtig zusammen, was hat euch denn da gar so erschüttert? Ich weiß schon, die in diesem Stockwerke noch viel schöneren Menschengestalten.
[GS.02_035,21] Ja, ich sage euch, die bildliche Schönheit dieser Menschen ist so groß, daß ihr auf eurer Erde nicht imstande wäret, eine solche Schönheit anzuschauen ohne das Leben plötzlich zu verlieren. Ich sage euch aber noch mehr: Der Glanz dieser Schönheit würde buchstäblich sogar eure ganze Erde in wenig Augenblicken völlig auflösen. Daher aber verlassen wir auch wieder diese Galerie und steigen somit ins dritte Stockwerk oder auf die vierte Galerie.
36. Kapitel – III. Stockwerk. Charakter der Verstandesbildung in entsprechenden Formen und Farben.
[GS.02_036,01] Wir hätten auch diese vierte Galerie oder das dritte Stockwerk erreicht. Daß hier nun alles noch ums Vielfache herrlicher und verklärter ist als in den vorigen Stockwerken, braucht kaum besonders erwähnt zu werden.
[GS.02_036,02] Ein Blick in diese in tausend glänzendsten Farben flammend strahlenden Galerien zeigt uns mit mehr als sprechender Klarheit, von welch unaussprechlicher Schönheit diese vierte Galerie ist; aber das sonderbare Gefäß im Säulenrondell verdient eine nähere Beachtung. Beschauet es genau, und zwar von allen Seiten, und ihr werdet am Ende sagen müssen: Fürwahr, das sieht eher einem Schiffe als irgendeinem Gartengefäße ähnlich. Und dennoch ist dieses schiffartige Gefäß gefüllt mit rötlich-blau schimmernder Erde, aus welcher in der Mitte des Gefäßes ein ganz tüchtiger Baum emporgewachsen ist, dessen Stamm von blendend weißer Farbe ist und glatt wie poliertes Silber. Die Äste und Blätter auf demselben aber gleichen so ziemlich den Ästen und Blättern eines Feigenbaumes auf der Erde, nur sind die Äste glänzend rot wie Korallen im Grunde des Meeres, und die Blätter sind blau-grün, an den Rändern mit kleinen wie Gold glänzenden Streifchen verbrämt, und über den Blättern zeigen sich im Ernste schon Knospen, darunter einige völlig zum Aufbrechen zeitig.
[GS.02_036,03] Das schiffartige Gefäß aber scheint aus hellrotem Golde zu sein und ist am Rande gar überaus zierlich mit einem verhältnismäßig festen, von durchsichtigem Golde angefertigten Geländer umfaßt, aus welchem kleine nach innen zu gebogene Röhren auslaufen und, wie es sich zeigt, fortwährend das Erdreich im Gefäße mit Wasser tropfenweise befeuchten. Das Wasser hat einen Wohlgeruch wie das allerfeinste Nardusöl. Der Boden des Säulenrondells scheint aus einer ähnlichen Masse verfertigt zu sein wie der große Hofraum zwischen der dreifachen Ringgalerie und diesem Hauptzentralgebäude; denn man kann hinsehen, wie man mag und will, so wellet und woget es immer auf seiner Oberfläche, und dennoch wissen wir, daß er sicher fest ist.
[GS.02_036,04] Merkwürdig sind dazu noch die einzelnen Säulen dieses Rondells. Ihre Farbe ist lichtgrau, aber durchsichtig, und in der Mitte einer jeden Säule scheint es lichtrot in gewundenen Röhren auf- und abzusteigen, wie eine rote durchsichtige Flüssigkeit, was der Säule ein sonderbares, merkwürdig erhabenes Aussehen gibt. Noch merkwürdig ist dabei, daß all die anderen Säulenrondells und ihre Säulen auf eine ganz haargleiche Weise in allem gestellt sind. In ihrer Mitte ist überall ein solches Schiffgefäß mit einem Baume, und überall entdecken wir in der Mitte der Säulen gewundene Röhren, in welchen gleichmäßige rote Flüssigkeit auf- und absteigt. Also sind auch die Rundtreppen innerhalb eines solchen Säulenrondells hier scheinbar etwas steiler gehalten wie in den früheren und scheinen aus einer Masse zu sein, welche unserem dunkelgrünen Glase gleicht, nur daß das Glas der Erde kein Eigenlicht hat und somit auch nicht mit einer so lebendigen Farbe förmlich in sich selbst zu glühen vermag.
[GS.02_036,05] Also ist es richtig, meine lieben Freunde und Brüder; aber was mag dieses alles wohl besagen? Wir wollen nicht lange herumgreifen und herumstehen, sondern die Sache gleich beim rechten Orte anpacken.
[GS.02_036,06] Was den in diesem schiffartigen Gefäße vorkommenden Baum betrifft, so haben wir bereits in der vorigen Galerie erfahren, daß er aus der dortigen Vase hierher überpflanzt wird, so er dort die gehörige Größe erhalten hat. Was geschieht denn aber hier mit ihm, so er auch da für dieses Gefäß zu mächtig wird? Wir haben ähnliche Alleen schon passiert. Wenn er hier die Früchte getragen hat, dann werden die Früchte abgesammelt und der Baum wird mit leichter Mühe versetzt hinaus in die Alleen und anderen Baumgruppen, allda er dann fortwährend blühen und Früchte tragen kann in die große Menge. Und hat er dort einmal ausgedient, so wird sein Holz genommen und seine Äste und sein Laubwerk und wird alles dieses auf den Altar gelegt, den ihr zuerst gesehen habt in der Allee, dann auf diesem Altare angezündet und somit Gott geopfert. Das wäre sonach das Schicksal des Baumes; – aber wir haben noch das Gefäß vor uns.
[GS.02_036,07] Warum hat denn dieses solch eine schiffähnliche Gestalt? Weil das Schiff auch hier auf diesem Weltkörper ein tragbares Fahrzeug über der Oberfläche des Gewässers ist. Um aber anzuzeigen, daß für den Baum hier noch keines Bleibens ist, wird ihm ein solches Gefäß gegeben. Der wogende Boden stellt scheinbar einen noch untüchtigen Grund vor, auf dem man kein Standquartier machen kann. Die graue Farbe der Säulen bezeichnet die Wehmut über das noch nicht beständige Leben des Baumes, und der rote rollende Saft in den gewundenen Röhren zeigt an, daß das wahre Leben in der Mitte aller äußeren Festigkeit wallen muß, wenn das äußere Leben fest und bleibend werden soll zur beständigen Tragung und freien Bewegung des inneren Lebens. Das bedeuten sonach die Form und Beschaffenheit der Säulen eines solchen Säulenrondells.
[GS.02_036,08] Die etwas steiler empor gehende Treppe bezeigt, daß der Fortschritt auf einem nicht festen Grunde schwieriger und manchesmal aufhaltender ist, als wenn man seine Schritte über das feste Land tun kann. Noch verständlicher gesprochen bezeigt die etwas steiler aufwärts gehende Treppe, daß der Mensch, wenn er einmal zu einer selbständig moralischen Wesenheit geworden ist, durch die alleinigen Tropfen der Erkenntnis schwerer vorwärts und aufwärts kommt, als wie ihm da anzeigt der rote in der Mitte der Säule leicht auf- und absteigende Saft, durch welchen dem freien moralisch gewordenen Menschen noch etwas verhüllt, aber doch faßlich klar genug gezeigt wird, welcher Weg zur Erreichung der wahren Höhe des Lebens der tauglichste und am wenigsten beschwerliche ist.
[GS.02_036,09] Durch die Röhrchen, welche vom Geländer des schiffartigen Gefäßes sich einwärts biegen, sehen wir zur Befeuchtung des Erdreiches Tropfen fallen; aber in der Mitte der Säulen steigt fortwährend eine ununterbrochene Masse Saftes auf und ab. Was bezeigt denn solches? Die Tropfen aus den Röhrchen sind die Erkenntnis von außen her und sind gewisserart nie ein Ganzes, sondern allezeit nur ein Stückwerk. Durch sie wird auch zumeist das äußere Formleben gebildet, aber nicht das inwendige einfache Hauptleben.
[GS.02_036,10] Also wird auch der Mensch durch allerlei Erkenntnisse wohl recht fein gebildet, bleibt aber bei all seiner großgelehrten Bildung ein zerstreuter, aber kein in eins gesammelter Mensch, und gleicht als solcher einem Baume, der in einem Schiffe wächst, wo er nämlich keine Festigkeit hat und für ihn in dieser Art noch keines Bleibens ist. Das Beste an ihm ist, wenn er auf den vielen und bunten Zweigen seiner äußeren Erkenntnisse gute Früchte bringt; diese werden behalten, der Baum aber nicht. Aber die Säule, die ein vereintes Leben wallen läßt in ihrer Mitte, bleibt fort und fort als eine feste, herrliche Stütze zur Tragung des Reiches Gottes.
[GS.02_036,11] Sehet, das alles bezeigt so ein vor uns stehendes Säulenrondell in dieser vierten Galerie; und ihr könnet von dieser Erkenntnis den sehr leichten Schluß ziehen, daß Menschen, die ihre Gebäude in solch einer hohen Entsprechung des Lebens aufführen, sicher überaus weise sein müssen. Solches bezeigt auch ihre strahlende Schönheit. Diese Menschen, die in dieser vierten Galerie wohnen, haben auch Entsprechung mit allem dem, was ihr hier sehet. Sie sind überaus weise und schön, und das mehr als alle, die wir bisher gesehen haben.
[GS.02_036,12] Darum wollen wir sie auch nicht ansehen, da deren Anblick euch eher einen Schaden als einen Nutzen bringen könnte, denn, wie ich schon bemerkt habe, ihr müsset vorher von der großen Pracht und Weisheit durch Beschauung dieses Zentralgebäudes förmlich abgestumpft werden, dann werdet ihr erst fähig sein, auch die Menschen, welche zu vielen Tausenden in diesem übergroßen Gebäude wohnen, in den Augenschein zu nehmen. – Und so werden wir uns sogleich wieder höher, in das vierte Stockwerk oder in die fünfte Galerie, begeben und dort wieder eine neue Pracht, Herrlichkeit und Weisheit dieser Menschen erschauen. Und so denn erheben wir uns über diese, wenn schon ein wenig steilere Treppe.
37. Kapitel – IV. Stockwerk. Der gewöhnliche Mensch und der göttlich-geistige Mensch.
[GS.02_037,01] Hier sind wir schon auf der fünften Galerie oder in dem vierten Stockwerke. Was erblicket ihr hier, das euch gar stark unterschiedlich von der vorigen Galerie vorkommt? Ihr saget: Das Unterschiedliche, das uns hier besonders auffällt, besteht in einer weißen, ziemlich hohen Pyramide, die sich da ebenfalls wieder in der Mitte der Säulenrondells befindet. Und die Spitze der Pyramide ist, für uns zum ersten Male merkwürdig genug, mit einer kleinen, einen nackten Menschen vorstellenden Statue geziert. Diese Statue hat eine rötlich-weiße Farbe und ist in ihrem verjüngten Maßstabe so vortrefflich geformt, daß man gerade glauben möchte, sie habe Leben. Solange wir uns bis jetzt auf diesem Weltkörper befinden, haben wir eine ähnliche Darstellung noch nicht entdeckt.
[GS.02_037,02] Was das Übrige dieses vierten Stockwerkes oder dieser fünften Galerie betrifft, so unterscheidet es sich im wesentlichen eben nicht mehr so viel von der unteren Galerie, nur daß der Fußboden dieser Galerie von flammend blauer Farbe ist, die Säulen von rötlich-weißer wie die Statue auf der Spitze der Pyramide, und die beinahe ins Dunkelrote gehende feste Wand des Hauptgebäudes ist das ziemlich Unterschiedliche von der vorigen Galerie. Aber wir müssen es fürwahr bekennen, daß wir von dem großen Glanze und von der Farbenpracht desselben schon so abgestumpft sind, daß wir auf dergleichen Unterschiede eben nicht mehr die größte Aufmerksamkeit verwenden. Aber was da dieses Zierakulum des Säulenrondells betrifft, so ist es uns überaus merkwürdig, da wir dergleichen, wie gesagt, auf diesem Weltkörper noch nicht gesehen haben. Es wird sicher nicht bloß als eine Zierde da sein, sondern wird einen guten Sinn haben, und diesen möchten wir in nähere Erfahrungen bringen.
[GS.02_037,03] Gut, meine lieben Freunde und Brüder, eure Bemerkung und euer Wunsch ist recht, vollkommen und billig, und so höret mich denn an; ich will die Bedeutung dieses Zierakulums in euch selbst ausfindig machen. Was bedeutet wohl die Pyramide? Ich habe euch die Bedeutung davon schon bei einer andern Gelegenheit kundgetan. Wollet ihr aber die Bedeutung, wie sie hier gar wohl gegründet ist, herausbringen, so betrachtet, wie eine Pyramide gestaltlich gebaut und wie da geartet ist ihr Zweck, und ihr werdet dadurch schon einen ganz tüchtigen Wink über die Bedeutung dieses Zierakulums in euch selbst erschauen.
[GS.02_037,04] Die Pyramide ist unten breit und endet oben in einer Spitze; also soll auch das gerechte demütige Leben des Menschen sein. Wie aber das Leben des Menschen sich zu arten anfängt, haben wir in den vorigen Galerien an dem Baume gesehen, wo der Baum aus einem gar kleinen Samenkörnchen sich stets mehr und mehr in seinen Ästen und Zweigen ausbreitet. Also breitet sich auch der Mensch aus in seinen verschiedenen Grundanlagen und daraus hervorgehenden mannigfaltigen Erkenntnissen, aber damit auch mit allerlei gearteten Begierden verbunden.
[GS.02_037,05] Was ist aber mit diesem ausgebreiteten Menschen mit der Zeit und in der Zeit? Er wird aus seinem schwankenden Boden herausgenommen und eingegraben hinter der Stätte der Gräber, allda die Probealleen sind. Oder verständlich gesprochen: Alles, was der Materie gehört, wird von der Materie wieder verschlungen, und es kümmert sich niemand um diejenigen Früchte, welche die von der Materie wieder aufgenommene Materie noch eine Zeitlang hervorbringt. Es werden nur diejenigen Früchte als gehaltvoll aufbewahrt, welche der Baum in den Gefäßen trug.
[GS.02_037,06] Sehet, also ist es auch mit dem Menschen. Was er Gutes gewirkt hat in der Zeit seines Lebens, welches da glich einem ausgebreiteten Baume, das wird aufbewahrt. Wenn aber der Mensch stirbt, so wird sein Leib eingegraben und somit alle seine weltläufigen Erkenntnisse mit ihm. Bleibt der Leib ohne Fruchttragung im Grabe? O nein; auf seinen vielen Ästen und Zweigen erwächst noch eine Menge Würmer, die sich nach und nach über ihren sie erzeugenden Baum selbst hermachen und ihn dann ebenso nach und nach bis auf das letzte Atom aufzehren. Die Würmer selbst aber haben schon wieder andere Gäste in sich, die sie nach und nach in den Schlamm der Erde und endlich in die Erde selbst verwandeln.
[GS.02_037,07] Das ist das Bild eines gewöhnlichen Weltmenschen. Durch diese Pyramide aber wird ein ungewöhnlicher Mensch dargestellt. Aber dieser ungewöhnliche Mensch stellt gerade einen Menschen vor, wie er vom Grunde des Grundes aus sein soll. Wie denn?
[GS.02_037,08] Der sich ausgebreitet habende Mensch fängt an, seine Erkenntnisse und seine Begierden fortwährend mehr und mehr auf einen Punkt zu vereinen, und dieser Punkt ist Gott in der Höhe! Je mehr er dahin aufblickt zu Dem, der ihn erschaffen hat zu einem freien Leben, in desto enger werdende Kreise werden seine Erkenntnisse und Begierden getrieben und gezogen; und das so lange fort, bis der Mensch die Spitze oder den Kulminationspunkt der Demut aus seiner völligen Selbstverleugnung in all seinen weltlichen Begierlichkeiten erreicht hat.
[GS.02_037,09] Was wird dann die Pyramide für den sich auf der Spitze der Demut befindlichen Menschengeist? Sie wird das, was sie war bei den alten Ägyptern, nämlich ein Grabmal für alle seine für die Welt gänzlich abgestorbenen Erkenntnisse, Begierlichkeiten und daraus hervorgehenden Leidenschaften.
[GS.02_037,10] Was aber erschauen wir hier über der Spitze der Pyramide? Eine sehr wohlgebildete kleine Gestalt eines Menschen von rötlich-weißer Farbe. Sehet, ein gar herrliches überaus treffendes Bild der Wiedergeburt des Menschen! Aus der Demut und der völligen Selbstverleugnung, also aus der Spitze der Pyramide geht er hervor. Wodurch ist er in die Spitze gelangt? Das zeigt seine Farbe; durch Glauben und Liebe zu Gott! Und seine kleine aber vollkommene Gestalt besagt soviel, als was der Herr einst Selbst gesagt hat zu uns, Seinen Jüngern: „So ihr nicht werdet wie die Kindlein, da werdet ihr nicht eingehen in das Reich Gottes!“
[GS.02_037,11] Die außerordentlich weich gehaltene Plastik bezeigt die Sanftmut; die Festigkeit des Materials, aus dem die kleine Statue geformt ist, aber bezeigt, daß der Mensch erst in solch einer wahren Wiedergeburt des Geistes in die unwandelbare Festigkeit des ewigen Lebens gediehen ist.
[GS.02_037,12] Der flammende blaue Boden bezeichnet dann ebenfalls den zwar einfachen, aber beständigen Grund zum ewigen Leben. Die mit der Statue gleichfarbigen Säulen aber bezeichnen die tragenden Stützen, welche da sind der wahre lebendige Glaube an Gott den Herrn und daraus die Liebe zu Ihm.
[GS.02_037,13] Sehet, das ist die überaus sinnige Bedeutung dieses Zierakulums. Begeben wir uns aber nun, da wir solches wissen, sogleich in die sechste Galerie oder in das fünfte Stockwerk. Dort werden wir wieder auf einen höheren Grad der Weisheit der Bewohner dieses Zentralgebäudes stoßen.
[GS.02_037,14] Ihr möchtet wohl gern einen Blick auf die anwesenden Bewohner im Inneren dieses vierten Stockwerkes machen. Ich aber sage euch: Lasset euch solch eine Begierde vergehen, denn ihr würdet hier noch weniger als in den früheren Galerien solch einen zu erhaben schönsten Anblick ertragen. Zur rechten Zeit aber werden wir schon ohnehin in einen näheren Kontakt treten mit den Bewohnern dieses Gesamtgebäudes; und so wollen wir nicht Säumens machen, sondern uns, wie gesagt, sogleich in den fünften Stock oder auf die sechste Galerie begeben.
38. Kapitel – V. Stockwerk. Fortgeschrittene Stufe der Entwicklung des Menschengeistes.
[GS.02_038,01] Wir sind oben; wie gefällts euch hier? Ihr saget: Überaus gut; aber es ist hier von diesem fünften Stockwerke oder von der sechsten Galerie schon ganz entsetzlich hoch hinabzuschauen! Es ist nur gut, daß da jede tiefer liegende Galerie über die andere hervorsteht; sonst würden wir eine solche Höhe kaum ertragen. Daß sonst alles in der früheren Art und Weise gestellt ist, läßt sich wohl auf den ersten Augenblick erschauen; aber was die Verzierung des Säulenrondells betrifft, so ist diese hier wirklich wieder ganz neu. Eine majestätisch große weiße glänzende Kugel ruht auf einer in der Mitte etwas erhabenen runden grünen Kreisplatte; auf der Kugel aber steht hier in einer wohlgehaltenen männlichen Stellung eine überaus meisterlich gearbeitete, einen vollkommenen Mann darstellende Statue. Die Statue blickt aufwärts; die linke Hand hält sie an der Brust und mit der rechten deutet sie hin in die Ferne auf die Weise, wie da ein Herrscher gestellt ist. Die Farbe der Statue geht ebenfalls ins rötlich-weiße über; aber die Haare sind völlig weiß und so auch der Bart. Die Nägel an den Fingern glänzen wie Sterne, der Mund ist halb geöffnet. Das ist aber auch alles, was wir von der Form dieser merkwürdigen Zierde herauszubringen imstande sind.
[GS.02_038,02] Auffallend ist es, daß hier die Säulen blau sind, der Fußboden aber rot und hier nicht so stark wellend und flammend wie ähnlichermaßen in den unteren Galerien, sondern die schwingende Bewegung, die wir an dem Boden bemerken, gleicht mehr dem Schwingen eines elastischen Körpers, da die Bewegungen gleichartig sind. Die Wand des inneren Gebäudes ist hier dunkelgrün, aus welchem Grün fortwährend eine hellrote Lichtfarbe herausvibriert.
[GS.02_038,03] Wenn man die Sache so recht in den Augenschein nimmt, so kommt es einem vor, daß das Gebäude hier in einem beständigen Vibrierzustande ist. Nur die Säulen lassen ihre wunderschöne blaue Farbe ganz ruhig ausströmen; und was wir bei diesen Säulen auch noch bemerken und bei den vorhergehenden nicht bemerkt haben, das sind die Kapitäle, welche über einer jeden Säule wie aus durchsichtigem Golde in einer unbeschreiblich kunstvoll schönsten Form angebracht sind. Lieber Freund und Bruder, das ist nun alles, was uns hier sonderheitlich auffallen konnte. Was aber dieses alles etwa besagen dürfte, dem sind wir nicht gewachsen und schon am allerwenigsten, was das Verhältnis dieser stets merkwürdiger werdenden Säulenrondelle betrifft.
[GS.02_038,04] Liebe Freunde und Brüder! Ihr habt das Notwendige und Zweckdienliche hinreichend gut beschaut. Was euch hier sonderheitlich aufgefallen ist, ist eben auch dasjenige, was wir zu unserem Zwecke brauchen können. Es hat hier zwar eine jede auch noch so kleine Verzierung ihren höchst weisen Grund; aber dieser betrifft gewisse Verhältnisse, die ausschließlich nur allein für diesen Weltkörper und namentlich für dieses Kreisgebiet gang und gäbe sind.
[GS.02_038,05] Was aber die von euch bemerkten sonderheitlichen Verzierungen betrifft, so haben sie einen allgemeinen Sinn, welcher wie ein Licht von diesem Zentralsonnenkörper ausgehend für die ganze Schöpfung gilt. Damit ihr aber diese Verzierung so geschwind und so gut als möglich erkennen möget, so müssen wir einen kleinen Blick auf die vorige Galerie werfen. Dort haben wir auf der Spitze der Pyramide eine kleine Statue gesehen. Sie bezeichnete die „Wiedergeburt des Menschen“ in seinem Geiste. Unter ihr war das abgeschüttelte Weltliche noch in einer vollkommenen Pyramide ersichtlich.
[GS.02_038,06] Nun aber sehet hier die gegen die Mitte ein wenig erhabene grüne Rundplatte. Diese ist nichts anderes als die frühere durch das große Gewicht des groß gewachsenen wiedergebornen Menschengeistes ganz zusammengedrückte Pyramide, oder hier ist es, wo die Berge und Täler geebnet sind. – Das ist richtig.
[GS.02_038,07] Aber woher kam die große weiße Kugel und was besagt sie? Die Kugel sowie der Kreis ist das Symbol der Vollendung; zugleich aber stellt sie auch dar, daß der Geist des Menschen im vollkommenen Siege über sein Weltliches sich selbst eine neue Welt schafft, welche ist hervorgehend aus seiner vollendeten Weisheit. Also wird auch ein jeder vollendete Geist einst der Schöpfer seiner eigenen Welt werden, oder er wird die Welt bewohnen, die hervorgegangen ist aus den Werken seiner Liebe und aus dem lebendigen Lichte seines Glaubens. Und dazu bezeigt die Kugelgestalt die höchst mögliche Vollendung einer solchen Welt, vollendet in der Liebe, vollendet in der Weisheit und vollendet in jeglicher Tüchtigkeit.
[GS.02_038,08] Daß aber die Kugel eine solche Vollendung anzeigt, könnet ihr daraus zur Übergenüge ersehen, so ihr einen Weltkörper um den andern betrachtet, welche Weltkörper der Herr als das, was sie sind, vollendet erschuf. Wie sehen aber diese Weltkörper aus? Sehet, sie sind vollkommene Kugeln. Warum aber drückt sich durch die Kugel das Vollendete aus? – Messet einmal die Kugel mit einem Zirkel aus, und ihr werdet über diese Kugel zahllose Kreise machen können vom größten bis zum kleinsten. Die Oberfläche oder der äußere Umfang der Kugel wird nach jeder Richtung einen und denselben Kreis geben. Ferner könnet ihr, wo ihr immer wollt, auf der Kugel einen kleineren Kreis machen, so wird er sich überall ganz vollkommen in der Mitte der ganzen Oberfläche der Kugel befinden. Solches ist auf einem jeden anders geformten Körper nicht möglich, auch auf dem Kreise nicht; denn so ihr beim Kreise oder vielmehr auf der Fläche des Kreises irgendeinen kleineren Kreis machet, so wird er sich doch sicher nicht mehr in der Mitte der Kreisfläche befinden, aber auf der Oberfläche einer Kugel ist er überall vollkommen in der Mitte. Sehet, also drückt die Kugel wie kein anderer Körper die höchst mögliche Vollendung aus, wie auch die höchst mögliche Freiheit des geistigen Lebens.
[GS.02_038,09] Wie aber? Auf der Oberfläche der Kugel könnet ihr, wohin ihr wollt, einen kleineren Kreis oder einen Punkt setzen, und er wird sich vollkommen in der Mitte befinden, d.h. in der Mitte der gesamten Oberfläche der Kugel. Und da könnet ihr tun, was ihr wollt, und ihr könnet da unmöglich gegen dieses mathematisch richtige Gesetz je auch nur den allerleisesten Fehler begehen.
[GS.02_038,10] Sehet, also steht es auch mit der vollkommenen Handlungsfreiheit des vollendeten Geistes. Er kann tun, was er nur immer mag und will, und es ist ihm eine reine Unmöglichkeit, sich je gegen die allervollkommenste göttliche Ordnung zu verstoßen. – Und sehet, aus eben diesem Grunde ist dieser Statue solch ein überaus vielsagendes Symbol unterlegt.
[GS.02_038,11] Wissen wir nun solches, da zeigt uns die vollkommen männliche Statue ja eben nichts anderes als einen im Geiste vollendeten Menschen. Der Blick nach oben ist der unverwandte Blick zu Gott und rechtfertigt den Satz: „Schauet unverwandt auf Mich!“ Die linke Hand, an das Herz gelegt, bezeigt die ausschließliche Liebe zu Gott; die andere Hand, herrschend in die Ferne hinausgestreckt, besagt, daß alles dem Gesetze der Liebe untertan ist.
[GS.02_038,12] Daß der Mensch bildlich hier auf der Kugel steht, bezeigt seine Erhabenheit über alle andere Schöpfung; denn alle andere Schöpfung in ihrer Vollendung macht den Gesamtinhalt der Kugel aus. Keine andere Erhabenheit ist auf ihrer Oberfläche zu entdecken; nur der Mensch allein steht gleich einem mächtigen Herrscher über alle Schöpfung erhaben da wie ein zweiter Gott über die ganze Unendlichkeit.
[GS.02_038,13] Der halb offene Mund bezeigt, daß neben Gott kein anderes Wesen als nur allein der Mensch wortfähig ist. Die gleich Sternen strahlenden Nägel an den Fingern aber bezeichnen die schöpferische Macht und Kraft und Weisheit, welche da innewohnt jedem vollendeten Geiste.
[GS.02_038,14] Daß ferner noch die blauen Säulen die unerschütterliche Beständigkeit und deren durchsichtig goldene Kapitale die göttliche Weisheit bezeichnen und die kleinen Schwebungen des Bodens das ruhige, geregelte, einfache Leben, braucht kaum näher erwähnt zu werden.
[GS.02_038,15] Da wir nun dieses wichtige Zierakulum dieses fünften Stockwerkes auf eine solch nützliche und zweckmäßige Weise haben kennengelernt, so können wir uns schon wieder um ein Stockwerk höher begeben. Ihr saget zwar: Wie aber werden wir da hinaufkommen; denn in diesen Rondellen erblicken wir keine Rundtreppe? Ich aber sage euch: Sehet nur ein wenig genauer, und ihr werdet sie schon erschauen. Sie ist hier nur aus einem überaus durchsichtigen, sonst aber festen Materiale angefertigt, um dadurch den reingeistigen Aufschwung oder den allermakellosesten Weg in die Höhe zu bezeichnen, auf dem ein jeder Tritt vollkommen beobachtet werden kann. – Da wir nun solches noch hinzuwissen, so begeben wir uns sonach nur wohlgemut in das sechste Stockwerk oder in die siebente Galerie. –
39. Kapitel – VI. Stockwerk. Im Zustand der Furcht zeigt der Mensch seine Schwächen.
[GS.02_039,01] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder! Auf dieser überaus stark durchsichtigen Rundtreppe ist es denn doch ein wenig fatal aufwärts zu steigen, denn es kommt einem ja gerade so vor, als ob man sich in die freie Luft erheben möchte, und das Hinabsehen auf den stets tiefer zu liegen kommenden Boden wird im Ernste etwas schwindelerregend! Und wenn das Hinaufgehen schon so sonderbar ist, da wird das Zurückgehen sicher noch sonderbarer werden. Ja, ja, meine lieben Brüder und Freunde, die Sache sieht wohl also aus und scheint eure Besorgnis zu rechtfertigen; aber dessen ungeachtet werdet ihr am Ende erfahren, daß sich alle die jetzt geschauten Verhältnisse also gestalten werden, daß ihr gar nicht achten werdet und nicht im geringsten merken, mit welcher Leichtigkeit und Anmut wir da zurückkommen werden.
[GS.02_039,02] Übrigens müßt ihr euch solches hinzumerken, daß die Höhen nur für denjenigen schwindelerregend sind, der sich fortwährend in der ebenen Tiefe befand; aber für ständige Bewohner der Höhen, und für diejenigen auch, die viel auf den Höhen zu tun hatten, sind sie das nicht im geringsten, sowohl in naturmäßiger als in staatlicher Hinsicht. So klimmt der Gebirgsbewohner und auch so mancher andere Höhenfreund über Wände und Steilen hinauf, deren Anblick einen ständigen Ebenlandsbewohner schon von fernehin in einen fast fieberhaften Zustand versetzt, während doch der Gebirgs- und Höhenbewohner jauchzend mit seinem Reise- und Steigapparate über die furchtbarsten Abgründe hinüberblickt.
[GS.02_039,03] So auch, wenn ein Mann geringen Standes sich etwa in einer solchen Lage befindet, vor seinem Landesherrn zu erscheinen, und zwar an dessen prachtvollem Hofe, mit welcher Furcht und Scheu naht er sich der Prachtwohnung seines Landesfürsten! Jede Staffel in derselben wird ihm glühender unter den Füßen, je mehr er sich dem Gemache nähert, in welchem gewöhnlichermaßen der Landesfürst sein Ohr leiht.
[GS.02_039,04] Betrachten wir aber dagegen einen Minister oder einen hohen Feldherrn, besonders wenn er noch obendrauf ein bedeutender Günstling des Landesfürsten ist, und also auch das an und für sich unbedeutende Hofgesinde. Diese gehen sicher ohne die geringste Beklemmung zum Landesfürsten, und letztere, dieser Höhe wie angeboren gewohnt, treiben nicht selten bübischen Mutwillen über jene Stufen, welche unserem schlichten Landmanne gar so schwindelerregend und heiß vorgekommen sind.
[GS.02_039,05] Ja selbst in bürgerlicher Hinsicht mangelt es nicht an solchen Beispielen; nehmen wir an einen schlichten wohlgebildeten jungen Mann, dessen Lebensverhältnisse ihm mit gutem Gewissen gestatten, sich ein ihm teures Weib zu nehmen. Er kennt ein Haus, und die Tochter des Hauses gefällt ihm überaus wohl; aber die Verhältnisse dieses Hauses überbieten die irdischen Vorteile des seinen um ein sehr bedeutendes. Er weiß zwar, daß der Familienvater dieses Hauses ein sehr respektabler und geachteter, guter Mann ist; aber dessen überragende Höhe seiner Verhältnisse flößt unserem Brautwerber so viel schwindelerregende Bedenklichkeiten ein, daß dieser sich kaum wagt, mit guter Hilfe verläßlicher Führer und Wegweiser den Standesunterschied seines erwählten Hauses zu übersehen.
[GS.02_039,06] Da es aber dennoch sein muß, so muß er das Wagestück bestehen; aber wie wird es ihm, wenn er die Türschwelle seines verhängnisvollen Hauses betritt, von dem er sein Glück erwartet? Der Puls wird schneller wie beim Besteigen eines hohen Berges, der Atem kürzer, und sein ganzes Wesen geht bei der Annäherung an die Türe, da der Hausvater und zugleich der Vater seiner Braut wohnt, in eine sehr stark schwingende Bewegung über; Furcht, Glaube, Hoffnung und Liebe sind in einem Knäuel untereinandergemengt.
[GS.02_039,07] Anfangs bringt er kaum ein Wort heraus, oder er mißt jede Silbe, bevor er sie ausspricht, um ja dadurch etwa nirgends eine Blöße zu zeigen, deren sich ein jeder Mensch so insgeheim stets mehrerer bewußt ist. Warum denn aber? Weil der Mensch in gar keinem Zustande seine Schwächen und Blößen, auch sogar seine Fehler leichter an den Tag legt, als wenn er sich im Zustande der Furcht befindet.
[GS.02_039,08] Nehmet an einen Virtuosen, wenn er seiner Sache noch so gewachsen ist, aber dennoch sich einiger Stellen in seinem vorzutragenden Stücke bewußt ist, die ihm bloß unter zwei Ohren und Augen manchesmal ein wenig mißlungen sind, so wird er dieser Stellen wegen in eine Furcht versetzt, in welcher er nicht selten, da er derselben nicht Meister werden kann, eben diese etwas zweifelhaften Stellen, wie ihr zu sagen pfleget, verhaut. Also war hier die Furcht derjenige Zustand, in welchem unser Virtuose seine Schwächen an den Tag legte.
[GS.02_039,09] Ein guter Fußgänger auf ebenem Lande will garnichts wissen von irgendeiner Schwäche seines Gehewerkes. Wenn es aber einmal heißt: Freund, du mußt mit mir auf die Spitze jenes Berges; wirst du dich solches wohl getrauen? So wird unser guter Fußgänger wohl sagen: Was hältst du von mir? Ich sollte mich mit meinem Gehewerke über jene Bergspitze nicht wagen, der ich doch schon mehrere hundert Meilen Feldweges gemacht habe? Aber es kommt auf den Ernst an. Unser guter Fußgänger kommt in seinem Leben zum ersten Male auf solch bedeutende Höhe.
[GS.02_039,10] Bei der Ersteigung einer sehr steilen Partie fangen seine Füße an zu schlottern; wenn er einen Schritt getan hat, so fängt er beim zweiten an zu zweifeln und mit sich sehr stark Rat zu pflegen, ob er ihn noch wagen solle oder nicht. So aber der andere Freund ihm erst die hohe Spitze zeigt, da fängt unser guter Fußgänger völlig an zu zagen und läßt sich samt dem anderen den Sicherheitsstrick um den Leib schnüren.
[GS.02_039,11] Was kommt denn hier heraus? Die Höhenfurcht hat die Schwächen in den Füßen unserem guten Fußgänger enthüllt, darum er selbst am Sicherheitsstricke jeden Schritt, den er tut, ja so sicher und wohl ausforscht und dabei dennoch stets in der Furcht ist, mit der leichtesten Mühe von der Welt einen Fehltritt zu tun. Also ist auch unser Brautwerber; er hat sich in der gewöhnlichen Lebensfläche sehr wohl herumzutummeln verstanden; aber auf dieser ernsten Höhe, da es sich um die Sicherheit eines jeden Trittes handelt, heißt es auch jeden Schritt, also jede Silbe auf eine sehr genaue Waage legen, um, wie ihr zu sagen pfleget, aus der Pastete keinen Talg zu machen.
[GS.02_039,12] Wie es sich aber mit diesen drei beispielsweise aufgeführten irdisch menschlichen Standpunkten verhält, also verhält es sich auch entsprechendermaßen mit den geistigen.
[GS.02_039,13] Der Schwindel als die Frucht der Furcht bleibt nicht aus; je höher man steigt, desto furchtsamer und behutsamer wird man in seinem Gemüte und somit auch desto glaubensscheuer.
[GS.02_039,14] Sehet, wenn ich mit euch nun sprechen möchte in der höchsten himmlischen Weisheitsform, so würdet ihr zu verzagen und zu verzweifeln anfangen und wäre keiner aus euch imstande, selbst bei der beherztesten Vornahme auch nur drei Zeilen niederzuschreiben.
[GS.02_039,15] Ich aber gehe darum mit euch und rede darum vollkommen nach eurer Art, oder ich wandle auf eurem angewohnten Grund und Boden und erhebe euch nur kaum merklich nach und nach. Aber selbst bei dieser kaum merklichen Erhebung fängt euch schon ein wenig an zu schwindeln bei der Besteigung unseres sechsten Stockwerkes oder der siebenten Galerie über diese etwas stark durchsichtige Treppe.
[GS.02_039,16] Wenn aber unser den Landesfürsten besuchender Landmann sich eine Zeitlang mit eben dem sehr herablassenden Fürsten besprechen wird, da wird ihm der staatliche Höhenschwindel samt der ganzen Furcht vergehen, und er wird eine viel behaglichere Rückreise haben über die heißen Staffeln des Palastes, als sie zuvor hin zum Palaste des Landesfürsten war.
[GS.02_039,17] Der Höhenbesteiger wird auf der Spitze des Berges mutiger und schwindelfester, und der Rückweg wird ihm, wie ihr zu sagen pfleget, nicht selten einen wahren Spaß machen.
[GS.02_039,18] Also auch unser Brautwerber, wenn er in die Erfahrung gebracht hat, daß er in seinem geliebten Hause einen festeren Boden gefunden hat, als er erwartete, wird sicher einen ums sehr bedeutende fröhlicheren Rückweg haben, als ihm der heiße Hinweg vorkam.
[GS.02_039,19] Und sehet, gerade so wird es auch uns ergehen; wir werden auch bis zur Erreichung der Vollhöhe dieses Gebäudes noch so manche Schwindelhöhe zu bestehen haben; aber die Vollhöhe wird dann alles ins Gleichgewicht setzen, und wir werden überaus frohen Mutes die Rückreise anzutreten imstande sein.
[GS.02_039,20] Bei dieser Gelegenheit unseres belehrenden Gespräches haben wir auch unsere stark durchsichtige Treppe, wie ihr selbst bemerken könnet, ganz behaglich überschritten, und uns auf diese Weise eine jede Staffel zunutze gemacht.
[GS.02_039,21] Nun aber befinden wir uns schon auf der siebenten Galerie, oder im sechsten Stockwerke, und somit sage ich euch: Schauet hier alles recht behaglich und aufmerksam an; denn was ihr hier finden werdet, wird von noch viel höherem Interesse sein als alles, was wir bis jetzt gesehen und dann erörtert haben in der Art der Weisheit dieser Bewohner. Also, wie gesagt, auf diesem sechsten Stockwerke oder auf der siebenten Galerie nehmet förmlich eure Augen in die Hand, beschauet alles wohl und gebet mir dann kund, was ihr gesehen habet; und wir werden dann die Bedeutung sicher nicht verfehlen.
40. Kapitel – Aufstieg aus der Liebe in die Weisheit.
[GS.02_040,01] Wie ich merke, so habt ihr alles wohl angesehen und könnet nun auch schon kundgeben, was ihr gesehen habt; und so saget denn, was ihr auf dieser siebenten Galerie oder auf dem sechsten Stockwerke als besonders auffallend erblickt habt. Ich sehe es euch an, daß ihr euch bei dieser Vorstellungsart noch nicht so recht auskennet und könnet auch die geschaute Sache nicht gehörig bezeichnen; daher muß wohl ich euch ein wenig zu Hilfe kommen.
[GS.02_040,02] Fürs erste, meine lieben Freunde und Brüder, merkt man auf dieser siebenten Galerie schon ein wenig die Rundung derselben, während man in den unteren Galerien wegen des großen Kreises davon noch nicht etwas Merkliches hat gewahren können. Fürs zweite merket ihr, daß hier die Säulenrondells nicht mehr von dem bedeutenden Umfange sind wie auf den früheren Galerien; auch besteht ein Säulenrondell nicht mehr aus dreißig, sondern nur mehr aus zwanzig Säulen, und der innere Platz ist darum auch etwas beschränkter. Fürs dritte bemerket ihr, daß hier der Boden lichtrot, die Säulen, die Wände und der Plafond aber lichtblau sind, die Tore durch die Wände des Hauptgebäudes aber ins Dunkelhochrote übergehen. An dem allem bemerket ihr keine Flammungen, obschon sonst einen überaus starken Glanz, und saget in euch auch aus dem Grunde: Was die äußere Pracht dieser gegenwärtigen Galerie betrifft, so steht sie offenbar den vorhergehenden etwas nach; aber was da die äußeren Galeriegeländer und die Verzierung der Rondelle betrifft, so haben diese wenigstens auf den ersten Anblick so manches vor den vorgehenden voraus.
[GS.02_040,03] Fürs erste bestehen die Galerien wie aus lauter Sternen, aus denen ganze feste Zierate gebildet und dann zu einem brauchbaren Ganzen zusammengesetzt zu sein scheinen. Die Sterne sind von überaus hellem Glanze und strahlen in tausendfachen Färbungen durcheinander, und die Rundtreppe innerhalb der Säulenrondelle scheint bloß aus Sternenlinien gefügt zu sein und ist zwischen diesen Sternenlinien kein anderes festes Material zu erschauen. Das ist jetzt aber auch alles, inwieweit unsere Sprache zur Darstellung dessen reicht, was wir hier erblicken. Aber was da betrifft die Mittelverzierung des Rondells, die wir wohl auch erblicken, so ist sie ein Gegenstand, der zu hoch über unserem Sprachfähigkeits-Horizonte steht, und wir können diesen Gegenstand auch darum durchaus nicht bezeichnen.
[GS.02_040,04] Ja, ja, meine lieben Freunde und Brüder, das ist es aber eben auch, was ich euch schon anfangs angemerkt habe, und habe es wohl wahrgenommen, daß euch die Beschreibung dieses Gegenstandes ein wenig schwerfallen dürfte. Darum habe ich aber das auch gleich anfangs auf mich genommen. Und so habet denn recht wohl acht! Wir wollen uns diesem Ziergegenstande möglichst nahestellen und ihn mit aller Aufmerksamkeit in Augenschein nehmen.
[GS.02_040,05] Wir sind nun in dessen möglichst vollkommener Nähe; und da sehet hinab auf den Boden des Rondells. Was erblicken wir denn? Einen bei sieben Klaftern im Umfange habenden Sternenkreis, welcher aus sieben Reihen von Sternen zusammengestellt ist, und zwar in der Ordnung der Färbung eines Regenbogens, und dieser Kreis hat eine Breite von drei Spannen. Innerhalb dieses Kreises erhebt sich ein violetter Altar zu einer Höhe von sechs Spannen und hat einen Umfang von etwa drei Mannsklaftern, d.h. nach dem ausgestreckten Handmaße genommen. Der obere Rundrand ist mit einem Reife aus ein wenig flammendem Golde umfaßt, und über dem Reife ist noch ein eine halbe Spanne hohes, aus lauter Rundsäulchen bestehendes, glänzendweißes Geländerchen angebracht. Über den Geländersäulchen wieder ist ein Breitreif aus hochrotem durchsichtigem Golde angefertigt, über welchem gerade an den Stellen, wo unter ihm die Säulchen stehen, noch mehr ins Dunkelblaue gehende vollkommen runde kleine Kugeln angebracht sind, und jede dieser Kugeln hat um ihre Mitte noch einen kleinen hellschimmernden Sternenkreis.
[GS.02_040,06] Aus der Mitte der eingeländerten Fläche dieses Altares aber erhebt sich eine ganz vollkommen lichtgrüne Säule, und über dieser Säule ist ein aus Sternen zusammengefügter großer Kreis angefertigt. Innerhalb dieses Kreises ist dann eine große Menge wie geometrischer Figuren aus hellroten und weißen Sternchen zusammengefügt, welche da samt ihrer Kreisumfassung einen überaus geheimnisvoll imposanten Anblick gewähren.
[GS.02_040,07] Vom Plafond herab aber hängt an einer massiven Goldschnur ein anderer Kreis, welcher nicht aufrechtstehend, sondern horizontal in gleicher Größe über den aufrechtstehenden zu stehen kommt, d.h. über den an der grünen Mittelsäule angefertigten, sieht aber diesem in allem vollkommen ähnlich. Sehet, das wäre die Gestalt des für euch etwas schwer beschreibbaren Zierakulums eines solchen Säulenrondells.
[GS.02_040,08] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder im Herrn! Es wäre alles recht überaus erhaben, schön und gut; aber es wird dieses Zierakulum gleich den früheren sicher auch eine tiefweise Bedeutung haben, wie du dich darüber schon selbst ausgesprochen hast; aber welche Bedeutung, wie lautet diese? Das ist eine andere Frage. Wenn es auf uns zur Erörterung ankäme, so hätten wir schon genug getan, so wir mit der Beschreibung zurechtgekommen wären und hätten die Entsprechung dann gar sicher ewig besseren Zeiten überlassen. Aber da du uns schon aus so vielen Verlegenheiten geholfen hast, da sind wir auch hier der festen guten Meinung, daß es dir auch in diesem Falle eben nicht zu schwer ankommen dürfte, uns darüber so ein kleines Lichtchen zu verschaffen.
[GS.02_040,09] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, wir befinden uns hier auf der ersten Stufe über die halbe Höhe dieses Gebäudes, und da haben wir nun schon mit Gegenständen purer Weisheit zu tun. Bisher waren wir im Grunde, d.h. in der Liebe, jetzt aber gehen wir aus der Liebe in die Weisheit, welches ist ein gerechter Weg vor Gott. Da aber Objekte der Weisheit ums überaus Bedeutende schwerer zu fassen sind als Objekte der Liebe, so müssen wir uns hier auch schon ein wenig mehr zusammennehmen, um nicht, wie ihr zu sagen pflegt, aus dem Sattel geworfen zu werden.
[GS.02_040,10] Ihr saget hier freilich: Davon sehen wir nicht so recht den Grund ein, denn in der Liebe ist ja auch die höchste Weisheit vorhanden; können wir sie dort vereint mit der Liebe erfassen, so wird sie uns auch im absoluten Zustande nicht gar zu leicht durchgehen. Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ihr urteilet sonst ziemlich richtig; aber diesmal muß ich euch sagen, daß ihr schon wieder einen ziemlich starken Hieb ins Blaue gemacht habt. Damit ihr aber solches von mir nicht nur allein höret, sondern auch bei euch so recht sonnenklar einsehet, so will ich euch ein paar Beispielchen aufführen, die euch zur Genüge meinen Ausspruch bestätigen sollen; und so höret denn!
[GS.02_040,11] Wenn ihr auf eurem Erdkörper hin und her wandelt und begegnet da zahllosen Gegenständen, welche alle von der Sonne wohl beleuchtet sind, da werdet ihr nicht einen finden, den ihr nicht mit euren Händen anfassen und weitertragen könntet, wenn nur sein Gewicht eure Kräfte nicht überragt; und ihr könnt bei keinem Gegenstande sagen, daß er nicht lichtaufnahmsfähig wäre, und so ihr ihn ergreifet, ihr auch zugleich sein Licht mit ergreifet. Nun aber versuchet einmal, euch an dem freien Lichte zu vergreifen und traget es in Bündeln hin und her. Ich meine, solches wird ein wenig schwer gehen.
[GS.02_040,12] Sehet, wo das Licht schon an einen festen Körper, welcher der Liebe entspricht, gebunden ist, da könnet ihr freilich das Licht samt dem Körper ergreifen und es dann hin und her tragen nach eurem Belieben; aber wie schon bemerkt, das freie Licht läßt solch einen Akt durchaus nicht zu. Das wäre ein Beispielchen. Betrachten wir noch ein anderes, aus dem da ersichtlich werden soll, daß der Mensch das Licht genießen und sich dasselbe leibhaftig zunutze machen kann; aber erst auf dem Wege der göttlichen Ordnung. Wie aber das, soll sogleich nachstehendes Beispielchen zeigen.
[GS.02_040,13] Woraus und woher reift wohl die Frucht des Baumes und des Weizenhalms? Ihr saget: Unfehlbar aus dem Lichte und aus der mit dem Lichte verbundenen Wärme. Ihr habt gut geantwortet. Sehet aber nun, eine Frucht ist sonach ein Produkt des Lichtes und der Wärme.
[GS.02_040,14] Das Licht aber gibt sich hier der Wärme gefangen, und je mehr Wärme, desto mehr Licht wird sich auch derselben gefangen geben. Und aus diesen zweien geht dann eine vollreife Frucht hervor, die ihr genießen könnet und nehmet auf diese Weise dann mit der genossenen Frucht mit der leichtesten Mühe von der Welt das gefangene Licht notwendig in euch auf, und dieses gefangene Licht ist auch jener ätherische Stoff, der eurem Organismus die belebende Nahrung gibt.
[GS.02_040,15] Könnte denn da nicht jemand sagen: Wenn solches offenbar und sicher richtig ist, da dürfte man ja auch nur sich der leuchtenden Sonne gegenüberstellen und das ihr entströmende Licht fleißig in sich hineinschlürfen, und man wird da jede grobe Mahlzeit ersparen. Ich aber sage: Es kommt da nur auf eine Probe an. Die Sonnenmahlzeit ist auch ohnedies schon bekannt; es solle nur jemand zehn Tage lang eine reine Sonnenmahlzeit halten, und sein Organismus wird ihm schon am zweiten Tage kundgeben, wieviel des Nahrungsstoffes er in sich eingeschlürft hat.
[GS.02_040,16] Aus diesem Beispiele aber könnet ihr noch klarer denn aus den vorigen erschauen, daß das Licht für sich allein in seinem freien Zustande ungenießbar ist, und sich somit niemand an ihm sättigen kann. Wenn es aber in der göttlichen Ordnung durch die göttliche Kraft selbst gefangen wird, dann erst ist es genießbar und nährend. Aus diesem Grunde soll auch der Mensch all sein Weltlicht in sein Herz gefangennehmen, allwo es gebunden wird mit der Lebenswärme, und er wird dann aus diesem Lichte eine rechte Nahrung für seinen Geist überkommen. Und desgleichen müssen auch wir hier das Geschaute der reinen Formen der Weisheit in unsere Liebe zum Herrn erst gefangennehmen, alsdann werden wir die Entwicklung derselben in uns gar bedeutungsvoll erschauen und uns eine tüchtige Mahlzeit bereiten können. Der Herr wird uns dann auch diesen Altar öffnen, wie Er uns geöffnet hat den in der Allee. –
41. Kapitel – Liebe und Weisheit, deren Verhältnis, Ordnung und Harmonie.
[GS.02_041,01] Nun sehet und habet wohl acht; ich habe das Ausgesprochene in mir getan, und ihr habet solches getan durch mich, und so wird es auch ein Leichtes sein. die freiere Weisheit mit der Kraft des Herrn in uns zu erfassen und sie für uns begreiflich zu machen. Um aber die Sache gehörig zu erfassen und zu begreifen, müsset ihr vorerst die Zahl der Stockwerke und Galerien in Anschlag bringen.
[GS.02_041,02] Wir sind im sechsten Stockwerke oder auf der siebenten Galerie, also in jeder Hinsicht über der Hälfte des Gebäudes. So die untere Grund- und bei weitem größere Hälfte des Gebäudes der Brust des Menschen und somit all dem, was der Liebe ist, entspricht, so bedeutet diese zweite, obere Hälfte den Kopf des Menschen und entspricht somit dem Verstande und der Weisheit desselben.
[GS.02_041,03] Hier stehen wir sonach auf der ersten Stufe der Weisheit oder auf derjenigen Stufe, wo die reine Weisheit und die Liebe zusammengreifen. Wenn ihr nun dieses ein wenig beachtet, so wird euch das Zierakulum dieses Säulenrondells, wie auch gleicherweise die Verzierungen aller Rondelle dieses Stockwerkes auseinanderzugehen anfangen.
[GS.02_041,04] Seht hier den Altar; er stellt vermöge seiner Gestalt, Farbe und Verzierung die in die Weisheit reichende Liebe dar. Die kleine Säule, in welche der geheimnisvolle Kreis eingefestigt ist, stellt gewisserart den Hals der Menschen dar, entsprechendermaßen aber die größtmöglichste Demut. Was geht aber aus der Demut hervor? Seht an den eingefesteten Kreis. Durch diesen Kreis wird das Haupt des Menschen dargestellt; entsprechendermaßen aber ist es das Licht der Weisheit, welches aus der Wärme der Liebe hervorgeht.
[GS.02_041,05] Die Sternchen, aus denen er zusammengefügt ist, samt den ebenfalls aus Sternchen zusammengesetzten Figuren, welche seinen freien Raum ausfüllen, bezeichnen die mannigfaltigen Erkenntnisse und Einsichten, welche natürlichermaßen alle samt und sämtlich ein Angehör der Weisheit sind. Der Sternenkreis zu unterst am Boden um den Altar aber besagt, daß die Liebe, ihre wahre Demut und auch ihre Weisheit göttlichen Ursprunges sind und aus der Werktätigkeit des Menschen nach dem göttlichen Willen hervorgehen.
[GS.02_041,06] Durch den siebenfachen Kreis wird der göttliche Wille beschaulich dargestellt. Die einzelnen Sternchen aber, aus denen er zusammengesetzt ist, bezeichnen die Werke, welche der Mensch verrichtet in der göttlichen Ordnung zufolge der Erkenntnis des göttlichen Willens. Aus dem aber geht hervor, daß niemand Gott lieben kann, so er nicht Seinen Willen erfüllt. Wer aber Gottes Willen erfüllt, indem er seinen eigenen Willen, sich selbst verleugnend, gefangennimmt, dem erst wird die Liebe zu Gott zuteil. Und so sind die Werke nach dem Willen Gottes die edlen Samenkörner, aus denen da erwächst die überaus und über alles beseligende und für ewig belebende Liebe zu Gott!
[GS.02_041,07] So aber jemand solche Liebe überkommen hat, der hat auch mit ihr die Weisheit überkommen, welche gleich ist der göttlichen Weisheit, weil die Liebe selbst, aus der solche Weisheit hervorgeht, göttlich ist. Daß die mannigfach geformten Zeichen des Kreises die vielfachen zusammenhängenden, in der göttlichen Ordnung und Weisheit begründeten erhabensten Erkenntnisse bezeichnen, braucht kaum näher erwähnt zu werden.
[GS.02_041,08] Insoweit hätten wir denn auch unser Zierakulum gelöst. Aber wir erblicken ja noch vom Plafond herabhängend ganz frei einen ähnlichen Kreis, wie der in die kleine Säule eingefestete ist, und dieser horizontal hängende Kreis berührt mit seinem Zentrum genau genommen die oberste Sphäre unseres in die kleine Säule eingefesteten Kreises. Was wird wohl dieser Kreis bezeichnen?
[GS.02_041,09] Dieser Kreis bezeichnet die göttliche Weisheit, wie diese beständig aus den Himmeln einfließt und fortwährend belebt und ordnet die ihr entsprechende Weisheit eines jeglichen Menschen, der da lebt der göttlichen Ordnung gemäß.
[GS.02_041,10] Daß sich diese beiden Kreise berühren, bezeichnet, daß der wahren göttlichen Weisheit Geist im Menschen in die Tiefen derselben, welche durch das Zentrum dargestellt sind, eindringt. Er kann demnach himmlische und göttliche Dinge begreifen, ja mit dem Herrn Selbst wohl erschaulicherweise umgehen und sich mit Ihm besprechen wie ein Kind mit seinem Vater, oder wie ein Bruder mit dem andern. – Sehet, das ist nun das Ganze, kurz möglichst und wohlverständlich dargestellt.
[GS.02_041,11] Ihr saget und fraget hier freilich: Lieber Freund und Bruder! Woher nehmen denn die Menschen dieses Zentralsonnen-Weltkörpers solche Weisheit, in welcher fürwahr buchstäblich das ganze geistige Lebenswesen eines jeden auf unserer Erde lebenden Menschen mit der höchsten Klarheit bezeichnet wird? Wenn Menschen auf unserer Erde zufolge geistiger Entsprechung Ähnliches errichten würden, so wäre das begreiflich, weil, wie du es augenzeuglich weißt, der Herr und Schöpfer aller Himmel und Welten auf dieser Erde Selbst leibhaftig gelebt, gewandelt und gelehret hat. Aber auf diesem Weltkörper, der sicher in einer unaussprechlichen Entfernung von unserer Erde absteht, solche Weisheit zu treffen, die ganz vollkommen der göttlich irdischen gleicht, ist fürwahr überaus seltsam. Wie ist das möglich?
[GS.02_041,12] Meine lieben Freunde und Brüder, diese Frage würde euch in einem Vereine himmlischer Geister einer sehr bedeutenden Lache aussetzen. Wovon ernähren sich die Finger und Extremitäten eures Leibes? Ihr esset doch nicht in die Extremitäten hinein; die Füße haben keinen Mund und Schlund, um eine eigens für sie bestimmte Nahrung aufzunehmen, die Hände und die Finger an denselben haben dergleichen auch nicht, und so hat euer Leib noch eine zahllose Menge von großen und kleinen Teilen, welche alle ihr nicht einzeln abzufüttern brauchet.
[GS.02_041,13] Der Mensch hat nur einen Mund und einen Magen, was dieser aufnimmt, geht an alle anderen Teile gehörig präpariert über; also hat er auch nicht in einem jeden Gliede ein Herz, sondern er hat nur eines in der Brust, und dieses hat seine Adern und Gefäße durch den ganzen Leib ausgebreitet und sendet durch dieselben sein Leben in alle Fibern des ganzen Leibes, und das allenthalben nach der wohlberechnet zweckmäßigen Aufnahmsfähigkeit fürs Leben.
[GS.02_041,14] Ihr habt aber gehört, daß die ganze große Schöpfung Gottes naturgemäß wie geistig vollkommen einen Menschen darstellt, welcher Mensch somit in der endlos großen Allgemeinheit sicher auch nur einen Magen und ein Herz hat. Ihr kennet den großen Kostgeber und kennet auch die Kost, mit der der große Kostgeber Seinen großen Menschen speiset; sie heißt das Brot des Lebens, oder: sie ist die Liebe Gottes!
[GS.02_041,15] So ihr aber in allen Teilen eures Leibes eine und dieselbe Kost findet, die ihr in euren Magen aufnehmet, und überall dasselbe Blut, welches dem Herzen in alle eure Leibesteile entströmt, so wird es doch auch kein Wunder sein, so ihr in diesem Teile des großen Weltmenschen dieselbe göttliche Liebe und Weisheit findet, welche ihr auf eurer Erde gefunden habt und auch noch allezeit findet und finden könnet.
[GS.02_041,16] Eine solche Zentralsonne ist gewisserart ein Hauptnerv des großen Weltmenschen, und die kleineren Sonnen und Planeten sind gleich den kleineren Nebennerven, Fibern und Fasern; und der Hauptnerv wird doch sicher vom selben Safte ernährt, von welchem die kleineren Nerven, Fibern und Fasern ernährt und erhalten werden. Wo ein Herr, ein Schöpfer und ein und derselbe Gott ist, da kann es auch in Seiner unermeßlichen Schöpfung nur eine göttliche Liebe, eine göttliche Weisheit und eine göttliche Ordnung geben! Außer ihr möchtet noch irgendeinen zweiten Gott und Schöpfer annehmen, vorausgesetzt, daß euer Gemüt und Verständnis einer solchen Torheit fähig wäre; da könnte man dann auch wohl auf eine andere Ordnung der Dinge gegründetermaßen hinblicken und allenfalls eine Frage aufwerfen, wie da die eurige war. Aber bei obwaltenden nur vollkommenst eingöttlichen Umständen bleibt es bei einer Kost, bei einer Weisheit und bei einer Ordnung. Da wir aber nun solches alles doch sicher klar einsehen, so wollen wir uns auch sogleich wieder um ein Stockwerk höher begeben, und zwar nun in das siebente oder in die achte Galerie. – Sieht diese Rundtreppe auch so ziemlich luftig aus, so machet euch aber dennoch nichts daraus; denn sie wird uns schon noch tragen; und so denn wollen wir gehen. –
42. Kapitel – VII. Stockwerk. Absolute Weisheit durchsichtig und undurchdringlich wie Diamant.
[GS.02_042,01] Sehet, unser Aufmarsch ist besser gegangen, als ihr es euch gedacht habt. Wir sind, wie ihr sehet, sonach auch schon im siebenten Stockwerke oder auf der achten Galerie. Wie findet ihr diesen Platz?
[GS.02_042,02] Ihr saget: Lieber Freund, hier sieht es schon sehr luftig aus; die Säulen der Rondelle sind wie aus dem feinsten durchsichtigsten Glase, der Boden, auf dem wir stehen, ist ebenfalls aus einer blau-weißlichten Materie, welche überaus stark glattglänzend ist. Die Geländer, welche von Säulenrondell zu Säulenrondell diese Galerie umfassen, sind ebenfalls von einem sehr durchsichtigen Materiale angefertigt, so daß man durch dasselbe mit nur höchst unbedeutender Schwächung des Augenlichtes schauen kann, und wenn wir aufwärts schauen zum Plafond, so ist auch dieser von einer gleichen licht-bläulichen Masse angefertigt, welche ebenfalls ziemlich durchsichtig zu sein scheint; denn man sieht ja stellenweise recht bequem in die neunte Galerie hinauf.
[GS.02_042,03] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, das ist alles richtig also. Ihr möchtet wohl wissen, ob diese schon sehr stark durchsichtige Materie von eben der Festigkeit ist, wie jene etwas weniger durchsichtige der unteren Stockwerke? Ich sage euch: Dessen könnet ihr vollkommen versichert sein; denn je durchsichtiger im harten Zustande irgendeine Materie hier ist, desto fester ist sie auch in ihren Teilen.
[GS.02_042,04] Ihr saget: Da wäre es doch in der Bauordnung, das Festere in den Grund zu legen, der ja doch die ganze Last des Gebäudes zu tragen hat, und das weniger Feste, weil weniger Durchsichtige in den oberen Teilen eines solchen Gebäudes zu verwenden, wo das Gebäude stets leichter wird.
[GS.02_042,05] Ihr urteilet nach eurer Art recht, und für die Bauordnung auf eurem Erdkörper wäre also auch sicher besser gesorgt; aber eine andere Welt, eine andere Einrichtung und somit auch eine andere Bauordnung. Solches aber wisset ihr dennoch, daß die harten Gegenstände spröde und leicht springbar sind, während die weniger harten wohl noch immer eine große Festigkeit haben, sind aber dabei um so mehr schmiegsam, weniger gebrechlich und können daher unbeschädigt einen desto größeren Druck aushalten als die ganz harten Gegenstände. Überleget einmal, was da wohl härter sei, eine Kugel aus gediegenem Glase oder eine Kugel aus gediegenem Kupfer? Um das Kupfer zu schneiden oder zu ritzen, bedarf es wahrlich nicht der härtesten Schneidewerkzeuge; mit einem gewöhnlichen Brotmesser könnet ihr ohne Anstrengung ganz bedeutende Partikel davon abschneiden oder wegschaben. Um die gläserne Kugel zu lädieren, brauchet ihr schon überaus harte Gegenstände wie feinsten Quarz, allerhärtesten, feinsten Stahl oder den Diamant. Nun aber nehmet die beiden Kugeln, stellet über eine jede ein Gewicht von tausend Zentnern und gebet einer jeden eine vollkommen harte Unterlage. Die gläserne Kugel wird zu weißem Staube erdrückt werden, aber die kupferne wird mit einer eben nicht zu bedeutenden Plattdrückung davonkommen.
[GS.02_042,06] Aus diesem Beispiele könnet ihr hinreichend erschauen, warum bei diesem Gebäude die härteren Materialien zu oberst verwendet worden sind. Zu unterst würden sie höchst wahrscheinlich das Geschick der gläsernen Kugel unter dem Gewichte von tausend Zentnern gehabt haben; hier aber sind sie davor vollkommen gesichert und für die Tragung der noch über ihnen ruhenden Last hinreichend fest und stark genug, und wir haben unterdessen durch unser Gewicht schon gar nichts zu befürchten.
[GS.02_042,07] Daß aber hier alles härter, spröder und durchsichtiger wird, hat einen bedeutungsvollen Sinn, über den man aber ebenfalls nicht gar zu viel sagen kann, wie man von der harten Materie selbst durch die festesten Werkzeuge eben nie gar zu große Brocken ablösen kann. Der Diamant bei euch auf der Erde ist sicher der härteste und zugleich auch der allerdurchsichtigste Körper; aber die ihn schleifen, oder nach eurer Kunstsprache „schneiden“, die werden es euch genau zu sagen wissen, was dazu gehört, um nur atomgroße Teile von ihm abzulösen.
[GS.02_042,08] Sehet, also verhält es sich aber auch mit der stets reiner werdenden Weisheit; ein Brocken von ihr ist härter zu verzehren und zu zerlegen als eine ganze Welt von Liebe. Man könnte sagen: Ein solcher Weisheitsknäuel gleicht einem Bündel Flöhe, welche, wenn das Bündel geöffnet wird, mit der größten Hast davonhüpfen, und es gehört viel Behendigkeit dazu, um von Tausenden irgend ein paar matt gewordene zu erhaschen. Daher läßt sich auch, wie gesagt, über die harte und durchsichtige Beschaffenheit des Materials dieses siebenten Stockwerkes oder dieser achten Galerie nicht mehr gar zu viel sagen.
[GS.02_042,09] So viel aber ist gewiß und klar, daß die Gegenstände im Lichte der Weisheit, d.h. der absoluten Weisheit stets durchsichtiger, aber dafür stets desto undurchdringlicher werden; und je höher sie steigen, desto durchsichtiger und härter werden sie, so zwar, daß man am Ende auf der festen Materie steht und geht, aber man sieht sie vor lauter Durchsichtigkeit nicht mehr. Also ist es auch mit der absoluten Weisheit der Fall. Man hat wohl einen Grund, auf dem man sich befindet; aber das ist dann schon auch alles, was man von dem Grunde herausbringt. Wollt ihr ihn näher untersuchen, und zwar mit euren Augen, so werdet ihr, je länger von euch ein solcher Körper beobachtet wird, ihn stets mehr aus dem Lichte eures Gesichtes verlieren und werdet selbst da, wo ihr wenigstens auf den ersten Blick etwas zu erschauen vermeintet, nichts mehr erschauen.
[GS.02_042,10] Ist es nicht eben also mit der absoluten Weisheit? Ja, solches möget ihr schon aus so mancher Erfahrung wissen. Sollte euch aber die Sache noch nicht hinreichend klar sein, wie sich die absolute Weisheit entsprechend zu dem Baumateriale dieses großen Wohngebäudes verhält, da will ich euch nur beispielsweise so ein kleines Weisheitsbröckchen hinwerfen, und ihr könnet daran nagen, wie ihr wollet, und schaben, wie ihr wollt, und ihr werdet nichts herausbringen. Und so höret denn:
[GS.02_042,11] Sieben Kreise sind ineinander verschlungen; die Kreise durchdringen sich, die durchdrungenen verzehren sich und die verzehrten erheben sich in die, so nicht verzehrt sind, und die sieben Kreise haben kein Maß und keinen Mittelpunkt. Sie sind sieben ohne Ende; eine Zahl, welche durchdringt den Kreis der sieben, und die sieben den einen!
[GS.02_042,12] Sehet, das ist so ein Bröckchen absoluter Weisheit! Ich habe euch damit in wenig Worten so ungeheuer vieles gesagt, daß ihr dasselbe mit gewöhnlichen, eurem Verstande zugänglichen Begriffen in alle Ewigkeit nicht auseinandersetzen würdet. So ihr aber den Weisheitssatz leset, da wird es euch auf den ersten Augenblick vorkommen, als müßtet ihr daraus zu irgendeiner, wenn schon nicht Total-, so doch Partial-Löse kommen. Versuchet aber nur, daran zu schaben und zu feilen und setzet das Mikroskop eures Verstandes an diese Materie; je mehr ihr euch damit abgeben werdet, desto luftiger wird die Materie und desto weniger ersichtlich in ihr, und sie selbst wird stets mehr und mehr dem Augenlichte eures Verstandes entschwinden.
[GS.02_042,13] Ich meine, ihr werdet genug haben, um daraus zu der Einsicht zu kommen, daß für einen noch gebundenen Geist mit der absoluten Weisheit nicht viel zu machen ist. Daher bleiben wir schon nur hübsch bei der Kost, welche der gute heilige Vater für uns bereitet und gesegnet hat; zu einer Zeit aber, wenn euer Geist ungebundener wird, werdet ihr auch von der absoluten Kost mehr abzubeißen imstande sein denn jetzt. – So aber dem Weisen das Wenige genügt, da werden auch wir bei den geringeren Brocken, welche sich uns auf diesen Weisheitsgalerien darstellen werden, zur vollsten Genüge bekommen. – Wir haben aber hier noch das Zierakulum des Säulenrondells vor uns; betrachtet es, und wir wollen dann sehen, wieviel sich vom selben wird herabzwicken lassen. – –
43. Kapitel – Absolute Weisheit nicht tauglich für einen noch gebundenen Geist.
[GS.02_043,01] Soviel ich merke, so habt ihr euch mit euren Augen in das Zierakulum so recht hineinverpicht und es gewisserart von Atom zu Atom so recht intensiv betrachtet; daher wird es euch nun nicht schwer werden, euch darüber vollkommen auszusprechen und es ebensogut zu beschreiben, als wie gut ihr es angeschaut habt. Sonach könnet ihr sogleich mit der Beschreibung dieses Zierakulums beginnen. Aber wie es mir vorkommt, so werdet ihr ja mit der Beschauung nicht fertig. Was ist es denn, das euch ob dieses Ornaments die Augen an dasselbe so sehr bindet? Ist es wohl das Ornament selbst oder sind es dessen Teile?
[GS.02_043,02] Ich merke aber nun gar wohl, warum ihr mit der Beschauung nicht fertig werdet. Das Ornament dieses Rondells ist unstet, und ihr könnet ob der darin stets neu vorkommenden Formen nicht ins klare kommen. Ja, ja, dieses Ornament ist ein wahres Kaleidoskop, in welchem auch bei jedem Umdrehen sich andere Formen zeigen, und die früheren kommen nicht wieder zum Vorscheine. Ich sage euch daher auch:
[GS.02_043,03] Es wird euch wenig helfen; so ihr dieses Ornament auch eine ganze Ewigkeit hindurch betrachten möchtet, so werdet ihr aber dennoch nimmer zu einer Schlußform kommen, sondern an der Stelle der entschwundenen stets neue und auch sonderbarere zu Gesichte bekommen. Daher beschreibet nur dasjenige des Ornamentes, was an demselben stetig zu erschauen ist, und lasset den inneren Formenwechsel beiseite. Also worin besteht denn dieses?
[GS.02_043,04] Ihr saget hier: Lieber Freund und Bruder, das ganze Ornament an und für sich ist von höchst einfacher Art, insoweit wir es als fertig mit unseren Augen betrachten können. In einem über zwei Klafter im Durchmesser habenden ganz einfachen Goldreife ist eine gläserne Kugel angebracht, etwa also, wie bei uns auf der Erde ein Himmels- oder Erdglobus innerhalb eines messingnen beweglichen Meridians. Die Kugel dreht sich fortwährend innerhalb dieses großen Reifes, den sie beinahe ganz ausfüllt. Der Reif ist nicht mehr vom Boden aus irgend befestigt, sondern hängt an einer massiven Goldschnur, welche mit Sternen eingewirkt ist, vom Plafond herab bis zur Höhe eines Menschen reichend. Bei jeder nur etwas merklichen Drehung ersieht man in dieser großen durchsichtigen Glaskugel fortwährend neue Formen von ebenfalls durchsichtiger, aber dennoch buntfarbiger Beschaffenheit, und die Formen sind nicht selten von so anziehender Art, daß man sich daran nicht genug satt schauen kann. Aber sowie man eine Form mit seinem Auge recht fest fassen möchte, um sie zu beurteilen, da ist sie schon nicht mehr vorhanden, und eine andere, welche mit der vorhergehenden keine Ähnlichkeit hat, tritt an ihre Stelle; und das geht fort und fort.
[GS.02_043,05] Und so man glaubt, daß wenn die Kugel wieder mit ihrem Gürtel auf demselben Punkte sich befinden wird, von welchem man bei einer frühern Drehung eine bestimmte Form erschaut hat, wieder eben dieselbe Form zum Vorschein kommen möchte, so hat man sich gar gewaltig getäuscht; denn von einer einmal geschauten Form ist wenigstens bis jetzt vor unseren Augen nicht die allerleiseste Spur zum Vorschein gekommen. Das ist, lieber Freund und Bruder, alles, was wir an diesem sonderbaren Ornamente als höchst merkwürdig entdeckt haben.
[GS.02_043,06] Daß auch die anderen Säulenrondelle ganz gleich beschaffene Ornamente haben, erschauen wir von diesem Punkte recht genau. Es ist hier demnach nur die Frage: Wer treibt diese Kugel fortwährend um ihre Achse, und was bedeutet sie wie das ganze Ornament?
[GS.02_043,07] Meine lieben Freunde und Brüder! Sehet, da hängt denn an diesem Ornamente schon wieder so ein fataler absoluter Weisheitsbrocken, von dem sich für eure Einsicht eben nicht gar zu viel wird herabzwicken lassen. Was die Umdrehung dieser Kugel betrifft, so ist sie wohl an und für sich leicht zu erklären und zu begreifen.
[GS.02_043,08] So ihr nur wisset, daß der große, vollkommene Rundstabreif inwendig hohl ist und an der Stelle, wo die Spindel der Kugel in den Reif hineingesteckt ist, ein überaus klug berechneter Mechanismus angebracht ist, der als ein wahres „Perpetuum mobile“ betrachtet werden kann, durch welches eben diese durchsichtige, aus feinstem Glase zu bestehen scheinende Kugel in einen fortwährend gleichen Umschwung gebracht wird, so könnet ihr dann mit dieser Beantwortung euch vollkommen zufrieden stellen.
[GS.02_043,09] Ihr möchtet hier freilich wohl die Triebkraft solch eines Perpetuum-mobile-Mechanismus näher kennen. Wenn ihr solches wisset, was zu erklären eben nicht zu schwer sein wird, so werdet ihr deswegen das Ornament noch um kein Haar besser verstehen als ohne eine solche Erklärung.
[GS.02_043,10] Ich sehe aber, daß ihr nach einem Perpetuum-mobile-Mechanismus sehr lüstern seid; so muß ich euch schon die Einrichtung desselben ein wenig auseinandersetzen; nur müßt ihr euch dabei ein unabnützbares Material denken, welches aber nur auf solchen Weltkörpern zu Hause ist, wie da ist diese unsere Zentralsonne. Auf den Erdkörpern, wie der eurige einer ist, kann sich solch ein Material unmöglich vorfinden, weil alle die erdkörperlichen Materialien einem unaussprechlich viel geringeren Licht- und Hitzegrade entstammen denn die einer solchen Zentralsonnenwelt.
[GS.02_043,11] Wenn wir dieses voraussetzen, so ist dann die Darstellung des Mechanismus von der höchst einfachsten Art von der Welt. Wie sieht dann dieser aus? Sehet, bis ungefähr ein Drittel zu unterst ist der vollkommen dicht verschlossene Reif mit einer unverdunstbaren Flüssigkeit angefüllt, etwa von der Art und Beschaffenheit, als wäre es bei euch möglich, ein überaus gereinigtes Quecksilber in vollkommen durchsichtigem und überaus leichtflüssigem Zustande darzustellen. Von zu oberst des Reifes aber langt ein sogenanntes „Polyorganon“ herab in die Flüssigkeit, aber nur auf der einen Seite.
[GS.02_043,12] Dieses Polyorganon saugt zufolge seiner mächtigen Attraktion zu der Flüssigkeit dieselbe fortwährend auf. – Dieses Polyorganon reicht aber auf der entgegengesetzten Seite des Reifes bis zu einem Drittel der ganzen Reifhöhe herab, und läßt die auf der anderen Seite eingesogene Flüssigkeit herabträufeln. Vor dem Ende des Polyorganons ist ein trichterartiger Tropfensammler angebracht, dessen unterste Röhre an ein wohlberechnetes löffelartiges Schaufelwerk geleitet ist. Dieses Schaufelwerk ist unmittelbar an der Spindel befestiget, an welcher die Kugel selbst im Kreise hängt. Wenn durch einen oder mehrere herabfallende Tropfen ein Schäufelchen voll geworden ist, so wird das Schäufelchen natürlich schwerer, senkt sich dann abwärts, und bringt auf diese Weise die ganze große Kugel zum Umschwunge. Hat das Schäufelchen zu unterst seine Flüssigkeit ausgegossen, so wird unterdessen schon wieder ein anderes gefüllt und sinkt wieder herab. Und da das Polyorganon ebensoviel Flüssigkeit fortwährend aufsaugt, als es auf dieses Schaufelwerk herabträufeln läßt, so ist das Perpetuum mobile unter den vorher angegebenen Bedingungen ja überaus leicht möglich, wenn ihr noch dazu bedenket, daß diese Materie, aus welcher die Spindel und überhaupt das ganze Ornament besteht, keiner Abnützung und somit auch keiner Reibung fähig ist. Die Glätte der Spindel und des Zylinders, in welchem die Spindel läuft, ist so außerordentlich groß, daß sie sich gegenseitig zur Umdrehung nicht das leiseste Hindernis setzt. Es ist, als möchte sich eine solche Spindel im reinsten Äther bewegen. Und da die große glasartige Kugel auch höchst mathematisch genau sphärisch gleichgewichtig in der Spindel hängt, so wird ihre Ruhe schon durch das Gewicht eines kleinen Tropfens hinreichend leicht gestört. Ein solches Fabrikat aber gehört bei diesen höchst weisen Menschen zu keinem Wunderwerke.
[GS.02_043,13] Ihr saget: Diesen Perpetuum-mobile-Mechanismus begreifen wir jetzt ganz vollkommen; aber den beständigen Formenwechsel in der Glaskugel, den werden wir schwerlich begreifen. Ja, meine lieben Freunde und Brüder, da wird es freilich einen kleinen Haken haben; aber unmöglich ist es eben nicht, darüber irgendeine Einsicht zu erlangen. Auf eurem Erdkörper wäre so etwas darzustellen wohl eine ziemlich reine Unmöglichkeit, weil auf dem Erdkörper die mannigfaltigsten sogenannten imponderablen Stoffe nicht für bleibend aufgefangen werden können; aber auf einem Zentralsonnenkörper ist solches gar leicht möglich.
[GS.02_043,14] Und so könnet ihr zu eurer Wissenschaft erfahren, daß diese Kugel inwendig hohl ist, ist aber gefüllt mit allerlei solchen imponderablen Grundstoffen. Bei der geringsten Drehung mischen sich diese Stoffe fortwährend durcheinander, ohne sich vermöge ihrer Verschiedenartigkeit vollkommen zu vermengen. Durch diese Vermischung geschieht aber dann auch fortwährend eine neue Formbildung, welche sich bei einer stets darauf folgenden fortwährenden Umdrehung der glasartigen Kugel notwendig verändern muß. Ihr könnet wohl im Großen auf eurem Erdkörper Ähnliches erschauen, wo ebenfalls die imponderablen Stoffe innerhalb der großen Luftkugel, welche natürlich den ganzen Erdkörper einfaßt, auch fortwährend neue Formen zur Erscheinlichkeit bringen. Aber diese imponderablen Stoffe stehen auf einem Erdkörper auf einer viel geringer tätigen Potenz als auf einer solchen Zentralsonne; daher ist auch ihr Gebilde gewöhnlich unausgebildet, wie ihr solches bei den Bildungen des Gewölkes und noch mancher anderer Lufterscheinungen erschauen könnet. In dieser Kugel hier sind aber diese Stoffe gewisserart in ihrer konzentriertesten Potenz eingeschlossen; daher sind auch die entwickelten Formen unbeschreiblich und gewähren dann, wenn schon in kleinerem Maßstabe, den allerimposantesten Anblick.
[GS.02_043,15] Ich meine nun, soviel es für eure Begriffsfähigkeit möglich und tunlich war, hätten wir auch diese Erscheinlichkeit so ziemlich entziffert; aber was bedeutet solches alles? Das ist eine ganz außerordentliche Frage. Es ist, wie schon am Anfang bemerkt, ein Weisheitsbrocken, von dem sich nicht viel wird herabzwicken lassen, und wir werden zufrieden sein müssen, darüber nur einen höchst flüchtig allgemeinen Blick werfen zu können. Und so läßt sich die ganze Sache also zusammenfassen, daß durch dieses Ornament die absolute Weisheit ganz allein für sich dargestellt wird und ist unter diesem Gesichtspunkte etwas sich fortwährend Bewegendes und Form-Wechselndes, deren Bedeutung und innerer Zusammenhang nur dem Einen, aber sonst keinem ewig je entzifferbar ist.
[GS.02_043,16] Also ist es ja auch auf eurer Erde der Fall. Wer kann die zahllosen Formen der Wolken verstehen? Die höchste Weisheit sinkt bei dem fortwährend erneuten Anblicke in den Staub zurück und muß sagen: Herr! wie gar nichts sind alle Menschen und Geister vor Dir! Desgleichen wollen auch wir hier tun und uns dann statt einer leeren weiteren Erörterung lieber sogleich auf die neunte Galerie oder in das achte Stockwerk begeben. Die Treppe sieht hier wohl wie alles schon sehr luftig aus; aber uns wird sie schon gar wohl noch tragen, und so beginnen wir unseren Weitermarsch. –
44. Kapitel – VIII. Stockwerk. Vom Eingehen in das Leben des Geistes.
[GS.02_044,01] Wir sind oben; sehet euch recht gründlich um und beachtet vorzugsweise die Säulenrondell-Ornamente. Aus diesen, wie ihr bisher schon erfahren habt, lernen wir von Stockwerk zu Stockwerk die Weisheit der hier wohnenden Menschen kennen und zugleich die allgemeine Menschen- und Weltordnung eines ganzen Sonnengebietes, vorzugsweise desjenigen, auf dessen Zentralsonne wir uns gegenwärtig befinden.
[GS.02_044,02] Was das Übrige dieser Galerie betrifft, so ist eben nicht zu viel für unsere Augen besonders Erhebliches daran zu entdecken, denn das ganze Baumaterial bis auf die innere kontinuierliche Wand ist schon vollkommen hell durchsichtig, so daß man also nur mehr aus den Glanzflächen erkennen kann, daß es ein Material ist, sonst aber ist es, wie gesagt, vollkommen durchsichtig gleich der Luft. Die innere kontinuierliche Wand aber ist blendend weiß; die Tore in die inneren Gemächer sind lichtblau. Jetzt sind wir mit den Farben aber auch schon fertig, was das Bauwesen der Galerie betrifft; daher begeben wir uns sogleich in ein Säulenrondell, um in selbem das Merkwürdige zu erschauen, was uns um eine so ganz eigentliche geistige Galerie höher heben wird.
[GS.02_044,03] Wir sind im Rondell. Ihr saget zwar: Lieber Freund und Bruder, hier muß man die Säulen dieses Rondells mehr greifen als schauen. Sie glänzen wohl ungemein, wenn man so recht vor ihren Flächenspiegel tritt; sieht man aber flüchtig hinweg, fürwahr, da könnte man recht gut in die Säule rennen, ohne vorher gesehen zu haben, welch ein Stein des Anstoßes auf einen harrt.
[GS.02_044,04] Du hast zwar früher gesagt, wir sollten das Ornament dieses Säulenrondells besonders scharf ins Auge fassen, denn es stecke gar Großes dahinter. Aber wir schauen schon jetzt hin und her und auf und ab, und können mit Mühe nur die Säulen erschauen und innerhalb derselben eine ganze ungemein keusche, zarte und überaus durchsichtige Rundtreppe, versehen mit einem gleichmäßigen beiderseitigen Geländer; doch von einem Ornamente dieses Säulenrondells können wir bei der allerstrengsten Aufmerksamkeit auch nicht die leiseste Spur entdecken. Sollen wir aber daraus etwas für unsere innere Wiß- und Weisheitsbegierde Ersprießliches schöpfen, so müssen wir doch etwas Erschauliches vor uns haben; denn aus diesem Nichts wird doch sicher unmöglich viel mehr als wieder nichts herauskommen.
[GS.02_044,05] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, sehet, das Sehvermögen des Menschen ist durchgehends so eingerichtet, daß es aus den zwei Extremen heraustretend auf eine Zeitlang unbrauchbar ist. Ist jemand lange im heftigen Lichte gestanden und kommt dann in ein dunkles Gemach, so wird er mit dem besten Gesichte die Gegenstände im selben nicht unterscheiden können. Eben also ist es auch umgekehrt der Fall; hat sich jemand längere Zeit in einem dunklen Gemache aufgehalten und tritt dann plötzlich ans helle Licht, so wird er auch in den ersten Augenblicken vor lauter Licht nichts mehr sehen, gleichwie die Vögel der Nacht am Tage nichts sehen. Erst nach einigen Sekunden werden die Bilder anfangen, sich seinem Auge immer klarer und klarer darzustellen.
[GS.02_044,06] Also geht es euch auch hier; denn der Lichtunterschied von Galerie zu Galerie, von Stockwerk zu Stockwerk ist groß verschieden und wird durch die Anwendung des stets heller und heller werdenden Baumaterials bewirkt. Daher müssen wir uns hier in dieser Lichthöhe ein wenig verweilen, um unsere Augenkraft zu üben. Und so werden dann schon noch Sachen zum Vorschein kommen, die wir jetzt auf diesen ersten Augenblick freilich wohl nicht erschauen mögen.
[GS.02_044,07] Ihr fraget: Wie sollen wir denn das so ganz eigentlich anstellen? – Ich sage euch: Schauet nur hin auf die weiße Wand, euer Auge wird vor dem großen weißen Glanze bald lichtmatt genug werden, und ihr werdet dann alsobald die Umrisse unseres Ornamentes zu erspähen anfangen. Ihr saget hier freilich: Lieber Freund und Bruder, wie es uns vorkommt, so wird sich die Sache nicht recht tun lassen; denn ist das geistige Auge homogen mit dem leiblichen, so wird es durch einen längeren Anblick in seiner Schärfe ja nur getötet, aber unmöglich mehr belebt und gestärkt. Daher wären wir der Meinung, das Auge eher in irgendeine Dunkelheit zu versetzen, und es wird dann stärker werden zur Aufnahme des Lichtes.
[GS.02_044,08] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, dem Anscheine nach sollte es wohl so sein; aber solche Annahme taugt nicht für diesen Platz. Wollt ihr aber davon den Grund tüchtiger erschauen, so will ich euch durch ein faßliches Beispiel darauf aufmerksam machen.
[GS.02_044,09] Wie findet ihr die Morgen- oder Abendsonne auf den ersten Blick, den ihr nach ihr richtet? Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, unerträglich stark glänzend; und wir können die runde Form ihres Körpers nicht ausnehmen, sondern ihre Gestalt ist gleich einem unförmigen Feuerballe. Gut, meine lieben Freunde und Brüder; was geschieht aber, so ihr euch besieget und fanget an, konstant in diesen Feuerball zu schauen? Ihr saget: Der Glanz verliert sich nach und nach, und vor unseren Augen steht bloß eine schneeweiße Scheibe, die an ihrem Rande fortwährend zu vibrieren scheint, und wenn wir recht lange hinschauen, so können wir sogar die größten Flecken auf ihrer Oberfläche wie sehr kleine schwarze Punkte entdecken.
[GS.02_044,10] Wieder gut, meine lieben Freunde und Brüder; warum aber könnt ihr nun solches? Ist euer Auge etwa gestärkt worden durch den beständigen vehementen Lichtanblick der Sonne? O nein! Euer Auge ist dadurch eigentlich geschwächt worden, was ihr sehr leicht gewahren könnet, so ihr nun von der Sonne weg euer Auge einem anderen Gegenstande zuwendet. Wie werdet ihr einen solchen Gegenstand erschauen? Sehet, wie im Traum oder in einem schon erheblichen Nachtdunkel.
[GS.02_044,11] Wenn wir aber nun solches aus der Erfahrung wissen, so werden wir wohl auch leicht verstehen, wozu der etwas länger anhaltende Anblick der weißen kontinuierlichen Wand dieses Gebäudes gut sein soll; nämlich wozu der längere Anblick der Sonne gut war. – Ihr habet dort durch den längeren Anblick die reine Sonnenscheibe sogar mit ihren Flecken erschaut; und wir werden hier in dieser Lichtmasse nach und nach anfangen, das Ornament dieses Säulenrondells zu erschauen.
[GS.02_044,12] Ihr fraget hier noch einmal und saget: Aber lieber Freund und Bruder, haben die Bewohner dieses Gebäudes aller Gebäude auch so lange zu tun, um ihre Ornamente zu erschauen, mit denen sie dieses Säulenrondell geschmückt haben, wie wir? O nein, meine lieben Freunde und Brüder; ihr Auge erschaut alles dieses mit derselben Leichtigkeit, wie ihr die verschiedenen Gegenstände auf eurer Erde. Aber euer Auge muß ein wenig geübt werden, um die Dinge hier auszunehmen.
[GS.02_044,13] Ihr saget zwar: Lieber Freund und Bruder, diese deine Augenpräparation für uns kommt uns ein wenig eitel vor, denn wir sind ja doch auf der Erde und können von dem, was du uns durch die Gnade des Herrn kundgibst, bei dem allerbesten Willen so viel wie nichts erschauen. Wir schreiben wohl unsere Sache, sehen aber dabei nur das, was uns umgibt; aber für alle diese Herrlichkeiten sind nicht unsere Augen die Wahrnehmswerkzeuge, sondern bisher nur immer unsere Ohren.
[GS.02_044,14] Liebe Freunde und Brüder! Das ist von der sehr stark naturmäßigen Seite aus betrachtet ganz klar und richtig, aber von der nur einigermaßen mehr geistigen schon ganz grundfalsch. Wenn ihr eure äußeren groben Sinne in Anschlag bringet, da wird es sich mit der Anschauung dieser herrlichen Dinge freilich wohl etwas schwer tun; ich aber rede hier von der Angewöhnung des geistigen Sinnes; und das Auge des Geistes ist – euer Vorstellungsvermögen, euer Gefühl und die mit demselben lebendig verbundene Phantasie.
[GS.02_044,15] Dieses Auge müßt ihr öffnen und in das weiße Licht des Geistes wenden, und in solcher Wendung eine Zeitlang euch ruhig verhalten; so werdet ihr das, was hier besprochen wird, mit eurem geistigen Auge ebensogut zu schauen anfangen, als so ihr es schauen möchtet mit eurem Fleischesauge.
[GS.02_044,16] Also muß ja notwendig ein jeder, der in das Leben seines Geistes eingehen will, sich tagtäglich auf eine Zeitlang in die vollkommene Ruhe seines Geistes begeben und muß in dieser nicht etwa mit allerlei Gedanken umherschweifen, sondern er muß einen Gedanken nur fassen und diesen als ein bestimmtes Objekt unverwandt betrachten.
[GS.02_044,17] Der beste Gedanke ist hier freilich der Herr. Und wenn jemand solches mit Eifer und aller möglichen Selbstverleugnung fort und fort tun wird, so wird dadurch die Sehe wie das Gehör seines Geistes stets mehr und mehr an innerer Schärfe gewinnen, und nach einer eben nicht zu langen Zeit werden diese beiden Sinneswerkzeuge des Geistes so sehr erhöht werden, daß er mit der größten Leichtigkeit dort geistige Formen von der wunderbarsten Art erblicken wird, wo er vorher nichts als eine formlose Leere zu erschauen wähnte. Und so wird er auch mit eben der Leichtigkeit Töne und Worte vernehmen, wo ihm ehedem eine ewige Stille zu sein schien. Ich meine, ihr werdet mich verstehen, was ich euch damit habe sagen wollen und werdet hoffentlich auch einsehen, daß euer Einwurf hinsichtlich des Schauens um ein Bedeutendes eitler war als meine Beheißung, wie geartet ihr eure Sehe zum ferneren Anblicke dieser Herrlichkeiten stärken sollet.
[GS.02_044,18] Beobachtet also nur meinen Rat und beschauet die weißglänzende Wand oder in euch diejenige Gemütsseite, die da ledig ist von eitlen Gedanken der Welt; und ihr werdet das ganz einfache aber vielsagende Zierakulum dieses Säulenrondells gar bald und leicht erschauen.
[GS.02_044,19] Sehet nur hin; an einer durchsichtigen weißen Schnur hängt eine ganz einfache etwa eine Klafter im Durchmesser habende höchst rein durchsichtige Kugel, und vom Boden des Säulenrondells geht eine vollkommen runde, sehr schmale Kegelpyramide mit der Spitze bis zur Kugel empor und ist ebenso durchsichtig wie die Kugel selbst. Bemerket ihr solches? Ihr saget: Wir merken solches schon wie in einem ganz leisen Bilde in uns. Gut, sage ich euch; denket aber nun darüber selbst ein wenig nach und sehet, ob ihr die Bedeutung dieses Ornamentes nicht annähernd finden werdet. – In der nächsten Gelegenheit will ich dann euren Fund gehörig beleuchten. –
45. Kapitel – Göttlich-geistige Weisheit ist Torheit vor der Welt.
[GS.02_045,01] Ihr habt solches getan und habt darüber ein wenig nachgedacht; und ich sage euch: Hier ist das Verhältnis also: Ihr hättet darüber denken können, was ihr gewollt, und ihr hättet entsprechendermaßen vollkommen richtig und wahr ein Bild innerer Bedeutung dieses Ornamentes treffen müssen. Ihr saget hier freilich wohl mit etwas erstauntem Gemüte:
[GS.02_045,02] Wenn sich die Sache also verhält, da hat man es im Reiche der Geister überaus leicht. Man kann auf diese Weise ganz gedanken- und sinnlos allerlei unzusammenhängende Phrasen hintereinander herplaudern und das noch dazu zur erörternden Beantwortung einer allerwichtigsten Lebensfrage, und man hat am Ende durch allerlei nichtige Faseleien unwillkürlich die größte Weisheit hervorgebracht.
[GS.02_045,03] Wir sind aber gegenteils der Meinung, daß man im Geiste, um wahrhaft geistig weise zu sprechen, noch ums Unvergleichliche bündiger sprechen muß denn auf der Erde, und das aus solchem gewiß sicheren Grunde, weil dem Geiste auch viel triftigere und bündigere Hilfsmittel zu Gebote stehen, so er im völlig absoluten Zustande sich befindet, als auf der zerbröckelten Außenwelt, wenn er obendrauf noch von seiner schweren Fleischmasse gefangen und niedergedrückt ist.
[GS.02_045,04] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ihr habt einerseits wohl recht, so ihr das Geistige mit irdischem Maßstabe bemesset; bemesset ihr aber das Geistige geistig, so werdet ihr leichtlich gewahr werden, daß eure vorliegende Schlußfolgerung auf sehr untüchtigen Füßen basiert. Ihr habt sicher in den Briefen meines lieben Bruders Paulus gelesen, wo er sich nicht selten darüber ausspricht, daß die Weisheit der Weisen in Christo vor der Welt eine barste Torheit sei. Das ist sie auch richtig; wie denn aber?
[GS.02_045,05] Sehet, wenn ihr zählet, da meinet ihr, die Ordnung in eurem Zahlensysteme sei vollkommen und habe keine Lücken. Ich sage euch aber, daß zwischen jeder Zahl eine unausfüllbare Kluft vorhanden ist und diese Kluft ist nur dem höchsten Geiste erschaulich ausgefüllt. Was werdet ihr dann für ein Urteil fällen, so ein vom höchsten Gnadenlichte erfüllter Geist vor euch hintritt und zählt zwischen eins und zwei zahllose Milliarden hinein und sagt am Ende: Und noch ist die Kluft zwischen euren zwei systematischen Ordnungszahlen bei weitem nicht ausgefüllt. Und wenn er euch da noch in tiefere und tiefere unausgefüllte Klüfte zwischen den von ihm gezählten Milliarden führen wird, welche sich alle zwischen eurer Eins und Zwei befinden, so werdet ihr sagen:
[GS.02_045,06] Dieses Wesen hat im höchsten Grade überspannte Begriffe und faselt da von unendlichen Größen, wo wir nichts als zwei knapp aneinanderstoßende Einheiten erschauen.
[GS.02_045,07] Ein anderer Geist mag zu euch kommen und wird euch Geschichten über eure Erde erzählen, über die graue Vorzeit wie über die jüngste Vergangenheit und Gegenwart, welche auf der Erde eigentlich nie geschehen sind. Ja, er kann noch einen anderen Streich tun, er kann wirkliche Taten aus der Gegenwart ins graue Altertum zurückversetzen und umgekehrt die Taten des grauen Altertums in die gegenwärtige Zeit; so kann er auch die Orte verwechseln, wo eine oder die andere Tat begangen ward. Also kann er auch die Erde mit der Sonne austauschen und dergleichen noch mehr solches für eure Urteilskraft entsetzlich widersprechendes Zeug. Er kann da tausend setzen, wo ihr eins habt, und so auch umgekehrt. Was werdet ihr mit eurer irdisch weise geordneten Beurteilung dazu sagen? Sicher werdet ihr nichts anderes herausbringen als: Siehe da, der Geist faselt!
[GS.02_045,08] Ihr saget in eurer Weltweisheit: Wenn ich bin und denke, so bin ich der, der ich bin und denke. Der Geist wird aber zu euch sagen: Ich bin und bin nicht; ich denke und denke nicht; ich bin, der ich nicht bin; und ich denke, wie ich nicht denke. Was werdet ihr dazu sagen? Nichts anderes als: Siehe da, der Geist faselt schon wieder! Denn ordnungsmäßig kann ein bestimmtes Sein ja doch nicht zu gleicher Zeit ein Nichtsein sein.
[GS.02_045,09] Sehet, aus diesem aber könnet ihr leicht erschauen, daß sich die geistige Weisheit niemals nach dem irdischen Maßstabe bemessen läßt. Damit ihr aber doch davon irgendeinen leisen Begriff bekommet, so will ich nur das Sein und Nichtsein und das Denken und Nichtdenken nach geistiger Weisheit ein wenig erleuchten. Und so höret!
[GS.02_045,10] Wenn der Geist sagt: Ich bin und denke, so zeigt er dadurch an, daß der Herr in ihm alles in allem ist; und sagt er von sich aus: Ich bin nicht und denke nicht, so redet er, daß ohne den Herrn für sich selbst kein Wesen etwas ist noch etwas vermag. Wie ists denn aber, wenn der Herr in der tiefen Weisheit Ähnliches von Sich aussagt, der doch ewig alles in allem ist? Sehet, dann bezeiget solches, daß der Herr Selbst in Sich Selbst ewig vollkommen ist und denket. Wenn Er aber spricht: Ich bin nicht und denke nicht, so besagt das soviel als: Alle Wesen sind zwar Geschöpfe von Mir und sind Meine durch Meinen Willen festgehaltenen lebendigen Gedanken; und es gibt kein Ding in der ganzen Unendlichkeit, das Ich nicht gedacht und schöpferisch mit Meinem Willen gefestet hätte. Damit aber Meinen Geschöpfen die vollkommene Freiheit werde, so gebe Ich Meine Gedanken so vollkommen frei, als hätte Ich sie nicht gedacht und nicht geschaffen, auf daß sie nun wie aus sich ganz frei denken, schalten und walten können, als hingen sie von Mir nicht im geringsten ab und als wäre Ich gar nicht vorhanden.
[GS.02_045,11] Sehet, das ist dann der Weisheitssinn in den geistigen Begriffen, welche mit irdisch geordnetem Maßstabe in ihrer geistigen Einfachheit freilich wohl als Faseleien angesehen werden müssen. Wie es sich aber mit diesem für euch ein wenig erhellten Weisheitsbeispiele verhält, also verhält es sich auch mit allen den früher angeführten Rechen- und historischen Beispielen; und ihr könnet einen Geist fragen: Wie viel ist zwei mal vier? und der Geist gäbe euch zur Antwort: Zwei mal vier ist Judäa oder China oder Asien oder Europa oder Jerusalem oder Bethlehem oder der König Salomo und dergleichen noch eine zahllose Menge Mehreres, so hätte er euch allzeit die untrüglich wahre Antwort gegeben.
[GS.02_045,12] Aber ihr werdet dazu sagen: Daß zwei mal vier acht ist, das sehen wir ein, aber daß zwei mal vier – Länder, Städte und Völker bezeichnen sollen, das scheint wohl eine starke Faselei zu sein. Mit irdisch geordnetem Verstande genommen, sicher; aber mit geistigem, wo eine jede Zahl einen unerschöpflichen entsprechenden geistigen Grundsinn hat, wird die Antwort vollkommen richtig sein. Ich sehe aber, daß euch diese Angabe zu sehr wißbegierlich kitzelt, und ihr möchtet gern ein leises Fünklein haben, so will ich euch ja gleichwohl ein paar Fünklein vorspringen lassen.
[GS.02_045,13] Sehet, zwei mal vier ist acht; wie ist es aber Jerusalem? Sehet, in der Zahl 8 ist die Zahl 7 unfehlbar enthalten. Die Zahl 7 aber besagt die Vollmacht der sieben Geister Gottes, welche Entsprechung haben mit den sieben Farben und sonach auch mit dem Leben eines jeden Menschen. Aber nun haben wir bei der Zahl 7 die Zahl 1; was besagt denn diese? Sie besagt, daß diese sieben Geister nicht sieben, sondern im Grunde nur vollkommen ein Geist sind; und das ist gleichsam in der Zahl 8 ausgedrückt, in welcher Zahl zu gleicher Zeit die Geister Gottes abgesondert und dann daneben zu eins vereint entsprechend dargestellt werden; und dieses vereinte Eins zu dem früheren wie geteilten Sieben gibt die vollkommene Zahl 8.
[GS.02_045,14] Nun aber stellt Jerusalem den Herrn ebenfalls unter dem wirkenden Standpunkte der Liebe und Weisheit vor; welches ihr aus der Veranlassung der Entstehung dieser Stadt und ihrer zweckdienlichen Einrichtung gar wohl ersehen könnet. Sonach ist der Herr oder Seine Liebe und Weisheit oder die eben das bezeichnende Stadt Jerusalem ja vollkommen identisch; und die den Herrn als ein in eins vollendetes Wesen darstellende Zahl 8 muß ja dann alles dasjenige ebenfalls bezeichnen, was immer nur aus was auch für einem Standpunkte betrachtet, den Herrn in Seiner vereinten Vollkommenheit darstellt. Jerusalem aber tut solches; also kann es auch mit eben dem gleichen Rechte unter der Zahl 8 bezeichnet sein.
[GS.02_045,15] Wie es sich aber mit Jerusalem verhält, so verhält es sich im Grunde des Grundes mit allem andern; indem der Herr doch sicher überall alles in allem ist; und somit die Zahl 8 in der bestimmten Sphäre eines so gut wie das andere vollkommen richtig bezeichnen kann.
[GS.02_045,16] Ihr saget hier freilich: Wenn es sich mit 8 tut, so muß es sich auch mit allen anderen Zahlen tun. Das ist richtig und sicher; aber ihr werdet solches, solange ihr noch mit irdischen Zahlen und Maßstäben herumspringet und der Meinung seid, daß Gott und die reineren Geister ebenso zählen müssen wie ihr, nicht völlig in der Tiefe begreifen können.
[GS.02_045,17] Wenn aber ein Prophet spricht: Vor Gott sind tausend Jahre wie ein einzelner Tag, und die Zahl aller Menschen ist gleich null vor dem Herrn; was sagt ihr denn zu diesem mathematischen Verhältnisse? Denn im Grunde müßt ihr denn doch sagen: Gott hat die Jahre und die Tage gestellt, und hat das Jahr zusammengesetzt aus dreihundert und etlichen und sechzig Tagen, und mußte da ja doch die Tage und Jahre Selbst eher wohl unterschieden haben, sonst wäre es Ihm sicher nicht möglich gewesen, Tage und Jahre so wohlgeordnet und wohl unterscheidbar nacheinander folgen zu machen.
[GS.02_045,18] So aber der Herr solches ersichtlichermaßen allerhöchst klar berechnend getan hat und Selbst sicher am besten weiß, aus wieviel Tagen ein Jahr besteht, wie kann Er denn Seiner eigenen gestellten Ordnung gewisserart wie vergessen und dieselbe so sehr unbeachtet überspringen wollen und tausend Jahre einem einzelnen Jahrestage gleichstellen?
[GS.02_045,19] Sehet, solch ein Spruch kommt euch viel natürlicher vor, weil ihr euch denselben schon mehr angewöhnt, ihn schon zu öfteren Malen gehört und darüber euch schon mehr oder weniger passende Vergleichungen angestellt habt. Würdet ihr aber nie etwas davon gehört haben, so würde er euch ebenso wundersam klingen, als so ich euch sagen möchte: Siebenhundertdreißig und vier Jahre sind gleich 27 Tagen und etlich wenigen Stunden und einer Stunde und einer Minute für sich.
[GS.02_045,20] Aus diesem aber will ich euch nur zeigen, daß die Zahlen, Jahre, Tage, Stunden und Minuten im Geiste durchaus nicht das bezeichnen, als was sie dastehen, sondern die Weisheit des Geistes ist eine andere als die des irdischen Verstandes. Und so denn werdet ihr hoffentlich nun auch ein wenig zu begreifen anfangen, daß ich ehedem vollkommen richtig zu euch gesprochen habe, da ich zu euch sagte: Ihr möget über die Bedeutung dieses Zierakulums was immer für ein Entsprechungsbild aufgestellt haben, so habt ihr dennoch vollkommen den wahren Sinn dieses Säulenrondell-Ornamentes bezeichnet.
[GS.02_045,21] Damit ihr aber euch davon desto lebendiger überzeugen möget, so setzet wie zufällig ein bezeichnendes Entsprechungsbild über die Bedeutung dieses Ornamentes auf, und ich werde euch mit der Gnade des Herrn bei der nächsten Gelegenheit zeigen, daß ich in der aufgestellten Behauptung vollkommen recht habe. – –
46. Kapitel – Ineinanderfließen von Ewigkeit und Zeit.
[GS.02_046,01] Ich habe vernommen und wohl eingesehen euer vergleichend aufgestelltes Bild und muß euch noch obendrauf hinzu bekennen, daß ihr auf eurer Erde in kurzer Zeit Besitzer von Millionen werden könntet, so euch der Haupttreffer aus den Lotterien so sicher wäre, als wie grundrichtig eure aufgestellte Vergleichung die innere Bedeutung unseres vorliegenden Ornamentes darstellt. – Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber das will hier eben nicht zuviel gesagt haben; denn wo man den Nagel nirgends anders als auf den Kopf treffen kann, da hört es dann auch auf, eine Kunst zu sein, ja sogar ein Gelingen, einen Nagel auf den Kopf zu treffen. Denn ihr hättet auch ebensogut sagen können: Die untere Spitzpyramide bedeutet eine „Maus“ und die hängende Kugel eine „Katze“ – und ihr hättet die Sache ebensorichtig bezeichnet als mit der „Zeit“ und mit der „Ewigkeit“. Daß aber solches alles richtig ist, wird sogleich unsere nachfolgende Betrachtung zeigen.
[GS.02_046,02] Daß eine Kugel, welche nirgends einen Anfang und nirgends ein Ende hat, am allerfüglichsten die Ewigkeit bezeichnet wie auch die der Ewigkeit innigst verwandte Unendlichkeit, das ist schon eine uralte sinnbildliche Wahrheit.
[GS.02_046,03] Ein Kreis bedeutet wohl auch die Ewigkeit, aber nur so, wie sie gewisserart als eine unendliche Zeitenfolge zu betrachten ist; aber die Ewigkeit in sich, welche gewisserart weder eine Vergangenheit, noch eine Zukunft, sondern eine fortwährende Gegenwart all des schon vor undenklichen Zeiten Geschehenen und des nach undenklichen Zeiten noch zu Geschehenden wie in einem unendlichen Zeitenknäuel vollkommen gegenwärtig darstellt, wird durch eine Kugel symbolisch bezeichnet.
[GS.02_046,04] Eine Spitzpyramide von kreisrunder Form (Spitzkegel) aber bezeichnet allerdings die Zeitenfolge; warum denn? Weil fürs erste die Kreisrundung der Spitzpyramide den Ausgang aus der Ewigkeit dadurch anzeigt, daß sie eigentlich eine gestreckte Kugel beschreibt, deren Kreise sich gegen den Streckpunkt stets mehr und mehr beengen. Schneidet ihr eine solche nach zwei Seiten gestreckte Kugel bei der Mitte auseinander, d.h. durch den Gürtel, so werdet ihr dann zwei Pyramiden (Kegel) bekommen, was soviel sagt, daß durch diese Manipulation die eigentliche Ewigkeit in sich zu einer Zeitenfolge ist ausgedehnt worden. Und da ihr die ausgestreckte Kugel durch den Gürtel auseinander teilet, da liegen alle Fakta dazwischen; denn da ist ihr Anfang und ihr Ende.
[GS.02_046,05] So könnet ihr euch auch keine begrenzte Zeit denken, wohl aber eine eingeteilte. Wo ihr aber die gestreckte Kugel als die zur Zeitenfolge ausgedehnte Ewigkeit abteilet, da steckt, wie gesagt, irgendein Faktum von seinem Anfange bis zu seinem Ende dazwischen, ohne das an keine Zeiteinteilung zu denken ist. Denn denket nur einmal nach, wie lange messet ihr wohl schon die Zeit? Von eurer Geburt an bis zur gegenwärtigen Lebensperiode. Sehet, das ist euer Durchschnitt; dieser schließt den Anfang und das Ende eures irdischen Lebens in sich, und nach beiden Seiten hin ist eine endlos ausgestreckte Linie, deren Ende nirgends als nur für euch bei eurem Lebens-Durchschnitte zu finden ist, d.h. vor eurer Geburt ist eine ewig lange Zeit vergangen, und nach eurem Übertritte wird ebenfalls wieder eine unendliche Zeitenfolge fortwähren.
[GS.02_046,06] Nun sehet unser Ornament an; eine Kugel, vollkommen durchsichtig, hängend an einer ebenfalls vollkommen durchsichtig glatten Schnur. Diese Kugel berührt mit ihrer untersten Sphäre die Spitze unserer Rundpyramide. Was will solches denn sagen?
[GS.02_046,07] Die in sich selbst komplette Ewigkeit oder Unendlichkeit, welche durch die Kugel dargestellt wird, dehnt sich in der Pyramide zu einer ewigen Zeitenfolge aus und fließt aus der Kugel wie aus einem ewigen Urborne, gleichsam durch die Spitzpyramide in die taten- und werkreichen Zeitperioden aus.
[GS.02_046,08] In diesem nun soviel als möglich erklärenden Satze werdet ihr sicher so ziemlich klar ersehen, daß euer Bild zur vorläufigen Erklärung dieses Ornamentes ein sicher ganz überaus wohlgelungenes war, denn ihr möget es wenden und drehen, wie ihr wollt, so werdet ihr allezeit dasselbe Endresultat bekommen.
[GS.02_046,09] Aber wie ginge es denn mit der Katze und mit der Maus? – Sehet, ihr dürfet die Sache nur umkehren und das Bild ist wieder richtig. Die Katze ist ein Tier, das fortwährend mit der Mordlust für Mäuse und auch für andere mausähnliche Tierchen erfüllt ist; die Pyramide stellt sonach eine Maus dar, wie schon im Anfange bezeichnet wurde, und die Kugel die Katze.
[GS.02_046,10] Wie aber die Katze, ein Raubtier, fortwährend die Mäuse verschlingen will, so verschlingt ja auch die Ewigkeit fortwährend alle die aus ihr herausgetretenen Zeitfolgen und alle Werke in denselben.
[GS.02_046,11] In der Ewigkeit könnet ihr alles: Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges wie auf einem Punkte beisammen treffen. Wenn es aber also anzutreffen ist, so muß es als ein Verschlungenes anzutreffen sein.
[GS.02_046,12] Sehet auf unsere Katze; könntet ihr sie geistig beschauen, so würdet ihr in diesem Tiere nichts anderes als ein Aggregat von nahe zahllos vielen Mäusen und mausähnlichen Tierchen erschauen. Daß solches richtig ist, dafür spricht die ziemlich bedeutende Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Tiergattungen. Bei der Katze ist alles nur mehr abgerundet, welches die größere Inhaltskomplettheit darstellt, ähnlich mit der Kugel. Bei der viel kleineren Maus ist alles mehr gespitzt; das bezeigt die bei weitem geringere Inhaltskomplettheit.
[GS.02_046,13] Ihr saget hier freilich: Wenn ein erklärendes Bild vollkommen richtig sein soll, da muß es auch den Abgang und nicht nur allein den Auf- oder Rückgang, also das Ausbeuten ebensogut wie das Wiederverzehren bezeichnen. Es ist wahr, die Katze verschlingt die Mäuse, wie die Ewigkeit die Zeitenfolge und ihre Werke; aber die Zeitenfolge und ihre Werke gehen auch aus der Ewigkeit hervor. Ob aber auch die Mäuse aus der Katze hervorgehen? Darüber scheinen die vielen Weisen des Morgenlandes zu schweigen; und wir sind der Meinung, daß wir solches auch mit einem zentralsonnengroßen Steine der Weisen in der Hand kaum herausbringen werden!
[GS.02_046,14] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, mit eurer irdischen Weisheit dürfte es ja wohl ein wenig schwer gehen. Aber es war dennoch bei den alten Weisen ein ganzer Wust von Sprichwörtern, mittels deren man für einen wirklich Weisen so ziemlich dartun konnte, daß aus den Katzen durch eine gewisse naturgemäße kreisförmige Umbildung die Mäuse am Ende wieder aus der Katze hervorgehen. Ihr saget schon: Jedem Lappen gefällt seine Kappen; die Alten haben gesagt: Similis simili gaudet – gleich und gleich gesellt sich gern, und dergleichen noch eine Menge ähnlicher Sprichwörtchen.
[GS.02_046,15] Ihr wisset aber, daß bei dem Umstehen eines Tieres dessen animalischer Nervengeist allein nur in eine höhere Ordnung aufsteigt; der zurückgebliebene Körper als ein Aggregat von unteren Naturpotenzen zerfällt dann wieder und kehrt durch den Kreisgang genau wieder auf den Punkt zurück, der sein ordnungsmäßiger Vorgänger ist.
[GS.02_046,16] Die Katze nimmt das Leben derjenigen Tierwelt, die sie verzehrt, in sich auf und befördert in sich dasselbe zu einer höheren Stufe. Aber der Leib der Katze macht eine Rückbewegung, und die in ihm noch vorhandenen Kräfte bilden sich durch den Zyklus wieder zu Mäusen und darum – (jedem gefällt das Seinige) – gefällt auch der Katze ihr Wesen, welches durch den geordneten Zyklus zurückgekehrt ist in der Maus und in allen jenen Tierchen, die mit dieser auf einer verwandten Stufe stehen.
[GS.02_046,17] Also sehet ihr nun, daß auch dieses Bild richtig ist, und wir haben bei dieser Gelegenheit unser Ornament möglichst umfassend beleuchtet und wollen uns, da hier aus der sehr durchsichtigen Materie nicht viel mehr herauszubekommen ist, sogleich um ein Stockwerk höher begeben, also ins neunte oder in die zehnte Galerie.
47. Kapitel – IX. Stockwerk. Unterschied zwischen Weisheits- und Liebelicht.
[GS.02_047,01] Wir hätten uns über die überaus zarte Rundtreppe heraufgehoben und befinden uns nun ganz wohlbehalten im neunten Stockwerke oder auf der zehnten Galerie. So denn sehet euch nur sogleich recht aufmerksam um und saget es mir dann nach der gewöhnlichen Art und Weise, was alles ihr hier Neues und Denkwürdiges erschaut habt.
[GS.02_047,02] Ihr machet hier, wie ich sehe, ein wenig große Augen und stutzet. Was ist es denn, das euch hier also zu befremden scheint?
[GS.02_047,03] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, außer einer lichtgrauweißlichen, kontinuierlichen Wand des Hauptgebäudes entdecken wir zur Abwechslung gar nichts, außer, so wir abwärts sehen, Teile der früheren Galerien; aber das, darauf wir stehen, können wir nicht erschauen, also weder einen Boden, noch irgendein Säulenrondell, noch ein Geländer und schon am allerwenigsten irgendein Säulenrondell-Ornament. Sollten sich aber jedoch solche Dinge auch auf dieser ganz entsetzlich luftigen zehnten Galerie vorfinden, so bitten wir dich im Ernste um eine Augensalbe, denn mit so bestelltem Augenlichte werden wir ganz entsetzlich wenig zu Gesichte bekommen und darnach urteilen können, was alles Wunderherrliches und Vielbedeutendes sich etwa auf dieser zehnten Galerie vorfindet.
[GS.02_047,04] Lieber Freund und Bruder! Wenn allfällig im Innern dieses neunten Stockwerkes auch Menschen wohnen und diese von ebenfalls so überaus durchsichtiger Natur sind wie diese gegenwärtige Galerie, da meinen wir, wird es für uns keine Gefahr haben, solche anzusehen; so wenig, als es auf der Erde für die Menschen von irgendeiner sinnlich bezaubernden Gefahr ist, wenn sie auch von den allererhabenst schönsten himmlischen Wesen umgeben sind, aber von ihnen nicht ein Atom groß zu sehen bekommen.
[GS.02_047,05] Wenn wir überhaupt so recht aufmerksam auf die kontinuierliche Wand hinsehen, so entdecken wir nicht einmal irgendeine Eingangstüre; und es hat sehr stark den Anschein, als wohneten hierin entweder pure Geister, oder es wohne gar niemand darinnen. Fürwahr, über diese höchst luftige Einrichtung könnte man sich im Ernste ein wenig lustig machen, denn wo nichts zu sehen ist, da ist für das betrachtende Subjekt auch so gut wie gar kein Objekt vorhanden. Ohne Objekt aber möchten wir denn doch auch ein wenig wissen, wie man da zu irgendeinem anschaulichen Begriffe desselben gelangen kann, außer man schmiedet aus seiner eigenen Phantasie ein ganzes Regiment Hypothesen, mischt sie dann wie Spielkarten untereinander, wirft sie in seinen Glückstopf, zieht blindlings eine aus demselben hervor und macht dann diese zu einem Haupttreffer.
[GS.02_047,06] Fürwahr, es scheint sehr stark, daß wir auf dieser Galerie werden zu unsichtbaren Hypothesen unsere Zuflucht nehmen und sagen müssen, was allenfalls sich hier vorfinden kann; aber nicht, was sich etwa im Ernste vorfindet.
[GS.02_047,07] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, dem Anscheine nach habt ihr freilich wohl hier in so manchen Stücken recht; aber der Wirklichkeit nach sind eure Angaben und Mutmaßungen, wie auch so manche witzig scheinende Phrasen noch ums Außerordentliche viel luftiger und durchsichtiger als die Gegenstände dieser zehnten Galerie.
[GS.02_047,08] Habt ihr nie gehört auf der Erde und nie gesehen, welches Mittels sich die Blinden statt des Augenlichtes bedienen? Ihr saget: Diese greifen und befühlen, ob und was da ist. Nun gut; wenn ihr hier für diese Gegenstände so gut wie blind seid, so greifet, und ihr werdet euch dann ja wohl überzeugen, ob etwas oder ob nichts da sei.
[GS.02_047,09] Ich sage euch: Wir befinden uns knapp an einem Säulenrondell, welches hier freilich wohl nur mehr aus zwölf einzelnen Säulen besteht. Tastet ein wenig um euch, und euer Gefühl wird euch gar bald sagen, wie es sich mit der Sache verhält. Sehet, da hinter euch ist gleich eine Säule; nur hingegriffen, und ihr werdet sie sogleich sicher recht wohl gewahren.
[GS.02_047,10] Nun, ihr habt solches getan; habt ihr eine Säule entdeckt oder nicht? Ihr saget: Fürwahr, lieber Freund und Bruder, wir haben noch dazu eine überaus feste Säule mit unseren Händen entdeckt; aber was ist denn das für eine entsetzliche Materie, die bei solch einer außerordentlichen Festigkeit also durchsichtig ist, daß von ihr auch mit dem schärfsten Blicke keine Spur zu entdecken ist? Auf der Erde ist solch eine Erscheinung undenklich.
[GS.02_047,11] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ich sage euch hierzu nichts anderes als: Alles richtet sich nach der Gestalt (Wesen) der Sache. Es werden sich aber dennoch Beispiele finden lassen, durch die diese Erscheinung sich sogar auf eurer Erde recht gut wird erklären lassen. Die Erfahrung wird es euch lehren, so sie es euch nicht schon gelehrt hat, daß ganz gleiche Gegenstände, d.h. Gegenstände von vollkommen gleicher Farbe, voneinander unter gewissen Bedingungen mit dem allerschärfsten Auge nicht unterscheidbar sind.
[GS.02_047,12] Nehmet zum ersten Beispiele eine vollkommen weiße Wand und malet dann mit eben der vollkommen weißen Farbe eine Landschaft auf diese weiße Wand, und wenn sie fertig sein wird, dann versuchet eure Augen, ob ihr von der Landschaft etwas entdecken werdet? Sehet, da hätten wir schon ein Beispiel.
[GS.02_047,13] Nehmet einen geschliffenen Diamanten und leget ihn in durch eine kleine Esse angefachte Kohlenglut. Der Diamant wird sobald, ja im ersten Augenblicke, in die vollkommene Glühe der Kohlen übergehen, obschon sich bei solcher Hitze nicht im geringsten verflüchtigen. Rufet dann jemanden herbei, der die Stelle nicht weiß, dahin der Diamant gelegt worden ist, und er kann einen ganzen Tag lang in die Glut hineinstarren, und ihr könnet versichert sein, daß er so wenig wie ihr selbst von dem Diamanten die allerleiseste Spur entdecken wird. Warum denn nicht? Weil der Diamant als ein höchst durchsichtiger Körper unter ganz gleichen Licht- und Glühumständen selbst als ein überaus fester Körper von seiner Umgebung nicht unterscheidbar ist, indem seine Kanten unter solchen ganz gleichen Umständen keine Abmarkung seiner Form erschaulich zulassen.
[GS.02_047,14] Sehet, das ist schon wieder ein Beispiel auf der Erde. Gehet in eine Glasfabrik; nehmet da Glasperlen oder sonstige Gegenstände aus Glas und werfet sie hinein in die weißglühend flüssige Glasmasse im Schmelztigel, sehet dann recht fest hinein und beschreibet euch gegenseitig die verschiedenen Glasperlformen, wie sie allenfalls aussehen; ihr werdet davon so viel wie gar nichts entdecken. Sehet, da hätten wir schon wieder ein Beispiel auf der Erde.
[GS.02_047,15] Nun ein euch gar nahes Beispiel! Schüttet in ein ganz reines Glas ebenfalls ein ganz reines Wasser und versuchet dann, ob ihr vom gefüllten Glase die innere Wand, an der natürlich das Wasser liegt, entdecken könnet? – Noch mehr Beispiele: Leget ein vollkommen reines Glas in ein ebenfalls vollkommen reines Wasser, und ihr werdet von dem Glase eben nicht gar zu viel zu Gesicht bekommen. Ferner laßt euch von vollkommen reinem Glase, welches auf beiden Seiten spiegelblank geschliffen ist, eine Fensterscheibe einschneiden und versuchet vom Zimmer aus, etwas vom Glase der Fensterscheibe zu entdecken. Ihr könnt versichert sein, ein jeder Fremde, der in euer Zimmer kommen wird, wird zu euch sagen: Aber warum lasset ihr denn da keine Scheibe hineinschneiden? Warum wird er denn solches sagen? Weil er die Materie des reinen Glases von der gleich reinen Luft nicht zu unterscheiden vermag.
[GS.02_047,16] Dann ferner gehet an einem nebligen Tage an ein Wasser und versuchet, ob ihr vom Wasser etwas entdecken könnet, wenn der Nebel auf desselben Oberfläche liegt. Andere Gegenstände werdet ihr in gleicher Entfernung noch recht gut ausnehmen; aber nur die Oberfläche des Wassers nicht, weil dieses natürlich die gleiche Färbung mit dem über ihm schwebenden Nebel annimmt. Desgleichen werdet ihr auch auf einem Gletscher selbst schon bei einem schwachen Nebel von den Eisformen desselben, sogar unter euren Füßen, nichts mehr zu entdecken imstande sein. Die Ursache liegt ebenfalls im gleichen Lichte.
[GS.02_047,17] Nehmet ihr z.B. zum Beschlusse noch an, ihr befändet euch in einer Doppelsonnen-Weltsphäre, wo nicht selten für die Bewohner der Planeten eine Sonne vor der andern, wenn schon in bedeutender Entfernung, also vorüberzieht, wie bei; einer Sonnenfinsternis euer Mond scheinbar die Sonne verdeckt. Beim Monde könnet ihr ganz genau merken, in wie weit dessen scheinbare Scheibe über die scheinbare Scheibe der Sonne gezogen ist. Würdet ihr wohl auf eine gleiche Art zwei übereinander gezogene Sonnenscheiben ebensogut unterscheiden können? Ihr würdet da nichts als eine Zusammenschmelzung der zwei Sonnen in vollkommen eine ausnehmen; aber die Abmarkung der einen Glanzscheibe gegen die andere wird euren Augen völlig entgehen ob des gleichen Lichtes.
[GS.02_047,18] Ich meine, wir werden der Beispiele genug haben, aus denen ihr die Nichtsichtbarkeit der Gegenstände dieser Galerie gar leicht erklärlich finden werdet. Der Grund liegt nämlich darin, weil die Gegenstände in gleicher Farbe und gleicher Durchsichtigkeit mit dem sie allenthalben umgebenden ätherischen Lichtstoffe sind.
[GS.02_047,19] Dieses ist aber nicht nur materiell richtig, sondern auch geistig. Denket euch eine Gesellschaft von vollkommen gleich weisen Menschen; wie werden sich die untereinander verhalten? Ich sage euch: nicht anders als wie Blinde, Taube und Stumme, denn keiner wird dem andern etwas zu sagen haben, weil er schon im voraus weiß, daß sein Nachbar ganz bestimmt das weiß, was er ihm sagen möchte. Ein gleicher Fall ist ja in eurem gewöhnlichen Leben ersichtlich vorhanden.
[GS.02_047,20] Was tun zwei Bekannte, so sie dann und wann zusammenkommen? Sehet, alsbald fragt einer den andern: Nun, was gibt es denn Neues? Weiß einer dem andern etwas Neues zu erzählen, so wird ihn der andere mit großer Aufmerksamkeit anhören; wissen aber beide miteinander nichts, so wird der Diskurs von sehr kurzer Dauer sein. Warum denn? Weil in diesem Falle die beiderseitigen Wissenschaftslichtfarben ganz homogen sind. Derselbe Fall wird es auch sein, wenn beide eine und dieselbe Neuigkeit schon geraume Zeit wissen. Wie der eine dieselbe zu erzählen anfangen wird, so wird ihm der andere sogleich sagen: O das ist ja schon etwas Altes; wenn du nichts Besseres weißt, so haben wir schon ausgeredet.
[GS.02_047,21] Desgleichen ist es auch der Fall, wenn ein Blinder den andern führen soll, oder ein Dummer den andern unterrichten. Wie weit dergleichen Menschen kommen werden, ist bekannt und braucht nicht näher erörtert zu werden.
[GS.02_047,22] Aber aus eben dem Grunde können auch die Menschen auf dem Erdkörper die sie umgebenden Geister nicht sehen, weil sie selbe sehen möchten mit ihren Augen, die da homogen sind mit ihrem Verstande, und dieser homogen mit der formellen Substanz der Geister.
[GS.02_047,23] Wenn aber jemand in seine Liebe geht, welche ein anderes Licht ist als das Licht der puren Weisheit, so wird er auch sobald die geistigen Formen um sich zu schauen anfangen, und diese werden sobald verschwinden, wie er sie in sein Denken aufnehmen wird. – Sehet, das ist so ein kleiner Anfang von dem, was wir hier werden kennenlernen; fanget daher nur recht tüchtig an, um euch umherzugreifen, und wir werden fürs nächste Mal hinreichend Stoff zur belehrenden Erörterung bekommen. –
48. Kapitel – Die zwölf Träger des Lebens.
[GS.02_048,01] Ihr habt schon mehrere Säulen begriffen; nun verfüget euch denn auch in die Mitte auf diese Stelle hierher, wo ich mich befinde, und greifet da auch ein wenig nach aufwärts und saget mir, was ihr da begriffen habt.
[GS.02_048,02] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, wenn uns das Gefühl nicht täuscht, so begreifen wir Kugeln etwa von der Größe eines Menschenkopfes. Diese sind an zwei Querstäbe gesteckt und bilden sonach ein gleicharmiges horizontal hängendes Kreuz vom Boden gerade so weit entfernt, daß wir es mit unseren Händen noch ziemlich leicht erreichen können. Das ist aber auch schon alles, was wir hier zu entdecken vermögen.
[GS.02_048,03] Bei der Umfassung der Säulen haben wir auch noch eine höher hinaufführende Treppe entdeckt, welche mit einem flachen Geländer umfaßt ist. Wie sichs aber über solch eine nicht sichtbare Treppe wird höher wandeln lassen, das mag wohl auf jeden Fall der nachfolgenden Erfahrung vorbehalten sein. In dem liegt nun gar alles; was wir entdeckt haben, und du, lieber Freund und Bruder, magst uns darüber eine Erklärung geben, wenn darüber überhaupt eine Erklärung möglich ist.
[GS.02_048,04] Wenn es eigentlich auf uns ankäme, so wären wir bei weitem eher geneigt, uns von dieser zu durchsichtigen Galerie wieder um einige Stocke abwärts zu begeben als nur einige Staffeln in eine wahrscheinlich noch durchsichtigere Galerie höher zu gehen; aber, wie gesagt, es kommt hier allein auf dich an. Wir sind mit der Darstellung dieser höchst unsichtbaren Denkwürdigkeiten zu Ende, mache du nun daraus, was dir gut dünkt. – Daß wir dir ein geneigtes Ohr leihen werden, dessen brauchen wir dich gar nicht im voraus zu versichern.
[GS.02_048,05] Gut, meine lieben Freunde und Brüder; ihr habt die auf dieser zehnten Galerie merkwürdigen Gegenstände richtig beschrieben, abgerechnet einige schwache Witzfloskeln, die freilich nicht so ganz hierher taugen. Es ist zwar wohl der Witz auch ein Produkt der Weisheit; aber er steht als solches auf der alleruntersten Stufe derselben. Alle sogenannte Satirik ist fortwährend auf gewisse menschliche Schwachheiten berechnet und ist daher ein schlechter Fechtmeister; denn ein Held, welcher nur gegen Kinder zu Felde zieht und will vor diesen Schwächlingen seine Stärke zeigen, beim Anblicke eines wirklichen Helden aber Berge über sich ruft, verdient wahrlich diesen Namen nicht.
[GS.02_048,06] Der Löwe ist kein Mückenfänger; der aber da Mücken fängt und sich mit dem Abwägen einer Schafwollocke abgibt, der hat sicher die Natur des Löwen nicht. Also ist auch die Satirik und andere ihr entstammende Witzeleien mit der eigentlichen Tiefsinnigkeit der Weisheit des Geistes spottwenig verwandt; man könnte sie sehr gut und am allerbezeichnendsten eine barste Schmarotzerpflanze am Baume der tiefen inneren Erkenntnis des Lebens nennen.
[GS.02_048,07] Also, solches ist auch gut, daß ihr es euch merket; denn die Dinge, die wir vor uns haben, sind von zu ernster großartig erhabenster Art, als daß wir sie gewisserart mit eitlem Laubwerke von den Schmarotzerpflanzen verzieren sollten. Wie groß und vielbedeutend aber diese Gegenstände sind, werdet ihr sogleich aus meiner folgenden Erörterung entnehmen; und so höret denn:
[GS.02_048,08] Die Säulen dieses Rondells stellen die Lebenskräfte des Menschen dar. Zwölf Säulen habt ihr entdeckt. Wenn ihr das Gebiet der Leben äußernden Kräfte durchgehet, so werdet ihr mit leichter Mühe finden, daß dasselbe auch auf zwölf ähnlichen Trägern ruht.
[GS.02_048,09] Wie lauten aber diese Träger, welche Namen haben sie? Wir wollen sie ganz kurz durchgehen; der erste Träger heißt: Du sollst allein an einen Gott glauben.
[GS.02_048,10] Der zweite Träger: den Namen Gottes, der da heilig ist, überheilig, sollst du nimmer, weder durch Worte noch Gedanken, Begierden und Taten entheiligen.
[GS.02_048,11] Der dritte Träger heißt: Unterlaß nie, die Ruhe des Herrn zu feiern, sondern gedenke an dieser in deinem Herzen Gottes, deines Herrn und Schöpfers! Denn in dieser Ruhe nur wird dich der Herr, dein Gott, ansehen und segnen dein Leben.
[GS.02_048,12] Der vierte Träger heißt: Zolle allezeit Gehorsam, Liebe und Achtung denen, die dich durch die Kraft Gottes in ihnen gezeugt haben, so wirst du dadurch dir das Wohlgefallen Gottes erringen; und dieses wird sein ein mächtiger Grund aller Wohlfahrt deines Lebens!
[GS.02_048,13] Der fünfte Träger heißt: Achte das Leben in allen deinen Brüdern, so wirst du den Wert des eigenen Lebens erkennen; tötest du aber einen aus deinen Brüdern, so hast du dadurch deinem eigenen Leben eine tödliche Wunde versetzt.
[GS.02_048,14] Der sechste Träger lautet und heißt: Achte die zeugende Kraft in dir wie die aufnehmende im Weibe; denn siehe, Gott, dein Herr, hat dieses allmächtige Fünklein aus Seiner höchsten und tiefsten Liebe in dich gelegt. Mißbrauche daher nie diese heilige Kraft Gottes in dir und zerstreue sie nicht vergeblich; so wirst du ein allzeitiger Mehrer deines eigenen Lebens und des Lebens deiner gezeugten Kinder sein.
[GS.02_048,15] Der siebente Träger lautet: Siehe, alles, was da ist, ist ein Eigentum des Herrn, deines Gottes und Schöpfers; was Er gemacht hat, hat Er für alle gemacht. So dein Bruder aber eine Frucht vom Baume genommen hat, so hat er sie aus der Hand Gottes genommen; und du sollst dir dann kein eigenmächtig Recht einräumen, ihm, dem Bruder nämlich, die einmal genommene Frucht auf was immer für eine Art wegzunehmen. Es ist besser, nichts zu nehmen und nichts zu haben, als etwas zu nehmen und zu haben, das zuvor schon ein anderer Bruder aus der Hand des Herrn zu eigen empfing: denn nur der Herr ist ein allein rechtmäßiger Austeiler Seiner Dinge. Wer daher sich die Rechte Gottes anmaßt, der ist ein Frevler an der göttlichen Erbarmung und versteinert sein Herz, auf daß es ja nicht mehr fähig werde zur Aufnahme des Lebens.
[GS.02_048,16] Der achte Träger heißt: Gott ist die ewige Wahrheit. In Seiner Wahrheit sprach Er Sein ewiges Wort aus, und das Wort selbst ist die Wahrheit Gottes. Aus diesem Worte bist du Mensch hervorgegangen; daher sollst du diesem ewig heiligen Ursprunge getreu bleiben und sollst alle deine Worte allezeit demjenigen gleich treu und wahr stellen, aus dem du selbst hervorgegangen bist; wo nicht, so tötest du das Urwort in dir und somit dein eigenes Leben.
[GS.02_048,17] Der neunte Träger lautet: Gott, der Herr, hat dir mannigfache Sinne und Kräfte verliehen. Diese sollst du im Zaume halten wie ein junges Bäumchen im Garten deines Lebens, damit es mächtig heranwachse zur riesigen Kraft und Stärke eines mächtigen Baumes. Wenn du aber solche deine Sinne, Triebe und Begierden nach allen Richtungen herumschießen lässest, so wird dein Lebensbaum nie zur vereinten Kraft erwachen, sondern entweder verdorren oder zu einem nichtigen Gebüsche und Gestrüppe werden, in dem sich wohl allerlei Geschmeiß aufhalten wird, aber die Vögel des Himmels werden nimmer da ihre Wohnung nehmen.
[GS.02_048,18] Der zehnte Träger heißt: Siehe das Weib nicht mit begierlichen Augen an, und das Weib deines Nachbars und deines Bruders betrachte in der Begierde deines Herzens als wäre es nicht da, so wird dadurch deinem Geiste ein freies Gedeihen werden. Und wirst du in der Kraft deines Geistes dich befinden, dann wird es dir ein Leichtes sein, die Kraft des Geistes in deinem Weibe dir wahrhaft zu vermählen, welches wird sein eine wahre Ehe vor Gott. Verbindest du dich aber mit deinem Weibe nur nach deiner Begierde, die noch unreif ist, so wirst du durch solchen Verband deinen Geist mit dem Geiste deines Weibes nur zusammenknebeln, wodurch dann aus zwei Geistern ein unbehilflicher Sklave wird, und wird da nicht können ein Geist dem andern die heilige Lebensfreiheit je verschaffen, sondern noch die ursprüngliche in der stets mächtigeren Umstrickung verlieren.
[GS.02_048,19] Wie heißt denn der elfte Träger? – Also heißt er: Gott ist in Sich Selbst die ewige und allerreinste Liebe Selbst. Aus dieser unendlichen Liebe bist du Mensch hervorgegangen; also ein Werk der Liebe bist du. Daher sollst du auch Gott, deinen Schöpfer, der dich ganz und gar aus Seiner Liebe gebildet hat, mit aller deiner Liebe ergreifen und Ihn lieben über alles! Tust du solches, so ergreifst du das ewige, unvergängliche Leben und lebst ewig in selbem. Tust du es nicht, da trennst du dich vom Leben, und das Los deiner Trennung ist der ewige Tod!
[GS.02_048,20] Der zwölfte Träger endlich lautet: Siehe Mensch, wie du, so sind auch alle deine Brüder aus einer und derselben unendlichen Liebe Gottes hervorgegangen. Daher kannst du Gott nicht lieben über alles, wenn du deine Brüder nicht liebst, welche ebensogut wie du nichts anderes als die allmächtige Liebe des Herrn wesenhaft sind. –
[GS.02_048,21] Meine lieben Brüder und Freunde! Ich meine, unser Säulenrondell ist dadurch zur Genüge beleuchtet worden. – Ein unsichtbares Kreuz hängt in der Mitte desselben und ist aus so viel Kugeln quer zusammengestellt, als wie viel Säulen wir hier gezählt haben; ist aber nur durch das Gefühl, und nicht mit dem Lichte der Augen wahrzunehmen.
[GS.02_048,22] Sehet ihr hier das Geheimnis des Glaubens? – Nicht schauen könnet ihr, das ihr glaubet, obschon es ewig fest vor euren Augen steht.
[GS.02_048,23] Befühlet zuvor die inneren Lebensträger in euch und gehet dann in euer Inneres, da werdet ihr alle Lebenskräfte vereint in diesem heiligen Zeichen erschauen. Eine jede Lebenskraft ist eine Säule und eine Kugel am Zeichen, die Säule darstellend die Kraft, die Kugel die Vollendung des Lebens in jedem Zweige desselben.
[GS.02_048,24] Das Kreuz, auf eurer Erde aufgestellt, ist in seiner Zusammenfassung ein Bild des Glaubens. In seinen Einzelheiten stellt es mit dem aufrechtstehenden Balken, der größer und länger ist denn der Querbalken, die Liebe zu Gott, und mit dem Querbalken die Liebe zum Nächsten dar. – Dieses horizontal hängende Kreuz hier aber bezeichnet die Weisheit, das Licht des Geistes in seiner Vollendung, und dessen Einzelteile die reine himmlische Liebe, welche gleich ist in Gott zu Gott wie zu dem Nächsten. Sehet das ist schon tiefe Weisheit und liegt im großen Geheimnisse des Kreuzes wie in den Zwölfen, die der Herr erwählet hatte. – Ihr könnet dieses alles nun begreifen; wie aber? – Mit der Liebe! –
49. Kapitel – Vom Hauptschlüssel geistiger Geheimnisse.
[GS.02_049,01] Wollet ihr tiefer nachdenken? Wollet ihr mit dem Verstandeslichte dieses Geheimnis näher beleuchten? Wollet ihr es mit euren Händen greifen? – Ich sage euch: Dies alles ist fruchtlos. So wenig ihr die Umrisse eines weißen Gemäldes auf einer weißen Wand mit den Augen eures Fleisches werdet unterscheiden und ausnehmen können, möchtet ihr Jahre und Jahre dahinstarren, ebensowenig werdet ihr in solche Geheimnisse mit den gewöhnlichen Schau- und Urteilsmitteln näher enthüllend zu dringen imstande sein; denn es geht hier alles gleichen Schrittes.
[GS.02_049,02] Die Anschauung der Gegenstände dieser Galerie, da ihr nichts zu erschauen vermöget, und das Erfassen innerer, tiefster Weisheit, das geht, wie gesagt, alles gleichen Schrittes. Ich aber sagte: Mit Liebe erfasset ihr alles, in der Liebe zum Herrn könnet ihr alles begreifen. Die Liebe gibt den Dingen aus der Weisheit neue Form und Färbung, und was in dem Lichte der Weisheit endlos ferne liegt, das zieht die Liebe in einen engen Kreis zur Beschauung zusammen. Aber es muß wahre, vollkommene Liebe sein; denn mit der halben und Viertelliebe wird da wenig gedient sein. Solches ist auch natürlich begreiflich; ja es könnte im Grunde nichts natürlich begreiflicher sein als das. Wir haben eine Menge Beispiele, und viele sind vor euren Augen, von denen allen ihr dasselbe erlernen möget.
[GS.02_049,03] Nehmen wir an, jemand hätte Lust, bei einigem Vermögenszustande sich ein Haus zu erbauen; aber zum Aufbau des Hauses gehört ein viel- und mannigfaches Material. Es braucht viel Mühe und Arbeit, um das Material zusammenzubringen; es braucht viel Geduld, so manche Aufopferung, viel Aufmerksamkeit und noch so manches, bis das Haus fertig wird.
[GS.02_049,04] Mit der bloßen Lust und mit dem freudigen Gedanken wird das Haus schwerlich je zu stehen kommen. Wenn aber im Gemüte desjenigen, der ein Haus bauen lassen möchte, eine mächtige Liebe zum Hause erweckt ist, so werden alle Bedingungen mit einem großen Eifer ergriffen. Und werden diese Bedingungen näher und näher dem Bauplatze gebracht, da wird die Liebe auch stets heftiger, zieht am Ende alles auf einen Platz zusammen und setzt vieler Menschen Hände in tätige Bewegung durch ihr eigenes Leben. Das Haus als ein Werk der Liebe wird bald in seiner Vollendung dastehen, und ihr werdet dann sagen, wenn ihr das schmucke Haus ansehet: Wer hätte sich das vor einem halben Jahre gedacht, wo das Material noch weit zerstreut herumlag, daß es sobald zu einem schmucken Hause sollte herangebildet werden?! Nun aber hat es der menschliche Geist geordnet, und das Haus steht da, ein Inbegriff von verschiedenartigsten Materialien, die alle zu einem Zwecke wohl verbunden und vereinigt sind.
[GS.02_049,05] Jetzt fraget euch aber selbst: Wer war denn hier so ganz eigentlich der Baumeister? Wer zog die Materialen und die Bauleute zusammen? Etwa das Geld des Bauherrn oder sein fester Wille oder seine Einsicht? Ich sage euch: Weder das eine noch das andere, sondern die Liebe allein ist der mächtige Grundstein zum Baue dieses Hauses. Die Liebe des Bauherrn hat das Material zusammengezogen und rief die Bauleute herbei; ohne diese hätte der Bauherr weder ein Geld zum Baue hergegeben, noch hätte er das Material und die Bauleute zusammengebracht.
[GS.02_049,06] Und da das Haus auf diese Weise fertig ist, so kann nun jedermann die zweckdienliche Form desselben anschauen, während ohne die feste Liebe des Bauherrn das gesamte Material wie in einem formlosen Chaos weit und breit in seinem Ursein zerstreut liegengeblieben wäre. Ich meine, dieses Beispiel ist so recht tüchtig handgreiflich und bedarf doch sicher keiner näheren Erörterung. Gehen wir auf ein anderes Beispiel über. Denket euch einen Menschen, der zufolge seiner fortbildenden Phantasie eine große Anlage zu einem bildenden Künstler hat. Dieser Mensch hat eine recht bedeutende Lust beim Anblicke schon fertiger Kunstwerke, wie beim Anblicke der erhabenen Natur, selbst ein solcher Künstler zu werden; aber es fehlt ihm noch an dem eigentlichen Ernste, sich dazu zu setzen und diese Kunst praktisch zu studieren anzufangen.
[GS.02_049,07] Was ist wohl da die Ursache, daß dieser Mensch bei so glänzenden Anlagen noch nicht den Griffel und den Pinsel ergriffen hat, um eifrigst die Grundrisse und Hauptelemente zu solcher Kunst zu studieren?
[GS.02_049,08] Ich sage euch: Diesem Menschen fehlt sonst gar nichts als die wahre Liebe zu dieser Kunst. Wenn er von der Liebe durchdrungen wird, dann werden wir bald herrlich entworfene Formen von unserem angehenden Bildner auf den für diese Kunst bestimmten Flächen zu erschauen anfangen und bald gar herrliche Meisterstücke.
[GS.02_049,09] Wer ist da wohl der eigentliche Informator? Wer verbindet die innere Phantasie mit den äußeren Formen? Wer die so entwickelten Formen mit den Farben durch den Pinsel der weißgrundierten Leinwand? Meinet ihr, das hänge von den guten Instruktoren oder von den Vorzeichnern ab?
[GS.02_049,10] O ich sage euch: Alles dieses ist null und nichtig, sondern allein die eigene große Liebe zu dieser Kunst hat einen neuen großen Meister gebildet, der das Formlose aus der endlos weit zerstreuten Weisheitslichtsphäre zusammenzieht und es in neuen herrlichen Formen darstellt, die von jedermanns Augen nun gar wohl betrachtet werden können.
[GS.02_049,11] Sehet, das ist schon wieder ein so klares Beispiel für unsere Sache, daß es keiner weiteren Erörterungen bedarf. Wir wollen aber noch ein Beispiel hierhersetzen, und zwar eines, das euch so recht handgreiflich auf der eigenen Nase sitzt.
[GS.02_049,12] Gehen wir auf die sehr vielsagende Tonkunst über. Ihr werdet unter den Menschen sicher recht viele Freunde dieser Kunst finden, die sich alle überaus ergötzt fühlen, wenn sie eine herrliche Produktion von einem wahrhaften Künstler zu hören bekommen. Sind sie aber darum selbst Künstler? Ich meine, das werdet ihr auch selbst recht gut zu beurteilen imstande sein, daß da unter den sich ergötzenden Zuhörern sicher nur äußerst wenige sich vorfinden werden, die dieses Namens einigermaßen würdig sind.
[GS.02_049,13] Ja, aber warum sind denn alle diese entzückten Zuhörer nicht auch selbst Künstler, sondern bloß nur Liebhaber der Kunst? Warum ist nur ein so Vorzüglicher auf einer Tribüne vor ihnen, der mit seinen aus den Himmeln entlehnten Tönen die Gemüter der Zuhörer so überaus fröhlich stimmt und ihren Seelen ein anderes, höheres, vollkommeneres Leben verkündet?
[GS.02_049,14] Könnte man da nicht sagen: Was da einem Menschen möglich ist, das sollte ja auch den anderen Menschen ebenfalls gerade nicht unmöglich sein. Ein jeder Mensch nach seiner Art und nach seinen Talenten könnte bei der völligen Gewecktheit seines Geistes, der da ein Abkömmling göttlicher Vollkommenheit ist, doch sicher auch etwas Tüchtiges leisten. Wird es wohl anzunehmen sein, so man dagegen bemerken würde und sagen: Ja, das hängt von den Meistern ab? Hätten dieser und jener gediegene Meister gehabt, so wären sie auch selbst gediegene Meister geworden; aber „ex trunco non fit Mercurius“, wie ihr zu sagen pfleget, also kann auch ein ungeschickter Meister schwerlich je einen Meister seiner Kunst bilden. Es ist wahr, wer selbst nichts kann, der wird einen andern auch nicht gar zu viel zu lehren imstande sein.
[GS.02_049,15] Aber nehmen wir dagegen an, wie viele Schüler so mancher wahrhafte Meisterkünstler nicht selten unter seiner instruktiven Leitung hat, und betrachten dagegen, wie spott- und blutwenig nur einigermaßen zu beachtende Künstler aus der Schule eines solchen Meisterkünstlers hervorgehen, und wir werden bei dieser Betrachtung auf einen Schluß kommen müssen, der uns sagen wird:
[GS.02_049,16] Weil denn aus der bestmöglichsten Künstlerschule so wenig Künstler hervorgehen, so muß eigentlich der wahre Grund, wodurch der Schüler ein wahrer Künstler wird, doch in etwas ganz anderem stecken als in dem Meister, der für sich, allen Anforderungen genügend, wohl ein vollendeter Künstler ist. Haben die Schüler etwa zu wenig Talent, zu wenig Fleiß, oder werden sie durch manche andere Umstände verhindert, der Kunst so recht obzuliegen?
[GS.02_049,17] Aha, ich sehe schon, was da jemand sagen will. Dieser Meister hat nur das Unglück, unter vielen seiner Schüler keine Genies zu besitzen. Und ich sage darauf ganz unverhohlen: Dieser Meister hat mit geringer Ausnahme fast lauter Genies unter seinen Schülern gehabt, und doch ist aus keinem Genie etwas geworden. Aber er hatte keinen unter seinen Schülern, der mit der innersten, mächtigsten Liebe zur Kunst wäre erfüllt gewesen. Daher wird auch nur derjenige ein wahrer Künstler, dessen Herz fortwährend lichterloh auflodert von mächtiger Liebe zur Kunst.
[GS.02_049,18] Hauche Liebe, d.h. wahre lebendige Liebe in das Herz deines Schülers, und du kannst versichert sein, daß durch dieses Feuer alle für diese Kunst erforderlichen Organe in kürzester Zeit so wunderbar ausgebildet werden, daß sich darob ein jeder Zuhörer wird allerhöchst verwundern und sagen müssen: Ja, da sieht wohl ein wahrhaft großer Künstler schon in seiner Vollendung heraus!
[GS.02_049,19] Sehet, also ist auch hier die Liebe der eigentliche wirkliche Meister, bildet den Tonkünstler zu einer Gefühlsgröße heran, von welcher sich ein anderer Mensch gar keinen Begriff machen kann, und macht dieser Gefühlsgröße auch den ganzen andern Organismus in kurzer Zeit so sehr untertänig, daß durch denselben alle sogenannten technischen Schwierigkeiten mit einer wunderbaren Sicherheit besiegt werden können.
[GS.02_049,20] Wie aber hier die Liebe rein alles in allem ist, so ist sie dann erst vorzugsweise alles über alles in der großen Kunst des Lebens! Mit der Liebe könnet ihr in Tiefen dringen, vor denen es selbst so manchen Geistern schaudert; aber ohne die Liebe oder mit etwas zu wenig Liebe wird nie ein vollkommener Künstler an das Tageslicht des Geistes treten. – Darum sagte ich auch gleich anfangs: Wollet ihr tiefer in diese Dinge hoher Weisheit schauen, da müsset ihr die Liebe vollernstlich zur Hand nehmen, aber es darf nicht eine halbe oder eine Viertelliebe sein, sondern eine Liebe im Vollmaße.
[GS.02_049,21] Ergreifet daher unseren allerliebevollsten Herrn und Vater in Jesu Christo so recht kernfest in eurem Herzen, und ihr werdet euch sodann bald überzeugen, was alles die Liebe zu Gott vermag.
[GS.02_049,22] Fürwahr, ich sage nicht zuviel: Wenn ihr Liebe hättet im Vollmaße, so hättet ihr auch den mächtigen, lebendigen Glauben; und mit solcher Liebe und solchem Glaubenslichte aus ihr könntet ihr Sterne vom Firmamente herabreißen! – Erwecket euch daher, und wir werden noch auf dieser zehnten Galerie Wunderdinge erschauen! – –
50. Kapitel – Vom Verliebtsein und von der Liebe zum Herrn.
[GS.02_050,01] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, du magst allerdings wohl recht haben, und es ist also, wie du gesagt hast. Aber siehe, es ist mit der plötzlichen Erweckung der Liebe eine schwere Sache, was wir hie und da schon aus der Erfahrung wissen. Es hat sogar in dieser Hinsicht mit dem sogenannten „Verliebtwerden“ einen Haken. Wenn man der Sache so recht nachspürt, so bringt man gar bald in die Erfahrung, daß man die Liebe überhaupt nicht in seiner Gewalt hat, und man kann nicht sagen, daß man in ein Wesen, wann man nur immer will, mag verliebt werden, sondern es fügt sich solches nach den Umständen und nach den Bedingungen, und man ist als Liebender durchgehends kein aktives, sondern ein rein passives Wesen und muß im buchstäblichen Sinne genommen die Liebe nicht selten als eine Zentnerlast herumschleppen; und es gibt dann und wann durchaus kein Mittel, sich derselben ledig zu machen wie einer andern Last.
[GS.02_050,02] Und so meinen wir denn auch hier, wären wir wirkliche Meister der Liebe, so würde es sicher durchaus nicht fehlen, daß wir den Herrn ergriffen mit der flammendsten Heftigkeit unserer Herzen. Aber wir können tun, was wir wollen, können drücken unser Herz und unser Gefühl pressen, wie die Trauben auf einer Kelter gepreßt werden, und es kommt alles eher heraus als eine von dir beschriebene flammende Liebe.
[GS.02_050,03] Daher sind wir der Meinung, daß entweder die Liebe zum Herrn von einer ganz andern Beschaffenheit sein muß als etwa diejenige, die ein Mensch in der Blüte seines Lebens nicht selten zu einer schönen Jungfrau empfindet, oder die Liebe zum Herrn, wenn sie der Liebe zu einer Jungfrau ähnlich sein soll, muß unmittelbar vom Herrn Selbst nach Seiner großen Erbarmung in das Herz eingegossen werden; sonst ist es beinahe unmöglich, daß der Mensch aus seiner eigenen Kraft den Herrn allezeit mit der heftigsten Liebe erfassen könnte, wann er nur immer wollte.
[GS.02_050,04] Und wenn es hier demnach auf uns ankommt, allhier plötzlich die größte Liebe zum Herrn zu erwecken, so wird es mit der Anschauung der Wunderdinge auf dieser Galerie sicher ebenfalls einen starken Haken haben. Denn wir können wollen, wie nur immer möglich, und dennoch können wir trotz alles intimsten Wollens unser Herz nicht also entflammen im Momente des Wollens, als wie leicht wir in der Nacht eine Kerze anzünden. Hier also, lieber Freund und Bruder, wird es eines guten Rates gar sehr vonnöten haben.
[GS.02_050,05] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ihr habt einerseits wohl recht, und die Liebe ist stets des Menschen Meister, wie wir schon gestern in den Beispielen gesehen haben, weil sie so ganz eigentlich sein Leben selbst ist. Das Leben kann aber nicht beherrscht werden von dem, was nicht Leben ist; daher muß es schon ein anderes Mittel geben, dem die Liebe gehorcht und willig folgt dem höheren Rate dessen, dem sie gehorcht.
[GS.02_050,06] Worin besteht aber dieses Mittel? Dieses Mittel besteht in der klaren Vorstellung dessen, was man so ganz eigentlich mit der Fülle der Liebe erfassen will.
[GS.02_050,07] Versuchet einmal, ob ihr bloß dem Namen nach, und möge er noch so majestätisch klingen, euch in irgendeine Jungfrau verlieben möget! Ja, ihr werdet es bei solcher Bekanntschaft mit der Liebe eben nicht gar zu weit bringen; denn was man entweder gar nicht oder viel zu wenig kennt, das kann man ebensowenig mit der Liebe erfassen, als wie wenig man etwas, das gar nicht da ist oder nur subtil da ist, mit den Händen ergreifen kann.
[GS.02_050,08] Wenn ihr aber von der vorbesagten Jungfrau eine vollkommene Beschreibung überkommen werdet, wie sie aussieht und wie sie beschaffen ist, und wenn ihr von dieser Jungfrau selbst noch obendrauf ein Handbilletchen gewissermaßen unbekannterweise überkommet, in welchem sie einen oder den andern aus euch vollkommen ihrer Liebe versichert, aus dem angegebenen Grunde, weil sie euch aus den Beschreibungen ebenfalls auf das Vorteilhafteste hat kennen gelernt, so wird eure Liebe zu dieser Jungfrau sobald erwachen, und ihr werdet den allersehnlichsten Drang in euch zu verspüren anfangen, so bald als nur immer möglich sich dahin zu begeben, allda die Jungfrau eurer in aller Liebe harret. Und eure Liebe wird heftiger und heftiger werden, je mehr Vorteilhaftes ihr von der Jungfrau unterwegs oder im Verlaufe der Zeit vernehmen werdet.
[GS.02_050,09] Sehet, das ist sicher aus der Erfahrung richtig. Ich aber frage euch nun: Wie könnet ihr diese Jungfrau denn so mächtig in eurem Herzen ergreifen, da ihr sie ja doch nie gesehen habt und sie euch auch geflissentlich kein Porträt zukommen läßt, um euch gewisserart keine Vorsättigung, welche die eigentliche Liebe schwächen dürfte, zu gewähren? Die Antwort ist leicht und liegt ebenfalls in der Erfahrung: Weil ihr zu einer wohlbegründeten Vorstellung gelangt seid, durch welche euch die besagte Jungfrau stets mehr vielseitig auf das Vorteilhafteste dargestellt wurde.
[GS.02_050,10] Ihre Eigenschaften, ihre Schönheit haben euch gefangen genommen, und ihr könnet nicht umhin, sie bei solchen Vorteilen, die sie euch bietet, zu achten und zu lieben; ihr müßt sie also lieben.
[GS.02_050,11] Sehet, in diesem natürlichen Beispiele liegt es aber ja auch ganz offenkundig, auf welche Weise man sich der Liebe zum Herrn bemächtigen kann.
[GS.02_050,12] Die Erkenntnis des Herrn ist die mächtige Triebfeder, welche die Funken im Herzen zusammenzieht, und dann durch dieselben das ganze Herz in eine helle Flamme versetzt.
[GS.02_050,13] Wer möchte wohl Gott lieben können, so er Ihn nicht kennete? Wer Ihn aber stets mehr und mehr erkennt, der wird Ihn auch stets mehr und mehr lieben.
[GS.02_050,14] Doch aber müsset ihr die Liebe zum Herrn nicht platterdings mit der Liebe zu einer vorbeschriebenen Jungfrau völlig vergleichen wollen, sondern ihr müsset sie mehr gleich stellen der reineren Liebe zwischen Kindern und Eltern.
[GS.02_050,15] Diese Liebe aber ist nicht ein gewisser leidenschaftlicher Brand, sondern sie ist ein sanftes Wehen, welches den Menschen in seiner Freiheitssphäre ebensowenig beirrt, als wie wenig die Kinderliebe die Kinder in ihrer Tätigkeit nur im geringsten beirrt. – Sie lieben ihre Eltern sicher außerordentlich stark; natürlich sind hier die guten Kinder zu verstehen. Ja sie wissen oft gar nicht, wie stark sie ihre Eltern lieben.
[GS.02_050,16] Um das Maß solcher Liebe zu erschauen, dürfet ihr nur bei einem leidigen Todesfalle entweder des Vaters oder der Mutter solcher Kinder zugegen sein, so werden euch ihre Tränen und das Ringen ihrer Hände so bald das sehr gewichtige Maß der Liebe der Kinder zu ihren Eltern kundgeben. Und dennoch hättet ihr bei Lebzeiten der Eltern bei aller sorgsamen Betrachtung solche Intensität der Liebe nicht herausgefunden. – Sehet, also verhält es sich auch mit der Liebe zum Herrn. Sie ist, wie gesagt, ein sanftes Wehen, ein hochachtendes Gefühl, voll erhaben zarten Nachklanges, und beirrt niemanden in seiner Freiheitssphäre.
[GS.02_050,17] Nicht mit Leidenschaft drückt sie das Herz des Gottliebenden, sondern mit großer Freudigkeit und genügender lebendiger Speise erfüllt und sättigt sie fortwährend Geist, Herz und Leib des Menschen. Daher brauchet ihr nur in eurem Herzen „Vater“ zu rufen, und ihr habt genug getan! Und der Vater wird euer Herz allezeit, insoweit es not tut, sättigen und kräftigen mit Seiner Liebe.
[GS.02_050,18] Ihr brauchet nicht einmal ein Bild, sondern nur die Erkenntnis in eurem Herzen von Gott, und ihr habt genug der Liebe, insoweit sie hier not tut, die Wunder zu erhellen, die da sind vor unseren Augen. – Tuet also solches, und schauet dann! –
51. Kapitel – Grund aller Dinge und Erscheinungen.
[GS.02_051,01] Ihr habt soviel als möglich meinem Rate Folge geleistet und staunet nun schon, soviel ich merke, über die Maßen ob des Anblickes der Wunderdinge, die sich nun hier in einem ganz anderen Lichte klar beschaulich darstellen.
[GS.02_051,02] Ihr saget und fraget freilich wohl: Aber lieber Freund und Bruder, wie ist solches um des Herrn willen wohl möglich?! Siehe, als wir so in unserem Gemüte des Herrn gedachten, da verwandelte sich allmählich das weiße Licht, von dem alle die Dinge hier umflossen waren, in ein rötliches, und dieses rötliche Licht läßt nun die Gegenstände in ihm ganz klar erschauen.
[GS.02_051,03] Wir sehen nun die Säulenrondelle, die Galerie, die Türen in das innere Gebäude, das herabhängende gleicharmige, aus Kugeln zusammengesetzte Kreuz. Der Kugeln zählen wir nun sichtbar genau so zwölf, wie wir sie früher nur tastend gezählt haben.
[GS.02_051,04] Und da siehe, welch eine Pracht in diesen Kugeln! Eine jede scheint eine kleine Welt zu sein, in deren innerem Raume nahe zahllose Wunderdinge wie lebendig zu erschauen sind, und in einer jeden Kugel etwas ganz anderes. Und soviel wir mit unseren Augen merken können, so scheinen diese inneren förmlichen Schöpfungen genau den zwölf Artikeln zu entsprechen, die du, lieber Freund und Bruder, uns in zwölf so herrlichen Abschnitten vorgeführt hast.
[GS.02_051,05] Ach, welche Herrlichkeit ist es doch, solche Wunderdinge anzusehen! Wahrlich, nimmer satt kann man werden; immer neuen Reiz bekommt dieser Miniaturwelten-Anblick in diesen zwölf Kugeln, aus denen das Kreuz formiert ist.
[GS.02_051,06] Und da sieh nur einmal die Säulen an. Fürwahr, äußerlich sind sie doch so glatt poliert, daß wir uns die Oberfläche des Äthers nicht glatter denken können; aber das Inwendige der Säule ist ja förmlich lebendig und entspricht in gedehnterem und ausführlicherem Maßstabe all dem wunderbar Erscheinlichen in den Kugeln. Es ist nun überaus wundervoll anzublicken, wie die Farben der mannigfaltigsten Formen, die sich innerhalb einer solchen Säule bewegen, fortwährend sanft abwechseln.
[GS.02_051,07] Ein sanftes Schillern reizt das Auge immer von neuem, denn bei der leisesten Wendung treten andere Farben zum Vorscheine, und das Merkwürdigste dabei ist, daß diese Farben, die denen auf unserer Erde gleich sind, hier einen ganz anderen Charakter annehmen. – Wir haben auch ein Rot, ein Grün, ein Blau, ein Violett, ein Gelb und die verschiedensten Übergänge von diesen Farben; aber fürwahr, wer da nachdenken will und mag, der soll es tun und eine Basis setzen für jede Farbe, und auf dieser Basis den Grund derselben bestimmen. Ja er soll sagen, welches Rot das Grundrot, welches Grün das Grundgrün, welches Blau das Grundblau, welches Violett das Grundviolett und welches Gelb das Grundgelb ist, von dem dann alle anderen Farbnuancen abgeleitet werden.
[GS.02_051,08] Welches Rot ist denn das so ganz eigentliche Rot? Ist das Blutrot das eigentliche oder das Rosenrot oder das Purpurrot oder das Scharlachrot oder das Carminrot? Alles ist rot, und doch sieht ein Rot dem andern nicht gleich. Ist das Dunkelrot mehr das Grundrot oder das Lichtrot? Und dergleichen Unterschiede hat jede Farbe; wo wohl ist der Grund einer jeden? Siehe, lieber Freund und Bruder, das mag auf der Erde wohl niemand bestimmen, aber hier erblicken wir im Ernste die Grundfarben, und diese kommen uns vor, als was man von einer reifen Ananas spricht, sie habe jeglichen Geschmack in sich, den man sich einbildet.
[GS.02_051,09] Und so sehen wir hier auch im Ernste Farben, die nicht selten wie aus dem Hintergrunde hervorstrahlen. Diese Farben haben ein so sonderbares Schillern, daß man in Rot alle seine Nuancen auf einmal erschaut, und es richtet sich dieses Schillern beinahe nach dem Wunsche des Beschauers; das Rot, welches man sich am stärksten vorstellt, dasselbe sticht auch im Augenblicke am stärksten hervor, ohne jedoch das eigentliche Grundfarbenwesen des Rot zugrunde zu richten. Ja fürwahr, von ähnlichen Farben läßt sich ein armer Sünder auf der Erde wohl nie etwas träumen.
[GS.02_051,10] Also haben wir auf der Erde wohl lauter geteilte und gebrochene Farben; aber von einer Grundfarbe, die da alle ihre Nuancen in sich fassete, haben wir durchaus nichts. Es gibt bei uns wohl auch Schillerungen in dem Wesen der Farbe, aber bei diesen Schillerungen kommt bei jeder Wendung eine ganz andere Farbe zum Vorschein. Bei diesem Schillern hier schillern in der Farbe nur alle Nuancen von Rot in der grünen alle Nuancen von Grün, und so weiter durch alle Farbenabstufungen hindurch.
[GS.02_051,11] Daneben aber entdecken wir wunderbarer Weise noch ganz neue fremde Farben, die uns auf unserer mageren Erde noch nie vorgekommen sind. Ja fürwahr, so ist auf der Erde alles nur ein Stückwerk, alles nur ein matter, höchst gebrochener Schimmer von der Herrlichkeit, die wir hier in solcher Grundüberfülle erschauen!
[GS.02_051,12] O lieber Freund und Bruder! Sage uns doch, wie wir diese Sache nehmen sollen? Warum konnten wir ehedem im weißen Lichte nichts, nun in diesem rötlichen aber gar so endlos vieles erschauen?
[GS.02_051,13] Ja, meine lieben Freunde und Brüder! Sehet, das bewirkt alles die Liebe und ihr Licht. Ich habe es euch ja gleich im Anfange gesagt: Im absoluten Lichte der Weisheit ist für einen beschränkten Geist nichts oder wenig zu erschauen. Aber im Lichte der Liebe wird das Licht der Weisheit in Formen gezwängt und kann aus der einmal gestellten Form nicht wieder entweichen, solange das Licht der Liebe, oder besser, das Feuer der Liebe es wie mit tausend mächtigen Armen gefangen hält. Im absoluten Lichte der Weisheit gleicht der Mensch einer vom Weinstock abgetrennten Rebe, welche verdorrt, sich mit der Zeit verflüchtigt und nimmer irgendeine Frucht bringt. Aber im Lichte der Liebe bleibt sie am Weinstocke und bringt tausendfältige Frucht. Daß solches durchaus buchstäblich richtig ist, möget ihr auch schon mit der leichtesten Mühe von der Welt an euren sogenannten kalten Weltweisen in die klarste Erfahrung bringen. Diese Menschen verachten die Liebe, erklären sie sogar für eine Torheit und schwärmen fortwährend in lauter übersinnlichen Spekulationen herum, bauen Grundsätze über Grundsätze, machen Hypothesen über Hypothesen und verlieren sich aus den Grundsätzen und Hypothesen in zahllose ebenso nichtige Schlüsse, als wie nichtig da sind ihre Grundsätze und Hypothesen selbst. Und wenn ihr sie am Ende aller ihrer Grundsätze, Hypothesen und Schlüsse über eines oder das andere fraget, so werden sie euch bei allem eine solche Antwort geben, die sie erstens selbst nicht im geringsten verstehen und ihr sie somit noch weniger verstehen werdet, und der allerweiseste Schluß, den die Allerweisesten am Ende herausbringen, ist der, daß sie als die Allerweisesten nichts wissen, nichts haben, und nichts sind!
[GS.02_051,14] Um aber dieses noch besser einzusehen, kann ich euch gleichwohl ein paar solcher Weltweisen aus der alten und neuen Zeit anführen. – Ihr werdet sicher von Sokrates, Aristoteles und Plato gehört und gelesen haben. Diese drei Weisen, obschon man sie zu den besseren zu rechnen hat, haben mit all ihrer Weisheit bei weitem nicht den millionsten Teil von dem herausgebracht, was ein ganz einfaches, noch kaum lesen könnendes Kind herausbringt, so es den Herrn zum ersten Male gläubig den lieben guten Himmelsvater nennt!
[GS.02_051,15] Sie haschten nach Erscheinungen und Erfahrungen; aber wozu nützten ihnen diese, da sie von keiner den Grund erfassen konnten, welcher da allein in der Liebe zum Herrn liegt?
[GS.02_051,16] Wer möchte wohl die zahllosen Erscheinungen im Ernste zählen wollen, wer in der Unendlichkeit auf ihren Grund dringen? Denn wo er immer glauben wird, einen zu haben, da wird er sich gerade in dem trüglichen Mittelpunkte der Unendlichkeit befinden, von dem aus es natürlichermaßen wieder nach allen Seiten hin unendlich fortgeht.
[GS.02_051,17] Wer aber die Liebe hat, der hat den Grund aller Dinge und aller Erscheinungen in sich, weil er den Herrn in sich hat, und kann daher auch allenthalben mit der leichtesten Mühe von der Welt auf den Grund kommen; aber der Weisheits- oder Unendlichkeitsjäger, der wird in der Unendlichkeit wohl schwerlich irgendein Ziel finden, dahin er sein flüchtiges und nichtiges Weisheitswurfgeschoß richten möchte.
[GS.02_051,18] Ich meine, aus diesen wenigen Beispielen dürfte euch die Sache wohl so ziemlich klar sein, besonders wenn ihr dazu noch ein paar Blicke auf die Weltweisen eurer Zeit werfet, die alle ihr Wurfgeschoß auf den Herrn hin richteten, und wollten Ihn fangen und messen mit der Elle und mit der Meßrute. Was aber haben sie mit all ihrer Weisheit am Ende errungen? Nichts als den Verlust des Herrn!
[GS.02_051,19] Den sie suchten im Unendlichen, im Unzugänglichen, den fanden sie nicht und waren am Ende genötigt, aus ihrer eigenen Nichtigkeit einen Gott zu kreieren, der aber freilich dann erst Gott ist, so es ihnen als Obergöttern beliebt, solch einen Begriff in ihre Vorstellung aufzunehmen. Ich meine, um diese allereklatanteste Dummheit auf den ersten Blick einzusehen, bedarf es durchaus nicht mehr als eines höchstens fünf bis sieben Jahre alten Kinderverstandes. Der einfachste Mensch, dem sogar das Wort „Weltweisheit“ oder „Philosophie“ ebenso fremd ist wie die beiden Erdpole, wird bei einer solchen Gottheits-Vorstellung auf den ersten Augenblick die zwar höchst einfache, aber desto treffendere Entgegnung zum Vorscheine bringen und sagen:
[GS.02_051,20] He! Freund, wie kann denn das sein? Wenn Gott erst dann Gott wäre, wenn ihr Ihn denket, da möchte ich denn doch auch wissen, wer euch erschaffen hat, und daß ihr eben einen Gott denken könnet, wer hat euch diese Fähigkeit gegeben? Denn das, was ihr von Gott aussaget, ist ja noch viel dümmer, als so da jemand ganz ernstlich behaupten möchte, daß ein Haus von sich selbst gebaut wird, ohne Baumeister, und ein Mensch erst dann ein Baumeister wird, wenn ihn allenfalls ein von sich selbst entstandenes Haus dafür annehmen will.
[GS.02_051,21] Sehet, hat der schlichte Mensch in seinem ganz einfachen Ausspruch nicht ums Unbegreifliche weiser gesprochen als das ganze hochweise philosophische Gremium zusammengenommen? Ja, bei dem kann man sagen: Der hat das Zentrum des Nagels getroffen und hat mit einem Schlage eine ganze Butte voll weiß glänzender Schmeißfliegen erschlagen, denn eine Schmeißfliege ist doch unstreitig das treffendste Bild und Symbolum für einen absoluten Philosophen; diese glänzt auch, als wäre sie mit lauter Gold überzogen. Wenn man diese Fliege im Freien sieht, da sollte man doch glauben, dieses Tier müsse die allerköstlichste Lichtäthernahrung in sich aufnehmen, durch welche es zu einer solchen äußeren Glanzpracht gelangt. Aber nur einen Haufen Exkremente, gleich ob menschliche oder tierische, irgendwohingestellt, und man wird sogleich ins klare kommen, welch Geistes Kind und von welcher Kost genährt dieses Tierchen ist. Findet es einen Schmeißhaufen, da saugt es so lange herum, bis es allen Succus demselben entwunden hat. In die Überreste legt es dann noch eine Menge Würmer, welche nach kurzer Zeit in dieser eben nicht zu ästhetischen Wohnstätte zu neuen Fliegen derselben Art ausgeboren werden.
[GS.02_051,22] Tun eure Philosophen nicht auf ein Haar dasselbe? Wenn ihr sie äußerlich betrachtet, da haben sie ein Ansehen, als strotzeten sie vom gediegendsten Golde der echten Weisheit, und ihre Beschäftigung nennen sie eine rein geistige. Fragt ihr sie aber im Ernste nach etwas rein Geistigem, so werdet ihr bei diesen Menschen sogleich auf den allergröbsten Materialismus stoßen, demzufolge sie euch sogleich dartun werden, daß ohne Materie durchgehends nichts Geistiges gedacht werden kann, und das Geistige somit erst von der Materie abstrahiert werden muß und nicht und nirgends als absolut bestehen kann, sondern zu seiner Äußerung allenthalben einen materiellen Organismus haben muß. Fällt dieser hinweg, so fällt auch alle geistige Wirkung und Äußerung hinweg. Die menschliche Gedankenfähigkeit ist dann nichts anderes als die Wirkung des materiellen Organismus, in dem sich die Kräfte wie in einer chemischen Retorte erst entwickeln müssen, um dann so lange zu wirken, solange die Retorte nicht zerschlagen wird. Ist die Retorte aber durch einen unglücklichen Stoß um ihr Dasein gekommen, dann ist es auch mit den in ihr entwickelten und wirkenden chemischen Kräften zu Ende.
[GS.02_051,23] Sehet, gerade also philosophiert ja unsere Schmeißfliege auch und sagt gewisserart durch ihre Handlung: Ich lebe nur aus dem Unrate und lebe so lange, als ich irgendeinen Unrat finde. Nehmt ihr mir den Unrat weg, so ist mein Leben dahin, denn meine Lebenskraft sauge ich nur aus dem Unrate und bin daher in allen meinen Teilen selbst nichts als ein glänzender Unrat. Nehmt diesen hinweg, und ich glänzende Schmeißfliege habe aufgehört zu sein! Wohl mir, daß ich noch eine Reproduktionskraft besitze; sonst ginge mit der Wegnahme des Unrates nicht nur ich für mich, sondern mit mir mein ganzes Geschlecht auf einen Hieb völlig zugrunde.
[GS.02_051,24] Also absolute Philosophen kleben sich an die Materie, weil sie in ihr ein Zentrum oder einen eigentlichen Standpunkt gefunden zu haben glauben.
[GS.02_051,25] Warum aber halten sie sich an die Materie? Weil sie sich gleich einer Schmeißfliege fortwährend im unhaltbaren luftigen alleinigen Weisheitslichte herumbewegen. Weil sie aber da nichts finden, so muß es ihnen ja wohltun, wenn sie auf irgendeinen materiellen Brocken aufsitzen können und da mit ihren wissenschaftlichen Saugrüsseln den geistigen Lebensstoff herauszupumpen versuchen. Wenn aber dieser gar bald ausgepumpt sein wird, da bleibt ihnen am Ende nichts anderes übrig, als sich entweder in ihren Schülern oder wenigstens in ihren hinterlassenen Schriften zu reproduzieren, damit durch dieselben noch die letzten Reste der Exkremente aufgezehrt werden und von ihnen am Ende nichts Gültiges mehr übrigbleibt als ihre Namen und daß sie mit all ihren geistigen Arbeiten durchaus nichts Geistiges gefunden haben.
[GS.02_051,26] Sehet, solches alles lehrt und zeigt uns wesenhaft das rötliche Licht; daher wollen wir in diesem Licht uns auch sogleich in das zehnte Stockwerk oder auf die elfte Galerie begeben. – Hier ist die Treppe; also nur mutig darauf losgeschritten! –
52. Kapitel – X. Stockwerk. Wesen von Frage und Antwort.
[GS.02_052,01] Wir wären an Ort und Stelle. Sehet euch daher nur recht wacker um und gebet mir dann kund, was alles ihr hier sehet; aber wohlgemerkt, so ihr die Gegenstände hier sehen wollet, da müsset ihr in dem roten Lichte verbleiben. Im weißen Lichte würdet ihr da ebensowenig ausnehmen wie auf der vorhergehenden Galerie.
[GS.02_052,02] Ich merke zwar eine Frage in euch, die etwas sonderlich klingt. Sie paßt freilich nicht so ganz wohlgemessen hierher; aber weil sie schon einmal da ist, so wollen wir auch um eine genügende Antwort besorgt sein. Also aber lautet die Frage, und also fraget ihr in euch und saget:
[GS.02_052,03] Lieber Freund und Bruder! Es ist alles erhaben, schön, wahr und gut, was wir hier sehen, und ganz besonders, was wir aus deinem Munde vernehmen. Aber eine Sache ist fortwährend dabei, der wir nicht so ganz eigentlich auf den Grund kommen können, und diese Sache gibt sich soeben durch diese unsere, aber dennoch von dir uns bekanntgegebene Frage kund.
[GS.02_052,04] Siehe, wir eigentlich fragen und reden und werden ebenfalls als persönlich redend und fragend angeführt; und dennoch reden und fragen nicht wir, sondern du bist allzeit derselbe, der sowohl für sich, aus sich, wie für uns ebenfalls aus sich spricht. So siehst du nicht selten eine Frage in uns, von der wir noch keine Ahnung haben. Ebenso gestaltet gibst du uns unsere eigenen Erörterungen und Urteile kund, von denen uns noch eben gar nicht zu viel geträumt hat. Du fragst uns, und wir antworten dir aus deinem eigenen Munde; denn wenn es im Ernste auf uns zur Beantwortung ankäme, da würde es sehr viel Stummheit absetzen, und wir wüßten auf gar viele deiner Fragen keine Silbe zu antworten.
[GS.02_052,05] Sage uns daher, lieber Freund und Bruder, wie wir uns solches zusammenreimen sollen? Wie reden wir aus dir, und wie haben wir dir jetzt selbst diese gegenwärtige Frage gestellt, von der wir vor einigen Augenblicken noch nicht eine allerleiseste Regung in uns verspürt hatten?
[GS.02_052,06] Meine lieben Freunde und Brüder! Da will ich euch bald aus eurem Traume helfen. Wenn ihr einem sehr erfahrenen und geschickten Botaniker die Wurzel einer Pflanze zeiget, so wird er euch sogleich die Gestalt der Pflanze beschreiben oder sie aufzeichnen von Punkt zu Punkt. Und wenn die Pflanze dann vor euren Augen gebildet sein wird, so werdet ihr sie auch alsbald für eine schon gar wohl bekannte erkennen.
[GS.02_052,07] Wenn ihr irgendein Gerippe, also ein bloßes Knochenskelett einem geschickten Anatomen gebet, so wird er aus der Gestaltung der Knochen euch ganz wohltreffend die Gestalt der einstigen Person anzugeben imstande sein; denn solches kennt er aus der Lage und aus der Verbindung der Knochen. Wenn er ein geschickter Wachsbildner ist, so wird er die Knochen mit dem Wachse so geschickt zu überziehen imstande sein, daß ihr die völlig lebende Person, die euch bekannt war, wie neu auferstanden vor euch werdet zu erblicken vermeinen.
[GS.02_052,08] Ein geschickter Chemiker, dem ihr eine zusammengesetzte Flüssigkeit zeiget, da ihr nicht wisset, woraus sie zusammengesetzt ist, wird euch mit der leichtesten Mühe von der Welt die Flüssigkeit in ihre früheren Teile zerlegen, und ihr werdet dann die Teile bald erkennen, wessen Geistes Kinder sie sind, ob Schwefel, ob Kalk u.a.m.
[GS.02_052,09] Wenn ihr ein Samenkorn irgend findet und wisset nicht, von welcher Pflanze es ist, da möget ihr zu einem sehr geschickten Gärtner hingehen und ihm das Samenkorn zeigen, und er wird es euch auf den ersten Augenblick zu sagen wissen, von welcher Pflanze es herrührt, und wird euch auch eine allfällig vorrätige ähnliche Pflanze zeigen, welche solchen Samen trägt.
[GS.02_052,10] Könntet ihr bei all diesem nicht auch fragen und sagen: Ja, wie ist denn das? Wie kann man sich so höchst geringe Merkmale merken und dann aus selben auf das Vorhergehende oder Nachfolgende mit Bestimmtheit schließen?
[GS.02_052,11] Sehet, meine lieben Freunde und Brüder, das geht alles gewisserart von der Wurzel aus. Daß ich eure Fragen weiß und kundgebe wie auch eure Antworten, liegt darin, weil ich als ein purer Geist ein geistiger Botaniker, ein geistiger Anatom, ein geistiger Chemiker und ein geistiger Gärtner bin und erkenne dann aus den euch noch unbekannten Wurzeln in euch, welche Frage mit der Zeit aus denselben zum Vorschein kommen würde. Als Anatom durchschaue ich euer inneres Gebäude und erschaue mit großer Leichtigkeit die Wechselwirkungen eurer Gefühle und die aus ihnen hervorgehenden Urteile und Schlüsse. Als Chemiker verstehe ich diejenigen Urteile in euch, die noch chaotisch und verworren untereinandergemengt sind, sobald klassisch zu sondern und kann sie euch dann schon in der gerechten Ordnung vorführen. Als Gärtner kenne ich allen Samen in euch, welcher da besteht in den verschiedenartigen Worten und Begriffen. Ihr wißt es noch nicht, was aus ihnen hervorwachsen wird, wenn sie dem inneren lebendigen Boden des Geistes entkeimen werden. Ich aber bin ein Gärtner und kann euch im voraus alle eure geistigen Pflanzenarten zeigen, welche aus diesem oder jenem Samen hervorgehen müssen, die ihr bei weitem noch nicht erkennet.
[GS.02_052,12] Daher kann ich wohl für euch fragen und antworten also, wie ihr im Grunde selbst fragen und antworten würdet. Eigentlich tut ihr aber auf der Erde ja beinahe immer dasselbe.
[GS.02_052,13] Wenn ihr jemanden um etwas fraget, so tut ihr solches darum, weil ihr in euch wohl den Keim, aber nicht die erwachsene Pflanze der Antwort gewahret; und wenn euch dann der Gefragte eine Antwort gibt, so ist das nicht etwa seine Antwort, sondern eure eigene aus des andern Munde. Bei dem Gefragten war sie schon ausgewachsen; aber bei euch war sie es noch nicht. Nach der Erteilung der Antwort von seiten des Gefragten aber habt ihr sie bald verstanden und von ihr das Gefühl überkommen, als wäre sie auf eurem Grund und Boden gewachsen.
[GS.02_052,14] Desgleichen ist es auch der Fall, so euch jemand um etwas fragt oder euch auch bei gewissen Gelegenheiten eine Frage in den Mund legt, wie ihr zu sagen pfleget. Da werdet ihr dann auch sobald antworten und fragen; aber nicht, als wäre die Antwort euer oder die Frage, sondern als wäre sie dessen, der sie euch gab. Denn das wird doch etwa sicher sein, daß ihr niemanden um etwas fragen werdet, was ihr ehedem wisset, und werdet auch niemandem eine Antwort geben, der euch um nichts fragt.
[GS.02_052,15] Die Frage ist ein Bedürfnis, welches wie ein Sprosse der Antwort vorangeht. Wenn aber die Frage ein Sprosse ist, wäre es da nicht der größte Unsinn zu behaupten, die dem Sprossen folgende Blüte und Frucht, wenn sie durch die von außen einwirkende Wärme entwickelt und gereift wird, gehöre darum einem andern Baume an als dem nur, auf dem der Sprosse zum Vorschein kam?
[GS.02_052,16] Ich meine aber, ein jedweder, der da fragt, fragt aus dem Bedürfnisse, um eine ihm genügende Antwort zu erhalten. Wenn aber die Antwort für ihn ein Bedürfnis ist, so gehört sie doch sicher in seine Lebenssphäre und nicht in die eines andern, dem sie kein Bedürfnis mehr sein kann, weil er sie schon hat.
[GS.02_052,17] Aus diesem werdet ihr wohl mit leichter Mühe zu entnehmen imstande sein, wie es zwischen uns geistig zugeht, daß ich für euch frage, als wenn ihr fragen würdet, und also auch für euch antworte, als wenn ihr selbst antworten würdet.
[GS.02_052,18] Ihr würdet auch selbst so fragen und antworten, wie ich aus euch für euch frage und antworte, so eure Fragen und Antworten schon reif wären. Da sie aber noch nicht reif sind, und wir jetzt nicht Zeit haben, auf deren Reife in euch zu warten, so muß ich ja gleichwohl aus euren Wurzeln, aus eurem noch mannigfaltigen Chaos und aus euren Sämereien im voraus fragen und antworten, gerade also, als tätet ihr solches selbst.
[GS.02_052,19] Ich meine, daß wir auch mit diesem freilich wohl etwas kitzligen Punkte klärlich zu Ende sein möchten, daher sollt ihr euch ob künftiger ähnlicher Erscheinungen nicht mehr stoßen, sondern ganz wohlgemut weiterhin auf alles acht geben; denn hier bin ich ja, wie schon im Anfange bemerkt, euer Gast, daher mag ich wohl von dem eurigen nehmen und es euch vorführen. Klingt euch solches auf eurer Erde noch ein wenig sonderbar, so machet euch im Ernste nichts daraus, denn im Geiste ist das die gewöhnliche Art der Unterhaltung. Da besteht keine Sprache in Fragen und Antworten, sondern im gegenseitigen vollkommenen Erkennen, und so redet da immerwährend einer aus dem andern, wie auch einer aus allem und alle aus einem. Wenn ich denn auf diese Weise aus euch antworte und frage, so tue ich nichts geistig Ungewöhnliches, oder wie ihr saget „Unnatürliches.“ Sehet euch daher auf dieser elften Galerie oder in diesem zehnten Stockwerke nur recht um, und es wird da schon wieder so manches zu fragen und zu antworten geben.
53. Kapitel – XI. Galerie. Liebe zum Herrn und daraus zum Nächsten führt zur Vollkommenheit des Lebens.
[GS.02_053,01] Da ihr euch nun so ziemlich umgesehen, so könnet ihr auch schon anzugeben anfangen, was alles ihr gesehen habt. – Ihr saget: Lieber Freund und Bruder! Wir haben der wunderbarsten Dinge hier eine Menge gesehen; aber wer mag sie mit unserem beschränkten Begriffs- und Wortreichtume so vollkommen schildern, daß jemand daraus klug werden könnte und aus der Schilderung klärlich entnehmen, was das für Dinge sind?! Daher meinen wir, hier wäre es wohl recht gut, so du gewissermaßen den Dolmetscher machen möchtest.
[GS.02_053,02] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, eure bedenkliche Aussage von Beschränktheit eures Begriffs- und Wortreichtums ist allerdings wahr, aber dessen ungeachtet sollet ihr von all dem Geschauten dennoch so viel aussagen, als wieviel ihr davon mit euren Begriffen und Worten zu bezeichnen vermöget; denn ihr müsset das hier immer vor Augen haben, daß ihr euch hier so ganz eigentlich auf eurem eigenen Grund und Boden befindet, soll euch meine Erörterung darüber geistlich zunutze kommen. Sage ich es euch ohne irgend eure Vorkundgabe dessen, was ihr geschaut habt, so mache ich euch dadurch eures Grundes ledig, und es besteht dann sogleich und sofort kein Anknüpfungspunkt mehr zwischen meiner an euch gerichteten Erörterung und eurer inneren Aufnahmsfähigkeit.
[GS.02_053,03] Die Sache verhält sich beinahe also, als so sich zwei Freunde durch die Handreichung begrüßen möchten, von denen der eine in seinem Hause den andern empfängt. In der Regel der Freundschaft muß doch der Hausherr dem ihn besuchenden Freunde zuerst die Hand reichen, sodann erst kommt die Reihe an den Besucher.
[GS.02_053,04] Ihr möchtet hier freilich denken und sagen: Mit dergleichen Regeln nehmen wir es aber nie so genau; daher können sie für uns nicht als ein völlig normaler Beweis angesehen werden, aus dem wir folglichermaßen zuerst eine Vorangabe des hier Geschauten kundtun sollen.
[GS.02_053,05] Ich aber sage euch, meine lieben Freunde und Brüder, wenn euch dieses freundliche Haus-Beispiel zu wenig triftig zu sein scheint, so kann ich euch schon mit einem überzeugenderen aufwarten.
[GS.02_053,06] Sehet an das Verhältnis eurer Erde zur Sonne; die Erde ist bei sich selbst doch sicher zu Hause, und die Sonne ist ihr gegenüber nur als ein sie stets besuchender Gastfreund anzusehen. Was muß aber die Erde zuerst tun, wenn sie von der Sonne Strahlen erleuchtet werden will?
[GS.02_053,07] Ihr saget: Die Erde muß da eine Fläche um die andere zuerst der Sonne zuwenden, sodann fallen sobald die Strahlen der Sonne auf den zugewandten Teil.
[GS.02_053,08] Gut, meine lieben Freunde und Brüder; sehet die Erde zur Nachtzeit an, ist sie da nicht eben so voll von den mannigfaltigsten Dingen wie am Tage? Aber ihr könnet nur das wenigste davon so recht ausnehmen, was und wie es ist; daß aber etwas da ist, solches ist bestimmt, sicher und wahr. Wenn aber die Erde stehen bliebe und möchte warten, bis die Sonne über ihren unerleuchteten Teil sich erheben wird, fürwahr, da wird sie fürs erste ganz entsetzlich lange zu warten haben und ihre Dinge werden nie in ihrer Vollzahl und in ihrer formellen Beschaffenheit ersichtlich werden. So aber die Erde fortwährend sich dreht und eine Fläche um die andere unter die Sonne hinschiebt, so werden die Dinge auf derselben sobald in ihrer Vollkommenheit ersichtlich werden, die man zur Nachtzeit nur mit genauer Not wahrgenommen hat.
[GS.02_053,09] Sehet, so müsset auch ihr als Hauseigentümer von euch selbst euch zuerst zu mir herüberwenden, der ich nun völlig im Namen des Herrn bei euch bin; und der Teil, den ihr mir zuwenden werdet, wird dann ebenfalls sogleich beleuchtet werden, daß ihr ihn klarer zu erkennen und richtiger zu bezeichnen vermöget.
[GS.02_053,10] Und so denn fanget nur an, wenigstens das euch möglicherweise Bekanntere kundzugeben. Zählet einmal die Säulen eines Säulenrondells; wie viele findet ihr deren hier im zehnten Stockwerke?
[GS.02_053,11] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder! So wir uns nicht irren bei dem Rundherumzählen, so sind ihrer hier nun zwei weniger denn in der vorigen Galerie, also nur zehn. Dafür aber bemerken wir hier in der Mitte des Säulenrondells statt irgendeiner anderen Verzierung zwei gar mächtig starke, fest aneinandergestellte Säulen, welche gleich den anderen zehn den Plafond des Säulenrondells wie auch den der ganzen Galerie tragen helfen und eine höher leitende Treppe geht hier nicht mehr innerhalb der Runde der zehn Säulen, sondern in der Mitte auf diesen zwei Säulen aufwärts. Übrigens erscheint hier alles vollkommen glatt und wir mögen schauen, wie wir wollen, so ist aber nirgends etwas von einer Verzierung zu entdecken; auch ist, soviel wir ausnehmen können, der Plafond dieser elften Galerie nicht mehr wie gewölbt, sondern ganz flach hinlaufend. Alles ist von gleicher überschneeweißer Farbe und durchsichtig; nur die innere kontinuierliche Wand scheint etwas ins Rötlichbläuliche überzugehen, und die Tore sind, als wären sie von durchsichtigem Silber.
[GS.02_053,12] Jetzt, lieber Freund und Bruder, sind wir aber auch schon fertig, insoweit die Dinge hier für uns möglichermaßen zu bezeichnen sind. Die flüchtigen Formen aber, welche sich sowohl in der festen Masse der Säulen wie der anderen Teile dieser Galerie fortwährend abwechselnd darstellen, können wir unmöglich bezeichnen. Fürs erste sind sie zu flüchtig und zu schnell wechselnd, und fürs zweite sind ihre Formen zu wenig intensiv, und unser Auge vermag da nicht viel mehr als nur wie ein sich stets durcheinandermengendes Chaos zu entdecken, und somit wären wir so ganz und gar zu Ende mit all dem hier Geschauten. Was es aber bedeutet, das lassen wir, lieber Freund, dir über.
[GS.02_053,13] Nun gut, meine lieben Freunde und Brüder. Ich bin mit eurer Kundgabe ja vollkommen zufrieden, und es wäre auch gar überaus töricht von mir, von euch mehr zu verlangen, als ihr zu geben imstande seid. Habt aber nun acht, wir wollen sogleich das von euch Geschaute ein wenig näher beleuchten.
[GS.02_053,14] Die zehn Säulen dieses Rondells sind in ihrer Bedeutung mit den Händen zu greifen; denn sie bezeichnen ja augenscheinlichst das Zehngesetzliche, welches eigentlich aus der göttlichen Weisheit hervorgeht. Denn die Liebe gibt keine Gesetze, sondern nur die göttliche Weisheit, welche da ist der Grund der göttlichen Ordnung; denn die Gesetze sind ein vorgezeichneter Weg, den man wandeln soll, um ans Ziel des Lebens zu gelangen, und sie sind auch zugleich die Grundfesten, auf denen das Leben zufolge der göttlichen Ordnung ruht.
[GS.02_053,15] Was aber würde wohl jemandem der Weg in der stockfinstersten Nacht dienen, so er auch noch so gerne auf demselben wandeln möchte? Ebensowenig würde jemandem ein irgend gestellter Stützpunkt nützen, wenn er ihn erst in der stockfinstersten Nacht suchen sollte.
[GS.02_053,16] Daher müssen die Gesetze, die der sonstigen Nacht der Liebe gegeben sind, als Weg und als Stützpunkt leuchtend sein, damit der Wanderer sich auf dem Wege nicht verirren mag und den ordnungsmäßigen Stützpunkt des Lebens allezeit finden kann.
[GS.02_053,17] Also ist es hier ja leicht ersichtlich, wie diese zehn weiß strahlenden Säulen handgreiflich das Zehngesetzliche der Lebensordnung aus Gott bezeichnen. In der unteren Galerie haben wir die zwei Säulen der Liebe noch in der äußeren Reihe eingeteilt gesehen. Aber dafür war in der Mitte das merkwürdige Kreuz, welches ebenfalls die leidende Liebe darstellt.
[GS.02_053,18] Hier aber erblicken wir die zwei Säulen der Liebe an der Stelle des Kreuzes in der Mitte unseres Säulenrondells. Sie sind fest aneinandergereiht und die Treppe, die nach oben führt, ist von den äußeren zehn Säulen weggenommen und allein um die zwei mittleren Säulen gewunden.
[GS.02_053,19] Ich meine, die Bedeutung solcher Stellung wird ebenfalls nicht schwer zu erraten sein. Ihr dürfet nur das Evangelium des Herrn zur Hand nehmen, und ihr werdet da finden, daß Er das ganze Mosaische Gesetz wie auch alle Propheten in das alleinige Zweigesetz der Liebe übertrug, nämlich: „Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst!“ – Diese beiden Gesetze hat der Herr Selbst als gleichlautend bezeichnet, aus dem Grunde sind die zwei Säulen in dieser Mitte sich fürs erste ganz gleich, und fürs zweite noch dazu fest aneinandergereiht und sind die alleinigen Träger des Weges nach oben. – Ich meine, solches verstehet ihr.
[GS.02_053,20] Was aber den euch so wunderbar vorkommenden chaotischen Formenwechsel in den Säulen betrifft, so bezeichnet dieser das Wandelbare des menschlichen Gemütes, welches sich innerhalb der Gesetze befindet. Woher aber rührt in diesen Säulen solch beständiges wallendes chaotisches Formenwechseln? Was ist wohl der Grund solcher Erscheinung?
[GS.02_053,21] Der Grund davon liegt in dem von außen einwirkenden heftigen Lichte, durch welches diese Luft in ein fortwährendes Schwingen versetzt wird. Da aber das Material dieser Säulen überaus spiegelblank poliert und dazu noch überaus durchsichtig und strahlenbrechungsfähig ist, so spiegeln sich diese Luftwellchen oder Luftschwingungen darin ziemlich lebhaft ab, und wir vermeinen dadurch gewisse Formen in den Säulen hin und her und auf und ab wallend zu erblicken. Nun stellen wir einen Menschen hierher, der sich unter Gesetzen befindet. Er befindet sich dadurch im hellen Lichte des Gesetzes, welches von innen stets lebendig in ihn einwirkt, und dann befindet sich dieser Mensch seinem Äußeren nach im Lichte der Welt, welches aber von außen her ebenfalls stets wie wogend einwirkt.
[GS.02_053,22] Was entsteht aber dadurch im Menschen? Ein fortwährender Ideenwechsel; bald beschleichen ihn die Formen der Welt, bald wieder die Formen seines inneren Lichtes. Wirkt das äußere Licht stark auf den Menschen ein, so werden die Formen des inneren Lichtes verdunkelt und haben keine Klarheit mehr; im Gegenteil aber werden die Formen des äußeren Lichtes stets nichtiger und schwächer ausnehmbar, je mehr das innere Licht zu reagieren anfängt.
[GS.02_053,23] Wenn dann jemand die Formen des inneren Lichtes ergreift und sie mit seinem Geiste stets mehr und mehr fixiert, so wird aus der ehemaligen stets wechselnden Flexibilität der Lichtformen eine konstante Form, welche fortwährend dem von außen einwirkenden Lichte einen dieses Licht demütigenden Widerstand leistet; und der Mensch ist dadurch zur erschaulich bestimmten Idee des inneren ewigen Lebens des Geistes gelangt.
[GS.02_053,24] Das entsprechende Bild zeigen euch die zwei mittleren Säulen, in und an denen ihr keinen solchen Formentanz mehr entdecket. Wenn ihr aber genauer nach denselben blicket, so werdet ihr in einer jeden eine ganz gleiche vollkommene, alleredelst ausgebildete Menschengestalt erschauen, welche in all ihren Teilen klar und gleich durchleuchtet ist.
[GS.02_053,25] Sehet, solches zeigt, daß der Mensch einzig und allein nur durch die Liebe zum Herrn und aus dieser heraus zum Nächsten zu der Vollkommenheit des Lebens in seinem Urfundamente gelangen kann. Ich meine, ihr werdet nun so ziemlich im reinen sein. Was die übrigen Teile der Galerie betrifft, so besagen sie nichts anderes als das vollkommen Ordnungsmäßige der wahren Weisheit, welche da ist die Grundwahrheit im Geiste und ein Licht ohne andere Verzierung und Ausschmückung und ist das, was ihr die nackte Wahrheit nennet. Da wir aber solches wissen, so wollen wir uns auch sogleich wieder über die Treppe um die zwei Säulen höher hinauf auf den großen freien Platz begeben.
54. Kapitel – XII. Galerie. Das Fortschreiten des Geistes.
[GS.02_054,01] Ihr fraget und saget hier: Wir kommen somit aufs eigentliche Dach dieses Gebäudes, wo du von einem großen, freien Platze gesprochen hast. Das wäre alles gut und richtig, lieber Freund und Bruder. Auf diesem freien Platze wären wir somit auf dem elften Stockwerke oder auf der zwölften Galerie? Da aber das Dach doch unmöglich weder als eine Galerie noch als ein Stockwerk betrachtet werden kann, so können wir uns jene Fernsicht von dem wohlbekannten Gebirge nicht erklären, wo wir so ganz eigentlich zwölf Stockwerke erschaut haben. Waren diese zwölf Stockwerke bloß eine optische Täuschung oder hat es damit eine andere Bewandtnis? Wir haben in Verlaufe der Besteigung dieses wundervollen Gebäudes zwar schon einmal dieses Nichtübereinstimmen erwähnt, jedoch damals hast du uns auf bessere Gelegenheiten verwiesen und sagtest, was es damit für eine Bewandtnis habe, werden wir am rechten Orte und an rechter Stelle erfahren. Und so möchten wir von dir ein wenig im voraus erfahren, ob nun an diesem freien Platze solcher rechte Ort und solche rechte Stelle sein wird, da wir solches erfahren möchten?
[GS.02_054,02] Meine lieben Freunde und Brüder! Ich sage euch: Steiget nur mutig aufwärts, und oben in glänzender Freie werdet ihr schon ohnehin ersehen, was alles ihr erfahren werdet.
[GS.02_054,03] Die Sache, die euch so sehr am Herzen liegt, ist nicht von so großer Bedeutung, als ihr sie euch vorstellet, sondern ist von der Art, daß sie sich ohnehin beim ersten Anblicke in der oberen Freie von selbst erklären wird. Wir aber werden in dieser Freie mit ganz anderen Dingen zusammenstoßen, die von bei weitem größerer Wichtigkeit und höherem geistigem Interesse sein werden, als das euch noch abgängige zwölfte Stockwerk. Und so gehet denn nun munter und hurtig aufwärts, damit wir ehemöglichst unsere Freie erreichen.
[GS.02_054,04] Sehet, wenn man seine Schritte beschleunigt, so kommt man eher ans Ziel, als so man dieselben verzögert. Solches ist sicher und richtig und braucht keinen mathematischen Beweis; aber der Geist ist auch des Fortschreitens fähig, und das bei weitem mehr als der formelle Leib. Wie aber kann der Geist seine Schritte beschleunigen und wie verzögern? Sehet, daß läßt sich nicht so geschwind ganz klar begreifen; daher wird es wohl notwendig sein, noch vor dem völligen Eintritte auf den obersten freien Platz ein paar Wörtlein darüber zu verlieren, und so höret mich denn an!
[GS.02_054,05] Ihr wisset, daß das Fortschreiten des Geistes nicht etwa in einem stets mehr und mehr Weiserwerden, sondern lediglich nur in einem stets mehr mit Liebe zum Herrn Erfülltwerden besteht, aus welcher stets größeren Liebesfülle ohnehin alle anderen Vollkommenheiten und Fähigkeiten des Geistes erwachsen. Wenn aber solches klar und ersichtlich ist, so fragt es sich: Wie aber soll da der Mensch es anstellen, daß er ehemöglichst zur Liebefülle zum Herrn gelangt? Denn es ist ja bekannt, wie so manche Menschen sich den Herrn recht tiefst angelegen sein lassen. Fragt man sie aber um ihre geistige Vervollkommnung, da sagen sie:
[GS.02_054,06] Was unsere geistige Vervollkommnung betrifft, so wird es der liebe Gott wissen, was es damit etwa für eine Bewandtnis hat. Wir halten Seine Gebote so viel, als es uns nur immer möglich ist; wir beobachten alle anderen Regeln, wir halten die tägliche Sabbatsruhe und beten viel zu Gott dem Herrn und bitten Ihn auch zu jeder Zeit um die baldmöglichste Vollendung unseres Geistes. Aber dessen ungeachtet gewahren wir nur kaum merkliche Fortschritte, und wenn wir nicht sehr auf uns acht geben, so kommt es uns noch überdies vor, als hätte unser Geist nicht nur keinen Fortschritt, sondern eher einen Rückschritt gemacht, so daß wir uns darüber schon so manchmal ganz leisen Zweifeln überlassen und uns so heimlich gedacht haben: Entweder sind wir für solch einen geistigen Fortschritt gar nicht berufen oder die ganze Behauptung von der Vervollkommnung des Geistes ist wenigstens im irdischen Leben nichts anderes als eine fromme Fabel oder doch wenigstens eine Hypothese.
[GS.02_054,07] Sehet nun, meine lieben Brüder und Freunde, das ist so die gewöhnliche Antwort auf die Frage über den zögernden Fortschritt des Geistes, welcher bei den Menschen auf der Erde wohl zu allermeist gang und gäbe ist.
[GS.02_054,08] Sollte es denn in solchem Fortschreiten keine wahre Beschleunigung geben können? Sollte es denn keine Korneliusse mehr geben, über welche der Geist Gottes eher kommt, bevor sie vom Petrus getauft werden? Sehet, das ist eine ganz andere Frage, und ihre Beantwortung ist sicher von der größten praktischen Wichtigkeit. Wie aber werden wir solche Frage, die von einer so großen Wichtigkeit ist, auf die befriedigendste Weise zu jedermanns klarer Einsicht beantworten können? Das soll uns so schwer nicht werden; denn wo es für eine Sache genug anschauliche Beispiele gibt, da darf man sie bloß als Evangelisten betrachten, und die Antwort gibt sich dann von selbst. Wir wollen uns daher nicht länger mit Einleitungen aufhalten, sondern sogleich nach dem nächsten besten Beispiele greifen.
[GS.02_054,09] Nehmen wir an, in irgendeiner Hauptstadt lernen Tausende z.B. die Musik. Unter diesen Tausenden sind wenigstens einige Hundert mit wirklich ausgezeichneten Musiktalenten begabt; wie viele aber werden aus all diesen Schülern wohl als wirkliche Künstler und Virtuosen hervorgehen? Vielleicht einer, vielleicht aber auch gar keiner; und es wird einer Stadt am Ende zu gratulieren sein, wenn aus zehn Jahrgängen einer oder höchstens zwei hervorwachsen werden, die sich den Namen „Künstler“ und „Virtuose“ im Vollmaße zu eigen gemacht haben. Ist aber das nicht ein barster Schimpf für die Menschheit, da doch ein jeder sagen kann: Ich habe ja auch einen unsterblichen Geist in mir, ein Ebenbild Gottes! Wie steht es aber mit solchen Ebenbildern der allerhöchsten Vollkommenheit, so sich die wenigsten nur kaum über die Mittelmäßigkeit emporzuarbeiten imstande sind? Die größte Anzahl aber bleibt schon ohnehin unter dem Gefrierpunkte stehen, obschon sie auch aus Ebenbildern Gottes bestehen. Warum solches sich also gestaltet, werden wir sogleich in den Studierzimmern unserer Musikschüler erschauen.
[GS.02_054,10] Sehet, da ist gleich eine Gasse, bestehend aus hundert Häusern, da wohnen wenigstens tausend Musikschüler. Gehen wir in Nr. 1 hinein. Sehet, da schläft soeben der Schüler recht sanft und das noch hübsch weit weg von seinem Instrumente; wird er wohl ein Künstler? Ich meine, im Schlafe lernt man die Kunst nicht. – Gehen wir ins Haus Nr. 2; sehet, da zieht sich der Schüler gerade an, um vom schönen Tage zu profitieren und eine kleine Landpartie zu machen, davon er ein großer Freund ist. Wird er wohl ein Künstler? Ich meine, auf den Straßen, am Felde und im Walde lernt man die Kunst nicht. – Gehen wir ins Haus Nr. 3; sehet, da sitzt doch ein Schüler bei seinem Instrumente und übt gähnend seine Aufgabe. Wird er wohl ein Künstler? Ich meine, für die Kunst ist ein gähnender Eifer zu gering.
[GS.02_054,11] Aber gehen wir wieder ins nächste Haus. Sehet, da treffen wir gar keinen Schüler an, und die liederlich durcheinander liegenden Musikalien, welche sonst ganz wohl erhalten aussehen, geben uns einen hinreichenden Beweis vom Eifer unseres Schülers. Wird etwa aus diesem ein Künstler herauswachsen? Ich meine, da könnte eher das ganze Instrument zu Gold werden, als der Schüler zu einem Künstler. – Gehen wir ins nächste Haus; vielleicht finden wir da so einen angehenden Künstlerheros. Höret, es übt sich ja einer; aber sehet ihn an, seine Augen sind voll Tränen, denn er ist von seinem Vater, der sichs für seinen Sohn viel kosten läßt, soeben dazu geprügelt worden. Wird aus diesem ein Künstler? Da saget ihr schon: Ex trunco non fit Mercurius; welches ebensoviel sagen will als: Aus der geprügelten Liebe zur Kunst wird nicht sehr viel Künstlerschaft zum Vorschein kommen. Sollen wir in noch mehrere Häuser hineingehen, um ähnliche Kunstjünger zu besuchen? Ich meine, solches wird nicht vonnöten sein.
[GS.02_054,12] Aber sehet, ganz am Ende der Gasse in einer ganz unansehnlichen Kneipe wohnt eine ärmliche Familie; da wollen wir hineingehen und sehen, wie dort die Kunst betrieben wird, weil auch ein Kind dieses ärmlichen Vaters die Musik lernt. Sehet, der Knabe hat an diesem Tage wenigstens schon seine acht Stunden studiert; abends nun aber will der Vater des Knaben Gesundheit wegen ihn mitnehmen auf einen kleinen Spaziergang. Aber sehet nur den Knaben an, wie er sein Instrument ans Herz drückt und es liebkoset, als wäre es sein größter Lebensfreund! Nur mit bedeutender Mühe und großer Beredung von seiten des Vaters trennt sich unser Kunstjünger mit Tränen im Auge von seinem Lieblinge und spricht: Du mein teuerstes Kleinod! In kurzer Zeit, ja in sehr kurzer Zeit gehöre ich wieder ganz dir an! Ich frage nun: Wird aus diesem ein Künstler? Gehet hin, höret seine Töne, die er in kurzer Zeit aus seinem Instrumente zu ziehen gelernt hat, und ihr werdet sagen: Ach, das sind Wundertöne! Man glaubt, sie kommen von überirdischen Räumen herab. Ja, ja, meine lieben Freunde und Brüder, dieser Jünger wird sicher ein großer Künstler; denn dieser hat schon den rechten Lehrmeister in seiner Brust, und dieser Meister lehrt ihn, alles der Kunst zum Opfer zu bringen und läßt ihn nirgends ein größeres Vergnügen treffen und finden, als eben in seiner zu erlernenden Kunst.
[GS.02_054,13] Alle früheren waren wohl auch Jünger der Kunst, aber sie hatten keine Liebe zu ihr und werden es daher ohne diesen Meister auch nie weiterbringen. Warum aber hatten sie keine Liebe? Weil ihnen die Weltzottelei lieber war als die Selbstverleugnung und ein vollernstliches Ergreifen der Liebe zur Kunst. Aus diesem Grunde aber werden sie auch nur die Früchte ihrer Weltzottelei, aber nie die der herrlichen Kunst ernten.
[GS.02_054,14] Nun sehet, dieses Beispiel gibt uns einen genügenden Aufschluß, worin die Beschleunigung der geistigen Fortschritte den Grund hat.
[GS.02_054,15] Wird man wohl zu der inneren Vollendung gelangen auf Spaziergängen, in Theatern oder bei geselligen Freundschaftszirkeln oder bei anderen weltlichen Geschäften von was immer für einer Art? O nein; aus all dieser Weltzottelei wachsen durchaus keine Korneliusse heraus, wie solches auch der Herr Selbst gar deutlich gezeigt hat, als Er in einem Gleichnisse mehrere Freunde zu einem Gastmahle lud, und die Freunde aber sich mit allerlei entschuldigten, darum sie der Einladung nicht folgen mögen. Der eine hat mit ein Paar Ochsen etwas zu tun; ein anderer ist in Heiratsangelegenheiten; ein dritter kauft einen Grund, und so kann keiner kommen. – Sehet, das sind Weltzottler, die die Fortschritte des Geistes sicher nicht beschleunigen. Sie sind zwar sonst sehr respektable Freunde des Herrn, sonst hätte Er sie nicht laden lassen; aber nur die Zeit fehlt ihnen, zu kommen.
[GS.02_054,16] Der Herr aber spricht zum reichen Jünglinge: Gib alles hintan und folge Mir nach, so wirst du einen Schatz im Himmel dir bereiten, oder mit andern Worten: Du wirst die Vollendung deines Geistes überkommen!
[GS.02_054,17] Wer diesem Rufe nicht so folgt, wie ihr von meinen Brüdern, den Aposteln wisset, wie diese dem Herrn auf den ersten Ruf gefolgt sind, der muß sich denn auch gefallen lassen, daß der Herr mit ihm ebenso herumzottelt, wie der Gerufene es zu tun pflegt mit dem Herrn. Daraus aber können wir folgende ganz kurze Regel ziehen:
[GS.02_054,18] Je mehr Weltzottelei, desto weniger geistigen Fortschrittes; je weniger Weltzottelei, desto beschleunigter die Fortschritte des Geistes. Mit gar keiner Weltzottelei aber kann aus jedem Menschen ein Kornelius herauswachsen. – Mehr brauchet ihr nicht; daher öffnet das Pförtlein und steiget in die lichte Freie! –
55. Kapitel – Beschreibung des höchsten Standpunktes.
[GS.02_055,01] Wir sind an Ort und Stelle; was saget ihr denn zu diesem Anblicke? Hat das Auge eines auf der Erde lebenden Menschen, ich meine, das Auge seiner Seele, je in seiner allertiefsten Phantasie etwas Ähnliches auch nur geahnt?! Sehet, der noch außerordentlich große Rundplatz, auf dem wir uns befinden, ist hellgrünstrahlend, und dieses Strahlen ist kein wogendes, sondern ein ruhiges Strahlen. Womit wäre wohl dieser Boden zu vergleichen? Etwa mit einem überaus wohl polierten Smaragde? O welch ein matter Vergleich wäre das. Sollte man etwa den Boden mit dem allerfeinsten Seidensamt vergleichen, der da strahlet, als wären die Fäden, aus denen er bereitet ist, aus grünem Golde angefertigt? Ich sage, auch dieser Vergleich ist matt und paßt nicht hierher. Ja, mit irdischen Vergleichen werden wir da durchaus nicht weiterkommen. Wir werden daher etwas höher greifen müssen; unsere Hände werden wir weit hinaus in den endlosen Raum strecken und in selbem einzelne Planetarsonnen treffen, die mit einem solchen grünen Lichte ihre sie umgebenden Weltkörper erleuchten. Ja, eine Sonne muß es sein, und diese muß als eine flache Scheibe hiehergelegt werden; dann ist der Vergleich richtig.
[GS.02_055,02] Also das wäre der Boden, auf dem wir jetzt stehen; er ist wie eine mächtig strahlende Ätherfläche einer Sonne, und dennoch ist er fest wie ein Diamant. Was saget ihr zu dieser endlosen Pracht? Ihr seid stumm und möget kein Wörtlein hervorbringen. Ja, meine lieben Freunde und Brüder, das ist auch vollkommen begreiflich; denn wo es uns lichtgewohnten Geistern des Himmels schwer wird zu reden, da wird es auch euch sicher um so schwerer werden, indem ihr von dergleichen Lichterhabenheiten in solcher unermeßlichen Fülle noch nie in eurem Gemüte etwas zu sehen bekommen habt.
[GS.02_055,03] Lassen wir aber dieses; den Boden hätten wir angeschaut, wenden wir unsere Blicke nun auf die unaussprechlich prachtvolle Umfassung dieses großen freien Platzes. Sehet, ein weißes Geländer umgibt zuerst diesen ganzen großen freien Platz. Von zehn zu zehn Klaftern aber steigt vom Geländer aus ein über hundert Klafter hoher Obelisk. Seine strahlende Farbe ist ebenfalls blendend weiß; zu oberst aber, sehet, ziert einen jeden solchen Obelisk eine bald rot, bald grün, bald blau, bald violett, bald gelb, und so noch durch mehrere Farbnuancen hindurch gar mächtig strahlende ziemlich große Kugel. Es nimmt sich dieses so aus, als stünde zu oberst eines jeden solchen Obelisken, deren es um diesen großen freien Platz noch immer viele Hunderte gibt, eine allerbarste Sonne, die da gar mächtig diesen freien Platz erleuchtet.
[GS.02_055,04] Man könnte hier freilich sagen: Wozu auf einer solchen Zentralsonne noch so viel leuchtende Körper? Es wäre wohl fürs Auge wohltuender, eher auf eine Verminderung als auf eine solche Verstärkung des Lichtes anzutragen. Ich sage euch: Dafür ist eben durch die Aufstellung solcher mächtig leuchtenden Körper gesorgt. Solches, saget ihr, ist eben nicht leicht zu begreifen. Ich aber sage euch, daß solches ganz natürlich und leicht begriffen werden kann. Wieso denn, auf welche Weise? Dafür, meine lieben Freunde, gibt es auch wohl schon auf der Erde eine Menge recht handgreiflicher Beispiele, und das naturmäßig und geistig genommen.
[GS.02_055,05] Sehet, wenn bei euch zur Sommerszeit alle Vegetation in weißer Farbe zum Vorschein käme, und zwar sogestaltig weiß, wie da ist der Schnee des Winters, da kann ich euch ganz bestimmt versichern, ihr könntet zur Tageszeit nicht möglicherweise ins Freie treten, ohne ehestens von der überaus starken Macht des Lichtes gänzlich geschmolzen und aufgelöst zu werden; denn die Strahlen der Sonne fallen zur Zeit des Sommers zu intensiv auf die Oberfläche desjenigen Teiles der Erde, den ihr bewohnet. Zur Winterszeit aber ist die weiße Farbe von guter Wirkung; denn ohne diese würde das Licht zu wenig Wirkung haben; und es würde mit der Zeit die Kälte so sehr zunehmen, daß ihr unmöglich es in der freien Luft aushalten könntet. Aber die weiße Farbe des Schnees wirft das Licht wieder zurück und erwärmt dadurch nachträglichermaßen die Luft.
[GS.02_055,06] Zur Sommerszeit aber muß die Vegetation die Oberfläche der Erde buntfarbig überdecken; durch diese weise Vorrichtung wird der Sonne intensiver Strahl in seinem wirksamsten Teile verzehrt, und nur der sanfte Teil desselben bricht sich aus der buntfarbigen Oberfläche des Erdbodens wieder zurück. Ihr könntet auch ein ähnliches Phänomen künstlich im Kleinen versuchen, und da gebe ich euch solches an.
[GS.02_055,07] Stellet zur Nachtzeit auf die Mitte eines Tisches eine stark leuchtende argandische Lampe. Wenn ihr sie einzeln dastehend betrachtet, so wird ihr Licht euer Auge beleidigen; nehmet aber mehrere Lampen, stellet sie um diese weißflammende herum, und stecket über ihre weißen Flammen verschieden gefärbte Glaszylinder. Dadurch werdet ihr ein Licht von allerlei Farben bekommen, d.h. eine jede dieser umstehenden Lampen wird ein anders gefärbtes Licht ausstrahlen. Was wird aber davon der Effekt sein? Der Effekt wird folgender sein, daß ihr das Licht der mittleren weißen Lampe ohne den allergeringsten Anstand werdet ganz bequem anschauen können, und es wird euch vorkommen, daß es dadurch in eurem Gemach dunkler geworden ist beim Brande von wenigstens zehn Lampen, als es ehedem bei dem Brande der einen weißen der Fall war. Daß solches richtig ist, zeigt euch tagtäglich die ganze Natur wie auch die aus ihr geschöpfte Erfahrung, nach der Weise angestellt, wie ich es euch nun kundgegeben habe.
[GS.02_055,08] Geistig muß aber die Sache auch richtig sein; warum denn? Weil sie im Geiste eher als in der Natur vorhanden sein muß. Ist sie aber geistig richtig, dann ist auch schon für die naturmäßige Richtigkeit der unumstößliche Beweis geliefert. Wird solch ein Beweis für die geistige Richtigkeit wohl schwer zu liefern sein? O nein! Ihr selbst habt dafür schon ein recht gutes Sprichwort, welches diesfalls unsere Sache allergenügendst erklärt; und dieses Sprichwort lautet: Ex omnibus aliquid et in toto nihil. – Ein Mensch, der in allen Fächern des menschlichen Wissens bewandert sein will, in dessen seelischer Leuchtkammer wird es gewiß sehr buntstrahlig aussehen. Fasset aber alle diese Strahlen zusammen, so werden sie kaum so viel Stärke haben, um zur Nachtzeit ein Gemach allenfalls so zu beleuchten wie Sonnenkäferchen, und im Geiste wird sich solcher Effekt auch auf das Deutlichste aussprechen; denn solche vielwissenschaftlich gebildete Menschen sind weder im einzelnen, noch im ganzen tüchtig, um über eines oder das andere eine allen Anforderungen genügende Ansicht von sich zu geben.
[GS.02_055,09] Ich meine, dieses ist so deutlich gegeben, daß wir darüber kein Wort mehr zu verlieren brauchen und können uns daher wohlunterrichtet wieder auf unsere herrliche freie Fläche wenden und da genügend erkennen, zu welchem Zwecke hier solche Lichtwechslungen angebracht sind. Und so hätten wir den Boden dieses Platzes und seine Umfassung hinreichend betrachtet.
[GS.02_055,10] Nun aber schauet noch in die Mitte dieses großen freien Platzes hin; dort erhebt sich noch ein mächtig großes Säulenrondell, welches zu oberst mit einer dunkelrot strahlenden Krone überdeckt ist. Der Säulen, die diese Krone tragen, gibt es dreißig; eine jede ist von der andern zwei Klafter entfernt. In der Mitte dieses Säulenrondells entdecket ihr einen karminroten Altar, auf dem unser bekanntes Querholz liegt. Dahin wollen wir uns auch sogleich begeben und dann wohl acht haben, was alles sich noch auf dieser herrlichen freien Fläche zutragen wird. Zugleich aber mache ich euch auch darauf aufmerksam, daß eben dieses mächtige Säulenrondell, dessen Säulen von hellichtblauer Farbe sind, den von euch bisher vermißten zwölften Stock dieses Gebäudes von der Ferne her gesehen, bildet. Da wir nun mit diesem Anstande zurecht sind, so begeben wir uns sogleich in das Rondell und warten dort ab, was alles sich noch unseren Blicken darstellen wird. – Und so denn gehen wir.
56. Kapitel – Warum ist man inmitten aller Pracht so allein?
[GS.02_056,01] Wir sind in dem Rondell und am Altare; wie ihr sehet, so sind wir auch hier noch, wie ihr zu sagen pflegt, mutterseelenallein. Ihr saget hier freilich wohl: Das ist aber auch sonderbar genug auf dieser Welt, wohin wir nur immer kommen, entdecken wir wohl die größte Pracht, und in der Pracht spricht sich auch die größtdenkbarste Weisheit aus; aber Menschen scheinen hier fortwährend einen ewigen Feiertag zu haben und sitzen neben ihrer größten Pracht in ihren Kammern. – Es wäre ja doch angenehm und überaus erheiternd, auch nur ein Paar miteinander wandeln zu sehen; aber so sieht man nichts als die tote Pracht, der das Leben fast gänzlich zu mangeln scheint. Also sind wir auch hier auf diesem freien Platze von lauter Wundern menschlicher Kühnheit und Weisheit umfangen; aber die Baumeister sind, Gott weiß es wo, verborgen.
[GS.02_056,02] Fürwahr, dieses Hauptgebäude in seinem Gesamtumfange ist etwas so Großartiges und erhaben Prachtvollstes, daß wir es gar nicht zu denken vermögen, als sei es ein Menschenwerk; denn so etwas ist nur Gott möglich zu erbauen, aber Geschöpfen scheint es kaum möglich zu sein. Und wenn es im Ernste Geschöpfe dieser Welt erbaut haben sollen, so müssen sie fürs erste Riesenkräfte besitzen, fürs zweite müssen sie eine Ausdauer und einen Mut haben, wovon sich noch kein menschlicher Geist einen Begriff machen kann, und fürs dritte muß ihr vollendeter Sinn so sehr weise ästhetisch sein, daß sich über denselben hinaus ebenfalls kein Atom mehr denken läßt. Und dennoch ist von all diesen wunderbaren Menschen in der Freie nirgends etwas zu erblicken. Warum denn nicht?
[GS.02_056,03] Sind diese Menschen so schüchtern, so eingezogen oder haben sie, wie schon bemerkt, gerade zu der Zeit, so wir irgend anlangen, Feiertag oder, weil es hier keine Tage gibt, eine gemessene Ruhezeit?
[GS.02_056,04] Liebe Freunde und Brüder, bei dem letzten Ausspruche verbleibet, und ihr habt den richtigen Grund gefunden, vermöge welchem gerade zu der Zeit, wo wir uns an irgendeinem Orte befinden, diese Menschen eine gewisse Rast oder Ruhe halten. Ist diese zu Ende, dann dürfet ihr glauben, daß es bei euch auf der Erde in der allerbelebtesten Weltstadt nicht so lebendig zugeht, wie an einem solchen Orte.
[GS.02_056,05] Denn nicht leichtlich würdet ihr auch auf der Erde einen volkreicheren Ort antreffen als dieser da ist, auf dem wir uns gegenwärtig befinden. Und ihr könnet es wohl glauben, daß sich in diesem Gebäude über zehn Millionen Menschen aufhalten; denn wie groß dieses Gebäude ist, davon habt ihr euch von der Entfernung her schon einen kleinen Begriff machen können.
[GS.02_056,06] Betrachtet nur einmal diesen Platz, auf dem wir uns noch befinden, und ihr müßt euch gestehen, daß er groß genug wäre, eine der größten Städte von eurem Europa aufzunehmen; und dennoch beträgt er kaum ein Viertel des ebenerdigen Durchmessers dieses großen Gebäudes. Dazu können wir solche Größe auch nur mit unseren geistigen Augen leicht überschauen, und sie wird uns so gestaltet erträglich.
[GS.02_056,07] Mit euren leiblichen Augen würdet ihr da nur sehr kleine Partien auf einmal zu überschauen imstande sein; denn der Maßstab ist zu groß für die Pupille eines fleischlichen Auges und würde sich nach allen Seiten hin verengen und sich auch etwas ins Blaue zu verlieren anfangen. Aus diesem aber könnet ihr sicher den Schluß ziehen, daß es in den freien Zeiten in all diesen Räumen und in der ganzen weiten Gegend sehr lebendig zugeht.
[GS.02_056,08] Zudem ist es besonders hier auch notwendig, daß ihr mit diesen überaus schönen Menschen nicht eher eine sichtbare Bekanntschaft machet, als bis ihr euch an den so sehr erhabenen Dingen, welche voll der tiefsten Bedeutung sind, ein wenig abgestoßen habt. Denn würden wir sogleich mit diesen allerwunderbarst schönen Menschen in eine Verbindung treten, bevor ihr alles andere Wichtige angeschaut und gehörig nutzbringend betrachtet habt, so würdet ihr euch in die Menschen so sehr vergaffen, daß euch alles andere noch so erhaben Pracht und Bedeutungsvollste um eine hohle Nuß feil wäre! – Aus eben dieser Ursache aber muß ich euch auch an einen Ort zu einer solchen Zeit hinbringen, in der die Bewohner dieses Ortes gerade ihre Ruhe zu halten pflegen.
[GS.02_056,09] Daß es aber hier überaus lebendig vor sich geht, davon werdet ihr euch bald überzeugen. Wir werden durch unsere bekannte Manipulation dieses Holz auf dem Altare brennend machen, und sobald werden sich die Räume dieses weiten Platzes von allen Seiten her zu füllen anfangen.
[GS.02_056,10] Ihr möchtet wohl wissen, ob diese Menschen hier von unserer Gegenwart irgendeine Ahnung haben oder uns etwa wohl gar zu sehen imstande sind? – Ich sage euch: Vorderhand ist weder das eine noch das andere der Fall. Aber wir werden uns hier ihnen zeigen und uns mit ihnen auch in eine Zwiesprache einlassen und das darum, damit ihr alles kennenlernet, wie es hier zugeht; denn wir werden uns nach diesem Orte sobald von dieser Welt hinwegbegeben und noch der Glanzoberfläche eurer Sonne eine kleine Visite abstatten.
[GS.02_056,11] Daher wollen wir uns denn hier auch den Bewohnern zeigen und uns mit ihnen über manches besprechen, damit ihr dadurch selbst erfahret, wessen Geistes Kinder sie sind.
[GS.02_056,12] Ich mache euch aber zum voraus aufmerksam, daß ihr euch ja niemandem nähert und ihn anrührt, denn solches würde euch vor der Zeit von dieser Welt hinwegbringen, und ihr könntet den zu mächtig reizbaren Eindruck nicht ertragen. Solches muß sogar ich beachten, der ich doch schon gar lange alles Naturmäßigen ledig bin, und darf ebenfalls keinen hier noch in seinem Leibe lebenden Menschen anrühren.
[GS.02_056,13] Ihr fraget freilich, warum denn ich solches nicht dürfe. Bei mir ist es wieder der umgekehrte Fall. Diese Menschen haben einen zu entsetzlich großen Begriff von den Kindern des Herrn; und ihre Achtung und Liebe zu diesen Kindern des Herrn ist zu unbeschreiblich heftig und stark, daß sie sich darob durch eine Berührung von mir alsbald aus lauter Liebe verzehren und am Ende gänzlich auflösen würden.
[GS.02_056,14] Daher wird es euch auch gar nicht wundernehmen dürfen, so ihr mich schroff ernstlich werdet mit diesen Menschen reden sehen und hören; denn solches muß ich tun aus Liebe zu ihnen. Desgleichen müsset auch ihr beobachten.
[GS.02_056,15] Durch eine äußerlich liebevoll scheinende Behandlung würdet ihr ihnen bei weitem mehr schaden als nützen; denn also ist alles in der Ordnung des Herrn bestellt.
[GS.02_056,16] Der Leib des Menschen hat ebenfalls verschiedene Teile, die zwar zu einem gemeinsamen Lebenszwecke tätig sind und auch sein müssen; möchte sich aber jemand irgendein Glied abschneiden und es etwa aus lauter Liebe zu diesem Gliede in sein Herz hineinarbeiten wollen, so wird er dadurch nicht nur das Glied, sondern auch das Herz töten.
[GS.02_056,17] Also bleibt aber auch dieselbe Ordnung unter den mannigfaltigen Dingen und Geschöpfen in dem unermeßlichen Schöpfungsgebiete des Herrn. Sie sind alle füreinander gegenseitig da und dienen sich gegenseitig zu ein und demselben Lebenszwecke; aber nur müssen sie sich nicht selbst versetzen und verwechseln, was durch eine ungeregelte und unzeitige Liebe geschehen kann, wollen sie sich nicht gegenseitig verderben.
[GS.02_056,18] Unter einer gerechten, ordnungsmäßigen, weisen Beschränkung können wir uns allen Geschöpfen nahen und uns mit ihnen in einen gerechten wechselseitigen Rapport setzen auf die Weise, wie da alle Glieder eines Leibes im beständigen Rapporte stehen; was darüber ist, das ist verderblich. – Und so denn machet euch gefaßt; ich werde meine Hand an den Altar legen, die Flamme wird das Holz ergreifen, und von hundert und aber hundert Seiten her werdet ihr sobald Menschen herzueilend erschauen.
[GS.02_056,19] Ich lege nun meinen Finger an den Altar; sehet, das Holz ist von Flammen ergriffen, – und nun sehet hinaus, wie sich die Pförtlein zu öffnen anfangen!
57. Kapitel – Jede Welt hat ihre Ordnung und Gesetze des Bestehens.
[GS.02_057,01] Und sehet ferner! Schon entströmen den hundert und aber hundert Pförtlein ernstheitere Scharen und eilen behende hierher. Sehet einmal die herrlichen Menschen an; wie unbeschreiblich schön sind ihre Formen; welche Weichheit und welche harmonische Zartheit in allen Teilen! Der Mann unterscheidet sich von dem Weibe nur durch einen mäßigen Bart und durch die flache Brust, in allem übrigen ist er ebenfalls von großer Weich- und Zartheit und stellt in aller Fülle eine vollkommen männliche Gestalt dar. Seine ganze Kleidung ist, wie ihr sehet, ein einziges Hemd, ein wenig bis unter seine Knie hinabreichend. Das Hemd des Mannes ist von lichtblauer Farbe und hat den Glanz wie das Gefieder am Halse eines Pfauen bei euch. – Das Weib hat eine rosenrote Schürze nur um die Hüfte gehangen, so daß diese Schürze ihren Bauch bis hinab zu den Waden, also auch ihre Schenkel und ihr Gesäß bedeckt. Der obere Leib ist teilweise frei, nur mit den reichlichen lichtgoldstrahlenden Haaren bedeckt.
[GS.02_057,02] Betrachtet nun eine solche weibliche Gestalt in der Nähe; sehet die unbeschreibliche Feinheit ihrer Haut an; könnt ihr euch erinnern, auf der Erde je irgendeine so zarte Oberfläche eines Gegenstandes gesehen zu haben? Seht ihr auf diesem Leibe irgendeine allergeringste Falte oder irgendein Hervortreten der Haut, genötigt durch einen Knochen oder einen Knorpel des inwendigen Leibes?
[GS.02_057,03] Sehet, so blank und flach eine allerfeinst gedrehte und polierte Kugel ist, da nirgends eine das ästhetische Auge störende Erhöhung zu ersehen ist, also blank flach abgerundet ist auch allenthalben der Leib eines solchen Weibes; und da ist kein Unterschied zwischen Jung und Alt, im Gegenteile, je älter hier ein Weib wie auch ein Mann wird, desto vollendeter bilden sich ihre Formen aus; ja im hohen Alter von manchmal mehr denn tausend Jahren werden diese Menschen so außerordentlich vollkommen schön, daß da ihre wahrhaft ätherisch seelische Schönheit durch keines Wortes Kraft und Macht dargestellt werden kann.
[GS.02_057,04] Ja, die Schönheit eines solchen hochbejahrten Menschenpaares hier ist nicht selten so außerordentlich groß, daß sie, so sie irgend auf eurer Erde sich befände, im Ernste gesprochen die härtesten Steine wie Wachs zerfließen machen würde.
[GS.02_057,05] Ja, eure ganze Erde wäre nicht imstande, solch eine glänzendste Schönheit einer menschlichen Form zu tragen und daneben zu bestehen. Würde die Erde gleichwohl Meister der schönen Form, so aber könnte sie dennoch das für einen Erdbewohner unaussprechlich und unbegreiflich intensive Licht eines solchen Menschen nicht ertragen; denn ihr könnt es mit Bestimmtheit annehmen, daß ein solcher Mensch hier eine größere Masse Licht aus sich herausströmen läßt als nicht selten eine ganze Planetarsonne zur Erleuchtung und Erwärmung ihres ganzen Planetargebietes.
[GS.02_057,06] Ihr saget hier freilich und fraget: Wenn solches also der Fall ist, so fragt es sich, welchen Stoffes wohl der Leib dieser Menschen ist, der da bestehen kann in solch einer endlos und unberechenbar allermächtigsten Lichtfülle. Denn wir auf der Erde wissen es, daß selbst der Diamant in einer durch die Hohlspiegel bewirkten und auf einen Punkt zusammengedrängten Strahlenmasse aus der Sonne nicht bestehen kann, sondern sich sobald verflüchtigt; und doch ist solch ein Strahlenpunkt vielleicht nicht der äonste Teil der gesamten Lichtstärke der Sonne. Hier aber soll ein einzelner nicht viel größerer Mensch, als wir es sind, eine so intensive Lichtmasse in sich und um sich fassen, daß mit solcher Lichtfülle eine ganze Planetarsonne für all ihre Planeten mit einem vollkommen hinreichend starken Lichtgrade über alle ihre weit gedehnten Gebiete könnte gesättiget werden.
[GS.02_057,07] Sonach läßt sich bei solcher vergleichenden Betrachtung, lieber Freund und Bruder, wohl gar sehr die Frage stellen, aus welchem Stoffe solche Menschen wohl erschaffen sein müssen, um solch einen unaussprechlich mächtigen Grad des Lichtes zu ertragen?
[GS.02_057,08] Meine lieben Freunde und Brüder! Wenn ihr hier auf dieser Sonne nach rein irdischen Begriffen und Verhältnissen urteilet, da werdet ihr wohl schwerlich je zu einem richtigen Resultate gelangen; wenn ihr aber euch das zu einem Grundsatze machet und saget: Eine jede Welt und eine jede Sonne hat ihre eigentümlichen Gesetze, unter denen sie besteht, – so werdet ihr der Wahrheit und der Grundursache solch eines Bestehens im Lichte um ein sehr Bedeutendes näher gerückt sein.
[GS.02_057,09] Zudem habt ihr ja ähnliche Verhältnisse schon auf eurer Erde. Gehet von einem Lande ins andere, von einem Weltteile in den andern und von einer Insel auf die andere, und ihr werdet da schon so bedeutende Verschiedenheiten in den Lebensverhältnissen finden, daß ihr euch darüber nicht genug zu verwundern imstande sein werdet. Betrachtet ihr dazu noch, wie es in allen Elementen noch lebende Wesen in zahlloser Menge gibt, so werdet ihr noch mehr darüber zur Klarheit gelangen, daß das Leben sich unter den verschiedenartigsten äußeren Verhältnissen aussprechen und erhalten kann. Wenn aber solches schon auf der Erde materiell genommen bei euch klarst bemerkbar wird, um wieviel mehr gilt dann solche Regel für verschiedene Weltkörper.
[GS.02_057,10] Es gibt bei euch Tiere in zahlloser Menge, die außer dem Wasser keine Minute lang zu leben imstande sind; dann aber gibt es Tiere und Wesen, die nur unter der Erde im dichtesten Schlamme und selbst in den Steinen einzig und allein ihr Leben zu fristen imstande sind. Solche Schlammtiere in den Tiefen unterirdischer Schlünde sind euch wohl bisher noch gänzlich unbekannt; aber Steintiere, als z.B. Steinfliege, Steinspinne, Steinbiene, Steinkröten u. d. m. sind von den Naturforschern der Erde schon hier und da aufgefunden worden; aber nur wissen es die Naturforscher nicht, daß sich dergleichen Tiere in den Steingattungen selbst produzieren, indem die auch den Stein durchwaltenden Lebenskräfte sich ergreifen und als Intelligenzen sich natürlicherweise in einer Form ausbilden, nach der in sie vom Herrn gelegten Ordnung.
[GS.02_057,11] Ja, wenn ihr die Sache so recht beim scharfen Lichte betrachten würdet, so würdet ihr finden, daß alle Steine, ja das gesamte Wesen eurer Erde nichts als sich mächtig ergriffen habende Klumpen von lauter abgelegten tierischen Leibern oder Lebenslarven sind, und daß diese Lebenslarven noch immer einige, freilich wohl hart gebundene Grundlebenskraft in sich fassen, welche sich hier und da bei leichterem Flottwerden wieder ergreift, aus der leichteren sie umgebenden Materie sich in eine neue mitlebende Form ausbildet und dann in derselben sich eine Zeitlang aufhält zur mächtigeren Stärkung des ersten in dieser neuen Form sich ergriffen habenden Grundlebens.
[GS.02_057,12] Sehet, ein solches Wesen kann dann in solch einer Materie wohl existieren; bringet ihr es aber von da in die freie atmosphärische Luft, so wird es in wenigen Minuten dahin sein. Umgekehrtermaßen aber wird es auch denjenigen Wesen ergehen, deren Lebenselement nur die freie atmosphärische Luft ist. Wenn aber ihr, die ihr nur in der atmosphärischen Luft zu leben vermöget, euch in den überaus leichten Äther begeben möchtet, so wird es euch da geradeso ergehen wie einem Fische, so ihr ihn vom Wasser in die freie Luft emporhebet.
[GS.02_057,13] Desgleichen gibt es aber auch eine zahllose Menge für euch nicht sichtbar lebender Wesen in der Region des Äthers; diese können nur im Äther und nicht mehr in der Luft und noch weniger in einer dichteren Materie leben. – Wesen aber, welche im Äther zu leben imstande sind, sind auch imstande stets mehr und mehr im Lichte zu leben. Sie haben freilich für euch nicht sichtbare Leiber; aber deswegen existieren sie dennoch, und zwar in einer solchen unendlichen Zahlfülle, daß ihr euch davon ewig nie werdet einen hinreichenden Begriff machen können.
[GS.02_057,14] So denn müsset ihr euch auch diese Menschen nicht als grobmateriell-körperlich denken, sondern überaus ätherisch-zart und feinmateriell, welcher Beschaffenheit aber dann das Licht in seiner größten Intensität auch nichts mehr anhaben kann.
[GS.02_057,15] Solche Verhältnisse gibt es ja auch im reinen Geisterreiche, wo es Geister gibt, die überaus schwerfällig und finster sind und daher ihr Leben auch nur in den dichtesten innersten Teilen der Erde fristen können; – und wieder gibt es Geister, welche etwas leichter sind und daher die oberen Teile der Erde wie auch die Gewässer bewohnen, allda ihr Leben fristen und ihr Wesen treiben; – und wieder gibt es Geister, die in der halben unteren Luftregion leben und in derselben ihr Wesen treiben; und wieder gibt es Geister, natürlich von vollkommenerer Art, welche die oberen reineren Luftregionen, etwa von der Gegend der Gletscher angefangen, bewohnen; – und wieder gibt es Geister, welche die erste Region des Äthers, und dann Geister, welche die höchsten und freiesten Ätherregionen und weiten freien Räume zwischen den Weltkörpern bewohnen; – und endlich gibt es allervollkommenste Geister, welche die obersten Sphären der Sonnen bewohnen, die da sind ein ewiges Licht. Und die Geister von unten bis nach oben können einander nicht erschauen, d.h. deutlicher gesprochen: die Geister einer unteren Stufe können die einer höheren Stufe nicht erschauen; wohl aber ist solches umgekehrt möglich und auch in der Ordnung gangbar.
[GS.02_057,16] Solches aber ist auch notwendig, denn würden die unteren unvollkommeneren Geister die oberen vollkommeneren zu erschauen imstande sein, so würden sie dadurch in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden; die vollkommeneren aber müssen die unvollkommeneren sehen, damit sie dieselben allezeit in der gehörigen Hut haben können.
[GS.02_057,17] Aus dieser Betrachtung, meine ich, sollte euch wohl klar werden, wie diese Menschen hier in solcher Lichtintensität gar wohl bestehen können.
[GS.02_057,18] Ihr habt zwar ehedem die Strahlenwirkung der Sonne durch einen Hohlspiegel bewirkt angeführt; ich aber sage euch: Es ist wahr, daß der höchst intensive Lichtpunkt, der da aus dem Hohlspiegel ausgeht, solch große Kraft der Auflösung in sich hat; aber woher kommt denn dieser Strahl? Von nirgendwo anders her, als von dem vom Hohlspiegel aufgenommenen Bilde der Sonne, also endlich doch vom Hohlspiegel her. Da ließe sich denn doch wohl fragen: Wie mag dessen Strahl wohl den Diamant zerstören, während doch die viel leichter zerstörbare Materie des Hohlspiegels selbst nicht den allergeringsten Schaden leidet?
[GS.02_057,19] Eine noch größere Frage wäre diese: Nach der auflösbaren Lichtstärke eines Brennpunktes aus dem Hohlspiegel zu urteilen, muß die Sonne auf ihrer ätherischen Lichtoberfläche ja eine so außerordentlich auflösende Kraft besitzen, daß ein noch bei weitem größerer Weltkörper, als da eure Erde ist, wie ein Wassertropfen am weiß glühenden Eisen im Augenblicke aufgelöst würde, sowie er sich solcher Sonnenlichtglanzfläche nur auf etliche tausend Meilen nähern würde.
[GS.02_057,20] Die Sonne selbst aber ist auch ein dichter materieller, freilich wohl immens großer Klumpen; wie ist es denn, daß dieser Klumpen von der unendlichen auflösenden Kraft nicht auch sobald zerstört wird? Sehet, warum die Sonne in sich selbst gar wohl bestehen kann und noch andere Wesen auf ihr, findet ihr gründlich dargestellt in der ersten Einleitung zur Sonne, welche euch vom Herrn Selbst mitgeteilt ist; und ich sage euch demnach hier nur so viel, daß das Licht allezeit von einem leuchtenden Körper nach außen, aber nie nach dem leuchtenden Körper zurück in solcher zerstörenden Heftigkeit wirkend ist.
[GS.02_057,21] Ihr wisset aber, daß wir uns hier auf einer Zentralsonne befinden, auf welcher das Licht in unmeßbarer Intensität zu Hause ist. Aus diesem Grunde ist hier auch alles so höchst glanzvoll poliert, damit dadurch alles auf die Gegenstände einwirkende Licht trotz seiner immensen Intensität nahe bis auf den letzten Tropfen zurückgeworfen wird und darum mit den Körpern nicht zerstörend in Wechselwirkung treten kann.
[GS.02_057,22] Und nun sehet, aus eben diesem Grunde ist auch die Haut dieser Menschen so unaussprechlich zart und ihre Form so vollkommen als möglich abgerundet. Dadurch wird das auf sie einfallende Licht schnell zurückgeworfen und kann auf sie unmöglich zerstörend einwirken, ebensowenig als das vom Hohlspiegel ausstrahlende Licht auf den Hohlspiegel selbst zerstörend wirken kann, weil es von seiner stark glänzend polierten Oberfläche zurückgeworfen wird. Freilich muß sich die Glanzoberfläche eines Körpers nach dem Grade der auf ihn einfallenden Lichtstärke richten.
[GS.02_057,23] Aus dem aber geht dann hervor, daß auf einer jeden Welt das in Formen gehüllte Leben unter den dazu erforderlichen Gesetzen ganz wohl denkbar ist.
[GS.02_057,24] Ich meine, wir brauchen über diesen Punkt nicht viele Worte mehr zu machen, denn ihr könnet aus dem schon hinreichend entnehmen, daß fürs erste selbst eine Zentralsonne trotz aller ihrer Lichtintensität noch gar wohl zur Tragung frei lebender Wesen tauglich ist, und fürs zweite könnet ihr daraus auch fast mit den Händen greifen, daß die auf solch einer Welt lebenden menschlichen Wesen notwendig von solcher Zartheit und Schönheit sein müssen, ohne die sie nicht auf solch einer Welt zu existieren vermöchten. – Da wir aber nun solches wissen, so können wir uns mit diesen überaus schönen Menschen schon in eine nähere Begegnung einlassen. –
58. Kapitel – Begegnung mit den Bewohnern dieser Zentralsonne.
[GS.02_058,01] Wie sollen wir aber solches tun? Zunächst hängt ein solcher Effekt vom Herrn ab, dann aber von unserem festen Willen; mit diesem müssen wir uns selbst gewisserart fixieren, und haben wir das getan, so wird unsere Wesenheit alsbald sichtbar vor diesen Menschen in die Erscheinlichkeit treten.
[GS.02_058,02] Also tun wir denn auch das, und ihr werdet euch überzeugen in eurem inwendigen Schauvermögen, daß uns diese Menschen als vollkommen anwesend erschauen.
[GS.02_058,03] Wir haben das getan. Und nun sehet, wie diese Menschen ganz große Augen zu machen anfangen, drei ganz weltfremde Gäste unter ihnen zu erblicken! Einigen wird ganz unheimlich zumute, daher ziehen sie sich auch zurück, die andern wissen nicht, was sie aus uns machen sollen.
[GS.02_058,04] Daher geht auch schon eine Deputation an den Ältesten dieses Palastes ab, auf daß er herbeikommen, sein Urteil über uns abgeben und bestimmen solle, wer wir sind.
[GS.02_058,05] Es beraten sich zwar einige Altweise über uns; aber wie wir leicht merken, so hat keiner den Mut, sich uns zu nahen und uns selbst über unsere Wesenheit zu befragen. Es ließe sich hier wohl fragen, woran es so ganz eigentlich liege, daß diese sonst so weisen Menschen den Mut nicht haben, sich uns zu nahen und uns selbst zu fragen. Die Ursache ist eben nicht so schwer zu finden, als man es auf den ersten Augenblick glauben möchte, und so höret denn!
[GS.02_058,06] Zu manchen Gelegenheiten erscheinen diesen Menschen hier Geister. Aber auf diesem Platze ist es durch Ihre Weisheit nicht bekannt, daß sich allda je ein Geist gezeigt hätte noch zeigen möchte, und da sie die Geister nur an bestimmten Plätzen zu sehen gewohnt sind, so fällt es ihnen um so mehr auf, hier auf diesem für alle Geister verpönten Orte nun Wesen zu erschauen, die sie für nichts anderes als Geister erkennen. Dieser Grund klingt freilich wohl, als wäre er ein wenig hohl, aber er ist das mitnichten und läßt sich sogar mit ähnlichen Erscheinungen auf der Erde in ein ziemliches Gleichgewicht bringen.
[GS.02_058,07] Nehmen wir an, es gibt auf der Erde so manche Menschen, welche das Vermögen haben, Geister zu sehen; manche aber, dieselben wenigstens wahrzunehmen. Wenn dergleichen Menschen z.B. in alten Burgen, auf Friedhöfen oder in anderen berüchtigten Gegenden zur nächtlichen Zeit irgend ein oder das andere Geistwesen erschauen, so wird es ihnen weniger als ungewöhnlich auffallen. So es sich aber ereignen sollte, daß sie dergleichen Wesen an einem ganz ungewöhnlichen Orte erblicken, z.B. auf einer öffentlichen Landstraße, auf einem allgemeinen Belustigungsorte oder bei einem öffentlichen Volksfeste, so wird eine solche Erscheinung einen sicher äußerst betrübenden Eindruck auf diejenigen machen, die ihrer ansichtig geworden sind.
[GS.02_058,08] Und sehet, ungefähr einen ähnlichen Eindruck macht unsere Erscheinung auf diese Menschen auf diesem Platze; und das darum um so mehr, weil es bei diesen Menschen für eine Regel und Ordnung gilt, hier nie ein geistiges Wesen zu erblicken, da hier ein Freiplatz ist, von dem alle Geister verpönt bleiben sollen.
[GS.02_058,09] Was aber diese Sache noch für einen ferneren Ausgang nehmen wird, werden wir sogleich erfahren, denn der Älteste naht sich uns schon mit einer Menge Geisterprobungs- und Geisterbannungs-Requisiten.
[GS.02_058,10] Sehet einen langen mit allerlei glänzenden Streifen umwundenen Stab in seiner Hand; ein anderer trägt ein siebeneckiges Tischchen, auf einer jeden Ecke ein anderes geheimnisvolles Zeichen eingegraben. Das zeigt uns, daß es hier auf eine Geisterprobung ausgeht. Ein anderer neben dem Ältesten trägt einen großen goldenen Kreis, welcher freilich von innen hohl ist; aber in dieser Höhlung ist künstlichermaßen ein Band gespannt und ist gewisserart von einer ähnlich magischen Wirkung für den Glauben dieser Menschen, als von welcher Wirkung bei euch sind die sogenannten Amulette oder Skapuliere. Ein dritter trägt hinter dem Weisesten und Ältesten wie ein einstiger römischer Liktor ein ganzes Bündel rotschimmernder Stäbe. Noch ein vierter trägt einen großen Knaul übereinandergewundener Schnüre. Was wohl möchten diese Requisiten alles bezeichnen?
[GS.02_058,11] Die Erfahrung wird es sogleich zeigen. Ihr müsset aber ja nicht erwarten, daß uns sobald jemand anreden wird und fragen, wer wir seien. Solches wird alles durch diese Instrumente geschehen; und so habet nur acht! –
[GS.02_058,12] Sehet, schon hat der Älteste den Kreis auf den Boden niedergelegt und läßt sich von zwei andern Weisen in denselben hineinheben; denn selbst gehen darf er nicht, sonst wäre er nicht hinreichend isoliert von dem Geiste und könnte demselben nicht den gehörigen Willenstrotz bieten. – Nun steht er im Kreise, hebt seinen Stab empor und macht Miene, als wollte er einen gewaltigen Hieb über uns führen. Allein dadurch zeigt er uns nur die Macht seines Willens und die entschlossene Festigkeit seiner Herrschaft über uns Geisterwesen. Wären wir so ganz gewöhnliche Geister dieser Welt, so müßten wir, wie ihr zu sagen pflegt, Reißaus nehmen. Da wir aber nicht Geister von dieser Welt sind, so bleiben wir stehen. – Was wird aber jetzt geschehen?
[GS.02_058,13] Sehet, jetzt wird der geheimnisvolle Tisch auch in den Kreis hineingestellt, und der Älteste haucht die Eckzeichen an, bestreicht darauf den Tisch mit dem Stabe und führt ihn nun an unsere Gesichter. Wären wir Geister von dieser Welt und dazu etwas hartnäckiger Natur, so müßten wir uns jetzt ebenfalls sobald davonmachen, wollten wir nicht am Haupte in den Brand übergehen.
[GS.02_058,14] Da uns aber auch diese Manipulation nicht angegriffen hat, so wird nun der Schnurknäul hineingereicht. Das eine Ende wird an dem Stabe befestigt, den der Älteste in seiner Hand hält und ihn zugleich auf den geheimnisvollen Tisch stützt, der Knaul aber wird dann hinausgegeben. Und sehet, alle Anwesenden nehmen diesen Knaul von Hand zu Hand, stets abwindend, und ein jeder behält die Schnur in der Hand. Was soll denn das bedeuten? Das bedeutet die Verstärkung des Willens; man könnte diese Schnur eine magnetische nennen. Durch diesen allgemeinen Willensrapport sollen wir ganz bestimmt weichen, sobald der Stab über uns gesenkt wird; – allein wir weichen nicht.
[GS.02_058,15] Daher machen unsere schönen Geisterbannungs-Manipulanten beiderlei Geschlechts ganz verzweifelte erschrockene Mienen, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu den exorzistisch mächtigen Stäben zu greifen. Sehet, die Stäbe werden schnell verteilt, und der Älteste im Kreise nimmt drei, während ein jeder andere nur einen empfängt. Der Älteste schlägt sich nun dreimal auf die Achseln; desgleichen tun auch die andern. Das solle uns ganz bestimmt zum Weichen bringen, so wir Geister wären. Weil wir aber nicht weichen und uns bei all dieser verhängnisvollen Manipulation ganz wohl befinden, so werden wir nun nicht mehr für Geister, sondern für Wesen ihresgleichen gehalten; freilich wohl nicht für solche, die in einem solchen Palaste geboren sind, sondern für ganz gewöhnliche Landstreicher, die sich unbefugtermaßen die große Keckheit genommen haben, dieses außerordentliche Heiligtum der allervornehmsten und weisesten Menschen dieses großen Kreisgebietes zu betreten, welches freilich wohl mehr Flächenraum hat als einmalhunderttausend eurer Erden. – Was wird aber in dieser Hinsicht nun mit uns geschehen?
[GS.02_058,16] Sehet, der Kreis wird aufgehoben, das Tischchen weggetragen und der Exorzismus körperlichermaßen auf uns angewendet.
[GS.02_058,17] Aber nun sehet, der Älteste hat soeben mit seinen drei Stäbchen auf meine Achsel einen Hieb geführt, und seine Stäbchen sind gewisserart ganz leicht durch meinen erscheinlichen Leib gefahren. Das war aber auch genug, um diese gesamte Menschenmasse in einen verzweifelten Schreck zu versetzen.
[GS.02_058,18] Was werden denn diese erschreckten Menschen jetzt tun? Einige entferntere, die sich den Pförtlein näher befanden und glücklicherweise an dem Schnur-Exorzismus wegen ihres Fernestehens nicht teilnehmen konnten, haben es schon getan, das heißt, sie haben das sogenannte schnelle Consilium abeundi genommen. Die an der Schnur Teilhabenden samt dem Ältesten möchten auch desgleichen tun. Aber der Älteste will doch vor seinen Kindern keinen unweisen Feigfuß machen; daher hat er sich bereits entschlossen, nicht an uns, sondern vorerst an die Seinen eine zu beherzigende Anrede zu richten. – Sehet, er deutet ihnen an, aufmerksam zu sein, und richtet soeben diese Worte an sie:
[GS.02_058,19] Höret, ihr meine Kinder und Kinder der Kinder! Ich habe gegen diese drei geheimnisvollen Wesen alles in Anwendung gebracht, was seit undenklichen Zeiten der Zeiten allezeit mächtig gewirkt hat auf dergleichen Gäste, wo immer sich dieselben gezeigt haben. Waren sie guter Art, wie wir es sind, so offenbarten sie sich uns sogleich und gaben uns treulich an, wes Grundes sie erschienen sind. – Waren sie aber listiger Art, als da gewöhnlich sind Geister derjenigen aus den Landgebieten, denen es nie gestattet war, zufolge ihrer unausgezeichneten Lebensweise, sich diesem heiligen Wohnorte zu nahen, so mußten sie selbst bei ihrer größten listigen Hartnäckigkeit wenigstens bei der letzten Stäbe-Manipulation und bei der vollsten Konföderation unseres Willens sobald weichen.
[GS.02_058,20] Wären sie natürliche Wesen, so wären sie vor meinem Dreistabhieb sicher sobald gewichen; allein, wie ihr alle gesehen habt, mein Hieb fuhr durch das ganze mittlere Wesen und dasselbe rührte sich nicht. Also ist solches ein Zeichen, daß diese Wesen höherer Art sein müssen.
[GS.02_058,21] Daher habe ich mich mit meinem ganzen Leben entschlossen, mich diesen Wesen zu nähern und mich allerdemütigst zu erkundigen, was da wohl der Grund solch einer gänzlich ungewöhnlichen Erscheinung sein dürfte. Haltet aber dessen ungeachtet fest an der Schnur, damit wir dadurch ja mit einem Herzen und mit einem Willen uns diesen geheimnisvollen Wesen wirksam zu nähern vermögen. –
[GS.02_058,22] Sehet, nach diesem Aufrufe bewegt sich unser Ältester, der seinem Aussehen nach gleichwohl der Jüngste heißen könnte, zu uns mit der größten hier sittlichen Ehrfurcht, welche darin besteht, daß er seine beiden Hände über die Stirn legt, um dadurch anzuzeigen, daß seine Weisheit vor uns null und nichtig ist, und dann mit freier Brust uns entgegentretend, um anzuzeigen, daß er alle seine Liebe und sein Leben uns zum Opfer zu bringen bereit ist.
[GS.02_058,23] Nun steht er vor uns; welch ein Adel, welch eine allererhabenste Schönheit in seiner Form! Läßt sich etwas Zarteres und Weicheres auch nur ahnen? – Ich meine, solches wird wohl von euch keinem möglich sein. Nun aber macht dieser unbeschreiblich schöne Mensch Miene, mit uns zu reden, und so denn wollen wir ihn anhören! –
59. Kapitel – Bedingungen zur Erlangung der Gotteskindschaft.
[GS.02_059,01] Höret ihn an denn er beginnt Worte an uns zu richten, und die Worte lauten:
[GS.02_059,02] (Der Älteste:) Höret mich an, ihr überaus geheimnisvollen Wesen! Ich habe nach unserer weisen Art unsere von alters her allezeit sicher wirkenden Schutzmittel angewendet; sie halfen aber nichts. Ihr seid Geister; denn solches erkannte ich mittels eines Stabhiebes, und ihr müsset gar überaus mächtige Geister sein, da euch alle meine Schutzmittel nicht hintanzutreiben vermochten. Gebet mir aber doch kund, wer und woher ihr seid, auf daß ich mit meinem ganzen großen Hause mich zu einem würdigen Empfang eurer Wesenheit vorbereite.
[GS.02_059,03] Wir haben wohl Kenntnisse in unserer tiefsten Weisheit, daß Gott der Herr, der allmächtige Erschaffer aller Dinge, unserer großen Welt und anderer Welten und aller hohen Geister, einst auf irgendeiner Welt Sich niedergelassen und die Kinder solcher Welt zu den Seinigen gemacht hat. Und diese Kinder, als Kinder des unendlichen Gottes, sollen von einer unendlichen Vollmacht und Stärke sein, und das in jeder Beziehung, sowohl in der wirkenden Kraft als auch in der dazu erforderlichen Weisheit.
[GS.02_059,04] Saget mir, seid ihr etwa von dort her? Denn seid ihr von dort her, dann wehe uns allen armmächtigen Bewohnern dieser Welt! Denn wir wissen aus unserer tiefsten Weisheit, daß dergleichen Kindergottesgeister nicht nur eine solche Welt, wie da die unsrige ist, sondern ganze Heere solcher Welten mit einem leisen Hauche zu vernichten imstande sind.
[GS.02_059,05] Seid ihr demnach Geister solcher Art und sind wir grobe Sünder vor euch, so fordert Opfer zur Sühnung; aber nur verderbet uns unsere Welt nicht!
[GS.02_059,06] Nun rede ich: Höre mich an, du weiser Ältester dieses Ortes! Wir sind das, als was zu sein du uns bezeichnet hast. Aber wir sind nicht im geringsten darum hier, um etwa eure Welt und euch zu vernichten, ja nicht einmal ein Haar soll euch gekrümmt werden, und nicht das geringste Opfer sollet ihr uns darbringen; denn solches gebührt allein Gott, dem Herrn, unserem allerliebevollsten Vater, der da lebet, schaffet und regieret von Ewigkeit zu Ewigkeit!
[GS.02_059,07] Aber solches möchten wir uns von euch erbitten, daß ihr uns für eine sehr kurze Dauer mit derselben Liebe aufnehmen sollet, mit welcher wir zu euch gekommen sind, nämlich mit der Liebe Gottes in euren Herzen.
[GS.02_059,08] Der Zweck unseres Hiererscheinens aber ist, nach dem Willen des Herrn einen belehrenden Blick in eure Welt zu tun und euch bei solcher Gelegenheit auch zu verkündigen die große und unendliche Liebe und Erbarmung Gottes zu all Seinen geistig lebendigen Geschöpfen!
[GS.02_059,09] Daher fürchtet euch nicht vor uns; sondern seid fröhlich und voll heiteren Mutes; denn Gott, unser Herr und Vater, hat alle Seine Geschöpfe für Freude und Seligkeit nur, aber nie für Schrecknisse, Traurigkeiten, Qualen und Schmerzen erschaffen!
[GS.02_059,10] Nun spricht der Älteste: Eine überaus große Ehre und ein ebenmäßig großes Lob sei dem heiligen Erschaffer aller Dinge, daß Er uns so gnädig heimgesucht hat in Seinen endlos großmächtigen Kindern. Wir sind nun überzeugt, daß ihr nicht zu unserem Untergange, sondern nur zu unserer großen Wohlfahrt hierhergekommen seid; daher aber seid uns auch wie kein Ding auf dieser Welt und kein Geschöpf in der größten Volliebe unserer Herzen willkommen!
[GS.02_059,11] Hier wendet sich der Älteste zu seinen Kindern und spricht zu ihnen: Sehet hierher, alle Kinder meines Hauses! Der große Gott hat uns gar lieblich heimgesucht, um uns zu zeigen die Nichtigkeit unserer Weisheit und die Schwäche unserer Liebe. Sehet, diese, die da unüberwindbar, gar höchst schlicht und einfach vor uns stehen, ohne Glanz und Prunk, sind wahrhaftige Kinder des ewig allmächtigen, großen Gottes. Was ist all unser Glanz und all unsre Pracht gegen die unbegreifliche Erhabenheit solcher glanzlosen Schlichtheit, welche aber dennoch erfüllt ist mit aller Fülle der göttlichen Kraft!? Fallet nieder und lobet und betet an den großen Gott, der uns in solcher Erscheinung eine unendlich große Gnade und Erbarmung erwiesen hat!
[GS.02_059,12] Sehet, schon einige Male brannte das Holz auf dem Altare, und keiner aus uns hatte den Mut, die Hände auf denselben zu legen, um dadurch in jene Welt zu gelangen, die Gott der Herr für Seine Kinder erschaffen hat, um auf derselben eben auch die Kindschaft Gottes zu überkommen, entweder in einem neuen Leibe oder in einer schutzgeistigen Stellung. Jetzt aber haben wir die Gelegenheit vor uns, die gründlichen Bedingungen zu erfahren, welche dazu erforderlich sind. Bisher wußten wir wohl aus den Zeichen der Flamme, was alles der große Gott von jenen fordert, die da in Seine Kindschaft übergehen wollen. Die Zeichen waren sicher richtig; aber nicht also unsere Erkenntnis und unser Glaube. Diese werden uns sagen, was man so ganz eigentlich zu tun hat, um zu solcher unendlichen Gnade zu gelangen, – und so habet denn acht, denn der hohe Geist in der Mitte hat mich verstanden, und er wird es uns allen kundtun, was da ist der reine Wille Gottes und was wir tun sollen zur Erreichung des Wohlgefallens Gottes.
[GS.02_059,13] Nun rede ich: Höre, du achtbarer Ältester dieses Hauses! Eure Zeremonie, eure Flammenzeichen-Deuterei ist zur Erreichung eures vorgesteckten Zweckes gänzlich überflüssig; diese Zeremonie ist kaum nur ein äußeres Bild dessen, das ihr innerlich in euch tun sollet. Ich aber will euch, und namentlich dir für euch alle, in der Fülle der Wahrheit zeigen, was da allein ist der rechte Weg; und so wolle mich denn vernehmen:
[GS.02_059,14] Weißt du, was da ist die Liebe zu Gott? Willst du ein Kind des Herrn sein, so mußt du nicht sein wollen der Erste und der Vornehmste, sondern mußt sein gleich einem geringsten Knechte gegen alle diejenigen, die du führest. Du mußt sie nicht lehren die Weisheit in sich, sondern die Demut und Liebe in sich, dann wirst du und die Deinigen erst diejenige wahre Weisheit überkommen, in welcher da zugrunde liegt alle wirkende Kraft. Die ganze Regel ist demnach diese:
[GS.02_059,15] Sei von ganzem Herzen demütig! Liebe Gott aus all deinen Lebenskräften über alles und erfülle in dem Seinen Willen, daß du deine Brüder und Schwestern liebest und achtest mehr denn dich selbst! – Wenn du solches tust, so bist du ein Kind Gottes und brauchst deine Hand nicht an den Altar zu legen; denn darin ist der Unterschied zwischen den Kindern und sonstigen vernünftigweisen Geschöpfen Gottes, daß die Kinder ihr Herz, die Geschöpfe aber nur ihre Hand an den Altar legen. Gott aber sieht nie auf die Werke und Zeichen der Hand, sondern allein nur auf die Werke und Zeichen des Herzens.
[GS.02_059,16] Was nützt es dir, so du mit der erlernten Weisheit und Kraft deiner Kinder noch größere Werke aufführen ließest, als da ist dieses Gebäude, das uns trägt? Siehe, solches vermag der Herr mit einem allerleisesten Gedanken, und Seine Kinder vermögen es auch durch seine Kräfte in ihnen; ja sie vermögen nicht nur dergleichen Werke im Augenblicke, sondern ganze Schöpfungen mit einem einzigen Gedanken ins Dasein zu rufen. Und wenn du dagegen deiner Kinder Hände-Werke betrachtest, die sie mühsam aufführen mußten, sage mir, was sind sie dagegen? – Nichts als ein eitles Mühen nach dem, was auf diese Art unerreichbar ist.
[GS.02_059,17] Daher beachte das, was ich dir nun angezeigt habe, und bei euch allen wird ein anderes Lebenslicht aufgehen; denn Wesen, wie ihr seid, hat die unendliche Liebe Gottes nicht zur Knechtschaft, sondern für die ewige Freiheit erschaffen! Diese Freiheit könnet ihr aber nimmer durch eure Weisheit erlangen, sondern allein nur durch Demut und Liebe zu Gott. – Du fragst mich, wie man es denn anstellen soll, um Gott über alles zu lieben?
[GS.02_059,18] Ich sage dir: Gerade also, als wie du es anstellest, wenn dein Herz für irgendein großes darzustellendes Werk erbrennt. Allda ist dir alles sonstige, als wäre es nicht da, und du lebst allein für dein Werk. Kehre die Sache um, und betrachte alles deiner Welt für wertlos, und setze den Herrn über alles in deinem Herzen, so liebst du Gott über alles; und in dieser Liebe wird der Geist Gottes in deinem Herzen Wohnung nehmen, und du wirst von diesem Augenblicke an sein ein wahrhaftiges Kind Gottes! – Nun weißt du alles.
[GS.02_059,19] Willst du darnach handeln, so wirst du auch das erlangen, was du erlangen möchtest. Denn siehe, Gott der Herr, der gute Vater aller Seiner Kinder, hat keine Freude an der Pracht und dem Glanze; darum sind auch wir, Seine Kinder, ganz einfach und schlicht; und Er Selbst als Vater ist der Einfachste und Schlichteste unter Seinen Kindern!
[GS.02_059,20] Daher wirst du Ihn mit all dieser großen Pracht nimmer bestechen, denn dergleichen zu erzeugen vermag Er mit einem Gedanken, wie Er diese übergroße Welt und noch zahllose andere ebenso große und noch größere Welten erschaffen hat.
[GS.02_059,21] Aber mit einem reinen liebeerfüllten Herzen wirst du Ihn bestechen, und Er wird dir in einem Augenblicke mehr geben, als du mit all deiner Weisheit nach undenklichen Zeiten und Zeiten erlangen magst.
[GS.02_059,22] Nun weißt du auch, wie Gott der Herr beschaffen ist und wie man Ihn lieben muß; darum magst du handeln darnach, und du wirst nicht notwendig haben, dich auf eine andere Welt zu übersetzen.
[GS.02_059,23] Besinne dich aber nun, fasse diese meine Worte zusammen und gib mir dann kund, wie du sie aufgefaßt hast, und ich werde dir dann noch faßlicher zeigen, wie du es anzustellen hast, um zur wahrhaftigen Liebe zu Gott zu gelangen.
[GS.02_059,24] Sehet, unser Ältester legt seine Hände auf die Brust und fängt an nachzudenken. – Wir aber wollen harren und dann vernehmen, mit welchen Resultaten er zum Vorscheine kommen wird. –
60. Kapitel – Von der Menschwerdung des Herrn.
[GS.02_060,01] Nun spricht der Älteste, und wir wollen ihn hören, denn er hat sich die Sache weise überlegt, und ihr werdet euch verwundern, mit welcher tiefen Weisheit unser Mann zum Vorschein kommen wird. Seine Worte aber lauten also:
[GS.02_060,02] Hoher Abgesandter Dessen, der da allmächtig ist und erschaffen hat alles Licht und alle Masse der Welt! Dein Rat ist so überaus gut, triftig und allerinnerst weise, daß sich darüber von mir, als dem Weisesten dieses Ortes, nicht die allerleiseste Einwendung machen läßt.
[GS.02_060,03] Wahr ist es, daß die Liebe oder der Drang im Herzen zu seinem Schöpfer alles vermag; denn wenn ich mit meinem Herzen als dem Grunde meines Lebens den Schöpfer ergriffen habe, so habe ich mich auch sicher vollkommen mit Ihm verbunden und somit in eins gestellt, und da ich dadurch mit dem Grunde meines Lebens auch meinen Willen vollkommen dem allmächtigen Willen des Schöpfers unterworfen habe, so ist es auch nicht anders denkbar, als daß ich fürder nur das wollen kann, was da ist der Wille des allmächtigen Gottes.
[GS.02_060,04] Bis hierher, erhabener Gesandter, wäre alles in der vollkommensten Ordnung und läßt sich nicht im geringsten irgendeine Einwendung machen; aber nun kommt etwas anderes. Wenn sich dieses mit dem obigen Grundsatze vereinen läßt, dann ist freilich wohl alles gewonnen; läßt sich aber solches nicht tun, so bleibt, wie bisher, die Erlangung der Kindschaft Gottes ein überaus fragliches Problem, und wir können höchstens den frommen Wunsch in uns darnach tragen, aber ungeachtet dessen dennoch nie die Kindschaft Gottes überkommen. Dieser Punkt, der dem oberen Grundsatze zuwiderläuft, ist aber folgender.
[GS.02_060,05] Mir ist es bekannt, daß alle Weltkörper samt ihren Bewohnern mit einem vollkommenen Menschen in vollkommener, unabänderlicher Korrespondenz stehen, und zwar also, daß eine Welt entspricht einem Gliedteile, eine andere wieder einem anderen; und so korrespondieren zahllose Welten mit den zahllosen Einzelheiten, aus denen ein vollkommener Mensch durch die Macht der göttlichen Weisheit geschaffen ist.
[GS.02_060,06] Nun aber wissen wir auch, daß die Glieder und alle die Teile eines Menschen wohl zu einem und demselben Lebenszweck dienlich sind; aber die Erfahrung lehrt es nur zu augenscheinlich, daß aus dem Fuße nie eine Hand, aus der Hand nie ein Kopf, aus dem Munde kein Ohr, aus der Zunge kein Auge, aus der Nase keine Brust u.d.m. werden kann. Also hat der Mensch ein lebendiges Herz in sich, und dieses liegt wirkend in seiner Brust. Von diesem Herzen lebt zwar der ganze Leib, und es ist nicht zu behaupten, daß an und für sich irgendein Teil des Leibes zufolge der göttlichen Ordnung weniger wichtig ist als der andere; aber dessen ungeachtet hat alles Leben doch nur im Herzen seinen Grundsitz, und die Glieder des ganzen Leibes können nie das Herz ersetzen, so dasselbe vernichtet würde. –
[GS.02_060,07] Wenn aber solches unwiderlegbar wahr ist, wie möglich können dann diejenigen, wenn auch in ihrer Art vollkommenen Geschöpfe die Kindschaft Gottes überkommen, welche in ihrer Art nicht eben auch dem Herzen des großen Gottes entsprechen, da sie nicht auf einer Welt sind, die von Gott Selbst aus korrespondierend gestellt ist mit Seinem Herzen? Was nützte es einem Gliede, so es auch den größten Drang in sich empfände, in ein Herz umwandelt zu werden? Wird solches je geschehen?
[GS.02_060,08] Also bin ich der Meinung, da wir Bewohner dieser Welt nach unserer Wissenschaft nur mit dem Auge des Herrn korrespondieren, daß wir darum nimmer können Korrespondenten Seines Herzens werden, oder wir können nimmer die volle Kindschaft Gottes überkommen, außer wir müßten eher gänzlich zunichte gemacht werden. Alsdann erst ließe sich eine neue Umgestaltung unserer Bestandsordnung denken. – Solches aber geschieht sichtbar durch die Händeauflegung der Mutigsten auf den flammenden Altar, allda sie dann im Augenblicke zu sein aufhören und von ihnen nichts übrigbleibt, als jenes stumme Fluidum, welches in einem jeden Wesen, sei es eine Welt, ein Stein, eine Pflanze oder ein anderes lebendiges Geschöpf, mit dem Herzen des Schöpfers unbewußtermaßen in der Entsprechung steht.
[GS.02_060,09] Siehe nun, erhabenster Gesandter, dies ist der zweite Grundsatz, der für uns Bewohner dieser Welt den ersten von dir ausgesprochenen wenigstens für meine bisherige Erkenntnis notwendigerweise gänzlich zunichte macht.
[GS.02_060,10] Weißt du mir dagegen ein anderes Licht zu zeigen, durch welches diese meine gegründete Erkenntnis widerstrahlet wird, so gib es mir gnädigst kund, und ich will dasselbe also aufnehmen und es mir zueigen machen, als hätte nie ein anderes Licht die inneren Gemächer meines Lebens erhellt. –
[GS.02_060,11] Nun spreche wieder ich: Höre, mein achtbarer Ältester dieses Hauses! Du hast weise gesprochen in deiner Art; aber deine Weisheit ist nicht geschmeidig und nicht flüssig, weil sie stets von der schroffen äußeren Form ausgeht. Du treibst dich fortwährend in lauter Entsprechungen herum und bleibst daher auch gleich einem Gliede am Leibe haften und kannst nicht verlassen deine Stelle.
[GS.02_060,12] Siehe, das ist aber ja nur das Eigentümliche der äußeren gerichteten Form; aber der reine freie Geist hat kein Gericht und kann daher in Seiner Ganzheit allezeit vollkommen mit der Liebe Gottes in der Entsprechung stehen. Denn es gibt in der ganzen Unendlichkeit kein anderes Leben, als das Leben, welches ausgeht aus der Kraft der Liebe in Gott.
[GS.02_060,13] Korrespondierst du schon deiner wesentlichen äußeren Form nach nicht mit dem Herzen Gottes, so aber korrespondierst du deinem Leben nach so gut wie ich vollkommen mit dem Herzen Gottes; und wäre solches nicht der Fall, so hättest du ewig kein Leben und dein Geist wäre kein Geist, wenn er nicht wäre eine Kraft mit der unendlichen Kraft der ewig lebendigen Liebe im Herzen Gottes.
[GS.02_060,14] Deinem formellen Wesen nach, welches in harte Entsprechungen eingeschichtet ist, kannst du freilich wohl nie die Kindschaft Gottes überkommen, aber in deinem Geiste so gut wie ich, wenn du durch die Liebe zu Gott denselben deiner schroffen Wesenheit entbinden kannst.
[GS.02_060,15] Solches aber ist nur möglich, wenn du dich in deiner inneren Begierlichkeit gänzlich aller deiner Weltpracht und Herrlichkeit völlig frei machen kannst und dann mit der gesamten Kraft deines Lebens nichts als allein das Wesen der Liebe Gottes ergreifst.
[GS.02_060,16] Dieses Wesen aber ist das Göttlich-Menschliche, oder es ist der dir undenkbare Gott in Seiner Wesenheit ein vollkommener Mensch, der da auf einer Welt, „Erde“ genannt, Selbst das Fleisch angenommen hat und ward ein Mensch vollkommen also, wie alle von Ihm geschaffenen Menschen es sind.
[GS.02_060,17] Und dieser vollkommene Mensch aller Menschen hat sogar einen schmerzlichsten Tod Seines Fleisches aus unendlicher Liebe zu all Seinen Geschöpfen erleiden wollen, um ihnen dadurch die endlos heilige Pforte zu öffnen, durch welche sie als Seine Kinder also zu Ihm gelangen und Ihn sehen und sprechen können wie ihresgleichen, als wären sie ebenfalls Götter also, wie Er Gott ist von Ewigkeit.
[GS.02_060,18] Der Name dieses Menschen aller Menschen, der da ist Gott von Ewigkeit und hat erschaffen alle Dinge, heißet nunmehr Jesus, welcher Name besagt, daß Er ist ein Heiland aller Seiner Geschöpfe. Sein Wort, das Er geredet hat, ward gerichtet an alle Kreatur, und somit hat Er auch alle Seine Kreatur zum Heile Seiner Liebe berufen, und du bist davon so wenig ausgeschlossen als ich, Sein Zeitgenosse auf Erden, es war.
[GS.02_060,19] Er Selbst sagte: „Ich aber habe noch viele Schafe, die nicht in diesem Schafstalle sind; und diese will ich auch hierherführen, damit da ein Hirt und eine Herde werde!“
[GS.02_060,20] Siehe, unter solche Schafe oder Geschöpfe, die nicht von jener Erde sind, gehörst auch du, wie alle Bewohner dieser ganzen Welt; ergreifet diesen Gottmenschen Jesus in eurem Herzen und leget keinen Wert auf eure Welt, so seid ihr schon „Kinder Gottes“, wie ihr da lebet und webet.
[GS.02_060,21] Ich sage dir nicht, als solltest du darob dein großes überprachtvollstes Haus niederreißen und an dessen Stelle unansehnliche Wohnhütten setzen; aber reiße es in deinem Herzen nieder, und besitze es also, als besäßest du es gar nicht. Gib alles dem Herrn zu eigen und wandle in aller Demut und Liebe zu Ihm wie zu deinen Kindern, Brüdern und Schwestern, so wird der Geist des Herrn Selbst über dich kommen und dich leiten in alle Weisheit der Himmel! Siehe, das tut not; alles andere aber ist null und nichtig vor dem Herrn.
[GS.02_060,22] Denke dir einmal, wie groß die Liebe des Gottmenschen sein muß, da Er, der ewige alleinige Herr und Schöpfer der Unendlichkeit, Selbst völlig arm sein will, damit alle Seine Kinder desto reicher würden!
[GS.02_060,23] Wenn du aber nun solches aus der Tiefe der rein göttlichen Weisheit und Liebe in mir erfahren hast, so suche du allen Reichtum zu fliehen; gib alles mit der größten Liebe der unendlichen Liebe des Herrn wieder zurück und suche im Besitze Seiner Selbst, und nichts anderem dazu, den allerhöchsten Reichtum, dann wirst du das allerhöchste Gut besitzen in unendlicher Fülle!
[GS.02_060,24] Suche nicht die Kraft und die Macht des Herrn dir zu eigen zu machen, sondern suche vielmehr ein Allerschwächster und Allergeringster in Seinem Reiche zu werden und nichts zu besitzen als Seine Liebe und nichts zu wünschen, als nur bei Ihm zu sein, dann wirst du ewig wohnen wie ein zartes, vielgeliebtes Kindlein auf den heiligsten Armen des ewig allerliebevollsten Vaters! –
[GS.02_060,25] Siehe, das ist der wahre Grundsatz; nach diesem lebe und du wirst nicht brauchen samt den Deinen auch nur mit einem Finger den Altar anzurühren und wirst dennoch ganz vollkommen die Kindschaft Gottes auf dieser deiner Welt zu überkommen vermögen.
[GS.02_060,26] Stoße dich aber nicht an meiner nun bei weitem weniger schönen Form, als da ist die deinige; denn an der Form ist nichts gelegen. Eure endlos schöne Form ist nur ein äußeres Bedürfnis für diese Welt, welche vom Herrn gestellt ist, zu erleuchten mit ihrem mächtigen Lichte nahe zahllose andere kleinere Welten, welche nicht also, wie diese, mit dem Lichte umhüllt sind. Also ist für diese Welt solche Zartheit der äußeren Form deines Wesens ein Bedürfnis, da ihr mit einer andern unmöglich auf dieser Welt bestehen würdet; aber ganz anders verhält es sich mit der Schönheit des Geistes. Diese richtet sich nimmer nach der äußeren Form, sondern lediglich nur nach der alleinigen Liebe zum Herrn; denn diese ist die wahre und allerhöchste Schönheit des Lebens!
[GS.02_060,27] Nun überdenke du, mein achtbarer Ältester, diese meine Worte, und sage mir dann, inwieweit du sie verstanden hast und inwieweit nicht, und ich werde dir dann sobald jeden dir möglich aufstoßenden Zweifel aus dem Grunde deines Lichtes also erhellen, daß du mit leichter Mühe auf den wahren Grund der ewigen Wahrheit Gottes schauen sollest – und also tue das!
[GS.02_060,28] Sehet, unser Ältester und alle seine Kinder fallen auf ihr Angesicht und fangen an, in ihren Herzen sich zu regen. Wir aber wollen abwarten, was da herauskommen wird.
61. Kapitel – Demut und Gotteskindschaft.
[GS.02_061,01] Der Älteste erhebt sich nun wieder, und wie ihr in eurem Gemüte leicht bemerken könnet, so schickt er sich wieder an, mit mir zu reden. Es sei! Ich habe ihm solches gestattet; also soll er auch reden und so spricht er denn:
[GS.02_061,02] Allererhabenster unter den Gesandten des großen Gottes! – darum du ein Zeitgenosse nach deinem Zeugnisse warst auf jener Erde, auf welcher es dem großen Gott gefallen hat, gleich Seinen Geschöpfen ein Mensch zu sein, um dadurch aller Kreatur die Pforten zum ewigen Leben zu öffnen, – dir sage ich, daß ich deinen Worten auf den möglichen Grund des Grundes nachgespürt, sie sämtlich als recht befunden und meine Weisheit angestrengt habe, um irgendeinen Widerspruch zu finden. Allein ich vermochte auch nicht auf einen Punkt zu stoßen, der mir die große Wahrheit deiner Aussage nur im geringsten hätte verdächtigen können.
[GS.02_061,03] Ich sehe es nun klar ein, daß man nach deiner Lehre auf jeder Welt die Kindschaft Gottes überkommen kann, so man nur darnach handelt und sein inneres Leben in dem Namen des Gottmenschen freizumachen sucht. Ich sehe auch ein, daß das Handauflegen auf den flammenden Altar gleichsam nur ein äußeres Bild dessen ist, was das menschliche Geschöpf im Grunde des Grundes geistig in sich tun soll.
[GS.02_061,04] In dem also wäre nirgends auch nur ein allerleisester Zweifel vorhanden; aber ein ganz anderes Ding steckt hier im Hintergrunde, und in dieser Hinsicht bin ich noch trotz dieser lichten Welt in einer bedeutenden Dunkelheit, und dieser mir dunkle Punkt lautet also:
[GS.02_061,05] Du hast gesagt, die Demut ist die Grundbedingung zur Erlangung der Kindschaft Gottes; da aus dieser ausschließlich die Liebe zum alleinigen Gott hervorgeht. Nun aber kann doch niemand ewig je in Abrede stellen, daß da „ein Kind Gottes sein“ doch sicher unendlich mehr sagen will, als wenn man hier auf dieser Welt auch das allerhöchste und allervollkommenste geistige Wesen ist. – Hier weiß ich mir nicht Bescheid und aufzuklären, ob beim „unter was immer für einer Handlungsbedingung mehr werden wollen“ irgend von einer wahren Demut die Rede sein kann.
[GS.02_061,06] Ich setze den Fall, ich will als Kind Gottes auf der allergeringsten und allerletzten Stufe stehen und will durchaus keine Kraft und keine Macht, sondern allein nur die selige Fähigkeit, Gott den Allmächtigen stets mehr und mehr zu lieben aus allen Kräften eines geistigen Lebens, das wäre doch sicher die geringstmögliche Forderung im Zustande der Kindschaft Gottes.
[GS.02_061,07] Wenn ich aber dagegen bedenke, daß ich in meinem gegenwärtigen Zustande auch nicht ein Atom gegen die sichere Größe solch eines allergeringsten Kindes Gottes ausmache, so will ich ja doch offenbar in der Erlangung solcher geringsten Kindschaft Gottes notwendigerweise mehr werden. Bei uns heißt eine solche Demut, durch welche ein Mensch irgend mehr werden will, eine schmähliche Kriecherei. Wie ist dann solche geistige Demut vor Gott zu nehmen, wo man doch notgedrungenermaßen entweder im schlimmeren Falle mehr werden will, als man vom Urbeginn der göttlichen Ordnung her war, oder wo man im besseren Falle wenigstens alleroffenbarlichst mehr werden muß. Wenn das „Mehrwerden“ nicht voranstünde, so wäre dein mir vorgezeichneter Weg in jedem Punkte als vollgültig anzunehmen. Da sich aber dieses verhängnisvolle „Mehr“ weder auf die eine, noch auf die andere Art hinwegschaffen läßt, so kann ich diese Demut nicht als diejenige Tugend betrachten, welche zur Erlangung der Kindschaft notwendig sein soll, da sie, nämlich diese Tugend, am Ende zufolge des Mehrwerdens doch nur als eine Gleißnerei, Kriecherei und Heuchelei betrachtet werden kann.
[GS.02_061,08] Zu diesem Punkte gesellt sich aber noch eine andere Fraglichkeit und diese besteht darin: Hat irgendein freidenkendes, sich selbst bewußtes und freitätiges Geschöpf das Recht, unter irgendeinem Vorwande mit der Stellung unzufrieden zu sein, welche ihm die allerhöchste Güte und Weisheit Gottes von Uranbeginn zuerteilt hat? Was ist die Unzufriedenheit? Sie ist fürs erste die Ungenügsamkeit an dem Gegebenen und eben darum auch der Undank für das Gegebene.
[GS.02_061,09] Nun fragt es sich: Wenn ich durch Liebe und Demut ein Kind Gottes, also ums Unaussprechliche mehr werden will, als ich jetzt bin, wie sieht es da mit meiner Zufriedenheit und Dankbarkeit für das aus, was ich durch die unendliche Gnade Gottes allhier bin?
[GS.02_061,10] Sind die Demut und die Liebe unter Anbetracht dessen wohl genügend, solchem Undanke als Äquivalent entgegenzustehen, besonders wenn nicht einmal Gott Selbst mir das unaussprechliche Mehr im Zustande der Kindschaft Gottes hinwegräumen kann? –
[GS.02_061,11] Ich meine, du erhabenster Gesandter wirst mich wohl verstehen, was ich damit, wenn schon abgerissen, im klaren Ideengange habe sagen wollen. Ja, wenn du sagst, ich werde als Kind Gottes ums Außerordentliche geringer, schwächer, unvollkommener, als ich hier bin, so ist die Demut ein rechter Weg, die Kindschaft Gottes zu erlangen; aber mit dem Bewußtsein, mehr zu werden in jeder Hinsicht, ist die Demut offenbar, wenigstens für diesen meinen gegenwärtigen Begriffszustand, der unpassendste Weg.
[GS.02_061,12] Denn siehe, bei uns, wie du es sicher aus der Weisheitskraft des Herrn wissen wirst, ist solche unwandelbare Sitte, daß da nie ein Mensch dem andern um irgendein Entgelt etwas tun darf, sondern das gegenseitige Bedürfnis und die gegenseitige gleiche Bruderliebe müssen für alle Zeiten der Zeiten der alleinige Beweggrund zu handeln bleiben. Wenn ich aber meinen Bruder liebe, auf daß er mir dann einen Dienst erweisen möchte oder mich wenigstens auch lieben solle, wenn ich also durch meine Bruderliebe auch nichts als bloß nur die Gegenliebe verlange oder für eine geleistete Handlung auch nur den kürzesten Dank, so ist das bei uns eine grobe Untugend.
[GS.02_061,13] Wenn ich mich vor jemandem demütige und ihm eine große Ehre bezeige, auf daß er mir nur ein freundliches Gesicht zeigen möchte, so bin ich schon ein Heuchler im ersten geringeren Grade. Kurz und gut, wir kennen kein anderes Handlungsmotiv als das gegenseitige Bedürfnis. Wo es nottut, da wird gehandelt, ob darauf Dank oder Undank erfolgt; ohne Not aber wird keine Hand gerührt und kein Fuß um eine Linie vorwärtsgesetzt. Darum bleibt ein jeder Mensch fortwährend gleich in seinem Range, und keiner kann auf eine andere Weise den andern überbieten, als allein nur durch eine tiefere Weisheit, durch welche er in den Stand gesetzt wird, alle möglichen Bedürfnisse in seinen Brüdern zu erkennen und nachher also auch die Handlungen einzurichten, daß sie seinen Brüdern ohne das allergeringste Entgelt zugute kommen. Wenn nach solchen Handlungen die bewohltätigten Brüder dem Handelnden entgegenkommen und erweisen ihm da Dankbarkeit und Liebe, so kann er diese der Seligkeit seiner Brüder wegen wohl annehmen; aber ja nicht im geringsten darum, als möchte er selbst darin irgendeinen Lohn für seine Handlung überkommen wollen. Wenn du nun diese unsere Sitte ein wenig durchdenkst, so wirst du, und stündest du noch endlos höher als du stehst, sicher finden, daß sichs mit der Demut und Liebe zur Erlangung der Kindschaft Gottes durchaus nicht tut.
[GS.02_061,14] Laß mich nichts erlangen, und ich will dir im nächsten Augenblicke all diese großen Herrlichkeiten hier zerstören und in einem Loche, das ich mir in das Erdreich bohren werde, gleich einem Wurme wohnen, der da auf unserer Welt geschaffen ist, das Erdreich bis zu einer bestimmten Tiefe zu lockern. Aber um mehr zu werden, will ich gerade den entgegengesetzten Weg einschlagen, und will nicht scheinbar abwärtssteigen, um aufwärts zu kommen, sondern ich will aufwärts steigen. Und es soll vor Gott ein jeder Schritt, den ich tue, ein vollkommen wahrer, aber nie auch nur dem Anscheine nach ein gleißnerischer sein.
[GS.02_061,15] Wer zu mir kommt und will mehr werden, den prüfe ich, ob er für das Mehr Fähigkeiten besitzt; besitzt er sie, so werde ich ihm eine höhere Stelle einräumen, darum er mit aufrichtigem Herzen zu mir gekommen ist. Wer aber zu mir kommt, fällt sogleich auf sein Angesicht nieder und spricht: Höre mich an, Ältester! Ich will glückselig sein, so du mich nur draußen in den entlegensten Baumreihen als den letzten Platzreiniger anstellst. Da spreche ich zu ihm: Hebe dich hinweg! Du bist eines schleichenden und kriechenden Gemütes; als Letzter wolltest du hier angestellt werden, um dich nach und nach hereinzuschleichen bis ins oberste Stockwerk. Hier aber kann kein kriechendes Gemüt seine Stelle finden, daher demütige dich ganz und verlasse ohne je eine Aussicht, hier eine Stelle zu bekommen, sogleich diesen meinen Wohnort. Denn warum wolltest du nicht aufrichtig und der Wahrheit gemäß handeln? Hättest du dies getan, so hätte ich dich geprüft; also aber sei dir, solange du ein Gleißner bleiben wirst, jeder Zutritt zu diesem meinem Wohnhause untersagt.
[GS.02_061,16] Ich meine, gegen diese Handlungsmaxime kann der vollkommenste Weise nichts einwenden, denn die Wahrheit ist der Grund aller göttlichen Ordnung, und wider diese soll kein freitätiges Wesen sich verstoßen, solange es seines Gottes würdig bleiben soll.
[GS.02_061,17] Ich will aber mit diesen für mich klaren Ansichten dir freilich wohl nicht vorgreifen; aber das Recht hat aus dem Grunde der innern Wahrheit ein jedes von Gott freidenkend und freiwollend erschaffene Wesen, demjenigen seine innere Ordnung aufzuschließen, der es auf den Weg einer anderen Ordnung zu verbringen und zu übersetzen den guten Willen hat. Daher wirst du denn mir diese meine Äußerung sicher zugute halten und wirst mir darüber, wie ich es erwarte, auch sicher einen genügenden Bescheid geben.
[GS.02_061,18] Es ist möglich, daß ich das Wesen der Kindschaft Gottes noch zu wenig aufgefaßt habe. Ohne dem aber, meine ich, dürfte es wohl schwer halten, hier einen billigen Mittelweg zu finden; denn die Wahrheit ist überall nur eine, und diese ist der sich selbstbewußte Grund eines jeden geschaffenen Menschen. Zwei Wahrheiten aber können ewig nie nebeneinander bestehen, da die eine die andere aufheben würde; daher können auch nicht du und ich zugleich recht haben. Soll aber dies der Fall sein, so ist nur mein Unverstand noch dazwischen, daß ich deine Wahrheit nicht allsogleich als die meinige anzuerkennen vermag. Daher wird es für mich notwendig sein, daß du dich deutlicher ausdrückst, und zwar fürs erste, was da im Grunde des Grundes ist die Demut, dann die wahre Liebe und die dadurch zu erlangende Kindschaft Gottes. Solches aber tue mir kund, und ich werde nach vollkommen erkannter Wahrheit ein jedes Häkchen deines Wortes allertreust in diesem meinem ganzen Hause beobachten, darum bitte ich dich für mich und für mein ganzes Haus! –
62. Kapitel – Die wahre Demut, die wahre Liebe, die wahre Gotteskindschaft.
[GS.02_062,01] Nun rede ich und sage: Höre du, mein achtbarer Ältester dieses Ortes und oberster Leiter dieses ganzen großen Kreisgebietes! Das, was du Demut nennst, das ist auch bei uns, so wie du es bezeichnet hast, nichts weniger als irgendeine Demut, sondern ist bloß ein Trug, wo der also Demütige sich selbst betrügt, weil er durch einen ihm gar nicht eigenen Grad des Lebens will in eine höhere Stufe desselben aufgenommen werden.
[GS.02_062,02] Da du aber meinst, daß man bei der Erlangung der Kindschaft Gottes auch bei dem allerbesten Willen das Mehrwerden unmöglich vermeiden kann, da auch sage ich dir, daß du dich in dieser Hinsicht am meisten geirrt hast. Wie wahr aber dieser mein Ausspruch ist, will ich dir aus dem alleruntrüglichsten Worte, welches der Herr, Gott und Schöpfer Himmels und der Erden Selbst zu uns geredet hat, in das hellste Licht führen.
[GS.02_062,03] Das Wort aber lautete also: „Lasset die Kleinen zu Mir kommen und wehret es ihnen nicht; denn ihrer ist das Himmelreich!“ – Weiter sprach der Herr: „So ihr nicht werdet wie die Kindlein, so werdet ihr nicht eingehen in das Reich Gottes!“ – Und noch weiter sprach Er: „Wer aus euch der Erste und Größte sein will, der sei der Geringste und der Knecht aller!“
[GS.02_062,04] Siehe, darin liegt das Wesen der Kindschaft Gottes. Wenn du meinst, in der Kindschaft des Herrn wirst du mehr sein, wirst eine größere Kraft haben und wirst reicher sein an aller Pracht und Macht, da sage ich dir: Bleibe, was du bist; denn von einem Mehrwerden in jeder Hinsicht ist da gar ewig keine Rede. Hier bist du leiblich, wie geistig, ein vollendeter Herr. Solange du lebst in deinem Leibe, muß sich alle Materie der Oberfläche dieser deiner Welt gehorsamst fügen unter die Macht deiner Weisheit, bist du aber im Geiste, so muß dir diese deine Welt von ihrem Zentrum aus untertänig sein, und so einem jeden Geiste deinesgleichen, da ihr alle Bewohner dieser Welt im Geiste einer Weisheit und eines Willens seid, wie solches schon auf den ersten Blick aus eurer sittlichen und staatlichen Einrichtung zu ersehen ist.
[GS.02_062,05] Da aber von dieser Welt, die du bewohnst, zahllose andere Welten bestandlich abhängen, so bedenke, welch eine Herrschermacht dir im Geiste eigen ist, indem von der Leitung deiner Welt, die dir im Geiste völlig anvertraut ist, die Ordnung und Erhaltung zahlloser anderer Weltkörper samt ihren Bewohnern abhängt.
[GS.02_062,06] Betrachten wir dagegen aber ein Kind Gottes; was hat denn dieses für eine Macht, was für einen Herrschbezirk? Siehe, ich kann es dir mit der größten Bestimmtheit sagen: Ein Kind Gottes darf, solange es im Leibe lebt, sich auf der Welt nicht einmal ein Stäubchen zueignen, nicht einmal seinen Leib, auch nicht sein Leben, sondern es muß alles hintanzugeben und allezeit in der Fülle der Wahrheit zu sagen und zu bekennen bereit sein: Mir gehört nichts, ich bin nichts; selbst das Leben, das ich habe, ist lediglich des Herrn. Das ist also das weltliche Verhältnis; ist etwa das geistige glänzender? O mitnichten! Das geistige muß erst recht in einer Zentralarmut bestehen.
[GS.02_062,07] Auf der Welt darf man sich doch wenigstens ein Stück Brot selbst nehmen, und man darf auch hinundhergehen, wie es einem beliebt; aber im Geiste hört auch diese Freiheit auf. Man ist allda ein ewiger „Gast des Vaters“, und die Kinder dürfen nur das Brot genießen, das sie unmittelbar aus der Hand des Vaters empfangen. Sie dürfen nur dahin gehen, wohin es der Vater will. Sie dürfen nicht in glänzenden Gebäuden wohnen, sondern in höchst einfachen Hütten.
[GS.02_062,08] Die Kinder dürfen nie müßig sein und müssen, sooft es der Vater will, mit Fleiß Seine Felder bearbeiten und die Ernte getreu und emsig einbringen in Seine Scheuern. Und wenn sie alle ihre Arbeit noch so emsig und getreu verrichtet haben, so müssen sie aber dennoch nach verrichteter Arbeit hingehen zum Vater und vor Ihm statt einer auszeichnenden Belohnung allerdemütigst wahr bekennen, daß sie völlig unnütze und faule Knechte waren.
[GS.02_062,09] Du darfst, wie bemerkt, mit glänzender Macht und Kraft in deinem Geiste Weltengebiete und endlose Räume zu deinem großbeseligenden Vergnügen nach deinem eigenen Willen bereisen, wir Kinder Gottes dagegen (ohne Seinen Willen) nicht einmal den Fuß über die Schwelle setzen. Du darfst reden, was du willst; wir Kinder nur, was uns in den Mund gelegt wird.
[GS.02_062,10] Siehe, das und anderes mehr sind in etwa die Unterschiede zwischen euch erhabenen und mächtigen, alle Schöpfung Gottes lenkenden Geistern, und uns, den Kindern Gottes.
[GS.02_062,11] Ihr vermöget aus euch alles, was ihr wollet; wir aber vermögen aus uns nichts, sondern nur allein dann, wenn es der Herr will, und dann selbst nicht um ein Kleines mehr, als was der Herr will!
[GS.02_062,12] Wir sind in bezug auf den Herrn zwar also gestellt, wie da sind die Glieder eines Leibes. Diese Glieder machen zwar wohl mit dem inwendigen Leben des Leibes ein Wesen aus; aber nicht ein Glied am ganzen Leibe kann für sich tun, was es will, sondern jede seiner Handlungen und alle Tatkraft geht nicht vom Gliede, sondern nur von der im Leibe herrschenden Grundkraft aus. Also können sich auch die Glieder nicht selbst ernähren, wenn sie auch allerfleißigst arbeiten, sondern müssen all ihren Erwerb zuerst in die Hauptkammer des innern Lebens abliefern; dann erst verteilt die lebende Kraft die gebührende Nahrung an die Glieder, die da gearbeitet haben. –
[GS.02_062,13] Ganz anders aber verhält es sich mit dem Verhältnisse der äußeren freien Menschen, welche nicht als Glieder an einen Leib gebunden sind, sondern für sich selbst als vollkommen freie Wesen dastehen. Siehe, diesen kann ich wohl auch sagen: Habet die Güte und verrichtet mir diese Arbeit, und die freundschaftlich gesinnten Menschen werden die Arbeit auch verrichten. Aber nach beendigter Arbeit sind sie völlig frei von meinem Willen und können für sich tun, was sie wollen.
[GS.02_062,14] Ich aber frage dich: Verhält sich dieses auch so mit den Gliedern meines eigenen Leibes? O mitnichten! Diese hängen fortwährend in all ihren Teilen von meiner inneren Willenskraft ab und können sich derselben nie widersetzen; denn sie müssen ja mit der inneren lebenden Kraft vollkommen ein Wille sein, sonst ginge doch sicher das ganze menschliche Wesen zugrunde.
[GS.02_062,15] Siehe, wenn du dieses von mir nun Gesagte nur ein wenig durchdenkst, so wird es dir sicher ganz klar werden, was es mit deinem scharf bedingten „Mehrwerden“ der Kinder Gottes für eine Bewandtnis hat.
[GS.02_062,16] Wenn du daher die Kindschaft Gottes überkommen willst, so mußt du des Gedankens, etwas dabei zu gewinnen, vollkommen ledig werden. Du mußt dich dann nicht als Kind Gottes in einer endlos vollkommenen Stellung erschauen, sondern gerade umgekehrt mußt du die Sache nehmen. Und hast du solches getan, so wird sich dann daraus schon von selbst zeigen, ob zur Erlangung der Kindschaft Gottes die wahre Demut und Liebe zu Gott ein vollkommen gerechter oder ein trüglicher Weg sei.
[GS.02_062,17] Denn das kannst du dir von Gott wohl vorstellen, der die unendliche allerhöchste Wahrheit Selbst ist, daß Er nicht durch ein gegebenes Mittel einen ganz anderen Zweck wird erreicht haben wollen, als wie gestaltet das Mittel selbst bestellt ist.
[GS.02_062,18] Wer in der Demut seines Herzens sich stets verringert und verkleinert, wird der wohl darauf rechnen können, daß der Herr ihn darum ganz entgegengesetzt vergrößern wird? Ja, Er wird ihn zwar vergrößern, aber nicht in deiner vermeintlichen Mehrwerdung, sondern allein nur in der größeren Demut und in der größeren Liebe. Und das ist also eine rechte Vergrößerung im Geiste, weil man als Kind Gottes dasjenige, wonach man strebt, also die Geringheit im vollkommensten Maße überkommt.
[GS.02_062,19] Also ist auch die Liebe eines Kindes Gottes zu Gott durchaus nicht irgendeine Schmeichelei, durch welche sich dasselbe in irgendeine allmächtige Gunst Gottes zu versetzen imstande wäre, sondern die wahre Liebe muß ein innerer Trieb sein, Gott über alles, als den alleinigen vollkommensten Herrn anzuerkennen, sich selbst aber als ein vollkommenes Nichts Ihm gegenüber zu betrachten. Man muß die höchste Glückseligkeit darin suchen, Gott den Vater zu lieben über alles, darum Er ist Gott und Vater. Und für solche Liebe darf man ewig keines Entgeltes gedenken, als allein der Gnade, Gott den Vater also lieben zu dürfen.
[GS.02_062,20] Siehe, mein achtbarer Ältester, so stehen die Sachen. Denke nur darüber ein wenig nach und sage mir dann, wie du nun den von mir dir vorher vorgezeichneten Weg zur Erlangung der Kindschaft Gottes findest. Nur mußt du dabei immer vor Augen haben, daß mit deinem Mehrwerden als Kind Gottes es ewig nie eine Realität hat. – Solches verstehe wohl und gib mir dann deine Meinung kund!
63. Kapitel – Vom Wesen der Kindschaft Gottes.
[GS.02_063,00] Höret! unser Ältester spricht:
[GS.02_063,01] Hoher Gesandter des großen Gottes! Jetzt bin ich ganz im klaren, und die Sache der Kindschaft Gottes bekommt jetzt ein ganz anderes Gesicht. Da sich aber die Sache sicher also und nicht anders verhält, da mußt du mir vergeben, daß es, von meiner Seite betrachtet, nicht nur gewisserart wider die göttliche Ordnung wäre, nach der sogenannten ganz eigentlichen Kindschaft Gottes zu trachten, an der nach deiner gegenwärtigen Aussage fürwahr wenig, wo nicht gar nichts gelegen ist. Es wäre sogar eine offenbare Torheit, für nichts das Gute und Reichliche, das man besitzt, fahrenzulassen. Da sage ich: Gott und Vater hin oder her, und ich als das Kind Gottes hin oder her, wenn ich dabei gänzlich gewinnlos mich verhalten müßte.
[GS.02_063,02] Es ist einerseits nicht zu leugnen, daß der Gedanke, Gott zum Vater zu haben, und das durch die allerintimste gegenseitige Liebe, jeden andern Gedanken rein zugrunde richtet; denn ein größeres Verhältnis kann sich kein geschaffenes Wesen denken. Aber wenn man auf der anderen Seite betrachtet, daß man in Rücksicht dieses großen Gedankens und großen Namens an und für sich dennoch gar nichts ist und sein darf, ja, daß man sogar zum letzten Dienste für alle Geschöpfe stets bereit dastehen muß, so ficht einen, wie wir da sind auf dieser Welt, dieser Gedanke und dieser große Name gar nicht mehr an.
[GS.02_063,03] Wenn wir hier alles haben können, was unser Herz verlangt, zeitlich und ganz besonders im Geiste ewig, als „Kinder“ aber uns nicht einmal nach eigenem Willen über die Schwelle rühren dürften, höre, da bleiben wir doch sicher, was wir sind; denn um nichts zu werden, bedürfte es nie eines Daseins! Ist ein Wesen aber einmal da, so setzt dieses sein Dasein schon eine fortwährend höhere Entwicklung seiner Kräfte voraus; nicht aber – (wenn man bedenkt, daß man hier fortwährend in den Erkenntnissen und Kräften zunimmt) – daß man hernach, wo man die höchste Vollendung erwartet, nichts als eine völlige Vernichtung aller Kräfte und Erkenntnisse, die man sich hier zu dem Behufe zu eigen gemacht hat, erwarten solle.
[GS.02_063,04] Ich meine, du wirst mich gründlich verstanden haben, denn ich habe hier also geredet, wie da ein jedes nur einigermaßen weise denkende Wesen notwendig hätte reden müssen, so es die Verhältnisse der Kindschaft Gottes von dir auf die obige Weise erörtert vernommen hätte. –
[GS.02_063,05] Meines Teiles aber bin ich über die Kindschaft Gottes einer ganz anderen Meinung und behaupte ganz festweg, daß hinter der Kindschaft Gottes ganz außerordentlich mehr verborgen ist, als du es mir kundgegeben hast. Es mag schon immerhin sein, daß man als Kind sicher aus der höchsten Liebe zum Vater freiwillig alles hintan gibt. Solches ist ganz eigentümlich im Charakter der Liebe: – daß man aber andererseits für solch ein geringes Opfer etwas Unaussprechliches zu erwarten hat, das kann mir die ganze Ewigkeit nicht absprechen!
[GS.02_063,06] Wir haben hier zwar nach unserer geistigen Lehre die große Fähigkeit zugute, als Geister alle Tiefen der Schöpfungen Gottes zu bereisen und uns unaussprechlich zu erlustigen an Seinen ewig zahllosen allermannigfaltigsten Wunderwerken; aber wie es mir so tief ahnend vorkommt, so können die Kinder Gottes das mit einem Blicke übersehen, wozu wir Ewigkeiten brauchen. Wir haben wohl Macht, als Geister die Dinge unserer Welt und wie ausfließend auch noch anderer von dieser abhängenden Welten zu ordnen; aber die Kinder Gottes, als mit Gott allernächst und intimst vereint, sind sicher Mitschöpfer. Und während wir doch immer nur Materielles zu ordnen haben, so haben aber „die Kinder aus Gott“, ihrem Vater, die Macht nicht nur über die gesamte endlose materielle Schöpfung, sondern auch über alle geistige Kreatur.
[GS.02_063,07] Siehe, das ist meine Meinung, für deren Wahrheit ich alles zum Pfande biete, was immer ich nur auf dieser Welt mein nennen darf. Du hast freilich wohl gesagt, daß ein Kind ohne den Willen des Vaters sich nicht über die Schwelle bewegen darf, darf sich selbst keine Speisen nehmen und muß wohnen in einfachen Hütten. Das lasse ich alles recht gerne zu. Aber wenn man als Kind Gottes mit einem Blicke alle endlosen Herrlichkeiten Gottes überschauen kann, da möchte ich doch wohl wissen, wozu man seine Füße über die Schwelle setzen sollte? Wenn man ferner in der vollkommenen schöpferischen Fähigkeit mit Gott Selbst im ewigen Zentrum steht, von wo aus alle zahllosen Geschöpfe ernährt werden, da möchte ich auch den Grund wissen, der einen nötigen würde, sich selbst eine Kost zu nehmen, so man im Zentrum alles Lebens steht. Und eben also, denke ich, steht es mit der Einfachheit der Wohnung der Kinder Gottes. Ob jetzt eine Hütte oder ein Palast, das wird doch etwa alles eins sein, so man in sich selbst alle Herrlichkeiten Gottes anschaulich vereinigt.
[GS.02_063,08] Wenn man in der Herrlichkeit über alle Unendlichkeit und Ewigkeit sich befindet, welche einem alle Geschöpfe in der Unendlichkeit nicht im geringsten zu schmälern vermögen, da kann man gleichwohl ein allergeringster Diener sein und ein Knecht aller Knechte; denn was verliert ein solcher dadurch? Muß ihm darum nicht, wenn es sein muß, dennoch die ganze Schöpfung auf einen allerleisesten Wink den pünktlichsten Gehorsam leisten?
[GS.02_063,09] Es ist wahr, unsere Geister haben auch Kraft und Gewalt, zu beherrschen die eigene Welt, aber sind sie darum Herren derselben? O nein! Sie tun zwar, was sie wollen, aber sie können nicht wollen, was sie wollen. Unser Wille liegt in eurem Grunde, ihr aber seid frei in dem Wollen Dessen, der euer Vater ist!
[GS.02_063,10] Hoher Gesandter des Herrn! Ich glaube, daß ich die Sache richtig bemessen habe; dessen ungeachtet aber bitte ich dich, du möchtest mir darüber noch einige Wörtlein schenken, damit ich aus denselben erkennen möchte, inwieweit mein Urteil mit der allerhöchsten Wahrheit verwandt ist. –
[GS.02_063,11] Nun spreche ich und sage: Höre, mein achtbarer Ältester dieses Ortes! Ich wußte es ja, daß du in dir das rechte Licht finden wirst, so ich dir dazu nur den rechten Weg gezeigt habe. Dein Urteil ist richtig; du hast diesmal das Wesen der Kindschaft Gottes genau erkannt. Wie du die Sache bezeichnet hast, also ist es auch; aber mit der Demut und mit der Liebe bist du dadurch denn doch wieder genötigt, das von dir so verurteilte „Mehr“ und nicht das von dir früher so gerühmte „Weniger“ zu erlangen.
[GS.02_063,12] Was aber wird sich da machen lassen? Denn siehe, du bist weder mit dem einen noch mit dem andern zufrieden. Beim Mehrerlangen ist dir die Demut und die Liebe ein schlechtes Mittel, also keine Tugend; das Wenigererlangen für solche Tugend kommt dir als eine Torheit vor. Wie soll die Sache demnach bestellt sein, daß du zufriedengestellt werden möchtest? Ich will dir dieses Rätsel lösen.
[GS.02_063,13] Siehe, du bist noch in dem Begriffe, daß man nur dann mehr bekommen müsse, wenn man mehr verlangt, und weniger, wenn man wenig verlangt. Ich aber sage dir: Das ist ein geschöpflicher Maßstab; aber beim Schöpfer ist da ein ganz umgekehrter Fall. Der viel verlangt, wird wenig empfangen; der wenig verlangt, wird viel empfangen; wer nichts verlangt, dem wird alles zuteil werden!
[GS.02_063,14] Diese Sache möchtest du wohl ein wenig unnatürlich finden; aber siehe, es gibt ja auch bei dir ähnliche Verhältnisse, und du handelst in dieser Hinsicht durchgehends nicht anders, als da handelt der Herr. Wenn dir z.B. jemand einen Dienst erweiset, verlangt dafür aber einen großen Lohn, wie wird er in deinem Herzen empfangen sein? Du sagst: Da wird er gering empfangen sein. Wenn er aber dir einen großen Dienst erwiesen hat, und verlangt wenig dafür, wie wird der in deinem Herzen empfangen sein? Du sprichst: Der wird groß empfangen sein. Wenn dir aber jemand alles getan hat, was du nur immer wünschest, und verlangt am Ende nichts von dir, denn er tat alles ja aus Liebe zu dir, sage, wie wird der in deinem Herzen empfangen sein? Du sprichst: Diesen werde ich zu meiner Rechten setzen, und er soll in allem mit mir im gleichen Besitze stehen; denn solcher hat sich mein Herz in der Fülle zinspflichtig gemacht!
[GS.02_063,15] Siehe, mein achtbarer Ältester, das ist auf ein Haar das Verhältnis Gottes zu Seinen Geschöpfen; und tust du das letzte, so bist du ein Kind Gottes und wirst ebenfalls von Ihm zu Seiner Rechten gestellt werden. Solches bewirkt die Liebe, denn Gott sieht nicht auf das alleinige Werk, sondern allein auf die Liebe. Geht das Werk aus der Liebe hervor, dann hat es vor Gott einen Wert; geht es aber nur aus der alleinigen Weisheit hervor, dann hat es entweder keinen Wert, oder nur insoweit einen, inwieweit die Liebe damit im Spiele war. – Nun weißt du alles, und ich habe dir nichts mehr zu sagen. Willst du den dir klarst bezeichneten Weg wandeln, so weißt du nun recht wohl, welch ein Ziel du erlangen kannst; bleibst du aber, wie du bist, so wirst du ebenfalls dein gutes Ziel erreichen, aber nur das der so ganz eigentlichen Kindschaft Gottes nicht!
[GS.02_063,16] Nun sehet, unser Ältester wird ganz demütig und überdenkt wohl meine Worte. Er wird sobald eine Anrede an seine Kinder zu machen anfangen; diese wollen wir noch anhören, sodann dieses Volk segnen und uns dann gleich von dannen begeben. –
64. Kapitel – Sonnenbewohner auf dem Wege der Kindschaft Gottes.
[GS.02_064,00] Der Älteste öffnet soeben seinen Mund, und so wollen wir ihn auch sogleich anhören. Seine Worte lauten also:
[GS.02_064,01] So höret mich denn an, ihr alle meine Kinder, die ihr hier gegenwärtig seid, und gebet es auch kund denen, die nicht hier sind, was ich zu euch reden werde! Ihr wisset, daß wir bei ähnlichen Gelegenheiten, so das Holz am Altare durch eine höhere Macht brennend wurde, aus der Flamme des brennenden Holzes die überschweren Bedingungen gelesen haben, durch deren Erfüllung allein nur die Erlangung der hohen Kindschaft Gottes möglich ist. Nie ward uns das außerordentliche Glück zuteil, aus dem Munde eines Kindes Gottes zu vernehmen, wie man fürs erste auf dem natürlich kürzesten Wege die Kindschaft Gottes erlangen kann, und was so ganz eigentlich hinter der Kindschaft Gottes verborgen liegt.
[GS.02_064,02] Dieser hocherhabene Gast mit seinen zwei Beigästen aber hat uns aus der Urquelle und aus dem Urgrunde gezeigt, was all unsere Weisheit nimmer erreicht haben würde. Wir wissen nun, daß Gott, der allmächtige Schöpfer aller Dinge, Selbst ein vollkommener Mensch ist und allezeit wohnet unter denjenigen als Vater, die Seine Kinder sind.
[GS.02_064,03] Dann haben wir allergründlichst und genauest erfahren, was ein Kind Gottes ist und warum es als solches erkannt werden muß. Dann haben wir als den dritten Punkt gar hell erleuchtet überkommen, wie da alle freien Geschöpfe, die ihrer selbst bewußt sind und Gott als ihren Schöpfer erkennen, auf die allereinfachste und sicher allerzweckmäßigste Weise zu Kindern Gottes werden.
[GS.02_064,04] Daß solches alles richtig ist, bedarf keines weiteren Beweises; denn fürs erste steht der Bürge für die Fülle solcher Wahrheit noch unter uns, und fürs zweite bürgt meine eigene Weisheit, aus welcher ich, wie ihr alle gar wohl habt vernehmen können, dem hohen Boten sicher alle erdenklichen Einwürfe gemacht habe, um daraus zu ersehen, ob seine Aussagen auch vor der strengsten Prüfung der Weisheit bestehen mögen.
[GS.02_064,05] Ihr habt aber auch alle wieder vernommen, mit welch einer ehernen Festigkeit mir der hohe Gast allezeit entgegenkam, und mich durch der Wahrheit Macht seiner Worte hinausleitete aus dem Irrsale meiner Erkenntnisse nahe völlig geraden Weges. Wenn wir nun solche handgreifliche Beweise für die große Triftigkeit der Aussage dieses Boten haben, was wollen wir da noch mehr?
[GS.02_064,06] Es fragt sich demnach hier nur einzig und allein das, ob wir die vorgezeichneten Wege ernstlich wandeln wollen oder nicht – wollen wir den Weg der Demut, der Liebe und aller Selbstverleugnung im Geiste und in der Wahrheit betreten, oder wollen wir solches nicht? Welche Frage ebensoviel sagen will als:
[GS.02_064,07] Wollen wir nach der Ablegung dieses unseres flüchtigen Leibes als Geister ewige Wächter dieser unserer, wenn schon großen Welt bleiben, oder wollen wir nach der Ablegung dieses Leibes im Geiste sofort zu Kindern Gottes werden und dahin kommen, da Er, der ewig und endlos allein über alles mächtige Gott und Herr wohnt unter seinen Kindern und sie liebt mit all der unendlichen Liebeskraft Seines Herzens?
[GS.02_064,08] Sehet, meine lieben Kinder, das ist eine außerordentliche großwichtige Frage, welche sich nur durch die Tat, aber nie durch die selbst allerweisesten Worte beantworten läßt. Zugleich aber mache ich euch alle darauf aufmerksam, daß unser Zustand nach der Ablegung des Leibes im Geiste ebenfalls ein überaus herrlicher ist, der an äußerer Pracht und Herrlichkeit sicher alles andere Erdenkliche bei weitem übertrifft. Wir sind hier schon im Leibe so ungemein schön geformt, daß unsere Form sogar, wie ich gar wohl bemerkt habe, den Kindern Gottes eine große Bewunderung abnötigte; und doch ist diese leibliche Schönheit kaum ein flüchtiger Schattenriß gegen die, welche da ein Eigentum ist unseres unsterblichen Geistes. Also sind auch unsere äußeren leiblichen Wohnungen schon von solch einer Glanzpracht, daß Bewohner anderer kleinerer Welten darob sicher beim ersten Anblicke das Leben einbüßen würden. Und dennoch kostet uns ihre Erbauung eine geringe Mühe; denn mit der Macht unseres vereinigten Willens sind wir ja vollkommene Herren der Materie, welche sich fügen, schmiegen und heben muß nach unserem Willen.
[GS.02_064,09] Aber was ist selbst die allererhabenste und großartigste materielle Gebäudepracht gegen diejenige unserer Geister, die da jene ferne Lichthülle bewohnen, welche unsere nahe unbegrenzt große Welt überaus weit räumlich umgibt.
[GS.02_064,10] Sehet, solches alles wissen wir schon aus vielfacher Erfahrung; denn es gibt ja mehrere unter uns, denen es schon zu öfteren Malen vergönnt war, die geistigen Dinge unserer Welt allerklarst zu schauen. Alsonach ist unser Los durchgehends ein unberechenbar herrliches, denn wir sind als Geister ja wahrhaftige Großherren, denen nicht nur ihre ganze nahe endlose Welt zur allerklarsten Beschauung zu Gebote steht, sondern noch zahllose andere Welten, welche alle von dieser unserer großen Welt mehr oder weniger abhängen. Das alles, meine Kinder, unter einem Gesichtspunkte vereinigt, kann uns nichts anderes sagen als:
[GS.02_064,11] Was wollet ihr denn noch, ihr allerglücklichsten Kinder einer Welt, die da ist eine Lichtträgerin für Myriaden und Myriaden anderer Welten? Also ist es auch wahr, wer so viel hat wie wir, wer so glücklich ist wie wir, bei dem spricht sich doch sicher ein hoher Grad von Torheit aus, wenn er noch mehr erlangen und noch glücklicher werden will.
[GS.02_064,12] Sehet, diese sicher weise Schlußfolgerung habe ich auch diesem hohen Gaste dargestellt, und er hat sie mir ebenso vorteilhaft bestätigend erwidert. Aber höret mich nun an, meine Kinder! Es handelt sich bei der Erlangung der Kindschaft Gottes durchgehends nicht um das Mehr- oder Glücklicherwerden, sondern ums Vollkommener- und Lebendigerwerden in der Liebe Gottes. Ihr wisset aber alle aus eigener Erfahrung, daß hier unser größtes Glück wie auch unsere größte Glückseligkeit nichts so sehr als nahe ganz allein unsere gegenseitige Liebe bedingt. Je mehr wir uns lieben, je inniger wir uns in der Liebe körperlich wie geistig vereinen, desto glückseliger sind wir auch!
[GS.02_064,13] Sind nicht diejenigen Zeitmaße für uns die glücklichsten, wenn wir innerhalb der Wände unseres Wohnhauses uns in der gegenseitigen Liebe vereinen und die ganze wunderbar schöne Außenwelt keines Blickes würdigen? Ihr alle könnet auf diese Frage aus eurer lebendigen Erfahrung nichts anderes erwidern als: Das ist in der Fülle die lebendige Wahrheit!
[GS.02_064,14] Nun wohl denn; sehet, darin liegt auch der große Unterschied zwischen unserer allergrößten, aber dabei dennoch immer äußeren Glückseligkeit und der allerinwendigsten Seligkeit der Kinder Gottes. Wenn uns aber schon unsere gegenseitige geschöpfliche Liebe also beglückt, wie endlos beglückend muß da erst diejenige Liebe sein, wo Geschöpfe als Kinder Gottes ihren Schöpfer als Vater sichtbar in der allerhöchsten Liebe ergreifen können und von Ihm wieder endlos allmächtig liebend ergriffen werden?! Wo auf dieser ganzen großen Welt lebt wohl ein Wesen, welches nur ein Atom von der Größe solcher Seligkeit zu erfassen imstande wäre, wo das Geschöpf als Kind seinem Schöpfer, seinem Gott gegenübersteht und Ihn mit aller Liebe erfassen kann und von Ihm wieder mit der allergrößten Liebe erfaßt wird?!
[GS.02_064,15] Sehet, meine lieben Kinder, das ist der unendliche Unterschied zwischen uns und den Kindern Gottes! Denket, wie endlos klein muß das uns beseligende Fünklein der Liebe sein gegen die endlose Fülle der Liebe, welche da wohnet in Gott! Und doch macht dieses endlos kleinste Fünklein unsere größte Seligkeit aus! Wie groß aber muß demnach die Seligkeit derjenigen Wesen sein, welche mit der ganzen unendlichen Fülle der Liebe ihres göttlichen Vaters spielen können?!
[GS.02_064,16] Was wollen wir demnach tun? Wollen wir bleiben, was wir sind, oder wollen wir mit neuen Lebenskräften als Kinder in die Arme des allmächtigen, heiligen, ewigen Vaters eilen?
[GS.02_064,17] Ich lese nun in euren Angesichtern, daß ihr alle alles verlassen wollet, um zum Vater zu gelangen! Ja, das ist auch mein allervollkommenster Sinn; lieben wollen wir Ihn, als hätten wir tausend Herzen, und demütig wollen wir sein also, als hätten wir gar kein Dasein, um nur nach diesem äußeren Leben hinüberzugelangen, wo dieser heilige Vater wohnt!
[GS.02_064,18] Und du, hoch erhabener Bote, nehme in der Fülle der Wahrheit diese unsere Versicherung an, daß wir nun alle eines Sinnes sind und wandeln wollen die von dir uns gezeigten Wege. – Segne uns auf dieser neuen Bahn, auf daß wir ja glücklich dahin gelangen möchten, wo du dich schon sicher lange allerseligst befindest in der Wohnung Gottes, deines endlos heiligen Vaters! –
[GS.02_064,19] Sehet, nach diesen Worten fällt der Älteste auf sein Angesicht, und seine Kinder folgen seinem Beispiele. Nun aber segnen wir sie, und da wir sie gesegnet haben, so lasset euch von mir ein wenig erheben. – Nun sehet, wir haben uns erhoben, und unsere schöne Welt schwebt schon als ein winziges Sternchen wieder in einer endlosen Tiefe. – Aber sehet da hinab; es ist eure Sonne. Nicht mehr ferne sind wir ihr, aber dennoch wollen wir nicht zu eilig, sondern mehr sachte uns ihrer geheiligten Oberfläche nähern. Doch diesmal nicht der materiellen, sondern der geistigen, welche da eben der materiellen an gleichem Orte und an gleicher Stelle völlig entspricht. – Und so denn lassen wir uns sanft hinab! –
65. Kapitel – Die Erscheinung unserer „geistigen Sonne“. – Andere Erscheinlichkeit derselben als in der Sphäre des Herrn.
[GS.02_065,01] Sehet, wir sind bereits auf der geistigen Oberfläche eurer Sonne angelangt. Wie gefällt es euch hier? Soviel ich merke, so machet ihr höchst verwunderte Gesichter und saget: Fürwahr, auch hier ist es unbegreiflich herrlich und anmutig zu sein. Es ist zwar von jener nahe schaudererregenden Glanzpracht der früheren Sonnenwelt keine Spur zu entdecken; aber dessen ungeachtet sind hier die gar lieblichen Gärten und überaus herrlichen blumigen Auen, bebaut mit kleinen niedlichen Häuschen, auch überaus wonnig anzusehen. Was aber hier den wonnigen Anblick noch mehr erhöht, ist, daß wir hier in den Gärten und in den Auen und ganz besonders um die Häuschen eine Menge Kinderchen erschauen und auch größere Menschengeister, welche sich mit diesen Kinderchen gar freundlich abgeben.
[GS.02_065,02] Aber nur eines kommt uns hier überaus sonderbar vor. Siehe, lieber Freund, es hat uns der Herr Selbst nach der Beschauung der naturmäßigen Sonne eben auch auf die geistige Sonne gesetzt. Da aber haben wir von alledem, was wir jetzt sehen, nicht das allergeringste gesehen, sondern wir sahen bloß nur eine endlos weitgedehnte Fläche, welche wohl mit einer Art Gras und hier und da auch mit kleinen Bäumchen allenthalben gleich verziert war. Dann sahen wir auch über dieser unermeßlich weiten Oberfläche Geister hin und her und auf und ab ziehen, nahe wie die Ephemeriden auf der Erde beim Sonnenauf- oder nahen Niedergange. Das war aber auch alles. Wollten wir mehr sehen, da war uns die Sphäre eines Geistes vonnöten.
[GS.02_065,03] Daraus aber gehen für uns nun drei wichtige Fragepunkte hervor. Der erste lautet also: War diejenige „geistige Sonne“, die wir in der Gegenwart des Herrn so ganz einfach erschauten, identisch mit dieser, die wir jetzt sehen? Der zweite Punkt lautet: Wenn diese Sonne identisch ist mit der ersten von uns betretenen, so fragt es sich, ob auf ihrer Oberfläche das eine ganz andere Stelle ist, als da war diejenige, die wir zuerst gesehen haben? Der dritte Fragepunkt aber lautet also: Falls dies diejenige Sonne ist und wir auf ihrer Oberfläche das nicht erschauen, was wir in der Gegenwart des Herrn beim ersten Erschauen der geistigen Sonne gesehen haben, ob wir solches dann deiner Sphäre zu verdanken haben? –
[GS.02_065,04] Du hast uns freilich gleich anfangs kundgegeben, daß wir nicht in deiner, sondern du dich nur in unserer Sphäre befindest. Es kann freilich leicht für uns unbewußtermaßen ein Sphärentausch vor sich gegangen sein; darum aber fragten wir dich denn nun auch, wie sich diese Sache verhält? –
[GS.02_065,05] Meine lieben Freunde und Brüder! Ich muß euch hier schon gleich im voraus melden, daß euch hier auf sämtliche drei Fragepunkte keine passende Antwort wird gegeben werden können; und das einfach aus dem Grunde, weil ihr um das nicht gefragt habt, welches beantwortlich das Verhältnis dieser gegenwärtigen Erscheinung enthielte.
[GS.02_065,06] Als ihr in der Gegenwart des Herrn die Oberfläche der geistigen Sonne betreten habt, da habt ihr die Oberfläche der Sonne nicht speziell, sondern in der unendlichen Sphäre des Herrn höchst allgemein betreten, denn in der Sphäre des Herrn ist nimmer ein endlich spezieller Anblick allein für sich denkbar. In Seiner Sphäre enthält jedes speziell Erscheinliche sogleich an und für sich Unbegrenztes, Unendliches, und der einfache Boden, den ihr damals betreten habt, war ein Boden der unendlichen geistigen Sonne des Herrn, in welcher alle unendlichen Sphären begriffen sind.
[GS.02_065,07] Die Geister, die ihr dort hin und her wandeln sahet, sind nicht etwa einzelne Geister, sondern ein jeder solche einzelne Geist, den ihr auf jener Oberfläche geschaut habt, ist ein ganzer Verein von zahllosen Geistern, in dem an und für sich wieder noch zahllose kleinere Vereine vorhanden sind, die da ebenfalls bestehen aus seligen Geistern spezieller Art also, wie wir jetzt da beisammen sind. Aus dem, daß ihr erst in der Sphäre eines solchen Großgeistes zu der spezielleren Anschauung der geistigen und himmlischen Dinge gelangt seid, könnet ihr solches gar leicht als vollkommen überzeugend erschauen.
[GS.02_065,08] Ihr machet hier freilich ein ganz verdutztes Gesicht und saget: Aber höre, lieber Freund, wie geht denn das zu? Fürwahr, diese deine Aussage kommt uns ein wenig unsinnig vor, denn der Herr hat uns ja die Namen der einzelnen sich uns nahenden Geister kundgegeben, worunter auch sogar einige uns irdisch nahe Anverwandte sich befanden, diese aber können doch an und für sich einen solchen allgemeinen Himmelvereinsengel nicht darstellen. Zudem haben wir sie auch nach dem Eintritte in ihre Sphäre also gesehen wie zuvor, und sie haben mit uns geredet wie du und haben uns geführt; wie wäre demnach solches zu verstehen?
[GS.02_065,09] Ich sage euch, meine lieben Brüder und Freunde, es wird wohl ziemlich schwer halten, daß ihr die Verhältnisse der Himmel so ganz klar zu durchblicken vermöget. Was ich aber zu eurer geistigen Berichtigung tun kann, will ich ja tun und will euch wieder allerlei Stößchen versetzen, durch welche ihr wenigstens der großen Wahrheit näher auf die Spur gelangen könnet, und so höret denn! – Was sprach der Herr, als Er einmal ein Zeugnis gab über Johannes den Täufer? Seine Worte lauteten: „Von allen, die bisher aus den Weibern geboren wurden, war keiner größer als er; der Kleinste aber im Reiche Gottes ist größer als er!“ – Was will denn das sagen? Nichts anderes als: Von allen speziellen Menschen ist keiner an und für sich größer denn Johannes; aber die da nach der Lehre des Herrn in das neue Reich der Himmel aufgenommen werden zu reinen Kindern Gottes, von denen werden die Geringsten schon größer sein als der größte spezielle Mensch an und für sich es ist.
[GS.02_065,10] Warum denn? Weil sie nicht nur an und für sich durch ihre Liebe zum Herrn groß werden, sondern da ihre Liebe zum Herrn Unendliches erfaßt, so werden sie zu Vorstehern der himmlischen Vereine, und im Angesichte des Herrn dehnt sich da die Liebessphäre eines solchen seligen Geistes wie zu einem zweiten großen Menschen aus. Und diese Sphäre ist an und für sich so ganz eigentlich ein solcher Himmelsverein, in welchen alle diejenigen guten Geister aufgenommen werden, die mit dem Vorsteher und somit auch Schöpfer des Vereins in gleicher Liebe zum Herrn sind.
[GS.02_065,11] Ähnliche Beispiele sind ja auch auf der Erde vorhanden. Die Staatenvereine sind schon ein äußeres Bild davon, und ein jeder Bürger des Staates trägt gewisserart den Namen des obersten Staatsvorstehers, welcher da entweder ist ein Kaiser, König, Herzog, Fürst usw. Engere Vereine sind Städte, Märkte, Dörfer und Gemeinden, da ein jeder Einwohner gewisserart auch den Namen seines Vereines trägt und man sagt: das ist ein Pariser, das ist ein Londoner, das wieder ein Wiener usw. Unsere Sache aber näher bezeichnend sind die Religionsvereine, die man freilich wohl unpassend genug „Sekten“ nennt. Nehmen wir aber die Sekte an, so werden wir finden, daß eine jede ihren Hauptgründer hat. Was ist da ein solcher Hauptgründer zu der von ihm gegründeten Sekte? Er ist der Vorsteher einer solchen Sekte oder eines solchen Vereines, welcher geistig genommen sich zu einer allgemeinen Form ausbildet, die vollkommen ähnlich ist der speziellen des Gründers.
[GS.02_065,12] Wer demnach z.B. den lutherischen Glauben völlig angenommen hat, der wohnt geistig genommen schon in der allgemeinen geistigen Form des Luther oder er ist ein Bewohner des lutherischen Vereines. Solch ein Verein ist schon ein großer, der in sich schon wieder eine Menge kleinerer Vereine hat, welche alle samt und sämtlich ihre Vorsteher haben, welche man „Gemeinden“ nennen kann; und eine solche Gemeinde hat ihren allzeitigen Vorsteher und Leiter, der gewisserart ein allgemeiner geistiger Leib oder ein zu bewohnender kleinerer Verein für alle diejenigen ist, die seines Glaubens und seiner Liebe sind.
[GS.02_065,13] Also verhält es sich auch mit den ersten Ausbreitern der Lehre des Herrn wie auch mit Swedenborg, den ihr auch habt kennengelernt. Eure Weltlich-Anverwandten aber sind einesteiles freilich nur Bewohner eines solchen Vereines. Da sie aber doch durch die Werke ihrer Liebe so gar manche Menschen ihren Herzen nähergezogen haben, so haben sie dadurch auch einen Verein gebildet und sind daher auch in ihrer Art kleine Vorsteher ihrer Vereine, aus welchem Grunde ihr sie auch auf dem Gemeinplatze in der Sphäre des Herrn als einzelne Vereinsgeister erschauen mochtet.
[GS.02_065,14] Ich meine, durch dieses Stößchen dürftet ihr schon so ziemlich ins klare gekommen sein. Daß sich aber solches wirklich also verhält, könnet ihr auch aus dem klar entnehmen, wie der Herr zu den Aposteln sagte, als sie Ihn fragten, was sie dafür wohl dereinst empfangen werden, daß sie Seinetwegen alles verlassen haben. „Ihr werdet auf zwölf Stühlen sitzen und richten die zwölf Geschlechter Israels!“ – Welches ebensoviel sagen will als: Aus dem Wort, das ihr in Meinem Namen und aus Meinem Geiste predigen werdet allen Völkern, werden errichtet werden nach eurer Anzahl ebensoviele Hauptvereine, darinnen ihr nach eurer Art werdet Hauptleiter und Vorsteher sein. – Ich meine, solches ist nahe mit den Händen zu greifen. Damit euch aber die Sache gleichfort klarer wird, wollen wir nächstens noch zu einem „Stößchen“ unsere Zuflucht nehmen.
66. Kapitel – Gemeingeist und zugleich spezieller Geist. Warum ist die allgemeine Form eines himmlischen Vereins die menschliche?
[GS.02_066,01] Wie man aber noch gewisserart ein Gemeingeist sein kann, während man an und für sich nur ein spezieller Geist ist, das wollen wir, wie gesagt, aus noch ein paar Stößchen erproben. Ein Stößchen liegt offenbar am allerklarsten in einem Worte des Herrn Selbst, allda Er spricht:
[GS.02_066,02] „Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben.“ – Was will denn das sagen? Wie taugt es zu unserem Begriffe? Der Herr ist der allereigentlichste „Gemeingeist“, da gewisserart ein jeder einzelne Menschen- und Engelsgeist vollkommen Seines Ebenmaßes ist, und dann alle zahllosen Geister zusammengenommen wieder vollkommen ähnlich sind wie in Eins dem Einen Geiste Gottes. Wie es aber vom Herrn gegen jeden einzelnen Geist und gegen alle Geister in einen zusammengefaßt der Fall ist, also ist es auch gleichermaßen der Fall zwischen den Menschengeistern.
[GS.02_066,03] Derjenige Menschengeist, der durch seine Liebe, Demut und Weisheit dem Herrn am nächsten ist, der ist schon stets mehr und mehr ein Gemeingeist, weil seine Liebe, Demut und Weisheit gar viele andere Geister in seine Sphäre gezogen haben, und bei manchen noch weiterhin fortwährend ziehen, wenn solche Gemeingeistmenschen auch schon lange nicht mehr leiblich auf der Erde leben. Solches aber stellt sich in der geistigen Welt als ein Verein dar, der also ausgebildet ist, gewisserart in weitester Umfassung, wie der spezielle Gemeingeist für sich selbst ein einzeln persönlich Dastehendes ist.
[GS.02_066,04] Es wäre hier freilich zu fragen: Wie aber bekommt denn ein solcher Verein gerade die Gestalt eines solchen gemeingeistigen Menschen? Er könnte ja gar wohl auch also aussehen, wie eine bewohnbare Welt aussieht. Warum muß denn gerade die Gestalt eines Menschen im hohen Reiche der Geister das formelle Substrat eines für himmlische Wesen bewohnbaren Vereines sein?
[GS.02_066,05] Um diese Frage gehörig verständlich zu beantworten, muß ich euch darauf aufmerksam machen, daß die für euch naturmäßig bewohnbaren Welten an und für sich eigentlich nichts anderes sind als gewisserart, wenigstens für euer Auge, chaotische Konglomerate von Seelen zu Seelen, welche in der Urzeit der Zeiten als ordnungsmäßige Gefäße der Geister aus Gott bei dem allgemeinen Falle des einen großen Gemeingeistes notwendigerweise mitfallen mußten. Aus diesen Seelen oder geistigen Gefäßen sind dann erst durch die erbarmende und endlose Willensmacht des Herrn die Welten, wie sie sind, geschaffen worden, und sind nun darum da, daß diese Seelen mit ihren Geistern nach einer weise vorgezeichneten Stufenfolge wieder vereint werden sollen.
[GS.02_066,06] Sehet aber an all die kaum zählbaren Vorgangsstufen und fraget euch zufolge eurer Vorkenntnisse: Was ist das Ziel solches gradativen Fortschreitens? Und die Antwort wird euch die nächstbeste Anschauung eines jeden Menschen geben.
[GS.02_066,07] Was ist ein Mensch sonach? Er ist in seiner vollendeten gottähnlichen Form gewisserart ein Gemeinleben von zahllosen vorangegangenen speziellen Leben, welches beim Steinmoose die ersten Lebensäußerungen zu entwickeln begann, sich dann durch alle Pflanzenwelt durchwand, von der Pflanzenwelt in die Tierwelt überging und von der gemeinsamen Tierwelt sich erst zu der vollendeten Form des Menschen ausbildete.
[GS.02_066,08] Im Menschen also fängt zuerst alle frühere zerrissene Seelen- und Geistes-Wesenheit an, ihre Urform zu gewinnen; so ist es dann ja doch nur natürlich, daß im Reiche der vollendeten Geister es im Grunde des Grundes keine anderen Formen geben kann als eben die Urgrundform des gottähnlichen Menschen.
[GS.02_066,09] Also ist denn ein Verein in der Gestalt eines Menschen ja eben die rechte Form und ist im wahren und vollkommensten Sinne eine herrliche bewohnbare Welt für Geister zu nennen, weil diese Form in sich selbst jedem Einzelteile des Menschen entspricht und somit kein Bewohner solch einer Welt vonnöten hat, zu säen und dann zu ernten. Er findet in solch einer vollkommenen Welt seinen bestimmten Platz, der ihm alles gibt, was der Bewohner nur immer vonnöten hat, so wie auch kein Nerv im menschlichen Leibe zu säen und zu ernten braucht für sich, um sich aus solcher Ernte zu ernähren, sondern auf dem Platze des Leibes, wo er sich befindet, auf eben dem Platze ist für ihn schon für alles gesorgt, und er braucht nichts anderes als zu leben und zu genießen.
[GS.02_066,10] Ich meine, dieses ziemlich ausgedehnte Stößchen sollte euch doch vieles klar machen. Nur ein Umstand ist noch dabei, nämlich in der Hinsicht, was da betrifft die Anschauung des Gemeingeistigen in einer Person aus der Sphäre des Herrn, und für diesen Umstand werden wir noch so ein Stößchen anbringen. Es läßt sich nämlich fragen: Wie möglich kann ein Spezialgeist in seiner Einheit auf den Standpunkt erhoben werden, daß er als solcher eine ganze geistige Vielheit nur als eine Persönlichkeit vor sich erschaut?
[GS.02_066,11] Das ist ein ziemlich schwieriger Punkt; aber wie gesagt, ein wohlgenährtes Stößchen wird ihn schon wieder ins rechte Gleichgewicht bringen. Um aber dieses Stößchen so wirksam als möglich zu machen, wollen wir zuerst einen Griff in die naturmäßige Welt tun; und so höret!
[GS.02_066,12] Könnet ihr eure ganze Erde überschauen? Ihr saget: Mitnichten, denn ihre Oberfläche ist zu ausgedehnt, als daß es möglich wäre, sie zu überschauen. Gut, sage ich; warum aber könnet ihr die viel größere Sonne überschauen? Ihr saget: Weil sie von unseren Augen so weit absteht, daß von ihrer ganzen Oberfläche alle ausgehenden Strahlen in einem solchen Winkel auf unser Auge fallen, den dasselbe zufolge seiner Gestaltung bequem aufnehmen kann. Nun gut, wir haben unsere Sache schon so vollkommen als nur immer möglich vorbeleuchtet.
[GS.02_066,13] Sehet, wie es in der naturmäßigen Welt Erscheinungen gibt, wo man sagen kann: Diese Sache ist nahe, diese aber räumlich weit entlegen, so gibt es auch in der geistigen Welt erscheinliche Zustände, durch welche ein Objekt in eine große Entfernung zurücktritt. Und wäre dieses an und für sich noch so groß und aus einer unzähligen geistigen Vielheit bestehend, so wird es in der geistigen Entfernung dennoch als ein einzelnes konkretes Wesen leichtlich übersehbar sein
[GS.02_066,14] Aber die geistige Entfernung ist erscheinlichermaßen nicht also beschaffen wie die naturmäßige, in welcher jene Gegenstände wirklich dem Raume nach weit entfernt sind, die das Auge als weit entfernt erblickt. Im Geiste sind diejenigen Dinge, welche scheinbar räumlich weit abzustehen kommen, nicht weit vom Auge des Betrachters entfernt, sondern können ebensonahe wie die allernächst erscheinlichen sein, da für den Geist ohnehin keine scheinbare Entfernung etwas ausmacht. Aber im Gegenteile können oft scheinbar überaus nahe liegende Dinge auch überaus entfernt sein, und dann sieht man sie zwar wie in der tastbaren Nähe; aber dessen ungeachtet sind sie, wie gesagt, geistig überaus weit entfernt.
[GS.02_066,15] Ihr saget: Das klingt ein wenig rätselhaft. Ich aber sage: Nichts weniger als das; ein kleiner Wink noch hinzugefügt, und ihr werdet dieses Rätsel ganz gelöst vor euch haben. Es fragt sich:
[GS.02_066,16] Wann ist man im Geiste von jeder anderen Wesenheit wohl am entferntesten? Sicher nur dann, wenn man sich in der unmittelbaren Nähe des Herrn befindet; denn zwischen Ihm und jeder anderen Wesenheit ist fortwährend eine ewige unübersteigliche Kluft vorhanden, und dennoch ist man wieder umgekehrt in der sphärischen Nähe des Herrn allen Dingen in ihrer Gemeinsamkeit am nächsten, weil der Herr in ihnen alles in allem ist.
[GS.02_066,17] Ihr aber waret auf eurer ersten geistigen Sonne unmittelbar in der Sphäre des Herrn. Wie mußten sich demnach alle Vereine der himmlischen Geister zu euch verhalten? Ganz klar begreiflichermaßen unmöglich anders als wie sehr entfernte. Dennoch habt ihr sie auch wie in eurer völligen Nähe geschaut.
[GS.02_066,18] Das kommt daher, weil der Herr fürs erste alles in allem ist, und das Auge eines jeden Geistes in der Sphäre des Herrn dem der unmündigen Kindlein ähnlich ist, welche da nicht selten nach dem Monde und nach den Sternen greifen, als wären sie im Ernste in ihrer völligen Nähe, während sie doch, wie ihr wißt, in stets gleich großer Entfernung sich befinden.
[GS.02_066,19] Ich meine, nun sollte euch die Sache über die von euch in der Sphäre des Herrn zuerst geschaute geistige Sonne klar sein. Und so wollen wir uns denn wieder in den Hainen, Fluren und Gärten dieser eurer Sonne entsprechenden eigentlichen geistigen Sonne näher umsehen und mit ihren sehr jugendlichen Bewohnern eine ebenfalls nähere Bekanntschaft machen. Der nächste Garten, den wir vor uns sehen, soll uns zu dem Behufe auch zuerst aufnehmen.
67. Kapitel – Eintritt ins Kinderreich. Praktische Methode zur Selbstentwicklung der Kinder.
[GS.02_067,01] Hier vor uns ist schon die Pforte; also nur mutig eingetreten! Wir sind in dem Garten. Sehet, wie niedlich und in der schönsten Ordnung alles gestellt ist! Kleine Baumalleen durchkreuzen den großen Garten, und bei jeder Kreuzung entdecken wir ein kleines Baumrondell, welches in der Mitte mit einem kleinen Tempel geziert ist. Die Wege sind mit dem schönsten Rasen überdeckt und geben auf diese Weise einen überaus sanft zu wandelnden Weg ab. Zwischen den Alleen entdecken wir freie Räume, auf denen eine Menge der schönsten Blümchen wachsen, ungefähr in der Art wie allenfalls in einem guten Frühjahre auf den Wiesen eurer Erde.
[GS.02_067,02] Ihr saget hier, wie es wohl kommt, daß diese Blumen nicht nach gärtnerischer Kunst geordnet sind, sondern einfach bunt durcheinandergemischt dem Boden entwachsen? Das kommt daher, weil hier eine schon vollkommene Welt ist, und somit alles Wachstum auf einer jeden Stelle vollkommen entsprechend ist mit den geistigen Begriffsfähigkeiten, welche die Bewohner einer solchen Stelle zu eigen haben.
[GS.02_067,03] Hier wohnen aber eben gerade die (Seelen der) jüngsten Kinderchen, welche auf der Erde bald nach ihrer Geburt dem Leibe nach gestorben sind. Diese Kinderchen können doch unmöglich schon irgend geordnete Begriffe und Vorstellungen vom Herrn und Seinem Worte haben; daher sehet ihr hier auch alles jung, klein und bunt durcheinander.
[GS.02_067,04] Sehet einmal nach vorne. Dort in der Mitte dieses großen Gartens werdet ihr ein Gebäude entdecken, das fast die Gestalt eines großen Treibhauses bei euch hat. Was ist es wohl? Nur zu, wir wollen hingehen, und wir werden gleich sehen, was es ist.
[GS.02_067,05] Sehet, wir sind schon dabei; lasset uns eintreten durch die Türe, die vor uns geöffnet ist, und es wird sich sogleich zeigen, was darin anzutreffen sein wird. Wir sind darin; sehet, eine beinahe unabsehbar lange Kleinbettenreihe befindet sich fortlaufend wie auf einer Terrasse etwa drei Schuh über den Boden gestellt. Sehet weiter! Hinter der vorderen Reihe läßt sich wie durch eine Gasse getrennt auch schon eine zweite, dann eine dritte, vierte, fünfte, usf. bis zehnte erschauen. Und sehet, in einem jeden dieser kleinen Bettchen sehen wir ein Kindlein ruhen, und in einer jeden solchen Gasse gehen fortwährend mehrere hundert Wärter und auch Wärterinnen auf und ab und sehen sorgfältigst nach, ob einem oder dem andern Kindlein etwas vonnöten ist.
[GS.02_067,06] Wieviel solcher Bettchen dürften wohl hier in diesem Raume vorhanden sein? Solches können wir leicht berechnen; auf einer Reihe befinden sich zehntausend solcher Bettlein, und zehn Reihen haben wir in dieser Abteilung gezählt, das wären sonach hunderttausend. Wieviel solcher Abteilungen gibt es aber wohl in diesem Gebäude? Es gibt deren zehn; und so werden im ganzen Gebäude eine Million solcher Bettchen vorhanden sein. Jede Abteilung aber steigt hier von Tag zu Tag nach eurer Rechnung; und die Kindlein, die heute in dieser Abteilung in diesen wunderbaren Lebensbettchen ausgereift werden, die werden sobald in die nächste Abteilung gebracht.
[GS.02_067,07] Wenn auf diese Weise die Kindlein in allen den zehn Abteilungen dieses Gebäudes aus- und durchgereift sind, so kommen sie dann schon in ein anderes Gebäude, wo sie nicht mehr in solchen Bettchen ruhen dürfen, sondern da sind für sie gewisse sanfte Geländerreihen errichtet, in denen sie stehen und gehen lernen. Auch dieses Gebäude hat ebenfalls zehn Abteilungen, in welchen das Gehen fortwährend ausgebildet wird. Sind die Kindlein des Gehens vollkommen kundig, da ist schon ein anderes Gebäude von wieder zehn Abteilungen; in diesem Gebäude wird für das Sprechen der Kindlein gesorgt, welche Sorge also klug eingeleitet ist, daß es sich fürwahr der Mühe lohnt, dahin zu gehen und diese Unterrichtsanstalt näher in den Augenschein zu nehmen.
[GS.02_067,08] In diesem Gebäude haben wir ohnehin nicht mehr viel zu lernen; denn das läßt sich von selbst denken, daß diese ganz unzeitig von der Welt herübergebrachten Kindlein lediglich durch die Liebe des Herrn ausgereift werden, und daß die Aufseher darin solche Engelsgeister sind, welche auf der Erde ähnlichermaßen große Kinderfreunde waren. – Und da wir nun dieses wissen, so begeben wir uns ins dritte Gebäude.
[GS.02_067,09] Sehet, dort mehr gegen Mittag steht es in einer schon ziemlich großgedehnten Form; gehen wir also nur hin und sogleich hinein! Wir sind schon in der einen Abteilung, und zwar in der ersten; merket ihr nicht, wie es da wimmelt von den kleinen Schülern und unter ihnen von freundlichen und geduldigen Lehrern und Lehrerinnen? Und sehet, wie diese Kinderchen mit einer allerverschiedenartigsten und buntesten Menge von allerlei Spielereien versehen sind. Wozu dienen ihnen denn diese? Fürs erste zur stummen Begriffssammlung in ihrer Seele, welche hier eigentlich ihr Wesen ist. Hier hören wir noch nichts reden; aber gehen wir in eine zweite Abteilung.
[GS.02_067,10] Sehet, da sind die Kindlein nicht mehr so bunt durcheinander, sondern sitzen auf weichen langgedehnten niederen Bankreihen. Vor je zehn Kinderchen sehen wir einen Lehrer, der einen Gegenstand in der Hand hält, ihn benennt und von den Kinderchen, so gut es nur immer geht, freiwillig nachsprechen läßt. Die Gegenstände sind allezeit also gewählt, daß sie die Aufmerksamkeit der Kindlein an sich ziehen.
[GS.02_067,11] Zudem werdet ihr hier auch bemerken, daß die langen Bankreihen durch aufsteigende Querwände von zehn zu zehn Kinderchen abgeteilt sind. Das ist darum also gestellt, damit bei der Vorweisung eines Gegenstandes die nächste anstoßende Zehnkinderchenreihe bei der Aufweisung eines Gegenstandes in der Aufmerksamkeit nicht gestört wird.
[GS.02_067,12] In dieser Abteilung lernen die Kinderchen bloß die einfachen Gegenstände benennen. In der nächsten Abteilung werden sie schon auf die Benennung zusammengesetzter Begriffe geleitet, wo nämlich ein Begriff zum Grunde und der andere zur Bestimmung liegt. In der vierten Abteilung lernen sie schon von selbst die Begriffe verbinden und auch diejenigen Worte kennen, durch welche Handlungen und Tätigkeiten, wie auch Zustände, Beschaffenheiten und Eigenschaften ausgedrückt werden.
[GS.02_067,13] In der fünften Abteilung geht schon ein förmliches Plaudern an. Solches wird also bewerkstelligt, daß die Lehrer mittels allerlei Gegenständen gewisse Tafeln zum Anschauungs-Unterricht zeigen und kleine Theater aufführen und lassen sich dann von den Kindlein erzählen, was sie jetzt gesehen haben und was da geschehen ist.
[GS.02_067,14] In der sechsten Abteilung wird dieser Lehrzweig in einem schon etwas größeren und sinnumfassenderen Maßstabe fortgesetzt. Da werden schon etwas größere Bilder-Tafeln gezeigt und Theater in der Art aufgeführt, daß sie auf den Herrn einen Bezug haben; nur wird den Kinderchen hier noch nicht Weiteres davon kundgegeben als bloß nur das äußere Bild, und sie müssen dann dasselbe wieder in der bestimmten Lehrzeit also nacherzählen, wie sie es gesehen haben.
[GS.02_067,15] In der siebenten Abteilung, wo die Kinder schon ganz förmlich reden können und ihre Auffassungsfähigkeit einen merklich höheren Grad erreicht hat, werden bereits bedeutend große, allgemeine, auf den Herrn Bezug habende geschichtliche Darstellungen, nicht nur allein in der Form der Bildertafeln, sondern schon dramatisch gegeben, und das gewöhnlich auf eine für die Kinder so anziehende Weise, daß sich diese förmlich vergaffen und verhören, und eben dadurch sich alles das Geschaute und Gehörte desto tiefer einprägen.
[GS.02_067,16] In der achten Abteilung lassen die Lehrer schon von den Kinderchen selbst kleine Stücke aufführen und sich dann wieder erzählen, was durch solch ein lebendiges Bild dargestellt war.
[GS.02_067,17] Dadurch werden die Kinderchen auf die zweckmäßigste Art zur Selbsttätigkeit und zum Selbstdenken angeleitet.
[GS.02_067,18] In der neunten Abteilung müssen die Kinderchen schon selbst neue Darstellungen zu erfinden anfangen, natürlich unter der Leitung ihrer weisen Lehrer, und die erfundenen müssen sie dann auch darstellen, zuerst bloß stumm, dann aber auch redend.
[GS.02_067,19] In der zehnten Abteilung werden wir schon eine Menge Schauspieler und Dramatiker erschauen, und ihre Sprache wird so wohl gebildet sein, daß ihr dazu werdet sagen müssen: Fürwahr, also kann mancher auf der Erde nicht reden, wenn er auch schon eine Universität durchlaufen hat. Man muß hier freilich wohl sagen:
[GS.02_067,20] Im Geiste lernt es sich schneller denn im materiellen Leibe, welcher nicht selten mit großen Schwächen und Unbehilflichkeiten behaftet ist. Das ist allerdings wahr. Aber würde auf der Erde auch eine ähnliche Lehrmethode beobachtet werden, so würden die dort lebenden und wachsenden Kinder ebenfalls ums Unvergleichliche schneller zum geistig entwickelten Ziele gelangen denn also, wo das Kind zuerst mit allerlei Unrat angestopft wird, welcher hernach bei der gründlicheren Bildung des Kindes erst mühsam hinausgeschafft werden muß, bevor das Kind zu etwas Reinerem aufnahmsfähig wird.
[GS.02_067,21] Um euch ein Bild des näheren Verständnisses wegen zu geben, will ich euch nur darauf aufmerksam machen, was ihr selbst schon öfter erfahren habt. Nehmet ihr ein für die Musik talentiertes Kind an, was könnte ein solches in der frühesten Zeit unter einer wahren und schulgerechten Leitung leisten? Wenn man aber solch einem Kinde statt eines gründlichen Lehrers einen barsten Pfuscher gibt, der gewisserart selbst alles andere besser versteht als gerade das, worin er Unterricht erteilt, gibt dem Schüler dazu noch ein schlechtes Instrument, welches entweder wenig oder gar keinen Ton hat und dazu regelmäßig fortwährend verstimmt ist und das alles unter dem Vorwande: Für den ersten Anfang ist es gut genug! Wird aus solch einem talentierten Musikschüler wohl je etwas werden? Wir wollen sehen.
[GS.02_067,22] Nach drei unnütz verschwendeten Jahren wird endlich unserem Schüler ein etwas besserer Meister gegeben. Dieser aber hat wenigstens drei Jahre zu tun, um allen seither angewöhnten Unflat aus seinem Schüler zu bringen. Nun sind sechs Jahre verstrichen, und unser Schüler kann noch nichts. Man will aber nun den ersten Fehler dadurch gut machen, daß man, um aus dem Kinde etwas zu machen, demselben sogleich einen hervorragenden Meister gibt. Dieser Meister hat aber keine Geduld und der Schüler keine große Freude mehr. Also vergehen wieder drei Jahre, und unser talentvoller Schüler hat es kaum zu einem höchst mittelmäßigen Stümper gebracht, während er bei einer gerechten Grundleitung schon in den ersten drei Jahren hätte etwas Bedeutendes leisten können.
[GS.02_067,23] Sehet, also geht es mit allem Unterrichte auf der Erde; darum auch die Fortschritte der Bildung so langsam vor sich gehen. Hier aber ist alles auf das Zweckmäßigste geordnet, darum geht auch jede Bildung mit Riesenschritten vorwärts. – Die Fortsetzung wird uns noch glänzendere Resultate zeigen. –
68. Kapitel – Anschauungsunterricht in stufenweisen Abteilungen.
[GS.02_068,01] Ihr habt jetzt gesehen, wie allda die unmündigen Kindlein sprechen lernen; was folgt aber auf das Sprechen? Sehet, da vor uns ist schon ein anderes Gebäude. In dieses werden wir hineintreten, und es wird sich da sofort zeigen, was mit diesen Kindern ferner geschieht. Wir sind schon im Gebäude, welches gar herrlich gebaut ist, und entdecken hier nicht mehr die früheren Abteilungen, sondern das ganze Gebäude stellt einen sehr großen Saal vor, der Raum genug hat, wie ihr euch mit der inneren Sehe überzeugen könnet, um eine Million solcher Schüler zu fassen, und dazu noch auf je zehn zu zehn einen Lehrer obendrauf.
[GS.02_068,02] Was geschieht aber hier? Sehet, da vor uns ist solch ein Schöckchen, ihr sehet mitten einen runden Tisch, um welchen zehn kleine Schüler mit einem Lehrer bequem logiert sind. Was haben die Schüler vor sich auf dem Tische liegen? Wir erblicken Bücher, deren Blätter etwas steif sind, und auf den Blättern sind der Reihe nach kleine, aber überaus meisterhafte Bilderchen.
[GS.02_068,03] Was tun die Schüler mit diesen Bilderchen? Sie sehen sie an und reden hernach oder sagen gewisserart dem Lehrer ihr angeschautes Bild auf. Das ist der erste Anfang zum Lesen; hier werden bloß ausgearbeitete Bilder gelesen.
[GS.02_068,04] Sehet eine Menge Tische hier im Vordergrunde, welche in einer geraden Linie über die Breite des Saales hinlaufen; da befinden sich, wie ihr sehet, lauter Anfänger im Lesen. Ihr saget hier freilich und fraget: Das ist alles recht, richtig und schön, wenn es sich bloß um das Lesen einer reinen Bilderschrift handelt; aber wenn hier auch das Lesen mittels stummer Zeichen oder sogenannter Buchstaben gang und gäbe ist, so sehen wir noch nicht recht ein, wie möglich diese stummen einlautigen Zeichen aus diesen niedlichen Bilderchen hervorgehen werden.
[GS.02_068,05] Laßt es nur gut sein, meine lieben Brüder und Freunde! Wie solches hier vor sich geht, wird euch schon bei den nächsten Tischreihen klar werden; und ihr werdet euch überzeugen, daß man hier auf ganz natürlichem Wege ohne das vorhergehende Buchstabieren und Syllabieren ganz vortrefflich lesen lernen kann.
[GS.02_068,06] Seht, da ist schon die zweite Reihe; was erblicket ihr hier? Ihr saget: Nichts anderes als im Grunde dieselben Bücher, nur sind die Bilder nicht mehr völlig ausgearbeitet, sondern bloß nur mit den sogenannten Konturlinien gegeben. Sehet, da gehört schon mehr Denken dazu, um aus der Verbindung der Linien das früher gut ausgearbeitete Bild wieder herauszufinden. Zugleich aber werdet ihr daraus ersehen, daß dadurch das innere Gemüt mehr zur Tätigkeit angeleitet wird, je mehr für die äußere Beschauung von einem Bilde hinwegfällt; oder das innere Gemüt wird angeleitet, die abgängige Ausführung selbst hinzuzuschaffen. Was die Schüler bei dieser zweiten Reihe tun, haben wir bereits gesehen.
[GS.02_068,07] Gehen wir zur dritten; wir sind hier. Was sehet ihr hier? Ihr saget: Wieder Bücher wie früher; aber hier sehen wir nur Grundlinien, um welche die anderen Konturlinien bloß durch Pünktchen ausgedrückt sind. Sehet, hier ist es schon schwerer, das eigentliche Bild herauszufinden; aber daß man dabei schon mehr zu der eigentlichen Grundbedeutung, gewisserart zum Fundamente des Bildes zurückgeführt wird, ist ersichtlich. Zugleich wird hier die Bedeutung der Bilder schon gründlicher gelesen, und die Linien fangen an, für sich selbst mehr Bedeutung zu gewinnen.
[GS.02_068,08] Es wird auch zugleich erklärt, was da eine gerade, eine krumme und eine kreisförmige Linie ist.
[GS.02_068,09] Gehen wir zur vierten Reihe; was erblicket ihr da? Ebenfalls wieder Bücher, wo zwar auch noch die Grundlinien vorkommen; aber sie sind mehr mit den Konturpunkten umfaßt. Da aber die vorkommenden Bilder eine Menge historischer, meistens auf den Herrn Bezug habende Situationen darstellen, und somit bei jedem Bilde eine oder auch mehrere menschliche Figuren vorkommen, so werden durch diese Grundlinien alle Teile und Gliederungen des Menschen ersichtlich dargestellt, daraus die Schüler gar leicht ersehen, wie die Teile des Menschen geordnet sind, und was für Bedeutung da die einfachen Linien in bezug auf die verschiedenen Teile und Gliederungen des Menschen haben.
[GS.02_068,10] Was geht aber aus dem hervor? Das werden wir sogleich bei der nächsten Reihe sehen.
[GS.02_068,11] Sehet, wir sind schon bei ihr. Da sehen wir dieselben Linien kleiner aneinandergereiht und hie und da die Endteile der Linien in gewisse Punkte auslaufend. Was besagt denn solches? Es ist noch immer das erste Bild; aber die Linien gehen schon mehr in eine stumme Zeichenform über, und die Schüler müssen diese stummen Zeichen also erkennen, als hätten sie das komplette Bild vor sich.
[GS.02_068,12] Gehen wir aber wieder zur nächsten Reihe. Da erblicket ihr in den Büchern bloß eine, zwei oder drei Hauptlinien, und zwar in viel kleinerem Maßstabe gegeben. Diese einzelnen Hauptlinien werden hie und da mit kleinen Bögchen zusammengehängt, um dadurch anzuzeigen, daß sie zusammengehören. Die Nebenlinien werden nur hie und da mit wenigen kurzen Strichelchen und Punkten angezeigt.
[GS.02_068,13] Sehet, ist das nicht schon eine förmliche Schrift? Ja sicher ist sie es; und sie ist die so ganz eigentliche rechte (oder Ur-)Schrift, welche mit dem ganzen Wesen des Menschen korrespondiert. Ihr saget: Das ist richtig; aber wie sieht es denn mit den einzelnen Lauten oder mit dem sogenannten A. B. C. aus? Ich sage euch: Das liegt schon alles darin; denn die sogenannten Selbstlaute sind durch die Punkte und kleinen Strichelchen angezeigt, die Mitlaute aber werden durch die Hauptlinien und deren Verbindungen dargestellt. Dann liest man hier nie nach den einzelnen Buchstaben und lernt sie auch darum nicht im voraus des Lesens wegen kennen, sondern da ist der Weg gerade umgekehrt. Man lernt hier zuerst aus den allgemeinen Zeichen lesen, wie ihr gesehen habt, und aus diesen allgemeinen Zeichen lernt man erst nachher die einzelnen Grundlautzeichen erkennen und zusammensetzen und aus den zusammengesetzten wieder die allgemeinen Zeichen herausfinden.
[GS.02_068,14] Sehet, das ist hier die Art und Weise, auf die allerkürzeste und allerzweckmäßigste Art den Schülern das Lesen beizubringen.
[GS.02_068,15] Daß zu der Erlernung des Lesens schon die frühere Erlernung des Sprechens ungemein viel beiträgt, braucht kaum erwähnt zu werden, indem solches ohnehin mit den Händen gegriffen werden kann. Denn der Unterschied zwischen den Mitteln besteht bloß darin, daß sie bei der Erlernung des Sprechens plastisch und dramatisch sind, beim Erlernen des Lesens aber sind sie flach gezeichnet und in kleinen Maßstäben dargestellt.
[GS.02_068,16] Wir erblicken aber hier noch mehrere Reihen; was geschieht wohl da? Es wird noch fortwährend vollkommener lesen gelehrt; und dieses besteht darin, daß die Schüler aus der Gestalt dieser inneren Schrift, welche geistig ist, durch Entsprechungen am Ende auch alle weltlichen, äußeren Schriften finden und erkennen lernen; und mit nichts sonst als bloß mit dem Lesen gibt man sich in diesem Gebäude ab. Daß dabei die Schüler auch gewisserart schon von selbst das Schreiben lernen, braucht kaum erwähnt zu werden; denn nach dieser Methode werden, wie ihr zu sagen pflegt, mit einem Streiche zwei Fliegen erschlagen.
[GS.02_068,17] Ihr fraget hier freilich und saget: Ja, wenn diese vielleicht kaum fünf- bis siebenjährigen Kinderchen, nach irdischem Maßstabe genommen, solches alles erlernen, was bleibt ihnen denn dann noch zu erlernen übrig? Denn wie wir gesehen haben, so haben sie während des Sprechenlernens durch die zahllos mannigfaltigen Bildertafeln sich ja ohnehin schon fast alles zu eigen gemacht, was der Mensch in seinem Geiste sich nur vorzustellen vermag. Und noch bei weitem mehreres hat ihnen die Erlernung des Lesens geboten, denn in ihren Bildern kamen ja doch so außerordentlich viele und mannigfaltige Situationen vor, daß man mit ihrer Verwirklichung eine ganze Unendlichkeit ausfüllen könnte. Da ist es fürwahr nicht leicht einzusehen, was für höhere Schulen es hier noch geben sollte.
[GS.02_068,18] Laßt es nur gut sein; die Folge wird es euch zeigen, was man hier noch alles zu erlernen hat. Ihr müßt ja nicht denken, daß man im Reiche der Geister als selbst Geist schon gewisserart, wie ihr zu sagen pfleget, alle Weisheit der Himmel mit dem Löffel gefressen hat, und das noch etwa auf einen Schluck obendrauf. Denn das wäre fürwahr eine außerordentliche Einförmigkeit des Lebens, wenn man sich in einer solchen Stellung befände, die keiner Vollkommenheit mehr fähig wäre. Wenn aber der Herr Selbst immer, was ihr freilich wohl nicht recht begreifen werdet, in der Entwicklung Seiner unendlichen Kraft fortschreitet, was ihr leicht aus der Fortschöpfung und Fortpflanzung aller Dinge erschauen könnet, wie sollte es da für Seine Kinder je irgendeinen Stillstand geben? – Wie aber solche Fortschreitungen geschehen, wird die Folge zeigen. –
69. Kapitel – Himmlisches Schulhaus für Erdkunde und Weltgeschichte.
[GS.02_069,01] Sehet, hier vor uns steht schon wieder ein anderes und bei weitem größeres Haus; was wird denn hier gelehrt? Wir werden gleich dahinterkommen. Ihr wisset, daß diese Kindlein ihren Geburtsort, die Erde, nie haben vermocht kennenzulernen aus dem Grunde, weil sie zu frühzeitig, und zwar gleich nach ihrer Geburt, dem Leibe nach verstorben sind. Da es aber zur Erkenntnis des Herrn auch notwendig ist, den Ort näher zu kennen, den Er zum Hauptplatze Seiner Erbarmungen erwählt hat, so müssen auch diese Kindlein eben diesen Ort darum näher kennenlernen, um daraus zu ersehen, wie der Herr und wo der Herr ein Mensch geworden ist, um das gesamte menschliche Geschlecht zu erlösen und die Erde für eine Lehrstube Seiner Kinder einzurichten. – Also wird hier im ganz eigentlichen Sinne die Geographie der Erde gelehrt, und das sicher auf eine zweckmäßigere Weise, als solches bei euch der Fall ist.
[GS.02_069,02] Wie aber diese Geographie der Erde hier vorgetragen wird, davon wollen wir uns sogleich überzeugen. In der Mitte des großen Saales, in dem wir uns nun befinden, befindet sich auf einem großen, prachtvollen Gestelle ein Erdglobus fast auf die Art, wie bei euch auf der Erde. Ihr müsset das nicht etwa bloß annehmen, sondern unter der überzeugenden Bedingung, daß auf der Erde sich in keinem Fache etwas vorfindet, das nicht entsprechendermaßen schon lange vorher im Geiste vorhanden gewesen wäre. Somit ist auch ein Erdglobus auf der Erde durchaus keine solche Erfindung, die da nicht zuvor im reinen Gebiete des Geistes schon lange, ja ewig lange vorhanden gewesen wäre.
[GS.02_069,03] Solches könnt ihr auch aus dem ganz vollkommen erschauen, so ihr euch selbst fraget: Was war wohl eher vorhanden, die Erde oder ein von Menschen verfertigter Globus, der die gegenwärtige Gestalt der Erde nur höchst mangelhaft und dürftig abbildend darstellt?
[GS.02_069,04] Ich meine aber, da im Geiste des Herrn die Erde sicher schon gar lange bestanden hat, so wird es wohl auch mit dem Bestehen des Abbildes der Erde seine guten, geweisten Wege haben. Sonach kann dieser Globus hier ja auch ganz wohl geistig genommen in seiner Ordnung sein und ist in der Fülle der Wahrheit auch in einer bedeutend größeren Ordnung, als er es bei euch auf der Erde je wird sein können.
[GS.02_069,05] Gehet nur näher hin und betrachtet ihn. Er ist auf seiner Oberfläche nicht also gezeichnet, wie solches bei euch auf der Erde zu sein pflegt, sondern er ist eine förmliche plastische Strahlentypik, gleich euren sogenannten Lichtbildern, welche ebenfalls den allerunscheinbarsten Gegenstand im kleinsten Maßstabe wieder zum Vorscheine bringen. Der große Unterschied aber zwischen der irdischen äußeren Strahlentypik und dieser inneren geistigen ist unberechenbar groß; denn hier darf bei der genauesten Beobachtung auch nicht ein Atom fehlen und muß die ganze Natur der Erde vollkommen genau dargestellt sein.
[GS.02_069,06] Daß aber solches hier bewerkstelligt ist, könnet ihr beim ersten Anblicke in der vollen Nähe hier erkennen; denn sehet, die Bächlein, Flüsse, Ströme und Meere sind hier ganz natürlich; die Bäche, Flüsse und Ströme fließen und das Meer nimmt sie auf.
[GS.02_069,07] Sehet weiter an! Die Gebirge, die ganz getreu in kleinem Maßstabe die der Erde vorstellen, sind ersichtlich aus denselben Stoffen. Die Gletscher haben ihren Schnee und Eis, die Kalkgebirge ihren Kalk, die niederen Alpen ihre Weiden und tiefer hinab ihre Waldungen. Und sehet nur genau, eine jede Stadt ein jedes Dorf ist genau abgebildet.
[GS.02_069,08] Da ist z.B. eben eure Wohnstadt. Betrachtet sie, und ihr werdet finden, daß da nicht das geringste abgeht. Sehet aber auch, wie sogar Wolken und Nebel umherziehen gerade nach den Richtungen und in denselben Formen, wie sie gleichzeitig allzeit auf der wirklichen Erde sich befinden. Sehet, das ist sicher ein vollkommenster Globus. Er ist freilich wohl ziemlich groß; sein Durchmesser dürfte nach eurem Maßstabe bei zwanzig Klaftern haben.
[GS.02_069,09] Wie aber kann er da wohl nach allen Seiten übersehen werden? Sehr leicht; denn sehet, fürs erste hängt oder ruht er vielmehr auf dem großen Gestelle mittels einer mächtigen (horizontalen) Spindel ganz parallel mit einer Rundgalerie, welche gerade die Höhe der Pole erreicht. Auf dieser Galerie befinden sich unsere Schüler, unter ihnen ihre Lehrer, und besichtigen gründlich einen ganzen Meridian. Haben sie diesen gut inne, so wird der Globus um einen Meridian weitergerückt und so fort, bis auf diese Weise die ganze Erde durchstudiert ist.
[GS.02_069,10] Ist aber das der einzige Globus, und haben die Schüler mit dessen Studium das geographische Lehrfach beendet? O nein! Sehet, da weiter vor uns ist schon wieder ein großer Saal; in dem befindet sich ein ähnlicher Globus, die Erde um tausend Jahre früher darstellend, und wieder in einem anstoßenden großen Saale einer, die Erde wieder um tausend Jahre früher darstellend, und das geht so fort bis zu Adam.
[GS.02_069,11] Auf diese Weise erlernen diese Schüler mit der Geographie auch zugleich die Weltgeschichte; nur gehen sie allezeit den umgekehrten Weg. Sie fangen bei der Gegenwart an, und gehen somit von den Erscheinungen auf die Ursache; welches ebensoviel sagen will als von außen nach innen gehen.
[GS.02_069,12] Ihr fraget hier und saget: Auf der Erde aber geschehen ja von Jahr zu Jahr nicht selten ganz gewaltige Veränderungen; wie lassen sich diese wohl auf den großen, allezeit tausend Jahre in sich fassenden Globen erlernen? Da sage ich nichts anderes als: Sehet euch nur ein wenig um und betrachtet, was alles in solch einem überaus großen Saale enthalten ist. Sehet, in einer ziemlichen Entfernung stehen in einem jeden Saale noch zehn etwas kleinere Globen. Diese stellen die Erde von hundert zu hundert Jahren dar, und zwar ebenso lebendig genau, wie solches auf den großen zu ersehen ist. Hinter diesen zehn Globen werdet ihr wieder eine noch große Menge in guter Ordnung entdecken, auf denen die Erde von Jahr zu Jahr verändert dargestellt wird, und hinter diesen die letzte weiteste Reihe, in der ihr ganz kleine, kaum drei Schuh im Durchmesser habende Globen findet, daran die Veränderung der Erde von Tag zu Tag dargestellt wird.
[GS.02_069,13] Im ersten Saale könnet ihr bemerken, daß in dieser letzten Reihe nach eurer Berechnung von Tag zu Tag ein neuer Globus hinzugefügt wird, d.h. im Saale, der euer gegenwärtiges Jahrtausend vorstellt. Damit aber die Schüler nicht so viel mit den kleinen Globen herumzuschaffen haben, so wird ihnen von den Lehrern auf dem großen Globus schon alles vorangedeutet, welche Veränderungen sich hier und da auf der Erde zugetragen haben. Dadurch erfahren die Schüler schon alles und können sich hernach zur eigenen Bekräftigung auf den kleinen Globen selbst überzeugen.
[GS.02_069,14] Am Ende des letzten Saales, darin die Erde zu Zeiten Adams dargestellt wird, befindet sich auch eine Öffnung, durch welche unsere Schüler die wirkliche Erde wie durch einen Tubus erschauen können, um sich dadurch die völlige Überzeugung von allem dem zu verschaffen, was sie in diesen Sälen über die Erde gelernt haben.
[GS.02_069,15] Wie lange dauert aber nach eurer Zeitrechnung ein solcher Lehrkurs? Höchstens sechs bis sieben Tage; denn ihr müßt hier bei weitem größere und ungehindertere reingeistige Auffassungsfähigkeit in Anspruch nehmen, derzufolge ein solches gewecktes geistiges Kind in einer Minute mehr faßt als ihr auf der Erde in einem Jahre. Im Gegenteile gibt es freilich wohl wieder im Reiche der Geister, die da unvollkommen sind, Situationen, wo ein Geist in hundert Jahren geringere Fortschritte macht als ein Mensch auf der Erde in einer Minute.
[GS.02_069,16] Also gibt es auch auf eurer entsprechenden Erde und besonders auch auf dem Monde Lehr- oder Besserungsanstalten für Geister, in denen sie ganz erbärmlich schlechte Fortschritte machen. Aber diese gehören nicht hierher, allda die Geister sich in ihrer Vollkommenheit und ursprünglichen Reinheit befinden.
[GS.02_069,17] Was lernen aber die Kinder nach diesem Kurse? Sehet, vor uns, weiter gegen Mittag, steht ja schon wieder ein enorm großes Gebäude. Was wird wohl in diesem gelehrt? Ich sage euch: Nichts anderes, als was natürlich die Unterlage des äußeren Erdwesens ist, also die natürliche Geologie und die Entstehung der Erde. Ist dieses erst alles anschaulich und gründlich aufgefaßt, so wird dann zur geschichtlichen und von dieser zur geistigen Erde übergegangen. Wie aber solches alles vorgetragen wird, davon werdet ihr euch an Ort und Stelle ebensogut überzeugen, als wie ihr euch von allem bisher überzeugt habt. –
70. Kapitel – Belehrung über das Wesen und die Entstehung der Erde.
[GS.02_070,01] Das neue Gebäude steht vor uns und wir treten hinein. Was sehet ihr hier in dem großen Saale? Ihr sehet offenbar nichts anderes als schon wieder einen aufgestellten Globus, welcher sich von einem früheren gar nicht unterscheidet. Wie sollte aber auf diesem Globus die Geologie studiert werden? Gehen wir nur näher, und es wird sich die Sache auch gleich näher zeigen.
[GS.02_070,02] Sehet, dieser Globus geht fürs erste gerade in der Mitte von Pol zu Pol in zwei Teile auseinander. Es kostet nur einen Druck und die ganze innere Gestalt der Erde ist von Pol zu Pol sichtbar. Das Gefüge und der Bau sind genau nach der wirklichen Erde dargestellt; ja sogar das Mineral, wie es sich hier zeigt, ist ganz vollkommen dasselbe! Wenn ihr die nun geteilte Kugel betrachtet, so werdet ihr ersehen, wie die Erde gewisserart in sich noch eine Erde im kleineren Maße enthält, welche aber dennoch mit der äußeren Erde durch feste organische Bande zusammenhängt.
[GS.02_070,03] In dieser kleineren Erde sehet ihr mehr gegen den Nordpol zu noch eine etwas längliche, hier freilich mittengeteilte Kugel; diese ist in ihrem Innern voll Geäder und Kanäle. Gerade unter dem Äquator seht ihr einen großen, hohlen Raum, der hier scheinbarermaßen mit einer feuerähnlichen Masse durchwebt ist. Von dieser Feuermasse sehet ihr in zahllosen Organen das Feuer nach dem Äußeren der Erde hinaussteigen, und von dieser inneren Feuerhöhlung sehet ihr auch besonders gegen den Südpol hin mehrere große gewundene Röhren, durch welche ihr eine Menge brennender Dämpfe durchströmend erschauet, welche durch das Einströmen des Wassers von der Oberfläche der Erde in diesen Feuerraum fortwährend gebildet werden und durch ihr gewaltiges Hinausströmen gegen den Südpol den täglichen Umschwung der Erde bewirken.
[GS.02_070,04] Es ist nicht an der Zeit, euch hier das ganze Erdwesen zu zerlegen, sondern bloß nur zu zeigen, auf welche Art und Weise unsere vorgerückteren geistigen Schüler allhier das innere Wesen der Erde erkennen lernen. Ich meine, es braucht kaum mehr darüber erwähnt zu werden, da doch sicher ein jeder aus euch auf den ersten Blick ersehen kann, daß die Geologie oder der Bau des ganzen Erdwesens auf keine weisere und sinnigere Weise könnte gelehrt und von den Schülern erkannt werden, als eben auf diese.
[GS.02_070,05] Zugleich aber wird hier nebst der materiellen Geologie noch darauf hingedeutet, wie alle die Stoffe und die aus ihnen gebildeten Organe im Grunde nichts als geistig entsprechende Formen sind, in denen ein gefangenes geistiges Leben zu seiner Löse vorbereitet wird. Es wird ihnen auch der Stufengang gezeigt, wie das gefangene Leben, vom Zentrum der Erde ausgehend, durch zahllose Stufen aufwärtssteigt und sich da auf der Oberfläche der Erde wieder in zahllosen neuen Formen kundgibt und fortbildet. – Sehet, das alles erlernen die Schüler in diesem Saale.
[GS.02_070,06] Ihr fraget freilich: Bei gar so viel geistigen Schülern wird ein solcher Globus doch zu wenig sein? O sehet euch nur ein wenig um in diesem Saale, und ihr werdet noch eine gar große Menge ähnlicher Apparate erschauen, teils in gleich großer Form und teils in kleineren Formen. Und alle diese Globen sind so eingerichtet, daß sie in alle möglichen Teile zerlegt werden können. Nachdem wir auch dieses gesehen haben, so können wir uns schon wieder um einen Saal weiter bewegen.
[GS.02_070,07] Wir sind im zweiten anstoßenden Saale. Sehet, dieser hat die Form einer überaus weiten und hohen Rotunde, welche ringsum in tausend bedeutend große und ziemlich tiefe Säulennischen oder gewisserart Kapellen eingeteilt ist. Hier sehet ihr in der Mitte dieser Rotunde nichts als über einem großen Tische ein flüchtiges weißlichtgraues Gewölk.
[GS.02_070,08] Was bedeutet dieses? Sehet nur nach allen Richtungen auf die runden Fenster, von denen aus einer jeden Kapelle ein jedes das Licht gerade auf diesen Tisch her wirft.
[GS.02_070,09] Durch das Zusammenstoßen der Strahlen wird eben dies scheinbare Gewölk erzeugt. Was sollen aber die Schüler daraus lernen? Nichts anderes als die geordnete Entstehung einer Welt. Wie aber aus solchem Strahlen-Konflikte nach dem Willen des Herrn eine Welt entstehen muß, das läßt sich in diesen ringsum angebrachten tausend Kapellen ersehen.
[GS.02_070,10] In der ersten Kapelle ersehen wir in etwas kleinerem Maßstabe dasselbe Phänomen, das wir schon in der Mitte des Saales gesehen haben. In der nächsten Kapelle hat das früher noch unordentliche Gewölk schon mehr eine länglichrunde Form, welche aber noch überaus schwankend ist.
[GS.02_070,11] In einer jeden darauffolgenden Kapelle wird die Form stets beständiger und gewisserart auch solider. Also gehen wir hundert Kapellen durch. Nach der hundertsten erblicken wir durch den leicht durchsichtigen Nebelball schon einen kristallreinen Wassertropfen schweben. Und wenn wir wieder ein paar hundert Kapellen durchgegangen sind, so werden wir in einer jeden den Wasserball größer erblicken, bis er endlich schon die Größe des früheren Nebelballes bekommt.
[GS.02_070,12] Von da an erblicken wir in der Mitte des Wasserballes kleine durchsichtige Kristallchen, nicht unähnlich jenen glatten gefrornen Schneeflocken, welche bei bedeutender Kälte nicht selten wie kleine Diamanttäfelchen herumfliegen.
[GS.02_070,13] In den nächsten darauffolgenden Kapellen erschauen wir stets mehr solcher Kristalle, um welche sich gegen das Zentrum zu eine Art bläulichen Geflechtes herumzuwinden anfängt und auf diese Weise die vorher losen Kristallchen miteinander verbindet.
[GS.02_070,14] In dem weiteren Fortgange dieser Kapellen erschauen wir in der Mitte des Wasserballes schon stets mehr einen graulichen und undurchsichtigen Klumpen, um den sich wie um einen Baumast im kalten Winter wieder neue klare Kristalle ansetzen und wie Diamanten durch den Wasserball hindurchschimmern.
[GS.02_070,15] Gehen wir weiter, so sehen wir auch schon wieder diese neu angesetzten Kristalle durch ein neues bläuliches Gewebe wie angebunden, und aus dem stets dunkler werdenden Klumpen erschauen wir auch schon wieder eine Menge runder Luftbläschen nach allen Seiten aufsteigen, durch welche über dem Wasserballe sich schon eine Art atmosphärischer Luft zu bilden anfängt. Und ihr sehet, daß diese Aktion, je weiter vorwärts wir gehen, desto größer und ersichtlicher wird.
[GS.02_070,16] Nachdem wir bei dieser langsamen Fortbildung wieder einige hundert Kapellen durchgegangen sind, stellt sich uns hier in der nächstanstoßenden schon ein gewaltig brausender Klumpen in der Mitte eines ziemlich großen Wasserballes vor. Bedeutende Blasen entsteigen fortwährend demselben und sind hier schon Träger einer Art dunstiger Substanzen, welche sich über die Oberfläche des Wasserballs beim Zerplatzen der aufsteigenden Blasen wie leichte Nebel über die Oberfläche des Wassers ausbreiten. Und sehet, diese Aktionen werden von Kapelle zu Kapelle heftiger. Bei der hundertsten Kapelle erblicken wir bereits hier und da durch den schon stark verkristallisierten Wasserball glühende Stellen, von denen fortwährend wie bei einem siedenden Wasser Dämpfe aufsteigen, und das in zahllosen Blasen und Bläschen.
[GS.02_070,17] Weiter vorwärts entdecken wir schon bedeutende Kristallspitzen über die Oberfläche des Wassers hinausragen und den Wasserball nur hier und da von den über ihm schwebenden Dämpfen befreit.
[GS.02_070,18] Noch weiter vorne sehen wir schon bedeutende Feuerstrahlen aus dem Innern heraus die Oberfläche des Wassers zerreißen, das Wasser gewaltig wogen, durch dieses Wogen neugebildete kleine Kristallchen in die inneren Fugen hineinschwemmen und auf diese Weise den inneren undurchsichtigen Ball stets der Oberfläche des Wassers gleich runder und in sich fester werden.
[GS.02_070,19] Wieder weiter von Kapelle zu Kapelle fortschreitend, begegnen wir schon Blitzen, welche sich freilich in kleinem Maßstabe in den Dämpfen erzeugen, die den eigentlichen Ball schon so sehr einnehmen, daß man durch sie nur mit Mühe denselben noch erschauen kann.
[GS.02_070,20] Gegen das Ende dieses Weltbildungsmuseums sehen wir ganz gewaltige feurige Eruptionen, welche den innersten festesten Grund über die Oberfläche des Wassers erheben, und dadurch Berge und anderes festes trockenes Land bilden. In dem Fortschreiten entdecken wir hie und da das kahle, feste Gestein schon mit Moos überzogen und in den tieferen Gegenden ein weicheres Erdreich, welches sich durch das Vermoosen des Gesteines und durch das Auflösen desselben durchs Feuer gebildet hat.
[GS.02_070,21] Im weiteren Verfolge entdecken wir das Wasser schon, wie ihr zu sagen pfleget, infusorisch belebt, und die Bildung des vegetativen Erdreiches geht rascher vor sich. Bei einer nächsten Kapelle entdecken wir schon eine Art Gewürm im Wasser. Wieder weiter wird die tierische Bildung im Wasser stets potenzierter und reichlicher; und so seht ihr durch solches Fortschreiten von Kapelle zu Kapelle die Erde endlich bis zu dem Zustande gediehen, in welchem die Schöpfung des Menschen ihren Anfang nimmt. Diese ist jedoch nicht mehr hier, sondern in einem nächsten Saal zu sehen.
[GS.02_070,22] Wie aber werden etwa diese Kapellen zeiträumlich voneinander unterschieden sein? – Ich sage euch: Obschon diese Zeiträume gewisserart sich nicht völlig gleichen, so könnet ihr aber doch von Kapelle zu Kapelle wohl Millionen von Jahren annehmen, und ihr werdet euch eben nicht zuviel irren. Denn wenn ihr die Größe der Erde betrachtet, so werdet ihr es auch begreifen können, welche Zeiten-Multiplikation dazu erfordert wird, um aus dem völlig nichtigen Lichtäther einen Tautropfen zu gewinnen und diesen hernach freilich wohl durch steten und stets mehr potenzierten Zuwachs bis zur gegenwärtigen Größe der Erde sich ausdehnen und endlich verfesten zu sehen. – Mehr brauche ich euch kaum zu sagen.
[GS.02_070,23] Daß die Schüler auf diese Weise die Entstehung einer Welt und hier namentlich der Erde am meisten praktisch erlernen auf dem Wege solcher belehrenden Anschauung, versteht sich von selbst. Und so denn können wir in den nächsten Saal übertreten, wo die Schöpfung des Menschen dargestellt wird und somit auch die geschichtliche und geistige Erde ihren Anfang nimmt. –
71. Kapitel – Von der heiligen Schule des Lebens.
[GS.02_071,01] Es ist hier natürlicherweise nicht der Platz, daß wir die ganze Schöpfungsgeschichte des Menschen, wie auch dessen Geschichte bis in die gegenwärtige Zeit gewisserart von Punkt zu Punkt darstellen sollen, sondern wir erschauen hier nur die Art und Weise, wie solches alles unseren kleinen geistigen Zöglingen beigebracht wird.
[GS.02_071,02] Solches könnt ihr im voraus als zur Genüge bekannt annehmen, daß hier im Reiche der vollkommenen Geister in entsprechender Weise alles ums Unberechenbare weiser und klüger angestellt wird, um irgendeinen guten Zweck zu erreichen, als auf der Erde. Das geschieht schon aus diesem sehr einfachen Grunde, weil man hier nicht bei eins bis ins Infinitum zu zählen anfängt, sondern man fängt hier gewisserart beim Infinitum an und zählt von da bis auf eins zurück, oder was ebendasselbe ist, man geht hier nicht von innen nach außen, sondern von außen nach innen; was freilich wohl auch auf der Erde der beste Weg wäre, wenn die Menschen nicht so eitel töricht und dumm wären.
[GS.02_071,03] Aber da die Menschen auf der Erde nur nach den nichtigsten und eitelsten Dingen streben, so glauben und vertrauen sie dem Herrn nur so lange (wohlgemerkt beim besten Maßstabe der Menschen), solange ihnen leiblichermaßen nichts abgeht. Kommt aber eine geringe Versuchung, da fallen sie sobald in ihre alten Zweifel zurück und werfen sich statt dem Herrn nur einer wenig nützenden und sehr schlecht helfenden Welt in die Arme. Also sind schon die besten Menschen beschaffen; woraus aber erhellet, daß ihr Sinn durchaus nicht nach innen, sondern nur nach außen gekehrt ist.
[GS.02_071,04] Wo aber der Glaube, das Vertrauen und die Liebe zum Herrn so überaus höchst dürftig bestellt sind, da läßt sich freilich wohl keine ähnliche geistige Bildung erwarten, in welcher der Mensch in einer Minute einen größeren Fortschritt machen würde als auf die gewöhnliche, höchst elende weltliche Weise in zwanzig Jahren, ja manchmal sogar kaum in hundert, wenn das menschliche Leben überhaupt so lange dauern würde.
[GS.02_071,05] Es sind zwar alle Menschen vom Herrn aus darauf angewiesen, keine andere als diese nur alleinige Bildung anzunehmen. Aber sie lassen die heilige Schule des Lebens ruhen, wissen überhaupt nicht, was sie aus ihr machen sollen, und plagen sich dafür lieber ihr ganzes Leben lang mit nichtigen Erkenntnissen der toten Natur und ihrer Verhältnisse. Und wenn sie sich dann am Ende ihres Lebens fragen: Was Wichtiges und Großes haben wir nun wohl erreicht durch unser mühsames Studium? so wird ihnen ihr eigenes Gefühl die Antwort geben: Wir haben es so weit gebracht, daß wir jetzt im allerwichtigsten Momente unseres Lebens im Ernste nicht einmal wissen, ob wir Männlein oder Weiblein sind; und wissen nicht, ob wir jetzt noch ein Leben zu erwarten haben oder keines.
[GS.02_071,06] Sind Himmel, Hölle und Geisterwelt Märchen, erfunden von arbeitsscheuen Klosterhockern; oder sollte wohl etwas daran sein? Ist nichts daran, was ist dann und was wird dann mit uns? Ist aber etwas daran, wo kommen wir dann hin, aufwärts oder abwärts?
[GS.02_071,07] Sehet, das sind die sicheren Früchte weltlicher äußerer Gelehrtheit. Man wird freilich sagen: Wenn das schon der Gelehrtheit Früchte sind, welche Früchte werden dann diejenigen Menschen haben, die sowohl auf dem Lande wie auch in den Städten nicht viel vernünftiger emporwachsen als das Vieh auf der Weide und das Getier in den Wäldern? Hier sage ich euch nichts, als was der Herr Selbst gesprochen hat:
[GS.02_071,08] „Wer da nicht wiedergeboren wird in seinem Geiste, der wird nicht in das Reich der Himmel oder des ewigen Lebens eingehen!“
[GS.02_071,09] Zur Erlangung der Wiedergeburt des Geistes aber ist die Beobachtung derjenigen heiligen Schule des Lebens in all ihren Teilen notwendig, welche der große heilige Meister alles Lebens aus Seinem eigenen heiligen Munde den Menschen der Erde gepredigt hat und sie besiegelt hat mit Seinem eigenen Blute!
[GS.02_071,10] Wer diese Schule nicht zur Hand nehmen will also werktätig, wie es in der Schule angezeigt ist, der muß sich nur selbst zuschreiben, wenn er dadurch das Leben seines Geistes verwirkt.
[GS.02_071,11] Das ist aber doch wohl sicher, daß ein jeder noch so einfache Besitzer irgendeines Gutes wissen muß und auch wissen wird, daß er fürs erste ein Besitzer eines wie immer gestalteten Gutes ist, und wird fürs zweite wissen, was für ein Gut und von welchem Werte er besitzt.
[GS.02_071,12] So ihm jemand wird wollen sein Besitztum streitig machen, dem wird er sicher einen derben Prozeß an den Hals hängen; warum denn? Weil er ganz bestimmt weiß, daß er ein Besitzer ist, und weiß, was er besitzt.
[GS.02_071,13] So aber daneben jemand ist Besitzer des ewigen Lebens im Geiste, saget, kann dieser wohl fragen, ob seine Seele und Geist mit dem Leben des Leibes vergehen werden oder nicht? Wer da fragt: Wie, wann und was, woher und wohin? der ist sicher kein Besitzer des ewigen Lebens, sondern ist nichts als ein feiler Lohnknecht der Welt und fürchtet sich über alles, das Leben seines Leibes zu verlieren; warum denn? Weil er kein anderes kennt.
[GS.02_071,14] Diejenigen aber, welche da sind und ehedem waren wahre Schüler aus der Schule des Herrn zum ewigen Leben, verachteten den Tod des Leibes und harrten mit großer Freude und Wonne nur der völligen Auflösung der schweren äußeren Lebensbande der Welt. Sie bezeugten die Wahrheit der Schule des Lebens aus dem Herrn – als Märtyrer mit ihrem Blute.
[GS.02_071,15] Suchet in der gegenwärtigen Zeit die Märtyrer! – Es gibt wohl hie und da recht wackere Verteidiger der heiligen Schule des Lebens aus Christo, dem Herrn. Aber diese Verteidiger gleichen den Hühnern auf dem Baume, die sich über den unter ihnen herumtanzenden Fuchs lustig machen, weil ihnen ihr Instinkt sagt, daß ihr Feind ihnen also nicht auf die Haut kommen kann. Sind aber die Hühner am Boden und der Fuchs kommt unter sie, da ist es mit dem „Sichlustigmachen“ über den Feind gar, und die Todesangst nötigt unsere tapferen befiederten Helden zur schleunigsten Flucht.
[GS.02_071,16] Also ist es heutzutage auch der Fall mit der Glaubensstärke. Solange sich jemand in irgendeinem Erdwinkel sicher weiß vor den Krallen herrsch- und habsüchtiger Großen der Welt, so lange auch redet er gleich einem Moses auf Sinai. Haben aber diese großen und mächtigen Freunde der Welt und Feinde der Wahrheit unseren Moses aufgespürt und machen Miene, ihn auf eine weltlich höchst unangenehme Weise in Empfang zu nehmen, dann sieht sich unser Wahrheitsprediger um, ob nicht irgendein Pförtchen zum Entwischen noch offensteht. Sollte dieses verrammt sein, dann wird bei strenger weltlicher Prüfung von seiten des stark bedrohten Propheten diejenige mutige Maßregel ergriffen, welche eurer Wissenschaft nach der sternkundige Kopernicus ergriffen hatte, als er vor sich den Scheiterhaufen zu seinem nicht geringen Troste erblickte; oder wie auch manche wirklich fromme Menschen in Spanien zu den löblichen Zeiten der Inquisition getan haben, da sie auch lieber wollten so manche vom Herrn Selbst ihnen mitgeteilte Lehren verbrennen, als über sich selbst eine bedeutende Unannehmlichkeit kommen lassen.
[GS.02_071,17] Jedoch das sind immer noch an und für sich lobens- und achtenswerte Menschen, denn in sich selbst sind sie dennoch von der Wahrheit überzeugt, nur nach außen hin haben sie nicht Mut, dieselbe zu bekennen.
[GS.02_071,18] Der Herr hat aber da freilich wohl gesagt: „Wer Mich bekennen wird vor der Welt, den werde auch Ich bekennen vor Meinem Vater!“ oder anders gesagt: Wer mich wahrhaft in seinem Geiste wird aufgenommen haben, der wird Mich auch bekennen in der Fülle der Kraft der Wahrheit in ihm vor aller Welt; Ich aber werde ihn darum auch erkennen in der Fülle Meiner Liebe als Vater.
[GS.02_071,19] Wenn aber die Sache sich also ausspricht, so wird daraus sicher nichts anderes zum Vorschein kommen, als fürs erste, wie es da lautet im Worte des Herrn: „Viele sind berufen, aber wenige auserwählt!“ – oder verdeutlicht gesprochen: Es werden zwar viele jenseits das ewige Leben erlangen, aber nur ganz wenigen wird das große Glück zuteil werden, als Kinder ins eigentliche Vaterhaus aufgenommen zu werden. Denn die Erlangung dieser Gnade kostet Gewalt; und die es nicht mit Gewalt an sich reißen, die werden es nicht bekommen.
[GS.02_071,20] Aber auf einer andern Seite heißt es wohl auch: „Mein Joch ist sanft und Meine Bürde ist leicht.“ – Diese Stelle mag denjenigen zum Troste gereichen, welche die Wahrheit wohl in sich überzeugend haben, aber dabei dennoch auch so viel Welt, daß sie ihnen den Mut benimmt, die Wahrheit offen vor der Welt zu bekennen. Diese haben dann wirklich an der in ihnen vorhanden seienden Wahrheit des ewigen Lebens ein sanftes Joch und eine leichte Bürde. Diejenigen wenigen aber, welche alles Weltliche aus sich verbannt haben überkommen dann den Geist der Kraft und Stärke, fürchten keine Welt mehr, bekennen die ewig lebendige Wahrheit in ihnen offen und reißen durch die Gewalt ihres Glaubens und ihrer Liebe zum Herrn das Haus des Vaters an sich.
[GS.02_071,21] Solches aber möget ihr auch daraus ersehen, wenn da irgendein Familienvater hätte sein Gut auf dem Lande und hätte dabei auch mehrere recht brave Dienstboten nebst seinen Kindern. Wenn aber Diebe und Räuber in das Haus einbrechen, da werden die Dienstboten sich vor Furcht und Angst verkriechen; aber die erwachsenen Söhne werden mit aller Kraft, mit allem Mute die frevelnden Räuber und Diebe ergreifen und das Leben des Vaters und der Mutter mit ihrem Mute und mit ihrer Kraft schützen.
[GS.02_071,22] Sind die Dienstboten darum schlecht, weil sie sich verkrochen haben? Nein, das sind sie eben nicht; aber sie sind schwache, wenig belebte und somit mutlose Wesen. Aber die Kinder haben das Leben des Vaters in ihrem Grunde; daher ist ihnen auch nichts so heilig als dasselbe. Sollten sie aber, die Dienstboten nämlich, fürs Verkriechen belohnt werden? Ich meine, man braucht kein Jurist zu sein, um einzusehen, daß man in diesem Falle fürs ängstliche Verkriechen sich keines Lohnes wert gemacht hat.
[GS.02_071,23] Solches aber steht ja auch im Worte des Lebens: „Wer viel säen wird, der wird auch viel ernten, und wer wenig säen wird, wird auch wenig ernten.“
[GS.02_071,24] Ich meine, daß aus diesem bisher Gesagten es eben nicht so schwer zu erkennen sein wird, daß sich die Menschen auf dem Wege ihrer jetzigen Weltschulen eben nicht zu viel des ewigen Lebens werden zu eigen gemacht haben; und die überaus magere Aussaat wird auch eine ebenso überaus magere Ernte zur Folge haben.
[GS.02_071,25] Darum aber zeige ich euch auch nach dem Willen des Herrn die lebendigen Kinderschulen in der Sonne, auf daß ihr daraus entnehmen möchtet, wie man eigentlich auch auf der Erde die Schule des Lebens handhaben sollte! – Wir stehen nun in dem Saale, wo wir nächstens die Schöpfungsgeschichte des Menschen und seine weitere Geschichte auf der Erde und den geistigen Zustand derselben werden erkennen lernen. –
72. Kapitel – Lehrsaal der Schöpfungsgeschichte des Menschen.
[GS.02_072,01] Sehet, auch in dieses überaus großen Saales Mitte befindet sich ein enorm großer Globus, um den eine Galerie angebracht ist. Und da auch dieser Saal eine große Rotunde ist, deren Rundwand mit vielen bedeutend großen Kapellen versehen ist, so erblicken wir in diesen Kapellen auch noch eine Menge kleinere Globen, welche da zu dem vorbestimmten Zwecke dienen.
[GS.02_072,02] Gehen wir aber hin auf die Galerie und besichtigen dort den großen aufgestellten Globus; allda werden wir die Schöpfungsgeschichte des Menschen erschauen. – Wir sind auf der Galerie; so habet denn acht, wie ein hier anwesender Lehrer solches seinen Schülern kundtun wird.
[GS.02_072,03] Sehet, er neigt sich über die große Kugel und rührt sie an. Und sehet, an der Stelle, wo er sie angerührt hatte, geht sobald ein starkes Licht auf, das Licht ergreift sich, bildet sich aus zu einer Form und die Form ist gleich einem Menschen. – Und sehet weiter: der Lehrer rührt die Kugel abermals an, und ein feiner Staub entsteigt der berührten Stelle, umhüllt die frühere Lichtgestalt, und das Licht gibt nun keinen Schein mehr von sich und ist schon umfaßt in gleicher Form mit einer irdischen Hülle.
[GS.02_072,04] Und nun sehet, der Lehrer beugt sich abermals hin und haucht die noch unbelebte Form an und sie wird lebendig, bewegt sich auf dem Platze von selbst und betrachtet die Dinge um sich. Und sehet wieder weiter: die Form wird des Betrachtens müde, sie fällt dahin und geht in einen Schlafzustand über.
[GS.02_072,05] Aber nun beugt sich der Lehrer wieder hin und rührt die schlafende Form an der Seite an, und ihr sehet von der Seite dieser Form wieder ein Licht aufsteigen, das Licht ergreift sich zu einer zweiten menschlichen Form und steht unbeweglich vor der noch schlafenden ersten Form. Aber der Lehrer berührt wieder die erste Form, und ein wenig nasse schweißige Masse, wie ein trüber Tropfen, entwindet sich der ersten Form, löst sich in einen kleinen Nebel auf und umhüllt als solcher die zweite Lichtform. – Das Licht verschwindet, und die zweite Form ist ähnlich der ersten, aber sie ist noch nicht belebt; darum rührt sie der Lehrer abermals an – und sehet, sie lebt und bewegt sich munter hin und her.
[GS.02_072,06] Aber nun rührt der Lehrer auch die erste Figur wieder an; sehet, sie erhebt sich, und da sie eine zweite erblickt, die ihr ähnlich ist, so hat sie eine sichtbar große Freude daran und führt schon eine Mienensprache mit derselben. – Der Lehrer stellt hier gewisserart den Herrn vor und bewirkt nun scheinbar dasselbe mit der ihm vom Herrn dazu verliehenen Kraft, was der Herr in der großen Wirklichkeit verrichtet hat. Er spricht auch ganz dieselben Worte, die der Herr gesprochen hat und die Schüler merken auch die große Macht solcher Worte.
[GS.02_072,07] Nun aber seht hin, wie sich der Lehrer diesem erstgeschaffenen Menschenpaare offenbart und wie er dieses Menschenpaar lehrt.
[GS.02_072,08] Sehet, der Lehrer rührt sich an an der Brust. Alsbald geht ein heller Strahl aus der angerührten Stelle hin zu dem neugeschaffenen Menschenpaare und stellt sich vor demselben ebenso auf als ein dritter Lichtmensch. Und was der Lehrer nun nach den euch bekannten Worten des Herrn vor den Schülern spricht, dasselbe spricht auch der aus dem Strahle aus des Lehrers Brust dargestellte dritte Mensch zu dem erstgeschaffenen Menschenpaare.
[GS.02_072,09] Es ist nicht weiter nötig, euch den Verlauf der ferneren Darstellung weiter mit ansehen zu lassen, denn es geht nun alles, was ihr aus dem Alten und Neuen Worte wisset, buchstäblich vor sich, nur werden dabei die Zeugungsmomente verhüllt. Denn dafür ist noch eine andere gewisserart geistige Zeit, in der unsere Schüler bei größerer Reife ihres Wesens davon auf eine höchst erbauliche Weise unterrichtet werden.
[GS.02_072,10] Ich mache euch aber darauf aufmerksam, daß die Lehrer auf dieselbe Weise ihren Schülern die ganze fernere Führung des menschlichen Geschlechtes auf eine allerzweckmäßigste Art darstellen und am Ende die ganze Erdoberfläche bevölkern und diese Völker auf der Erdoberfläche selbst handeln lassen. Diese erbauen Hütten und Städte, bändigen Tiere zu ihrem Gebrauche, führen Kriege und verfolgen sich genau so, wie es auf der Erde in Wirklichkeit der Fall war. Und sehet, solches geschieht bis zur gegenwärtigen Zeit.
[GS.02_072,11] Die besonderen Momente in der großen Weltgeschichte, als da ist zuerst die Schöpfung des Menschen, dann die Sündflut Noahs, dann die Bundschließung mit Abraham, Isaak und Jakob, dann die große Führung des israelitischen Volkes unter Moses und dessen Nachfolger, dann die Geschichte unter David und Salomo, dann die Geburt des Herrn und von da an die wichtigsten Momente der Ausbreitung Seiner Lehre bilden Hauptabschnitte des Unterrichtes.
[GS.02_072,12] Ist ein solcher Hauptabschnitt vollendet, so werden die Schüler zu den kleinen, in den Kapellen stehenden Globen geführt und müssen da ihren Lehrern in selbstschöpferischer Art wiederholen, was ihnen die Lehrer auf dem großen Globus gezeigt haben. Dadurch wird das Ganze des Unterrichtes selbst lebendig, und die Schüler wissen dann die Begebenheiten der Erde von Punkt zu Punkt genau so lebendig, als wären sie auf der wirklichen Erde von allem selbst mittätige Zeugen gewesen.
[GS.02_072,13] Wenn die Schüler diesen wichtigen Lehrzweig sich zu eigen gemacht haben, dann erst werden sie wieder zum großen Globus geführt und die Lehrer zeigen ihnen dann zugleich die geistige Erde und wie sich diese bildet aus dem Menschengeschlechte.
[GS.02_072,14] Sie zeigen ihnen die Sphären, wie sich diese stets reiner und heller über der eigentlichen materiellen Erde gestalten, und wie eben diese Sphären dann eine landschaftliche Gestaltung bekommen, sobald der Geist eines verstorbenen Menschen in irgendeine Sphäre aufsteigt und von derselben den ihm zusagenden Besitz nimmt.
[GS.02_072,15] Aber zugleich zeigen die Lehrer den Schülern die unterirdischen stets finsterer werdenden Sphären, und wie die Seelen böser verstorbener Menschen hinabsinken in solche finstere Sphären. Wo sie irgendeinen zusagenden Besitz nehmen, dahin drängen sich auch bald mehrere, fangen an sich zu drücken und, dadurch in Zorn übergehend, sich auch zu entzünden, und haben sie sich entzündet, so erschauen die Schüler, wie solche finstere Seelen dann entsprechendermaßen in die verschiedenartigsten scheußlichsten Gestalten übergehen und sich in diesen in stets tiefere und finsterere Sphären versenken.
[GS.02_072,16] Bei dieser Gelegenheit wird den Schülern auch erklärt, was die Sünde ist und wie ein freies Wesen auf der Erde lebend sich versündigen kann.
[GS.02_072,17] Haben die Schüler dieses alles wohl begriffen, dann werden sie aus diesem Saale hinausgeführt und in einen anderen größeren Garten geleitet, wo sich schon höhere Lehranstalten befinden. Daß die Schüler in diesem ersten Garten natürlicherweise nicht in einem Atem fortlernen, sondern dazwischen gar wohlgeordnete Spielstunden haben, das versteht sich von selbst. Denn auch der Geist hat ordnungsmäßig zu seiner Stärkung ruhender Perioden vonnöten, was der Herr schon bei der ersten Schöpfungsgeschichte dadurch anzeigte, daß Er nach den bekannten sechs Schöpfungswerktagen einen siebenten Ruhetag bestimmt hat.
[GS.02_072,18] Und zu den Zeiten Christi hat der Herr Selbst gezeigt, daß Er nach getaner Arbeit gleich einem jeden andern Menschen geruht hat. Also müssen auch die Geister hier Ruheperioden haben, in denen sie sich wieder zum neuen Unterrichte stärken; und so tritt auch, besonders beim Übertritte von einem Lehrgarten in den andern, eine bedeutende Ruheperiode ein. In dieser wird den Schülern gegönnt, mit ihren Lehrern, wenn sie darnach eine Lust haben, sogar Besuche bei ihren Anverwandten auf dem wirklichen Erdkörper abzustatten, welches aber gewöhnlich allezeit nur dann geschieht, wenn ihre verwandten Erdbewohner im tiefen Schlafe sind und im wachen Zustande nur höchst selten etwas davon wissen; besonders dann schon gar nicht, wenn sie mehr irdisch denn geistig gesinnt sind.
[GS.02_072,19] Manche solcher Schüler, da sie vom Herrn schon gar vieles wissen, haben den Wunsch, den Herrn zu sehen. Solcher Wunsch aber wird nur selten erfüllt und das aus dem Grunde, weil sie als Geister noch zu schwach sind, um dem ewigen, allmächtigen Geiste Gottes gegenüber beständig zu bleiben und solche Nähe auszuhalten. Ihre größte Lieblings-Erholung aber besteht darin, so sie Maria, als ihre allgemeine geistige Obervorsteherin und Mutter, besuchen dürfen. Maria besucht gar oft alle diese großen Lehranstalten; aber nicht allezeit sichtbar den kleinen Geistern, wohl aber den Lehrern.
[GS.02_072,20] Ihr fraget, ob alle verstorbenen Kinder von der Geburt an bis in ihr zwölftes Jahr diese Schulen durchmachen müssen? Allerdings, aber nicht in einem und demselben Garten; denn da gibt es für jedes Alter einen eigenen Anfangsgarten. Aber was den zweiten Garten betrifft, da kommen sie schon alle zusammen. – Wie und was aber dort die nahe zahllos vielen Kindergeister erlernen und in was für einen Zustand sie übergehen, wird euch die Folge zeigen. –
73. Kapitel – Schulhaus der 12 göttlichen Gebote. Erster Saal – Erläuterung des 1. Gebotes.
[GS.02_073,01] Wir dürfen von hier keine gar große und weite Reise machen, der nächste Garten wird sogleich vor unseren Augen stehen. Sehet hin, in einer mäßigen Entfernung begrüßen uns schon unabsehbar weit gedehnte Baumreihen, hinter denen wir einen überaus großen und ebenmäßig prachtvollen Palast erblicken. Das ist schon der Garten, in welchen wir zu kommen haben, in diesem werdet ihr sogar auch diejenigen Kinder antreffen, die euch der Herr auf der Erde genommen hat.
[GS.02_073,02] Ob ihr sie aber sogleich erkennen werdet, das ist freilich wohl eine andere Frage; denn im Geiste haben die Kinder nicht mehr das Anähnelnde der Gestalt ihrer irdischen Eltern, sondern nur das Anähnelnde in entsprechendem Maße nach der Aufnahmsfähigkeit für das Liebegute und Glaubenswahre aus dem Herrn mit dem Herrn. – Dessen ungeachtet aber können sie auch bei gewissen Gelegenheiten das irdisch Anähnelnde, welches in ihrer Seele haftet, annehmen und sich dadurch der Form nach denjenigen kennbar machen, welche von der Erde hier anlangen und von den geistigen Verhältnissen noch eben nicht gar zuviel wissen.
[GS.02_073,03] Wir wollen aber vorderhand nicht zu lange davon sprechen, sondern uns lieber sogleich in den Garten begeben, um uns allda von allem dem mit den eigenen geistigen Augen zu überzeugen, was wir sonst nur mit dem Munde hier ausfechten müßten.
[GS.02_073,04] An den Baumreihen oder Alleen sind wir schon, in denen ihr die schönsten blumigen Wege entdecket und auch hier und da die Kinder munter auf denselben wandeln sehet. Gehen wir aber nur tiefer hinein, und wir werden uns sobald bei dem erst geschauten Palaste befinden.
[GS.02_073,05] Sehet, da steht er schon vor uns, und das in einer nahe unabsehbar weit gedehnten Länge. Tausendmal tausend Fenster laufen in einer Reihe fort. Ein jedes ist bei sieben Klafter hoch. Über der Höhe der Fenster entdecken wir noch eine kleinere Fensterreihe, welche jedoch überall genau über den unteren großen Fenstern zu stehen kommen.
[GS.02_073,06] Ihr saget und fraget hier: Aber um des Herrn willen, ist dieses ganze Gebäude, dieser unabsehbar lange Palast, nur ein einziger Saal? – Ich sage euch: Solches ist er mitnichten, sondern er besteht aus zwölf Abteilungen. In der Höhe aber, wo ihr die zweite Reihe der kleinen Fenster bemerket, läuft ununterbrochen eine herrliche und breite Galerie um den ganzen Saal, von welcher Galerie aus man, ohne die Schüler zu ebener Erde irgendwie zu stören, alle die zwölf Abteilungen nacheinander übersehen und sich da überzeugen kann, was alles in ihnen vorkommt. – Gehen wir aber nun hinein, damit euch alles klar werde.
[GS.02_073,07] Sehet, da sind wir schon am Eingange. Wir brauchen aber nicht auf die Galerie hinaufzugehen, da wir diesen kleinen Kindergeistern ohnehin zum größten Teile unsichtbar bleiben müssen. Bemerkbar werden wir nur den Lehrern; diese aber sind schon unterrichtet, warum wir hier sind.
[GS.02_073,08] Nun sehet, hier sind wir schon im ersten Saale. Was sehet ihr in der Mitte dieses großen Saales auf einer weißen Tafel, welche auf einer Säule aufrecht stehend angebracht ist, geschrieben? Ihr saget: Zuoberst die uns wohlbekannte Zahl 1, die sicher die Nummer des Saales sein wird, und unterhalb: Weg zur Freiheit des Geistes! – Das eins bedeutet, sage ich euch, nicht die Nummer des Saales, sondern es bezeichnet das erste Gesetz Gottes durch Moses.
[GS.02_073,09] Ihr fraget: Was sollen aber die vielen Kinder, die wir hier schon ziemlich erwachsen erschauen, mit dem irdischen Gesetze Mosis, welches wohl für sterbliche, irdisch ungläubige Menschen gilt, aber doch sicher nicht für Kinder, welche als reine Geister hier schon lange die lebendigste Überzeugung von dem Dasein des einen Gottes haben, indem ihnen solches doch schon bei dem ersten Elementarunterrichte, wie wir gesehen haben, zur Übergenüge lebendigst anschaulich bei jeder Gelegenheit gezeigt wird?
[GS.02_073,10] Meine lieben Freunde und Brüder, die Sache verhält sich ganz anders, als ihr meinet. Ähnliches findet ihr aber auch auf der Erde, allda ihr auch die Kinder fragen und betrachten könnet, wo ihr wollet, und ihr werdet bei ihnen überall einen wirklich lebendigen Glauben an einen Gott antreffen. Denn niemand ist gläubiger als die Kinder, und es gibt doch nicht leichtlich irgendein so böswilliges Elternpaar, das seinen Kindern, wenigstens zu Anfang ihres Seins, verweigern möchte, einen Gott zu erkennen, da dies jede Religion vorschreibt und den Eltern wenigstens aus politisch-moralischen Gründen zur Pflicht gemacht wird, solches ihre Kinder erlernen und erkennen zu lassen.
[GS.02_073,11] Sollte man da nicht eben auch glauben, daß solchen von Gott unterrichteten Kindern nach der Zeit kein fernerer Unterricht über Gott not tut? – Ihr müßt da selbst bekennen und sagen: Ja, ein solcher Unterricht tut jedermann bis an sein letztes Lebensende not; denn nur gar zu leicht werden die ersten Eindrücke in den Kinderjahren verwischt, und dann stehen die den Kinderschuhen entwachsenen Menschen da, als hätten sie nie etwas von Gott gehört. Ich sage euch: ein solches Verwischen ist hier freilich wohl nicht leichtlich möglich; aber das müsset ihr doch annehmen, daß diese Kinder, zufolge ihrer frühen Hieherkunft, auf der Erde keine Gelegenheit hatten, die Freiheitsprobe für ihren Geist, welche die eigentliche Lebensprobe ist, zu bestehen. Daher muß diese überaus wichtige Aktion für das Leben des Geistes, hier ins vollste Werk gesetzt werden. Bisher waren diese Kindergeister nur gewisserart geistige lebendige Maschinen. Hier aber handelt es sich ums Lebendigwerden aus ihnen selbst, und darum müssen sie auch alle die Gebote kennenlernen, dieselben dann werktätig an sich selbst erproben und erfahren, wie sich ihr selbst lebendiges geistiges Wesen unter einem gegebenen Gesetze verhält.
[GS.02_073,12] Und so denn ist auch hier das erste Gebot gegeben, welches da lautet: „Du sollst an einen Gott glauben und dir nie denken, es gäbe entweder keinen Gott, oder es gäbe zwei, drei oder mehrere Götter.“
[GS.02_073,13] Hier fragt es sich dann freilich wieder weiter: Wie kann man denn demjenigen an einen Gott zu glauben gebieten, der ohnehin an einen Gott lebendig glaubt und keinen Zweifel darüber hat? Das ist fürwahr eine gute Bemerkung; darum aber werden eben hier die Kinder von ihren Lehrern durch allerlei Lehre und Taten in einen solchen Zustand versetzt, in welchem sie von allerlei Zweifeln über das Dasein Gottes behaftet werden, welche Unterrichtsweise man hier die Abödung des eigenen Geistes nennt.
[GS.02_073,14] Um aber solches bei diesen Kindern zu bewirken, lassen die Lehrer nicht selten die merkwürdigsten Dinge wie zufällig vor den Augen ihrer Schüler entstehen, lassen sie dieselben betrachten und fragen sie dann, ob dazu Gott vonnöten war, den sie doch dabei nicht als handelnd gesehen haben. Sagen da die Kinder, Gott kann solches bloß durch Seinen Willen bewirken, ohne dabei wesenhaft notwendig gegenwärtig zu sein, da lassen die Lehrer ihre Schüler selbst verschiedene Dinge denken, und was da gedacht wird von den Kindern, das steht schon fertig da. Dabei fragen dann die Lehrer die Kinder wieder, wer nun solches getan habe?
[GS.02_073,15] Dadurch werden schon mehrere ins Zwielicht gebracht. Einige sagen, solches hätten sie selbst getan, andere wieder meinen, es haben solches die Lehrer nach dem Erkennen der Gedanken in den Schülern getan. Einige aber sagen, sie hätten sich solches wohl gedacht; aber es müßte doch ein allmächtiger Gott es zugelassen haben, darum das von ihnen Gedachte als ein vollendetes Werk vor ihnen erschien.
[GS.02_073,16] Wenn die Schüler so ziemlich noch immer beim festen Glauben an einen Gott verbleiben, da fragen sie dann die Lehrer, woher sie denn das wüßten, daß es einen Gott gebe? Die Schüler antworten ihnen da gewöhnlich: Solches haben uns die ersten weisen Lehrer gelehrt. Nun fragen aber diese Lehrer weiter und sagen: Was würdet ihr denn dann sagen, so wir als die offenbar weiseren Lehrer sagen und lehren, daß es keinen Gott gibt, und daß das alles, was ihr sehet, von uns gemacht und errichtet ist? Und was werdet ihr sagen, wenn wir von uns aussagen, daß wir die eigentlichen Götter sind?
[GS.02_073,17] Sehet, hier stutzen die Kinder ganz gewaltig und fragen dann die Lehrer, was sie denn nun in diesem Falle tun sollen?
[GS.02_073,18] Diese Lehrer aber sagen zu ihnen: Suchet in euch, was ihr da tun müßt; gibt es einen Gott, so müsset ihr Ihn in euch finden, und gibt es keinen, so werdet ihr auch ewig keinen finden.
[GS.02_073,19] Wenn dann die Kinder fragen, wie sie in sich ein solches Suchen anstellen sollten, da sagen die Lehrer: Versuchet, den Gott, den ihr meinet, daß Er ist, in euren Herzen also zu lieben, als wäre Er einer. Nehmet in solcher Liebe zu, und wenn es einen Gott gibt, so wird Er euch in eurer Liebe antworten, gibt es aber keinen, da werdet ihr in euren Herzen keine Antwort bekommen.
[GS.02_073,20] Sehet, hier fangen die Schüler an, in ihr Inneres zu gehen und fangen an, den früher bloß nur kindlich geglaubten Gott im Ernste zu lieben. Aber da geschieht es, daß Sich Gott der Herr nicht sobald meldet, und unsere Kinder dadurch in nicht geringe Zweifel kommen. – Wie sie aber aus diesen gebracht werden, wird der Verfolg zeigen. –
74. Kapitel – Wie soll man Gott suchen?
[GS.02_074,01] Sehet, da sind schon einige, die sich soeben an ihren Lehrer wenden und ihm die Bemerkung machen, daß sie nun im Ernste zu glauben genötigt seien, es gäbe keinen Gott außer den Lehrern, die vor ihnen Wunderdinge leisten, indem sich Gott trotz der Heftigkeit ihrer Liebe, mit der sie Ihn in ihren Herzen erfaßt haben, auch nicht einem unter ihnen zu einer allergeringsten Wahrnehmung gezeigt habe.
[GS.02_074,02] Was tun aber die Lehrer auf die Äußerung ihrer Schüler? Höret nur den an, an den solcher Bericht ergangen ist: er (der Lehrer) spricht zu seinen Schülern:
[GS.02_074,03] Meine geliebten Kinder! Es mag wohl sein, daß sich bei euch Gott noch nicht gemeldet hat; es kann aber auch sein, daß er sich gemeldet hat, ihr aber waret zu unaufmerksam und habt eine solche Anmeldung nicht wahrgenommen.
[GS.02_074,04] Saget mir daher: Wo waret ihr, als ihr Gott in euren Herzen erfaßt habt? Waret ihr draußen unter den Bäumen des Gartens oder auf den Galerien des Saales, oder waret ihr auf dem großen Söller des Saalgebäudes oder in irgendeiner Kammer, oder waret ihr in euren Wohnstuben, welche da außerhalb dieses großen Lehrgebäudes reichlich erbaut sind? Und saget mir auch, was alles ihr hier und da gesehen, bemerkt und empfunden habt.
[GS.02_074,05] Die Kinder sprechen: Wir waren draußen unter den Bäumen und betrachteten da die Herrlichkeiten der Schöpfungen Gottes, an den wir glauben sollen, und lobten Ihn darob, daß Er so herrliche Dinge gemacht hat. Wir stellten Ihn uns vor als einen recht lieben Vater, der gern zu Seinen Kindern kommt, und haben dadurch auch in unseren Herzen eine große Sehnsucht gefaßt, Ihn zu erschauen und Ihm dann mit all unserer kindlichen Liebe entgegenzueilen, Ihn zu erfassen und nach all unserer möglichen Kraft zu liebkosen.
[GS.02_074,06] Allein es kam von keiner Seite irgendein Vater zu uns. Wir befragten uns auch sorgfältig untereinander, ob einer oder der andere noch nichts merke vom Vater. Doch ein jeder aus uns bekannte offenherzig, daß er nicht von fernher auch nur etwas Allerleisestes merke.
[GS.02_074,07] Wir verließen dann den Platz, eilten auf die Söller des Lehrsaalgebäudes und taten da dasselbe. Allein der Erfolg war ganz derselbe wie unter den Bäumen. Wir gingen von da in unsere Wohnstuben, in der Meinung, hier würde uns der Vater am ehesten besuchen, denn wir beteten da viel, und baten Ihn inbrünstig, daß Er Sich uns zeigen möchte. Aber es war alles umsonst! Da wir sonach deinen Rat vergeblich befolgt haben, so sehen wir uns nun genötigt, deiner Lehre beizupflichten, nämlich daß es eher keinen als einen Gott gäbe. Und so haben wir unter uns beschlossen: Wenn es schon irgendeinen Gott gibt, so gibt es aber dennoch keinen ganzen, sondern einen geteilten in all den lebenden und freitätigen Wesen, wie ihr und wir da sind. Gott ist demnach nur ein Inbegriff der lebendigen Kraft, welche aber erst in den Wesen, wie ihr es seid, freitätig sich und andere erkennend und dadurch auch mächtig wirkend auftritt.
[GS.02_074,08] Sehet hier die kleinen Philosophen, und erkennet aber auch zugleich den Grund oder das falsche Samenkorn, von dem alle diese schlüpfrigen Vernunftsspekulationen die Frucht sind!
[GS.02_074,09] Was spricht unser Lehrer zu diesen Philosophemen seiner Schüler? Höret, also lauten seine Worte: Meine lieben Kinderchen! Nun habe ich den Grund in euch recht klar erschaut, warum sich euch kein Gott gezeigt hat, weder unter den Bäumen, noch auf dem Söller, noch in den Wohnstuben (das heißt: weder im Forschen in der Natur durch Erfahrungen und Zergliederungen derselben, noch auf dem Wege höherer Vernunft- und Verstandesspekulation, noch in eurem nicht viel besseren als einem Alltagsgemüte), weil ihr schon mit den Zweifeln hinausgegangen seid.
[GS.02_074,10] Ihr habt Gott nicht bestimmt, sondern allenfalls möglicherweise erwartet. Gott aber, so einer ist, muß ja doch in Sich Selbst die höchste abgeschlossene Bestimmtheit sein. Wenn ihr aber mit der Unbestimmtheit eures Denkens, Glaubens und Wollens die höchste göttliche Bestimmtheit suchtet, wie hätte sich da euch solche wohl offenbaren können? Merket euch demnach wohl, was ich euch nun sagen werde:
[GS.02_074,11] Wenn ihr Gott suchen wollet und wollet Ihn auch erschaulich finden, da müsset ihr mit der größten Bestimmtheit hinaustreten und Ihn auch so suchen. Ihr müsset ohne den allergeringsten Zweifel fort glauben, daß Er ist, und wenn ihr Ihn auch noch so lange nicht irgend zu Gesichte bekommen solltet, und müsset dann auch mit eurer Liebe Ihn ebenso, bestimmt ergreifen, als wie bestimmt ihr an Ihn glaubet. Sodann wird es sich erst zeigen, ob ihr in eurem Denken, Glauben, Wollen und Lieben die größtmöglichste Bestimmtheit erlangt habt.
[GS.02_074,12] Habt ihr dieselbe erlangt, wird sich Gott euch auch sicher zeigen, so Er einer ist. Habt ihr aber diese Bestimmtheit nicht erlangt, so werdet ihr ebenso unverrichteter Dinge wieder zu mir zurückkehren, wie es diesmal der Fall war. –
[GS.02_074,13] Sehet, die Kinder überdenken die Lehre des Lehrers wohl, und eines, scheinbar das schwächste aus ihnen, tritt hin zum Lehrer und spricht: Höre mich an, du lieber weiser Lehrer! Meinst du denn nicht, wenn ich ganz allein in mein Wohnstübchen ginge und möchte da Gott den Herrn als den allerliebevollsten Vater allein mit meiner Liebe recht bestimmt ergreifen, indem ich ohnehin noch nie recht daran habe zweifeln können, ob es einen oder keinen Gott gäbe, sondern in mir – aller Gegenbeweise ungeachtet – fortwährend bei einem Gott stehengeblieben bin. Meinst du demnach nicht, Er würde Sich mir zeigen, wenn ich Ihn allein lieben möchte? Denn das viele Denken und Glauben darnach kommt mir ohnehin etwas mühselig vor.
[GS.02_074,14] Der Lehrer spricht zum Kinde: Gehe hin, mein liebes Kindlein, und tue, was dir gut dünkt; wer weiß vorderhand, ob du nicht recht habest? – Ich kann dir nun weder ein Ja noch ein Nein geben, sondern sage zu dir: Gehe hin und erfahre, was alles die Liebe vermag!
[GS.02_074,15] Nun sehet, das Kindlein läuft aus dem Saale in seine Wohnstube, und die anderen Schüler befragen den Lehrer, ob er die Unternehmung des einen Kindes, das sich jetzt in seine Wohnstube entfernte, dem vorziehe, was sie nun nach seinem Rate zu tun gedenken, nämlich mit aller Bestimmtheit hinauszugehen und nach Gott zu forschen.
[GS.02_074,16] Der Lehrer aber spricht: Ihr habt gehört, was ich zu dem einen eurer Mitschüler gesagt habe, nämlich weder ein Ja noch ein Nein; eben dasselbe sage ich auch zu euch. Gehet hin oder hinaus; tut, was euch am besten dünkt, und die Erfahrung wird es zeigen, welcher Weg der bessere und der kürzere ist, oder ob der eine falsch oder der andere richtig, oder ob beide falsch oder beide richtig seien.
[GS.02_074,17] Nun sehet, ein Teil der Kinder erfaßt die Bestimmtheit, ein anderer aber die Liebe allein. Die die Bestimmtheit Erfassenden gehen voll tiefen Denkens, Wollens und festen Glaubens hinaus in den Garten; ein Teil aber begibt sich in die Wohnstuben, um Gott zu suchen. –
[GS.02_074,18] Aber da sehet hin, soeben kommt das zuerst mit der Liebe zu Gott hinausgeeilte Kind, geleitet von einem schlichten Manne, in den Saal herein und geht geradewegs auf den Lehrer zu. Was etwa wird es wohl vorbringen?
[GS.02_074,19] Höret, es (das Kind) spricht: Lieber, weiser Lehrer, da sieh einmal her! Als ich in meinem Wohnstübchen den lieben großen Himmelsvater so recht zu lieben anfing, da kam dieser einfache Mann zu mir und fragte mich, ob ich den Vater im Himmel wohl im Ernste so lieb hätte? Ich aber sprach zu ihm: O lieber Mann, das kannst du mir ja aus meinem Angesichte lesen. – Dann aber fragte mich der Mann, wie ich mir den großen Himmelsvater in meinem Gemüte vorstellte. Und ich sagte zu ihm: Ich stelle Ihn mir so wie einen Menschen vor; aber nur muß Er sehr groß und stark sein und auch sicher einen großen Glanz um sich haben, weil schon diese Welt und die Sonne, die ihr scheint, so überaus herrlich und glänzend ist.
[GS.02_074,20] Hier hob mich der schlichte Mann auf, drückte mich an sein Herz, gab mir einen Kuß und sprach dann zu mir: Führe mich hinüber in den Lehrsaal zu deinem Lehrer; dort wollen wir das Weitere ausmachen und recht gründlich ersehen, wie der Himmelsvater aussieht, wenn Er einer ist, und wie Er alles aus Sich erschafft, leitet und regiert. Und nun siehe, lieber weiser Lehrer, da bin ich nun mit dem schlichten Manne. Was dünkt dir wohl, wer dieser Mann sein möchte, weil er gar so lieb mit mir umgegangen ist?
[GS.02_074,21] Und der Lehrer spricht in sichtbar allerhöchster Liebe und Achtung: O überglückliches Kind, du hast schon den Rechten gefunden; siehe das ist Gott, unser allerliebevollster Vater! Und der Herr beugt sich nun nieder, nimmt das Kind auf Seinen Arm und fragt es: Bin Ich wohl Der, als den mich dein Lehrer dir angekündigt hat? Und das Kind spricht in großer Aufregung: O ja, Du bist es, das erkenne ich ja an Deiner unendlichen Güte, denn wer sonst ist so gut wie Du, daß er mich auf seine Arme nähme und möchte mich also herzen und kosen wie Du?! Ich liebe Dich aber nun auch so unbegreiflich, daß ich mich ewig nimmer von Dir trennen kann; mußt mich darum nicht mehr hier lassen, lieber heiliger Vater! Denn solche Güte und Liebe habe ich noch nie empfunden wie jetzt auf Deinen Armen! – Und der Herr spricht: Fürchte dich nicht, Mein Kindlein! Wer Mich einmal wie du gefunden hat, der verliert Mich ewig nimmer. Aber nun mußt du ganz stille sein von Mir; denn es kommen auch die anderen Kindlein, die Mich suchten, aber noch nicht gefunden haben. Diese wollen wir auf eine kleine Probe setzen, auf daß sie Mich auch finden sollen; daher sei nun ruhig, bis Ich dir winken werde! –
75. Kapitel – Sehnsucht nach Gott – ein Zeugnis für Sein Dasein.
[GS.02_075,01] Nun sehet, soeben kommen auch die anderen suchenden Kinder herein. Aus ihren Gesichtern läßt sich klar entnehmen, daß sie weder auf die eine noch auf die andere Art Den gefunden haben, den zu suchen sie ausgegangen sind. Sie nähern sich darum zum zweiten Male, ganz schüchtern, ihrem Lehrer, und der Lehrer fragt sie: Nun, meine lieben Kinder, wie sieht es denn aus mit dem Suchen unter den Bäumen oder auf dem Söller oder auf den Galerien oder mit dem Suchen desjenigen Teiles aus euch, die sich vorgenommen haben, den Herrn im Wohnstübchen zu suchen? Wie ich sehe, so zucket ihr alle mit den Achseln; habt ihr denn den guten lieben Vater, den einigen Gott aller Himmel und aller Welten noch nicht gefunden und gesehen? – Wie ist nun euer Glaube bestellt? Habt ihr noch Zweifel über das Dasein Gottes?
[GS.02_075,02] Die Kinder sprechen: Ach lieber, erhabener Lehrer, was die Zweifel betrifft, so haben wir jetzt deren mehr als ehedem; denn siehe, weder unser festes Wollen, noch unser allerlebendigster Glaube, noch alle unsere gegründetsten Gedanken auf Gott den Herrn, noch unser fester Liebewille haben etwas vermocht. Wenn es irgendeinen Gott und Herrn gäbe, so müßte Er Sich uns doch auf eine oder die andere Art geoffenbart haben; denn siehe, am Ende haben wir uns alle vereint und den festen Glauben gefaßt, daß es einen heiligen, guten, lieben Gott und Vater geben müsse. Wir haben Ihn mit all unserer Liebe erfaßt und bei Seinem von dir uns kundgegebenen Namen gerufen, indem wir sagten: Ach liebster, heiliger Vater Jesus, komme, komme doch zu uns, erhöre unser kindlich Flehen und zeige uns, daß Du einer bist und uns auch lieb hast, wie wir Dich lieb haben! – Und siehe, lieber erhabener Lehrer, also riefen wir eine geraume Zeit hindurch; aber keine Spur ließ sich von irgendeinem himmlischen Vater vernehmen. Es war alles umsonst; daher sind wir nun unserer Sache völlig gewiß, daß es außer euch erhabenen Lehrern keinen anderen höheren Lehrer oder Gott gibt.
[GS.02_075,03] Wir wollen zwar dadurch noch nicht behaupten und sagen: Unsere Zweifel sind geradewegs auf festen Grund gestellt. Aber das können wir sicher annehmen, daß nach solcher unwirksamer Forschungsmühe über das Dasein Gottes sich eher Zweifel als ein fester Glaube daran erheben können.
[GS.02_075,04] Aber wir sehen auch den einen, der sich von uns abgesondert hat, mit der alleinigen Liebe den Herrn suchend; hat auch dieser nichts gefunden?
[GS.02_075,05] Der Lehrer spricht: Meine lieben Kinderchen, darüber kann ich euch vorderhand weder ja noch nein sagen. Die Kinder aber fragen den Lehrer weiter: Lieber erhabener Lehrer! Wer ist denn jener fremde einfache Mann dort, um den sich der eine aus uns herumtut und sieht ihn gar so verliebt an? Ist vielleicht dessen Vater von der Erde hier angekommen?
[GS.02_075,06] Der Lehrer spricht: Meine lieben Kinderchen, das ist schon wieder etwas, was ich euch nicht sagen kann. So viel aber möget ihr vorderhand zur Kenntnis nehmen, daß jener schlichte Mann gar außerordentlich weise ist, daher müsset ihr euch wohl recht zusammennehmen, so er sich etwa mit euch über dies oder jenes besprechen möchte.
[GS.02_075,07] Die Kinder sagen: Ach lieber erhabener Lehrer, können denn so ganz einfache Menschen auch weise sein? Denn siehe, wir haben bis jetzt erfahren, daß die Lehrer, bis auf dich, je weiser sie wurden, auch stets erhabener und glänzender ausgesehen haben. Jener Mann aber sieht gar nicht so erhaben und glänzend aus, sondern ist um gar vieles einfacher und schlichter als du. Da kommt es uns dann etwas sonderbar vor, daß er gar außerordentlich weise sein soll.
[GS.02_075,08] Der Lehrer spricht: Ja, meine lieben Kinderchen, bei der inneren allertiefsten Weisheit kommt es durchaus nicht auf das äußere Glänzen an, sondern da heißt es: Je mehr Glanz von außen, desto weniger Licht von innen, je mehr Licht aber von innen, desto weniger Glanz dem außen nach. – Gehet aber nur hin und fraget ihn einmal um etwas, und ihr werdet euch gleich überzeugen, wie weise er ist.
[GS.02_075,09] Nun gehen die Kinderchen hin zum Herrn und fragen Ihn noch unbekannterweise: Du lieber schlichter, einfacher Mann! Möchtest du uns denn nicht gestatten, daß wir dich um etwas fragen dürften?
[GS.02_075,10] Der Herr spricht: O von ganzem Herzen gern, Meine geliebten Kinderchen! Fraget nur zu, und Ich werde Mich mit der Antwort schon zurechtfinden. Die Kinder fragen den Herrn: Da du uns dich zu fragen erlaubt hast, so fragen wir dich gerade um das, was uns allen am meisten am Herzen liegt. Siehe, wir suchen und beweisen schon eine geraume Zeit hin und her, für und dagegen, ob es einen Gott gibt, der da wäre ein überaus guter Vater im Himmel aller Menschen, die nur je irgendwo leben. Wir können aber diesem Vater nirgends auf die Spur kommen, und unser Lehrer selbst will oder kann uns in dieser Sache auch nichts Gegründetes sagen. Das aber hat er uns gesagt, daß du gar überaus weise sein sollst; daher möchten wir wohl von dir erfahren, ob es einen solchen Gott und Vater gibt oder nicht? Wenn du davon irgend etwas weißt, so sage es uns doch. Wir werden dich gar aufmerksam anhören, und es soll deinem Munde kein Wort entschlüpfen, das wir nicht mit der größten Aufmerksamkeit gar sehr beachten möchten.
[GS.02_075,11] Der Herr spricht: Ja, Meine lieben Kinderchen, da habt ihr Mir freilich eine sehr schwere Frage gegeben, die Ich euch kaum werde beantworten können; denn sage Ich euch, es gibt einen solchen Gott und Vater, da werdet ihr sagen, das genügt uns nicht, solange wir Ihn nicht sehen. Und wenn ihr dann saget, laß uns den Vater sehen, was werde Ich dann zu euch sagen? Ich könnte euch mit dem Finger dahin oder dorthin zeigen, und ihr würdet nichts erblicken; denn wohin Ich auch immer zeigen möchte, würdet ihr dennoch nie euren Gott und Vater finden. Möchte Ich aber zu euch sagen: Kinder, der Vater ist hier unter euch! Werdet ihr es wohl glauben?
[GS.02_075,12] Würdet ihr nicht fragen: Wo ist Er denn? Ist Er einer aus den Lehrern dieses großen Saales? Und wenn Ich dann zu euch sage: O nein, Meine geliebten Kinder! Was wendet ihr dann tun? Ihr werdet Mich ganz groß ansehen und sagen: Siehe, der Mann hat uns zum besten. Wenn es nicht einer aus den vielen Lehrern ist, wer ist es dann? Du wirst es doch nicht sein? Denn so einfach, schlicht und glanzlos wie du da bist, kann doch der allererhabenste Himmelsvater nicht aussehen!
[GS.02_075,13] Und wenn ihr Mir dann eine solche Antwort gegeben habt, was wohl soll Ich euch darauf erwidern? Daher solltet ihr Mich gerade um etwas anderes fragen; denn mit der Beantwortung dieser eurer Frage scheint es sich nicht so recht tun zu wollen.
[GS.02_075,14] Die Kinder sprechen: O lieber, weiser Mann! Siehe, das geht nicht also. An der Beantwortung einer anderen Frage ist uns nichts gelegen; aber daran, ob es einen oder keinen himmlischen Vater gibt, liegt unser ganzes Wohl. Denn gibt es einen Vater im Himmel, so sind wir alle überselig, gibt es aber keinen, so sind wir da, als wären wir alle ohne Grund und wissen nicht, wofür, wodurch und für was? Daher, wenn es dir möglich ist, mache dich nur an die Beantwortung der ersten Frage; darum bitten wir alle dich recht inständigst.
[GS.02_075,15] Denn daß du ein sehr weiser Mann bist, das haben wir schon aus deiner ausweichenden Antwort entnommen. Daher führe uns dem einen Vater wenigstens nur um ein paar Schritte näher, denn es muß sicher einen geben. Das merken wir daraus, daß wir nach eben diesem himmlischen Vater eine stets größere Sehnsucht bekommen, je mehr Er sich hinter unseren kindlichen Zweifeln verbergen will.
[GS.02_075,16] Wenn Er schon durchaus nicht wäre, woher käme denn da diese Sehnsucht in uns, die doch auch ebenso lebendig ist wie wir selbst? Mit der Sehnsucht also muß ja auch die Gewißheit über das Dasein eines himmlischen Vaters wachsen!
[GS.02_075,17] Der Herr spricht: Nun, Meine lieben Kinderchen, ihr nehmet Mir ja gerade das Wort aus dem Munde! Fürwahr, in der Sehnsucht liegt ein gar großer Beweis; was aber ist wohl die Folge der Sehnsucht? Nicht wahr, meine lieben Kinderchen, die Folge wird das sein, daß man sich dessen vergewissern möchte, darnach man sich sehnt. Ihr saget, das sei eine gute Antwort. Ich aber frage euch nun: Was ist denn der Grund der Sehnsucht? – Ihr sagt es Mir, es ist die Liebe zu dem, nach dem man sich sehnt.
[GS.02_075,18] Wenn man aber etwas im Grunde und in der Fülle der Wahrheit erschauen will, genügt es da wohl, nur bei der Sehnsucht und ihrer Folge zu verbleiben? Ihr saget Mir: O nein, lieber Mann von gar großer Weisheit! Da muß man auf den Grund selbst zurückgehen. Kündet sich da die große Wahrheit nicht an, dann ist alles falsch; kündet sie sich aber da an, so ist man zu der lebendigen Überzeugung gekommen, daß sie ewig nirgendwo anders als nur in ihrem Grunde selbst zu erkennen und zu erschauen ist.
[GS.02_075,19] Sehet aber nun her, ihr Kinderchen! Dieser eine Bruder aus euch ging diesen Weg; und er hat den Vater gefunden! Fraget ihn, wo Er ist, und er wird mit dem Finger auf den Vater zeigen!
[GS.02_075,20] Nun fallen die andern über den einen her und verlangen das von ihm. Und dieser eine spricht: O meine lieben Brüder! Da sehet her, den ihr für schlicht und einfach haltet, Der ist es Selbst, den ihr so lange vergeblich gesucht habt, der ist der gute, liebe himmlische Vater – heilig, überheilig ist Sein Name! Glaubet es mir, denn ich habe Seine Herrlichkeit schon gesehen. Glaubet aber nicht darum, weil ich es euch sage, sondern nähert euch alle Ihm mit euren Herzen, und ihr werdet Ihn also wahr und herrlich finden, wie ich Ihn gefunden habe!
[GS.02_075,21] Sehet, diese Kinder tun nun alle einen Ruf, da sie den Vater erkennen: O Vater, Vater, Vater!!! Du bist es, ja, Du bist es! Denn wir ahnten es mächtig in Deiner Nähe! Da wir Dich aber gefunden haben, so wolle Dich ja nimmer vor uns verbergen, auf daß wir Dich nicht wieder so schwer suchen müssen!
[GS.02_075,22] Und der Herr spricht: Amen! Kindlein, von nun an sollen eure Gesichter nimmer von Mir abgewendet werden! Werde Ich Mich auch nicht stets also, wie jetzt, unter euch aufhalten, so werde Ich aber doch in jener Sonne dort, die euch leuchtet, zugegen sein! – Das Weitere wird euch euer Lehrer von Mir kundtun. –
76. Kapitel – Zweiter und dritter Saal, Belehrung über das 2. und 3. Gebot.
[GS.02_076,01] Wir brauchen aber nun nicht weiter zu verfolgen, was diese Kinder hier noch von ihren Lehrern über den Herrn empfangen; denn die Epoche oder den Zustand, in dem sie den Herrn wie völlig verloren haben, haben sie überstanden, und somit auch den ersten Lehrsaal, deren es in dieser Abteilung, wie ihr schon früher gesehen habt, zwölf gibt. – Es wäre zu langwierig, in all den folgenden Lehrsälen den fortschreitenden Unterricht mit diesen Kindern mitzumachen. Damit ihr aber doch wisset, was in diesen Sälen gelehrt wird und auf welche Weise, so sage ich euch, daß ihr das schon aus der ersten Tafel in der Mitte des ersten Lehrsaales habt entnehmen können, um was es sich in diesem großen Lehrgebäude handelt – um nichts anderes als um die zehn Gebote Mosis und endlich um die zwei Gebote der Liebe.
[GS.02_076,02] In einem jeden darauffolgenden Saale wird ein neues Gebot praktisch gelehrt und geübt, und das durchgehends auf dieselbe Weise, wie ihr es mit dem ersten Gebote hier in dem ersten Saale zu beobachten hinreichend Gelegenheit gehabt habet.
[GS.02_076,03] So wird sogleich in dem nächsten Saale das Gebot: „Du sollst den Namen Gottes nicht eitel nennen“ – behandelt. Solches verstehet auch ihr freilich wohl nicht, was dieses Gebot im Grunde besagt, darum will ich auch euch in die rechte Bedeutung dieser Gebote durch kleine Stupfer und Stößchen versetzen.
[GS.02_076,04] Demnach wird hier in diesem zweiten Saale dieses Gebot nicht etwa also ausgelegt, als solle da niemand bei unwichtigen Gelegenheiten ohne gebührende Hochachtung und Ehrfurcht den wie immer lautenden Namen des Herrn aussprechen, welches Verbot gewisserart soviel als garnichts heißen würde. Denn so jemand der Meinung ist, er müsse den Namen des Herrn nur im äußersten Notfalle und da allezeit mit der allerhöchsten Ehrfurcht und Ehrerbietung aussprechen, so will das nicht mehr und nicht weniger gesagt haben als: man soll den Namen Gottes gewisserart gar nie aussprechen, indem hier zwei Bedingungen vorausgesetzt sind, unter denen der Name Gottes ausgesprochen werden soll. Diese Bedingungen sind aber fürs erste selbst auf solche Schrauben basiert, daß von ihnen aus sicher kein Mensch in sich zu jener Überzeugung gelangen kann, bei welcher Gelegenheit solch ein äußerster Notfall zum Vorschein kommt, bei dem man würdigermaßen den allerheiligsten Namen aussprechen dürfte. Fürs zweite, wenn auch ein solcher Fall sich ereignen möchte, wie z.B. eine alleraugenscheinlichste Lebensgefahr, welche unter verschiedenen Zuständen den Menschen heimsuchen kann, so fragt sich aber dann dabei, ob wohl irgendein Mensch in solch einem äußerst bedenklichen Zustande die Geistesgegenwart und die Fassungskraft besitzen wird, in der er würdigstermaßen den wie immer gestalteten Namen des Herrn auszusprechen vermöchte?
[GS.02_076,05] Wenn ihr also die Erklärung dieses zweiten Gebotes betrachtet, wie sie gewöhnlich auf der Erde vorkommt, so müsset ihr notwendig zu diesem Endurteile gelangen, daß der Name des Herrn eigentlich gar nie ausgesprochen werden solle, und das aus dem einfachen Grunde, weil die zwei gegebenen Bedingungen wohl kaum denkbar je miteinander übereinstimmen können. Ich möchte wohl denjenigen Menschen auf der Erde kennen, der in seiner höchsten Bedrängnis sich in jenen ruhig erhabenst ehrerbietigen und andächtigen Zustand versetzen möchte, in welchem er würdigermaßen den Namen des Herrn aussprechen dürfte.
[GS.02_076,06] Wenn solches richtig wäre, so dürfte auch kein Mensch beten, denn im Gebete nennt er ja auch den Namen des Herrn. Der Mensch aber soll doch tagtäglich beten und Gott die Ehre geben und soll das Gebet nicht auf den äußersten Notfall beschränken.
[GS.02_076,07] Es geht aus alledem hervor, daß dieses Gebot unrichtig aufgefaßt ist. Um aber aller Grübelei darüber mit einem Hiebe ein Ende zu machen, sage ich euch in aller Kürze, wie dieses Gebot im Grunde des Grundes aufgefaßt werden soll. Und so heißt: „Du sollst den Namen Gottes nicht eitel nennen“ soviel als:
[GS.02_076,08] Du sollst den Namen Gottes nicht bloß mit dem Munde nennen, nicht bloß nur den artikulierten Laut von ein paar Silben aussprechen, sondern, da Gott der Grund deines Lebens ist, so sollst du Ihn auch allezeit im Grunde deines Lebens aussprechen, das heißt, du sollst Ihn nicht mechanisch, sondern allezeit lebendig werktätig in allen deinen Handlungen aussprechen; denn was immer du tust, das tust du mit der von Gott dir verliehenen Kraft. Verwendest du diese Kraft zu argem Handeln, so entheiligst du offenbar das Göttliche in dir; und dieses ist deine Kraft, der lebendige Name Gottes!
[GS.02_076,09] Sehet, so viel also sagt dieses Gebot, daß man den Namen Gottes fürs erste erkennen soll, was Er ist, und worin Er besteht; und soll dann denselben nicht eitel mit äußeren Worten nur aussprechen wie einen anderen Namen, sondern allezeit tatkräftig, weil der Name Gottes die Tatkraft des Menschen ist. Daher soll der Mensch auch alles, was er tut, in diesem Namen tun. Tut er das, so ist er einer, der den Namen Gottes nicht eitel mit äußeren Worten, sondern tatkräftig und lebendig in sich ausspricht.
[GS.02_076,10] Und sehet, auf diese Weise, also praktisch, wird dieses zweite Gebot in diesem zweiten Saale den Schülern gelehrt, und so lange bei jedem durchgeübt, bis er darin eine gerechte Fertigkeit erreicht hat. Hat er das, so geht es dann in den dritten Saal zum dritten Gebote über, welches; wie ihr wißt, lautet:
[GS.02_076,11] „Du sollst den Sabbat heiligen.“ – Was will aber das sagen, besonders hier, wo keine Nacht mehr mit dem Tage wechselt, und somit nur ein ewiger Tag fortwährt? Wann ist da wohl Sabbat? Ist das Gebot aber göttlicher Abkunft, so muß es eine ewige und nicht nur zeitliche Regel sein und muß im Reiche der Geister jene vollgültige Bedeutung haben wie auf der Erde.
[GS.02_076,12] Bei euch heißt es, man soll an dem als Sabbat gebotenen Feiertage keine knechtliche Arbeit verrichten, worunter nämlich alle Erwerbstätigkeit verstanden wird. Wohl aber ist es erlaubt, Spektakel aufzuführen, zu spielen, gleich den Heiden zu tanzen. Einen Tag vor dem Sabbat zu fasten ist geboten, um an dem Sabbat desto besser und mehr fressen zu können. Also ist auch den Wirten erlaubt, ihre Speisen zu verkaufen und ihre Gäste an einem Feiertage mehr als an einem sonstigen zu betrügen. Das heißt demnach rechtlichermaßen den Sabbat heiligen; nur keine mehr gesegnete Arbeit auf dem Felde und auf dem Acker darf verrichtet werden, alles andere aber ist für den Sabbat tauglich.
[GS.02_076,13] Der Herr aber hat auf der Welt gezeigt, daß man auch am Sabbat gar füglich arbeiten und Gutes wirken kann. Wenn aber der Herr Selbst am Sabbat gearbeitet hat, da meine ich, solle jeder Mensch des Beweises genug haben, daß unter „Heiligung des Sabbates“ etwas ganz anderes verstanden werden soll als nicht zu arbeiten, noch in die Hände zu nehmen, was nützlich und ersprießlich ist.
[GS.02_076,14] Was aber wird demnach unter der Heiligung des Sabbats verstanden? Was ist der Sabbat? Ich will euch ganz kurz sagen:
[GS.02_076,15] Der Sabbat ist weder der Samstag, noch der Sonntag, noch der Oster- und der Pfingstsonntag, noch irgendein anderer Tag in der Woche oder im Jahre, sondern er ist nichts anderes als der Tag des Geistes im Menschen, das göttliche Licht im menschlichen Geiste, die aufgehende Sonne des Lebens in der menschlichen Seele. Das ist der lebendige Tag des Herrn im Menschen, den er fortwährend mehr erkennen und durch alle seine Handlungen heiligen soll, die er aus Liebe zu Gott und daraus aus Liebe zu seinem Nächsten verrichten soll.
[GS.02_076,16] Da aber der Mensch diesen heiligen Ruhetag des Herrn im Gewühle der Welt nimmer finden kann und mag, daher soll er sich von der Welt zurückziehen und diesen Tag des Lebens der heiligen Ruhe Gottes in sich suchen.
[GS.02_076,17] Darum war auch dem Volke der Israeliten geboten, wenigstens einen Tag in der Woche zu bestimmen, an welchem es sich von weltlichen Geschäften zurückziehen und allein diesen Tag des Lebens in sich suchen sollte. Aber man beobachtete das Gesetz bloß äußerlich materiell und brachte es auf diesem Wege am Ende so weit, daß man nicht einmal den Herrn des Sabbats erkannte, Ihn den heiligen Vater, als Er von unendlicher Liebe getrieben zu Seinen Kindern auf die Erde kam!
[GS.02_076,18] Ich meine, aus diesen Worten dürfte es euch völlig begreiflich sein, was unter der Heiligung des Sabbats verstanden und wie diese gehandhabt werden sollte.
[GS.02_076,19] Zugleich aber dürfte euch auch die Frage begreiflich sein, ob sich eure Sonntagsheiligung wohl als eine Sabbatsheiligung in der Wahrheit ausnimmt, ob man durch eine Stunde kirchlichen Andachtsdienstes, dann aber durch lauter Weltunterhaltungen wohl zum innern, ewig lebendigen Ruhetag des Herrn gelangen kann?
[GS.02_076,20] Wenn ich mit euch auf der Erde wäre, da möchte ich wohl einen sehr hohen Preis auf den Beweis setzen, ob sich durch das Kirchenlaufen, dann durchs tüchtige Fressen, endlich durchs Spazierengehen, Fahren oder Reiten, mitunter auch durchs Tanzen, Spielen und Saufen, nicht selten durch Lügen und Betrügen, durchs gewöhnlich ehrabschneiderische Visitemachen und dergleichen mehr Unternehmungen der wahre Sabbat im Geiste finden und heiligen läßt. Wer weiß, ob es nicht Philosophen gibt, die solchen Beweis zu liefern imstande wären; – bei uns möchte er sich freilich ausnehmen wie eine falsche Münze.
[GS.02_076,21] Daß hier den Kindern auf praktische Weise nur die lebendige Sabbatsheiligung gelehrt und eingeübt wird, braucht kaum näher erwähnt zu werden. Und ihr könnet euch daraus einen gründlichen Begriff machen, wie im Grunde des Grundes diese Gebote des Herrn tatsächlich verstanden werden sollen.
[GS.02_076,22] Also aber, wie diese zwei Gebote und vorhin das erste wollen wir in aller Kürze auch noch die anderen durchgehen, damit ihr einen gehörigen Begriff bekommt, in welchem Sinne alle die Gebote hier den Kindern beigebracht werden. Und so wollen wir fürs Nächste sogleich das vierte Gebot im vierten Saale in aller Kürze betrachten. –
77. Kapitel – Das 4. Gebot im vierten Saale (im geistigen Sinn).
[GS.02_077,01] Das vierte Gebot, wie ihr es auf der Erde habt, lautet: „Ehre Vater und Mutter, auf daß du lange lebest und es dir wohlgehe auf Erden“. – Dieses Gebot ist so gut göttlichen Ursprunges wie die ersten drei. Was gebietet es aber und was verheißt es? Nichts anderes als den Gehorsam der Kinder gegen ihre Eltern und für diesen Gehorsam eine zeitliche Vergünstigung.
[GS.02_077,02] Kann da nicht jedermann fragen und sagen: Wie, ein göttliches Gebot sanktioniert sich bloß durch zeitliche Verheißungen und hat nichts Ersichtliches im Hintergrunde, darin ewige geistige Vorteile geboten würden? Was liegt wohl an solch einer zeitlichen Vergünstigung? Was liegt am Wohlleben, was am langen Leben, wenn nach demselben nichts Höheres folgt?
[GS.02_077,03] Es ist wahr: gut und lange leben ist besser als kurz und schlecht. Wenn aber am Ende des Lebensabschnitts der unwirtliche Tod erscheint, welchen Vorzug hat das gute und lange Leben vor dem schlechten und kurzen? Ich meine, dazu braucht man eben kein Fundamental-Mathematiker zu sein, um sagen zu können: der Unterschied läuft überall in eine reine Null aus; denn der erste überkommt so gut wie der zweite ein barstes Nichts, und es fragt sich dann wenig, wie der Weg zu diesem Empfange beschaffen war, ob gut oder schlecht.
[GS.02_077,04] Also wäre denn, nach diesem Maßstabe betrachtet, das vierte Gebot auf einem sehr schlüpfrigen Grunde basiert, und die Eltern wären fürwahr übel daran, so ihre Kinder mit solcher Philosophie schon auf die Welt geboren würden, und die Kinder selbst würden bei solcher Betrachtung wenig Grund finden, ihren Eltern zu gehorchen. – Ferner läßt sich über dieses Gebot noch folgende kritische Betrachtung anstellen. Wie das Gebot klingt, so hat es nur eine zeitliche Basis, also bloß die Pflicht der Kinder gegen ihre Eltern darstellend.
[GS.02_077,05] Es fragt sich demnach: Was soll es denn mit diesem Gebote hier im Geisterreiche, wo die Kinder ihren Eltern auf ewig enthoben sind? Sind sie aber ihrer Eltern enthoben, da werden sie doch sicher auch der irdischen Pflicht gegen sie enthoben sein. Dennoch bemerken wir hier in diesem vierten Saale dieses Gebot auf der Tafel gezeichnet. Soll es etwa für diese Kinder auf den Herrn bezogen werden? Das ließe sich allerdings hören, wenn darunter nur nicht der Verheißungssatz stände: „Auf daß du lange lebest und es dir wohl gehe auf Erden“. – Stünde da: „Auf daß du ewig lebest und es dir wohl gehe im Himmel“, da wäre eine solche Transversion des Gesetzes gar leicht zu verstehen; aber eine zeitliche Verheißung im ewigen Reiche der Geister klingt denn doch etwas sonderbar.
[GS.02_077,06] Was meinet ihr wohl, was sich hier wird tun lassen, um diesem Gesetze ein vollgegründetes göttliches Ansehen zu verschaffen? Ihr zucket da freilich mit den Achseln und saget ganz leise in euch: Lieber Freund und Bruder! Wenn es hier auf unsere Erörterung ankommt, da wird es mit der reingeistiggöttlichen Sphäre dieses Gesetzes einen bedeutenden Haken haben; denn nach obiger Betrachtung läßt sich da mit leichter Mühe so, wie man glaubt, eben nicht gar zuviel Geistiges herausfinden.
[GS.02_077,07] Ich sage euch aber, daß eben dieses Gebot, wie beinahe kein anderes, rein geistig ist. Ihr machet nun zwar große Augen; aber darum ist die Sache doch nicht anders. Damit ihr aber solches auf einen Hieb erschauet, so will ich nichts anderes tun, als dieses Gesetz mit etwas umgeänderten Worten sagen, wie es auch hier in diesem Lehrsaale vorgetragen wird, und ihr werdet die Fülle der Wahrheit sogleich erschauen. Wie aber lautet es hier? – Höret!
[GS.02_077,08] Kinder! Gehorchet der Ordnung Gottes, welche ausgeht aus Seiner Liebe und Weisheit (d.i. Vater und Mutter), auf daß ihr lange lebet auf Erden unter Wohlergehen. Was ist langes Leben, und was ist dagegen ewiges Leben? Das „lange Leben“ bezeichnet das Leben in der Weisheit; und es wird „lang“ nicht als Dauer, sondern als Ausbreitung und stets größere Mächtigwerdung des Lebens verstanden; denn das Wort oder der Begriff „Leben“ schließt ja schon für sich die ewige Dauer ein. Aber das Wort „lang“ bedeutet durchaus keine Dauer, sondern nur eine Ausbreitung der Lebenskraft, mit welcher das lebende Wesen stets mehr in die Tiefen des göttlichen Lebens gelanget, und eben dadurch sein eigenes Leben stets vollkommener, fester und wirksamer macht.
[GS.02_077,09] Dieses hätten wir; aber das „Wohlergehen auf Erden“ – was besagt denn das? Nichts anderes als das Sich-zu-eigen-machen des göttlichen Lebens, denn unter der „Erde“ wird hier das Eigenwesen verstanden, und das Wohlergehen in diesem Wesen ist nichts anderes als das freie Sein in sich selbst nach der völlig sich zu eigen gemachten göttlichen Ordnung.
[GS.02_077,10] Diese kurze Erklärung genügt, um einzusehen, daß eben dieses Gesetz völlig rein geistiger Art ist. Wenn ihr es bei Muße genauer nachprüfen wollet, so werdet ihr es auf eigener Erde finden, daß es also ist. Also aber wird es auch hier praktisch den Kindern beigebracht, und das mit dem größten Nutzen. – Da wir aber nun solches wissen, so begeben wir uns sogleich in den fünften Saal. –
78. Kapitel – Das 5. Gebot im fünften Saal – geistig beleuchtet.
[GS.02_078,01] Ihr sehet in diesem fünften Saale abermals eine Tafel angebracht, und auf dieser steht mit wohlleserlicher Schrift geschrieben: „Du sollst nicht töten“. – Wenn ihr dieses Gebot nur einigermaßen beim Lichte betrachtet und dazu die Geschichte des israelitischen Volkes mit in Augenschein nehmet, so müßten eure Augen mit mehr als dreifachem Stare behaftet sein, wenn ihr es nicht auf den ersten Augenblick ersehen würdet, daß es mit diesem Gebote einen sonderbaren Haken hat. „Du sollst nicht töten!“ Wie, wo, wann und was denn?
[GS.02_078,02] Was heißt „töten“ überhaupt? Heißt töten bloß den Leib lebensuntätig machen oder heißt es den Geist seiner himmlischen Lebenskraft berauben? Ist das Töten bloß auf den Leib des Menschen gesetzlich beschränkt, da kann die Tötung des Geistes doch unmöglich darunter gemeint sein; denn es heißt ja eben, daß gewissenart ein jeder Mensch sein Fleisch töten solle, um den Geist zu beleben, wie da auch der Herr Selbst spricht: „Wer sein Leben, d.h. das Leben des Fleisches, liebt, der wird es verlieren; wer es aber flieht um Meinetwillen, der wird es erhalten“.
[GS.02_078,03] Gleichermaßen zeigt sich dies auch in der Natur der Dinge. Wird bei einer Frucht die äußere Rinde oder Hülse nicht zum Sterben gebracht, so wird die Frucht zu keinem lebendigen Keime kommen. Also geht aber aus all dem hervor, daß eine Tötung des Fleisches nicht zugleich auch eine Tötung des Geistes sein kann. Wird aber unter diesem Gesetze bloß die Tötung des Geistes verstanden, wer ist dann wohl seines Leibeslebens sicher?
[GS.02_078,04] Im Gegenteil aber ist es auch zugleich jedermann bekannt, daß die besonders in gegenwärtiger Zeit vielfach vorkommenden Belebungen des Fleisches nichts als „Tötungen des Geistes“ sind. Betrachtet ihr gleich daneben die Geschichte des israelitischen Volkes, dem da gewisserart, wie ihr zu sagen pfleget, diese Gesetze frisch gebacken gegeben wurden, so findet ihr den merkwürdigen Kontrast, daß der Gesetzbringer Moses selbst zuerst eine Menge Israeliten hat töten lassen; und seine Nachfolger mußten mit den am Gesetze Schuldiggewordenen das Gleiche tun.
[GS.02_078,05] „Du sollst nicht töten“ – dieses Gesetz lag so gut wie alle anderen in der Bundeslade. Was tat aber das ganze israelitische Heer, als es ins Gelobte Land einzog, mit den früheren Bewohnern dieses Landes? Was tat selbst David, der Mann nach dem Herzen Gottes? Was der größte Prophet Elias? – Sehet, sie alle töteten, und das sehr vielfach und sogar oft auf ziemlich grausame Weise.
[GS.02_078,06] Wer da aus euch nüchternen und unbefangenen Geistes ist, muß der nicht in sich selbst das Urteil aussprechen und sagen: Was ist das für ein Gebot, wider das, wie sonst wider keines, selbst die ersten von Gott gestellten Propheten zu handeln genötigt waren?
[GS.02_078,07] Ein solches Gebot ist ja doch so gut wie gar keines. Auch in unseren Zeiten ist das Töten der Brüder im Kriege sogar eine Ehrensache! Ja, der Herr Selbst tötet Tag für Tag Legionen von Menschen dem Leibe nach; und doch heißt es: „Du sollst nicht töten!“ Und David mußte sogar einen Heerführer umbringen lassen, da er sich gegen einen zu vernichtenden Ort, freilich wohl meineidig, schonend benommen hatte.
[GS.02_078,08] Gut, sage ich, also steht es mit dem Gebote auf der Erde. Hier aber sehen wir es im Reiche der Himmel, wo kein Wesen mehr das andere töten kann, und auch sicher nie jemand auch nur den allerleisesten Gedanken in sich fassen wird, jemanden zu töten. Wozu steht es also hier auf der Tafel geschrieben? Etwa aus rein historischer Rücksicht, damit die Schüler hier erlernen sollen, was es auf der Erde für Gebote gibt und gegeben hat? Oder sollen etwa diese allergutmütigsten Kindergeister dieses Gebotes wegen auf eine Zeitlang in eine Mordlust versetzt werden und diese dann gegenüber dem Gesetze in sich selbst bekämpfen? Das könnte man zwar annehmen; aber welchen Schluß oder welches Endresultat wird man daraus bekommen? Ich sage euch nichts anderes als: Wenn die Mordlust den Kindern am Ende doch wieder genommen werden muß, so sie sich als Mordlustige dem Gesetze gegenüber genügend bewährt haben, muß man ja auch annehmen, daß sie dabei weder etwas gewonnen noch verloren haben würden, so sie nie mit der Mordlust erfüllt gewesen wären.
[GS.02_078,09] Ich sehe aber, daß bei dieser gründlichen Darstellung der Sache ihr nun selbst nicht wisset, was ihr so ganz eigentlich aus diesem Gebote machen sollet. Sorget euch nicht; wenige Worte werden genügen, um euch alles bisher Zweifelhafte ins klarste Licht zu stellen, und das Gesetz wird gleich würdig wie auf der Erde also auch im Himmel wie eine Sonne am Himmel strahlen!
[GS.02_078,10] Damit ihr aber die nachfolgende Erklärung leicht und gründlich fasset, so mache ich euch nur darauf aufmerksam, daß in Gott die ewige Erhaltung der geschaffenen Geister die unwandelbare Grundbedingung aller göttlichen Ordnung ist. – Wisset ihr nun das, so blicket auf das Gegenteil, nämlich auf die Zerstörung; und ihr habt das Gebot geistig und körperlich bedeutungsvoll vor euch.
[GS.02_078,11] Saget demnach anstatt: Du sollst nicht töten – du sollst nicht zerstören, weder dich selbst, noch alles das, was deines Bruders ist; denn die Erhaltung ist das ewige Grundgesetz in Gott Selbst, demzufolge Er ewig ist und unendlich in Seiner Macht. Da aber auf der Erde auch des Menschen Leib bis zur von Gott bestimmten Zeit für die ewig dauernde Ausbildung des Geistes notwendig ist, so hat ohne ein ausdrückliches Gebot Gottes niemand das Recht, eigenwillig weder seinen eigenen Leib noch den seines Bruders zu zerstören.
[GS.02_078,12] Wenn hier also von der gebotenen Erhaltung die Rede ist, da versteht es sich aber dann auch von selbst, daß jedermann noch weniger berechtigt ist, den Geist seines Bruders wie auch seinen eigenen durch was immer für Mittel zu zerstören und für die Erlangung des ewigen Lebens untüchtig zu machen. Gott tötet freilich tagtäglich der Menschen Leiber; aber zur rechten Zeit, wenn der Geist entweder auf die eine oder die andere Weise irgendeine Reife erlangt hat. Auch die Engel des Himmels, als fortwährende Diener Gottes, erwürgen in einem fort der Menschen Leiber auf Erden; aber nicht eher, als bis sie vom Herrn den Auftrag haben, und dann nur auf diejenige Art und Weise, wie es der Herr haben will.
[GS.02_078,13] Sonach aber erlernen auch die Kinder hier auf geistig praktischem Wege, worin die Erhaltung der geschaffenen Dinge besteht und wie sie vereint mit dem Willen des Herrn stets auf das Allersorglichste gehandhabt werden muß. Und wenn ihr dieses nun nur einigermaßen begriffen habt, so wird es sicher einleuchtend sein, fürs erste die große Würde dieses Gesetzes selbst zu erschauen, und fürs zweite, warum es auch hier im Reiche der himmlischen Kindergeister vorkommt. – Da wir aber solches wissen, so können wir uns auch sogleich in den sechsten Saal begeben. –
79. Kapitel – Das 6. Gebot im sechsten Saale – Was ist Unkeuschheit?
[GS.02_079,01] Hier erblicken wir wieder eine Tafel in der Mitte des sechsten Saales. Auf der Tafel steht mit deutlich leserlicher Schrift geschrieben: „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben, nicht ehebrechen“. – Unverkennbar ist dies das sechste Gebot, welches der Herr durch Moses dem israelitischen Volke gegeben hat. Dieses Gebot ist sicher eines der schwierigsten, um es in seiner Grundbedingung zu erfassen und dann auch genau im Lebensgrunde zu beobachten.
[GS.02_079,02] Was wird eigentlich durch dieses Gebot verboten? – Und wen geht dieses Gebot überhaupt an, den Geist, die Seele oder den Leib? Wer soll da aus diesen drei Lebenspotenzen nicht Unkeuschheit treiben? Das wäre eine Frage. Was aber ist so ganz eigentlich die Unkeuschheit und was der Ehebruch? Ist die Unkeuschheit der gegenseitige Begattungsakt? Wenn das der Fall ist, so ist durch dieses Gebot auf jede Zeugung Beschlag gelegt; denn wir finden in dem einfachen Gebote durchaus keine bedingnisweise Ausnahme gestellt; es heißt einmal: „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben“.
[GS.02_079,03] Wenn also der Akt der Begattung gewisserart als der Kulminationspunkt der Unkeuschheit angesehen wird, so möchte ich selbst denjenigen kennen, der unter der gegenwärtigen Gestalt der Dinge auf der Erde eine Zeugung ohne diesen verbotenen Akt bewerkstelligen könnte. Ob jetzt in der Ehe oder außer der Ehe, der Akt ist derselbe. Ob er wirklich in kinderzeugender Absicht begangen wird oder nicht, er ist derselbe. Zudem hat das Gebot selbst keine Bedingung in sich, durch welche eine geregelte Ehe von der Unkeuschheit ausgenommen wäre.
[GS.02_079,04] Andererseits betrachtet aber muß doch jedem Menschen einleuchtend sein, daß es dem Herrn an der Fortpflanzung des menschlichen Geschlechtes vorzugsweise gelegen ist und an einer weisen Erziehung desselben. Auf welchem Wege aber sollte sich das Menschengeschlecht fortpflanzen, wenn ihm der Zeugungsakt bei Strafe des ewigen Todes verboten ist? Ich meine, das kann ein jeder Mensch mit den Händen greifen, daß es hier offenbar einen Haken hat.
[GS.02_079,05] Dazu aber muß noch ein jeder sich notgedrungen selbst das Zeugnis geben, daß sicher bei keinem zu haltenden Gebote die Natur dem Menschen allgemein so mächtige Prügel unter die Füße wirft, über die er stolpern muß, als eben bei diesem. – Ein jeder Mensch, wenn seine Erziehung einigermaßen geordnet war, findet keinen Anstand, oder höchstens einen nur sehr geringen, in der Haltung der übrigen Gebote; aber bei diesem Gebote macht die Natur allezeit einen kräftigen Strich selbst durch die Rechnung eines Apostels Paulus!
[GS.02_079,06] Offenbar sehen wir eine Untersagung der fleischlichen Lust, welche mit dem Zeugungsakte unzertrennlich verbunden ist. Liegt also das Verbot nur an der fleischlichen Lust und nicht zugleich auch an dem Zeugungsakte, so fragt es sich, ob von dem ordnungsmäßigen Zeugungsakte die fleischliche Lust zu trennen ist? Wer aus euch kann solches erweisen und behaupten, die beiden gesetzlich geordneten Ehegatten empfänden beim Zeugungsakte nicht auch die zeitliche Lust? Oder wo ist dasjenige Gattenpaar, das da nicht wenigstens zur Hälfte durch die bevorstehende fleischliche Lust zum Zeugungsakte aufgefordert worden wäre?
[GS.02_079,07] Wir sehen aber nun daraus, daß wir mit diesem Gebote hinsichtlich der Unkeuschheit in Anwendung auf den leiblichen Zeugungsakt durchaus nicht aufkommen können. Entweder muß es einen reinen Zeugungsakt geben, der mit der Fleischeslust nichts zu tun hat, oder, wenn sich ein solcher Akt nicht erweisen läßt, muß der fleischliche Zeugungsakt nicht unter diesem Gesetze stehen und als eine freiwillkürliche, straflose Handlung des Menschen angesehen werden. – Denn solches ist schon bemerkt, daß sich das Gesetz schonungslos und jeder ausnahmsweisen Bedingung ledig ausspricht.
[GS.02_079,08] Das notwendige Bestehen der Menschen aber spricht sich laut gegen das Verbot dieses Aktes aus, sowie die allezeit schonungslos begehrende Natur. Denn da mag jemand sein, wes Standes er will, so wird er davon nicht freigesprochen, wenn er zu seiner Reife gelangt ist. Er müßte sich denn verstümmeln lassen und seine Natur töten, sonst tut es sich wenigstens in seiner Begierlichkeit dazu auf keinen Fall, wenn er auch durch äußere Umstände von der Aktivität abgehalten wird.
[GS.02_079,09] Also mit dem Fleische tut es sich auf keinen Fall. Vielleicht geht dieses Gesetz allein die Seele an? Ich meine, da die Seele durchaus das lebende Prinzip des Leibes ist und die freie Aktion desselben rein von der Seele abhängt, ohne welche das Fleisch tot ist, so dürfte es denn doch wohl schwerlich irgendwo einen Supergelehrten geben, der da im Ernste behaupten könnte, die Seele habe mit den freien Handlungen des Leibes nichts zu tun.
[GS.02_079,10] Der Leib ist ja doch nur das Werkzeug der Seele, künstlich eingerichtet zu ihrem Gebrauche; was soll es demnach mit einem Gebote allein für den Leib, der an und für sich eine tote Maschine ist? Wenn jemand mit einer Hacke einen ungeschickten Hieb gemacht hat, war da wohl die Hacke schuld oder seine Hand? Ich meine, solches wird doch niemand behaupten wollen, daß hier der Hacke der ungeschickte Hieb zuzuschreiben sei.
[GS.02_079,11] Ebensowenig kann man auch den Zeugungsakt als eine sündige Handlung dem Leibe zuschreiben, sondern allein nur dem handelnden Prinzip, das hier die lebendige Seele ist. Also muß auch unsere bisherige kritische Beleuchtung dieses Gebotes bloß der Seele gelten, welche im Fleische denkt, will und handelt; und so ist eben die Seele nach dem verlaufenden Kriterium notwendig frei von diesem Gebote. Also mit der Seele geht es auch nicht; so wird es doch mit dem Geiste gehen? Wir wollen sehen, was sich da der Geist wird abgewinnen lassen.
[GS.02_079,12] Was ist denn der Geist? Der Geist ist das eigentliche Lebensprinzip der Seele, und die Seele ist ohne den Geist nichts als ein substantiell ätherisches Organ, welches wohl zur Aufnahme des Lebens alle Fähigkeit besitzt, aber ohne den Geist nichts ist als ein substantiell-geistig-ätherischer Polyp, der seine Arme fortwährend nach dem Leben ausbreitet und alles einsaugt, was seiner Natur entspricht.
[GS.02_079,13] Die Seele ohne den Geist ist also eine bloß stumme polarische Kraft, welche den stumpfen Sinn nach Sättigung in sich trägt, selbst aber keine Urteilskraft besitzt, daraus ihr klar würde, womit sie sich sättigt und wozu ihr die Sättigung dient. Sie ist zu vergleichen mit einem Erzkretin, der keine andere Begierde in sich verspürt als diejenige, sich zu sättigen. Womit und warum? Davon hat er keinen Begriff. Wenn er einen großen Hunger verspürt, so frißt er, was ihm unterkommt, ob Unrat oder ob Brot oder eine barste Kost für Schweine, das ist ihm gleich.
[GS.02_079,14] Sehet, dasselbe ist die Seele ohne den Geist. Und diese angeführten Kretins haben eben auch bloß ein seelisches Leben, das heißt, in deren Seele ist entweder ein zu schwacher Geist oder oft auch gar kein Geist vorhanden. Daß aber solches der Fall ist, dazu brauchet ihr nichts als nur einen Blick in die Welt der finsteren Geister zu werfen; was sind diese? Sie sind nach dem Tode fortlebende Seelen, die bei Leibesleben auf die leichtsinnigste und oft böswilligste Weise ihren Geist in sich so sehr geschwächt und niedergedrückt haben, daß er ihnen in solchem Zustand kaum die kargst zugemessene Lebenserregung zu verschaffen imstande ist, bei der aber alle Lebensvorteile nicht selten im ewigen Hintergrund bleiben müssen!
[GS.02_079,15] Wie aber gebärden sich solche Wesen jenseits gegenüber den seligen lebendigen Geistern? Nicht anders als pure Trottel, also geistige Kretins, in aller Weise noch mißgestaltet, so daß nicht selten von einer menschlichen Gestalt nicht die leiseste Spur mehr zu entdecken ist. Diese Wesen sind in der Geisterwelt in ihrer Handlungsweise so wenig mehr zurechnungsfähig wie die Trottel bei euch auf der Erde. Daraus aber geht nun hervor, daß nicht die Seele an und für sich, sondern nur im Besitze des Geistes, dem allein das freie Wollen innewohnt, zurechnungsfähig ist, im Grunde also nur der Geist.
[GS.02_079,16] Wenn aber das nun evident erwiesen ist, so fragt sich: Wie und auf welche Weise kann denn der absolute Geist Unkeuschheit treiben? Kann der Geist fleischliche Begierden haben? Ich meine, einen größeren Widerspruch dürfte es kaum geben als den, so sich jemand wollte im Ernste einen „fleischlichen Geist“ denken, der notgedrungenermaßen materiell sein müßte, um selbst grobmaterielle Begierden in sich zu haben.
[GS.02_079,17] Wenn aber schon ein Arrestant an seinem Arreste sicher nicht das größte Wohlbehagen findet, so wird umsomehr der absolute Geist noch eine geringere Passion haben, sich mit seinem freiesten Wesen mit der groben Materie auf immer zu verbinden und an derselben seine Lust zu finden. In diesem Sinne ist also ein Unkeuschheit treibender Geist doch sicher der größte Unsinn, den je ein Mensch aussprechen kann. Nun fragt sich demnach: Was ist also die Unkeuschheit, und wer soll dieselbe nicht treiben, indem wir gesehen haben, daß sowohl der Leib als auch die Seele und der Geist für sich nicht Unkeuschheit treiben können, so wie wir sie bisher kennen? –
80. Kapitel – Über zweierlei Liebe.
[GS.02_080,01] Es dürften zwar einige sagen: Moses hat sich später darüber näher ausgesprochen, indem er den Zeugungsakt ordnungsmäßig nur zwischen den gesegneten Ehegatten erlaubt, anderartig aber verboten hat, und hat auf die anderartige Zeugung, besonders wenn ein verheirateter Mann mit dem Weibe eines anderen Mannes diesen Akt begehen möchte, verordnet, daß solch eine Tat als Ehebruch zu betrachten sei und die Ehebrecher sich beiderseits des Todes schuldig machen. Solches ist richtig, aber nachträgliche Verordnungen geben dem einfach im Anfange gegebenen Gesetze dennoch keine andere Gestalt. Wer sich daran binden will, muß im ersten Gesetze seinen Prozeß behaupten; denn weder die Unkeuschheit noch der Ehebruch sind darin auf eine bestimmte Art verboten.
[GS.02_080,02] Wir haben bisher klar erläutert, was man allenfalls unter der Unkeuschheit verstehen könnte. Nachdem aber alles das auf den Zeugungsakt hinweist, so kann man auch die von uns bisher als bekannt angenommene Art der Unkeuschheit unmöglich durch dieses Gesetz als verboten ansehen.
[GS.02_080,03] Nun aber meldet sich ein in der Sache Wohlerfahrener, dieser spricht: Unter Unkeuschheit, die da verboten ist, wird bloß die leere Befriedigung des sinnlichen Triebes verstanden. Gut, sage ich; wenn aber ein Mann mit eines anderen Mannes Weibe, die von ihrem Manne nicht befruchtet werden kann, im Ernste ein Kind zeugt, frage, kann ihm das als sündiger Ehebruch angerechnet werden? Ich frage weiter: Wenn ein Jüngling, von seiner Natur getrieben, mit einem Mädchen ein Kind gezeugt hat, kann ihm das zur Sünde der Unkeuschheit angerechnet werden?
[GS.02_080,04] Ich frage weiter: Wenn ein Mann aus der Erfahrung weiß, daß sein Weib nicht befruchtungsfähig ist, er beschläft sie aber dennoch, weil sie ein üppiges Fleisch hat, das ihn reizt, er also doch offenbar seinen sinnlichen Trieb leer befriedigt; kann ihm dieser Akt zur Sünde der Unkeuschheit angerechnet werden?
[GS.02_080,05] Ich frage weiter: Es gibt besonders in dieser Zeit, wie es sie auch zu allen Zeiten gegeben hat, eine Unzahl Menschen beiderlei Geschlechtes, welche gar wohl zeugungsfähig sind und eine sie mächtig drängende Natur besitzen; aber sie sind vermöge politischer und dürftiger Verhältnisse nicht imstande, sich zu verehelichen. Wenn nun solche doppelt bedrängte Menschen den Akt der Zeugung begehen, sündigen sie wider dieses sechste Gebot?
[GS.02_080,06] Man wird sagen: Sie sollen ihren Trieb Gott aufopfern und sich nicht begatten, so werden sie nicht sündigen. Ich aber sage: Welch ein Richter kann solch einen Fehler als eine wirkliche Sünde erklären? Was hat denn der Reiche darum für ein Verdienst, daß er sich ein ordentliches Weib nehmen kann, vor dem Armen, der dieser Glückseligkeit entbehren muß? Soll somit der Bemittelte ein größeres Recht auf die Zeugung seinesgleichen haben als der Arme? Heiligt also das Geld die Zeugung darum, weil sich der Reiche in den ordentlichen Besitz eines Weibes setzen kann, was tausend Unbemittelten unmöglich ist?
[GS.02_080,07] Dazu läßt sich noch fragen: Wer ist denn so ganz eigentlich schuld an der vielfachen Verarmung der Menschen? Sicher niemand anderer als der glückliche Reiche, der durch seine eigennützige Spekulation viele Schätze an sich zieht, durch welche nicht selten tausend Menschen sich für den ordentlichen Ehestand hinreichend befähigen könnten. Und dennoch sollte da der reiche Ehemann allein von der Sünde der Unkeuschheit frei sein, so er mit seinem ordentlichen Weibe Kinder zeugt, und der Arme allein sollte der Sündenbock sein, weil er sich eben kein Weib nehmen kann? Wäre das nicht geradeso geurteilt, als so man auf der Erde irgendeinen Wallfahrtsort bestimmen möchte und dazu ein Gebot gäbe, demzufolge niemand zu Fuß diesen Ort besuchen darf, um dort irgendeine sein sollende Gnade zu empfangen, sondern ein jeder, der diesen Ort besucht und eine Gnade empfangen will, muß in einer höchst eleganten Equipage dahin gefahren kommen?
[GS.02_080,08] Wer ein solches Gebot für gerecht finden sollte, der müßte doch sicher im Ernste von einer solchen Welt sein, von welcher der Schöpfer Himmels und der Erde selbst nichts weiß, das heißt von einer Welt, die nirgends existiert; oder er müßte ein Abgeordneter des Satans sein!
[GS.02_080,09] Wir sehen aber nun aus diesen Betrachtungen, daß es sich mit der Erklärung unseres sechsten Gebotes durchaus nicht tut. Was werden wir denn anfangen, um diesem Gebote einen vollgültigen Sinn abzugewinnen? Ich sage euch im voraus: Es ist die Sache nicht so leicht, als es sich jemand vorstellen möchte. Ja, ich sage:
[GS.02_080,10] Um den richtigen Sinn dieses Gebotes zu gewinnen, muß man ganz tief greifen und die Sache in der Grundwurzel fassen; sonst wird man sich dabei immer in der zweifelhaften Lage befinden, in der man leichtlich das, was nicht im entferntesten Sinne eine Sünde ist, als Sünde betrachten wird, und was wirklich eine Sünde ist, kaum der Mühe wert halten, es als eine Sünde zu betrachten.
[GS.02_080,11] Wo aber ist diese Wurzel? Wir werden sie sogleich haben. Ihr wisset, daß die Liebe der Urgrund und die Grundbedingung aller Dinge ist. Ohne Liebe wäre nie ein Ding erschaffen worden, und ohne die Liebe wäre so wenig irgendein Dasein denkbar, als wie wenig sich je ohne die wechselseitige Anziehungskraft eine Welt nach dem Willen des Schöpfers gebildet hätte. Wer das etwa nicht fassen sollte, der denke sich nur von einer Welt die wechselseitige Anziehungskraft hinweg, und sobald wird er sehen, wie sich alle Atome einer Welt plötzlich voneinander trennen und sich verflüchtigen werden wie ins Nichts.
[GS.02_080,12] Also ist die Liebe der Grund von allem und ist zugleich der Schlüssel zu allen Geheimnissen.
[GS.02_080,13] Wie aber läßt sich eben die Liebe mit unserem sechsten Gebot in eine erklärende Verbindung bringen? Ich sage euch, nichts leichter als das, indem bei keinem Akte in der Welt die Liebe so innig verwoben ist wie gerade bei dem, den wir zu den unkeuschsündigen rechnen.
[GS.02_080,14] Wir wissen aber, daß der Mensch einer zweifachen Liebe fähig ist, nämlich der göttlichen, welche aller Selbstliebe entgegen, und der Selbstliebe, welche aller göttlichen Liebe entgegen ist.
[GS.02_080,15] Nun fragt es sich: So jemand den Akt der Zeugung begeht, welche Liebe war da der Beweggrund, die Eigenliebe, unter deren Botmäßigkeit auch jegliche Genußsucht steht, oder die göttliche Liebe, welche nur mitteilen will, was sie hat, ihrer selbst gänzlich vergessend? Sehet, wir sind jetzt schon ziemlich dem eigentlichen Hauptkerne auf der Spur.
[GS.02_080,16] Setzen wir nun zwei Menschen: der eine begeht den Akt aus selbstsüchtiger Genußsucht, der andere aber in dankbarer Andacht für die Zeugungsfähigkeit, seinen Samen einem Weibe mitzuteilen, um in ihr eine Frucht zu erwecken. Welcher von den beiden hat denn gesündigt? Ich glaube, hier einen Richter zu machen und ein rechtes Urteil zu fällen, wird eben nicht schwer sein.
[GS.02_080,17] Damit uns aber die Sache völlig klar wird, müssen wir uns auch mit dem Begriffe „Unkeuschheit“ näher vertraut machen. Was ist Keuschheit und was ist Unkeuschheit? Keuschheit ist derjenige Gemütszustand des Menschen, in welchem er aller Selbstsucht ledig ist, oder in dem er rein ist von allen Makeln der Eigenliebe. Unkeuschheit ist derjenige Gemütszustand, in welchem der Mensch nur sich selbst berücksichtigt, für sich selbst handelt und seines Nebenmenschen, besonders in Berücksichtigung des Weibes, gänzlich vergißt.
[GS.02_080,18] Die Selbstsucht aber ist nirgends schmählicher, als wie gerade bei dem Akte, wo es sich um die Fortzeugung eines Menschen handelt. Warum denn? Die Ursache liegt am Tage. Wie der Grund, wie der Same, so auch wird die Frucht. Ist göttliche Liebe, also die Keuschheit der Same, so wird auch eine göttliche Frucht zum Vorschein kommen; ist aber Eigenliebe, Selbst- und Genußsucht, also der unkeusche Zustand des Gemütes der Same, welch eine Frucht wird da hervorgehen?
[GS.02_080,19] Sehet, in dem liegt es, was durch das sechste Gebot verboten ist. Wäre dieses Gebot beobachtet worden, so wäre die Erde noch ein Himmel, denn es gäbe auf ihr keinen selbstsüchtigen und herrschsüchtigen Menschen! Aber dieses Gebot ist schon im Anbeginne der Menschen übertreten worden, und die Frucht dieser Übertretung war der eigennützige und selbstsüchtige Kain.
[GS.02_080,20] Aus dem aber geht hervor, daß nicht nur die sogenannte fälschlich bezeichnete „Unzucht“, welche man besser „Genußsucht“ nennen sollte, in die Reihe unserer zu behandelnden Sünde gehört, sondern jegliche Genußsucht, wie gestaltet sie auch immer sein mag, besonders aber, wenn ein Mann das ohnehin schwache Weib sich eigennützig zum genußsüchtigen Nutzen macht, ist als Sünde der Unkeuschheit zu betrachten. – Ein kurzer Verfolg wird uns die Sache noch klarer vor die Augen bringen. –
81. Kapitel – Was ist Hurerei?
[GS.02_081,01] Man könnte hier sagen, indem es im sechsten Gebote nur heißt: „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben“, daß da die Hurerei nicht als verboten angesehen werden kann, da es im sechsten Gebote nirgends heißt: Du sollst nicht Hurerei treiben. – Ich aber sage: Was ist die Hurerei, welcher Art sie auch sein mag, geistig oder fleischlich? Sie ist eine sichere Anbequemung des Lasters, und zwar auf folgende Weise: Man philosophiert sich über die sündige Möglichkeit hinweg, setzt alle Erscheinungen in das Gebiet „natürlicher Bedürfnisse“. Wenn jemandem seine eigene Wesenheit die Forderung kundgibt, sie zu befriedigen, so tut der Mensch zufolge seines Verstandes und seiner Erfindungskraft ja nur etwas Lobenswertes und Ersprießliches, so er für alle zu fordernden Bedürfnisse seiner Natur Mittel zustande bringt, durch welche denselben Genüge geleistet werden kann. Das Tier muß zwar seine Bedürfnisse in der rohesten instinktmäßigen Art befriedigen, weil es keinen Verstand, keine Vernunft und keinen Erfindungsgeist hat. Dadurch aber erhebt sich ja eben der Mensch über das gemein naturmäßig Tierische, daß er allein den Anforderungen seiner Art auf eine raffinierte Weise Genüge leisten kann. Daher sagt der Verstand des Kulturmenschen:
[GS.02_081,02] Wer kann einem Menschen zur Sünde rechnen, so er sich mit Hilfe seines Verstandes ein stattliches Haus zur Bewohnung erbaut, und somit ein ehemaliges Erdloch oder einen hohlen Baum mit demselben vertauscht? Wer kann einem Menschen zur Sünde anrechnen, so er die Baumfrüchte veredelt, aus den sauren Äpfeln und Birnen süße und wohlschmeckende erzeugt? Wer kann einem Menschen zur Sünde anrechnen, wenn er sich einen Wagen erbaut, das Pferd zähmt, und dann viel bequemer eine Reise macht als mit seinen eigenen schwachen, leidigen Füßen? Wer ferner kann noch dem Menschen zum Fehler anrechnen, so er sich die Naturfrüchte zu seiner Nahrung kocht und würzt und sie ihm wohlschmeckender macht? Oder sind die Dinge in der Welt für einen anderen als für den Menschen erschaffen worden, damit er sie zweckdienlich benützen sollte? –
[GS.02_081,03] Wie viel Schönes und Nützliches hat der Mensch zu seiner Bequemlichkeit und zu seiner Erheiterung! Sollte ihm das zum Fehler angerechnet werden, so er durch seinen Verstand seinem Schöpfer Ehre macht, ohne den der Weltkörper so unkultiviert dastände wie eine barste Wüste, auf der alles durcheinanderwüchse in chaotischer Unordnung wie Kraut, Rüben und Brennesseln?
[GS.02_081,04] Wenn aber dem Menschen die verschiedenartige Kultivierung des Erdbodens doch unmöglich zu einem Fehler angerechnet werden kann, obschon sie in sich durchaus kein anderes Zweckdienliches enthält als den angenehmeren und bequemeren Genuß der Dinge in der Welt; so wird doch andererseits auch ein raffinierter Zeugungsgenuß dem Menschen mitnichten können zum Fehler angerechnet werden, indem sich sonst selbst der gebildetste Mensch in diesem Akte am wenigsten von dem Tiere unterschieden hat. Also auch dieser Trieb des Menschen muß auf eine veredeltere und raffiniertere Weise befriedigt werden können, und das aus demselben Grunde, aus welchem man sich bequeme Wohnhäuser erbaut, weiche Kleider verfertigt, geschmackvolle Speisen bereitet, u. dgl. Annehmlichkeiten mehr.
[GS.02_081,05] Man nehme nur den Fall, ein Mensch gebildeten Standes hat zu seiner Befriedigung die Wahl zwischen zwei Weibspersonen, die eine ist eine schmutzige, gemeine Bauernmagd, die andere aber als die Tochter eines ansehnlichen Hauses ist ein wohlerzogenes, sehr nett gekleidetes, am ganzen Leibe makelloses und sonst üppiges und reizendes Mädchen. Frage: Wonach wird der gebildete Mann greifen? Die Antwort wird hier kein Kopfzerbrechen brauchen; sicher nach Nr. 2, denn vor Nr. 1 wird es ihm ekeln. Also ist auch hier eine Verfeinerung sicher am zweckdienlichsten Platze, weil der Mensch durch sie beurkundet, daß er ein höheres Wesen ist, welches alles Unangenehme und Schmutzige zu reinigen und angenehmer darzustellen die volle Macht und Kraft in sich hat.
[GS.02_081,06] Da aber der Mann wie das Weib in dieser Hinsicht ein öfteres Bedürfnis sich zu befriedigen in sich stark wahrnehmen, wobei man doch nicht allezeit die Anforderung machen kann, ein Kind zu erzeugen, wird es da wider die Gebühr der Ausübung seiner Verstandeskräfte sein, wenn er die Mittel aufstellt, durch welche die Befriedigung dieses Triebes zuwege gebracht werden kann, sei es nur durch den blinden Beischlaf mit den Weibern oder durch Selbstbefriedigung oder im Notfalle durch die sogenannte Knabenschändung? Denn dadurch unterscheidet sich ja eben auch der Mensch von dem Tiere, daß er diesen am meisten naturmäßigen Trieb auf anderen Wegen befriedigen kann als gerade auf jenen nur, auf die er von der rohen Natur angewiesen wurde. Und sonach sind ja ganz besonders wohlkonditionierte Bordellhäuser und dergleichen Anstalten mehr zu billigen, und können dem Verstande des Menschen keineswegs zur Unehre, sondern nur zur Ehre gereichen!?
[GS.02_081,07] Sehet, was läßt sich, naturmäßig betrachtet, allem dem entgegen einwenden? Denn das ist richtig, daß das Tier dergleichen Kultivierungen und allerlei Nuancierungen in der Befriedigung seines Geschlechtstriebes nimmer zuwege bringen kann; und so ist darin gewisserart eine Meisterschaft des menschlichen Verstandes unleugbar zu entdecken. Das alles ist richtig, das Tier hat in allem dem seine Zeit, außer welcher es stumpf für die Befriedigung dieses Triebes bleibt.
[GS.02_081,08] Aber was ist alle diese Raffinesse? Das ist eine kurze Frage, aber ihre Beantwortung ist groß und gewichtig. – Diese Raffinesse hat doch sicher nichts anderes zum Grundmotive als die entsetzlich leidige Genußsucht. Die Genußsucht aber, wissen wir, ist ein unverkennbares Kind der Eigenliebe, welche mit der Herrschliebe ganz identisch einhergeht.
[GS.02_081,09] Es ist wahr, in einem stattlichen Hause läßt sich angenehmer wohnen denn in einer niedrigen Erdhütte. Betrachten wir aber die Einwohner! Wie stolz und hochtrabend sehen wir den Bewohner eines Palastes einhergehen, und wie zerknirscht beugt sich der schlichte Hüttenbewohner vor einem solchen glänzenden Palastherrn!
[GS.02_081,10] Betrachten wir die Bewohner einer großen Stadt und dagegen die eines kleinen Bauerndorfes. Die Bewohner der großen Stadt wissen sich vor lauter Genußsucht nicht zu helfen, alle wollen angenehm leben, alle sich unterhalten, alle glänzen und womöglich ein bißchen herrschen. Kommt ein armer Landbewohner in die große Stadt, so muß er wenigstens einen jeden Stiefelputzer usw. „Euer Gnaden“ anreden, will er sich nicht irgendeiner Grobheit aussetzen.
[GS.02_081,11] Gehen wir aber ins Dorf, da werden wir noch Hausväter antreffen, nicht selten friedliche Nachbarn, welche sich nicht „Euer Gnaden“ und „Herrn von“ titulieren. Was ist da wohl vorzuziehen, wenn ein Bauer zum andern spricht: „Bruder!“ oder wenn in der Stadt ein nur wenig Bemittelter einen etwas mehr Bemittelten „Euer Gnaden“ und „Herr von“ und dgl. mehr anspricht?
[GS.02_081,12] Ich meine, es wird kaum nötig sein, dergleichen unsinnige Ausgeburten der Raffinesse des menschlichen Verstandes noch weiter zu verfolgen, sondern wir können sogleich den Hauptspruch machen: Alle derartige genußsüchtige Verfeinerungen sind nach vorangehender Betrachtung nichts als Abgöttereien; denn sie sind Opfer des menschlichen Geistes an die äußere tote Naturmäßigkeit.
[GS.02_081,13] Sind sie aber Abgöttereien, so sind sie auch die barste Hurerei, und daß sie nicht in die Sphäre der Keuschheit aufgenommen werden können, beweist ihre Tendenz.
[GS.02_081,14] Warum wurde Babel eine „Hure“ genannt? Weil dort jede erdenkliche Raffinerie zu Hause war. Also heißt auch „die Hurerei treiben“ im eigentlichen Sinne: der Unkeuschheit dienen nach aller Lebenskraft. So ist ein reicher Ehemann, der sich des alleinigen Genusses wegen ein üppiges und geiles Weib genommen hat, nichts als ein barster Hurer und das Weib eine barste Hure. Und eben also wird auch hier diesen Kindern die Unkeuschheit in ihrem Fundamente gezeigt, wie sie nämlich eine allerbarste Selbst- und Genußsucht ist.
[GS.02_081,15] Es war notwendig, dieses Gebot für euch gründlicher zu beleuchten, weil sich der Mensch über kein Gebot so leicht hinwegsetzt wie über dieses. – Ich meine daher, daß ihr nun auch diesen Vortrag verstehet; und so wollen wir uns denn auch sogleich in den siebenten Saal begeben. –
82. Kapitel – Siebenter Saal – 7. Gebot.
[GS.02_082,01] Wir sind im siebenten Saale. Sehet, in dessen Mitte auf einer an einer lichten weißen Säule befindlichen Tafel steht mit deutlich leserlicher Schrift geschrieben: „Du sollst nicht stehlen!“ – Hier drängt sich beim ersten Anblicke dieser Gesetzestafel doch sicher einem jeden sogleich die Frage auf:
[GS.02_082,02] Was sollte hier gestohlen werden können, da niemand ein Eigentum besitzt, sondern ein jeder nur ein Fruchtnießer ist von dem, was der Herr gibt? Diese Frage ist natürlich und hat ihren guten Sinn, kann aber auch mit demselben Recht auf dem Weltkörper gestellt werden; denn auch auf dem Weltkörper gibt alles, was da ist, der Herr, und doch können die Menschen einander bestehlen auf alle mögliche Art.
[GS.02_082,03] Könnte man da nicht auch fragen und sagen: Hat der Herr die Welt nicht für alle Menschen gleich geschaffen, und hat nicht jeder Mensch das gleiche Recht auf alles, was die geschaffene Welt zum verschiedenartigen Genusse bietet? So aber der Herr sicher die Welt nicht nur für einzelne, sondern für alle geschaffen hat, und sonach ein jeder das Recht besitzt, die Produkte der Welt nach seinem Bedürfnisse zu genießen, – wozu war denn hernach dieses Gebot gut, durch welches den Menschen offenbar irgendein Eigentumsrecht eingeräumt ward und wodurch erst ein Diebstahl möglich geworden ist? Denn wo kein Mein und kein Dein ist, sondern bloß ein allgemeines Unser aller, da möchte ich doch den sehen, der da bei allem Wollen seinem Nächsten etwas zu stehlen vermöchte.
[GS.02_082,04] Wäre es demnach nicht klüger gewesen, statt dieses Gebotes, durch welches ein abgesondertes Eigentumsrecht gefährlichermaßen eingeräumt wird, jedes Eigentumsrecht für alle Zeiten aufzuheben? Dadurch würde dieses Gebot dann vollkommen entbehrlich, alle Eigentumsgerichte der Welt wären nie entstanden, und die Menschen könnten auf die leichteste Weise untereinander als wahrhafte Brüder leben.
[GS.02_082,05] Dazu muß man noch bedenken, daß der Herr dieses Gebot durch Moses gerade zu einer Zeit gegeben hat, wo auch nicht ein Mensch aus allen den zahlreichen Israelskindern irgendein eigenes Vermögen hatte; denn das aus Ägypten mitgenommene Gold und Silber war Eigentum des ganzen Volkes unter der Aufsicht ihres Anführers.
[GS.02_082,06] Was aber die Kleidung betrifft, so war sie höchst einfach und dabei so armselig, daß ein einziges Kleidungsstück in eurer gegenwärtigen Zeit den Wert von einigen schlechten Groschen sicher nicht übersteigen würde. Dazu hatte nicht einer aus den Israeliten einen Kleidungsvorrat, sondern was er am Leibe trug war alles, was er besaß.
[GS.02_082,07] Da kam hernach dieses Gebot. Sicher mußte das israelitische Volk sich untereinander mit großen Augen fragen: Was sollen wir einander wohl stehlen? Etwa unsere Kinder, da doch ein jeder froh ist in dieser gegenwärtigen bedrängten Lage, wenn er so kinderarm als möglich ist? Sollten wir uns gegenseitig etwa unsere Töpfe stehlen? Was sollten wir aber dabei gewinnen? Denn wer da keinen Topf hat, der hat ohnedies das Recht, sich im Topfe seines Nachbarn, so er etwas Kochbares hat, mitzukochen. Hat er aber einen Topf, da wird er es nicht notwendig haben, sich noch eines zweiten zu bemächtigen, um dadurch noch mehr zum Hin- und Herschleppen zu haben. Es ist fürwahr nicht einzusehen, was wir hier einander stehlen könnten. Etwa die Ehre? Wir sind alle Diener und Knechte eines und desselben Herrn, der den Wert eines jeden Menschen gar wohl kennt. So wir einander auch gegenseitig verkleinern wollten, was würden wir dadurch bezwecken im Angesichte dessen, der uns allezeit durch und durch schauet? Wir wissen also durchaus nicht, was wir aus diesem Gebote machen sollen. Soll dieses Gebot für künftige Zeiten gelten, falls uns der Herr einmal ein gesondertes Eigentum einräumen wollte? Wenn das, da lasse Er uns lieber so, wie wir sind, und das Gebot hebt sich von selbst auf.
[GS.02_082,08] Sehet, also räsonierte im Ernste auch hie und da das israelitische Volk, und solches war ihm in seiner Lage in der Wüste auch nicht zu verdenken; denn da war jeder gleich reich und gleich groß in seinem Ansehen.
[GS.02_082,09] Könnte aber nun nicht auch das gegenwärtige, neutestamentlich gläubige Volk vor dem Herrn räsonierend aufbegehren und sagen: O Herr! warum hast du denn dereinst ein solches Gebot gegeben, durch welches mit der Zeit den Menschen auf der Erde ein gesondertes Eigentumsrecht eingeräumt ward und eben zufolge dieses Eigentumsrechtes sich eine zahllose Menge von Dieben, Straßenräubern und Mördern gebildet hat? Hebe daher dieses Gebot auf, damit das Heer der Diebe, Mörder und Räuber und allerlei Betrüger und ein zweites Heer der Weltrichter aufhören möchte, jegliches in seiner Art aller Nächstenliebe ledig, tätig zu sein!
[GS.02_082,10] Ich sage hier: Der Aufruf läßt sich hören und erscheint unter dieser kritischen Beleuchtung als vollkommen billig. Wie und warum denn? Fürs erste kann man von Gott als dem allerhöchst liebevollsten Vater doch sicher nichts anderes als nur das allerhöchst Beste erwarten. Wie sollte man da wohl denken können, Gott, als der allerbeste Vater der Menschen, habe ihnen da eine Verfassung geben wollen, welche sie offenbar unglücklich machen muß, und zwar zeitlich und ewig?
[GS.02_082,11] Wenn man aber Gott die allerhöchste Güte, die allerhöchste Weisheit und somit die Allwissenheit notwendig zuschreiben muß, derzufolge Er doch wissen mußte, welche Früchte ein solches Gebot unfehlbar tragen wird, da kann man doch nicht umhin zu fragen: Herr! warum hast Du uns ein solches Gebot gegeben, warum uns durch dasselbe nicht selten namenlos unglücklich gemacht? War es im Ernste also Dein Wille, oder hast Du dieses Gebot nicht gegeben, sondern die Menschen haben es erst nachträglich eingeschoben ihres Eigennutzes wegen, indem sie sich etwa vorgenommen haben, sich von der allgemeinen Zahl ihrer Brüder abzusondern und sich in solchem Zustande dann berechtigtermaßen eigentümliche Schätze zu sammeln, um durch ihre Hilfe sich desto leichter als Herrscher über ihre gesamten armen Brüder zu erheben? Sehet, das alles läßt sich hören, und niemand kann solches in Abrede stellen. Man muß noch obendrauf einem menschlichen Verstande einige Körner echten Weihrauchs streuen, so er es in dieser Zeit wenigstens der Mühe wert gefunden hat, die Gesetze Mosis auf diese Weise kritisch zu beleuchten. Aber wer hat bei dieser Kritik etwas gewonnen? Die Menschen nicht und der Herr sicher auch nicht, denn es spricht sich in dieser Kritik die göttliche Liebe und Weisheit offenbar nicht aus.
[GS.02_082,12] Wie aber soll denn dieses Gesetz genommen und betrachtet werden, damit es als vollkommen geheiligt vor Gott und allen Menschen erscheint, daß es die höchste göttliche Liebe und Weisheit ausspreche und in sich die weiseste Fürsorge des Herrn zum zeitlichen und ewigen Glückseligkeitsgewinne trage? Also, wie es bis jetzt erklärt ward, besonders in der gegenwärtigen Zeit, hat es freilich nur Unheil verbreiten müssen. Daher wollen wir nach der Erbarmung des Herrn die wahre Bedeutung dieses Gebotes enthüllen, auf daß die Menschen darin fürder ihr Heil, aber nicht ihr Unheil finden sollen. Um aber das zu bewerkstelligen, werden wir vorerst betrachten, was unter dem Stehlen verstanden werden muß. –
83. Kapitel – Was heißt „Stehlen“?
[GS.02_083,01] Daß anfänglich unter dem Begriffe „Stehlen“ unmöglich die eigenmächtige Wegnahme der materiellen Güter eines andern verstanden werden konnte, erhellt klar daraus, daß besonders zur Zeit der Gesetzgebung niemand aus dem israelitischen Volke ein Eigentum besaß. Selbst als das Volk ins Gelobte Land gezogen war, war seine staatliche Verfassung so bestellt, daß niemand in diesem Lande ein vollrechtliches Eigentum besitzen konnte. Sondern es war dabei soviel als möglich auf eine Gütergemeinschaft abgesehen, und ein jeder dürftige Israelit, wenn er im übrigen in der göttlichen Ordnung lebte, mußte allenthalben die gastfreundlichste Aufnahme und Unterkunft finden.
[GS.02_083,02] Wäre aber in diesem Gebote unter dem Stehlen die willkürliche und eigenmächtige Wegnahme des Gutes eines andern verstanden worden, so fiele, wie es im Verlaufe dieser Darstellung hinreichend klar gezeigt wurde, unfehlbar der Tadel auf den Gesetzgeber, indem Er dadurch gewisserart stillschweigend dem Erwerbe, der Industrie und somit auch dem Wucher das Wort gesprochen hätte. Denn das muß doch jedem Menschen auf den ersten Blick in die Augen fallen, so er nur eines etwas helleren Denkens fähig ist, daß das Eigentumsrecht dann als vollkommen sanktioniert und bestätigt eingeführt ist, sobald man ein Gesetz gibt, durch welches das Eigentum eines jeden als vollkommen gesichert erscheinen muß.
[GS.02_083,03] Wie könnte man aber auf der andern Seite ein solches Gesetz von jenem Gesetzgeber erwarten, der mit Seinem eigenen Munde zu Seinen Schülern gesprochen hat: „Sorget euch nicht, was ihr essen und trinken werdet und womit euren Leib bekleiden, denn das alles ist Sache der Heiden. Suchet vor allem das Reich Gottes; alles andere wird euch schon von selbst hinzufallen.“
[GS.02_083,04] Weiter spricht derselbe Gesetzgeber: „Die Vögel haben ihre Nester und die Füchse ihre Löcher, aber des Menschen Sohn hat nicht einen Stein, den Er unter sein Haupt lege!“ Andererseits wieder sehen wir Seine Schüler sogar an einem Sabbate Ähren raufen, also offenbar stehlen. Als sich aber die Eigentümer des Ackers darüber beschwerten, saget: wer bekam da von dem großen Gesetzgeber den Verweis und eine recht empfindliche Zurechtweisung? Ihr brauchet nur im Buche nachzusehen und es wird euch alles klar sein.
[GS.02_083,05] Weiter sehen wir denselben Gesetzgeber einmal in der Lage, einen Mautzins entrichten zu müssen. Hat Er in Seine eigene Tasche gegriffen? O nein, sondern Er wußte, daß im nahen See ein Fisch einen verlornen Stater verschluckt hatte. Der Petrus mußte hingehen, dem durch die Kraft des Herrn gehaltenen Fische die Münze aus dem Rachen nehmen und mit derselben den Mautzins bezahlen.
[GS.02_083,06] Ich frage aber: Hat nach euren Eigentumsrechten der Finder auf ein auf was immer für eine Weise gefundenes Gut das verfügbare Eigentumsrecht? Mußte der große Gesetzgeber nicht wissen – oder wollte Er es nicht wissen –, daß Er von diesem im Fische gefundenen Gute nur auf ein Dritteil das verfügbare Eigentumsrecht hatte, und zwar erst nach vorausgegangener öffentlicher oder amtlicher Bekanntgebung seines Fundes? Er hat solches nicht getan. Sonach hat Er offenbar einen zweidritteiligen Diebstahl oder, was ebensoviel ist, eine Veruntreuung begangen.
[GS.02_083,07] Ferner ließe sich nach den Rechtsprinzipien fragen – wenn man voraussetzt, daß nur wenige Juden es in der Fülle wußten, wer eigentlich Christus war –, wer Ihm das Recht eingeräumt hat, die bewußte Eselin ihrem Eigentümer abnehmen zu lassen und sie dann Selbst nach Seinem Gutdünken zu gebrauchen.
[GS.02_083,08] Man wird hier sagen: Er war ja der Herr der ganzen Natur und Ihm gehörte ja ohnehin alles. Das ist richtig, aber wie spricht Er denn in weltlicher Hinsicht, daß des Menschen Sohn keinen Stein habe, und auf der andern Seite spricht Er, daß Er nicht gekommen ist, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen bis auf ein Häkchen.
[GS.02_083,09] Wenn wir Seine Geschichte verfolgen wollten, so würden wir noch manches finden, wo der große Gesetzgeber nach den gegenwärtigen Eigentumsrechtsprinzipien und nach der umfassenden juridischen Erklärung des siebenten Gebotes gegen eben diese Rechtsprinzipien sich offenbar vergriffen hat. Was würde hier dem geschehen, der einem Eigentümer einen Baum zerstörte oder der eine große Herde von Schweinen vernichtete und dem mehr? Ich meine, wir haben der Beispiele genug, aus denen sich mehr als klar ersehen läßt, daß der große Gesetzgeber mit diesem siebenten Gebote einen ganz anderen Sinn verbunden hat, als er nach der Zeit von der habsüchtigen und eigennützigen Menschheit ausgeheckt worden ist.
[GS.02_083,10] Man wird sagen: Das ist nun ganz klar und ersichtlich; aber welchen Sinn Er damit verbunden hat, das liegt noch hinter einem dichten Schleier! Ich aber sage: Nur Geduld! Haben wir bis jetzt die falsche Auffassung dieses Gebotes gehörig beleuchtet, so wird die rechte Bedeutung dieses Gebotes sich sicher auch leicht finden lassen; denn jemand, der die Nacht zu durchblicken vermag, dem darf es doch wohl nicht bange sein, daß er am Tage zu wenig Licht haben wird.
[GS.02_083,11] Was heißt denn hernach im eigentlichen wahren Sinne: „Du sollst nicht stehlen?“ – Im eigentlichen Sinne heißt das so viel:
[GS.02_083,12] Du sollst nimmer die göttliche Ordnung verlassen, dich nicht außer dieselbe stellen und der Rechte Gottes dich bemächtigen wollen. –
[GS.02_083,13] Was aber sind diese Rechte und worin bestehen sie? Gott allein ist heilig und Ihm allein kommt alle Macht zu! Wen Gott selbst heiliget und ihm die Macht erteilt, der besitzt sie rechtmäßig; wer sich aber selbst heiligt und die göttliche Macht an sich reißt, um im Glanze derselben eigennützig und habsüchtig zu herrschen, der ist im wahrhaftigen Sinne ein Dieb, ein Räuber und ein Mörder!
[GS.02_083,14] Wer also eigenmächtig und selbstliebig durch was immer für äußere Schein- und Trugmittel, seien sie irdischer oder geistiger Art, sich über seine Brüder erhebt, der ist's, der dieses Gebot übertritt. In diesem Sinne wird es auch diese Kinder hier gelehrt, und ihnen auf praktischem Wege gezeigt, daß da kein Geist je die ihm innewohnende Kraft und Macht eigenmächtig gebrauchen soll, sondern allzeit nur in der göttlichen Ordnung.
[GS.02_083,15] Man wird aber jetzt sagen: Wenn dem so ist, da ist das bekannte Stehlen und Rauben ja erlaubt. Ich aber sage: Nur Geduld, die nächste Folge soll alles ins klare Licht bringen. – Für jetzt aber wollen wir uns mit dem zufriedenstellen, indem wir einmal wissen, was unter dem Stehlen zu verstehen ist, und daß der Herr durch dieses Gebot nie ein Eigentumsrecht eingeführt hat. –
84. Kapitel – Winke über die soziale Frage.
[GS.02_084,01] Es läßt sich nun fragen, da der Herr nie ein Eigentumsrecht eingeführt und daher auch unmöglich je ein Gebot gegeben hat, durch welches man besonders ein erwuchertes Vermögen so vieler geiziger Wucherer respektieren soll, und das gegenüber einer Unzahl der allerärmsten Menschen, – ob man dann wohl stehlen dürfte, das nämlich, was sich solche „Wucherer“, dem göttlichen Gesetze zuwider, zusammengescharrt haben? Denn man nimmt doch einem Diebe nach den irdischen Gesetzen, sobald man ihn ertappt, seine gestohlenen Sachen weg. Sollte man denn nicht umso mehr das Recht haben, den allerbarsten Dieben und Räubern gegenüber dem göttlichen Gesetze ihre zusammengeraubten Reichtümer wegzunehmen und sie unter die Bedürftigen zu verteilen?
[GS.02_084,02] Nach dem Verstandesschlusse könnte man gegen diese Forderung gerade nichts einwenden; aber der rechte Mensch hat noch höhere Kräfte in sich als seinen Verstand. Was werden aber diese zu dieser Verstandesbilligung sagen?
[GS.02_084,03] Fragen wir unsere Nächstenliebe und unsere Gottesliebe. Was spricht sie in ihrem inwendigsten, ewig lebendigen Geiste aus Gott? Sie spricht nichts anderes, als was der Herr Selbst gesprochen hat, nämlich: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ – Und wer sein äußeres Leben liebt, der wird das innere verlieren; wer aber sein äußeres Leben flieht und gering achtet, der wird das innere behalten. Das spricht alsdann der innere Geist.
[GS.02_084,04] Wir sehen nirgends eine Aufforderung, daß wir uns über die Güter der Reichen hermachen sollen. Der Herr Selbst spricht: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ So befiehlt Er auch nicht dem reichen Jünglinge, seine Güter zu verkaufen, sondern erteilt ihm nur den freundschaftlichen Rat nebst der Verheißung des ewigen Lebens.
[GS.02_084,05] Da wir sonach nirgends auf ein Gebot vom Herrn stoßen, durch welches Er ausdrücklich befohlen hätte, sich irgendwie des Reichtums der Wucherer zu bemächtigen, so liegt es auch sicher klar am Tage, daß ein wahrhaftiger Christenmensch nicht das Recht hat, sich über die Güter der Reichen herzumachen. – Selbst derjenige, der in der größten Not ist, hat vom Herrn aus kein irgend nachzuweisendes Recht, sich der Güter selbst eines barsten Diebes zu bemächtigen; wohl aber hat bei einem großen Notzustande ein ganzes Volk das Recht dazu.
[GS.02_084,06] Warum denn? Weil dann der Herr Selbst im Volke waltend auftritt und bewirkt dadurch für die nimmersatten Wucherer ein gerechtes Gericht. – Nur sollte sich da niemand, außer im höchsten Notfalle, erlauben, die Wucherer und die reichen Hartherzigen zu ermorden, sondern ihnen nur so viel von ihren höchst überflüssigen Schätzen wegzunehmen, als das Volk zu seiner Unterstützung nötigst bedarf, um sich wieder auf die Füße des friedlichen Erwerbes stellen zu können.
[GS.02_084,07] Dem reichen Wucherer aber solle noch immer so viel gelassen werden, daß er auf der Welt keine Not leide; denn das ist ja sein einziger Lohn für seine Arbeit. Der Herr aber will niemanden strafen, sondern jedermann nur belohnen nach der Art seiner Tätigkeit.
[GS.02_084,08] Da der Reiche und Wucherer aber nach diesem Erdenleben nichts mehr zu erwarten hat, da ist es ja recht und billig, daß er für sein Talent dort seinen Lohn findet, wo er gearbeitet hat.
[GS.02_084,09] Zudem will der Herr auch keinen Menschen auf dieser Welt völlig richten, damit da für einen jeden die Möglichkeit noch vorhanden bleibe, sich freiwillig von der Welt abzuwenden und zum Herrn zurückzukehren. Würde nun solch einem reichen Wucherer alles weggenommen werden, so erscheint er schon als völlig gerichtet; denn Verzweiflung wird sich seiner bemächtigen und eine endlose Zornwut, in der er unmöglich je den Weg des Heils betreten kann. Ist ihm aber noch ein genügendes Vermögen gelassen worden, so ist er fürs erste keiner irdischen Not ausgesetzt und erscheint auch nicht als völlig unbelohnt für sein Spartalent; fürs zweite aber kann er in diesem Zustande als nicht völlig gerichtet ja auch noch den Rat befolgen, den der Herr dem reichen Jünglinge gegeben hat, und kann dadurch zum ewigen Leben gelangen.
[GS.02_084,10] Am wenigsten aber sollen bei solchen äußersten Unternehmungen von seiten eines tiefverarmten Volkes blutige Grausamkeiten ausgeübt werden; denn sobald solches geschieht, da wirkt nicht mehr der Herr mit dem Volke und das Volk wird seine Tat nicht gesegnet sehen! Denn wenn es heute siegen wird, so wird es morgen wieder geschlagen, und da wird ein Blut wider das andere fließen! Nie soll der Mensch vergessen, daß alle Menschen seine Brüder sind. Was er unternimmt, das soll er stets mit einem liebeerfüllten Herzen unternehmen; niemandem soll er je etwas Böses tun wollen, sondern allezeit nur etwas Gutes, besonders im geistigen Teile zum ewigen Leben Wirkendes.
[GS.02_084,11] Ist so sein Sinn beschaffen, dann wird der Herr seine Handlung segnen, im Gegenteile aber verfluchen! Denn so der Herr Selbst niemandem ein ewig tödlicher Richter sein will, dem doch alle Gewalt im Himmel und auf Erden eigen ist, und Er niemanden zu fragen hat, was Er tun oder nicht tun soll, um so weniger soll ein Mensch auf der Erde etwas nach seinem argen Willen tun.
[GS.02_084,12] Wehe aber dem Volke, welches ohne die äußerste Notwendigkeit sich gegen die Reichen und Mächtigen erhebt! Das wird für seine Tat bitterst gezüchtigt werden; denn die Armut ist des Herrn. Wer den Herrn liebt, der liebt auch die Armut; der Reichtum und das Wohlleben aber ist der Welt und des Satans! Wer nach diesem trachtet, was der Welt ist, und es liebt, der hat sich vom Scheitel bis zur Zehe dem Satan einverleibt!
[GS.02_084,13] Solange also irgendein Volk sich des Tages nur einmal halbwegs sättigen und noch das Leben erhalten kann, so lange auch soll es sich nicht erheben. Wenn aber die Reichen und Wucherer beinahe alles an sich gerissen haben, so daß Tausenden von armen Menschen augenscheinlichst der Hungertod droht, dann ist es Zeit, sich zu erheben und die überflüssigen Güter der Reichen untereinander zu teilen; denn dann will es der Herr, daß die Reichen bis zu einem großen Teile für ihre schändliche Eigenliebe und Habsucht gezüchtigt werden sollen.
[GS.02_084,14] Zum Schlusse der Abhandlung über dieses Gebot dürfte vielleicht noch jemand fragen, ob die Zinsnahme für geliehene Kapitalien nicht gewisserart auch wider das siebente Gebot ist? Da sage ich: Wenn in einem Staate der Zinsfuß gesetzlich bestimmt ist, so ist es auch erlaubt, nach diesem Zinsfuße von den Reichen die Interessen zu nehmen; hat aber jemand einem Bedürftigen ein erforderliches Kapital geliehen, so soll er dafür keine Zinsen verlangen.
[GS.02_084,15] Hat sich dieser Notdürftige mit diesem Kapital insoweit geholfen, daß er sich nun in seiner Gewerbshantierung bürgerlich wohl befindet, so soll er darauf bedacht sein, das geliehene Kapital seinem Freunde wieder zurückzuerstatten. Will er aus Dankbarkeit die gesetzlichen Zinsen zahlen, so soll sie der Ausleiher nicht annehmen, wohl aber den Rückzahler erinnern, solche an seine ärmeren Brüder zu verabfolgen nach seiner Kraft.
[GS.02_084,16] Ganz Armen aber soll niemand ein Kapital leihen, sondern was einer ihnen gibt, das soll er ihnen ganz geben. Das ist in dieser Hinsicht der Wille des Herrn. Wer ihn befolgt, der wird des Herrn Liebe haben. – Da wir somit alles berührt haben, was dieses Gebot betrifft, so können wir uns sogleich in den achten Saal begeben, allda wir ein Gebot kennen lernen werden, das diesem siebenten in vieler Hinsicht gleichen wird. –
85. Kapitel – Achter Saal – 8. Gebot. Die materielle Hülle – das Mittel zum Lügen.
[GS.02_085,01] Wir sind im achten Saale und sehen da auf der uns aus allen früheren Sälen wohlbekannten Rundtafel mit deutlicher Schrift gezeichnet: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben“ – oder was ebensoviel sagt: Du sollst nicht lügen! –
[GS.02_085,02] Es klingt dieses Gebot im Reiche der reinen Geister wohl sonderbar, indem ein Geist in seinem reinen Zustande aller Lüge unfähig ist. Ein Geist kann unmöglich anders sprechen, als wie er denkt, da der Gedanke schon sein Wort ist. Der Geist im reinen Zustande kann darum auch keine Unwahrheit über seine Lippen bringen, weil er ein einfaches Wesen ist und in sich keinen Hinterhalt haben kann.
[GS.02_085,03] Der Lüge ist sonach nur ein unreiner Geist fähig, wenn er sich mit einer Materie umhüllt. Ist aber ein Geist, auch von unreiner Beschaffenheit, seiner gröberen Umhüllung ledig, so kann er auch keine Unwahrheit aussprechen.
[GS.02_085,04] Aus diesem Grunde umhüllen sich denn auch die argen Geister mit allerlei groben Truggestalten, um in dieser Umhüllung lügen zu können.
[GS.02_085,05] Also mußte sich auch der bekannte „Satan“ im Paradiese vor dem ersten Menschenpaare mit der materiellen Gestalt einer Schlange umhüllen, auf daß er dadurch in sich einen Hinterhalt bekam und hernach anders denken und anders sprechen konnte.
[GS.02_085,06] Aus diesem alleinigen Grunde sind auch die Menschen auf Erden imstande zu lügen so oft sie wollen, weil sie in ihrem Leibe einen Hinterhalt haben und können von diesem aus die Maschine des Leibes gerade in entgegengesetzter Richtung von dem bewegen, was sie denken.
[GS.02_085,07] Solches jedoch, wie bemerkt, ist den reinen Geistern nicht möglich. Sie können sich zwar, so sie sich irdischen Menschen gegenüber äußern, in Entsprechungen kundgeben und sagen dann auch nicht selten etwas ganz anderes, als was der innere Sinn ihrer Rede darstellt. Aber das heißt nicht lügen, sondern die geistige Wahrheit in irdische Bilder legen, welche dieser Wahrheit genau entsprechen.
[GS.02_085,08] Wir sehen aber aus dem, daß dieses Gebot für die Geister gar nicht taugt, indem sie der Fähigkeit zu lügen gänzlich ermangeln.
[GS.02_085,09] Für wen aber gilt hernach dieses Gebot? – Ich weiß, man wird mit der Antwort bald fertig werden und sagen: Es gilt für die mit Materie umhüllten Geister und gebietet ihnen, ihre Umhüllung nicht anders zu gebrauchen, als wie in ihnen ihr Denken und aus demselben hervorgehendes Wollen im reingeistigen Zustande beschaffen ist.
[GS.02_085,10] Wir wissen aber, daß dieses Gebot, so gut wie alle früheren, von Gott, als dem Urgrunde alles Geistigen, ausgeht. Als solches aber kann es unmöglich nur eine materielle und nicht zugleich auch eine geistige Geltung haben.
[GS.02_085,11] Um der Sache aber so recht auf den Grund zu kommen, müssen wir erörtern, was unter „Lügen“ oder „falsches Zeugnis geben“ eigentlich zu verstehen ist. Was ist denn die Lüge oder ein falsches Zeugnis in sich selbst? Ihr werdet sagen: Eine jegliche Unwahrheit. Aber ich frage: Was ist denn eine Unwahrheit? Da dürfte wohl auch jemand mit der Antwort bald fertig werden und sagen: Jeder Satz, welchen der Mensch ausspricht, um dadurch jemanden zu täuschen, ist eine Unwahrheit, eine Lüge, „ein falsches Zeugnis“. Es ist dem außen nach alles gut, aber nicht also dem innen nach. Wir wollen dafür eine kleine Probe aufstellen.
[GS.02_085,12] Frage: Kann der Wille denken? Ein jeder Mensch muß solches verneinen, indem er offenbar sagen muß: Der Wille verhält sich zum Menschen wie das Zugvieh zum Wagen. Dieses zieht denselben wohl kräftig; aber wo wird es den Wagen hinbringen ohne den denkenden Fuhrmann?
[GS.02_085,13] Weiter frage ich: Kann der Gedanke wollen? Kehren wir zum Fuhrwerk zurück. Kann der Fuhrmann bei dem besten Verstande ohne Zugkraft der Lasttiere den schweren Wagen von der Stelle bringen? Ein jeder wird hier sagen: Da können tausend der gescheitesten Fuhrleute neben dem schwer belasteten Wagen alle möglichen philosophischen Grundsätze aufstellen, und dennoch werden sie mit all diesen Prachtgedanken den Wagen so lange nicht von der Stelle bringen, als bis sie in ihren Gedanken darin übereinkommen, daß vor dem Wagen eine demgemäße Zugkraft angebracht werden muß.
[GS.02_085,14] Aus diesem Beispiele haben wir nun gesehen, daß der Wille nicht denken, und daß der Gedanke nicht wollen kann. Sind aber Gedanke und Wille vereint, so kann der Wille doch nur das tun, wozu ihn der Gedanke leitet.
[GS.02_085,15] Nun aber frage ich weiter: Wenn es sich mit der Sache also verhält, wer kann dann lügen aus dem Menschen? Der Wille sicher nicht, denn dieser ist ein Etwas, das sich allezeit nach dem Lichte des Gedankens richtet. Kann der Gedanke lügen? Sicher nicht, er ist einfach und kann sich nicht teilen. Wird der Leib etwa lügen können im Menschen? Wie der Leib lügen könnte als eine für sich tote Maschine, welche nur durch den Gedanken und Willen des Geistes durch die Seele zur Tätigkeit angeregt wird, das wäre wirklich überaus merkwürdig in Erfahrung zu bringen.
[GS.02_085,16] Ich entdecke aber soeben einen Psychologen, und zwar aus der Klasse der geistigen Dualisten, dieser spricht: Die Seele des Menschen ist auch ein sich selbst bewußtes denkendes Wesen und denkt zum Teil aus den naturmäßigen und zum Teil aus den geistigen Bildern. So können sich in ihr gar wohl zweierlei Arten von Gedanken bilden, nämlich naturmäßige und geistige. Sie kann daher wohl die geistigen in sich denken, da ihr aber auch der Wille des Geistes zur Disposition steht, so kann sie anstatt der auszusprechenden Wahrheit oder des geistigen Gedankens den naturmäßigen, der geistigen Wahrheit ganz entgegengesetzten Gedanken aussprechen. Und tut sie das, so lügt sie oder gibt ein falsches Zeugnis. Was meinet ihr wohl, ist dieser Schluß richtig?
[GS.02_085,17] Den Anschein von Richtigkeit hat er, für den äußeren Menschen genommen betrachtet, wohl, aber im Grunde des Grundes ist er dennoch falsch; denn was für eine Tätigkeit würde da wohl zum Vorscheine kommen, wenn man zur Fortschaffung etwa eines Wagens vorne sowie rückwärts gleich viele und gleich starke Zugpferde und daneben auch Fuhrleute zur Leitung der Pferde anspannen und anstellen möchte?
[GS.02_085,18] Wie der Wagen nie von der Stelle gebracht würde, also möchte es doch wohl auch mit dem Leben eines Menschen aussehen, wenn dasselbe sich auf zwei entgegengesetzte lebendige Prinzipien gründen möchte. Das wäre gerade so viel wie plus 1 und minus 1, welches addiert null gibt.
[GS.02_085,19] Es muß also nur ein lebendes Prinzip sein; wie aber kann dieses lügen und falsches Zeugnis geben?
[GS.02_085,20] Entweder kann dieses eine Prinzip, wie erwiesen, gar nicht lügen und falsches Zeugnis geben, oder unter dem Begriffe „lügen“ und „falsches Zeugnis geben“ muß grundsätzlich etwas anderes verstanden werden, als was bisher verstanden wurde.
[GS.02_085,21] Da sagt freilich jemand: Wenn die Sache so zu nehmen ist, so ist eine jede uns bekannte Lüge, jeder falsche Eid, wie auch jeder Wortbetrug als unsündhaft und frei gang und gäbe zu betrachten. Gut, sage ich, die Einwendung wäre so übel nicht, aber nach eurem Sprichworte: „Wer zuletzt lacht, der lacht am besten“ werden wir uns ein ähnliches Vergnügen auf den Schluß vorbehalten. –
86. Kapitel – Was ist ein falsches Zeugnis?
[GS.02_086,01] Damit wir aber diesen gordischen Knoten auch gewisserart mit einem Hiebe zu entwirren vermögen, so wollen wir gleich an die Erörterung des Hauptbegriffes in diesem achten Gebote gehen.
[GS.02_086,02] Wir wissen, daß vom Herrn aus einem jeden Geiste ein freier Wille und also auch ein freier Gedanke zur Beleuchtung des freien Willens gegeben ward. Dieser Gedanke im Geiste ist eigentlich die Sehe und das Licht des Geistes, durch welches er die Dinge in ihrer naturmäßigen Sphäre erschauen kann.
[GS.02_086,03] Neben diesem Lichte, das jeder Geist eigentümlich von Gott wesenhaft erhalten hat, hat er auch noch eine zweite Fähigkeit, ein innerstes, allerheiligstes Licht von Gott aufzunehmen; aber nicht durch sein Auge, sondern durch das Ohr, welches eigentlich auch ein Auge ist. Wohl kein Auge zur Aufnahme äußerer Erscheinlichkeiten, welche hervorgebracht werden durch den allmächtigen Willen des Herrn, sondern es ist ein Auge zur Aufnahme des reingeistigen Lichtes aus Gott, nämlich des Wortes Gottes.
[GS.02_086,04] Solches möget ihr schon aus eurer noch naturmäßigen Beschaffenheit erkennen, wenn ihr nur einigermaßen darauf achtet, wie sehr verschieden das ist, was ihr durch eure Augen erschauet und daneben durch eure Ohren erhorchet. Durch eure Augen könnt ihr nur naturmäßige Bilder erschauen, mit euren Ohren aber könnt ihr Strahlen aus der innersten göttlichen Tiefe aufnehmen.
[GS.02_086,05] Ihr könnt die Sprache der Geister in der Harmonie der Töne vernehmen oder besser gesagt: ihr könnet die geheimen Formen der innersten geistigen Schöpfung schon äußerlich materiell durch eure fleischlichen Ohren vernehmen. Wie tief zurück steht da das Auge gegen das Ohr!
[GS.02_086,06] Sehet, also ist es auch bei dem Geist. Er ist vermöge solcher Einrichtung befähigt, Zweifaches aufzunehmen, nämlich das äußere Bildliche und das innere wesenhaft Wahre.
[GS.02_086,07] In diesem Doppelschauen liegt das Geheimnis des freien Willens zugrunde.
[GS.02_086,08] Ein jeder Mensch, sei er rein geistig oder noch mit der Materie umhüllt, hängt durch diese Fähigkeit ganz natürlichermaßen zwischen einem Äußeren und zwischen einem Inneren. Er kann sonach allezeit eine zahllose Menge von Außenformen erschauen, kann aber auch zu gleicher Zeit ebensoviel der inneren, rein göttlichen Wahrheit in sich aufnehmen.
[GS.02_086,09] Mit dem Lichte von außen faßt er nichts von all dem Geschauten als bloß die äußere Form und kann dadurch in sich selbst eben durch die Aufnahme dieser Formen der Schöpfer seiner Gedanken sein.
[GS.02_086,10] Mit diesen Gedanken kann er auch seinen frei disponiblen Willen in Bewegung setzen, wie und wann er will.
[GS.02_086,11] Gebraucht er das andere Auge des inneren göttlichen Lichtes nicht, sondern begnügt und beschäftigt er sich bloß mit den Formen, so ist er ein Mensch, der sich offenbar selbst betrügt; denn die Formen sind für ihn so lange leere Erscheinungen, solange er sie nicht in ihrer Tiefe erfassen kann.
[GS.02_086,12] Wenn aber ein Mensch auch zugleich vom Herrn aus das innere Licht hat und erschaut, so er nur will, das Innere der Formen, verstellt sich aber selbst dabei und zeugt von den Außenformen anders, als er ihre hohe Bedeutung mit dem inneren geistigen Auge, welches das Ohr ist, erschaut, so gibt er den äußerlich erschauten Formen doch offenbar ein falsches Zeugnis.
[GS.02_086,13] Hier haben wir das nun schon aus der Wurzel erörtert, was im Grunde des Grundes „ein falsches Zeugnis geben“ heißt. In der Hauptsache aber kommt es wieder darauf an, daß der Mensch von der göttlichen Wahrheit in sich nicht anders reden soll, als er sie in sich gewahrt.
[GS.02_086,14] Im Allerinwendigsten aber verhält sich die Sache also: Die Liebe ist gleich dem inwendigst erschauten Wahrheitslichte unmittelbar aus Gott, und die Weisheit ist gleich dem ausstrahlenden Lichte aus Gott durch alle unendlichen ewigen Räume.
[GS.02_086,15] So aber jemand die Liebe hat, wendet sie aber nicht an, sondern ergreift nur mit seinem äußeren Lichte und seinem von diesem Lichte geteilten Willen die nach außen fortwährend mehr und mehr ins Unendliche gehenden Strahlen, so wird er immer schwächer, aber zufolge seines Ausfluges nach allen Seiten geistig genommen stets aufgeblähter und auch stets weniger empfänglich für das inwendige Liebewahrheitslicht aus Gott.
[GS.02_086,16] Wenn das der Fall ist, so wird ein solcher Mensch Gott stets unähnlicher und gibt dadurch mit jedem Atome seines Seins der göttlichen Wesenheit, deren vollkommenes Ebenmaß er sein sollte, ein vom Grunde aus falsches Zeugnis.
[GS.02_086,17] Wer demnach das göttliche Wort vernimmt, folgt aber demselben nicht, sondern folgt nur dem, was seine äußeren Augen besticht und dadurch seinen sinnlichen Willen reizt, der gibt mit einem jeden Tritte, den er macht, mit einem jeden Worte, das er spricht, mit einer jeden Bewegung der Hand, die er macht, ein falsches Zeugnis. Wenn er auch die reinste göttliche Wahrheit, das reine Wort des Evangeliums reden möchte, so lügt er aber doch und gibt dem Herrn ein falsches Zeugnis, weil er nicht nach dem Worte und nach der Wahrheit handelt.
[GS.02_086,18] So jemand betet und verrichtet seine Andacht zu Gott, lebt aber nicht nach dem Worte des Herrn, der ist ein Lügner, soweit er warm und lebendig ist. Sein Gebet ist da nur eine äußere Formel, deren innerer Wert gänzlich verlorengeht, weil das innere göttliche Licht nicht dazu verwendet wird, das Inwendige dieser äußeren Form zu beleuchten und zu beleben.
[GS.02_086,19] Es ist geradeso, als wenn jemand mit der größten Entzückung einen Stern betrachtet. Was nützt ihm all diese Entzückung und Betrachtung, wenn er den Stern nicht in seiner völligen Nähe als eine wundervolle Welt betrachten kann? Er gleicht da einem Hungernden vor einem versperrten Brotschranke. Er mag diesen Brotschrank noch so sehnsüchtig und noch so verehrend betrachten, wird er aber davon gesättigt? Sicher nicht. Denn solange er nicht in das Innere des Brotes beißen und dasselbe aufnehmen kann in seinen Magen, wird ihm alle Betrachtung, Verehrung und Entzückung vor dem Brotschranke nichts nützen.
[GS.02_086,20] Wie aber kann man den Brotschrank der wahren Gottähnlichkeit wohl in sich eröffnen und sich sättigen? Sicher nicht anders, als indem man das inwendigste Mittel in sich gebraucht und sich sogestalt nach der von Gott vernommenen Wahrheit richtet. Daß man ferner von den nach außenhin geschauten Formen nur das zum tätigen Gebrauche aufnimmt, was und wie weit man dasselbe mit dem innersten Lichte als völlig in der Entsprechung übereinstimmend und sonach göttlich wahr gefunden hat. Sobald das nicht der Fall ist, ist alles, was der Mensch tut und unternimmt, ein falsches Zeugnis über die innere göttliche Wahrheit und somit eine bare Lüge gegenüber einem jeden Nebenmenschen.
[GS.02_086,21] Darum spricht der Herr: „Wer da betet, der bete im Geiste und in der Wahrheit“, und: „So ihr betet, da gehet in euer Kämmerlein“, und weiter: „Denket nicht, was ihr reden werdet, sondern zur Stunde wird es euch in den Mund gelegt werden.“
[GS.02_086,22] Hier sind offenbar die äußeren Gedanken angezeigt, welche schon darum an und für sich keine Wahrheit sind, weil sie Gedanken sind; denn die Wahrheit ist inwendigst, ist das Motiv zur Handlung nach dem Worte Gottes und gibt sich allezeit eher kund als eine darauf folgende leere Gedankenflut.
[GS.02_086,23] Demnach soll sich auch ein jeder nach dieser inneren Wahrheit richten und danach tätig sein. Er wird so stets mehr und mehr seine Gedanken mit diesem inneren Lichte werktätig verbinden und dadurch in sich zur Einheit und somit zur göttlichen Ähnlichkeit gelangen, in welcher es ihm dann für ewig unmöglich wird, einen Lügner zu machen.
[GS.02_086,24] Daß aber dann auch ein jeder, der anders spricht, als er denkt, und anders handelt, als er spricht und denkt, ein Lügner ist, versteht sich von selbst; denn ein solcher ist schon ganz in der alleräußersten, gröbsten Materie begraben und hat seinem Geiste die ganze göttliche Form genommen. – Also wird auch diesen Schülern hier dieses Gebot seinem inwendigsten Gehalte nach erläutert. Da wir solches wissen, so können wir uns sogleich weiter in den neunten Saal begeben. –
87. Kapitel – Neunter Saal – 9. Gebot.
[GS.02_087,01] Wir sind bereits im neunten Saale und erschauen allda wieder unsere Rundtafel, auf welcher geschrieben steht:
[GS.02_087,02] „Du sollst nicht nach dem verlangen, was deines Nächsten ist, weder nach seinem Hause, nach seinem Ochsen, nach seinem Esel und nach seinem Grunde, noch nach allem dem, was auf demselben wächst.“ –
[GS.02_087,03] Wenn wir dieses Gebot betrachten, so müssen wir offenbar uns in die nämlichen Urteile verlieren und die nämliche Kritik durchmachen, die wir bereits im siebenten Gebote kennengelernt haben. Denn auch hier ist abermals vom Eigentum die Rede, und daß man nach dem kein Verlangen haben soll, was da einer oder der andere sich nach außenhin rechtlich zueignete.
[GS.02_087,04] Wer sollte da nicht sogleich wieder auf die Frage kommen und sagen: Wie konnte wohl dieses Gebot dem israelitischen Volk in der Wüste gegeben werden, wo daselbst doch niemand weder ein Haus, noch einen Ochsen, noch einen Esel, noch einen Grund und eine Saat auf demselben hatte? Man müßte sich dieses Eigentum bei dem israelitischen Volke gegenseitig nur eingebildet haben. Und da könnte es allenfalls heißen: Wenn sich dein Nächster irgendetwas Ähnliches zu besitzen einbildet, so sollst du dir nicht auch einbilden, etwas Ähnliches oder gar die Einbildung deines Nächsten selbst dir also eigentümlich einzubilden, als wäre sie im Ernste dein Eigentum oder als möchtest du sie wenigstens eigentümlich besitzen.
[GS.02_087,05] Ich meine, es werden hier nicht viele kritische Urteile vonnöten sein, um das überaus Luftige eines solchen Gebotes auf den ersten Blick einzusehen. Ein Gebot muß ja allezeit nur zu irgendeiner Sicherung einer festen Realität da sein, an deren Verlust einem jeden etwas gelegen sein muß. Was aber ein Luftschlösserarchitekt gegen einen andern Luftschlösserarchitekten verliert, so dieser sich im Ernste die gesetzwidrige Dreistigkeit nehmen sollte, seinem Gefährten ähnliche Luftschlösser zu bauen, ich meine, solch einen enormen Schaden abzuwägen, dazu würde wohl eine überaus feine, ja geradezu ätherisch geisterhafte Haarwaage vonnöten sein. Sollte auch nach der Meinung einer gewissen Sekte auf der Erde der Erzengel Michael mit dergleichen Instrumenten im Ernste zum Überflusse versehen sein, so bin ich aber doch fest überzeugt: ein so überaus zartfühlendes Gewicht-Maßinstrument fehlt ihm sicher.
[GS.02_087,06] Ich zeigte aber hier solches nur an, um dadurch das völlig Nichtige eines rein eingebildeten Besitztumes so klar als möglich vor die Augen zu stellen. Wenn sich die Sache aber also verhält, wozu dann ein solches Gebot, das durchaus keine Sicherung des Eigentums eines andern im Schilde führen kann, wo niemand ein ähnliches Eigentum besitzt, nach dem man zufolge dieses Gebotes kein Verlangen tragen soll?
[GS.02_087,07] Man wird aber hier einwenden und sagen: Der Herr hat das vorausgesehen, daß sich die Menschen mit der Zeit untereinander ein Eigentumsrecht schaffen werden, und hat in dieser Hinsicht bei dieser Gelegenheit schon im voraus ein Gebot erlassen, durch welches ein künftiges Eigentum der Menschen gesichert sein sollte und niemand ein gegenseitiges Recht habe, sich das Eigentum seines Nächsten auf was immer für eine Art zueignen zu dürfen. Das wäre ein schöner Schluß! Ich meine, man könnte der göttlichen Liebe und Weisheit nicht leichtlich eine größere Entehrung zufügen als durch ein solches Urteil.
[GS.02_087,08] Der Herr, der es doch sicher vor allem einem jeden Menschen abraten wird, sich auf der Erde etwas anzueignen, der Herr, vor dem jeder irdische Reichtum ein Greuel ist, sollte ein Gebot erlassen haben zum Behufe und zur Begünstigung der Habsucht, der Eigenliebe, des Wuchers und des Geizes, ein Gebot zur sicheren Erweckung des gegenseitigen Neides?
[GS.02_087,09] Ich glaube, es wird hier nicht vonnöten sein, noch mehr Worte zu verlieren; denn das Widersinnige solch einer Exegese liegt zu offen vor jedermanns Augen, als daß es nötig wäre, ihn durch ein langes und breites daraufzuführen.
[GS.02_087,10] Um aber die Sache doch auch für den Blindesten handgreiflich zu machen, frage ich einen jeden grundgelehrten Juristen: Worauf gründet sich denn ursprünglich das Eigentumsrecht? Wer hat denn dem ersten Menschen das Eigentumsrecht einer Sache eingeräumt? Nehmen wir ein Dutzend Auswanderer in einem noch unbewohnten Erdstriche an. Sie finden ihn und siedeln sich dort an. Laut welcher Eigentums- und Besitzrechts-Urkunde können sie sich denn eines solchen Landes als Eigentümer bemächtigen und sich dort als rechtmäßige Besitzer seßhaft machen?
[GS.02_087,11] Ich weiß schon, was man hier sagen wird: Wer zuerst kommt, hat das Grundrecht. Gut, sage ich, wer aber hat demnach von den zwölf Auswanderern mehr oder weniger Recht auf das gefundene Land? Man wird sagen: Streng genommen hat der erste Veranlasser zu der Auswanderung, oder der, der allenfalls vom Verdeck eines Schiffes dieses Land zuerst erschaut hatte, mehr Recht. Gut, was hat aber der Veranlasser vor den andern voraus? Wären sie nicht mit ihm gezogen, so wäre er sicher auch daheim geblieben. Was hat denn der erste Erschauer vor den übrigen voraus? Daß er vielleicht schärfere Augen als die anderen hat? Sollen dann dieses nur ihm zugute kommenden Vorzuges wegen die anderen benachteiligt sein? Das wäre doch etwas zu unbillig geurteilt. Also müssen doch sicher alle zwölf ein gleiches Eigentumsrecht auf dieses vorgefundene Land haben.
[GS.02_087,12] Was werden sie aber tun müssen, um ihr gleiches Besitztumsrecht auf dieses Land zu realisieren? Sie werden es teilen müssen in zwölf gleiche Teile. Wer aber sieht bei dieser Teilung nicht auf den ersten Wurf die kommenden Zwistigkeiten? Denn sicher wird der A zum B sagen: Warum muß denn gerade ich diesen Teil des Landes in Besitz nehmen, der nach meiner Beurteilung offenbar schlechter ist als der deinige? Und der B wird aus demselben Grunde erwidern: Ich sehe nicht ein, warum ich meinen Landteil gegen den deinigen vertauschen soll. Und so können wir unsere zwölf Kolonisten zehn Jahre lang das Land teilen lassen, und wir werden es nicht erleben, daß die Teilung allen vollkommen recht sein wird.
[GS.02_087,13] Werden aber diese Zwölf untereinander übereinkommen und das Land zu einem Gemeingute machen; kann da unter den Zwölfen ein das Eigentum sicherndes Gebot erlassen werden? Kann einer dem andern etwas wegnehmen, wenn das ganze Land allen gleich gehört und somit auch dessen Produkte, von denen ein jeder nach seinem Bedarf nehmen kann, ohne dem andern dafür eine Rechnung zu legen?
[GS.02_087,14] Man ersieht hier im ersten Falle, daß ursprünglich eine Eigentumsrechtsschaffung nicht leichtlich denkbar ist. Um zu sehen, daß solches wirklich der Fall ist, dürfet ihr nur auf die ersten Ansiedler gewisser Gegenden eures eigenen Landes hinblicken, z.B. auf die sogenannten Herren-Kloster-Geistlichen, die gewisserart die ersten Kolonisten einer Gegend waren. Wären sie mit der Teilung zurechtgekommen und hätten sie selbe als gut befunden, so würden sie sicher kein Gemeingut gebildet haben.
[GS.02_087,15] Kurz und gut, wir können tun, was wir wollen, so können wir nirgends ein ursprüngliches Eigentumsrecht finden. Und wenn da jemand mit seinem Grundrecht kommt, da frage ich, ob man den Nachkömmling bei seinem Auftreten in der Welt entweder gleich töten oder ihn langsam verhungern lassen solle? Oder soll man ihn aus diesem Lande treiben; oder ihn auf die Barmherzigkeit der Grundbesitzer anweisen, ihn daneben aber sogleich gegen diese mit dem neuesten Gebote belegen?
[GS.02_087,16] Ich meine, da ließe sich doch wohl fragen, aus welchem Grunde ein solcher Nachkömmling gegen die Grundrechtbesitzer sogleich bei seinem ersten Auftreten, für das er nicht kann, zu einem Sündenbocke gemacht werden sollte, während die ersten sich gegenseitig in dieser Art nie versündigen können? Welcher Jurist kann mir wohl ein solches Benehmen als rechtskräftig beweisen? Ich meine, man müßte hier nur einen Satan zum Advokaten machen, der solches zu erweisen imstande wäre; denn einem jeden nur einigermaßen recht und billig denkenden Menschen dürfte ein solcher Rechtsbeweis unmöglich sein.
[GS.02_087,17] Ich sehe aber schon, man wird sagen: Bei den ersten Kolonisierungen eines Landes kann zwischen den Kolonisten freilich kein wechselseitiges Eigentumsrecht statthaben, besonders wenn sie sich untereinander einvernehmlich für das Gemeingut ausgeglichen haben. Aber zwischen Kolonisationen, welche die ersten Staatenbildungen sind, tritt doch sicher das Eigentumsrecht ein, sobald sie sich gegenseitig als bestehend festgestellt haben.
[GS.02_087,18] Gut, sage ich, ist das der Fall, so muß sich eine jede Kolonie mit einem ursprünglichen Eigentumsrechte ausweisen. Wie aber kann sie das, nachdem sie nur ein Nutzungsrecht vom Herrn aus hat, aber kein Besitzrecht?
[GS.02_087,19] Das Nutzungsrecht hat seine Urkunde in dem Magen und auf der Haut. Wo aber spricht sich das Besitzrecht aus, besonders wenn man erwägt, daß ein jeder Mensch, sei er einheimisch oder ein Fremdling, in seinem Magen und auf seiner Haut dieselbe göttliche vollgültige Nutzungsrechtsurkunde mit sich bringt, wie sie der Einheimische hat? Wenn man sagt: Das Besitzrecht hat seinen Grund ursprünglich im Nutzungsrechte, so hebt dieser Satz sicher jedes spezielle Besitztum auf, weil jeder das gleiche Nutzungsrecht hat. Kehrt man aber die Sache um und sagt: Das Besitzrecht verschafft einem erst das Nutzungsrecht, da kann man dagegen nichts anderes sagen als das alte Rechtswort: „Potiori jus“, was mit anderen Worten so viel sagen will als: Schlage so viel Nutzungsrechtsbesitzende tot, daß du dir allein einen Strich Landes durch die Gewalt deiner Faust völlig zueignen kannst.
[GS.02_087,20] Sollte etwa noch einigen fremden Nutzungsrechtsbesitzern der Appetit kommen, dir dein erkämpftes Besitztum laut ihres göttlichen Nutzungsrechtes streitig zu machen, so schlage sie alle tot oder setze sie wenigstens im besseren Falle als steuerpflichtige Untertanen ein, damit sie in deinem erkämpften Besitztume im Schweiße ihres Angesichtes für dich arbeiten und du ihnen dann ihr Nutzungsrecht nach deinem Wohlgefallen bemessen kannst.
[GS.02_087,21] Wer kann, von göttlicher Seite betrachtet, den Krieg rechtfertigen? Was ist er? Nichts als ein grausamster Gewaltstreich, das Nutzungsrecht den Menschen zu nehmen und dafür ein Besitzrecht gewaltsam einzuführen, das heißt, das göttliche Recht zu vertilgen und an dessen Stelle ein höllisches einzuführen.
[GS.02_087,22] Wer könnte demnach wohl von Gott aus ein Gesetz erwarten, welches das ursprüngliche, in jedermanns Wesen sich deutlich beurkundende göttliche Nutzungsrechtsgesetz aufheben und an dessen Stelle mit göttlicher Macht und Autorität ein höllisches Besitztumsgesetz rechtskräftigen sollte? – Ich meine, das Widersinnige dieser Behauptung ist für einen Einzelblinden sogar sonnenhell und klar ersichtlich und mit behandschuhten Händen zu greifen.
[GS.02_087,23] Daraus geht aber hervor, daß dieses Gesetz sicher eine andere Bedeutung haben muß, als es die Menschen darstellen, wo es nur das Besitztum sichert. Als göttliches Gesetz muß es ja auch in allen Himmeln aus der Tiefe der göttlichen Ordnung gültig sein. Wo aber besitzt jemand im Himmel Häuser, Ochsen, Esel und Äcker? Im Himmel sind lauter Nutzungsrechtige, und der Herr allein besitzungsrechtig. – Wir wollen daher sogleich zu der rechten Bedeutung dieses Gesetzes übergehen. –
88. Kapitel – Betrachtungen zum 9. Gebot.
[GS.02_088,01] Bevor wir jedoch die volle Löse aussprechen wollen, wird es notwendig sein, noch einige Bemerkungen voranzuschicken, durch welche so manchen juridischen Vielfraßen und übergelehrten Völkerrechts-Verkündigern der Mund gestopft werden soll. Denn diese könnten etwa das Besitzrecht vom Sammelrechte ableiten, wodurch sie uns wenigstens scheinbar schlagen könnten. Daher wollen wir uns auch in diesem Punkte verschanzen.
[GS.02_088,02] Es ist allerdings nicht in Abrede zu stellen, daß jedermann vor dem Nutzungsrechte das Sammelrecht haben muß. Denn bevor sich jemand nicht mit seinen Händen und mit seiner Kraft etwas holt und zubereitet, kann er sein Nutzungsrecht nicht geltend machen. Das ist einmal richtig, bevor jemand einen Apfel in den Mund stecken will, muß er ihn vom Baume oder vom Boden lesen.
[GS.02_088,03] Für das „Sammelrecht“ hat er ebenfalls mehrere göttliche Urkunden aufzuweisen. Urkunde Nr. 1 sind die Augen. Mit diesen muß er schauen, wo etwas ist. Urkunde Nr. 2 sind die Füße. Mit diesen muß er sich dahin bewegen, wo etwas ist. Urkunde Nr. 3 sind die Hände. Mit denen muß er dahin greifen und nehmen, wo etwas ist. Also laut dieser Urkunde hat der Mensch vom Herrn aus das Sammelrecht als urrechtlich zu seinem unbestreitbaren Eigentume.
[GS.02_088,04] Könnte man aber hier nicht sagen: Ist das Gesammelte dann nicht vollkommen ein Eigentum dessen, der es laut seines göttlichen Sammelrechtes zu seiner Nutzung gesammelt hat? Hat nun ein anderer das Recht, seine Hände oder sein Verlangen darnach zu richten, was sich sein Nächster gesammelt hat? Denn offenbar bedingt ein Recht das andere. Habe ich vom Schöpfer aus das natürliche Nutzungsrecht, das im Magen und auf der Haut geschrieben ist, so muß ich auch das Sammelrecht haben, weil ich ohne das Sammelrecht das Nutzungsrecht nicht befriedigen kann.
[GS.02_088,05] Was nützt mir aber das Sammelrecht, wenn es mir den Bissen nicht sichert, den ich zum Munde führe? Denn so da jedermann das Recht hat, mir den Apfel, den ich mit meiner Hand laut meines Sammelrechtes aufgeklaubt habe, aus der Hand zu nehmen, weil er etwa zu bequem ist, sich selbst einen aufzuklauben, so gehe ich offenbar mit meinem Nutzungsrechte ein und muß wohl oder übel verhungern.
[GS.02_088,06] Es ist somit notwendig, daß das Sammelrecht wenigstens auf das ein Eigentumsrecht fordern kann, was es sich gesammelt hat, weil sonst an kein Nutzungsrecht ehrlichermaßen zu denken ist.
[GS.02_088,07] Mit dem Sammelrecht verbindet sich das Bereitungs- und Verfertigungsrecht. Ist es mir aber nicht gestattet, auf das von mir Bereitete und Verfertigte ein vollkommenes Eigentumsrecht geltend zu machen, so ist alle Tätigkeitskraft umsonst, und ich bin genötigt, erstens alle eßbaren Dinge heimlich roh zu verzehren und zweitens stets nackt umherzugehen. Denn so ich mir ein Kleid verfertige und ein anderer, der zu diesem Geschäft zu faul ist, nimmt es mir laut seines Nutzungsrechtes weg, Frage, was sollte denn da mein eigenes Nutzungsrecht dazu für eine Miene machen?
[GS.02_088,08] Wenn ich mir in einer kälteren Gegend ein Haus erbaue und habe laut des Sammel- und Verfertigungsrechtes dabei kein Eigentumsrecht, da kann mich die nächstbeste Gesellschaft aus dem Hause treiben und selbst davon an meiner Statt ihr Nutzrecht ausüben.
[GS.02_088,09] Daraus aber ist ja ersichtlich, daß mit dem natürlichen Erwerbsrechte ein gewisses prärogatives (urrechtliches) Eigentumsrecht für den gewerbstätigen Menschen eingeräumt sein muß, ohne ein solches Eigentumsrecht, rein genommen und betrachtet, keine menschliche Gesellschaft als bestehend möglich auch nur gedacht werden kann.
[GS.02_088,10] Ist aber nun das Sammel- und das Bereitungsrecht als vollkommen gültig eingeräumt, so muß auch ein Fleck Grundes, auf dem ich eine Saat angebaut, wie ein Baum, den ich gepflanzt und veredelt habe, mir prärogativ als Eigentum eingeantwortet sein.
[GS.02_088,11] Frage aber weiter: Wer antwortet mir solches ein bei Beginn einer Kolonie? Die Sache läßt sich leicht erklären. Die Kolonisten wählen aus ihrer Mitte einen von jeder Habsucht ledigen und zugleich weisesten Chef. Diesem räumen sie die Austeilungs- und somit auch die Einantwortungsrechte ein, unter der gegenseitigen eidlichen Schutzversicherung zur Aufrechthaltung und Befolgung seines Spruches. Dieser Versicherung zufolge wird ein oder der andere sich Widersetzende von den Ordnungsliebenden in die Schranken des Spruches von seiten des Oberhauptes zurückgewiesen. Auf die Mittel, wie oder wodurch, kommt es nicht an, denn diese können und müssen erst nach dem Grade der Widerspenstigkeit bestimmt und dann gehandhabt werden.
[GS.02_088,12] Wer sieht hier nicht auf den ersten Augenblick die Unterwürfigkeit und die erste monarchische Gründung eines Staates? Wer aber sieht auch nicht zugleich ein, daß, sobald das Sammel-, das Erwerbs- und Bereitungsrecht mit einem prärogativen Eigentumsrecht systematisch verbunden ist, niemandem auf seinem ihm zuerkannten Eigentum das Sammel-, Erwerbs- und Bereitungsrecht beschränkt werden kann. Im Gegenteile muß dem leitenden Chef ja nur vorzugsweise daran gelegen sein, seine Leitlinge soviel als möglich zum Sammel- und Bereitungsfleiße auf ihren eigentümlich eingeräumten Besitzungen anzuspornen. Und je mehr sich jemand auf seinem Besitztume durch Fleiß erwirbt, in eine desto angenehmere Lage versetzt er sich, seinem Nutzungsrechte die unbeschränkte Gewähr zu leisten.
[GS.02_088,13] Ist aber einmal dieses Eigentumsrecht zur Sicherung des Sammel-, Erwerbs- und Nutzrechtes notwendig festgestellt, so zieht dieses Recht zwangsläufig das Hutrecht nach sich; denn ohne dieses Recht ist keiner ein eigentumsberechtigter Besitzer des ihm vom Chef eingeantworteten Eigentums.
[GS.02_088,14] Dieses Hutrecht aber setzt zuerst eine genaue Vermessung des Besitztumes voraus. Sind die Grenzen einmal fest gezogen, dann erst kann ein jeder Besitzer von dem Hutrechte oder dem Rechte der Verteidigung seines Eigentums Gebrauch machen.
[GS.02_088,15] Dieses Hutrecht ist aber ohne bevollmächtigte Hüter nicht durchführbar. Es müssen also Wehrmänner aufgestellt werden, welche das unbeschränkte Recht haben, die Grenzen eines jeden zu sichern. Sie müssen daher das Exekutionsrecht haben, also ein Straf- oder Züchtigungsrecht. Wer aber sollte diese Wehrmänner leiten? Sicher niemand anderer als der die ganze Kolonie leitende Chef.
[GS.02_088,16] Hier haben wir also notwendig die Entstehung des Militärstandes, zugleich aber auch die Feststellung einer unbeschränkten Macht des Chefs, der nun schon durch die Wehrmänner gebieten und seine Gebote sanktionieren kann.
[GS.02_088,17] Haben wir es so weit gebracht, wer kann da noch auftreten und sagen: Die gegenwärtigen Staatsverfassungen sind nicht auf diesem göttlichen Rechte basiert? Ja, es ist einem Kritiker alles recht, nur kann er das Obereigentumsrecht des Monarchen noch nicht begreifen. Ich aber sage: Hat man das Frühere so erwiesen, was bei weitem schwieriger war, so läßt sich das Obereigentumsrecht eines Monarchen daneben mit einer Schlafmütze beweisen. – Wir wollen sehen.
[GS.02_088,18] Wenn nun von seiten der Weisheit des leitenden Chefs, alles eigentumsberechtigt ist und dem Chef zur Bewachung des Besitztums der Kolonisten allzeit einsatzfähige Wehrmänner an die Seite gestellt sind, hat da der Chef nicht ein zweifaches Recht, die durch seine Weisheit beglückten Kolonisten zu fragen und zu sagen: Ich bin in eurer Mitte, habe durch meine Weisheit für euch gesorgt, und ihr habt mich eben darum zum leitenden Chef gemacht, weil ihr mich als den am wenigsten habsüchtigen Mann unter euch wohl erkannt habt.
[GS.02_088,19] Ich habe sonach das Land unter euch gerecht verteilt und schütze nun mit meiner Weisheit und mit den weise geleiteten Wehrmännern euer Eigentum. Aber bei der Verteilung habe ich zufolge meiner Habsuchtslosigkeit mich selbst ganz vergessen. Ihr werdet aber sicher einsehen, so euch an meiner ferneren weisen Leitung notwendig etwas gelegen sein muß, daß ich von der Luft nicht leben kann. Was soll ich denn hernach zu meinem Unterhalt haben, um leben zu können? Zeit zum Sammeln habe ich keine, denn ich muß meine Zeit zum steten Nachdenken verwenden, wie sich euer Besitztum fortwährend sichern lassen möchte.
[GS.02_088,20] Ihr werdet also einsehen, daß ein treuer Arbeiter auch seines Lohnes wert ist. Daher verordne ich, daß ihr miteinander darüber übereinkommet, mir aus eurem eigentümlich gesicherten Vorrate einen Unterhalt zu verschaffen. Ich kann das von euch mit um so größerem Rechte beanspruchen, als die Erhaltung eures gegenseitigen Eigentumsrechts lediglich von meiner Erhaltung abhängt. Neben meiner Erhaltung aber ist noch die andere euer Eigentum sichernde Erhaltung der Wehrmannschaft vonnöten, denn auch sie hat nicht Zeit zum Arbeiten, indem sie eure Grenzen in guter Ordnung bewachen muß.
[GS.02_088,21] Euer eigenes Heil und Wohl müssen es euch sonach vor die Augen stellen, daß ich und die Wehrmannschaft euch gegenüber erwerbslos dastehen, und daß darum ein jeder aus euch zur festen Gründung seines eigenen Wohles sich zu einer bestimmten Steuerung an mich wird bequemen müssen.
[GS.02_088,22] Diese ausgesprochene Forderung erscheint allen Kolonisten vollkommen rechtlich und billig, und sie bequemen sich zur Steuerung. Auf diese Weise hat der leitende Chef schon sein erstes natürliches, wenn schon nicht Ober-, so doch Miteigentumsrecht bei allen Kolonisten geltend gemacht.
[GS.02_088,23] Zwischen dem Miteigentumsrecht und dem Obereigentumsrecht aber ist eine so kleine Kluft, daß über sie sogar das kleinste Kind dem andern in den Sack greifen kann. Der Chef braucht hier bloß zu sagen: Meine lieben Kolonisten! Es kann euch nicht unbekannt sein, daß sich uns gegenüber noch eine andere Kolonie uns gleichermaßen seßhaft gemacht hat. Um uns aber vor ihr zu schützen, müsset ihr mir das uneingeschränkte Recht in allem einantworten, so daß ich im Notfalle als euer Chef gewisserart als Obereigentümer eures Eigentumes dastehe und in einem solchen Falle die Außengrenzen nach meiner weisen Einsicht befestigen kann. Ich muß das Recht haben, in euer aller Namen zu eurem Wohle mit einer fremden Nation, falls sie mächtiger sein sollte als wir, zweckmäßig zu unterhandeln.
[GS.02_088,24] Ferner müsset ihr als die meiner Leitung bedürftigen Kolonisten aus dem leichtverständlichen Grunde auch einsehen, daß ich als euer Haupt in eurer Mitte einen festen Ort erbaut haben muß, in dem ich mich vor allem zu eurer Erhaltung notwendig schützen und erhalten kann. Aber es ist zu meiner für euer Wohl berechneten Sicherheit nicht genug, daß ihr mir ein Wohnhaus errichtet, sondern um mein Wohnhaus her müssen in gerechter Anzahl noch andere Wohnhäuser zur Aufnahme der lediglich von meiner Leitung abhängigen Wehr- und Hutmannschaft errichtet werden. Das heißt mit andern Worten: Ihr müßt mir in eurer Mitte eine feste Wohnstätte (Residenz) erbauen, in welcher ich völlig gesichert bin, sowohl vor fremden als auch vor euren möglicherweise eigenen Angriffen.
[GS.02_088,25] Wir sehen hier mit klarem Augenlichte, wie der Monarch sich notwendigerweise zum Obereigentümer eines Landes stempelt. Aber das sei nicht hinreichend. Wir wollen noch andere Gründe vernehmen, und zwar aus dem Munde des Gründers selbst, denn er spricht ferner:
[GS.02_088,26] Meine lieben Kolonisten, den unumstößlichen Grund für die Errichtung eines festen Wohnplatzes für mich in eurer Mitte habe ich zu eurer Einsicht dargetan. Also hättet ihr den ersten Grund. Höret mich aber weiter an: Das Land ist weitgedehnt; es ist unmöglich, daß ich überall selbst sein kann. Daher will ich mit euch eine Prüfung halten und werde aus euch die Weiseren als meine Amtsführer und Stellvertreter im Lande verteilen. Diesen Stellvertretern ist dann jedermann zu seinem eigenen Wohle denselben Gehorsam schuldig wie mir selbst.
[GS.02_088,27] Sollte jedoch einem oder dem andern Untertanen meiner weisen Leitung von diesen meinen erwählten Amtleuten ein vermeintliches Unrecht zugefügt worden sein, so hat in diesem Falle ein jeder das Recht, seine Beschwerde bei mir anzubringen, wo er dann versichert sein kann, daß ihm nach Umstand der Sache das vollkommene Recht zuteil wird. Dagegen müsset ihr mir aber eben zu eurem eigenen Wohle, damit allen Streitigkeiten vorgebeugt werde, die treueste und gewissenhafteste Versicherung geben, euch ohne die geringste fernere Widerrede meinem Endurteil willig zu fügen. Im entgegengesetzten Falle muß mir zum Wohle aller ebenfalls das unbestreitbare Recht von allen zugesichert werden, einen gegen mein Endurteil Widerspenstigen mit züchtigender Gewalt zur Befolgung meines Willens zu nötigen. Wenn dieses alles in der Ordnung errichtet und gehandhabt wird, dann erst werdet ihr ein wahrhaft glückliches Volk sein!
[GS.02_088,28] Wir sehen hier einen zweiten von allem Früheren abgeleiteten Schritt: Nr. 1 zur Alleinherrschaft und Nr. 2 zum obereigentümlichen Besitze des ganzen Landes. Und also hätten wir den ersten vollkommen in der Natur der Sache begründeten Grund auf diese Weise unwiderlegbar zur Schau gestellt. Dieser Grund kann der natürliche, von der menschlichen Gesellschaft abgeleitete notwendige genannt werden. Aber es wird da jemand sagen: Solches alles ist an und für sich ebenso naturgerecht richtig, als wie sicher und gewiß der Mensch der Augen zum Sehen und der Ohren zum Hören bedarf. Wir sehen diese an sich noch ganz rohen Kolonisten an und erblicken sie im Ernste allertätigst und voll Gehorsam gegen ihren Leiter.
[GS.02_088,29] Aber aus eben diesem Gehorsam fangen die Kolonisten an, sich mit der Zeit vor ihrem Leiter mehr und mehr zu fürchten. Und in dieser Furcht fragen bald der eine, bald der andere sich gegenseitig: Woran liegt es denn, daß unter uns allein dieser Mensch so außerordentlich gescheit ist und wir alle gegen ihn als wahrhafte Tölpel zu betrachten sind? Diese Frage, so gering und unscheinbar sie im Anfange erscheint, ist von außerordentlicher Wichtigkeit und drückt in ihrer Beantwortung erst dem Umstand der Alleinherrschaft und des Obereigentums eines Monarchen das unverletzbare Amtssigill auf. Das klingt sonderbar, dürfte so mancher im voraus sagen, allein nur eine kleine Geduld, und wir werden die Sache sogleich in einem anderen Lichte erschauen! –
89. Kapitel – Der innere Sinn des 9. Gebotes.
[GS.02_089,01] Sehet, bis jetzt haben wir alles das aus dem Naturgrunde sich entwickeln gesehen; aber es fehlte bisher noch jedem Grunde eine höhere göttliche Sanktion, durch die allein der Mensch auf der Erde, besonders in seinem einfachen Naturzustande, zur unverbrüchlichen Beobachtung alles dessen geleitet wird, was ihm von seinem Oberhaupte als Pflicht auferlegt wurde.
[GS.02_089,02] Je mehr im Anfange ein solcher Primitivmonarch sein Volk weise leitet, und je mehr das Volk durch die Erfolge davon überzeugt wird, daß der Leiter wirklich weise ist, desto mehr wird es sich auch gegenseitig zu fragen anfangen: Woher hat dieser seine Weisheit und woher wir unsere Dummheit? Das Volk weiß noch außerordentlich wenig oder nichts von Gott, der Leiter aber hat davon schon mehr oder weniger gute Begriffe.
[GS.02_089,03] Was braucht er nun, wenn das Volk in naturmäßiger Hinsicht so viel als möglich geordnet dasteht, zu tun, besonders wenn er solche Fragen von vielen Seiten her in Erfahrung bringt? Er beruft die Fassungsfähigeren zusammen, verkündigt ihnen ein höchstes Wesen, welches alles geschaffen hat und alles leitet. Sagt ihnen dann zur Beantwortung ihrer vielseitigen Frage, daß er zu ihrem Wohle die leitende Weisheit unmittelbar von diesem höchsten Wesen habe. Er zeigt ihnen als einem überaus gläubigen Volke auch mit der größten Leichtigkeit die unleugbare Existenz einer allerhöchsten, alles erschaffenden, erhaltenden und leitenden Gottheit, und daß eben von dieser Gottheit nur derjenige mit tiefer Weisheit begabt wird, den sie zur beseligenden Leitung der Völker bestimmt hat.
[GS.02_089,04] Das will dann so viel sagen als: „Von Gottes Gnaden“, oder wie bei den Römern: „Favente Jove“. Ist dieser Schritt gemacht, so ist der Alleinherrscher und Obereigentümer fix und fertig und sitzt nun vollkommen sicher in seiner Herrsch-Mitte, unterstützt von naturmäßig mächtiger und von geistig noch mächtigerer Notwendigkeit.
[GS.02_089,05] Ein jeder, der nun alles dieses gründlich durchgegangen hat, muß endlich sagen: Fürwahr, allem dem läßt sich nicht ein Atom groß einwenden, denn es hängt ja alles mit den ersten naturrechtlichen Urkunden eines jeden Menschen so enge zusammen, daß man daran nicht den kleinsten Faden entzweischneiden darf, um nicht eine glückliche menschliche Gesellschaft bis in ihre innersten Fundamente zu zerstören. Denn man nehme da hinweg, was man will, so wird sich der Defekt sobald in den ersten Naturprinzipien eines jeden Menschen wahrnehmen lassen.
[GS.02_089,06] Wenn aber demnach die Sache sich also verhält, so folgt ja doch sonnenklar daraus, daß der Herr Himmels und der Erde durch dieses neunte Gebot nichts als die vollkommene Sicherung des bestimmten Eigentums zur Aufrechthaltung der ersten Naturrechtsprinzipien aufgestellt hat. Und so kann da kein anderer Sinn hinter dem Gebote stecken, als den seine Worte bezeichnen.
[GS.02_089,07] Denn so man diesem Gebote irgendeinen anderen Sinn unterlegen will oder kann, so hebt man dadurch den von einem höchsten Wesen sanktionierten Hauptgrund des ersten naturrechtlichen bürgerlichen Verbandes auf. Das Eigentumsrecht, wenn es aufgehoben ist, hebt notwendigerweise die früheren Urdokumente eines jeden Menschen auf, und niemand kann da mehr etwas sammeln und verfertigen. Kann er das nicht, so gehen sein Magen und seine Haut unter, und der Mensch wird mit seiner Existenz schlimmer daran sein als jedes Tier. Mit der Wegnahme des Wortsinnes dieses Gebotes nimmt man ja schon im voraus jedes leitende Oberhaupt hinweg, und die Menschheit steht in ihrem ersten unter das Tierreich gesunkenen wildesten chaotischen Naturzustande da.
[GS.02_089,08] Das ist richtig, meine lieben Freunde und Brüder. Wir haben bis jetzt gesehen, daß durch die Darstellung des innern geistigen Sinnes der äußere naturmäßige Sinn in seiner gerechten Außenwirkung nirgends verletzt worden ist. Wir haben auch gesehen, daß durch die Unkenntnis des inneren Sinnes ein gegebenes Gebot entweder nur sehr schwer oder nicht selten kaum zum dritten Teile, manchmal aber auch garnicht beobachtet wird und beobachtet ward.
[GS.02_089,09] Wird aber ein Gebot dem inneren Sinne nach erkannt, dann ergibt sich die naturmäßige Beobachtung von selbst, gerade also, als so jemand einen guten Samen in das Erdreich legt. Da wird sich dann aus ihm die fruchttragende Pflanze von selbst entwickeln, ohne daß dabei der Mensch eine ohnehin zu nichts führende Manipulation anwendet.
[GS.02_089,10] Und so ist es auch bei diesem Gebote der Fall. Wird es innerlich erkannt und beachtet, so fällt alles Äußere, was der Buchstabensinn berührt, von selbst der guten göttlichen Ordnung zufolge aus. Ist aber das nicht der Fall, klebt man bloß am äußeren Sinne, so hebt man eben dadurch alle urrechtlichen Dokumente des Menschen auf. Die Herrscher werden zu Tyrannen und die Untertanen zu Geizhälsen und Wucherern. Die Haut der Sanften wird über die Militärtrommel gespannt oder die gutmütigen Esel von Untertanen werden zum arglistigen Spielwerkzeug der Mächtigen und Wucherer.
[GS.02_089,11] Die Folgen davon sind Volksaufstände, Revolutionen, Staatenumwälzungen und Zerstörungen, gegenseitige Volkserbitterungen, dann darauffolgende langwierige blutige Kriege, Hungersnot, Pestilenz und Tod.
[GS.02_089,12] Wie lautet aber demnach derjenige Sinn, durch dessen Beobachtung alle Völker ihr unzerstörbares zeitliches und ewiges Glück finden müssen? Er lautet ganz kurz also:
[GS.02_089,13] Achtet euch untereinander aus gegenseitiger wahrhaftiger Bruderliebe, und keiner beneide den andern, so er von Mir, dem Schöpfer, seiner größeren Liebe wegen mehr begnadigt wurde. Der Begnadigtere aber lasse seine daraus hervorgehenden Vorteile allen seinen Brüdern als Bruder so viel als möglich zugute kommen, so werdet ihr dadurch unter euch einen ewigen Lebensverband gründen, den keine Macht ewig je zu zerstören imstande sein wird!
[GS.02_089,14] Wer sieht aus dieser Darstellung des Gebotes nicht auf den ersten Augenblick ein, daß durch seine Beobachtung nicht ein Häkchen des Buchstabensinnes gekrümmt wird. Und wie leicht ist dann dieses Gebot naturmäßig zu beobachten, wenn man es also geistig beobachtet. Denn wer seinen Bruder achtet in seinem Herzen, der wird auch seine Sammlungen und Einrichtungen achten. Durch die geistige Beobachtung dieses Gebotes wird allem Wucher und aller übertriebenen Erwerbssucht vorgebeugt, welche aber nur im alleinigen Buchstabensinne ihren sanktionierten Vertreter oder Advokaten finden. – Eine kleine Nachbetrachtung wird uns dieses alles noch ins klarste Licht setzen. –
90. Kapitel – Vom Segen der weisen Beschränkung.
[GS.02_090,01] Es ist in diesem allem, wie in dem Gebote, geistig und naturmäßig durchaus nicht als sünd- oder fehlerhaft bezeichnet, daß jemand das mit seinen Händen für seine Notdurft Gesammelte und Verfertige sich aneigne, und zwar in einem solchen Grade, daß sein Nachbar durchaus nicht das Recht haben soll, ihm ein solches Eigentumsrecht auf was immer für eine Weise streitig zu machen. Im Gegenteile findet ein jeder darin nur eine vollkommene Sicherstellung seines rechtlich erworbenen Eigentums.
[GS.02_090,02] Wohl aber ist in allem dem Gesagten, wie im Gebote selbst, eine weise Beschränkung in dem Rechte, zu sammeln, einem jeden geboten. Daß das Gebot aber solches im naturmäßigen Sinne sogar aus der göttlichen Ordnung heraus bezweckt haben will, läßt sich aus den ersten jedem Menschen angeborenen Ureigentums-Dokumenten auf das Sonnenklarste beweisen. Wie aber? Das wollen wir sogleich sehen.
[GS.02_090,03] Wieviel bedarf der erste Rechtskompetent im Menschen, der Magen nämlich, nach gerechtem Maße? Solches kann ein jeder mäßige Esser sicher genauest bestimmen. Nehmen wir an, ein mäßiger Esser braucht für den Tag drei Pfund Speise, was sich auf dreihundertfünfundsechzig Tage leicht berechnen läßt. Das ist sonach ein naturgerechtes Bedürfnis eines Menschen. Dieses Quantum darf er für sich alljährlich ersammeln. Hat er Weib und Kinder, so kann er für jede Person dasselbe Quantum zusammenbringen, und er hat da vollkommen seinem Naturrechte gemäß gehandelt. Einem starken Esser, der besonders schwere Arbeiten verrichten muß, sei das Doppelte zu ersammeln frei gestattet.
[GS.02_090,04] Wenn dieses allgemein beobachtet wird, da wird die Erde nimmer von einer Not zu sagen haben. Denn vom Herrn aus ist ihr fruchtbarer Flächenraum so gestellt, daß bei gehöriger Bearbeitung und Verteilung des Bodens zwölftausend Millionen Menschen völlig genügend ihren Lebensunterhalt finden können. Gegenwärtig aber leben kaum etwas über eintausend Millionen Menschen auf der Erde, und darunter gibt es bei siebenhundert Millionen Notleidende.
[GS.02_090,05] Worin liegt der Grund davon? Weil eben die Bedingungen dieses göttlichen Gesetzes, welches in der Natur eines jeden Menschen gegründet ist, nicht in die lebendige Ausübung gebracht werden.
[GS.02_090,06] Gehen wir aber weiter. Wie groß da ein Mensch ist, und wieviel er zur Bedeckung seiner Haut bedarf, läßt sich ebenfalls leicht bemessen. Es sei aber einem jeden Menschen gestattet, sich nach Beschaffenheit der Jahreszeit eine vierfache Hautbedeckung zu verschaffen. Das ist der naturgerechte Maßstab für die Ansammlung der Kleiderstoffe und Bereitung derselben. Ich will aber noch einmal so viel hinzufügen, was die Oberkleidung betrifft, und viermal so viel für die Unterkleidung, und das des reinlichen Wechsels wegen.
[GS.02_090,07] Wenn dieser Maßstab beobachtet wird, da wird es auf der ganzen Erdoberfläche keinen nackten Menschen geben. Aber wenn auf der Erde ungeheure Kleiderstoff-Fabriken errichtet sind, welche die Rohstoffe um erzwungene Schandpreise ankaufen, daraus dann eine zahllose Menge bei weitem mehr luxuriöser als nützlicher Kleidungszeuge fabrizieren, dieselben zumeist um himmelschreiende Preise an die dürftige Menschheit verkaufen, dann aber auch viele wohlhabende Menschen sich im Verlaufe von zehn Jahren, besonders weiblicherseits, mit mehr als hundertfachem Kleiderwechsel versehen – da wird dieses naturgerechte Ebenmaß auf das Allergewaltigste gestört. Gehen wir aber weiter.
[GS.02_090,08] Wie groß braucht denn ein Haus zu sein, um ein Paar Menschen mit Familie und der nötigen Dienerschaft ehrlich und bequem zu beherbergen? Gehet aufs Land und überzeugt euch, und ihr werdet sicher darüber ins klare kommen, daß zu einer gerechten und bequemen Beherbergung keine hundert Zimmer fassende Schlösser und Paläste erforderlich sind.
[GS.02_090,09] Was über ein solches Verhältnis ist, ist wider die Ordnung Gottes und somit wider Sein Gebot.
[GS.02_090,10] Wie groß muß denn ein Grundstück sein? Nehmen wir ein mittelerträgliches Land. Auf diesem kann bei mäßiger Bearbeitung, und zwar auf einem Flächenraume von tausend eurer Quadratklaftern, für einen Menschen selbst in Mitteljahren ein völlig hinreichender, ein Jahr dauernder Lebensbedarf erbeutet werden. Bei einem guten Boden genügt die Hälfte, bei einem schlechten Boden lassen wir das Doppelte vom Mittelboden für eine Person gelten. Soviel Personen sonach ein Familienhaus zählt, so oftmal darf es naturrechtlich diesen bestimmten Grundboden-Flächenraum in den Besitz nehmen. Wir wollen aber in unserem Ausmaße recht freigebig sein und geben für die Person das Doppelte und bestimmen solches auch vollkommen als naturrechtlich von Gott aus gebilligt. Wenn die Gründe so verteilt würden, so könnten ebenfalls über siebentausend Millionen Familien auf der Erdoberfläche ihr vollkommen gesichertes Grundbesitztum finden.
[GS.02_090,11] Wie es aber jetzt auf der Erde mit der Grundverteilung aussieht, so gehört der Grund und Boden den wenigen Grundbesitzern zu eigen. Alles übrige Volk ist entweder nur im Mit-, Unter- oder Pachtbesitze, und der noch bei weitem größte Teil des Volkes auf der Erde hat nicht einen Stein, den er seinem Haupte unterlegen könnte.
[GS.02_090,12] Wer sonach in was immer für einer Hinsicht über dieses jetzt gegebene Maß besitzt, der besitzt es gegen das göttliche und gegen das Naturgesetz widerrechtlich und trägt als solcher Besitzer die fortwährende Versündigung an diesem Gebote an sich. Diese Versündigung ist er nur dadurch zu tilgen imstande, daß er den möglichst größten Grad der Freigebigkeit besitzt und sich gewisserart nur als einen Sachwalter ansieht, seinen zu großen Besitz für eine gerechte Anzahl Nichtshabender zu bearbeiten. – Wie aber solches in diesem Gebote zugrunde liegt, wollen wir im zweiten Punkte dieser Nachbetrachtung ersehen. –
91. Kapitel – Wer sündigt gegen die göttliche Urordnung des 9. Gebotes?
[GS.02_091,01] Fürs zweite drückt das Gebot selbst die weise Beschränkung des Sammel- und Verfertigungsrechtes offenkundig und handgreiflich aus. Wenn wir das im ersten Punkte bezeichnete verhältnismäßige Urgrundeigentümliche daneben zur Beschauung aufstellen, so deutet das 9. Gebot ja genau darauf hin, indem es ausdrücklich untersagt, ein Verlangen nach dem zu haben, was des andern ist.
[GS.02_091,02] Was ist also des andern? Des andern ist auf dem vom Herrn zum allgemeinen Unterhalte der Menschen geschaffenen Erdboden gerade so viel, als ihm sein naturrechtliches, von seinem Bedürfnisse abgeleitetes Maß gibt. Wer demnach über dieses Maß sammelt und verfertigt, der versündigt sich schon im ersten Grade tatsächlich wider dieses Gebot, indem in diesem Gebote sogar die verlangende Begierde schon als sträflich dargestellt ist.
[GS.02_091,03] Im zweiten Grade versündigt sich der Träge gegen dieses Gebot, der zu faul ist, sein ursprünglich gerechtes Sammelrecht auszuüben, dafür nur stets mit der Begierde umhergeht, sich dessen zu bemächtigen, was ein anderer urnaturrechtlich gesammelt und verfertigt hat.
[GS.02_091,04] Wir sehen daraus, daß man sich sonach gegen dieses Gebot auf eine zweifache Weise verfänglich machen kann, nämlich erstens durch eine übertriebene Sammel- und Verfertigungsgier, zweitens durch gänzliche Unterlassung derselben. Für beide Fälle aber steht das Gebot gleichlautend mit der weisen Beschränkung da. Im ersten Falle beschränkt es die übertriebene Sammel- und Verfertigungsgier, im zweiten Falle die Faulheit und beabsichtigt dadurch die gerechte Mitte; denn es drückt nichts anderes aus als die Achtung mit Liebe vereint für das naturgerechte Bedürfnis des Nebenmenschen.
[GS.02_091,05] Man wird aber hier entgegentreten und sagen: Es gibt in der gegenwärtigen Zeit überaus reiche und wohlhabende Menschen, welche bei all ihrem Reichtume und ihrer Wohlhabenheit nicht eine Quadratspanne Grundeigentum besitzen. Sie haben sich durch glückliche Handelsspekulationen oder Erbschaft in einen großen Geldreichtum versetzt und leben nun von ihren rechtlichen Zinsen. Was soll es mit diesen? Ist ihr Vermögen nach dem göttlichen Urrecht naturgesetzlich oder nicht? Denn sie beschränken durch ihren Geldbesitz keines Menschen Grundeigentum, indem sie sich nirgends etwas ankaufen wollen, sondern sie leihen ihr Geld auf gute Posten zu den gesetzlichen Zinsen aus; oder sie machen anderweitige erlaubte Wechselgeschäfte und vermehren dadurch ihr Stammkapital jährlich um viele tausend Gulden, wo sie nach dem Rechte des Naturbedürfnisses nicht den hundertsten Teil ihres jährlichen Einkommens zu ihrer guten Verpflegung bedürfen. Sie sind aber dabei nicht selten im übrigen sehr rechtliche, mitunter auch wohltätige Menschen. Verfehlen sich auch diese gegen unser neuntes Gebot?
[GS.02_091,06] Ich sage hier: Es ist das einerlei, ob jemand auf was immer für eine Art über sein Bedürfnis hinaus zuviel Geldschätze oder zuviel Grund besitzt. Das alles ist gleichwertig. Denn wenn ich so viel Geld habe, daß ich mir damit mehrere Quadratmeilen Grund und Boden als staatsgesetzlich eigentümlich ankaufen kann, so ist das ebensoviel, als wenn ich mir für dieses Geld wirklich so viel Grund und Boden zu eigen gemacht hätte. Im Gegenteil ist es sogar schlechter und der göttlichen Ordnung viel mehr zuwiderlaufend. Denn wer da so viel Grundeigentum besäße, der müßte dabei doch notwendigerweise einige tausend Menschen einen Lebensunterhalt sich mit verschaffen lassen, indem er für sich persönlich doch unmöglich einen so großen Grundbesitz zu bearbeiten imstande wäre.
[GS.02_091,07] Betrachten wir aber einen Menschen, der zwar keinen Grundbesitz hat, aber so viel Geld, daß er sich damit nahezu ein Königreich ankaufen könnte. Er kann dieses Geld im strengsten Falle allein nutzbringend verwalten, oder er braucht dazu höchstens einige wenige Berechnungsgehilfen, die von ihm einen im Verhältnis zu seinem Einkommen sehr mäßigen Gehalt haben, welcher oft kaum hinreicht, ihre Bedürfnisse, besonders wenn sie Familie haben, zu befriedigen.
[GS.02_091,08] Kein solcher Geldbesitzer aber kann sich mit der Art und Weise, wie er zu dem Gelde gekommen ist, entschuldigen, ob durch Spekulation, ob durch eine gewonnene Lotterie oder ob durch eine Erbschaft. In jedem Falle steht er vor Gott geradeso da wie ein Hehler neben dem Diebe. Wieso denn, dürfte jemand fragen?
[GS.02_091,09] Was heißt reich werden durch glückliche Spekulation? Das ist und heißt nichts anderes als einen rechtmäßigen Verdienst vieler wucherisch an sich reißen, dadurch vielen den rechtmäßigen Verdienst entziehen und ihn sich allein zueignen. In diesem Falle ist ein durch glückliche Spekulation reich gewordener Mensch ein barster Dieb. Bei einem Lotteriegewinne ist er es auf gleiche Weise, weil ihm der Einsatz von vielen allein zugute kommt. Bei einer Erbschaft aber ist er ein Hehler, der das widerrechtliche Gut seiner Vorfahren, die nur auf die zwei vorerwähnten Arten es sich haben zueigen machen können, ebenso für sich in Besitz nimmt. –
92. Kapitel – Wuchersinn – das Verdammlichste vor dem Herrn.
[GS.02_092,01] Aber man wird sagen: Diese Bestimmung klingt sonderbar; denn was kann der Erbe dafür, wenn er das Vermögen entweder seiner Eltern oder sonstiger reicher Anverwandten staatsgesetzlich rechtlich überkommen hat? Sollte er für sich bei solcher Übereignung den naturgerechten Anteil berechnen, von dem Erbe nur so viel nehmen, als dieser Anteil ausmacht, und dann den anderen Teil an wen immer verschenken? Oder sollte er das ganze Vermögen zwar übernehmen, davon aber nur den ihm gebührenden Naturteil als Eigentum annehmen, den großen Überschuß aber entweder zur Unterstützung dürftig gewordener Faulenzer selbst verwalten oder solchen Überschuß sogleich zum Behufe wohltätiger Anstalten an die Vorsteher eben dieser Anstalten abtreten?
[GS.02_092,02] Diese Frage ist hier so gut wie eine, der man gewöhnlich entweder keine oder im höchsten Falle eine nur einsilbige Antwort schuldig ist. Sind denn das göttliche Gesetz und das Staatsgesetz oder die göttliche Weisheit und Fürsorge und die weltlichstaatliche Politik und sogenannte Diplomatik eines und dasselbe? Was spricht denn der Herr? Er spricht: „Alles, was vor der Welt groß ist, ist vor Gott ein Greuel!“
[GS.02_092,03] Was Größeres aber gibt es wohl auf der Welt als eine usurpierte Staatsgewalt, welche, von göttlicher Seite aus betrachtet, nimmer nach dem göttlichen Rate, sondern nur nach ihrer weltlichen Staatsklugheit, welche in der Politik und Diplomatie besteht, die Völker unterjocht, und ihre Kräfte zur eigenen prasserisch ausbeuterischen und konsumtiven Wohlfahrt benutzt?
[GS.02_092,04] Wenn es aber schon greuelhaft und schändlich ist, so irgendein Mensch nur einen, zwei oder drei seiner Brüder hintergeht, um wieviel greuelhafter vor Gott muß es sein, wenn sich Menschen mit aller Gewalt zu krönen und zu salben wissen, um sodann unter solcher Krönung und Salbung ganze Völker zu ihrem eigenen schwelgerischen Vorteile auf alle erdenkliche Art und Weise zu hintergehen, entweder durch die sogenannte Staatsklugheit, oder, so sich's mit dieser nicht tun sollte, mit grausamer offener Gewalt! –
[GS.02_092,05] Ich meine, aus diesem Sätzlein läßt sich ungefähr mit Händen greifen, wie sehr die Rechte der meisten gegenwärtigen Staaten dem göttlichen gerade entgegenlaufen. Ich meine auch ferner, wenn der Herr zum reichen Jünglinge spricht: „Verkaufe alle deine Güter und verteile sie unter die Armen, du aber folge Mir nach, so wirst du dir einen Schatz im Himmel bereiten“, so wird dieser Ausspruch doch hoffentlich hinreichend sein, um daraus zu ersehen, welche Verteilung der irdisch reiche Mensch, wenn er das Reich Gottes ernten will, mit seinem Reichtume machen sollte. Tut er das nicht, so muß er es sich selbst zuschreiben, wenn ihn das nämliche Urteil treffen wird, welches der Herr über den traurig gewordenen Jüngling ausgesprochen hat, daß nämlich ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr durchkäme denn ein solcher Reicher in das Himmelreich! Wobei freilich wohl verdächtigermaßen der Umstand zu berücksichtigen ist, daß der Herr hier ein so höchst bedauerndes Urteil über einen Jüngling, also sicher über einen Erben ausgesprochen hat.
[GS.02_092,06] Man könnte hier füglich fragen: Warum mußte denn hier gerade „ein reicher Jüngling“, und warum nicht irgendein schon bejahrter Spekulant auftreten, an dem der Herr Sein ewiges Mißfallen an allem irdischen Reichtume kundgegeben hätte? Die Antwort liegt ganz nahe: der Jüngling war noch kein eingefleischter Reichtumsverwalter, sondern er war noch auf dem Punkte, von welchem aus solche Jugend gewöhnlich den irdischen Reichtum noch nicht gehörig zu würdigen versteht. Aus eben dem Grunde konnte er sich dem Herrn wenigstens auf eine kurze Zeit nähern, um von Ihm die rechte Weisung und den rechten Gebrauch seines Reichtums zu vernehmen. Erst bei der Erkenntnis des göttlichen Willens fällt er dann vom Herrn ab und kehrt zu seinen Reichtümern heim.
[GS.02_092,07] Also hatte der Jüngling doch dieses Vorrecht, eben als Jüngling, der noch nicht zurechnungsfähig war, sich dem Herrn zu nahen. Aber der schon eingefleischte, mehr betagte reiche Wirt, Spekulant und Wucherer stehen als Kamele hinter dem Nadelöhre, durch das sie erst schlüpfen müßten, um gleich dem Jünglinge zum Herrn zu gelangen. Also ist es einem solchen Reichen gar nicht mehr gegönnt und gegeben, gleich dem Jünglinge sich beim Herrn einzufinden. Für diese aber hat der Herr leider ein anderes sehr zu beachtendes Beispiel angeführt in der Erzählung vom „reichen Prasser“. Mehr brauche ich euch nicht zu sagen.
[GS.02_092,08] Wer von euch aber nur ein wenig denken kann, der wird aus allem dem mit größter Leichtigkeit finden, daß dem Herrn Himmels und aller Welten kein menschliches Laster so greuelhaft verächtlich war wie der Wucherreichtum und dessen gewöhnliche Folgen. Für kein anderes Laster sehen wir den Herrn über Leben und Tod allerklarst den Abgrund der Hölle erschaulich auftun als gerade bei diesem.
[GS.02_092,09] Sei es Totschlag, Ehebruch, Hurerei und dergleichen mehr, bei allem dem hat niemand vom Herrn auf der Erde erlebt, daß Er ihn darum zur Hölle verdammt hätte. Aber dieses Wucherlaster hat Er allenthalben sowohl beim Priesterstande wie auch bei jedem andern Privatstande auf das Allerdringlichste mit Wort und Tat gezüchtigt!
[GS.02_092,10] Wer kann gegenüber allen anderen menschlichen Vergehen dem Herrn nachweisen, daß Er über einen solchen Sünder Seine allmächtige Hand züchtigend erhoben hätte? Aber die Wechsler, Taubenkrämer und dergleichen mehr Spekuliergesindel mußten sich gefallen lassen, von der allmächtigen Hand des Herrn Selbst mit einem gewundenen Stricke aus dem Tempel geprügelt und gezüchtigt zu werden!
[GS.02_092,11] Wisset ihr aber, was das sagen will? Dies wahre evangelische Begebnis will nicht mehr und nicht weniger sagen, als daß der Herr im Himmel und aller Welten der abgesagteste Feind dieses Lasters ist. Bei jedem andern spricht Seine göttliche Liebe von Geduld, Nachsicht und Erbarmen, aber über dieses Laster spricht Sein Zorn und Grimm!
[GS.02_092,12] Denn hier verrammt Er den Zutritt zu Ihm durch das bekannte Nadelöhr, eröffnet ersichtlich den Abgrund der Hölle und zeigt in demselben einen wirklich Verdammten, spricht sich gegenüber den herrsch- und habsüchtigen Pharisäern also entsetzlich aus, daß Er ihnen deutlich zu erkennen gibt, wie da Hurer, Ehebrecher, Diebe und noch andere Sünder eher in das Reich Gottes eingehen werden denn sie.
[GS.02_092,13] Endlich ergreift Er im Tempel sogar eine züchtigende Waffe und treibt schonungslos alle die wie immer gearteten Spekulanten hinaus und bezeichnet sie als Mörder des göttlichen Reiches, indem sie den Tempel, der eben das göttliche Reich vorstellt, zu einer Mördergrube gemacht haben.
[GS.02_092,14] Wir könnten dergleichen Beispiele noch mehrere anführen, aus all denen sich entnehmen ließe, ein wie überaus abgesagter Feind dieses Lasters der Herr ist. Aber wer nur einigermaßen zu denken vermag, dem wird dieses genügen. – Bei eben dieser Gelegenheit können wir noch einen kurzen Blick auf unser neuntes Gebot machen, und wir werden aus diesem Blicke ersehen, daß der Herr bei keinem anderen menschlichen Verhältnis, bei keiner andern selbst verbotenen Gelegenheit und Tätigkeit sogar das Verlangen beschränkt hat wie eben bei dieser Ihm mißfälligsten wucherischen Gelegenheit.
[GS.02_092,15] Überall verbietet Er ausdrücklich nur die Tätigkeit, hier aber schon das Verlangen, weil die Gefahr, welche daraus für den Geist erwächst, zu groß ist. Es zieht den Geist völlig von Gott ab und kehrt ihn gänzlich zur Hölle. Das könnt ihr auch daraus ersehen, daß ein jeder andere Sünder nach einer sündigen Tat eine Reue empfindet, während der reiche Spekulant über eine glücklich gelungene Spekulation hoch aufjubelt und triumphiert!
[GS.02_092,16] Das ist der rechte Triumph der Hölle, und der Fürst der Hölle sucht daher die Menschen vorzugsweise auf jede mögliche Art mit Liebe für den Weltreichtum zu erfüllen, weil er wohl weiß, daß sie mit dieser Liebe erfüllt vor dem Herrn am abscheulichsten sind und Er Sich ihrer darum am wenigsten erbarmt! – Mehr brauche ich euch darüber nicht zu sagen.
[GS.02_092,17] Wohl jedem, der diese Worte tief beherzigen wird, denn sie sind die ewige unumstößliche göttliche Wahrheit! Und ihr könnet es über alles für wahr halten und glauben, denn nicht eine Silbe darin ist zu viel, eher könnt ihr annehmen, daß hier noch bei weitem zu wenig gesagt ist. Solches aber merke sich ein jeder: Der Herr wird bei jeder anderen Gelegenheit eher alles Erdenkliche aufbieten, bevor er jemanden wird zugrunde gehen lassen, aber gegenüber diesem Laster wird Er nichts tun, außer den Abgrund der Hölle offen halten, wie Er es im Evangelium gezeigt hat. Dieses alles ist gewiß und wahr, und wir haben dadurch den wahren Sinn dieses Gebotes kennengelernt. Und ich sage noch einmal: Beherzige ein jeder dies Gesagte wohl! – Und nun nichts mehr weiter. Hier ist der zehnte Saal, und so treten wir in denselben ein! –
93. Kapitel – Zehnter Saal – 10. Gebot.
[GS.02_093,01] Wir sind darin und erblicken auf der Tafel mit deutlicher Schrift geschrieben: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!“
[GS.02_093,02] Daß dieses Gebot hier im reinen Reiche des Geistes und ganz besonders im Reiche der Kinder sicher einem jeden Denker etwas sonderbar klingt, braucht kaum erwähnt zu werden. Fürs erste wissen diese Kinder noch nicht im geringsten, was da etwa ist ein ehelich Weib, und fürs zweite ist hier auch das Verehelichen beider Geschlechter untereinander durchaus nicht gang und gäbe, besonders im Reiche der Kinder. Im Geisterreiche findet dieses Gebot, dieser Betrachtung zufolge, also offenbar keine Anwendung.
[GS.02_093,03] Man wird aber sagen: Warum sollte denn der Herr unter zehn Geboten nicht eines gegeben haben, welches allein den irdischen Verhältnissen entspricht? Denn auf der Erde ist die Verbindung zwischen Mann und Weib gang und gäbe und ist daher ein altbegründetes, auf der göttlichen Ordnung beruhendes Verhältnis, welches ohne ein Gebot nicht in der göttlichen Ordnung verbleiben kann. Also kann man hier ja annehmen, daß der Herr unter den zehn Geboten eines bloß für die Aufrechterhaltung der Ordnung eines äußeren, irdischen Verhältnisses wegen gegeben hat, damit durch die Aufrechterhaltung dieser Ordnung eine geistige, innere, höher stehende nicht gestört wird.
[GS.02_093,04] Gut, wenn dem also ist, da sage ich: Dieses Gebot ist dann nichts als eine höchst überflüssige Wiederholung des ohnehin ganz dasselbe gebietenden sechsten Gebotes. Denn auch in diesem wird in seinem völligen Verlaufe alles als verboten dargestellt, was auf die Unzucht, Hurerei und den Ehebruch nur irgendeine Beziehung hat, sowohl in leiblicher, wie ganz besonders in geistiger Hinsicht.
[GS.02_093,05] Wenn wir nun dieses ein wenig gegeneinander abwägen, so ergibt sich daraus, daß dieses Gebot für den Himmel gar nicht taugt, und daß es neben dem sechsten Gebote rein überflüssig ist.
[GS.02_093,06] Ich sehe aber jemanden, der da kommt und spricht: He! lieber Freund, du irrst dich. Dieses Gebot, wenn schon an und für sich nahe dasselbe verbietend, was da verbietet das sechste Gebot, ist dennoch für sich ganz eigen und höher stehend und tiefer greifend, als da ist das sechste Gebot. Beim sechsten Gebot wird offenbar nur die wirkliche grobe Handlung, in diesem zehnten aber das Verlangen und die Begierde als die allzeitigen Grundursachen zur Tat verboten. Denn man sieht es ja leicht ein, daß besonders junge Ehemänner auch gewöhnlich junge schöne Weiber haben. Wie leicht ist es einem andern Manne, daß er seines vielleicht nicht schönen Weibes vergißt, sich in das schöne Weib seines Nächsten vergafft, in sich dann einen stets größeren Trieb und ein stets größeres Verlangen erweckt, seines Nächsten Weib zu begehren und mit ihr seine geile Sache zu pflegen.
[GS.02_093,07] Gut, sage ich, wenn man dieses Gebot von diesem Standpunkte zunächst betrachtet, so ergeben sich daraus nicht mehr als eine halbe Legion Lächerlichkeiten und Narrheiten, durch welche das Göttliche eines solchen erhabenen Gebotes in den schmutzigsten Staub und in die stinkendste Kloake des weltlichen Witzes und Verstandes der Menschen herabgezogen werden muß. Wir wollen beispiels- und erläuterungshalber geflissentlich einige Lächerlichkeiten anführen, damit dadurch jedermann klar werde, wie seicht und rein äußerlich dieses Gebot über acht Jahrhunderte hindurch aufgefaßt, erklärt und zu beobachten befohlen ward.
[GS.02_093,08] Ein Mann soll also kein Verlangen nach dem Weibe seines Nächsten haben. Hier läßt sich fragen: Was für ein Verlangen oder Begehren? Denn es gibt ja eine Menge redlicher und wohlerlaubter Verlangen und Begehrungen, die ein Nachbar an das Weib seines Nächsten richten kann. Aber im Gebote heißt es unbedingt, „kein Verlangen haben“. Dadurch dürfen nur die beiden Nachbarn miteinander in der Konversation stehen, die Weiber aber müssen sich gegenseitig stets mit Verachtung ansehen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine geradezu türkische Auffassung dieses mosaischen Gebotes.
[GS.02_093,09] Ferner, betrachtet man die Sache buchstäblich und materiell, so muß man doch gewiß alles buchstäblich nehmen und nicht ein paar Worte buchstäblich und ein paar Worte geistig; was sich geradeso ausnähme, als so jemand an einem Bein ein schwarzes und an dem andern ein ganz subtil durchsichtiges weißes Beinkleid trüge. Oder als wolle jemand behaupten, ein Baum müsse so wachsen, daß die eine Hälfte seines Stammes mit Rinde, die andere ohne Rinde zum Vorschein käme. Dieser Betrachtung zufolge verbietet das zehnte Gebot nur das Verlangen nach dem Weibe des „Nächsten“. Wer kann das im buchstäblichen Sinne sein? Niemand anderer als entweder die nächsten Nachbarn oder auch nahe Blutsverwandte. Buchstäblich dürfte man also nur nach den Weibern dieser beiden Nächsten kein Verlangen haben, die Weiber entfernter Bewohner eines Bezirks, besonders aber die Weiber der Ausländer, die sicher keine Nächsten sind, könnten daher ohne weiteres verlangt werden. Denn solches wird doch ein jeder ohne Mathematik und Geometrie begreifen, daß man im Vergleiche zum nächsten Nachbarn einen andern, einige Stunden entfernten oder gar einen Ausländer für einen Nächsten oder Nächstseienden nicht anerkennen kann. Sehet, auch das ist türkisch, denn diese halten dieses Gebot nur gegenüber Türken, gegen fremde Nationen haben sie da kein Gesetz. – Gehen wir aber weiter.
[GS.02_093,10] Ich frage: Ist das Weib meines Nächsten denn von der Haltung des göttlichen Gesetzes ausgenommen? Denn im Gesetze steht nur, daß ein Mann nach dem Weibe seines Nächsten kein Verlangen haben solle. Aber von dem, daß etwa ein geiles Weib nach ihrem nächsten Nachbarn kein Verlangen haben solle, davon steht im Gebote keine Silbe. Man gibt auf diese Weise den Weibern offenbar ein Privilegium, die ihnen zu Gesicht stehenden Männer ohne Bedenken zu verführen. Und wer wird es ihnen verbieten, solches zu tun, da für diesen Fall vom Herrn aus kein Gebot vorhanden ist? Auch das ist aus der türkischen Philosophie; denn die Türken wissen aus dem Buchstabensinne, daß die Weiber von solchem Gesetze frei sind. Daher sperren sie dieselben ein, damit sie nicht ins Freie kommen und andere Männer nach ihnen lüstern machen möchten. Gestattet schon ein Türke einem seiner Weiber einen Ausgang, so muß sie sich so unvorteilhaft für ihre körperlichen Reize vermummen, daß sie sogar einem ihr begegnenden Bären einigen Respekt einflößen würde. Ihre Reize darf sie allein nur vor ihrem Manne entfalten. Wer kann da auftreten und dagegen behaupten, als wäre solches nicht aus dem Buchstabensinne des Gebotes zu erkennen? Offenbar hat diese Lächerlichkeit ihren unleugbaren Grund eben im Gebote selbst. Gehen wir aber weiter.
[GS.02_093,11] Können die nächsten Nachbarn nicht etwa schon erwachsene Töchter haben oder andere recht hübsche Dienstmädchen? Ist es nach dem zehnten Gebote erlaubt oder nicht, nach den Töchtern oder anderen Mädchen des Nächsten ein Verlangen zu haben, selbst als Ehemann? Offenbar ist solches gestattet, denn im sechsten Gebote ist vom Verlangen keine Rede, sondern nur von der Tat. – Das zehnte Gebot verbietet aber nur das Verlangen nach dem Weibe, also ist das Verlangen nach den Töchtern und allfälligen anderen hübschen Mädchen des Nächsten ohne Widerrede erlaubt. (?) – Sehet, da haben wir wieder eine türkische Auslegung des Gesetzes mehr. Um die Sache aber sonnenklar anschaulich zu machen, wollen wir noch einige solcher Lächerlichkeiten anführen. –
94. Kapitel – Wer ist der „Du“ im 10. Gebote?
[GS.02_094,01] Im Gesetze heißt es: „Du sollst nicht verlangen deines Nächsten Weib“. – Läßt sich da nicht fragen: Wer ist denn eigentlich der Du? Ist er ein Verheirateter, ein Witwer, ein unverheirateter junger Mann, ein Jüngling, oder ist es etwa auch ein Weib, zu dem man doch auch sagen kann: Du sollst dies oder jenes nicht tun? Man wird hier sagen: Das ist vorzugsweise für das männliche Geschlecht bestimmt, ohne Unterschied, ob ledig oder verheiratet, und daß die Weiber beiläufig auch miteinbegriffen werden können und nicht das Recht haben sollen, andere Männer zu verlocken und zu begehren, das alles versteht sich von selbst.
[GS.02_094,02] Ich aber sage dagegen: Wenn schon die Menschen ihre Satzungen gar fein zu bestimmen imstande sind und in eben ihren Satzungen für jeden möglichen Fall gar feine und kluge Sonderungen machen, so wird man dem Herrn doch nicht den Vorwurf machen können, als hätte Er gar aus Unkunde unbestimmt ausgedrückte Gesetze gegeben, oder Er hätte gleich einem pfiffigen Advokaten Seine Gesetze also auf Schrauben gestellt, daß die Menschen darüber unvermeidlich sich so oder so versündigen müssen.
[GS.02_094,03] Ich meine, eine solche Folgerung aus der näheren Betrachtung des freilich unbestimmt gegeben scheinenden Gesetzes zu machen, wäre denn doch etwas zu arg. Man kann daher viel leichter schließen, daß dieses Gesetz, wie alle übrigen, ein höchst bestimmtes ist. Es ist nur mit der Zeit und ganz besonders in der Zeit des entstandenen Hierarchentums sogestalt verdreht und fälschlich ausgelegt worden, daß nun kein Mensch mehr den eigentlichen wahren Sinn dieses Gesetzes kennt. Und das ist geschehen aus purer Habsucht. Im eigentlichen reinen Sinne hätte dieses Gesetz dem Priesterstande nie einen Pfennig eingetragen, in seinem verdeckten Sinne aber gab es Anlaß zu allerlei taxierten Vermittlungen, Dispensen und Ehescheidungen, und das natürlich in der früheren Zeit bei weitem mehr als jetzt. Denn da war die Sache also gestellt, daß zwei oder mehrere Nachbarn sich gegen die Versündigung an diesem Gesetze durchaus nicht verwahren konnten. Wieso denn?
[GS.02_094,04] Sie mußten natürlicherweise mehrere Male im Jahre aus übergroßer Furcht vor der Hölle gewissenhaft beichten. Da wurden sie in diesem Punkte gar emsig examiniert, und es war, im Falle irgendein Nachbar ein schönes junges Weib hatte, schon sogar ein Gedanke, ein Blick, etwa gar eine Unterredung von seiten der anderen männlichen Nachbarn, als eine ehebrecherische Sünde gegen dieses Gebot erklärt, welche meist mit einer Opferbuße belegt wurde. Geschah gar eine etwas stärkere Annäherung, so war auch schon die volle Verdammnis fertig, und der einmal auf der einen Waagschale St. Michaels in die Hölle Hinabgesunkene mußte in die andere leere Waagschale sehr bedeutende Opfer werfen, damit diese die Überschwere bekamen und den armen verdammten Sünder wieder glücklich aus der Hölle zogen. Die Gottes Macht innehabenden Priester gehörten da durchaus nicht unter diejenigen, welche nur sehr vieles verlangen, sondern sie wollten im Ernste lieber alles!
[GS.02_094,05] Auf diese Weise mußten einst viele sehr wohlhabende Ritter und Grafen ins Gras beißen und noch obendrauf als aus der Hölle erlösende Buße ihre Güter der Kirche vermachen. Ihre allenfalls zurückgebliebenen Weiber wurden zur Sühnung der Strafe für ihren ungetreuen Mann in ein Kloster aufgenommen. Auch die allfälligen Kinder sowohl männlicher als weiblicherseits sind dann gewöhnlich in solche Klöster eingeteilt worden, in denen man keine irdischen Reichtümer besitzen darf.
[GS.02_094,06] Ich meine, es dürfte genug sein, um all das wirklich Schmähliche einzusehen, das aus der Verdrehung dieses Gesetzes zum Vorschein kam. Das unbestimmte „Du“ des Gesetzes war die Urquelle zu Dispensen, welche gewöhnlich am meisten eingetragen haben. Hatte jemand ein großes Opfer gebracht, so konnte man das Du so modifizieren, daß der Sünder wenigstens nicht in die Hölle kam. Im Gegenteil aber konnte dieses Du auch so verdammlich bestimmt werden, und zwar zufolge der angemaßten Löse- und Bindegewalt, daß dem Sünder nur sehr bedeutende Opfer in der Erlösung aus der Hölle behilflich sein konnten.
[GS.02_094,07] Wir haben jetzt gesehen, zu welchen Abirrungen das unbestimmte Du Gelegenheit gegeben hat. Wir wollen uns aber damit noch nicht begnügen, sondern noch einige solche lächerliche Auslegungen betrachten, damit es jedem umso klarer wird, wie für jedermann notwendig die Bekanntschaft mit dem reinen Sinne des Gesetzes ist, ohne den man nie frei werden kann, sondern sklavisch unter dem Fluche des Gesetzes verbleiben muß! – Und so gehen wir weiter! –
95. Kapitel – Beispiele verkehrter Auffassung des 10. Gebotes.
[GS.02_095,01] Wie das Gesetz lautet, wissen wir: es untersagt ein Verlangen oder ein Begehren. Nun aber fragt es sich: Irgendein Mann ist verarmt, während sein Nachbar ein reicher Mann ist. Das Weib des Nachbarn als des Nächsten unseres armen Menschen, hat, wie ihm bekannt ist, ein mitleidiges und mildtätiges Herz. Unser Armer bekommt nun offenbar ein Verlangen nach dem mildtätigen Weibe seines Nachbarn und begehrt, daß sie ihm den Hunger stille. Frage, hat dieser gesündigt oder nicht? Er hat offenbar ein Verlangen und Begehren nach dem Weibe seines Nachbarn gestellt. Nachdem es aber heißt: Du sollst kein Verlangen nach dem Weibe deines Nächsten haben – wer kann hier begründetermaßen dieses billige Verlangen des Armen als unsündhaft erklären? Denn unter „kein Verlangen, kein Begehren haben“ muß doch sicher jedes Verlangen und jedes Begehren untersagt sein, da in dem Wort „kein“ durchaus keine Ausnahme erweislich ist. So muß denn auch dadurch ein wie immer geartetes Verlangen untersagt sein.
[GS.02_095,02] Leuchtet aus dieser Erklärung nicht augenscheinlich hervor, als habe der Herr dadurch das weibliche Geschlecht offenbar von der Liebtätigkeit abwendig machen wollen, wonach dann sicher eine jede Wohltat, die eine Hausfrau einem armen Menschen erteilt, als eine dem göttlichen Gebote vollkommen zuwiderlaufende Sünde anzusehen ist?
[GS.02_095,03] Läßt sich aber ein so unsinniges Gebot von seiten der allerhöchsten Liebe des Herrn wohl denken? Man wird hier freilich sagen: Das Gebot beschränkt sich nur auf das fleischlich wollüstige Verlangen. Ich aber sage: Es ist gut, lassen wir es also bei dem bewendet sein, nur muß man mir dabei erlauben, einige Bemerkungen zu machen. Stoßen diese Bemerkungen das Bewendet-sein-lassen um, dann muß es sich ein jeder Einwender gefallen lassen, bei der Bestimmung dieses Gebotes einen anderen Weg zu ergreifen. Und so vernehme man die Bemerkungen.
[GS.02_095,04] Das Gebot soll also lediglich ein sinnlich fleischliches Verlangen untersagen. Gut, sage ich, frage aber dabei: Ist im Gebot ein bestimmtes Weib angegeben oder sind im Gebote alle Weiber verstanden oder finden gewisse natürliche Ausnahmen statt?
[GS.02_095,05] Nehmen wir an, mehrere sich gegenüberstehende Nachbarn haben alte, nicht mehr reizende Weiber. Da können wir versichert sein, daß diese Nachbarn hinsichtlich ihrer gegenseitigen Weiber durchaus kein fleischliches Verlangen mehr haben. Demnach müßten nur die jungen Weiber verstanden sein und auch nur dann, wenn sie schön und reizend sind. Sicher werden auch alte und abgelebte Männer nicht mehr viel von fleischlich sinnlichen Begierden gequält sein gegenüber was immer für Weibern ihrer Nachbarn.
[GS.02_095,06] Daraus aber sehen wir, daß dieses Gesetz nur unter gewissen Bedingungen geltend ist. Also hat das Gesetz Lücken und hat somit keine allgemeine Geltung. Denn wo schon die Natur Ausnahmen macht und ein Gesetz so nicht einmal die volle naturmäßige Geltung hat, wie soll es sich da ins Geistige erstrecken? Wer solches nicht begreifen kann, der breche nur einen Baum ab und sehe, ob er dann noch wachsen wird und Früchte tragen.
[GS.02_095,07] Ein göttliches Gesetz aber muß doch sicher so gestellt sein, daß dessen beseligende Geltung für alle Ewigkeiten „gesetzt“ ist. Wenn es demnach aber schon im Verlaufe des kurzen irdischen Daseins unter gewissen Umständen natürlicherweise über die geltenden Schranken hinausgedrängt wird, also schon im Naturzustande des Menschen als wirkend zu sein aufhört, was soll es dann für die Ewigkeit sein? Ist nicht jedes Gesetz Gottes in Seiner unendlichen Liebe gegründet? Was ist es denn aber hernach, wenn ein solches Gesetz außer Geltung tritt? Ist das etwas anderes, als so man behaupten möchte, die göttliche Liebe tritt ebenfalls unter gewissen Umständen außer Geltung für den Menschen?
[GS.02_095,08] Darauf aber beruht auch der traurige Glaube eurer heidnisch-christlichen Seite, demzufolge die Liebe Gottes nur so lange dauert, solange der Mensch auf dieser Welt lebt. Ist er einmal dem Leibe nach gestorben und steht lediglich seelisch und geistig da, so fängt sogleich die unwandelbare, schrecklichst gestrenge, strafende Zorngerechtigkeit Gottes an, bei der von einer Liebe und Erbarmung ewig keine Rede mehr ist.
[GS.02_095,09] Hat der Mensch durch seine Lebensweise den Himmel verdient, so kommt er nicht etwa zufolge der göttlichen Liebe, sondern nur zufolge der göttlichen Gerechtigkeit in den Himmel, natürlich durch das eigene, Gott dienliche und wohlgefällige Verdienst. Hat aber der Mensch nicht also gelebt, so ist die ewige Verdammnis augenblicklich vorhanden, aus der nimmer eine Erlösung zu erwarten ist. Mit anderen Worten will dies sagen, es gäbe irgendeinen törichten Vater, der da in seinem Haushalte ein Gesetz aufstellte, und das gegen seine Kinder, welches also lauten möchte:
[GS.02_095,10] Ich gebe allen meinen Kindern von der Geburt an bis in ihr siebentes Jahr vollkommene Freiheit. In dieser Zeit sollen sie alle meine Liebe ohne Unterschied genießen. Nach Verlauf des siebenten Jahres aber ziehe ich bei allen Kindern meine Liebe zurück und will sie von da an entweder richten oder beseligen. Die als unmündige Kinder meine schweren Gesetze gehalten haben, die sollen nach dem siebenten Jahre sich fortan meines höchsten Wohlgefallens zu erfreuen haben. Welche sich aber im Verlaufe der sieben Jahre nicht völlig bis auf ein Atom nach meinem schweren Gesetze gebessert haben, diese sollen fortan für alle Zeiten aus meinem väterlichen Hause verflucht und verworfen werden. – Saget, was würdet ihr zu einem so grausamen Esel von einem Vater sagen? Wäre das nicht ungeheuer mehr als die schändlichste Tyrannei aller Tyrannen?
[GS.02_095,11] Wenn ihr aber solches schon bei einem Menschen unbeschreiblich töricht, arg und böse finden würdet, wie entsetzlich unsinnig müssen da die Menschen sein, die noch weit Ärgeres Gott, der die allerhöchste Liebe und Weisheit Selbst ist, ansinnen und zuschreiben können!
[GS.02_095,12] Was tat der Herr am Kreuze als die alleinige göttliche Weisheit, da Sie gewisserart dem Außen nach wie geschieden war von der ewigen Liebe? – Er, als die Weisheit, und als solche der Grund aller Gerechtigkeit, wandte Sich Selbst an den Vater oder an die ewige Liebe, forderte diese nicht gewisserart gerechtermaßen um Rache auf, sondern Er bat die Liebe, daß Sie allen diesen Missetätern, also auch allen den Hohepriestern und Pharisäern alle ihre Tat vergeben möchte, indem sie nicht wissen, was sie tun! –
[GS.02_095,13] Solches tut also hier schon die göttliche Gerechtigkeit für Sich. Soll dann die unendliche göttliche Liebe da zu verdammen anfangen, wo die göttliche Gerechtigkeit die noch endlos barmherzigere Liebe um Erbarmung anfleht?
[GS.02_095,14] Wenn man das nicht gelten läßt, daß es dem Herrn wirklich Ernst war mit Seiner Bitte, und sagt, solches habe Er nur beispielsweise getan, macht man da den Herrn nicht zu einem Heuchler, indem man Ihn nur scheinhalber am Kreuze um Vergebung bitten läßt, heimlich aber sieht man in Ihm doch die unvertilgbare Rache, derzufolge Er in Sich dennoch alle diese Übeltäter schon lange in das allerschärfste höllische Feuer verdammt hat?
[GS.02_095,15] O Welt! O Menschen! O schrecklichster Unsinn, der je irgend in der ganzen Unendlichkeit und Ewigkeit erdacht werden könnte! Kann man sich wohl etwas Schändlicheres denken, als so man zur falschen, freilich zeitlich einträglichen Autoritätsbegründung der Hölle den Herrn am Kreuze zu einem Lügner, Scheinprediger, Verräter und somit zum allgemeinen Weltenbetrüger macht? Aus wessen Munde als nur allein aus dem des Erzsatans kann solche Lehre und können solche Worte kommen?
[GS.02_095,16] Ich meine, es genügt auch hier wieder, um euch zu der Einsicht zu bringen, welche Greuel aus einer höchst verkehrten Deutung und Auslegung eines göttlichen Gesetzes hervorgehen können. Daß es bei euch auf der Welt also ist, das könnt ihr wohl schon selbst bereits mit den Händen greifen. Aber warum es also ist, aus welchem Grunde, das wußtet ihr nicht und konntet es auch nicht wissen; denn zu verwirrt war der Gesetzesknoten, und nimmer hätte jemand diesem Knoten die volle Lösung geben können. –
[GS.02_095,17] Daher hat sich der Herr euer erbarmt und läßt euch in der Sonne, da es doch sicher licht genug ist, die wahre Lösung dieses Knotens verkünden, auf daß ihr den allgemeinen Grund aller Bosheit und Finsternis erschauen möchtet.
[GS.02_095,18] Man wird freilich sagen: Ja, wie kann denn so viel Übel von dem Mißverstehen der zehn Gebote Mosis abhängen?
[GS.02_095,19] Da meine ich: Weil diese zehn Gebote von Gott gegeben sind und in sich tragen die ganze unendliche Ordnung Gottes selbst.
[GS.02_095,20] Wer sonach in einem oder dem andern Punkte auf was immer für eine Art aus der göttlichen Ordnung tritt, der bleibt in keinem Punkte mehr in der göttlichen Ordnung, indem diese gleich ist einem geraden Wege. So jemand wo immer von diesem Wege abweicht, kann er da sagen: Ich bin nur ein Viertel; Fünftel, Siebentel oder Zehntel des Weges abgewichen? Sicher nicht. Denn so wie er nur im geringsten den Weg verläßt, ist er schon abseits vom ganzen Wege. Will er nicht auf den Weg zurückkehren, da wird man doch gewiß behaupten können, daß derjenige einzelne Punkt am Wege, wo der Wanderer von selbem abwich, den Wanderer vom ganzen Wege entfernt hatte.
[GS.02_095,21] Und eben also verhält es sich auch mit jedem einzelnen Punkte des göttlichen Gesetzes. Es kann nicht leichtlich jemanden geben, der sich am ganzen Gesetze gewaltigst versündigt hätte, indem solches nahezu unmöglich ist. Aber es ist genug, wenn sich jemand in einem Punkte versündigt und dann dabei beharrt. Er kommt auf diese Weise doch vom ganzen Gesetze hinweg, und wenn er es nicht will und der Herr ihm nicht behilflich sein möchte, so käme er nimmer auf den Weg des Gesetzes oder der göttlichen Ordnung zurück. Und so könnt ihr auch versichert sein, daß die meisten Übel der Welt vom freilich wohl leider anfänglich eigen- und böswilligen Unverstande oder vielmehr von der böswilligen Verdrehung des Sinnes dieser beiden letzten göttlichen Gebote herrühren. –
[GS.02_095,22] Wir haben nun aber auch der Lächerlichkeiten und falschen Auslegungen dieses Gebotes zur Genüge kundgegeben; daher wollen wir denn zur rechten Bedeutung dieses Gesetzes schreiten, in deren Lichte ihr alle die Albernheiten noch ums Unvergleichliche heller erleuchtet erschauen werdet. –
96. Kapitel – Grund des Verdecktseins des eigentlichen Sinnes des 10. Gebotes.
[GS.02_096,01] Es werden hier so manche, die das Vorhergehende gelesen haben, sagen: Darauf sind wir im Ernste sehr neugierig, was dieses Gebot für einen eigentlichen beständigen Sinn hat, nachdem jeder Sinn, den wir ehedem diesem Gebote beigelegt haben, unwiderlegbar ins unsinnigst Lächerliche gezogen und dargestellt wurde. Wir möchten im Ernste schon sehr gern erfahren, wer demnach der Du, der Nächste und dessen Weib ist? Denn aus dem Gebote läßt sich mit Bestimmtheit nichts aufstellen. Der Du kann wohl jedermann sein, ob aber darunter auch ein Weib verstanden sein kann, das steht noch in weitem Felde. Der Nächste ließe sich wohl allenfalls etwas näher bestimmen, besonders wenn man dieses Wort in einem umfassenderen Sinne nimmt, wodurch dann jedermann unser Nächster ist, der irgend unserer Hilfe bedarf. Mit dem Weibe aber hat es sicherlich den größten Anstand; denn man weiß nicht, wird darunter nur ein verheiratetes Weib oder auch das ledige weibliche Geschlecht verstanden. Es ist hier freilich mehr in der einfachen als in der vielfachen Zahl; aber das macht die Sache eben auch um kein Haar bestimmter. Denn wenn man in irgendeinem Erdteile die Polygamie annimmt, so hätte es da mit der einfachen Zahl offenbar wieder einen neuen Haken. Aus allem diesem sind wir um so neugieriger auf den eigentlichen Sinn dieses Gebotes, indem der Buchstabensinn allenthalben ganz gewaltig unstichhaltig ist.
[GS.02_096,02] Und ich sage hinzu: Also ist es bestimmt und klar, daß sich mit der Annahme des puren äußeren Buchstabensinnes nur der größte Unsinn, nie aber irgendeine gegründete Wahrheit darstellen läßt.
[GS.02_096,03] Man wird hier freilich sagen: Ja warum hat denn der Herr das Gesetz nicht sogleich also gegeben, daß es für jedermann nicht verdeckt, sondern ganz offen erschien, in was für einem Sinne es eigentlich gegeben und wie es nach eben diesem Sinne zu beobachten ist?
[GS.02_096,04] Diese Einwendung läßt sich dem außen nach wohl hören und gilt als eine ziemlich weise gestaltete Gegenphrase; aber beim Lichte betrachtet ist sie so dumm, daß man sich nicht leichtlich etwas Dümmeres vorstellen kann. Damit aber die außerordentliche Albernheit dieser Einwendung einem jeden gleich so in die Augen fällt, als stünde er nur wenige Meilen von der Sonne entfernt und würde diese plötzlich mit seinen Augen wahrnehmen – oder damit es einem dabei wird, wie dem, der in einem Walde den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, so will ich für diese Gelegenheit einige natürliche, ganz kurz gefaßte Betrachtungen aufstellen.
[GS.02_096,05] Nehmen wir an, einem sogenannten Naturforscher und Botaniker möchte es der Bequemlichkeit seiner Untersuchung wegen einfallen zu fragen: Warum hat denn die schöpfende Kraft des schaffenden allerhöchsten Wesens die Bäume und Pflanzen nicht so erschaffen, daß der Kern auswendig und die Rinde inwendig ist, so daß man mit leichter Mühe durch Mikroskope das Aufsteigen des Saftes in die Äste und Zweige und dessen Reaktionen und andere Wirkungen genau beobachten könnte? Denn es kann doch nicht des Schöpfers Absicht gewesen sein, den denkenden Menschen sogestaltet auf die Erde zu setzen, daß er nie in das Geheimnis der Wunderwirkungen in der Natur eindringen sollte. – Was sagt ihr zu diesem Verlangen? Ist es nicht im höchsten Grade dumm?
[GS.02_096,06] Nehmen wir aber an, der Herr möchte Sich von einer solchen Aufforderung bestechen lassen und die Bäume also umkehren samt den Pflanzen – werden da nicht gleich wieder andere Naturforscher hinzukommen und sagen: Was nützt uns die Betrachtung des auswendigen Kerns, wenn wir dabei nicht die wunderbare Bildung der inneren Rinde entdecken können? – Was folgt nun hieraus? Der Herr müßte Sich auch jetzt wieder fügen und auf eine mir fürwahr nicht begreifliche Art Rinde und Kern auswendig am Baume anbringen. Nehmen wir aber an, der Herr hätte solches im Ernste zuwege gebracht und das Inwendige des Baumes besteht nun bloß im Holze. Wird da nicht ein anderer Naturforscher sobald ein neues Bedürfnis kundgeben und sagen: Durch die Rinde und auf einer Seite durch den Kern ist nun die ganze wunderbare Bildung des Holzes verdeckt. Könnte denn ein Baum nicht so gestaltet sein, daß alles, Kern, Holz und Rinde auswendig wäre oder wenigstens so durchsichtig wie die Luft?
[GS.02_096,07] Ob man einen aus notwendig zahllos vielen Organen zusammengefügten Baum so durchsichtig wie die Luft oder wenigstens wie ein reines Wasser gestalten kann, das sollen Optiker und Mathematiker entscheiden. Was aber übrigens auf vollkommen luftigen Bäumen für Früchte wachsen werden, das dürfte einer ungefähr in den Gegenden des Nordpols oder Südpols in gute Erfahrung bringen. Denn dort geschehen manchmal solche Phänomene, daß zufolge der großen Kälte, auf die Weise wie bei euch im Winter auf den Glasfenstern, dort aber in der Luft kristallinische Eisbäume aufschießen. Ob auf diesen Bäumen auch Feigen und Datteln zum Vorscheine kommen, ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden.
[GS.02_096,08] Was aber andererseits die Bäume betrifft, wo alles, Kern, Holz und Rinde, auswendig sein sollte, so könnet ihr dessen vollkommen versichert sein, daß es ebensoleicht wäre, eine viereckige Kugel zu machen als einen solchen Baum. Ich meine, durch diese Betrachtung sollte die Dummheit obiger Einwendung schon so ziemlich sonnenhaft vor den Augen liegen. Aber um die Sache, wie gewöhnlich, wahrhaft überflüssig klar zu machen, wollen wir noch ein paar Betrachtungen hinzufügen.
[GS.02_096,09] Nehmen wir an, wenn ein Arzt, der sehr viel studieren muß und schon einen ganzen schweren Wagen voll Gelehrsamkeit gleich einem Polypen in sich eingeschlürft hat, zu einem bedenklich kranken Patienten verlangt wird, so steht er nicht selten am Krankenlager, wie ein Paar neueingespannte Ochsen an einem steilen Berge. Der Arzt wird von den Umstehenden gefragt: Wie finden Sie den Kranken, was fehlt ihm denn? Wird ihm wohl zu helfen sein?
[GS.02_096,10] Ob dieser Fragen macht der Arzt ein zwar gelehrtes, aber dennoch sehr bedenklich verlegenes Gesicht und spricht: Meine Lieben! Jetzt läßt sich noch nichts bestimmen, ich muß erst durch eine Medizin die Krankheit prüfen. Werden sich da Reaktionen so oder so ergeben, so werde ich schon wissen, wie ich daran bin. Treten aber hier keine Reaktionen auf, da müßt ihr selbst einsehen, daß unsereiner in den Leib nicht hineinschauen kann, um den Sitz der Krankheit nebst ihrer Beschaffenheit ausfindig zu machen.
[GS.02_096,11] Da spricht aber jemand etwas lakonisch: Herr Arzt, da hätte unser Herrgott wohl besser getan, wenn er den Menschen entweder so erschaffen hätte wie der Schreiner einen Schrank, den man aufsperren und hineinsehen kann, was darinnen ist. Oder der Schöpfer hätte sollen bei dem Menschen die heikleren Teile, zu denen man auf diese Weise so schwer gelangen kann, gleich den Fingern, Ohren, Augen und Nase außerhalb stellen, damit man diesem Teil sogleich leicht entweder mit einem Pflaster, mit einer Salbe oder mit einem Umschlage zu Hilfe kommen könnte. Am besten aber wäre es offenbar, Er hätte entweder den Menschen durchsichtig wie das Wasser erschaffen oder Er hätte ihn überhaupt nicht aus so lebensgefährlichen Teilen zusammen setzen und ihn überhaupt mehr wie einen Stein gestalten sollen.
[GS.02_096,12] Der Arzt rümpft hier etwas die Nase, spricht aber dennoch: Ja, mein lieber Freund, das wäre freilich gut und besser, aber es ist einmal nicht so, wie du soeben den Wunsch geäußert hast. So müssen wir uns schon damit zufriedenstellen, wenn wir nur auf dem Wege der Erfahrungen etwas genauer auf den inneren Gesundheits- und Krankheitszustand eines Menschen zu schließen imstande sind. Denn wäre der Mensch auch wie ein Kasten aufzumachen, so wäre das für jeden Menschen noch um vieles lebensgefährlicher, als es so ist, denn nur ein ein wenig ungeschickter Griff in das Innere könnte plötzlich das Leben kosten. Und könnte man auch durch ein solches Öffnen die Eingeweide beschauen, so würde einem das noch sehr wenig nützen. Die Eingeweide und ihre feinen Organe müßten doch verschlossen bleiben, nachdem bei der Öffnung auf der Stelle alle Lebenssäfte und jede Lebenstätigkeit flott würden. Was aber die auswendige Stellung der inwendigen Leibesteile betrifft, fürwahr, mein Lieber, das gäbe der menschlichen Gestalt einen höchst unästhetischen Anblick. Und wenn der Mensch erst völlig durchsichtig wäre, so würde sich ein jeder gegenseitig vor dem andern erschrecken, denn er würde da den Hautmenschen, dann den Muskelmenschen, den Gefäßmenschen, den Nervenmenschen und endlich den Knochenmenschen zu gleicher Zeit erschauen. Daß ein solcher Anblick nicht einladend wäre, das kannst du dir wohl von selbst einbilden.
[GS.02_096,13] Ich meine, bei dieser Betrachtung wird einem das Törichte der obigen Einwendung noch klarer in die Augen springen.
[GS.02_096,14] Aber es ist noch jemand, der da spricht: Es ist bei natürlichen, materiellen Dingen freilich widersinnig zu denken, daß ihr Inwendiges auch zugleich ihr Äußeres ausmachen sollte. Aber das Wort für sich ist ja doch weder ein Baum, noch ein Tier, noch ein Mensch, sondern es ist schon an und für sich geistig, indem es nichts Materielles an sich trägt. Warum sollte das hernach gleich einem Baume oder Menschen noch irgendeinen unbegreiflichen inneren Sinn haben? Oder wie sollte dieser möglich sein, wenn man die ohnehin außerordentliche Einfachheit und Flachheit des Wortes betrachtet?
[GS.02_096,15] Gut, sage ich, nehmen wir das Wort Vater. Was bezeichnet es? Ist das Wort schon der Vater selbst oder bezeichnet das Wort einen wirklich wesenhaften Vater, von dem dieses Wort eben bloß ein äußerer Merkmalstypus ist? Man wird sagen: Offenbar ist hier das Wort nicht der Vater selbst, sondern nur eine äußere Bezeichnung dessen. Gut, sage ich, frage aber dabei: Was muß man dann alles unter dem Worte verstehen, auf daß man eben dieses Wort als einen äußeren richtig bezeichnenden Typus anerkennt? Antwort: Das Wort muß einen Menschen darstellen, der ein entsprechendes Alter hat, verheiratet ist, mit seinem Weibe lebendige Kinder erzeugt hat und dieselben dann wahrhaft väterlich leiblich und geistig versorgt.
[GS.02_096,16] Wer kann hier nur im geringsten in Abrede stellen, daß diese ziemlich gedehnte und überaus wesentliche Bedeutung im einfachen Worte „Vater“ stecken muß, ohne welche dieses Wort gar kein Wort wäre?
[GS.02_096,17] Wenn aber schon in äußeren Beziehungen ein jedes einfache Wort eine mehr inwendige Erklärung und Zergliederung zulassen muß, um wie viel mehr muß demnach ein jedes äußere Wort auch einen inwendigen geistigen Sinn haben, indem doch alles, was durch äußere Worte bezeichnet wird, selbst ein inwendiges Geistiges, also Kraftvolles und Wirkendes haben muß. Ein Vater hat sicher auch Seele und Geist. Wird das Wort den Begriff „Vater“ wohl richtig bezeichnen, wenn es sein Seelisches und Geistiges ausschließt? Sicher nicht, denn der wesenhafte Vater besteht aus Leib, Seele und Geist, also aus Auswendigem, Innerem und Inwendigstem. Wenn sonach der wesenhafte Vater lebendig also beschaffen ist, muß solches dann nicht auch wie in einem Spiegel im Worte, durch das der wesenhafte Vater als Vater bezeichnet wird, ebensogut vollkommen bezeichnend zugrunde liegen?
[GS.02_096,18] Ich meine, deutlicher und klarer läßt sich ein notwendiger innerer Sinn des Wortes nicht darstellen. Daraus aber kann auch ersichtlich sein, daß der Herr, so Er auf der Welt Seinen Willen kundgibt, Er ihn für äußere Menschen nach Seiner ewigen göttlichen Ordnung nicht anders kundgeben kann, als eben nur durch äußere, bildliche Darstellungen, in denen dann offenbar ein innerer und ein innerster Sinn zugrunde liegt. Dadurch ist dann der ganze Mensch von seinem Inwendigsten bis zu seinem Äußersten nach der göttlichen Liebe versorgt.
[GS.02_096,19] Da wir aber nun die Notwendigkeit und die Gewißheit solcher Einrichtung mehr als handgreiflich dargetan haben, so wird es nun auch ein gar Leichtes sein, den inneren, wahren Sinn unseres Gesetzes beinahe von selbst zu finden, und so er von mir dargestellt wird, wenigstens als den unumstößlichen, einzig wahren und allgemein geltenden zu erkennen. – Und so gehen wir sogleich zu solcher Darstellung über! –
97. Kapitel – Der innere, eigentliche Sinn des 10. Gebotes.
[GS.02_097,01] Das Gesetz lautet sonach, wie wir es bereits auswendig wissen: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“ – oder: Du sollst kein Verlangen haben nach deines Nächsten Weib, was eines und dasselbe ist. – Wer ist denn „das Weib“ und wer ist der „Nächste“?
[GS.02_097,02] Das Weib ist eines jeden Menschen Liebe und der Nächste ist jeder Mensch, mit dem ich irgend in Berührung komme oder der irgend, wo es sein kann, möglich und notwendig ist, meiner Hilfe bedarf. Wenn wir das wissen, so wissen wir im Grunde schon alles.
[GS.02_097,03] Was besagt demnach das Gebot? Nichts anderes als: Ein jeder Mensch soll nicht eigenliebig die Liebe seines Nächsten fordernd zu seinem Besten verlangen; denn Eigenliebe ist an und für sich nichts anderes, als sich die Liebe des andern zuziehen zum eigenen Genusse, aber ihm selbst keinen andern Funken Liebe mehr wiederzuspenden.
[GS.02_097,04] Also lautet demnach das Gesetz in seinem geistigen Ursinne. Man sagt aber:
[GS.02_097,05] Hier ist es offenbar im Sinne des Buchstabens wiedergegeben, den man im Anfange ebensogut wie jetzt hätte aussprechen können, wodurch vielen Abirrungen vorgebeugt gewesen wäre. – Ich aber sage: Das ist allerdings richtig. Wenn man einen Baum in der Mitte auseinanderspaltet, so kommt der Kern auch nach außen, und man kann ihn dann ebenso bequem beschauen wie ehedem die Rinde.
[GS.02_097,06] Der Herr aber hat den inneren Sinn darum geflissentlich weise in ein äußeres naturmäßiges Bild verhüllt, damit dieser heilige, inwendige, lebendige Sinn nicht sollte von irgend böswilligen Menschen angegriffen und zerstört werden, wodurch dann alle Himmel und Welten in den größten Schaden gebracht werden könnten. Aus diesem Grunde hat auch der Herr gesagt: „Vor den großen und mächtigen Weisen der Welt soll es verborgen bleiben und nur den Kleinen, Schwachen und Unmündigen geoffenbart werden“.
[GS.02_097,07] Es verhält sich so ja schon mit den Dingen der Natur. Nehmen wir an, der Herr hätte die Bäume sogestalt erschaffen, daß ihr Kern und ihre Hauptlebensorgane zu äußerst des Stammes lägen – saget selbst, wie vielen Gefahren wäre da ein Baum zu jeder Sekunde ausgesetzt?
[GS.02_097,08] Ihr wisset, wenn man eines Baumes inneren Kern geflissentlich oder mutwillig durchbohrt, so ist es um den Baum geschehen. Wenn irgendein böser Wurm die Hauptstammwurzel, welche mit dem Kerne des Baumes in engster Verbindung ist, durchnagt, so stirbt der Baum ab. Wem ist nicht der bösartige sogenannte „Borkenkäfer“ bekannt? Was tut dieser den Bäumen? Er nagt zuerst am Holze und frißt sich hier und da in die Hauptorgane des Baumes ein und der Baum stirbt ab. Wenn der Baum auf diese wohlverwahrte Weise schon so manchen Lebensgefahren ausgesetzt ist, wie vielen wäre er erst dann ausgesetzt, so seine Hauptlebensorgane zu äußerst des Stammes lägen?
[GS.02_097,09] Sehet, gerade so und noch ums Unaussprechliche heikler verhält es sich mit dem Worte des Herrn. Würde da gleich anfänglich der innere Sinn nach außen gegeben, so bestände schon lange keine Religion mehr unter den Menschen. Sie hätten diesen inneren heiligen Sinn in seinem Lebensteile ebensogut zernagt und zerkratzt, wie sie es mit der äußeren Rinde am Baume des Lebens getan haben. Schon lange wäre so die innere heilige Stadt Gottes ebenso zerstört, daß da kein Stein auf dem andern geblieben wäre, wie sie es mit dem alten Jerusalem getan haben und wie sie es getan haben mit dem äußeren, allein Buchstabensinn innehabenden Worte.
[GS.02_097,10] Denn das Wort Gottes in seinem äußeren Buchstabensinne, wie ihr es in der Heiligen Schrift vor euch habt, ist von dem Urtext so sehr verschieden, wie das heutige höchst elende Städtchen Jerusalem von der alten Weltstadt Jerusalem verschieden ist.
[GS.02_097,11] Diese ganze Versetzung und Zerstückung und auch Abkürzung im alleinigen äußeren Buchstabensinne ist aber dennoch dem inneren Sinne nicht nachteilig, weil der Herr durch Seine weise Vorsehung schon von Ewigkeit her die Ordnung so getroffen hat, daß eine und dieselbe geistige Wahrheit unter den verschiedenartigsten äußeren Bildern unbeschadet erhalten und gegeben werden kann.
[GS.02_097,12] Ganz anders aber läge der Fall, wenn der Herr sogleich die nackte innere geistige Wahrheit ohne schützende äußere Umhüllung gegeben hätte. Sie hätten diese heilige, lebendige Wahrheit zernagt und zerstört nach ihrem Gutdünken, und es wäre eben dadurch um alles Leben geschehen gewesen.
[GS.02_097,13] Weil aber der innere Sinn so verdeckt ist, daß ihn die Welt unmöglich je ausfindig machen kann, bleibt das Leben gesichert, wenn auch dessen äußeres Gewand in tausend Stücke zerrissen wird. Und so klingt dann freilich der innere Sinn des Wortes, wenn er geoffenbart wird, als wäre er gleich dem Außensinne des Wortes, und kann ebenfalls durch artikulierte Laute oder Worte ausgedrückt werden. Aber das beirrt die Sache nicht im geringsten. Deswegen bleibt er dennoch ein innerer, lebendiger, geistiger Sinn und ist als solcher dadurch erkennbar, daß er die gesamte göttliche Ordnung umfaßt, während das ihn enthaltende Bild nur ein spezielles Verhältnis ausdrückt, welches, wie wir gesehen haben, nie von einer allgemeinen Geltung sein kann.
[GS.02_097,14] Wie aber das soeben abgehandelte Gebot im Bilde nur ein äußeres Hüllwerk ist, und wie der euch nun bekannt gegebene innere Sinn ein wahrhaft innerer, geistiger und lebendiger ist, das wollen wir sogleich durch eine kleine Nachbetrachtung in ein klares Licht setzen.
[GS.02_097,15] Das äußere bildliche Gebot ist bekannt, innerlich heißt es: Habe kein Verlangen nach der Liebe deines Bruders oder deiner Schwester!
[GS.02_097,16] Warum wird denn hier dieses inhalts- und lebensschwere Gebot in das Bild des nicht zu begehrenden Weibes gehüllt?
[GS.02_097,17] Ich mache euch bei dieser Gelegenheit nur auf einen Ausspruch des Herrn Selbst aufmerksam, in dem Er Sich über die Liebe des Mannes zum Weibe also äußert, da Er spricht: „Also wird ein Sohn seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen“.
[GS.02_097,18] Was will der Herr dadurch anzeigen? Nichts anderes als: des Menschen mächtigste Liebe auf dieser Welt ist die zu seinem Weibe. Denn was liebt der Mensch in seiner Ordnung mehr auf der Welt als sein liebes braves, gutes Weib? Im Weibe steckt somit des Mannes ganze Liebe, wie umgekehrt das Weib in seiner Ordnung sicher nichts mächtiger liebt als einen ihrem Herzen entsprechenden Mann.
[GS.02_097,19] So wird denn auch in diesem Gebote unter dem Bilde des Weibes die ganze Liebe des Mannes oder des Menschen überhaupt gesetzt, weil das Weib im Ernste nichts anderes als eine äußere, zarte Umhüllung der Liebe des Mannes ist.
[GS.02_097,20] Wem kann nun bei dieser Erklärung entgehen, daß unter dem Bilde: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“ ebensoviel gesagt ist als: Du sollst nicht zu deinem Vorteil die Liebe deines Nächsten verlangen, und zwar die ganze Liebe, weil das Weib auf der Welt ebenfalls die ganze Liebe des Mannes in sich begreift.
[GS.02_097,21] Wenn ihr dieses nur einigermaßen genau betrachtet, so werdet ihr es sogar mit den Händen greifen, daß alle äußeren, uns bekannten Unbestimmtheiten des äußeren bildlichen Gesetzes nichts als lauter innere allgemeine Bestimmtheiten sind. Wie, wollen wir sogleich sehen.
[GS.02_097,22] Sehet, das „Du“ ist unbestimmt. Warum? Weil dadurch im inneren Sinne jedermann verstanden wird, einerlei ob männlichen oder weiblichen Geschlechtes. Ebenso ist das Weib unbestimmt, denn es ist nicht gesagt, ob ein altes oder ein junges, ob eines oder mehrere, ob ein Mädchen oder eine Witwe. Warum ist solches unbestimmt? Weil die Liebe des Menschen nur eine ist, und ist weder ein altes noch ein junges Weib, noch eine Witwe, noch ein lediges Mädchen, sondern sie als die Liebe ist in jedem Menschen nur eine. Nach dieser soll der Nebenmensch kein Verlangen haben, weil sie eines jeden Menschen eigenstes Leben ist. Ein jeder, der nach dieser Liebe ein habsüchtiges, neidisches oder geiziges Verlangen hat, erscheint gewisserart als ein Mordlustiger neben seinem Nächsten, indem er sich dessen Liebe oder Leben zu seinem Vorteil bemächtigen möchte. Also ist auch der Nächste unbestimmt. Warum? Weil darunter im geistigen Sinne jeder Mensch ohne Unterschied des Geschlechtes verstanden wird.
[GS.02_097,23] Ich meine, daraus sollte euch schon ziemlich klar sein, daß der von mir euch kundgegebene innere Sinn der allein rechte ist, weil er alles umfaßt.
[GS.02_097,24] Es wird hier vielleicht mancher, aus seinem Mondviertellichte sich brüstend, einwenden und sagen: Wenn die Sache sich so verhält, da ist es ja keine Sünde, wenn jemand seines Nächsten Weib oder Töchter beschläft oder sie dazu verlangt. Da sage ich: Oho, mein lieber Freund! Mit diesem Einwurfe hast du stark ins Blaue gedroschen. Wird unter dem, daß du die Liebe deines Nächsten nicht begehren sollst, und zwar seine ganze Liebe, nicht alles das verstanden, was er als lebensteuer in seinem Herzen trägt? Siehe, also sind auch im Ernste nicht nur das Weib und die Töchter deines Nächsten in dem Gebote deinem Verlangen vorenthalten, sondern alles, was die Liebe deines Bruders umfaßt.
[GS.02_097,25] Aus diesem Grunde auch wurden uranfänglich die zwei letzten Gebote als ein Gebot zusammen gegeben. Sie sind nur dadurch unterschieden, daß im neunten Gebote des Nächsten Liebe mehr sonderheitlich zu respektieren dargestellt ist, im zehnten Gebote aber wird eben dasselbe im inwendigsten Sinne ganz allgemein zur respektierenden Beobachtung zusammengefaßt dargestellt.
[GS.02_097,26] Daß sonach auch das Begehren des Weibes und der Töchter des Nächsten verboten ist, kann sicher ein jeder Mensch mit seinen Händen greifen. Es verhält sich mit der Sache gerade also, als so man jemandem einen ganzen Ochsen gibt, man damit auch seine Extremitäten, seinen Schweif, Hörner, Ohren und Füße usw. mitgibt. Oder so der Herr jemandem eine Welt schenken würde, da wird er ihm doch alles, was auf derselben ist, mitgeben und nicht sagen: Nur das Innere der Welt ist dein, die Oberfläche aber gehört mir.
[GS.02_097,27] Ich meine, klarer kann die Sache zum Verständnisse des Menschen nicht gegeben werden. Wir haben nun den inneren, wahren Sinn dieses Gebotes, wie er in allen Himmeln ewig geltend ist und die Glückseligkeit aller Engel bedingt, vollkommen kennengelernt und sind jedem möglichen Einwurfe begegnet. Also sind wir damit auch zu Ende und wollen uns daher sogleich in den elften glänzenden Saal vor uns begeben. Allda werden wir erst alles bisher Gesagte im klarsten Lichte wie auf einem Punkte zusammengefaßt und bestätigt finden. – Also treten wir hinein! –
98. Kapitel – Elfter Saal – 11. Gebot: Die Gottesliebe.
[GS.02_098,01] Wir sind bereits in diesem Saale und ersehen hier in der Mitte des Saales ebenfalls an einer großen, weißen, glänzenden Säule eine runde Tafel. Sie glänzt wie die Sonne, und in ihrer Mitte steht mit rubinrot leuchtender Schrift geschrieben:
[GS.02_098,02] „Du sollst Gott deinen Herrn lieben über alles, aus deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen von Gott dir verliehenen Lebenskräften“. –
[GS.02_098,03] Nebst dieser inhaltsschweren, prachtvollen Sonnentafel erblicken wir auch, mehr als sonst in irgendeinem Saale, eine Menge schon groß gewachsener Kinder, welche, wie ihr bemerken könnet, bald die Tafel anblicken, bald sich wieder mit ihren Lehrern besprechen und bald ganz in sich versunken, die Hände kreuzweise auf die Brust legend, gleich Statuen dastehen. Der ganze Anblick sagt schon, daß es sich hier um etwas außerordentlich Wichtiges handelt.
[GS.02_098,04] Es dürfte vielleicht mancher fragen und sagen: Solches stünde wohl offenbar zu erwarten. Aber wenn man die Sache beim Lichte recht betrachtet, so will dieses auf der Sonnentafel geschriebene Gebot ja doch nichts anderes sagen, als was im Grunde alle früheren Gebote zusammen gesagt haben. Warum muß denn gerade diese Tafel hier also glänzen, während alle vorhergehenden zehn Tafeln nur einfach weiß und wie gewöhnlich mit einer dunklen Substanz beschrieben waren? – Diese Bemerkung ist nicht ganz ohne Gehalt. Dessen ungeachtet verliert sie hier ihren Wert, so wie alle anderen Lehren und Behauptungen gegen ein einziges Wort aus dem Munde des Herrn ihren Schein notwendig verlieren müssen.
[GS.02_098,05] Es verhält sich mit der Sache gerade so, wie es sich auf der Welt in der großen Natur tagtäglich beinahe handgreiflich beurkundet. Nehmen wir an, wie viele tausend und tausendmal tausend kleinere und mitunter auch stärkere und etwas größere Lichter strahlen in jeder Nacht aus den hohen Himmeln zur finsteren Erde herab. Der Mond selbst ist nicht selten die ganze Nacht hindurch tätig. Neben diesen herrlichen Lichtern zünden zur Nachtzeit die Menschen auf der Erde beinahe ebensoviele künstliche Lichter an.
[GS.02_098,06] Bei dieser Fülle von Lichtern und Lichtern sollte man meinen, es müsse in der Nachtzeit auf der Erde vor lauter Licht nicht auszuhalten sein. Allein die Erfahrung hat noch allezeit gezeigt, daß es auf der Erde nach dem Untergange der Sonne trotz der stets mehr und mehr auftauchenden Lichter am Himmel stets finsterer wird, je tiefer sich die Sonne unter den Horizont hinabsenkt.
[GS.02_098,07] Wer kann sagen, diese Lichter seien nicht herrlich? Ja, ein nur mittelmäßiger Verehrer der Wunder Gottes muß beim Anblicke des gestirnten Himmels zur Nachtzeit sich auf die Brust klopfen und sagen: O Herr, ich bin nicht würdig, in diesem Deinem Heiligtume, in diesem Deinem unendlichen Allmachtstempel zu wandeln! Ja fürwahr, man kann in jeder Nacht mit vollem Rechte ausrufen: O Herr! Wer Deine Werke betrachtet, hat eine eitle Lust daran!
[GS.02_098,08] Warum denn eine eitle? Weil ein jeder Mensch für sich im Ernste hinreichend Grund hat, aus lauter Lust und Wonnegefühl darum fromm-eitel zu sein, weil Derjenige, der solche Wunderwerke erschuf, sein Vater ist!! – Es hat also ein jeder billigermaßen ein heiliges Recht darauf, sich zu freuen, wenn er in einer Nacht mehr in sich gekehrt die großen Wunderwerke seines allmächtigen Vaters betrachtet. Und fürwahr, die Flamme einer Lampe und die am Herde ist nicht minder ein Wunderwerk des allmächtigen Vaters, als das glanzvoll strahlende Licht der zahllosen Sterne des Himmels!
[GS.02_098,09] Und sehet nun, aller dieser hoch zu bewundernden Wunderpracht gleicht das Alte Testamentswort in allen seinen Teilen.
[GS.02_098,10] Wir erblicken an diesem alten, aber immer noch nächtlichen Himmel eine kaum zählbare Menge von größeren und kleineren Lichtern. Sie strahlen herrlich, und wer sie betrachtet, wird allezeit mit einer geheimen, heiligen Ehrfurcht erfüllt. Warum? Weil sein Geist Großes ahnt hinter diesen Lichtern. Aber sie sind noch zu weit entfernt von ihm. Er kann schauen und greifen und fühlen, aber die kleinen Lichter wollen mit ihrem großen Inhalte seinem forschenden Geiste nicht näherrücken.
[GS.02_098,11] Wer sind aber diese Himmelslichter in dem alten Himmel des Geistes?
[GS.02_098,12] Sehet, es sind alle die euch bekannten vom Geiste Gottes erfüllten Patriarchen, Väter, Propheten, Lehrer und Führer des Volkes. – Aber auf der Erde gibt es ja auch eine Menge künstlicher Lichter, wer sollen denn diese sein im Alten Testamente? Das sind diejenigen achtenswerten Menschen, die nach dem Worte, welches aus dem gottbegeistigten Menschen kam, treulich lebten und durch ihren Lebenswandel ihre Nachbarn erleuchteten und erquickten.
[GS.02_098,13] Also haben wir diese herrliche Nachtszene vor uns. Wohl werden durch manche nächtliche Partialstürme hie und da die Strahlen des Himmels mit schnell dahineilenden Wolken flüchtig verdeckt. Aber derselbe Sturm, der ehedem eine lichtfeindliche Wolke über das prachtvolle Sternengezelt brachte, eben dieser Sturm treibt diese Wolke über den Horizont hinab, und nach ihm wird das Firmament reiner, als es zuvor war. Alles wird ängstlich ob eines solchen kurzwährenden Sturmes und wünscht sich wieder die ruhige, herrliche, von so vielen tausend Lichtern durchleuchtete Nacht. Aber ein Naturkundiger spricht: Solche Stürme sind nichts als gewöhnliche Vorboten des nahen Tages, daher solle man nicht ängstlich sein.
[GS.02_098,14] Also ist es auch fürwahr. Denn wo große Kräfte in Bewegung gesetzt werden, da kann man doch mit Recht schließen und sagen: Hier kann eine noch größere, ja die allergrößte Urkraft nicht fern sein, denn kleine Winde sind nichts als Seitenströmungen eines nicht sehr fernen großen Orkans. Also hat unser Naturkundiger ja recht, und wir erquicken uns noch immer an der herrlichen Pracht der Wundernacht. –
[GS.02_098,15] Wir schwärmen gleich den Verliebten unter den vielen Fenstern des großen Prachthauses umher, und blicken mit phantasie- und sehnsuchtsvoller Brust hinauf zu den durch eine Nachtlampe schwach erleuchteten Lichtöffnungen des Hauses, hinter denen wir den Gegenstand unserer Liebe wittern.
[GS.02_098,16] Viele Ahnungen, tausend inhaltsschwere Gedanken zucken da gleich Sternschnuppen über unsern Liebehimmel, aber kein solch flüchtiges ephemeres Licht will dem Durste unserer Liebe eine genügende Labung reichen.
[GS.02_098,17] Also geht es den Menschen auch in dem alten nächtlichen Sternenhimmel des Geistes. Aber was geschieht? Durch den Aufgang der Sonne fängt der Horizont an sich zu röten. Heller und heller wird es über dem Horizont des Aufganges. Noch einen Blick nach dem ehemals so herrlichen Himmel, und was ersieht man? – Nichts als einen Stern um den anderen verschwinden. –
[GS.02_098,18] Die Sonne, die herrliche, geht mit ihrem urewigen Tagesglanze auf und kein Sternchen am Himmel ist mehr zu erschauen, denn die eine Sonne hat jedes Himmelsatomchen heller gemacht mit dem einen Lichte, als in der Nacht all die zahllosen Sterne zusammen so etwas zu bewirken imstande gewesen wären.
[GS.02_098,19] Dem harrenden Verliebten, der die ganze Nacht hindurch vergeblich geschwärmt hatte, geht am für ihn inhaltsschweren Hause nur ein Fenster auf. Und von diesem einen Fenster begrüßt ihn der ersehnte Gegenstand seines Herzens und sagt ihm mit einem wohlwollenden Blicke mehr als ehedem die Nacht hindurch seine zahllosen Phantasien und Gedanken!
[GS.02_098,20] So sehen wir in der großen Natur tagtäglich eine Szene, die unserer geistigen vollkommen entspricht.
[GS.02_098,21] Den Mond, gleich dem Moses, sehen wir mit abnehmendem und erblaßtem Lichte hinter das abendliche Gebirge untertauchen, wenn die mächtige Sonne am Morgen über den Horizont emporsteigt. Was auch immer ehedem in der Nacht in ein noch so geheimnisvolles Dunkel gehüllt war, steht jetzt hell erleuchtet vor jedermanns Augen!
[GS.02_098,22] Das alles ist die Wirkung der Sonne. Und am geistigen Himmel alles die Wirkung des Einen Herrn, des Einen Jesus, der da ist der alleinige Einige Gott Himmels und aller Welten!
[GS.02_098,23] Was Er Selbst in Sich ist als die göttliche Sonne aller Sonnen, das ist auch ein jedes einzelne Wort aus Seinem Munde gesprochen gegen alle zahllosen Worte aus dem Munde begeisterter Patriarchen, Väter und Propheten. Zahllose Ermahnungen, Gesetze und Vorschriften ersehen wir im Verlaufe des Alten Testamentes. Das sind Sterne und auch künstliche Lichter der Nacht. Dann aber kommt der Herr, spricht nur ein Wort – und dieses Wort wiegt das ganze Alte Testament auf. –
[GS.02_098,24] Und sehet, aus eben diesem Grunde erscheint auch dieses eine erste Wort hier in diesem elften Saale als eine selbstleuchtende Sonne, deren Licht zahllose Sterne wohl erleuchtet, es aber dagegen ewig nimmer vonnöten hat, sich des Gegenschimmers der Sterne zu bedienen. Denn es ist ja das Urlicht, aus dem alle die zahllosen Sterne ihr teilweises Licht genommen haben.
[GS.02_098,25] Und so wird es auch hier in dieser Erscheinlichkeit sicher begreiflich sein, warum die vormaligen zehn Tafeln nur weiß, also mattschimmernd, aufgerichtet sind, wogegen wir hier das urewige Sonnenlicht dargestellt erschauen, das keines Vor- und Nachtlichtes bedarf, sondern schon in sich alles Licht faßt.
[GS.02_098,26] Wer dieses nur einigermaßen beherzigt, der wird es vollkommen einsehen, warum der Herr gesagt hat: „In diesem Gebote der Liebe sind Moses und alle Propheten enthalten“. Es ist sicher ebensoviel gesagt, als so man natürlichermaßen sagen möchte: Am Tage erblickt man darum die Sterne nicht mehr und hat deren Licht auch nicht mehr vonnöten, weil all ihr Licht in dem einen Lichte der Sonne zahllos aufgewogen wird. – Wie aber durch solches hier die volle Wahrheit sich handgreiflich darbietet, werdet ihr in der Folge ersehen. –
99. Kapitel – Die Liebe Gottes – der Urgrundstoff aller Geschöpfe.
[GS.02_099,01] Die Liebe Gottes ist der Urgrundstoff aller Geschöpfe, denn ohne diese hätte ewig nie etwas erschaffen werden können. Diese Liebe entspricht der allbelebenden und zeugenden Wärme, und nur durch die Wärme sehet ihr die Erde unter euren Füßen grünen.
[GS.02_099,02] Durch die Wärme wird der starre Baum belaubt, blühend, und die Wärme in ihrem Wesen ist es, die die Frucht am Baume reift. Es gibt überhaupt auf der ganzen Erdoberfläche kein Wesen oder Ding, das seinen Ursprung im gänzlichen Wärmemangel nehmen könnte.
[GS.02_099,03] Man wird hier etwa sagen und einwenden: Das Eis ermangelt doch sicher aller Wärme, und besonders das Polareis. Mit dem wird die Wärme doch nicht gar zu viel zu schaffen haben, denn bei nahe vierzig Grad Kälte möchte man wohl dasjenige Wärmemessungsinstrument kennen, das dort noch irgendeine Wärme heraustüpfeln könnte. Ich aber sage hierzu nichts anderes, als daß die Gelehrten dieser Erde das Instrument noch nicht erfunden haben, mit dem sie den eigentlichen Wärmestoff vom eigentlichen Kaltstoffe wohl ausmeßlich absondern und gewissenhaft bestimmen können. Bei uns, die wir im inwendigen reinen Wissen sind, ist ein ganz anderes Maß eingeführt und gebräuchlich.
[GS.02_099,04] Die Gelehrten der Erde fangen da mit der Messung der Kälte an, wo das Wasser gefriert. Wenn beim Gefrierpunkte schon die eigentliche Kälte anfängt, da möchte ich denn doch den Grund wissen, nach welchen Gesetzen oder auf welche Art und Weise dann die Kälte zunehmen kann? Warum empfindet man bei euch eine Temperatur von etwa vier bis fünf Graden unter dem sogenannten Eispunkte noch leidlich erträglich? Wenn aber das Thermometer bis auf achtzehn Grade gesunken ist, da wird ein jeder die Kälte schon sehr schmerzlich empfinden. Kann man hier nicht sagen, und das mit vollem Rechte: Achtzehn Grad Kälte sind darum empfindlicher als vier Grade, weil bei vier Graden offenbar noch mehr Wärme als bei achtzehn Graden vorherrschend ist? Kann man nun achtzehn Grade schon als komplette Kälte annehmen? O nein, denn man hat schon dreißig Grad Kälte erlebt. Diese war noch viel schmerzlicher als die mit achtzehn Graden. Warum? Weil sie wieder bei weitem weniger Wärme in sich enthielt als die mit achtzehn Graden. Aber vierzig Grade werden noch schmerzlicher sein als dreißig. Ist man aber darum schon berechtigt, die vierzig Grade als vollkommen wärmelos zu erklären?
[GS.02_099,05] Ich aber will euch sagen, daß das nichts als Übergänge von der Wärme zur Kälte und also auch umgekehrt sind. Daher kann man diesen viel richtigeren Maßstab annehmen:
[GS.02_099,06] Jedes Ding, jeder Körper, der noch erwärmungsfähig ist, kann nicht völlig kalt genannt werden, sondern er hat ebensoviel Wärme in sich, als wie groß und dicht er ist. Ein Eisklumpen vom höchsten Norden kann am Feuer geschmolzen und das Wasser dann bis zum Sieden gebracht werden. Hätte dieses Eis nicht gebundene Wärme in sich, nimmer könnte es erwärmt werden.
[GS.02_099,07] Kälte ist demnach diejenige Eigenschaft eines Wesens, in der durchaus keine Erwärmungsfähigkeit mehr vorhanden ist. So kann man mit Recht selbst die Bildung des Eises am Nordpole einzig und allein der Reaktion der Wärme zuschreiben, wo sie von der Kälte bedroht ihre Körper ergreift, zusammenzieht und festet, damit sie der eigentlichen Kälte den festesten Widerstand leisten können.
[GS.02_099,08] Die Wärme ist demnach gleich der Liebe, die eigentliche Kälte aber gleicht der eigentlichen höllischen Liebelosigkeit. Wo diese herrschend auftreten will, da bewaffnet sich ihr gegenüber die alles belebende und erhaltende Liebe, und die eigentliche alles ertötende Kälte vermag der so bewaffneten Liebe keinen Sieg abzugewinnen.
[GS.02_099,09] Was heißt denn hernach: „Liebe Gott über alles“? – Natürlicherweise betrachtet kann es unmöglich etwas anderes heißen als:
[GS.02_099,10] Verbinde deine dir von Gott gegebene Lebenswärme mit der dich erschaffenden und erhaltenden Urwärme deines Schöpfers, so wirst du das Leben ewig nimmer verlieren.
[GS.02_099,11] Wirst du aber deine Liebe oder deine Lebenswärme freiwillig von der göttlichen Urlebenswärme trennen und gewisserart als ein selbständig herrschendes Wesen dasein wollen, so wird deine Wärme keine Nahrung mehr haben.
[GS.02_099,12] Du wirst dadurch in einen stets größeren Kältegrad übergehen. Und je tiefer du hinabsinken wirst in die stets mächtiger kaltwerdenden Grade, desto schwerer wird es halten, dich wieder zu erwärmen. Bist du aber in die vollkommene Kälte übergegangen, dann bist du dem Satan ganz anheimgefallen, wo du als rein kalt keiner Erwärmung mehr fähig bist!
[GS.02_099,13] Was da mit dir weiter geschieht, davon weiß kein Engel des Himmels dir eine Silbe zu sagen.
[GS.02_099,14] In Gott sind freilich unendliche Tiefen. Wer aber wird diese ergründen und dabei das Leben behalten? –
[GS.02_099,15] Ich meine, aus dieser kurzen Vorerwähnung wird man schon ziemlich klar anfangen können, sich einen Begriff zu machen, warum dieses Gebot, dieses eine Wort des Herrn, der Inbegriff, ja eine Sonne aller Sonnen und ein Wort aller Worte ist. – In der Folge wollen wir noch mehreres davon sprechen. –
100. Kapitel – Was heißt: Gott über alles lieben?
[GS.02_100,01] Ich sehe einen, der da kommt und spricht: Es wäre schon alles recht, aber wie sollte man dieses eine göttliche Wort an Gott Selbst realisieren? Wie sollte man denn so ganz eigentlich Gott lieben, und das über alles? Sollte man in Gott etwa also verliebt sein, wie ein junger Bräutigam in seine schöne und reiche Braut? Oder sollte man in Gott also verliebt sein, wie ein Mathematiker in eine mathematische Berechnung oder ein Astronom in seine Sterne? Oder sollte man also verliebt sein wie ein Spekulant in seine Ware oder ein Kapitalist in sein Geld oder wie ein Herrschaftsbesitzer in seine Herrschaften oder auch wie ein herrschender Monarch in seinen Thron? Das sind die einzig möglichen Maßstäbe ernster menschlicher Liebe, denn der Kinder Liebe zu ihren Eltern kann man nicht füglich als einen ernsten Maßstab der Liebe aufstellen, indem das Beispiel lehrt, daß Kinder ihre Eltern verlassen können, um entweder irgendeine gute Heirat zu machen oder viel Geld zu gewinnen oder eine hohe Ehrenstelle einzunehmen. Bei all dem tritt die Liebe der Kinder zu ihren Eltern zurück und muß notwendig einer mächtigeren Platz machen. Daher sind hier nur die mächtigsten Maßstäbe der menschlichen Liebe angeführt, und da fragt es sich, nach welchem soll man so eigentlich die Liebe zu Gott bemessen?
[GS.02_100,02] Wenn aber nun jemand kommt und spricht: Nach diesem oder jenem, da sage ich einwendend: Freund! Das kann nicht sein.
[GS.02_100,03] Es ist wahr, die von mir angeführten mächtigsten Liebemaßstäbe sind wohl die einzigen, wonach des Menschen größte Liebekraft bemessen werden kann; aber es heißt ja, man solle Gott über alles lieben, was so viel sagen will als: mehr, als alles in der Welt.
[GS.02_100,04] Da fragt es sich, wie es anfangen, wie die Liebe zu einer Potenz erheben, von der sich kein menschlicher Geist irgendeinen meßbaren oder vergleichbaren Begriff machen kann? Man wird etwa sagen: Man solle Gott noch mehr lieben als sein eigenes Leben. Da sage ich, der Einwender: Mit der Liebe des eigenen Lebens hält die allerhöchste Liebe zu Gott noch weniger irgendeinen Vergleich aus als mit der Liebe der Kinder zu ihren Eltern. Denn es gehört schon viel dazu, daß die Kinder ihr Leben aus Liebe zu ihren Eltern aufs Spiel setzen, im Gegenteil haben sie es lieber, so die Eltern für sie auf Leben und Tod kämpfen.
[GS.02_100,05] Alsonach erscheint die Eigenliebe der Kinder gegenüber der Liebe zu ihren Eltern nicht selten bei weitem mächtiger. Aber wir sehen andererseits, daß die Kinder der Menschen für andere Vorteile häufig ihr Leben beinahe verachtend aufs Spiel setzen. Der eine segelt in stürmischen Nächten über den Ozean, ein anderer stellt sich vor die feuernde Front der feindlichen Armee, ein dritter begibt sich nicht selten in lockere Abgründe der Erde, um sich da metallene Schätze zu holen. Und so sehen wir, daß diese äußeren weltlich-ernsten Maßstäbe menschlicher Liebe sicher kräftiger sind und eine allgemeinere Geltung haben als die Liebe der Kinder zu ihren Eltern und die Liebe zum eigenen Leben.
[GS.02_100,06] Aber was nützen alle diese Maßstäbe, wenn weit über sie hinaus die Liebe zu Gott auf einer solchen Potenz stehen soll, gegen die alle anderen Liebemaßstäbe ins reine Nichts zurücksinken sollen? Sehet, meine lieben Freunde und Brüder, unser Einwender hat uns scharf angegriffen, und wir werden uns recht kräftig auf die Beine stellen müssen, um gegen den Einwender das Übergewicht zu gewinnen.
[GS.02_100,07] Aber ich sehe soeben wieder einen sehr ernstlich aussehenden Gegenkämpfer. Dieser tritt seines Sieges ganz sicher auf und spricht: Oh, mit diesem Einwender werden wir bald fertig werden, denn der Herr hat uns ja selbst den ausdrücklichen Maßstab gegeben, wie man Gott lieben soll. Ich brauche daher nichts anderes zu sagen, als was der Herr Selbst gesagt hat, nämlich: „Wer Meine Gebote hält, der ist es, der Mich liebt“. – Das ist somit der eigentliche Maßstab, wie man Gott lieben soll.
[GS.02_100,08] Wenn der Einwender genug scharfe und starke Zähne hat, so soll er noch versuchen, irgendeine andere unübertreffliche Liebeswaage aufzustellen. Gut, sage ich, der Einwender ist noch zur Seite und macht Miene, diesen Einwurf ein wenig zu zerbeißen. Wir wollen ihn daher anhören und sehen, was er alles vorbringen wird. Er spricht:
[GS.02_100,09] Gut, mein lieber, freundlicher Gegner! In der Aufstellung deiner Einwendung hast du mir gegenüber zum Maßstabe der höchsten Liebe zu Gott nicht viel mehr bewiesen als ein ziemlich gutes Gedächtnis, dem du so manche Texte aus der hl. Schrift zu danken hast. Aber siehe, wer aus all den Texten einen lebendigen Nutzen ziehen will, der muß nicht nur wissen, wie sie lauten, sondern er muß in sich lebendig verstehen, was sie sagen wollen.
[GS.02_100,10] Was würdest du denn sagen, so ich dir eben aus dem Munde des Herrn Selbst gesprochen nicht nur einen, sondern mehrere Gegensätze dazu aufstellen würde, laut denen der Herr Selbst die Liebe aus der Erfüllung des Gesetzes als nicht genügend darstellt? Du machst zwar jetzt ein Gesicht, als möchtest du sagen: Dergleichen Texte dürften in der Schrift doch wohl etwas karg ausgestreut sein. Ich aber erwidere dir: Lieber Freund, durchaus nicht. Höre mich nur an, ich will dir gleich mit einem halben Dutzend, so du es willst, aufwarten.
[GS.02_100,11] Ist dir das Gespräch des Herrn mit dem reichen Jünglinge bekannt? Fragt nicht dieser: „Meister, was soll ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Was antwortet ihm da der Herr? Du sprichst triumphierend: Der Herr spricht: „Halte die Gebote und liebe Gott, so wirst du leben!“ Gut, sage ich, was spricht aber der Jüngling? Er spricht: „Meister, das habe ich von meiner Kindheit an gehalten“.
[GS.02_100,12] Das ist alles richtig. Warum aber, frage ich, hat der Jüngling diese Antwort dem Herrn gegeben? Er wollte Ihm dadurch sagen: Trotzdem ich das alles von meiner Kindheit an gehalten habe, verspüre ich dennoch nichts von dem wunderbaren ewigen Leben in mir.
[GS.02_100,13] Warum erklärt der Herr nun darauf dem Jünglinge die Haltung der Gebote zur Erreichung des ewigen Lebens nicht als genügend, sondern macht sogleich einen sehr gewaltigen Zusatz, indem Er spricht: „So verkaufe alle deine Güter, verteile sie unter die Armen und folge Mir nach!“
[GS.02_100,14] Frage, wenn der Herr also Selbst einen solchen Zusatz macht, genügen da als höchste Liebe zu Gott die beobachteten Gesetze? Siehe, da hat es schon einen Haken, gehen wir aber weiter!
[GS.02_100,15] Was spricht einmal der Herr zu Seinen Aposteln und Jüngern, als Er ihnen die zu erfüllenden Pflichten vorstellt und anpreist? Er spricht nichts anderes als bloß die einfachen, sehr bedeutungsvollen Worte: „Wenn ihr aber alles getan habt, da bekennet, daß ihr faule und unnütze Knechte seid“.
[GS.02_100,16] Ich frage dich nun: Erklärt hier der Herr die Haltung der Gebote als genügend, indem Er doch offenbar erklärt, daß ein jeder das Gesetz vollkommen erfüllende Mensch sich als völlig unnütz betrachten solle? Siehe, da wäre der zweite schon etwas gewaltigere Haken. Aber nur weiter!
[GS.02_100,17] Kennst du das Gleichnis von dem Pharisäer und Zöllner im Tempel? Der Pharisäer gibt sich frohen Gewissens vor dem Heiligtume selbst das treue Zeugnis, daß er, wie gar viele nicht, das Gesetz Mosis in seinem ganzen Umfange allezeit genauest, also vollkommen buchstäblich erfüllt habe. Der arme Zöllner rückwärts in einem Winkel des Tempels aber gibt durch seine ungemein demütige Stellung jedem Beobachter getreu zu erkennen, daß er eben mit der Haltung des Mosaischen Gesetzes nicht gar viel muß zu schaffen gehabt haben, denn seiner Sünden gar wohl inne, getraut er sich nicht einmal zum Heiligtume Gottes hinaufzublicken, sondern bekennt selbst seine Wertlosigkeit vor Gott und bittet Ihn um Gnade und Erbarmen.
[GS.02_100,18] Da möchte ich denn doch wohl wissen von dir, du mein lieber textkundiger Freund, warum, wenn das Gesetz genügt, der Herr hier den das ganze Gesetz streng beobachtenden Pharisäer als ungerechtfertigt und den armen sündigen Zöllner als gerechtfertigt aus dem Tempel gehen läßt?
[GS.02_100,19] Siehe, wenn man das so recht beim Lichte betrachtet, so scheint es, als hätte der Herr da mit der alleinigen Haltung des Gesetzes schon wieder Selbst einen dritten sehr bedeutenden Haken gemacht. Du zuckst nun schon mit den Achseln und weißt nicht mehr, wie du daran bist. Mache dir aber nichts daraus, es soll schon noch besser kommen! Also nur weiter.
[GS.02_100,20] Was möchtest du denn sagen, wenn ich dir aus der Schrift, und zwar aus dem Munde des Herrn Selbst einen Text anführen möchte, laut welchem Er das ganze Gesetz indirekt als ungültig erklärt und dafür ein ganz anderes Hilfsmittel setzt, durch welches Er Selbst einzig und allein die Gewinnung des ewigen Lebens verbürgt?
[GS.02_100,21] Du sprichst nun: Guter Freund, diesen Text möchte ich auch hören. Sollst ihn gleich haben, mein lieber Freund! Was spricht einmal der Herr, als Er ein Kind am Wege fand, es aufnahm, herzte und kosete? Er spricht: „So ihr nicht werdet wie dieses Kind, so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen!“
[GS.02_100,22] Frage: Hat dieses Kind, das noch kaum einige Worte zu lallen imstande war, die Gesetze Mosis je studiert und dann sein Leben streng darnach gerichtet? Auf der ganzen Welt gibt es sicher keinen so dummen Menschen, der so etwas behaupten könnte. Frage demnach: Wie konnte der Herr hier als höchstes Motiv zur Gewinnung des ewigen Lebens ein Kind bezeichnen, das mit dem ganzen Gesetze Mosis noch nie ein Jota zu tun hatte? Freund, ich sage hier nichts weiter als: So es dir beliebt, so mache mir darüber eine einwendliche Erörterung. Du schweigst. So ersehe ich, daß du mit deiner Aufstellung dich bei diesem vierten Haken schon ziemlich tief in den Hintergrund zurückgezogen hast. –
101. Kapitel – Worin besteht die Liebe zu Gott?
[GS.02_101,01] Du hast in diesen vier Punkten gesehen, daß der Herr einesteils die alleinige Haltung des Gesetzes zur Erlangung des eigentlichen ewigen Lebens nicht als hinreichend darstellt und in dem vierten Punkte dasselbe sogar indirekt aufhebt.
[GS.02_101,02] Was möchtest du aber sagen, so ich dir ein paar Punkte anführen möchte, wo der Herr sich über die Haltung des Gesetzes sogar tadelnd ausspricht? Du sagst hier: Das wird wohl nicht möglich sein! Dafür kann ich dir sogleich nicht nur mit einem, sondern, so du es willst, mit mehreren Beispielen aufwarten. Höre!
[GS.02_101,03] Jeder, der das Mosaische Gesetz in seinem Umfange nur einigermaßen durchblättert hat, dem muß es bekannt sein, wie sehr Moses die Gastfreundschaft dem jüdischen Volke anbefohlen hat. Wer sich gegen die Gastfreundschaft versündigte, war vor Gott und vor den Menschen für strafwürdig erklärt. Das Gesetz der Gastfreundschaft ward dem jüdischen Volke, welches sehr zur Habsucht geneigt war, um so mehr eingeschärft, um dieses Volk dadurch vor der Eigenliebe und Habsucht zu verwahren und es zur Nächstenliebe zu leiten.
[GS.02_101,04] Gesetz war es daher, einen fremden Gast, besonders wenn er der jüdischen Nation angehörte, mit aller Aufmerksamkeit zu empfangen und zu bedienen; und dieses Gesetz rührte von Gott her, denn Gott, und nicht Moses, war der Gesetzgeber.
[GS.02_101,05] Als aber eben derselbe Herr, der einst durch Moses die Gesetze gegeben hatte, zu Bethania in das Haus des Lazarus kommt, da ist Martha gesetzesbeflissenst und bietet alle ihre Kräfte auf, um diesen allerwürdigsten Gast gebührendst zu bedienen. Maria, ihre Schwester, vergißt vor lauter Freude über den erhabenen Gast des Gesetzes, setzt sich untätig zu Seinen Füßen hin und hört mit der größten Aufmerksamkeit die Erzählungen und Gleichnisse des Herrn an. Martha, über ihrer Schwester Untätigkeit und Gesetzesvergessenheit bei dieser Gelegenheit ein wenig erregt, wendet sich selbst eifrig zum Herrn und spricht: „Herr! ich habe so viel zu tun, beheiße Du doch meine Schwester, daß sie mir ein wenig helfe!“ – Oder noch deutlicher gesprochen: Herr, Du Gründer des Mosaischen Gesetzes, erinnere doch meine Schwester an die Haltung desselben.
[GS.02_101,06] Was spricht aber der Herr hier? „Martha, Martha!“ spricht Er, „du machst dir viel zu schaffen um Weltliches! Maria aber hat sich den besseren Teil erwählt, welcher ewig nimmer wird von ihr genommen werden.“
[GS.02_101,07] Sage du mir nun, mein lieber Freund, ob das nicht ein offenbarer Tadel vom Herrn gegen die gar emsige und genaue Haltung des Gesetzes ist, wie im Gegenteil eine außerordentliche Belobung derjenigen Person, die sich gewisserart um das ganze Gesetz nicht kümmert, sondern nur durch ihre Handlungsweise also spricht (Maria):
[GS.02_101,08] Herr, so ich nur Dich habe, da ist mir die ganze Welt um den schlechtesten Stater feil! – Zeigt hier der Herr nicht wieder, daß die alleinige Haltung des Gesetzes niemandem den bessern, ja besten Teil gibt, der ewig nimmer von ihm genommen wird? Siehe, das ist demnach ein fünfter Haken. Aber nur weiter!
[GS.02_101,09] Was spricht der Herr Selbst bei Moses, und zwar im dritten Gebot: „Du sollst den Sabbat heiligen!“? Frage, was tut aber der Herr Selbst im Angesichte Seiner buchstäblichen Erfüller des Gesetzes? Siehe, Er geht her und entheiligt Selbst den Sabbat, offenbar nach dem Buchstabensinne des Gesetzes, und erlaubt sogar Seinen Jüngern, an einem Sabbat Ähren zu lesen und sich mit den Körnern zu sättigen. Wie gefällt dir diese Haltung des Gesetzes Mosis, wo der Herr Selbst nicht nur allein für Sich, sondern zum größten Ärgernisse der buchstäblichen Gesetzeserfüller den ganzen Sabbat sozusagen über den Haufen wirft? Du wirst sagen, das konnte der Herr ja wohl tun, denn Er ist auch ein Herr des Sabbates.
[GS.02_101,10] Gut, aber ich frage: Wußten die sich ärgernden Pharisäer, daß des Zimmermanns Sohn ein Herr des Sabbats ist? – Du meinst, sie hätten solches an Seinen Wunderwerken erkennen sollen. Da aber sage ich: Bei diesem Volke waren Wunderwerke nicht hinreichend, um die vollkommene Göttlichkeit in Christo zu erkennen, denn Wunderwerke haben alle Propheten gewirkt zu allen Zeiten, die echten wie auch mitunter die falschen. Man kann also das nicht voraussetzen, daß die Wunder Christi die Pharisäer von Seiner Göttlichkeit und Herrlichkeit hätten überzeugen sollen.
[GS.02_101,11] Alle Propheten aber bis auf Ihn haben den Sabbat geheiligt, Er allein warf ihn über den Haufen. Mußte das nicht den Buchstabenerfüllern ein Ärgernis sein? Allerdings, und dennoch ließ der Herr nicht mit Sich handeln.
[GS.02_101,12] Was geht aber aus dem hervor? Nichts anderes, als daß der Herr die Haltung des Gebotes allein für sich betrachtet ganz unten ansetzt. Warum? Ein kleines Gleichnis aus deiner eigenen Sphäre wie aus der Sphäre eines jeden Menschen, der je in der Welt gelebt hat, soll dir die Antwort bringen:
[GS.02_101,13] Ein Vater hat zwei Kinder. Er hat diesen Kindern seinen Willen wie gesetzlich bekanntgegeben. Einen Acker und Weingarten zeigte er ihnen und sprach: Ihr seid kräftig geworden, und so verlange ich von euch, daß ihr für mich nun den Weingarten und den Acker fleißig bearbeitet. Aus eurem Fleiße werde ich erkennen, welcher von euch beiden mich am meisten liebt. Nun, das ist das Gesetz, laut welchem natürlich demjenigen Sohne, der den Vater am meisten liebt, des Vaters Herrlichkeit zuteil wird.
[GS.02_101,14] Was tun aber die beiden Söhne? Der eine nimmt den Spaten und sticht den ganzen Tag fleißig die Erde um und bestellt den Acker und den Weingarten. Der andere läßt sich bei der Arbeit mehr, wie man zu sagen pflegt, gut geschehen. Warum? Er spricht: Wenn ich auf dem Acker oder in dem Weingarten bin, da muß ich stets meinen lieben Vater entbehren, zudem bin ich nicht so herrlichkeitssüchtig wie mein Bruder. Habe ich nur meinen lieben Vater, kann ich nur um Ihn sein, der meinem Herzen alles ist, da frage ich wenig um eine oder die andere Zuteilung einer Herrlichkeit.
[GS.02_101,15] Der Vater sagt diesem zweiten Sohne auch dann und wann: Aber siehe, wie dein Bruder fleißig arbeitet und sucht sich meine Liebe zu verdienen. Der Sohn aber spricht: O lieber Vater! Wenn ich am Felde bin, da bin ich dir fern, und mein Herz läßt mich nicht ruhen, sondern spricht immer laut zu mir: Die Liebe wohnt nicht in der Hand, sondern im Herzen, daher will sie auch nicht mit der Hand, sondern mit dem Herzen verdient sein! Gib Du, Vater, meinem Bruder, der so emsig arbeitet, den Acker und den Weingarten. Ich aber bin von dir hinreichend beteilt, wenn du mir nur erlaubst, daß ich dich nach meiner Herzenslust allezeit lieben darf, wie ich dich lieben will und muß, weil du mein Vater, mein Alles bist.
[GS.02_101,16] Was wird nun da wohl der Vater sagen, und das aus dem innersten Grunde seines Herzens? Sicher nichts anderes als:
[GS.02_101,17] Ja, du mein geliebtester Sohn, dein Herz hat dir das meinige enthüllt; das Gesetz ist nur eine Prüfung. Aber mein Sohn, die Liebe steckt nicht im Gesetze, denn jeder, der das Gesetz allein hält, hält dasselbe aus Eigenliebe, um sich dadurch mit seiner Tatkraft Meine Liebe und Meine Herrlichkeit zu verdienen. Der aber also das Gesetz hält, der ist noch fern von Meiner Liebe, denn seine Liebe hängt nicht an Mir, sondern am Lohne.
[GS.02_101,18] Du aber hast dich umgekehrt, hast das Gesetz zwar nicht verschmäht, weil es dein Vater gegeben hat, aber du hast dich erhoben über das Gesetz, und deine Liebe führte dich über demselben zu deinem Vater zurück. Also soll denn auch dein Bruder den Acker und den Weingarten überkommen und in meine Herrlichkeit treten; du aber, mein geliebtester Sohn, sollst haben, was du gesucht hast, nämlich den Vater Selbst und alle Seine Liebe!
[GS.02_101,19] Ich meine, mein lieber Freund, aus diesem Gleichnisse wird es etwa doch handgreiflich klar sein, was da mehr ist, die allein trockene Gesetzhaltung oder deren Übergehung und das Ergreifen der alleinigen Liebe.
[GS.02_101,20] Sollte dir die Sache noch nicht völlig klar sein, da frage ich dich: So du Gelegenheit hättest, dir aus zwei Jungfrauen eine Braut zu wählen, von denen du zwar überzeugt wärest, daß dich beide lieben, aber noch nicht dessen völlig gewiß, welche dich am meisten liebt. Würdest du nicht sehr wünschen, zu erfahren, welche dich am meisten liebt, um sonach die dich am meisten Liebende zu wählen? Du sprichst: Das ist ganz klar; aber wie es anstellen, um das zu erfahren? Das wollen wir sogleich haben.
[GS.02_101,21] Siehe, zu der ersten kommst du hin. Sie ist emsig und tätig. Aus Liebe zu dir weiß sie sich aus lauter Arbeit nicht aus, und zwar aus lauter Arbeit für dich, denn sie macht für dich Hemden, Strümpfe, Nachtleibchen und noch mehr dergleichen Kleidungsstücke. Sie hat damit so vollauf zu tun, daß sie nicht selten aus lauter Arbeit kaum gewahr wird, wenn du zu ihr kommst. Siehe, das ist die erste. – Die zweite arbeitet sehr lässig. Sie arbeitet zwar auch für dich, aber ihr Herz ist zu sehr mit dir beschäftigt, als daß sie ihre Aufmerksamkeit der Arbeit spenden könnte. Besuchst du sie, und sie erblickt dich von weitem zu ihr kommend, da ist von einer Arbeit keine Rede mehr; denn da kennt sie nichts Höheres, nichts Verdienstlicheres als dich allein! Du allein bist ihr alles in allem, für dich gibt sie alle Welt! Sage mir, welche der beiden wirst du dir wählen?
[GS.02_101,22] Du sprichst: Lieber Freund! Um eine ganze Trillion ist mir die zweite lieber, denn was liegt mir an den paar Hemden und Strümpfen? Offenbar ist hier ersichtlich, daß mich die erste ja nur dadurch zu verdienen sucht, daß sie von mir die Anerkennung ihres Verdienstes erzwingen will. Die andere aber sucht mich zu erlieben. Sie ist über alle Verdienstlichkeit hinaus und kennt nichts Höheres als mich und meine Liebe. Diese würde ich auch zu meinem Weibe nehmen.
[GS.02_101,23] Gut, sage ich dir, mein lieber Freund, siehst du hier nicht deutlich das Wesen der Martha und der Maria? Siehst du, was der Herr zu der gesetzesbeschäftigten Martha spricht und was zu der müßigen Maria?
[GS.02_101,24] Aus dem aber kannst du auch ersehen, was der Herr über das Gesetz hinaus von jedem Menschen verlangt, und zugleich handgreiflich zu erkennen gibt, worin die Liebe des Menschen zu Gott besteht. – Aus eben dem Grunde verflucht der Herr sogar, erregt in Seinem Herzen, die Buchstabenerfüller des Gesetzes (die Pharisäer und Schriftgelehrten nämlich), lobt den sündigen Zöllner und macht den Dieben, Hurern und Ehebrechern das Himmelreich eher zugänglich als den trockenen Buchstabendreschern.
[GS.02_101,25] Daher frage ich, der Einwender, nun mit vollstem Rechte noch einmal, nach welchem Maßstabe man Gott über alles lieben soll? Habe ich den Maßstab, dann habe ich alles, habe ich aber den Maßstab nicht, dann liebe ich wie einer, der nicht weiß, was die Liebe ist. Daher noch einmal die Frage:
[GS.02_101,26] Wie soll man Gott über alles lieben? – Und ich, Johannes, sage: Gott über alles lieben heißt:
[GS.02_101,27] Gott über alles Gesetz hinaus lieben! – Wie das, soll die Folge zeigen. –
102. Kapitel – Wie man Gott über alles liebt.
[GS.02_102,01] Um aber gründlich zu erfahren und einzusehen, wie man Gott über das Gesetz hinaus lieben soll, muß man wissen, daß das Gesetz an und für sich nichts anderes als der trockene Weg zur eigentlichen Liebe Gottes ist.
[GS.02_102,02] Wer Gott in seinem Herzen zu lieben anfängt, der hat den Weg schon zurückgelegt; wer aber Gott nur durch die Haltung des Gesetzes liebt, der ist mit seiner Liebe noch immer ein Reisender auf dem Wege, allda keine Früchte wachsen und nicht selten Räuber und Diebe des Wanderers harren.
[GS.02_102,03] Wer aber Gott rein liebt, der liebt Ihn schon über alles! Denn Gott über alles lieben heißt ja: Gott über alles Gesetz hinaus lieben. Wer draußen am Wege ist, der muß fortwährend Schritt um Schritt weiterschreiten, um so auf die mühevollste Weise das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Wer aber Gott alsogleich liebt, der überspringt den ganzen Weg, also das ganze Gesetz, und er liebt sogestalt Gott über alles.
[GS.02_102,04] Man dürfte hier vielleicht sagen: Das klingt sonderbar, denn nach unseren Begriffen heißt „Gott über alles lieben“: Gott mehr lieben als alles in der Welt. – Gut, sage ich und frage aber zugleich: Welchen Maßstab hat aber der Mensch dafür, um solch eine Liebe zu bemessen? Der Einwender hat diese Maßstäbe der für den Menschen höchst möglichen Liebe auf der Welt deutlich genug auseinandergesetzt und gezeigt, daß der Mensch auf diese Weise für die Über-alles-Liebe zu Gott durchaus keinen Maßstab hat.
[GS.02_102,05] Ich aber sage: Ist durch das gegebene Gesetz nicht alles dargetan, wie sich der Mensch in seiner Begierde zu den weltlichen Dingen zu verhalten hat? Im Gesetze sind sonach alle Dinge dargestellt, und daneben für die Liebe des Menschen die gerechte Beschränkung gegeben, nach der sich ein jeder Mensch zu den weltlichen Dingen zu verhalten hat.
[GS.02_102,06] Wenn aber nun jemand Gott über das Gesetz hinaus liebt, der liebt Ihn sicher auch über alle weltlichen Dinge hinaus, weil, wie gesagt, eben durch das Gesetz die Benutzung der weltlichen Dinge und das Verhalten zu denselben nach der göttlichen Ordnung dargestellt wird. Ein kurzer Nachtrag in vergleichender Stellung wird die ganze Sache sonnenklar machen.
[GS.02_102,07] Der Herr spricht zum reichen Jünglinge: „Verkaufe alles, teile es unter die Armen, und folge Mir!“ – Was heißt das? Mit anderen Worten nichts anderes als: So du, Jüngling, das Gesetz beobachtet hast, so erhebe dich nun über dasselbe, gib der Welt alle Gesetze und alle ihre Dinge zurück, und du bleibe bei Mir, so hast du das Leben!
[GS.02_102,08] Wer wird hier nicht erkennen, was Gott über das Gesetz hinaus lieben heißt?
[GS.02_102,09] Weiter spricht der Herr zu den Jüngern: „So ihr nicht werdet wie dies Kindlein, so werdet ihr nicht in das Reich Gottes eingehen.“ Was will denn das sagen? Nichts anderes als:
[GS.02_102,10] So ihr nicht wie dieses Kindlein, alles in der Welt nicht achtend, weder das Gesetz, noch die Dinge der Welt, zu Mir kommet und Mich wie dieses Kind mit aller Liebe ergreifet, so werdet ihr nicht in das Reich Gottes eingehen! Warum denn nicht? Weil der Herr Selbst wieder spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!“ Wer also zu Mir, der Ich vollkommen eins bin mit dem Vater, kommen will, der muß durch Mich in den Stall oder das Reich Gottes eingehen.
[GS.02_102,11] Solange sonach jemand nicht den Herrn Selbst ergreift, so lange kann er nicht zu Ihm kommen, und wenn er gleich wie ein Fels tausend Gesetze unveränderlich beobachtet hätte. Denn wer am Wege noch ist, der ist noch nicht beim Herrn, wer aber beim Herrn ist, was sollte der noch mit dem Wege zu schaffen haben?
[GS.02_102,12] Aber hier unter euch gibt es Toren, und das zu vielen Hunderttausenden, die den Weg viel höher halten als den Herrn. Und wenn sie schon beim Herrn sind, so kehren sie wieder um und entfernen sich von Ihm, um nur am elenden Wege zu sein! Solche haben mehr Freude an der Knechtschaft, an der Sklaverei, an dem harten Joche als an dem Herrn, der jeden Menschen frei macht. Sein Joch ist überaus leicht und sanft Seine Bürde. Leicht das Joch, auf daß es im Zuge des Lebens nicht drücke am Nacken der Liebe zum Herrn und gar sanft die Bürde, welche ist das alleinige Gesetz der Liebe! – Weiter sehen wir ein Beispiel.
[GS.02_102,13] Der gerechte Pharisäer lobt sich selbst am Wege; aber der Zöllner findet den ganzen Weg überaus beschwerlich. Denn nimmer vermag er dessen Ziel zu überschauen. Er beugt sich daher zutiefst vor dem Herrn in seinem Herzen, erkennt seine Schwäche und Unfähigkeit, den Weg genau zu gehen. Dafür aber erfaßt er Gott den Herrn mit seinem Herzen und macht dadurch einen Riesensprung über den ganzen beschwerlichen Weg und erreicht dadurch sein Ziel!
[GS.02_102,14] Wer wird hier nicht mit den Händen greifen, was „den Herrn über alles lieben“ heißt? – Also gehen wir weiter. Die Martha ist am Wege, die Maria am Ziele! Hier braucht man kaum mehr darüber zu sagen, denn zu klar und deutlich zeigt sich hier, was „den Herrn über alles lieben“ heißt.
[GS.02_102,15] Wollen wir aber die Sache zum Überflusse noch klarer haben, da betrachten wir noch die Szene, wo der Herr den Petrus dreimal fragt, ob er Ihn liebe? – Warum fragt Er ihn denn dreimal? Denn der Herr wußte ja ohnehin, daß Ihn Petrus lieb hatte, und wußte auch, daß Ihm Petrus die drei gleichen Fragen alle mit demselben Herzen und demselben Munde gleichbedeutend beantworten wird. Das wußte der Herr. Nicht darum auch hat Er diese Frage an den Petrus gestellt, sondern darum, daß der Petrus bekennen sollte, daß er frei ist und den Herrn über alles Gesetz hinaus liebe. Und so bedeutet die erste Frage: „Petrus, liebst du Mich?“ – Petrus, hast du Mich gefunden auf dem Wege? – Solches bejaht Petrus, und der Herr spricht: „Weide Meine Schafe“, das heißt: Lehre auch die Brüder Mich also finden! – Die zweite Frage: Petrus, liebst du Mich? heißt: Petrus, bist du bei Mir, bist du an der Türe? – Der Petrus bejaht solches, und der Herr spricht: „Also weide Meine Schafe!“ oder: Also bringe auch die Brüder, daß sie bei Mir seien an der Türe zum Leben! – Und zum dritten Male fragt der Herr den Petrus: „Liebst du Mich?“ Das heißt so viel als: Petrus, bist du über alles Gesetz hinaus? Bist du in Mir wie Ich in dir? – Ängstlich bejaht Petrus solches, und der Herr spricht abermals: „Also weide Meine Schafe und folge Mir!“ Das heißt so viel als: Also bringe du auch die Brüder, daß sie in Mir seien und in Meiner Ordnung und Liebe wohnen gleich wie du.
[GS.02_102,16] Denn dem Herrn folgen heißt: in der Liebe des Herrn wohnen. Ich meine, mehr noch zu sagen, was Gott über alles lieben heißt, wäre überflüssig. Und da wir nun solches wissen und das Licht des Lichtes erkannt haben, so wollen wir uns sogleich in den zwölften und letzten Saal begeben.
103. Kapitel – Zwölfter Saal – 12. Gebot: Die Nächstenliebe.
[GS.02_103,01] Wir sind darin und erblicken hier in der Mitte dieses großen und prachtvollen Saales ebenfalls wieder eine Sonnentafel und in deren Mitte mit rotleuchtender Schrift geschrieben: „Dies ist dem ersten gleich, daß du deinen Nächsten liebest wie dich selbst; darinnen ist das Gesetz und die Propheten.“ – Da dürfte sogleich jemand aufstehen und sagen: Wie soll das zu verstehen sein: den Nächsten wie sich selbst lieben? Die Sichselbst- oder Eigenliebe ist ein Laster, somit kann die gleichförmige Nächstenliebe doch auch nichts anderes als ein Laster sein, indem die Nächstenliebe auf diese Weise die Selbst- oder Eigenliebe ja offenbar als Grund aufstellt. Will ich als ein tugendhafter Mensch leben, so darf ich mich nicht selbst lieben. Wenn ich mich aber nicht selbst lieben darf, so darf ich ja auch den Nächsten nicht lieben, indem das Liebeverhältnis zum Nächsten dem Eigenliebeverhältnisse als vollkommen gleichlautend entsprechen soll. Demnach hieße ja „den Nächsten wie sich selbst lieben“ den Nächsten gar nicht lieben, weil man sich selbst auch nicht lieben soll.
[GS.02_103,02] Sehet, das wäre schon so ein gewöhnlicher Einwurf, dem zu begegnen freilich nicht gar zu schwer fallen dürfte. Indem eines jeden Menschen Eigenliebe so viel als sein eigenes Leben selbst ausmacht, so versteht sich in diesem Grade die natürliche Eigenliebe von selbst, denn keine Eigenliebe haben, hieße so viel als kein Leben haben!
[GS.02_103,03] Es handelt sich hier demnach darum, den Unterschied zwischen der gerechten und ungerechten Eigenliebe zu erkennen.
[GS.02_103,04] „Gerecht“ ist die Eigenliebe, wenn sie nach den Dingen der Welt kein größeres Verlangen hat, als was ihr das rechte Maß der göttlichen Ordnung zugeteilt hat, welches Maß in dem siebenten, neunten und zehnten Gebote hinreichend gezeigt wurde. Verlangt die Eigenliebe über dieses Maß hinaus, so überschreitet sie die bestimmten Grenzen der göttlichen Ordnung und ist beim ersten Übertritte schon als Sünde zu betrachten. Nach diesem Maßstabe ist demnach auch die Nächstenliebe einzuteilen; denn so jemand einen Bruder oder eine Schwester über dieses Maß hinaus liebt, so treibt er mit seinem Bruder oder mit seiner Schwester Abgötterei und macht ihn dadurch nicht besser, sondern schlechter.
[GS.02_103,05] Früchte solcher übermäßigen Nächstenliebe sind zumeist alle die heutigen und allzeitigen Beherrscher der Völker. Wieso denn? – Irgendein Volk hat einen aus seiner Mitte wegen seiner mehr glänzenden Talente über das gerechte Maß hinaus geliebt, machte ihn zum Herrscher über sich und mußte es sich hernach gefallen lassen, von ihm oder von seinen Nachkommen für diese Untugend empfindlich gestraft zu werden.
[GS.02_103,06] Man wird hier sagen: Aber Könige und Fürsten müssen ja doch sein, um die Völker zu leiten, und sie seien von Gott Selbst eingesetzt. – Ich will dagegen nicht gerade verneinend auftreten, aber die Sache beleuchten, wie sie ist und wie sie sein sollte, will ich hier bei dieser Gelegenheit.
[GS.02_103,07] Was spricht der Herr zum israelitischen Volke, als es einen König verlangte? Nichts anderes als: „Zu allen Sünden, die dieses Volk vor Mir begangen hat, hat es auch die größte hinzugefügt, daß es, mit Meiner Leitung unzufrieden, einen König verlangt“. – Aus diesem Satze läßt sich, meine ich, hinreichend erschauen, daß die Könige von Gott aus dem Volke nicht als Segen, sondern als ein Gericht gegeben werden.
[GS.02_103,08] Frage: Sind Könige notwendig an der Seite Gottes zur Leitung der Menschheit? Diese Frage kann mit derselben Antwort beantwortet werden wie eine andere Frage, welche also lautet: Hat der Herr bei der Erschaffung der Welt und bei der Erschaffung des Menschen irgendeines Helfers vonnöten gehabt?
[GS.02_103,09] Frage weiter: Welche Könige und Fürsten, zu jeder Zeit wie gegenwärtig helfen dem Herrn, die Welten in ihrer Ordnung zu erhalten und sie auf ihren Bahnen zu führen? Welchen Herzog braucht Er für die Winde, welchen Fürsten für die Ausspendung des Lichtes und welchen König zur Überwachung des unendlichen Welten- und Sonnenraumes? Vermag aber der Herr ohne menschlich fürstliche und königliche Beihilfe den Orion zu gürten, dem Großen Hunde seine Nahrung zu reichen und das große Welten- und Sonnenvolk in unverrücktester Ordnung zu erhalten, sollte Er da wohl vonnöten haben, bei den Menschen dieser Erde Könige und Fürsten einzusetzen, die Ihm in seinem Geschäfte helfen sollten?
[GS.02_103,10] Gehen wir auf die Urgeschichte eines jeden Volkes zurück, und wir werden finden, daß ein jedes Volk uranfänglich eine rein theokratische Verfassung hatte, das heißt, sie hatten keinen andern Herrn über sich als Gott allein. Erst mit der Zeit, als hie und da Völker mit der höchst freien und liberalsten Regierung Gottes unzufrieden wurden, weil es ihnen unter solcher zu gut ging, da fingen sie an, sich gegenseitig übermäßig zu lieben. Und gewöhnlich ward irgendein Mensch besonderer Talente halber der allgemeinen Liebe zum Preise. Man verlangte ihn zum Führer. Aber beim Führer blieb es nicht, denn der Führer mußte Gesetze geben, die Gesetze mußten sanktioniert werden, und so ward aus dem Führer ein Herr, ein Gebieter, ein Patriarch, dann ein Fürst, ein König und ein Kaiser.
[GS.02_103,11] Also sind Kaiser, Könige und Fürsten von Gott aus nie erwählt worden, sondern nur bestätigt zum Gerichte für diejenigen Menschen, die zufolge ihres freien Willens solche Kaiser, Könige und Fürsten aus ihrer Mitte erwählt hatten und ihnen alle Gewalt über sich eingeräumt haben.
[GS.02_103,12] Ich meine, es wird diese Beleuchtung hinreichen, um einzusehen, daß jedes Übermaß sowohl der Eigen- als der Nächstenliebe vor Gott ein Greuel ist.
[GS.02_103,13] Den Nächsten sonach wie sich selbst lieben heißt: den Nächsten in der gegebenen göttlichen Ordnung lieben, also in jenem gerechten Maße, welches von Gott aus einem jeden Menschen von Urbeginn an zugeteilt ist. Wer solches noch nicht gründlich einsehen möchte, dem will ich noch ein paar Beispiele hinzufügen, aus denen er klar ersehen kann, welche Folgen das eine wie das andere Übermaß mit sich bringt.
[GS.02_103,14] Nehmen wir an, in irgendeinem Dorfe lebt ein Millionär. Wird dieser das Dorf beglücken, oder wird er es ins Unglück stürzen? Wir wollen sehen. Der Millionär sieht, daß es mit den öffentlichen Geldbanken schwankt; was tut er? Er verkauft seine Obligationen und kauft dafür Realitäten, Güter. Die Herrschaft, zu der er früher nur ein Untertan war, befindet sich wie gewöhnlich in großen Geldnöten. Unser Millionär wird angegangen, der Herrschaft Kapitalien zu leihen. Er tut es gegen gute Prozente und auf die sichere Hypothek der Herrschaft selbst. Seine Nachbarn, die anderen Dorfbewohner, brauchen auch Geld. Er leiht es ihnen ohne Anstand auf Grundbuch-Eintrag. Die Sache geht etliche Jahre fort. Die Herrschaft wird immer unvermögender und die Dorfnachbarn nicht wohlhabender. Was geschieht? Unser Millionär packt zuerst die Herrschaft, und diese, nicht im Besitz eines Groschen Geldes mehr, muß sich auf Gnade und Ungnade ergeben, bekommt höchstens aus lauter Großmut ein Reisegeld, und unser Millionär wird Herrschaftsinhaber und zugleich Herr über seine ihm schuldenden Nachbarn. Diese, weil sie ihm weder Kapital noch Interessen zu zahlen imstande sind, werden bald abgeschätzt und gepfändet.
[GS.02_103,15] Hier haben wir die ganz natürliche Folge des Glückes, welches ein Millionär oder ein Besitzer des Übermaßes der Eigenliebe den Dorfbewohnern bereitet hat. Mehr braucht man darüber nicht zu sagen. – Gehen wir aber auf den zweiten Fall über.
[GS.02_103,16] Es lebt irgendwo eine überaus dürftige Familie. Sie hat kaum so viel, um ihr tägliches Leben kümmerlichst zu fristen. Ein überaus reicher und auch selten wohltätiger Mann lernt diese arme, aber sonst brave und schätzenswerte Familie kennen. Er, im Besitze von mehreren Millionen, erbarmt sich dieser Familie und denkt bei sich: Ich will diese Familie auf einmal wahrhaft zum Schlagtreffen glücklich machen. Ich will ihr eine Herrschaft schenken und noch dazu ein ansehnliches Vermögen von einer halben Million. Dabei will ich die Freude haben, zu sehen, wie sich die Gesichter dieser armen Familie sonderlich aufheitern werden. – Er tut es, wie er beschlossen. Eine ganze Woche lang werden in der Familie nichts als Freudentränen vergossen, auch dem lieben Herrgott wird manches „Gott sei Dank“ entgegengesprochen.
[GS.02_103,17] Betrachten wir diese beglückte Familie aber nur ungefähr ein Jahr später, und wir werden an ihr allen Luxus so gut entdecken, als er nur immer in den Häusern der Reichen zu Hause ist. Diese Familie wird zugleich auch hartherziger und wird sich nun an allen jenen geheim zu rächen bemüht sein, die sie in ihrer Not nicht haben ansehen wollen. Das „Gott sei Dank“ wird verschwinden, aber dafür werden Equipage, livrierte Bediente u. dgl. m. eingeführt.
[GS.02_103,18] Frage: Hat dieses große Übermaß der Nächstenliebe dieser armen Familie genützt oder geschadet? Ich meine, hier braucht man nicht viel Worte, sondern nur mit den Händen nach all dem Luxus zu greifen, und man wird es auf ein Haar finden, welchen Nutzen diese Familie fürs ewige Leben durch ein an ihr verübtes Übermaß der Nächstenliebe empfangen hat. Aus dem aber wird ersichtlich, daß die Nächstenliebe sowie die Eigenliebe stets in den Schranken des gerechten göttlichen Ordnungsmaßes zu verbleiben hat.
[GS.02_103,19] Wenn der Mann sein Weib über die Gebühr liebt, da wird er sie verderben. Sie wird eitel, wird sich hochschätzen und wird daraus eine sogenannte Kokette. Der Mann wird kaum Hände genug haben, um überall hinzugreifen, daß er die Anforderungen seines Weibes befriedigt.
[GS.02_103,20] Auch ein Bräutigam, wenn er seine Braut zu sehr liebt, wird sie dreist und am Ende untreu machen.
[GS.02_103,21] Also ist das gerechte Maß der Liebe allenthalben vonnöten. Dennoch aber besteht die Nächstenliebe in etwas ganz anderem, als wir bis jetzt haben kennengelernt. – Worin aber innerer geistiger Weise die Nächstenliebe besteht, das wollen wir im Verfolge dieser Mitteilung klar erkennen lernen. –
104. Kapitel – Worin besteht die eigentliche wahre Nächstenliebe?
[GS.02_104,01] Um gründlich zu wissen, worin die eigentliche wahre „Nächstenliebe“ besteht, muß man zuvor wissen und gründlich verstehen, wer so ganz eigentlich ein Nächster ist. Darin liegt der Hauptknoten begraben. Man wird sagen: Woher sollte man das nehmen? Denn der Herr Selbst, als der alleinige Aufsteller der Nächstenliebe, hat da nirgends nähere Bestimmungen gemacht. Als Ihn die Schriftgelehrten fragten, wer der Nächste sei, da zeigte Er ihnen bloß in einem Gleichnisse, wer ein Nächster zum bekannten verunglückten Samaritan war, nämlich ein Samaritan selbst, der ihn in die Herberge brachte und zuvor Öl und Wein in seine Wunden goß.
[GS.02_104,02] Aus dem aber geht hervor, daß nur unter gewissen Umständen die verunglückten Menschen „Nächste“ an ihren Wohltätern haben und sind somit auch umgekehrt die „Nächsten“ zu ihren Wohltätern. Wenn es also nur unter diesen Umständen „Nächste“ gibt, was für Nächste haben dann die gewöhnlichen Menschen, welche weder selbst ein Unglück zu bestehen haben, noch irgend einmal in die Lage kommen, einem Verunglückten beizuspringen? Gibt es denn keinen allgemeineren Text, der die Nächsten näher bezeichnet? Denn bei diesem ist nur die höchste Not und auf der andern Seite eine große Wohlhabenheit, gepaart mit einem guten Herzen, als Nächstentum einander gegenübergestellt.
[GS.02_104,03] Wir wollen daher sehen, ob sich nicht solche ausgedehntere Texte vorfinden. Hier wäre einer, und dieser lautet also:
[GS.02_104,04] „Segnet, die euch fluchen, und tuet Gutes euren Feinden!“ – Das wäre ein Text, aus welchem klar zu ersehen ist, daß der Herr die Nächstenliebe sehr weit ausgedehnt hat, indem Er sogar die Feinde und Flucher nicht ausgenommen hat.
[GS.02_104,05] Ferner lautet ein anderer Text: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“. Was will der Herr damit anzeigen? Nichts anderes, als daß der Mensch keine Gelegenheit vorübergehen lassen soll, um dem Nächsten Gutes zu tun. Er gestattet sogar, in äußerer Hinsicht genommen, eine offenbare Veruntreuung am Gute eines Reichen, wenn dadurch, freilich nur im höchsten Notfalle, vielen oder wenigstens mehreren Bedürftigen geholfen werden kann.
[GS.02_104,06] Weiter finden wir einen Text, wo der Herr spricht: „Was ihr immer einem aus diesen Armen Gutes tut in Meinem Namen, das habt ihr Mir getan“. – Diesen Satz bestätigt der Herr bei der Darstellung des „jüngsten“ oder geistigen Gerichtes, da Er zu den Auserwählten spricht: „Ich kam nackt, hungrig, durstig, krank, gefangen und ohne Dach und Fach zu euch, und ihr habt Mich aufgenommen, gepflegt, bekleidet, gesättigt und getränkt“ – und desgleichen zu den Verworfenen, wie sie solches nicht getan haben. Die Guten entschuldigen sich, als hätten sie solches nie getan, und die Schlechten, als möchten sie solches wohl getan haben, so Er zu ihnen gekommen wäre. Und der Herr deutet dann deutlich an:
[GS.02_104,07] „Was immer ihr den Armen in Meinem Namen getan oder nicht getan habt, das galt Mir.“ –
[GS.02_104,08] Aus diesem Texte wird die eigentliche Nächstenliebe schon ziemlich klar herausgehoben, und es wird gezeigt, wer demnach die eigentlichen Nächsten sind.
[GS.02_104,09] Wir wollen aber noch einen Text betrachten. Dieser lautet also: „So ihr Gastmähler bereitet, da ladet nicht solche dazu, die es euch mit einem Gegengastmahle vergelten können. Dafür werdet ihr keinen Lohn im Himmel haben, denn solchen habt ihr auf der Welt empfangen. Ladet aber Dürftige, Lahme, Bresthafte, in jeder Hinsicht arme Menschen, die es euch nicht wieder vergelten können, so werdet ihr euren Lohn im Himmel haben. Also leihet auch denen euer Geld, die es euch nicht wieder zurückerstatten können, so werdet ihr damit für den Himmel wuchern. Leihet ihr aber euer Geld denen, die es euch zurückerstatten können samt Interessen, so habt ihr euren Lohn dahin. Wenn ihr Almosen gebet, da tut solches im stillen, und eure rechte Hand soll nicht wissen, was die linke tut. Und euer Vater im Himmel, der im Verborgenen sieht, wird euch darum segnen und belohnen im Himmel!“
[GS.02_104,10] Ich meine, aus diesen Texten sollte man schon fast mit den Händen greifen, wer vom Herrn aus als der eigentliche Nächste bezeichnet ist. Wir wollen darum sehen, was für ein Sinn dahintersteckt.
[GS.02_104,11] Überall sehen wir vom Herrn aus nur Arme den Wohlhabenden gegenübergestellt. Was folgt daraus? Nichts anderes, als daß die Armen den Wohlhabenden gegenüber als die eigentlichen Nächsten vom Herrn aus bezeichnet und gestellt sind, und nicht Reiche gegen Reiche und Arme gegen Arme. Reiche gegen Reiche können sich nur dann als Nächste betrachten, wenn sie sich zu gleich guten, Gott wohlgefälligen Zwecken vereinen. Arme aber sind sich ebenfalls nur dann als Nächste gegenüberstehend, so sie sich ebenfalls nach Möglichkeit in der Geduld und in der Liebe zum Herrn wie unter sich brüderlich vereinen.
[GS.02_104,12] Der erste Grad der Nächstenliebe bleibt demnach immer zwischen den Wohlhabenden und Armen, und zwischen den Starken und Schwachen, und steht in gleichem Verhältnisse mit dem zwischen Eltern und Kindern.
[GS.02_104,13] Warum aber sollen die Armen gegenüber den Wohlhabenden, die Schwachen gegenüber den Starken, wie die Kinder gegenüber den Eltern als die Allernächsten betrachtet und behandelt werden? Aus keinem andern als aus folgendem ganz einfachen Grunde, weil der Herr, als zu einem jeden Menschen der Allernächste, Sich nach Seinem eigenen Ausspruche vorzugsweise in den Armen und Schwachen wie in den Kindern auf dieser Welt repräsentiert. Denn Er spricht ja Selbst: „Was immer ihr den Armen tut, das habt ihr Mir getan!“ – Werdet ihr Mich schon nicht immer wesenhaft persönlich unter euch haben, so werdet ihr aber dennoch allezeit Arme als gewisserart (wollte der Herr sagen) Meine vollkommenen Repräsentanten unter euch haben.
[GS.02_104,14] Also spricht der Herr auch von einem Kinde: „Wer ein solches Kind in Meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf“.
[GS.02_104,15] Aus allem dem geht aber hervor, daß die Menschen gegenseitig sich nach dem Grade mehr oder weniger als „Nächste“ zu betrachten haben, je mehr oder weniger sie erfüllt sind vom Geiste des Herrn. Der Herr aber spendet seinen Geist nicht den Reichen der Welt, sondern allezeit nur den Armen, Schwachen und weltlich Unmündigen. Der Arme ist dadurch schon mehr und mehr vom Geiste des Herrn erfüllt, weil er ein Armer ist, denn die Armut ist ja ein Hauptanteil des Geistes des Herrn.
[GS.02_104,16] Wer arm ist, hat in seiner Armut Ähnlichkeit mit dem Herrn, während der Reiche keine hat. Diese kennt der Herr nicht. Aber die Armen kennt Er. Daher sollen die Armen den Reichen die Nächsten sein, zu denen sie, die Reichen, kommen müssen, wenn sie sich dem Herrn nahen wollen; denn die Reichen können sich unmöglich als die dem Herrn Nächsten betrachten. Der Herr Selbst hat bei der Erzählung vom reichen Prasser die unendliche Kluft zwischen Ihm und ihnen gezeigt. Nur den armen Lazarus stellt Er in den Schoß Abrahams, also als Ihm, dem Herrn, am nächsten.
[GS.02_104,17] So zeigte der Herr auch bei der Gelegenheit des reichen Jünglings, wer zuvor seine Nächsten sein sollten, bevor er wieder kommen möchte zum Herrn und Ihm folgen. Und allenthalben stellt der Herr so die Armen wie die Kinder als Ihm die Nächsten oder auch als Seine förmlichen Repräsentanten dar. Diese soll der Wohlhabende lieben wie sich selbst, nicht aber auch zugleich die seinesgleichen. Denn darum sprach der Herr, daß dieses Gebot der Nächstenliebe dem ersten gleich ist, womit Er nichts anderes sagen wollte als: Was ihr den Armen tuet, das tut ihr Mir!
[GS.02_104,18] Daß sich aber die Reichen nicht gegenseitig als die Nächsten betrachten sollen, erhellt daraus, wie der Herr spricht, daß die Reichen nicht wieder Reiche zu Gaste laden und ihr Geld nicht wieder den Reichen leihen sollen, wie auch daraus, daß Er dem reichen Jünglinge nicht geboten hat, seine Güter an die Reichen, sondern an die Armen zu verteilen.
[GS.02_104,19] Wenn aber irgendein Reicher sagen möchte: Meine Allernächsten sind doch meine Kinder, da sage ich: Mitnichten! Denn der Herr nahm nur ein armes Kind, das am Wege bettelte, auf und sprach: wer ein solches Kind in Meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf! Mit Kindern der Reichen hat der Herr nie etwas zu tun gehabt.
[GS.02_104,20] Aus dem Grunde begeht der Reiche, wenn er ängstlich für seine Kinder sorgt, eine gar starke Sünde gegen die Nächstenliebe. Der Reiche sorgt dadurch für seine Kinder am besten, wenn er für eine dem Herrn wohlgefällige Erziehung sorgt und sein Vermögen nicht für seine Kinder spart, sondern es zum allergrößten Teile den Armen zuwendet. Tut er das, so wird der Herr seine Kinder ergreifen und sie führen den besten Weg. Tut er das nicht, so wendet der Herr Sein Angesicht weg von Ihnen, zieht Seine Hände zurück und überläßt schon ihre zarteste Jugend den Händen der Welt, das heißt aber den Händen des Teufels, damit dann aus ihnen Weltkinder, Weltmenschen, was so viel sagen will als selbst Teufel werden.
[GS.02_104,21] Wüßtet ihr, wie bis in den untersten, dritten Grad der Hölle alle die Stammkapitalien und besonders die Fideikommisse vom Herrn auf das Erschrecklichste verflucht sind, ihr würdet da vor Schreck und Angst zur Härte eines Diamanten erstarren!
[GS.02_104,22] Daher sollen ja alle Reichen, wo immer sie sein mögen, dieses soviel als möglich beherzigen, ihr Herz soviel als möglich von ihren Reichtümern abwenden und damit, nämlich mit den Reichtümern, soviel als möglich Gutes tun, wollen sie der ewigen Selchküche entgehen. Denn es gibt jenseits eine zweifache Selchanstalt, eine langwierige in düsteren Örtern, von denen aus nur unbegreiflich eingeschmälerte Pfade führen, auf denen es den Wanderern nicht viel besser ergeht wie den Kamelen vor den Nadelöhren. Es gibt aber auch eine ewige Selchanstalt, aus der meines Wissens bis jetzt noch keine Pfade führen. – Das also zur Beherzigung für Reiche wie auch für jedermann, der irgend so viel besitzt, daß er den Armen noch immer etwas tun kann. Daraus aber ist nun dargetan, worin die eigentliche Nächstenliebe besteht. Also auch wird sie hier in der Sonne gelehrt und fortwährend ausgeübt. – Wie aber solches geschieht, wollen wir in der Folge näher betrachten. –
105. Kapitel – Praktischer Unterricht der jenseitigen Schüler in der Nächstenliebe.
[GS.02_105,01] Ihr wißt, daß mit dem bloß theoretischen Wissen und Glauben nirgends etwas getan ist. Was nützt es jemanden, wenn er seinen Kopf mit tausend noch so richtigen Theorien angestopft hat? Was nützt es jemanden, wenn er alles für unbedingt wahr hält, was in dem Buche des Lebens geschrieben steht? Das alles nützt einem gerade soviel, als so sich jemand alle musikalischen Theorien buchstäblich zu eigen gemacht hätte und auch zu der Einsicht gelangt wäre, daß er, würde er sich der Theorien praktisch bedienen, im Ernste die eminentesten Kompositionen zustande brächte, oder wenigstens einen auserlesenen Virtuosen auf dem einen oder andern Instrumente abgeben würde. Frage: Wird er mittels aller dieser gründlichen theoretischen Kenntnisse ohne die geringste praktische Fertigkeit irgendein Stück von einigem Werte zu komponieren imstande sein? Oder wird er auch nur den leichtesten Takt einer Komposition entweder schlechthin zu singen oder auf einem Musikinstrumente vorzutragen vermögen? Sicher nicht, denn ohne praktische Übung nützt keine Theorie etwas.
[GS.02_105,02] Es ist dasselbe, als so es irgendeinen törichten Vater gäbe, der da sein Kind zwar pflegen würde und seinen Verstand ausbilden, ihm aber die Füße stets verbunden hielte. Frage: Wird das Kind gehen können, wenngleich es andere gehen sah und alle Geharten und Fußbewegungen durch einen spanischen Tanzmeister theoretisch kennengelernt hätte? Der erste Schritt, den es wagt, wird schon so unsicher ausfallen, daß das nur theoretisch gebildete Kind sogleich am Boden liegen wird.
[GS.02_105,03] Es ist damit mehr als klar gezeigt, daß das alleinige Wissen ohne Praxis zu nichts taugt! denn es ist ein brennender Lüster in einem leeren Saale, dessen Licht für sich allein brennt und niemandem zugute kommt. Demnach ist die tatsächliche Ausübung dessen, was man erkannt hat und weiß, unfehlbar die alleinige Hauptsache. Und da es im Reiche der reinsten Geister allzeit vorzugsweise aufs Tun ankommt und die Tätigkeit aus der Nächstenliebe der Hauptgrundsatz alles geistigen Wirkens ist, so wird eben dieses Gebot der Nächstenliebe hier auch mehr tatsächlich als theoretisch gelehrt.
[GS.02_105,04] Wie aber? Diese, wie ihr sehet, schon erwachsenen Schüler werden bei allerlei Gelegenheiten von den schon vollkommeneren Geistern mitgenommen und müssen besonders bei den Neuangelangten von der Erde die wahrhaftigen Nächsten, die weniger Nächsten und dann auch die Fernen unterscheiden lernen. Sie müssen da erkennen, wie sie sich zu den Nächsten, zu den weniger Nächsten und zu den Fernen zu verhalten haben.
[GS.02_105,05] Bekanntlich ist das Mitleidsgefühl der Jugend größer als das des festen Mannesalters. Daher geschieht es auch, daß diese Schüler alles, was ihnen begegnet, mit großem Mitleid und großer Erbarmung aufnehmen.
[GS.02_105,06] Sie möchten gleich alles in den Himmel hineinschieben, indem sie aus der Erfahrung noch nicht wissen, daß der Himmel nur den eigentlichen Allernächsten eine große Seligkeit gewährt, den weniger Nächsten und den Fernen aber eine größere, auch allergrößte Qual ist. Bei diesen Gelegenheiten also lernen sie erst völlig erkennen, wie die eigentliche Nächstenliebe darin besteht, daß man einem jeden Wesen seine Freiheit lassen muß und ihm geben das Seinige.
[GS.02_105,07] Denn wenn man jemandem etwas anderes tun will, als was dessen Liebe verlangt, so hat man ihm keinen Liebesdienst erwiesen. Wenn einer seinen Nachbarn um einen Rock bittet, und der Nachbar gibt ihm stattdessen einen Laib Brot, wird der Bittende damit zufrieden sein? Sicher nicht, denn er hat ja nur um den Rock, aber nicht um das Brot gebeten.
[GS.02_105,08] Wenn jemand in ein Haus geht und verlangt eine Braut, und man gibt ihm anstatt der Braut einen Korb voll Salzes, wird er damit zufrieden sein? Und wenn jemand einen Weg in einen gegen Norden gelegenen Ort machen möchte, wo er ein Geschäft hat, ein Freund aber läßt seinen Wagen einspannen, nimmt den Geschäftsmann, der nach Norden soll, auf und fährt mit ihm nach Süden, wird ihm damit geholfen sein?
[GS.02_105,09] Daher müssen die Geister, ehe sie ihre Nächstenliebe in die praktische Anwendung bringen wollen, erst genau die Liebart der Geister erforschen, die ihnen zugeführt werden. Wie sich diese Liebe vorfindet, gerade also muß auch nach dieser Liebe gehandelt werden.
[GS.02_105,10] Wer in die Hölle will, muß dahin sein Geleite haben, denn also ist seine Liebe, ohne welche es für ihn kein Leben gibt. Und wer in den Himmel will, dem muß jene Leitung werden, daß er, auf den gerechten Wegen geläutert, dann vollkommen befähigt in den Himmel gelangt und da als ein wahrer geheiligter Bürger bestehen kann.
[GS.02_105,11] Aber es ist auch nicht genug, einen Geist in einen und denselben Himmel zu bringen, sondern der Himmel muß der Liebe des Geistes auf ein Atom entsprechen, denn jeder andere Himmel wird sich mit einem himmlischen Bürger nicht vertragen, und es wird ihm darin ergehen, wie einem Fische in der Luft.
[GS.02_105,12] Denn eines jeden Menschen Liebeart ist das ihm eigentümliche Lebenselement. Findet er dieses nicht, so ist es um sein Leben bald geschehen. Daher muß auch die Nächstenliebe im Reiche der reinen Geister höchst genau und richtig geläutert und gebildet werden, ehe diese Geister wahrhaft in der göttlichen Ordnung die Neuangekommenen wie auch die schon lange im Geisterreiche Seienden wahrhaft beseligend und belebend aufzunehmen imstande sind.
[GS.02_105,13] Die Bildung dieser Nächstenliebe und ihre Läuterung besteht demnach in dem, die Liebeart in den Geistern zu erforschen und zu erkennen, und dann aber auch die Wege der göttlichen Ordnung zu erkennen und einzusehen, auf welchen diese Geister zu führen und wie sie zu führen sind.
[GS.02_105,14] Keinem Geiste darf irgend Gewalt angetan werden. Sein freier Wille, gepaart mit seiner Erkenntnis, bestimmt den Weg und die Liebe des Geistes die Art und Weise, wie er auf demselben zu leiten ist.
[GS.02_105,15] Wenn die Geister erst an den Ort ihrer ihnen zusagenden Liebe kommen und dort bösartig auftreten, dann erst ist es an der Zeit – aber wieder nur nach der Art der Bosheit – strafend entgegenzuwirken.
[GS.02_105,16] Und sehet nun, in allem dem, was die Nächstenliebe betrifft, werden unsere Schüler auf das genaueste praktisch unterrichtet. Haben sie darin eine Fertigkeit erlangt, bekommen sie die Weihe der Vollendung. Sie werden dann auf eine genau verhältnismäßig bestimmte Zeit den auf der Erde lebenden Menschen als Schutzgeister beigegeben, zumeist aus dem Grunde, um sich bei dieser Gelegenheit in der wahren Geduld des Herrn zu üben. Ihr glaubt es kaum, wie schwer es einem solchen himmlisch gebildeten Geiste fällt, mit den halsstarrigen Menschen dieser Erde so im höchsten Grade nachgebend umzugehen, daß diese es nie merken, daß sie von einem solchen Schutzgeiste auf allen Wegen begleitet und nach ihrer Liebe geleitet werden.
[GS.02_105,17] Fürwahr, es ist keine Kleinigkeit, wenn man mit aller Macht und Kraft ausgerüstet ist und darf als Anfänger nicht Feuer vom Himmel rufen, sondern muß da im Bewußtsein seiner Macht und Kraft fortwährend zusehen, wie der einem anvertraute Mensch sich in allerlei Argem der Welt begründet und des Herrn mehr und mehr vergißt.
[GS.02_105,18] Eine Kindsmagd hat mit dem bengelhaftest unartigen Kinde einen barsten Himmel gegen der Aufgabe eines im Anfang seiner Mission stehenden Schutzgeistes. Wie viele Tränen müssen diese vergießen, und ihr ganzes Einwirken darf nur in einem allerleisesten Gewissenseinflüstern bestehen oder höchstens bei außerordentlichen Gelegenheiten in der Verhütung gewisser Unglücksfälle, welche auf die Sterblichen der Erde von der Hölle angelegt sind. In allem übrigen dürfen sie nicht einwirken.
[GS.02_105,19] Nun aber stellt euch nur ein wenig das nicht selten bittere Los eines sogenannten Hauslehrers oder Hofmeisters vor, wenn er recht rohe und bengelhafte Kinder zur Erziehung bekommt. Ist da nicht ein Holzhauerzustand besser? Sicher, denn das Holz läßt sich nach dem Willen des Holzhauers fällen und spalten, aber das ungehobelte Kind spottet des Willens seines Meisters. Doch dieser Zustand ist kaum ein leisester Schatten gegen den eines Schutzgeistes, dessen Schutzbefohlener entweder ein Geizhals, ein Dieb, ein Räuber, ein Mörder, ein Spieler, ein Hurer und Ehebrecher ist. Solche Greueltaten muß der Schutzgeist stets passiv mit ansehen und darf mit all seiner Kraft nicht im geringsten vorgreifend entgegenwirken. Und wenn schon bei manchen Gelegenheiten ein Vorgriff gestattet ist, so muß er aber dennoch so klug angelegt werden, daß der Schützling dadurch in der Freiheitssphäre seines Willens nicht im geringsten behindert wird, sondern höchstens nur in der tatsächlichen Ausführung desselben.
[GS.02_105,20] Sehet, das ist sonach das zweite praktische Geschäft, in welchem sich unsere geweihten Schüler in der Nächstenliebe und vorzüglich in der Geduld des Herrn üben müssen. – Was aber mit ihnen nach dieser Geduldübung geschieht, wird die Folge zeigen. –
106. Kapitel – Wesen und Folgen des Lasters.
[GS.02_106,01] Wenn unsere in der Geduld wohl geübten Schüler von ihrem Amte gewöhnlich nach dem Ableben eines ihnen anbefohlenen Schützlings von dieser äußeren Welt zurückkehren, dann haben sie noch so lange in ihrer Nähe zu verbleiben, solange der naturmäßig-geistige Zustand der Seele eines hier verstorbenen Menschen dauert. Zur Zeit der Enthüllung oder Abödung, da ein jeder Geist ohnehin sich selbst gänzlich überlassen bleibt, kehren sie dann wieder in die geistige Sonne zurück. Von da an erst geht es auf eine neue Bestimmung aus. – Wohin aber? Das ist sehr leicht zu erraten, wenn man bedenkt, daß unsere Schüler bis jetzt hinreichend Gelegenheit gehabt haben, die Gesetzwidrigkeiten zuerst als Lehrlinge geistig-wissenschaftlich, dann als Schutzgeister praktisch zu beschauen und zu erkennen.
[GS.02_106,02] Daß aber hinter diesen Erkenntnissen noch ein drittes steckt, und hinter dem dritten noch ein viertes, das muß einem jeden klar sein, der weiß, daß jedes Laster eine gewisse Folge als das erreichte Ziel in sich hat, und daß sich erst in diesem Ziele der Grund oder die Hauptursache des Lasters erkennen läßt. Denn wenn jemand die Folgen des Lasters nicht geschaut hat und nicht völlig den Grund des Lasters erkennt, so hat er immer noch keine genügend frei und feste Abneigung gegen das Laster. Ersieht er aber einmal solches und erkennt es lebendig, wie die Folge eine ganz ordnungsmäßige und unabänderliche ist und wie sie in sich schon solchen Grund birgt, dann erst wird er aus seinem freien Erkennen und Wollen ein vollkommen fester Gegner alles Lasters.
[GS.02_106,03] Wo aber müssen unsere Schüler hingehen, um solches zu erkennen? Sie müssen an der Seite mächtiger und wohlerfahrener Geister die Höllen durchwandern, und zwar von der ersten bis zur letzten und untersten. In der ersten und zweiten erschauen sie die Folgen des Lasters, und besonders in der zweiten, wie sich innerhalb der noch wohlersichtlichen Folgen der Grund des Lasters schon mehr und mehr durchleuchtend erschauen läßt. Und in der dritten und untersten Hölle erst lernen sie den Grund oder die Hauptursache alles Lasters erkennen.
[GS.02_106,04] Es dürfte vielleicht mancher sagen: Die Folge und der Grund sind zwei Punkte eines Kreises, die auf einem und demselben Punkte zusammentreffen, denn sicher begeht niemand eine Handlung aus einem andern Grunde als allein aus dem, den er eben als die Folge seiner Handlung realisiert haben will.
[GS.02_106,05] Wenn z.B. einer den diebischen Entschluß faßt, jemandem das Geld zu stehlen, so haben ihn dazu die Liebe zum Gelde und sein Vorteil zu dieser Handlung bestimmt; das war sicher der Grund seiner Handlung. Hat er sich nun auf diebische Weise des Geldes bemächtigt, so war diese Bemächtigung doch sicher die Folge seiner Handlung. Dies war und ist aber nichts anderes als der realisierte frühere Grund zu der Handlung selbst.
[GS.02_106,06] Ich aber sage: Wenn man die Sache von dem Standpunkte betrachtet, dann tut man nichts anderes, als an seiner eigenen Erkenntnis einen Hochverrat begehen, und zeigt dadurch an, daß man mit der inneren Weisheit noch nie etwas zu tun gehabt hat. Daher wollen wir sogleich ein Gegenbeispiel aufstellen, aus dem sich klar ersehen lassen wird, daß die Folge und der eigentliche Grund der Handlung ganz verschieden aussehen.
[GS.02_106,07] Bevor wir aber das Beispiel aufstellen, müssen wir einige Sätze kundgeben, welche aus der göttlichen Ordnung herausfließen und somit jeder Handlung die bestimmte Folge von Ewigkeit her anzeigen, in welcher dann im Einklange mit der Handlung sich der Grund ersehen läßt.
[GS.02_106,08] Die Sätze aber lauten also: Jede Handlung hat eine von Gott aus entsprechend bestimmt sanktionierte Folge. Diese Folge ist das unabänderliche Gericht, welches jeder Handlung unterschoben ist. Also ist es vom Herrn gestellt, daß sich jede Handlung am Ende selbst richtet.
[GS.02_106,09] Wie aber von jeder guten Handlung der Herr nur als ein Grund anzunehmen ist, also verhält es sich auch mit jeder bösen Handlung. Auch jede böse Handlung hat demnach allezeit ihren einen und denselben Grund. Das sind die Lehrsätze.
[GS.02_106,10] Nun wollen wir diese beispielsweise beleuchten. Nehmen wir einen Hurer an. Dieser trieb, solange er lebte, ohne Schonung und ohne die geringste Rücksicht auf was immer für Personen die Unzucht. Äußerlich konnte niemand die Folgen des Lasters an ihm erschauen, denn der Leib ist nicht immer ein Folgenspiegel des Lasters. Dieser Mensch aber hatte durch seine lasterhafte Handlungsweise seinen Geist ganz in die grobe fleischlich-materielle Liebe herabgezogen, hat seine Lebenskräfte vergeudet, materiell und geistig genommen. Was bleibt ihm am Ende übrig? Nichts als ein Polypenleben seiner Seele. Diese langt jenseits mit nichts als mit ihrer sinnlich-fleischlichen Genußbegierde an. Ihr Bestreben ist das eines Polypen, nämlich in ihrer Art unausgesetzt fortzugenießen. Von einer geistig dirigierenden Reaktion ist da keine Rede mehr, indem der Geist schon bei Leibesleben bis auf den letzten Tropfen mit der sinnlichen Seele verschmolzen worden ist.
[GS.02_106,11] Frage: Kann jenseits eine solche Seele für eine höhere Belebung zugänglich oder fähig sein? Wer solches völlig einsehen will, der fange sich einmal einen Polypen aus dem Meere und versuche, ob er aus ihm einen Luftspringer machen kann. Diese Arbeit wird sicher niemandem gelingen, denn sobald er den Polypen aus seinem Schlammelement hebt und auf einen trockenen Ort in die reine Luft setzt, wird der Polyp bald absterben, einschrumpfen, in die Verwesung übergehen und endlich zu einem leimartigen Klumpen vertrocknen.
[GS.02_106,12] Sehet, gerade derselbe Fall ist es mit einer solchen geilen, genußsüchtigen Seele. Sie ist ein Schlammpolyp und hat nur eine lebenerregende Begierde, nämlich die des Genießens. Ihre ganze Intelligenz geht dahin, sich die Genüsse zu verschaffen. Was ist demnach die Folge? Nichts anderes als dieser elende und höchst klägliche Zustand der Seele selbst, nämlich das stets tiefere Zurücksinken in das allergemeinst und niedrigst Tierische. Und dieser Zustand ist eben das, was man die „erste Hölle“ nennt. Diese ist somit die Folge, und zwar die ganz natürliche, ordnungsmäßig gerechte Folge, indem die Seele durch diese verbotene Handlungsweise am Ende in denjenigen untersten Tierzustand zurückkehrt, aus dem sie früher vom Herrn durch so viele Stufen aufwärts bis zum freien Menschen erhoben wurde.
[GS.02_106,13] Dieser Zustand als Folge aber wird vom Herrn in bezug auf die Genußbegierde darum so überaus kümmerlich gehalten, damit dadurch der in der Seele noch immer sich vorfindende Geist mehr und mehr von der Sinnlichkeit ausscheiden möchte. Diese Operation ist die einzige, durch welche eine solche Seele samt ihrem Geiste noch möglicherweise rettbar ist und sein kann. Denn wird die Seele also fortgenährt, so wird sie in ihrer Begierde immer stärker, und da wird von der Rettung des Geistes wohl ewig nie eine Rede sein können.
[GS.02_106,14] Was ist aber im schlimmen Falle gewöhnlich die zweite Folge dieser notwendigen Behandlungsweise?
[GS.02_106,15] Höret! Da der Geist einer solchen Seele mit ihr völlig eins war, so ist auch seine ganze Liebe in die Begierlichkeit seiner Seele übergegangen. Wird er nun durch das Fasten der Seele freier, so tritt er dann böswillig und überaus tief beleidigt und gekränkt auf, darum, daß man ihn durch Vorenthalt der Nahrung für seine leibhaftige Seele hat verkümmern lassen, um ihn dadurch zu bändigen.
[GS.02_106,16] Aus solcher Beleidigung und Kränkung geht der Geist in einen Zorn über und verlangt Entschädigung. Wo aber findet er diese? In der zweiten Hölle!
[GS.02_106,17] Was ist nun die zweite Hölle? Nichts anderes als die Folge der ersten. Und in dieser Folge läßt sich schon auf den eigentlichen Urgrund der ersten Handlungsweise blicken.
[GS.02_106,18] Denn der Zorn ist nichts anderes als eine Frucht der übermäßigen Selbstliebe, und diese hat ihre Wurzeln in der Herrschsucht, welche die Triebfeder zu allen Lastern ist und hat die dritte oder unterste Hölle zu ihrem Wohnsitze. – Wie sich aber aus der zweiten Hölle endlich auch eine dritte entwickelt, und wie unsere Schüler solches alles praktisch mit anschauen und erfahren müssen, das wollen wir in der Folge betrachten. –
107. Kapitel – In der zweiten Hölle.
[GS.02_107,01] Wisset ihr, warum die Menschen auf der Erde den Gehorsam leisten? Die Antwort ist sehr leicht. Etwa aus großer Achtung vor der Person des Herrschers? O nein! Denn was man hochachtet, über das schimpft man im geheimen nicht, noch weniger verflucht und verwünscht man es. Dergleichen aber geschieht nicht selten von seiten der Untertanen gegenüber ihrem Monarchen. Dem man aber nicht aus Achtung gehorcht, dem gehorcht man noch weniger aus Liebe. Also können wir hier keinen andern Grund des Gehorsams auffinden als die Furcht.
[GS.02_107,02] Worauf gründet sich die Furcht? Diese gründet sich erstens auf die eigene Ohnmacht, zweitens auf die Übermacht des Herrschers und drittens auch darauf, daß man weiß, daß ein Monarch mit dem Leben seiner Untertanen bei gewissen Gelegenheiten nicht schonend umgeht. Einem Menschen, der nicht selten mit mehr als einer Million Mordwerkzeugen versehen ist und für die Tötung eines wie vieler Menschen niemandem eine Rechenschaft schuldig ist, dem ist in keinem Falle übers Maß zu trauen; denn der Zorn eines Herrschers kann der Tod von vielen Tausenden sein.
[GS.02_107,03] Wenn wir die Sache betrachten, wie sie ist, so stellt sich immer mehr heraus, daß die Todesfurcht das Hauptmotiv des Gehorsams ist.
[GS.02_107,04] Nehmen wir an, in einem Staate wären lauter vollkommen wiedergeborene geistesgeweckte Menschen, so hätte es mit der Furcht vor der Todesstrafe seine geweisten Wege. Der Herrscher müßte da ganz andere Maßregeln ergreifen, wenn er ein Volksleiter verbleiben wollte.
[GS.02_107,05] Worauf gründet sich aber die Todesfurcht bei den Menschen? Ich sage euch: Auf nichts anderes, als lediglich auf die Ungewißheit, ob es nach dem Verluste dieses Lebens noch ein anderes gibt (Unglaube). Wer von euch fürchtet sich wohl vor dem Schlafengehen, obschon der Schlaf nichts anderes als ein periodischer Tod des Leibes ist? Warum fürchtet man sich vor dem Schlafe nicht? Weil man die erfahrungsmäßige Sicherheit hat, daß man nach dem Schlafe wieder zu ebendemselben, wenn schon gewisserart neuen Leben erwacht. Könnte man diese Erfahrung hinwegnehmen, so würde sich ein jeder Mensch vor dem Schlafe ebenso fürchten wie vor dem Leibestode. So gibt es auch tatsächlich Menschen auf der Erde, die glauben, sie haben ein ephemeres Leben, welches alle Tage vergeht, und am nächsten Tage stecke ein ganz anderer in ihrer Haut als am vorhergehenden. –
[GS.02_107,06] Dieser Glaube ist ein Zweig einer an die Seelenwanderung glaubenden Volksklasse in einem Teile Asiens, die der Meinung ist, ihre Seele fahre von Tag zu Tag von einem Tiere in ein anderes und wohne höchstens einen Tag im Leibe eines Menschen. Wenn sich in demselben Menschen anderntags eine andere Seele der Vergangenheit erinnert, so rühre das von der Einrichtung des Leibes her. Eine jede nachkommende Seele müsse notwendig in dasjenige Bewußtsein versetzt werden, das von der Einrichtung des Leibes bewirkt werde. Das ist also ihre Philosophie, derzufolge sich ein solcher Mensch vor dem Schlafe entsetzlich fürchtet, denn er sieht darin nur das Mittel, durch welches die alte Seele aus dem Leibe herausgeschafft wird, um einer andern Platz zu machen. Aus dem Grunde suchen diese Menschen auch so viel als möglich den Schlaf durch allerlei Mittel zu vertreiben. Dieses alles hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem sich Fürchten gewöhnlicher Erdmenschen vor dem Leibestode.
[GS.02_107,07] Würde der Mensch eines geweckten Geistes sein, so würde er sich um den Abfall des Leibes ebensowenig kümmern und denselben fürchten, als sich ein gewöhnlicher Mensch um den Schlaf kümmert und denselben fürchtet. Denn des Geistes Erfahrung ist das ewige Leben, welches unzerstörbar ist, so wie der Seele Erfahrung es ist, daß der schlafende Leib anderntags wieder erwacht, darum sie auch vor dem Schlafe keine Furcht hat.
[GS.02_107,08] Die Furcht vor dem Tode als vor einer möglichen Vernichtung des Daseins liegt demnach in der Seele so lange, als der Geist in ihr nicht erwacht und dann in ihr sonach auch ein ganz anderes Bewußtsein erzeugt. –
[GS.02_107,09] Also gehen wir nun mit dieser Vorkenntnis wieder in unsere erste Hölle. In dieser ist die Seele nichts als ein Genuß- oder Freßpolyp, und zwar aus lauter stummer Selbstsucht und Selbstliebe, aus dem Grunde, weil sie in der Nichtrealisierung ihrer Genußsucht die Vernichtungsmöglichkeit fortwährend vor Augen hat.
[GS.02_107,10] In der zweiten Hölle ist durch die starke Fastenbehandlung, wie uns bekannt, die begierliche Seele mehr und mehr eingeschrumpft, und dem mit ihr verschmolzenen Geiste ist durch diese Absonderungsmethode mehr Freiheit geworden. Im seltenen besseren Falle kehrt ein Geist hier um, kräftigt sich und erhebt dann seine Seele mehr und mehr. Im gewöhnlichen, schlimmen Falle erwacht der Geist zwar auch; da er aber in diesem Erwachen in solcher Vernachlässigung seiner Seele sich überaus gekränkt und beleidigt und auch selbst mitvernachlässigt zu fühlen anfängt, so wird er zornig und läßt in diesem seinem Zorne stets mehr die Idee in sich aufkeimen, derzufolge ihm für solche Unbill von seiten der Gottheit eine kaum zu berechnende große Genugtuung zugute kommen sollte.
[GS.02_107,11] Allein, je mehr der Geist mit dieser Idee großwächst, desto stärker setzt er seine Rechnung an und auch desto unzufriedener wird er mit jeder der ihm vorgeschlagenen Maßgabe der ewigen Genugtuung.
[GS.02_107,12] Aus dieser immer größeren Forderung, welche in der stets größeren Unzufriedenheit ihren Grund hat, geht dann der also mehr und mehr wach werdende Geist in ein sich rächenwollendes Selbstgenugtuungsgefühl über. In diesem Gefühle wird er stets mehr zum „Verächter Gottes“ (Teufel). Er ersieht auch stets mehr seine Unzerstörbarkeit und stärkt sich mit der Idee, daß der Geist sich durch die Erhöhung seiner Begriffe und Forderungen ins Unendliche stärken kann. Aus diesem Gefühle erwächst dann sogar die satanische Idee, daß die Gottheit sich vor der ständig wachsenden Macht solcher Geister fürchte, sich darum verberge, und diese ihre mächtigen Feinde durch gewisse furchtsame und schwache Spitzelgeister in ihrem Tun heimlich beobachten lasse. Sieht es bedenklich aus, ziehe sich die Gottheit wieder tiefer zurück und suche sich auf alle mögliche Weise vor einem übermächtigen Angriffe solcher Kraftgeister zu verwahren.
[GS.02_107,13] Durch diese Idee wird das übermächtige Selbstgefühl des Geistes immer stärker, das Rachegefühl gegen eine vermeintliche Verschmitztheit der Gottheit stets größer. Die Gottheit wird dann natürlich stets ohnmächtiger, ja der Geist geht förmlich in Abscheu vor der Gottheit über, fängt an, sie zu verachten und bitter zu hassen, sich selbst aber als ein höheres Wesen anzusehen!
[GS.02_107,14] Tritt dieser Fall ein, dann ist die dritte Hölle auch schon fertig. Wie sich diese so herausbildet, müssen unsere Schüler auf dem Wege der göttlichen schützenden Vorsehung geheim mitbeobachten, und dann in der untersten Hölle bis zum eigentlichen Grund des Lasters alles auf dem Wege der Erfahrung erkennen lernen. – Wie sich aber am Ende in dieser untersten und bösesten aller Höllen des eigentlichen Lasters Grund beurkundet, wird die Folge zeigen. –
108. Kapitel – In der ganzen Schöpfung ist nichts Vernichtbares vorhanden.
[GS.02_108,01] Es dürfte hier mancher fragen: Wie ist das wohl einzusehen und zu verstehen, daß irgendeine im höchsten Grade untergeordnete Lebenskraft aus der Sphäre ihres Bewußtseins sich gegen eine unendliche, vollkommenste Lebenspotenz auflehnen kann, von welcher sie, nämlich die untere Lebenspotenz, doch sicher irgend etwas weiß und innewerden muß, daß sich ein Minimum der Lebenskraft gegen das Unendliche nimmer behaupten kann, und von einem Überwinden ja doch ewig keine Rede sein kann! – Gut, sage ich, solcher Einwurf klingt nicht übel, aber er rührt von einem noch bedeutenden Grade des Unverstandes her. Man könnte ihn wohl im außerordentlichen Falle approximativ (annähernd) nennen. Aber da es im reinen Geisterreiche keine Hypothesen und somit auch keine Approximationen gibt, sondern nur Wahrheiten, so kann er nicht einer völligen Beantwortung würdig sein.
[GS.02_108,02] Eine geistige Antwort ist eine volle Wahrheit. Enthält aber ein Fragesatz diese nicht in sich, so kann ihm auch keine Antwort werden. Der Fragende wird zwar wohl eine Antwort bekommen, aber nie als direkt auf seine Frage passend, sondern nur als eine indirekte Wahrheit. Also wird es auch hier sein. Wird die Antwort da sein, dann wird sich der fragliche Einwurf von selbst aufheben.
[GS.02_108,03] Ob also eine untere, oder wie hier eine höchst untergeordnete Lebenspotenz sich auflehnen kann oder nicht, oder ob sie durch die unendliche völlig zerstörbar ist, sollen sogleich einige kleine Beispiele zeigen.
[GS.02_108,04] Wie schwer ein ganzes Felsengebirge ist, braucht kaum eine nähere Bestimmung für den, der nur einmal mit dem Tragen einiger kleiner Steine zu tun hatte. Woraus besteht denn ein kleines Felsengebirge? Aus lauter atomistisch kleinen Partikeln, welche durch die wechselseitige Anziehungskraft fest aneinanderkleben. Wenn wir unter dem Gebirge hineingraben bis zu der Stelle, auf der die höchste Gebirgskuppe, also die schwerste, ruht, so entdecken wir bei dieser Grabung überall wohlerhaltene und überaus feste Steinwände. Nehmen wir aus diesen festen Steinwänden nur ein kleinstes Partikelchen, legen es auf eine Platte aus Stahl oder aus einem Steine, drücken dann einen Hammer nur ein wenig auf dieses Partikelchen, so wird es zerstäuben.
[GS.02_108,05] Frage: Weshalb hat sich dieses Partikelchen gegen den Druck des Hammers nicht halten können, während es vordem Jahrtausende hindurch einem unberechenbar mächtigen Drucke einer ganzen Gebirgsschwere Widerstand zu leisten vermochte? Man wird sagen: Unter dem Gebirge war es ein konkreter Teil der ganzen Masse und konnte sohin mit Hilfe der anderen Teile dem allgemeinen Drucke widerstehen, einzeln aber hatte es keine Nebenhilfe und mußte daher schon einem geringen Drucke weichen. – Gut, hat aber dieser geringe Druck dieses Partikelchen völlig zerstört? Durchaus nicht, sondern nur zerteilt in noch viel kleinere Partikelchen.
[GS.02_108,06] Könnte man denn keinen solchen Druck anbringen, um diese Partikelchen völlig zu vernichten? – Auch das ist weder durch den Druck, noch durch was immer für eine andere Kraftanwendung möglich. Denn auf dem einen Wege kann es nur in kleinste Teile zerteilt, auf einem andern aber in ein einfaches und hernach noch weniger zerstörbares Element verwandelt werden.
[GS.02_108,07] So ruht auch die ganze Schwere der Erde auf ihrem kleinen, winzigsten Mittelpunkte. Wie kann dieser wohl einer solchen von allen Seiten auf ihn einwirkenden Schwerkraft widerstehen? Aus dem einfachen Grunde, weil nach der ewigen göttlichen Ordnung in der ganzen unendlichen Schöpfung nichts Vernichtbares vorhanden ist, und das Allerkleinste kann sich gegen das Allergrößte fortwährend behaupten, wenn nicht in dieser, so doch wieder in einer andern Form.
[GS.02_108,08] Unterschieben wir aber nun diesen kleinen Teilchen ein vollkommenes Bewußtsein, demzufolge sie inne sind, ewig unvernichtbar zu sein, Frage: Welche Kraft kann sie da bändigen und welche besiegen? Oder verliert darum ein ganzes Gebirge etwas, wenn sein Minimum der Unterlage unzerstörbar ist? Sicher nicht, denn wäre ein Atom zerstörbar, müßten es auch die andern sein, und auf diese Weise wäre es auch mit dem ganzen großen Gebirge geschehen.
[GS.02_108,09] Derselbe Fall wäre es mit der Erde, und mit Gott Selbst würde es am Ende nicht besser gehen, wenn in Seiner ganzen Unendlichkeit irgend etwas Vernichtbares vorhanden wäre.
[GS.02_108,10] Also ist das die feste, ewige göttliche Ordnung, daß da das Allerkleinste neben dem Allergrößten bestehen kann. Wenn aber demnach die kleinste Lebenspotenz in ihrer geistigen Sphäre sich als untötbar und somit unvernichtbar erkennt, so hat sie auch keine Furcht mehr vor der allerhöchsten Lebenspotenz. Und dieses Bewußtsein erhebt dann die unterste Lebenspotenz zu einem Herrschergefühle, in welchem sie spricht: Ich bin der obersten Lebenspotenz, die sich als die Gottheit ansieht, zu ihrem Dasein so notwendig und unentbehrlich, daß sie ohne mich nicht bestehen kann. Wenn wir mehrere, ja zahllos viele untere Potenzen uns in eins vereinen, so können wir vom Zentrum aus wirken und die vermeintliche oberste Potenz zu der untersten machen. Diese kann uns dann ebensogut anbeten, wie sie solches nun von uns verlangt. Wie man möglicherweise einer Welt Innerstes nach außen kehren kann, also kann es auch mit uns Lebenskräften der Fall sein. Vereinen wir untere Potenzen uns, legen wir nach außen einen Sturm, und die Gottheit liegt als untere Lebenspotenz zu unseren Füßen. –
[GS.02_108,11] Sehet, das ist rein höllische Philosophie, und das ist zugleich der eigentliche Grund alles Lasters, und sein Name ist – Herrschsucht!
[GS.02_108,12] Mit diesem Begriffe haben wir nun auch das ganze Wesen der untersten Hölle kennengelernt, und dieses Wesen entspricht der äußeren Erscheinlichkeit eines Weltkörpers. – Auf der Oberfläche ist der erste Grad der Hölle in der polypenartigen Genußsucht deutlich zu erkennen; denn da ist alles ein Fresser, was ihr nur ansehet. In der mehr inneren Rinde der Erde beurkundet sich das Fasten und Magerwerden; es besteht nirgends eine Vegetation. Wie im starren und rachebrütenden Tode liegt alles da; höchstens zeigen sich hier und da Feuerquellen und andere heiße Wasserquellen als entsprechende Bilder des schon überall durchblickenden Zornes der Geister dieser Hölle.
[GS.02_108,13] Gehen wir in das Inwendige der Erde, da entdecken wir nichts als ein fortwährendes mächtigstes Durcheinandergedränge. Ein Feuer weckt und erstickt das andere. Jeder Wassertropfen, der da hineingelangt, wird alsobald in glühenden Dampf verwandelt.
[GS.02_108,14] Je mehr aber hier vorgeht, desto größer stellt sich die Reaktion über der Oberfläche der Erde dar und dämpft allezeit mit der größten Leichtigkeit alle diese inneren Reaktionen. Und so ist es vom Herrn weise eingeleitet, daß Ihm auch alle diese Höllen trotz stärksten Widerwillens zur ewigen Erhaltung der Dinge dienen müssen. Und dieser Mußdienst, welcher den höllischen Geistern wohlbekannt ist, ist ihre größte Qual, weil sie da sehen, wie trotz ihres Widerwillens all ihre Aktion im allgemeinen der göttlichen Ordnung auf ein Haar entsprechen muß. –
[GS.02_108,15] Das ist aber auch zugleich die unendliche Liebe und Weisheit des Herrn, denn auf diesem Wege ist es allein möglich, diesen argen Wesen in ihrer herrschsüchtigen Handlungsweise Schranken zu setzen. Denn sehen sie, daß Sich der Herr ihre bösesten Unternehmungen allzeit zugute machen kann, da werden sie erbost und tun garnichts mehr, – bis sie wieder einen neuen Plan gefaßt haben, um ihn gegen den Herrn in Ausführung zu bringen. Welchen der Herr natürlich auch wie die früheren zu benützen weiß. – Das ist theoretisch betrachtet die Aktion und das Wesen der untersten Hölle.
[GS.02_108,16] Wie sich aber alles dieses in der Erscheinlichkeit kundgibt, dazu wollen wir in der Folge einige Betrachtungen machen, und zwar alle drei Höllen hindurch! –
109. Kapitel – Bilder der ersten und zweiten Hölle.
[GS.02_109,01] Wie es erscheinlich in der ersten Hölle aussieht, das habt ihr schon einmal im Verlaufe der Mitteilungen aus der Sonne gesehen, wie auch die verschiedenartigen Eingänge in die erste Hölle. Nur muß ich das Wenige noch beisetzen, daß der Eifer eben derjenigen höllischen Geister, die ihr in der ersten Hölle geschaut habt, vorzugsweise nur ein Genuß- oder, wie ihr zu sagen pfleget, ein Freß-Eifer ist. Es gleicht dieser Zustand demjenigen auf der Erde, in welchem die Menschen auch alles Mögliche ergreifen, um, wie ihr zu sagen pfleget, zu einem Brote zu gelangen.
[GS.02_109,02] Die einen errichten verschiedenartige Gewerbe, die andern haschen nach Beamtenstellen, wieder andere nach irgendeiner guten Heirat. Aber das alles tun sie nicht etwa des Guten wegen, sondern rein nur ihrer selbst und des Brotes wegen. Sie kümmern sich in diesem Zustande wenig um irgendeine Herrlichkeit, sondern es liegt ihnen alles daran, eine gewisse Versorgung zu bekommen.
[GS.02_109,03] Nach himmlischer Art sorgt man sich um gar nichts außer allein um die Liebe und die Erkenntnis Gottes. Für alles andere sorgt der Herr! Nach höllischer Art aber sorgt man sich gerade umgekehrt. Man will eine sichere Versorgung haben und denkt im besten Falle: Wenn ich erst für alle äußeren Bedürfnisse gedeckt bin, dann will ich sehen, ob der Geist mit dieser Versorgung zufrieden ist. Wenn aber dann jemand eine äußere Versorgung erlangt, welche gewöhnlich mit irgendeiner kleinen Herrlichkeit verbunden ist, so geht der Versorgte bald in einen seiner Herrlichkeit entsprechenden Hochmut über, den er durch einen gewissen Glanz stets mehr aufzurichten bemüht ist. Aus diesem Grunde fangen denn auch junge Beamte wie auch angetretene Gewerbsleute – versteht sich ein jeder in seiner Sphäre – sich mehr und mehr aufzublähen an. Gar bald wissen sie nicht mehr, wie sie sitzen, stehen, gehen, sehen, hören und reden sollen, damit man ihnen auf den ersten Augenblick anmerkt und gewisserart anerkennen und von der Nase ablesen soll, in welcher Herrlichkeit sie stecken und was für ein vielsagendes Amt sie bekleiden.
[GS.02_109,04] Sind solche Menschen auf diese Weise versorgt, da sollen sie sich um nichts mehr sorgen, denn sie haben ihr bestimmtes Einkommen und Brot erhalten. Sie sollten jetzt für das Geistige zu sorgen anfangen. Aber – ganz umgekehrt – jetzt ist mit der Versorgung das Glanz- und Herrschbedürfnis eingetreten. Darum sorgen sie jetzt mehr als je dafür, um nur höher und höher zu steigen, wie die Gewerbsleute, um nur reicher und reicher zu werden. In dieser Lage werden sie voll Neides und inneren Hasses gegen diejenigen, die ihnen irgend im Wege stehen.
[GS.02_109,05] Die Nächstenliebe geht bei ihnen so weit, daß so mancher Unterbeamte nichts sehnlicher wünscht als den Tod seines ihm vorgesetzten höheren Beamten, um bei solcher Gelegenheit dann die Stelle des Höheren einzunehmen. Der Gewerbsmann wünscht nichts sehnlicher als den geschäftlichen Ruin seiner Kollegen, damit er dann alles Geschäft an sich reißen könnte. Ja, seine Nächstenliebe geht so weit, daß er alle seine Geschäftsgenossen mit einem Tropfen Wasser umbringen möchte, wäre solches nur irgend möglich. Er unternimmt auch alles Erdenkliche, um, wo und wie nur immer möglich, seinen Nebengeschäftsmann zu ruinieren.
[GS.02_109,06] Wenn ihr dieses weltliche Benehmen nur ein wenig klar beleuchtet, so habt ihr schon die erste Hölle vollkommen in dem Freßbestreben und auch, wie diese in die zweite Hölle übergeht, im Haß, Zorn, Neid und Herrschbestreben auf ein Haar genau getroffen vor euch. Ihr brauchet hier nichts als die äußeren sittlichen und bürgerlichen Staatsgesetze hinwegzustreifen, und die erste wie die zweite Hölle sind buchstäblich und bildlich vor euch.
[GS.02_109,07] Was sich auf der Welt unter dem Deckmantel der sittlichen und bürgerlichen Gesetze noch in einer gewissen Dezenz ausnimmt, das tritt bei Hinwegnahme dieser Gesetze sogleich als Raub, Krieg und Mordbrennerei auf. Da habt ihr dann das vollkommene Bild der ersten Hölle.
[GS.02_109,08] Wollt ihr aber das Bild der zweiten Hölle, so tuet dasselbe. Ihr werdet sogleich allenthalben eine geheime Verschmitztheit zu entdecken anfangen, und nirgends werdet ihr Menschen oder Geister sich gegenüberstehend entdecken, die nicht gegenseitige Todfeinde wären. Begegnen sie sich auch äußerlich freundlich und voll Höflichkeit wie auch voll scheinbarer gegenseitiger Liebe, so ist aber alle diese Liebe dennoch nichts anderes als purer Haß. Denn alles das ist Politik, um den Gegner zum Frieden zu stimmen, ihn auf die feinste Art zu entwaffnen, um ihn dann desto sicherer ohne Widerstand überfallen zu können und bis in den Grund und Boden zu verderben.
[GS.02_109,09] Betrachtet nur auf eurer Erde die sogenannten Kriecher und Speichellecker. Das sind gewöhnlich die größten Todfeinde derjenigen, vor denen sie kriechen. Sie erheben sie aus demselben Grunde wie ein Geier eine Schildkröte, um sie, wenn er mit ihr die rechte Höhe erlangt hat, auf das schmählichste fallen zu lassen und so durch ihren Fall noch mehr zu gewinnen.
[GS.02_109,10] Sehet, das ist wieder buchstäblich und bildlich die rein höllische Liebe des zweiten Grades. Daher werden in dieser Hölle auch schon allerlei Trugkünste gehandhabt, um sich gegenseitig zu fangen und zu verderben, in der tollen Meinung, durch den Fall anderer auf jede mögliche Weise stets mehr zu gewinnen. –
[GS.02_109,11] Auf diese Weise lernen auch unsere Schüler die Höllen zuerst theoretisch und dann praktisch erscheinlich durch und durch kennen. Und so hätten auch wir in möglichst gründlicher Kürze die ersten zwei Höllen erscheinlich beschaut. – Wer diese Darstellung nur ein wenig nachdenkend beachtet, der hat alles sonnenklar vor sich. Was aber die Erscheinlichkeit der dritten Hölle betrifft, so wollen wir derselben eine eigene Betrachtung widmen, denn diese muß am meisten erkannt sein, weil sie der Grund alles Lasters ist. –
110. Kapitel – Ein jeder Mensch trägt nach seiner Individualität den Himmel wie die Hölle in sich.
[GS.02_110,01] Ihr werdet euch denken, mehr aber noch so mancher andere, so er bei dieser Mitteilung gegenwärtig wäre: Es ist wohl recht löblich und auch moralisch nützlich, dergleichen Eröffnungen zu vernehmen, durch welche gewisserart bildlich das Grundböse dargestellt wird; aber es gibt nun bereits eine Unzahl Beschreibungen der Hölle auf Erden. Sie scheinen alle ähnlichen Ursprungs zu sein, aber wie verschieden sind sie voneinander! Bei dem einen ist die Hölle ein feuriger Schwefelpfuhl, bei dem andern ein nagender Glühwurm, wieder bei andern ein wütend Feuer, eine ewige Finsternis, ein ewiger Tod. Bei einigen werden die Verdammten gepeinigt, gesotten und gebraten, bei den andern sind sie barste Freiherren. Einige wieder erblicken in der Hölle nichts als eine entsetzliche Kälte, andere wieder den glühendsten Zorneifer. Einige erblicken darin elendeste, verkrüppelte und ausgehungerte Menschengestalten, andere wieder eine Vereinigung der sonderbarsten, scheußlichsten Gestalten, die nur je menschlicher Phantasie entstammen können. Und so hat man unter dem Begriffe der Hölle einen wahrhaften Proteus vor sich, den man unter keiner Gestalt festhalten kann.
[GS.02_110,02] Wird hier auch eine den menschlich reinen Begriffen vollkommen zusagende und für diese Zeit wohlbegreifliche Darstellung der Hölle gegeben, wer bürgt dafür, daß diese Darstellung mit der Zeit nicht wieder durch eine andere verdrängt wird? Denn nichts existiert so vielfach unter allerlei Gestalten unter den Menschen als eben dieser Schreckensort unter dem Begriff „die Hölle“.
[GS.02_110,03] Gut, sage ich euch, meine lieben Freunde! Euer bedenklicher Einwurf hat seinen guten Grund, denn er stützt sich vollkommen auf die Realität des vorhandenen Begriffes der Hölle. Darum aber will und muß auch ich euch hier die Hölle in einem solchen allgemeinen Lichte zeigen, in welchem jede mögliche, bis jetzt irgendwo auf der Erde vorhandene Darstellung der Hölle ihre vollkommene Rechtfertigung finden soll.
[GS.02_110,04] Wenn man die Hölle nur nach der Äußerlichkeit oberflächlich betrachtet, so ist es begreiflich, warum sie als ein wahrer Proteus in stets anderer Erscheinlichkeit auftritt. Aber ganz anders verhält es sich mit der Sache dann, wenn man sie vollkommen aus ihrem Grunde betrachtet.
[GS.02_110,05] Damit ihr aber solches klar einsehet, wollen wir durch kleine Beispiele diese sehr verfängliche Sache so beleuchten, daß sie vor jedermanns Augen unter der Beleuchtung der Sonne dastehen soll.
[GS.02_110,06] Nehmen wir einen Staat an, in dem es viele Tausende von Menschen gibt. Alle diese Menschen, Kretins, Trottel und unmündige Kinder ausgenommen, machen sich allerlei bunte Begriffe von der geheimen Staatspolitik. Wer solche näher kennenlernen will, darf sich darüber nur mit verschiedenen Menschen in ein Gespräch einlassen. Die einen sehen nichts als Krieg vor sich, die anderen nichts als geheime Verrätereien, wieder andere geheime Volksbetrügerei, andere wieder lauter Klugheit. Einige schreien laut über Ungerechtigkeit, andere können wieder nicht genug lobhudlerische Worte finden, um die Verfassung und die geheime staatskluge Politik über den grünen Klee zu loben.
[GS.02_110,07] Das wären aber noch lauter nüchterne Ansichten des gebildeteren Teiles im Volke über die geheim-politische Staatsverwaltung. Wer aber Lächerlichkeiten vernehmen will, der begebe sich in finstere Dorfstuben mancher Landbauern. Da darf er überzeugt sein, daß er in solchen Kabinetten alles vernehmen wird, was eine ungebildete, rohe menschliche Phantasie nur hervorzubringen imstande ist. Zum Beispiel, daß der Kaiser die Absicht habe, eine Stadt vergiften zu lassen, oder daß er in einem Lande die Pest dem Volke einimpfen lassen will, oder daß er mit einem fremden Monarchen einen Bund geschlossen habe, irgendein Landesvolk mit dem Schwert in einer Nacht umzubringen und die Güter der umgebrachten Untertanen auf diese gewalttätige Weise an sich zu reißen, an andere Albernheiten nicht zu denken, wonach der Monarch bei irgendeiner Gelegenheit entweder seine eigene Seele oder die Seelen seiner Untertanen zur Gewinnung eines großen irdischen Vorteils dem Teufel leibhaftig verschrieben habe! Daß das alles sich so verhält, braucht keines näheren Beweises, indem es einem jeden freisteht, sich davon tagtäglich zu überzeugen.
[GS.02_110,08] Daß sich die Sache so verhält, unterliegt also keinem Zweifel, frage aber: Wer aus all diesen tausend und tausend politischen Begriffsaufstellern hat den rechten Begriff, den rechten Grund der geheimen Staatsverwaltung aufgestellt? Im Grunde keiner; aber dessen ungeachtet hält ein jeder mit geheimnisvoller, weise tuender Miene den seinen für den richtigen. Wie aber ist es möglich, über etwas begründete Begriffe aufzustellen, wovon man selbst keinen Begriff hat?
[GS.02_110,09] Sehet, der Grund davon liegt zum Teil in der äußeren Erscheinlichkeit wie in der Individualität dessen, der die Erscheinlichkeit betrachtet. Je weniger inneren geweckten Grund der Betrachtende hat, desto unsinnigere Begriffe kombiniert er sich von der Erscheinlichkeit. Und sehet, gerade also verhält es sich bis jetzt mit dem Begriffe der Hölle.
[GS.02_110,10] Nur äußerst wenigen Sehern ward es vergönnt, in den Grund dieses Ortes einen tieferen Blick zu tun, aber sehr vielen ward es gestattet, eines oder das andere Erscheinliche dieses Ortes zu erblicken. Und so hat die Darstellung des Erscheinlichen durch ihre voluminöse Masse stets den wahren Grund überboten. Aus diesem Grunde hat sich dann die Hölle unter so mannigfachen Gestalten vervielfacht und niemand wußte und weiß es bis jetzt vollkommen, wie er mit diesem Orte daran ist.
[GS.02_110,11] Frage aber weiter: Wer im Staate könnte wohl von der geheimen Staatsverfassung den richtigsten Grundbegriff aufstellen? Sicher niemand anderer als der kluge Monarch selbst.
[GS.02_110,12] Wenn sich die Sache unwiderlegbar so verhält, da wird diese Frage auch für das düstere jenseitige Verhältnis passen, und die Antwort wird keine andere sein, als daß nur derjenige über diesen Ort den richtigen und allgemein geltenden Grundbegriff aufstellen kann, der da ein Herr ist wie über alle Himmel, so auch über alle Höllen!
[GS.02_110,13] Wie aber jemand, der in den Grund der geheimen Staatsverwaltung eingeweiht ist, mit leichter Mühe den Grund aller im Volke kursierender Begriffe erschauen wird, so wird auch derjenige, der den wahren Grund dieses Ortes unter dem Begriffe der Hölle vom Herrn aus kennt, den Grund aller anderen albernen Begriffe darüber einsehen.
[GS.02_110,14] Ein jeder Mensch trägt nach seiner Individualität den Himmel wie die Hölle in sich.
[GS.02_110,15] Wird er nun durch einen gewissen Zustand seiner eigenen Individualität ansichtig, so wird er dadurch nur seiner eigenen unausgebildeten Hölle oder seines höchst unvollkommenen Himmels ansichtig. Auf diesem Wege können dann zahllosfache verschieden aussehende Höllen entstehen.
[GS.02_110,16] Ist aber das hernach schon als Grund anzunehmen? Sicher so wenig, als wenn einer, der am seichten Ufer mit einem Spazierstäbchen das Meer mißt, wo es höchstens einen halben Schuh tief ist, dann im Ernste auftreten und fest behaupten möchte, das Meer sei nur einen halben Schuh tief, denn er selbst habe es gemessen. Ebenso gilt es auch hier von der Behauptung aller Seher, die da sagen: Ich habe die Hölle in diesem und jenem Zustande also gesehen. Wie wenig aber jemand das seichte Ufer, das wohl auch zum Meere gehört, als den eigentlichen Hauptgrund des Meeres ansehen kann, ebensowenig kann auch eine solche geschaute Erscheinlichkeit der Hölle als deren wahrer Grund angenommen werden.
[GS.02_110,17] Wie sich aber der eigentliche Grund finden und gründlichst beschauen läßt, solches wird die Folge zeigen. –
111. Kapitel – Leib, Geist, Lebensprinzip.
[GS.02_111,01] Wenn man aber diesen Hauptgrund der Hölle gründlich erschauen will, so muß man ihn zuerst dort erschauen, wo das jeweilige Licht des Auges für die Eindrücke empfänglich ist, und von diesem Gesichtspunkte dann auch mittels geistiger Wendung auf das Geistige entsprechendermaßen folgerecht schließen. Will man aber das, so muß man zum voraus als unabänderlich bestimmt annehmen und einsehen, daß die Lebensverhältnisse und die Äußerungen derselben unter einem und demselben ewig unveränderlichen Herrn stets ein und dieselben sind. Mit anderen Worten gesagt:
[GS.02_111,02] Der Mensch lebt im Geiste genau auf ein Haar genommen eben also fort, wie er mit seinem Leibesleben, welches nur ein Mit- oder Mittelleben ist, hier auf der Erde lebt.
[GS.02_111,03] Man wird hier sagen: Das klingt sonderbar. Damit scheint es nicht seine völlige Richtigkeit zu haben, denn das geistige Leben muß doch sicher etwas anderes sein und muß unter ganz anderen Verhältnissen gedacht werden als das naturmäßige Leben.
[GS.02_111,04] Ich aber sage: Wer also spricht, der hat sicher noch keine Ahnung davon, wie er naturmäßig lebt. Frage:
[GS.02_111,05] Lebt bei Leibesleben der Leib oder der Geist? Was ist das Prinzip des Lebens? Ist es der Leib oder der Geist? Ich meine, wer nur etwas klarer zu denken vermag, wird die Prinzipien des Lebens nicht im Leibe, sondern allein im Geiste suchen. Denn wären die Lebensprinzipien im Leibe, so wäre der Leib unsterblich. Der Leib aber ist sterblich, somit kann er auch nicht die Grundfesten des Lebens in sich haben, sondern nur der Geist, der unsterblich ist. Das Leben des Leibes ist daher nur ein durch das Leben des Geistes bedingtes. Der ganze Leib verhält sich passiv und völlig negativ zum Geiste. Daher ist des Leibes Leben auch nur ein erregtes Mitleben, gerade also, wie irgendein Werkzeug in der Hand eines Handwerkers passiv wirkend mitlebt, solange es der Handwerker in seiner lebendigen Hand dirigiert. Läßt er es aber fallen oder legt er es zur Seite, dann hat es mit dem Mitleben des Werkzeuges und mit seiner effektiven Tätigkeit ein Ende.
[GS.02_111,06] Wer wird wohl so toll und dumm sein und etwa den Satz aufstellen wollen: Der Handwerker muß sich nach den Verhältnissen des Werkzeuges richten, – statt das ganz Klare einzusehen, daß nur der Handwerker sich brauchbare Werkzeuge nach seinem Bedürfnisse wie nach seinem Verhältnisse verfertigt. Wenn also der Werkmeister die Verhältnisse des Werkzeuges nach seinem Verhältnisse bestimmt, so wird es etwa doch auch klar sein, daß die Verhältnisse des mitlebenden Leibes von denen des lebendigen Geistes abhängen, aber nicht umgekehrt.
[GS.02_111,07] Und so lebt der Geist allzeit allein aus seinen eigenen Lebensprinzipien und in seinen eigenen Lebensverhältnissen, an denen der Leib so wenig zu ändern vermag, wie das tote Werkzeug an den Verhältnissen des Handwerkers.
[GS.02_111,08] Wenn aber jemand einem Handwerker zusieht, wie er sein Werkzeug gebraucht, und hat Einsicht in den Plan, was der Handwerker mit dem Werkzeug hervorbringen will, kann der wohl vernünftigerweise behaupten und sagen: Es muß am Ende durch den Gebrauch des Werkzeuges doch etwas ganz anderes zum Vorschein kommen und müssen sich ganz andere Verhältnisse mit dem Produkte entwickeln, als wie sie in der klaren Absicht des Werkmeisters laut des vorliegenden Planes liegen? Wäre das nicht eine unsinnige Behauptung? Sicher, denn was da in Erscheinung tritt, ist doch der Effekt des lebenden Werkmeisters, nicht aber des Werkzeuges.
[GS.02_111,09] Also ist auch das Lebensverhältnis des Geistes stetig, ob im oder ohne Gebrauch des werkzeuglichen Leibes. – Und wer demnach die Hölle hier gründlich beschauen will, der beschaue sie hier unter demselben Verhältnis im Leibesleben wie einst im absoluten geistigen. Denn die Hölle ist auf der Welt von Zug zu Zug genauso gegenwärtig, wie sie im absoluten geistigen Zustande sich beurkundet. Nichts mehr und nichts weniger gibt es weder hier noch dort. Und in diesem Bilde werden wir sie auch am klarsten und effektvollsten beschauen.
[GS.02_111,10] Um aber das eigentliche Bild der Hölle für jedermann auf dieser Welt noch klarer und anschaulicher zu machen, wollen wir voraus noch den sehr kleinen Unterschied zwischen dem naturmäßigen und dem geistig absoluten Lebensverhältnis der Menschheit dartun, und das soweit möglich auf eine handgreifliche Weise.
[GS.02_111,11] Stellet euch einen Schreiner vor. Dieser hat einen Kasten zu verfertigen. Zu dessen Verfertigung bedarf er mehrerer euch bekannter Werkzeuge. Er arbeitet fleißig und wird in etlichen Tagen mit seinem Kasten fertig. Dazu war besonders sein Trieb, der ihn zum Fleiße anspornte, der Grund. Warum war er denn fleißig und gehorchte seinem innern Triebe? Weil er des Nutzens wegen den Kasten sobald als nur möglich fertigmachen wollte. Frage aber weiter: Woher rührt denn dieser Trieb, was ist sein Grund? Dieser Trieb rührt her von der schöpferischen Fähigkeit des Geistes. Wie denn? Der Geist hat in sich die Eigenschaft, das, was er in seiner Idee geschaffen hat, auch sogleich objektiv zu realisieren.
[GS.02_111,12] Im absolut geistigen Zustande kann er das, denn was er denkt, ist auch da. Aber in Verbindung mit seinem ihn hemmenden Leibe kann er das mit der äußeren Materie nicht. Daher muß er seinen Leib als das Werkzeug zur sukzessiven Tätigkeit antreiben, um auf diese Weise dann seine Idee nach und nach zu realisieren. Diese Einrichtung ist vom Herrn darum also getroffen, damit der Geist sich in diesem Leben bei jeder möglichen Gelegenheit vor allem in der allernotwendigsten Eigenschaft alles Lebens übe. Diese Eigenschaft, als die Mutter der Demut, heißt die göttliche Geduld. Denn das muß ein jeder nur ein wenig reif Denkende einsehen, daß die Geduld für das ewige Leben umso notwendiger ist, als dieses Leben kein Ende hat. Schon für das naturmäßige Leben ist sie ja der Grund aller guten und großen Wirkungen, und dieses Leben ist nur ein vergängliches.
[GS.02_111,13] Könnte unser Schreiner seinen Kasten sogleich erschaffen, wie er ihn in seiner Idee sich vorgestellt hat, so wäre ihm das sicher lieber. Wo bliebe aber da die über alles wichtige Übung in der Geduld und wo die wechselseitige äußere naturmäßige Sicherheit, wenn in dieser materiellen Welt dem noch an seinen Leib gebundenen Geiste seine ursprüngliche schöpferische Eigenschaft unbeschränkt zu Gebote stünde?
[GS.02_111,14] Nach der Ablegung dieses Leibes bekommt zwar ein jeder Geist diese Eigenschaft wieder, allein nur der Gute reell wirksam, der Böse phantastisch und chimärisch; denn wie sein Grund, so seine Wirkung.
[GS.02_111,15] Nun sehet, in diesem vorgeführten Beispiel ist der Unterschied zwischen dem naturmäßigen und dem absolut geistigen Leben handgreiflich dargetan, welcher also darin besteht, daß der Geist im naturmäßigen Leben seine Ideen nur langsam und nie vollkommen zu realisieren imstande ist, weil ihn darin seine grobe Materialität, mit der er umkleidet ist, hindert, während er im absoluten Zustande seine Idee plötzlich realisiert haben will. Der Wille ist immer derselbe, ebenso die Idee, nur die Ausführung ist im naturmäßigen Leben beschränkt. Und so ist diese Beschränkung der einzige Unterschied zwischen den beiden Leben. Sonst ist kein Unterschied vorhanden. Daß dieser Unterschied in der Materie haftet, braucht kaum erwähnt zu werden. – Da wir nun solches handgreiflich und sonnenklar kennen, so wollen wir sogleich so ganz eigentliche Bilder der Fundamentalhölle anführen.
112. Kapitel – Irdische Bilder der Fundamentalhölle.
[GS.02_112,01] Erstens. Stellet euch einen reichen Spekulanten vor. Beschauet diesen ewigen Nimmersatt recht. Was ist seine Liebe und was sein Wollen? Nichts anderes als sich auf jede mögliche, nur einigermaßen bürgerlich gesetzlich erlaubte Art die Habseligkeiten eines ganzen Landes, endlich eines ganzen Reiches zu verschaffen, und ist ihm das gelungen, sich auch mehrerer Reiche, wenn nicht der ganzen Erdoberfläche zu bemächtigen. Es gelingt ihm solcher Plan freilich nicht ganz und gar, und er wird seine Idee schwerlich gänzlich realisieren. Trotzdem geht sie in ihm nicht zugrunde und wird heimlich also lauten: Hätte ich nur eine Kriegsmacht von wenigstens ein paar Millionen unbesiegbarer Krieger, so holte ich mir alles Gold und alles Silber, alle Edelsteine und alle Perlen der ganzen Welt auf einen Haufen zusammen.
[GS.02_112,02] Mancher hat auch diesen Wunsch: Wenn doch über ein ganzes Land eine Pest käme, welche bis auf mich alle Menschen ins Gras beißen ließe, so bliebe ich der natürliche Universalerbe des ganzen Landes. Und wenn dann Menschen irgendeines anderen Landes kämen und möchten mir meine Universalerbschaft streitig machen, da sollte sie gleich an der Grenze die Pest packen und erwürgen! –
[GS.02_112,03] Sehet, das ist ein Bild der Fundamentalhölle, das ihr tagtäglich unter den Menschen finden könnet, bei allen Klassen, angefangen vom gemeinsten Krämer bis hinauf zum größten Großspekulanten. Was hindert diese daran, daß sie solche löbliche Ideen nicht realisieren können? Nichts als die fatale Materie. Nehmen wir aber nun diese hinweg und betrachten darauf mit denselben Eigenschaften den absoluten Geist, und wir haben die Fundamentalhölle in bester Form vor uns. – –
[GS.02_112,04] Zweitens. Da steht ein geringer Offizier vor uns. Welcher Hauptgedanke wohnt in dessen Brust? Etwa der, dem Staate nützliche Dienste zu leisten? O nein, das ist der letzte. „Avancieren“, das ist der Hauptgedanke; wenn es möglich wäre, jede Stunde eine Stufe höher zu klimmen, in einem Jahre wenigstens ein General zu werden und als solcher so bald als möglich in die höheren Rangstufen aufzusteigen. Hat er, setzen wir den Fall, die höchste Stufe erreicht, so wird sein Plan, oder wenigstens sein Hauptgedanke sich darin aussprechen: Nun hinaus mit ungeheuren Kriegsscharen zur Besiegung aller Völker. Sind diese besiegt und habe ich die Macht in meinen Händen, dann müssen alle Kaiser, Könige und Fürsten vor meinem Schwerte zittern!
[GS.02_112,05] Wer hier die Herrschsucht in unserem Offiziere nicht erkennt, der muß mit siebenfacher Blindheit geschlagen sein. Was ist hier wieder der Unterschied, daß unser Offizier solches nicht zu realisieren vermag? Wie oben die materiellen, naturmäßigen, beschränkenden Verhältnisse. Die Materie klopft unserem Helden auf die Finger, und er muß sich wohl oder übel seine geringe Offiziersstelle gefallen lassen. Dafür aber schimpft er nicht selten und sucht seine Herrschlust seinen Untergebenen so fühlbar als möglich zu machen. Das geringste Verschulden von seiten eines Untergebenen wird mit tyrannischer Unbarmherzigkeit geahndet. Nehmet bei diesem Offiziere die materiellen Hindernisse hinweg, und ihr habt ein zweites vollkommenes Bild der Fundamentalhölle in einer unübertrefflichen Form vor euch.
[GS.02_112,06] Auch dieses Bild könnet ihr vielfach finden, besonders in jener Menschenklasse, welche berechtigt ist, einen Degen zu tragen, wie auch bei derjenigen, die das Privilegium hat, ein sogenanntes adeliges Wappenzerrbild vor ihrem wenig sagenden Namen zu führen. Überall werdet ihr da die Herrschlust finden, und das im ausgeprägtesten Zustande. Und das ist ja eben der Grund der untersten aller Höllen, welcher unersättlich ist und seine Herrschlust und Gier bis ins Unendliche ausgedehnt haben will. – In der Folge der Bilder mehr! –
113. Kapitel – Ein weiteres Bild der untersten Hölle.
[GS.02_113,01] Betrachten wir einen recht ausgepichten Buhler wie auch eine ähnliche Buhldirne. Was ist ununterbrochen der Sinn eines solchen Fleischlings? Wenn es möglich wäre und die Natur es gestattete, mit den schönsten und üppigsten Mädchen auf jede erdenkliche Weise ohne Unterlaß zu buhlen. Wo immer das Auge eines solchen Menschen ein nur einigermaßen annehmbares weibliches Wesen trifft, da kann ein jeder auf den ersten Augenblick aus seinen Augen lesen, daß er es auf der Stelle für seine Lust gebrauchen möchte, ohne im geringsten darauf Rücksicht zu nehmen, zu welchem Zwecke der Zeugungsakt von Gott eingesetzt und geschaffen ward. Wenn ihn nicht bürgerliche Sittengesetze daran hinderten, so wäre vor seiner Gier kein weibliches Wesen selbst auf öffentlichem Platze sicher.
[GS.02_113,02] Doch das gestaltet die Sache im Grunde nicht anders, denn in seiner Begierde hat er dennoch gefehlt. Nehmen wir aber an, solch ein sinnlicher Mensch hat ein hinreichendes Vermögen und kann sich dadurch alle Genüsse, darnach sein Sinn dürstet, mit wenigen Ausnahmen verschaffen. Was tut er? Nichts als ganze Länder bereisen, um sich dort verschiedene extrafeine Genüsse zu verschaffen; denn in seinem Orte schmeckt ihm nichts mehr, weil er schon alles für ihn Erreichbare genossen hat, manches worauf er sozusagen noch eine Passion hätte jedoch trotz seines großen Vermögens nicht erreichen kann.
[GS.02_113,03] Wenn so unser Fleischheld alles durch und durch genossen hat und seine Natur ihm den schnöden Dienst zu versagen anfängt, da greift er zu künstlichen Mitteln, um dadurch seine abgestumpfte Natur wieder neu zu beleben. Fruchten diese nicht mehr, dann verschafft er sich den schandvollen Beischlaf von gesunden Knaben und Jünglingen. Dadurch wird seiner Natur ebenfalls wieder etwas aufgeholfen.
[GS.02_113,04] Seine Natur kehrt sich dabei ganz um, er bekommt förmlich einen Ekel vor dem Fleische der Weiber und sucht sich nur mit dem stärkenden Fleische der männlichen Jugend zu befriedigen, bis ihm auch das Ekel bereitet. Seine Unfähigkeit macht ihn dann zornig über die vermeintliche unzulängliche Einrichtung der Natur.
[GS.02_113,05] Sein Glaube an Gott war schon lange ein Opfer; denn das hat die Fleischsünde in sich, daß sie zuerst alles Geistige tötet. Durch diese Sünde ist der Mensch ein gröbster materieller Egoist, liebt niemanden außer sich und will, daß alles seiner Begierde Zusagende ihm allein dienen solle. Er ist in sich selbst über alle Maßen verliebt, daher haßt er alles, was nicht seiner Begierde huldigt. Aus dem Grunde wird er dann, wie gesagt, ein purer egoistischer Stockmaterialist und von einer Göttlichkeit und von irgend etwas Geistigem ist keine Spur mehr in ihm anzutreffen.
[GS.02_113,06] Aus diesem Grunde ist er dann auch ein reiner Atheist und die Natur, die äußere, sichtbare, grobe, ist sein Gott. Diesem Gotte bringt er so lange seine Opfer, als er in der brauchbaren Kraft seiner eigenen Natur die Erfahrung macht, daß ihm dieser Naturgott durch solche Einrichtung reizende und angenehme Genüsse verschafft. Wehe aber diesem Naturgotte, wenn er unserem Helden einmal den Dienst versagt! Zorn, Rache, Grimm und Wut sind dann die Beigaben oder Wappenschilde, welche er führt. Ihr könnt es glauben, der heimliche Zorn eines rechten Buhlknechtes, wenn er sich ausgebuhlt hat, übersteigt alle menschlichen Begriffe. Ein Mordbrenner, ein Totschläger, ein Straßenräuber dürften noch mehr menschliches Gefühl in sich haben als ein fleischgieriger Buhler, dem sein Fleisch den Dienst versagt.
[GS.02_113,07] Gibt es dergleichen Freudenmänner wenig auf der Erde? O nein, ich kann euch des versichern, daß auf einen Geldgeizigen gar viele solche Fleischhelden kommen. Wer Vater ist und eine Tochter mit einem entsprechenden Äußern hat, darf rechnen, daß mit ihr, besonders in einer Stadt, oftmals begierliche Unzucht getrieben wird.
[GS.02_113,08] Zwar wird man hier sagen: Das tut ja nichts, Gedanken und unausführbare Begierden sind zollfrei. Ich aber setze hinzu und sage: Allerdings, für den Blinden im Geiste, der über die Materie hinaus auch nicht um ein Haar breit zu schauen vermag. Was würde aber ein Vater sagen, so ihm das geistige Auge geöffnet würde und er dann alle diese Wollüstlinge vor sich erblickte, die seine Tochter auf jede erdenkliche Art vor seinen Augen schänden?
[GS.02_113,09] Das Fleisch der Tochter kann zwar behütet werden. Wer behütet aber ihren Geist und dessen ausstrahlende Sphäre, mit welcher sich diese Fleischbolde in Verbindung setzen und sie in ihre schändliche Sucht verkehren? Meinet ihr, das sei von keinem nachteiligen Einflusse für eure Tochter? Da irret ihr euch gewaltig!
[GS.02_113,10] Führt ihr eure Tochter öfter auf solche Plätze, wo sie von vielen sinnlichen Augen betrachtet wird, so wird sie in kurzer Zeit sinnlich fleischlich gestimmt werden und heimlich anfangen, eure elterlichen sittlichen Ermahnungen zu bespötteln und zu belachen. Ihr Sinn wird mehr und mehr dahin gerichtet werden, wo sie solche sinnlichen Männer wittert. Es wird hier vielleicht mancher sagen: Nein, das ist zu arg, eine Übertreibung. Was soll eine unschuldige Begierde oder ein geheimer wollüstiger Gedanke ohne weitere Berührung auf ein fremdes Objekt für eine nachteilige Wirkung haben? Ich sage hierzu nichts als: An Menschen solcher Ansicht und Geistesgewecktheit ist diese Mitteilung ebensowenig gerichtet, wie die Sonne an den Mittelpunkt der Erde. Sodann frage ich diejenigen, die auf dem Gebiet des sogenannten Somnambulismus Erfahrung gesammelt und selbst die Beobachtung gemacht haben, welche störende Wirkung auf magnetische Personen sich nähernde Fleischbolde hervorbrachten, woher diese Wirkung kommt und worin sie ihren Grund hat? Hat doch auch ein solcher ungebetene Gast die Somnambule nicht berührt, und dennoch empfindet sie im Augenblick des Eintritts eines solchen Gastes eine krampfhafte und nicht selten schmerzliche Wirkung.
[GS.02_113,11] Sehet, der Grund liegt in der sogleich erfolgten schändlichen Herabziehung der geistigen Sphäre der Somnambule. Bei der Somnambulen aber entsteht daraus kein moralisches Übel, weil ihre Sphäre abgeschlossener ist, und weil jede Somnambule sogleich alles mögliche aufbietet, um einen solchen Gast von sich zu entfernen.
[GS.02_113,12] Frage: Geschieht das auch im natürlichen Zustande, wo die Sphäre eines jeden Menschen viel ausgedehnter ist und er die Empfindung des Nachteiles in sich nicht wahrnimmt? Fürwahr, die Einwirkung ist im naturmäßigen Zustande noch um vieles ärger als im somnambulen, aus welchem Grunde auch für dergleichen unkeusche Gedanken und Begierden ein eigenes Gebot gegeben ist, daß sich ein jeder derselben enthalten und entschlagen soll.
[GS.02_113,13] Wer demnach einen solchen Fleischbold betrachtet, wie er ist, der sieht schon wieder ein vollkommenes Bild der Hölle. Er streife ihm nur die Materie ab und beschaue dessen absoluten Geist, und er wird Wunder von A bis Z erschauen. Zuerst einen Geiler auf jede erdenkliche Weise, daneben einen Wütenden, der mit Ingrimm sich am Schöpfer wie an der ganzen Schöpfung wegen der vermeinten Unvollkommenheit seiner Natur schändlichst rächen will. Mehr brauche ich hier nicht zu sagen; denn wer Augen hat, der kann selbst schauen. – Im nächsten weiblichen Bilde werden wir die Erscheinung dieser Hölle noch klarer vor uns haben. –
114. Kapitel – Herrschsucht und Hochmut – Samen der Hölle.
[GS.02_114,01] Es braucht einen geringen Grad psychologischer Kenntnis, um im allgemeinen herauszufinden, daß im weiblichen Geschlecht die Herrschsucht der vorherrschendste Charakterzug ist; denn Herrschlust und Eitelkeit sind Zwillingsgeschwister und haben somit eine und dieselbe Stammwurzel. Wo aber ist das Weib, das nicht irgendeinen Grad von Eitelkeit besäße, sei es in ihrem Kleiderwesen oder in ihrer Zimmereinrichtung oder in noch so manchem anderen?
[GS.02_114,02] Prüfet den Zug dieser Eitelkeit und ihr werdet hinter ihm nichts finden als das lebendige Samenkörnchen des Hochmutes und der nachfolgenden Herrschsucht.
[GS.02_114,03] Man wird hier sagen: Nein, das heißt die Sache zu tief und zu grob angepackt! Man sollte im Gegenteil einen gewissen Grad von Eitelkeit beim weiblichen Geschlecht eher loben als schonungslos an den Pranger des tiefsten Tadels stellen. Denn dieser gewisse Grad von Eitelkeit ist sicher nur ein Kind der weiblichen Scham und des damit verbundenen Reinlichkeitssinnes, was aber offenbar nur eine lobenswerte Tugend und nie ein Fehler des weiblichen Geschlechts ist. Gut, sage ich, es ist auf der Welt leider so weit gekommen, daß man das Gefühl der Scham für eine Tugend hält und mit der Ehre die Menschheit krönt, und das ist die beste Ernte für die Hölle; denn auf diesem Wege müssen die Menschen fallen, wo sie auf einem anderen höchstens fallen könnten.
[GS.02_114,04] Man fragt: Wieso denn? Ich aber frage: Wessen Anteil ist des Menschen irdische Ehre? Ist sie ein Anteil seiner Demut oder seines Hochmutes? Der Demütige strebt nach der untersten Stufe, wo es keine Ehre und Auszeichnung mehr gibt, wie der Herr mit dem großen Beispiele vorangegangen ist und Seine Ehre in die allertiefste Demütigung und in das, was eigentlich die größte Weltschande ist, gesetzt hat.
[GS.02_114,05] Eine ähnliche Ehre wurde allen Seinen ersten Nachfolgern zuteil. Ich aber frage: Was hat da das Schamgefühl zu tun, wo man verfolgt, verspottet und endlich nackt ans Kreuz geschlagen wird? Wieviel Ehre mag wohl der noch im Leibe haben, wieviel Schamgefühl, der auf den Galgen gezogen wird? Ich meine, bei dieser Gelegenheit dürften diese beiden so hochgeachteten Menschlichkeitsattribute in den Hintergrund gestellt sein.
[GS.02_114,06] Wenn man aber schon etwas als eine Tugend aufführen will, so sollte man dasselbe doch wenigstens in einem oder dem andern Punkte auf Christum als den Zentralpunkt aller Tugend beziehen können. Ich aber frage: Wann hat Er je die Scham und das Ehrgefühl als eine Tugend des Menschen gepriesen? Im Gegenteil untersagte Er es Seinen Jüngern und Aposteln, nach irgendwelcher Ehre zu streben, indem Er zu ihnen sagte, daß sie sich nicht sollen grüßen und ehren lassen, wie es die Pharisäer verlangten und gerne sehen und haben, daß man sie auf den Gassen grüßt und Rabbi nennt.
[GS.02_114,07] Demzufolge aber kann ich durchaus nicht begreifen, aus welchem Grunde man das Schamgefühl und die damit verbundene Ehrsucht, welche beim weiblichen Geschlechte ganz besonders vorherrschend ist, als eine Tugend bezeichnen kann.
[GS.02_114,08] Man wird hier sagen: Man nehme dem weiblichen Geschlechte das Schamgefühl und man wird bald lauter Huren vor sich haben. Oho, sage ich, geht es auf diesem Wege? Dann sage ich ganz bestimmt hinzu: Es gibt in dieser Hinsicht kein besseres Reizmittel für das weibliche Geschlecht, als das Schamgefühl. Es braucht nichts als ein bißchen Gelegenheit dazu und ein jedes weibliche Wesen ist vermöge dieses Gefühles zur Unzucht reif; denn nichts ist leichter über den Daumen gedreht als eben ein solches Gefühl, das nichts anderes als seine eigene Eitelkeit zum Grunde hat. Das bißchen Ehre, das dem Schamgefühl gegenübersteht, ist eine so schwache Stütze für die Tugend, daß man über sie auch nicht den leisesten Wind kommen lassen darf, um sie nicht augenblicklich zu verwehen.
[GS.02_114,09] Aus dem aber geht doch klar hervor, daß es mit dieser Art weiblicher Tugend einen außerordentlich verhängnisvollen Haken hat. Um aber dieses in ein recht scharfes Licht zu stellen, will ich euch aus eurem Leben gegriffene Beispiele vorführen.
[GS.02_114,10] Ich setze den Fall, einer von euch gerät zufällig an einem Morgen in ein weibliches Ankleidekabinett, in welchem einige Jungfrauen noch im Negligé versammelt sind. Ein Zetergeschrei wird sich erheben, und die Jungfern werden nach allen Winkeln und hinter alle Vorhänge die Flucht ergreifen; natürlich aus lauter „Schamgefühl“. Was aber habt ihr bei dieser Gelegenheit von all ihren weiblichen Reizen gesehen? Höchstens einen zerzausten Kopf, ein ungewaschenes, schläfriges Gesicht, einen kaum bis über den Ellenbogen bloßen Arm und allenfalls noch eine halbe Brust. Nun aber ziehen sich diese Jungfern an. Der Arm wird nicht selten bis unter die Achseln entblößt, Nacken und Busen, soviel es eine gewisse Dezenz gestattet, unbekleidet gelassen oder höchstens mit einem durchsichtigen Spitzenzeug bedeckt, um damit die Reize der nackten Teile zu erhöhen. Damit hat es mit dem Morgen-Schamgefühl ein Ende.
[GS.02_114,11] Frage: Liegt hier das Schamgefühl in der Jungfrau oder im Negligékleide? Aber nur weiter! Dieselbe schamhafte Jungfrau, die beim Morgenbesuch aus lauter Scham beinahe vom Schlage getroffen wurde, und die sich in dieser Stunde um keinen Preis der Welt von einem Manne hätte anrühren lassen. – eben diese super-schamhafte Jungfrau wird abends in beinahe halbnacktem Zustande auf einen Ball geführt und läßt sich nun von ihrem Tänzer ungeniert angreifen und nicht selten, wie ihr sagt, kreuz und quer abdrücken. Frage: Wo bleibt hier das morgendliche Schamgefühl? Sicher auch zu Hause im unvorteilhaften Negligégewande. Aber nur weiter!
[GS.02_114,12] Dasselbe schamhafte Mädchen hat entweder auf dem Balle oder bei einer anderen Gelegenheit, etwa bei einer ehrsamen Visite oder bei einem noch ehrbareren, unschuldigen Spaziergange eine ihr zusagende jungmännliche Augenbekanntschaft gemacht. Für diesen Gegenstand wird soviel als möglich bei jeder Gelegenheit dem Schamgefühle Lebewohl gesagt. Gar bald wird unsere Schamhafte den Blicken ihres erwählten Gegenstandes ablauschen, wohin diese am meisten gerichtet werden, und unsere schamhafte Jungfrau wird sobald alle Sorgfalt darauf verwenden, um diejenigen Teile so vorteilhaft als möglich öffentlich zu präsentieren.
[GS.02_114,13] Wenn ihr Auserwählter unsere schamhafte Jungfrau aber in einer Gesellschaft treffen wird, in der sie sich gewisserart von der ehrbarsten Seite zeigen will, da wird er sich begnügen müssen, so sie ihm bei günstiger Gelegenheit ein paar verstohlene Blicke zuwirft, aber noch mehr wird sie bemüht sein, ihm ihre Königschaft in der Gesellschaft an den Tag zu legen. Wehe ihm, wenn er sich da vergäße und sich ihr zu viel nähern wollte. Wenn es aber eine Zusammenkunft gilt, besonders an einem Orte, wo die Strahlen der Sonne nicht direkt einfallen, auch die Schallwellen des Weltgetümmels nur gebrochen oder garnicht hingelangen, da wird das Schamhaftigkeitsgefühl völlig besiegt, und unsere am Morgen so schamhafte Jungfrau gibt sich ihrem geliebten Gegenstande, ich möchte sagen, von Angesicht zu Angesicht oder vom Scheitel bis zur Ferse zur Beschauung preis. Und ein freies Betasten wird bei solcher Gelegenheit durchaus nicht als ein Verstoß gegen das jungfräuliche Schamgefühl betrachtet.
[GS.02_114,14] Auf diese Weise geht dieses gepriesene Tugendgefühl völlig unter; und ich frage: Wo ist nun die Wirkung dieses so hoch gepriesenen Gefühles? Es ist verflogen und hat seine wahre Gestalt bei Abnahme der Maske gezeigt. Und jeder Nüchterne kann so erschauen, wie es nichts anderes ist als eine Schlange in der weiblichen Brust, oder der untersten Hölle erstes Samenkorn, von welchem hernach, wenn es sich entfaltet hat, alle möglichen weiblichen Laster wie aus einem Füllhorne hervorsprudeln. – Wie aber dieses vor sich geht, wollen wir in der Folge so handgreiflich wie bis jetzt vor jedermanns Augen stellen. –
115. Kapitel – Früchte, die für die Hölle reifen.
[GS.02_115,01] Gehen wir auf unsere „züchtige“ Jungfrau zurück und folgen ihr abermals in eine Gesellschaft, wo sie zufolge ihrer weiblichen Reize die Königin spielt. Ihr Geliebter findet sich auch in dieser Gesellschaft ein. Was tut aber nun seine Favoritin? Gibt sie sich etwa mit ihm ab? O nein, dagegen mit einer Menge anderer Gesellschaftsbesucher, von denen sie sich über Hals und Kopf, wie ihr sagt, den Hof machen läßt. Aus welchem Grunde eigentlich?
[GS.02_115,02] Ich sage, weil ich die Welt sehr genau kenne: Sie tut das nicht etwa deshalb, um ihrem erwählten Liebhaber untreu zu werden, sondern nur um ihm zu zeigen, welchen enormen Wert sie hat. Sie sagt ihm dadurch gewisserart indirekt: Erkenne aus dieser Erscheinung, welch einen Millionenschatz du an mir hast!
[GS.02_115,03] Der Liebhaber aber, weil er nicht im Besitze der Allwissenheit ist, faßt die Sache von einem andern Gesichtspunkte auf, er wird bald düster und wendet seine Augen ab von der Stelle, wo sich seine Geliebte den Hof machen läßt. Wirft er auch noch verstohlene Blicke auf den verhängnisvollen Punkt, so sind diese schon voll brennender Eifersucht.
[GS.02_115,04] Unsere Jungfrau merkt dieses, bessert sich aber dadurch nicht im geringsten. Wohl aber fängt sie an, ihr Spiel noch ärger zu treiben, um sich an ihrem Liebhaber zu rächen, der gerade da ihren hohen Wert zu verkennen anfing, wo sie ihn am meisten vor ihm entfalten wollte. Bei dieser Gelegenheit sucht der Liebhaber so früh als möglich sich von der Gesellschaft zurückzuziehen, mit dem Vorsatz im Herzen: Warte Kanaille! Wenn wir nur einmal noch unter vier Augen zusammenkommen, da werde ich dir meine Meinung auf eine Art bekanntgeben, an die du denken sollst! Denn nun verlange ich nichts mehr, als mich nach Gebühr für deine Untreue an dir zu rächen.
[GS.02_115,05] Sie kommen zusammen, und die Frucht dieser Zusammenkunft sind die brennendsten Vorwürfe. Eine Liebescheidung ist meist die Folge, nur selten eine Wiedervereinigung, welche aber ebensowenig mehr Stand hält wie die erste Liebe. Nichtwiedervereinigung und Vereinigung gehen hier immer auf dasselbe hinaus; denn vereinigen sie sich wieder, so dient diese Wiedervereinigung gewöhnlich dazu, sich beiderseitig den Wert möglichst noch fühlbarer zu machen, und so ist eine solche Wiederliebe meistens nichts anderes als eine verkappte Rache. Und vereinigen sie sich nicht, so werden sie gegenseitig auch jede Gelegenheit suchen, wo eins das andere darin zu übertreffen sucht, seine Verachtung auf das Unbarmherzigste fühlen zu lassen.
[GS.02_115,06] Die Jungfrau setzt sich bald aus lauter Rache über alle Schranken des Schamgefühls hinweg und wird eine Kokette. Kriecht da der alte Liebhaber nicht zu Kreuze, was sie wünscht, so wird sie aus demselben Rachegefühl eine Hure, worauf der Liebhaber den letzten Rest seines alten Gefühls aus seinem Herzen verbannt. Und hat unsere ehedem schamhafte Jungfrau den süßen Stachel der Wollust verkostet, so bringt sie, wie ihr zu sagen pflegt, kein Gott mehr auf die Bahn der Tugend zurück. Wird sie dadurch unglücklich, so wälzt sie im vollen Grimme ihres Herzens zumeist alle Schuld auf jenen ersten Liebhaber, der ihre Absicht und ihre erste Tugend schändlich verkannt habe.
[GS.02_115,07] Was ist aber das hernach? Es ist nichts anderes als die schon völlig entwickelte Frucht des erst so hoch gepriesenen weiblichen Schamgefühls. Der Name der Frucht lautet: Unterste vollkommene Hölle! oder auch: Vollkommen reife Hölle, wenn die äußere Schale abfällt! Denn was würde eine solche unglückliche Jungfrau demjenigen alles antun, den sie, wenn auch irrig, als den Grund ihres Unglückes ansieht?
[GS.02_115,08] Wenn es ihr möglich wäre, im Augenblicke ihrer freien Wut ihn von tausend glühenden Schlangen zerstückt zu sehen, so würde diese Rache kaum ein kühlender Tautropfen auf ihr wutentflammtes Herz sein.
[GS.02_115,09] Wer das nicht glauben möchte, der besuche eine solche unglückliche Jungfrau und lasse sich mit ihr in ein Gespräch über den bewußten Gegenstand ihres Unglückes ein. Er wird im besten Falle aus dem weiblichen Munde sobald gleichsam alle Vulkane der Erde sprühen sehen; im schlimmeren Falle aber wird es heißen: Ich bitte, mich damit zu verschonen! Wenn ihr solches vernommen habt, so könnt ihr schon denken, um welche Zeit es ist. – Wir hätten nun so weit die Früchte beleuchtet, wie sie für die Hölle reifen; nächstens aber werden wir die Sache spezieller beleuchten. –
116. Kapitel – Alle Geheimnisse werden im geistigen Zustande offenbar.
[GS.02_116,01] Nicht selten geschieht es, daß eine solche gekränkte Jungfrau aus bloßer Rache gegen ihren früheren Liebhaber einen andern heiratet, für den sie keinen Funken Liebe in ihrem Herzen trägt. Mit dieser Tat wollte sie ihren früheren, sie verkennenden Liebhaber aufs empfindlichste strafen, ja womöglich ihn durch diese Kränkung sogar aus der Welt schaffen. Was geschieht aber?
[GS.02_116,02] Der alte Liebhaber kränkt sich nicht, sondern sucht sich guten Mutes eine andere Geliebte. Nicht selten eine bessere, als die erste war. Welche Wirkung aber hat das bei der verheirateten ersten Geliebten? Sie wird mürrisch und verschlossen. Ihr Mann fragt sie um die Ursache, aber umsonst! Was sie bedrückt, ist vor ihren Augen zu groß und schwer und zu verdächtig gegen ihren neuen Gemahl, als daß sie es ihm anvertrauen wollte. Sie unternimmt zwar keine weiteren Schritte mehr, um ihrem alten Geliebten Steine unter die Füße zu legen und ihn über Abgründe zu locken, aber desto tiefer begräbt sie die Ursache ihres Grams in ihr Herz. Es vergehen Jahre, und wie gewöhnlich die Zeit das beste Pflaster ist zur Heilung mancher Wunden, freilich nur ein palliatives (umhüllendes), so heilt sie auch diese. Solche Menschen werden dann nicht selten noch recht gute Freunde.
[GS.02_116,03] Man wird hier sagen: Nun, wenn das der Fall ist, da wird wohl auch die Hölle ihren letzten Rest empfangen haben; denn wo Freundschaft an die Stelle ehemaliger Feindschaft tritt, da tritt doch sicher entsprechendermaßen auch der Himmel an die Stelle der Hölle. So scheint es wohl dem außen nach. Aber da sehen wir eben vor uns einen Krieger, der viele Wunden auf seinem Leibe trug. Diese Wunden haben ein palliatives Pflaster und die Zeit geheilt. Wenn das Wetter schön ist, geht unser Krieger munter einher und weiß kaum, daß sein Leib voll vernarbter Wunden ist. Aber nun kommt ein böses Wetter. Seine Wunden fangen an, sich zu rühren, und je böser das Wetter wird, desto unausstehlicher brennen ihn seine Wunden. Wie ein Verzweifelter wälzt er sich auf seinem Lager. Er flucht über das Kriegswesen, über alle Feldherrn, über den Kaiser, ja über Gott, über seine Eltern und über den Tag, an dem er geboren wurde.
[GS.02_116,04] Sehet, in dem haben wir ein treues Bild für dergleichen moralische Palliativfreundschaften, welche eine Folge der irdischen vergeßlichen Zeit sind. Lassen wir aber ein böses Wetter kommen, das heißt, lassen wir solcher Freunde absolute Geister jenseits in dem Momente zusammentreten, in dem sie auf der Erde gegeneinander gesündigt haben, dann im Momente, wo sie mittels des hellen Schauens ihres Geistes die aus ihrer gegenseitigen Versündigung hervorgegangenen Nachteile erschauen, daneben aber auch die Vorteile, welche sie auf dem Wege der Nichtversündigung hätten erlangen können, und wir werden sie einander mit größter Verachtung und entsetzlichen Verwünschungen begegnen sehen. Und das ist doch sicher kein Himmel im entsprechenden Maße, wie es sich nach außen zu erschauen gab, sondern die barste Hölle in unterster Potenz.
[GS.02_116,05] Daher heißt es auch in der Schrift, daß sich ein jeder gar wohl prüfen soll, und: es ist nichts so verborgen und so Geheimes im Menschen, daß es dereinst nicht laut von den Dächern der Häuser verkündet würde. Das will sagen: Der Mensch hat nichts so vollkommen Allerinwendigstes in sich, daß es sich im absolut geistigen Zustande nicht äußerlich erschaulich beurkundet. Aus diesem Grunde ist einem jeden Menschen nachdrücklich zu raten, alle freundlichen und feindlichen Verhältnisse, in denen er sich je befunden hat, genauest zu prüfen, welche Wirkung sie auf sein Gemüt ausüben würden, so er in diese zurückversetzt würde. Denn darauf muß sich ein jeder hier auf der Erde lebende Mensch gefaßt machen, daß er jenseits im absolut geistigen Zustande in alle jene verhängnisvollen Zustände lebendigst versetzt wird, welche ihm hier als die größten Steine des Anstoßes galten; – denn der Herr Selbst ist mit diesem Beispiele vorangegangen.
[GS.02_116,06] Zuerst wurde Er auf der Welt von Seinen Feinden gerichtet und inmitten von Missetätern gekreuzigt, dann stieg Seine wesenhafte Seele nicht sogleich auf in den Himmel, sondern hinab zur Hölle, wo Seine größten Feinde Seiner harrten, wennschon auch manche alte Freunde wie die alten Väter und gar viele Propheten und Lehrer. –
[GS.02_116,07] Wenn jemand auf dieser Welt nicht den letzten Heller zurückbezahlt hat, wird er nicht vermögen, in das Himmelreich einzugehen. Darum heißt es hier fleißig alle diese alten Schuldbücher durchgehen und besonders diejenigen, welche das Wort Liebe als Aufschrift führen. Liebeschulden sind für Jenseits die hartnäckigsten. Ein Millionenraub wird leichter aus der geistigen Gedächtniskammer vertilgt als eine Liebeschuld. Warum? Weil ein Millionenraub nur eine äußere, den Geist nichts angehende, große Verschuldung ist; aber die Liebeschuld betrifft zumeist den ganzen Geist, weil alles, was Liebe ist, das eigentliche Wesen des Geistes ausmacht. Aus diesem Grunde ist für den Menschen auf dieser Welt nichts so gefährlich, wie das sogenannte „Verliebtwerden“; denn dieser Zustand nimmt den ganzen Geist in Anspruch. Treten hernach äußere Hindernisse ein, welche dergleichen vorzeitige gegenseitige Geschlechtsliebe nicht verwirklichen lassen, so ziehen sich die beleidigten Geister wohl zurück, lassen sich durch allerlei Weltgeflitter ihre erhaltenen Wunden wohl palliativ verheilen; aber nichtsdestoweniger werden sie aus dem Grunde geheilt.
[GS.02_116,08] Kommt dann das geistige böse Wetter hinterdrein, so brechen diese Wunden von neuem auf. Dieser zweite Zustand wird um vieles ärger sein als der erste; wie auch in der Schrift von den ausgetriebenen sieben Geistern die Rede ist. Da wird auch durch äußere Mittel wohl das Haus gereinigt und der böse Feind durchwandert dürre Wüsten und Steppen; aber weil er da keines Bleibens findet, nimmt er noch sieben andere, die ärger sind denn er, zu sich und zieht dann wieder in sein altes, gereinigtes Haus ein.
[GS.02_116,09] Das alte, gereinigte Haus ist der Geist, der auf dieser Welt durch äußere Mittel gereinigt wird; der böse Geist ist der schlechte Zustand, in dem sich ein Mensch auf dieser Erde einmal befunden hat. Dieser wurde durch die äußeren Mittel völlig hinausgeschafft. Er durchwandert nun dürre Wüsten und Steppen, das heißt, der Geist des Menschen heilt und vernarbt seine Wunden, daß sie dürre werden und nicht mehr bluten. Aber der böse Geist kehrt zurück mit noch sieben anderen, das heißt, im absolut geistigen Zustande werden alle Wunden wieder bloßgestellt, brechen von neuem und mit bei weitem größerer Heftigkeit auf; und das ist dann der Zustand, der schlimmer ist als der erste.
[GS.02_116,10] Überall aber, wo ihr ein Wesen gegen das andere im höchsten, verderblichsten Zorne auftreten sehet, da ist auch schon die Fundamentalhölle vollendet da!
[GS.02_116,11] Aus diesem Grunde rate ich, Johannes, als nun wohlerfahrener, ewiger Diener und Knecht des Herrn allen Menschen, besonders aber den Eltern, daß sie ihre Kinder vor nichts so sorgfältigst warnen wie vor dem sogenannten Verliebtwerden. Wie sehr der Geist darunter leidet, könnet ihr bei jedem studierenden Jünglinge, der sich unzeitigermaßen verliebt hat, schon naturmäßig klar erschauen; denn ein solcher Jüngling ist sicher für seine ganze Lebenszeit verdorben und keines geistigen Fortschrittes fähig. Mag er sonst auch was immer für eine Leidenschaft haben, so könnet ihr sie ihm durch eine gerechte Leitung hinwegnehmen und aus ihm einen ordentlichen Menschen machen. Aber ein gewisses lebendiges Zauberbild, das sich mit dem Geiste einmal verbunden hat, bringet ihr schwerer aus einem jugendlichen Gemüte, gleich welchen Geschlechtes, als einen Berg von seiner Stelle.
[GS.02_116,12] Und eben solchem unzeitigen Verliebtwerden liegt die größte geistige Unzucht zugrunde; denn Unzucht oder Hurerei ist alles, was auf den Betrug des Geistes absieht.
[GS.02_116,13] Da aber die Liebe am meisten des Geistes ist, so ist ein Betrug der Liebe oder eine offenbare Verschuldung an dieser der wahren geistigen Unzucht tiefster und unterster Grad oder die eigentliche unterste Hölle.
[GS.02_116,14] Das bisher Gesagte hat jedermann überaus und lebendigst zu beherzigen. – Nächstens solcher speziellen Betrachtungen mehr. –
117. Kapitel – Himmel und Hölle – Polaritäten im Menschen.
[GS.02_117,01] Man wird hier sagen: Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, daß die Sache am Ende eine solche Wendung nimmt und jede dem Geiste versetzte Wunde in dessen absolutem Zustande offenbar wird und reagiert. Aber nach der Grunderläuterung der Fundamentalhölle sehen wir noch immer nicht ein, wie dergleichen Reminiszenzen auf dieser Welt beleidigter Liebe sich dann im absoluten geistigen Zustande als Grundhölle beurkunden sollen. Denn es gibt ja doch nicht leicht einen Menschen auf der Erde, der nicht ähnliche Kränkungen entweder selbst erlitten hat oder Ursache derselben war. Nimmt man aber das an, daß sich im absolut geistigen Zustande solche lebhafte Erinnerungen als grundhöllisch beurkunden, so möchten wir im Ernste wissen, wieviel Menschen eines ganzen Jahrhunderts in den Himmel gelangen?
[GS.02_117,02] Wie kann solches dem Menschen auch zu einem so verdammlichen Gerichte gereichen, wenn er sich in einem höchst passiven Zustande gegen eine göttliche Ordnung versündigen muß, die in sich aufrecht zu halten ihm die dazu erforderliche Kraft vielfacher Erfahrung gänzlich mangelt?!
[GS.02_117,03] Gut, sage ich, wer mir solchen Einwurf macht, den ersuche ich, das Frühere etwas gründlicher durchzugehen. Er wird da dargetan finden, wie ich durchaus nicht darstellte, wer in die Hölle kommt und wie viele; sondern lediglich nur das jedermann kundtue, was bei den Menschen rein Hölle in ihrer Erscheinlichkeit ist. Denn auf der ganzen Erde gibt es keinen so vollkommenen Menschen, der nicht ebensogut die ganze Hölle vom Grunde aus in sich trüge, als wie er in sich trägt den ganzen Himmel.
[GS.02_117,04] Wie ich aber zuvor hinreichend dargetan habe, was im Menschen der Himmel ist und wie dieser in ihm geschaffen und fortgepflanzt wird, ebenso muß ich ja auch zeigen, wie im Menschen die Hölle geschaffen und fortgepflanzt wird.
[GS.02_117,05] Es wäre traurig und höchst unbarmherzig, wenn ein Mensch aus dem Grunde, weil er das vollkommen erscheinliche Bild der Hölle in sich trägt, auch schon ein Bewohner derselben sein sollte. Wäre das der Fall, so müßten auch alle Engel höllische Geister sein; denn auch sie tragen das vollkommene Bild der Hölle erscheinlich in sich. Wäre das nicht der Fall, da wäre es keinem Engel möglich, je in diesen Ort einzudringen und da die empörten Geister zur Ruhe zu bringen. Ich selbst könnte euch die Hölle nicht zeigen und enthüllen, hätte ich sie nicht vollständig in mir. Zudem wäre das für die Bewohner des Himmels auch sehr gefährlich, so sie nicht das entsprechende erscheinliche Bild der Hölle in sich hätten, indem sie da nicht erschauen könnten, was die Hölle alles gegen sie unternimmt.
[GS.02_117,06] So aber kann kein Geist in der ganzen Hölle irgend etwas unternehmen, was wir nicht augenblicklich in uns zu erschauen vermögen.
[GS.02_117,07] Zugleich verhalten sich Hölle und Himmel in den Menschen wie die zwei entgegengesetzten Polaritäten, ohne die kein Ding existierbar gedacht werden kann.
[GS.02_117,08] Und so dient das zu jedermanns Kenntnis, daß hier durchaus nicht davon die Rede ist, wer in die Hölle kommt, denn das hieße die Menschheit auf der Erde richten, sondern allein davon, was die Hölle in sich selbst ist.
[GS.02_117,09] Daß aber dergleichen Liebeveruntreuungen in sich selbst rein Hölle sind, kann ein jeder daraus ersehen, daß diese Veruntreuungen Eigenliebe und Herrschsucht zum Fundamente haben.
[GS.02_117,10] Denn was ist die Eifersucht anderes als die Erweckung der Eigenliebe, der Selbst- und Herrschsucht? Der Eifersüchtige ist nicht darum eifersüchtig, weil etwa sein erwählter Gegenstand zu wenig Liebe hätte, sondern nur darum, weil er selbst in seiner Forderung verkürzt wird und seinen Wert zu gering angesetzt findet in demjenigen Gegenstande, von dem er eben die höchste Achtung erwartete.
[GS.02_117,11] Frage: Ist das nicht der ganz entgegengesetzte Pol von dem Zustand, wo man seiner selbst aus Liebe zu seinem Nächsten was immer für eines Geschlechtes gänzlich vergessen soll, um sich ganz zum Wohle seines Nächsten bereit zu halten?
[GS.02_117,12] Wie aber kann ein jeder Mensch diese Grundhölle in sich unterjochen, sie nicht aktiv, sondern rein passiv machen?
[GS.02_117,13] Das ist überaus leicht. Man vergebe dem beleidigten wie dem beleidigenden Teile von ganzem Herzen im Namen des Herrn und segne den Beleidigten wie die Beleidigenden ebenfalls im Namen des Herrn (es versteht sich von selbst, daß solches alles vollernstlich geschehen muß) – und die ganze Hölle ist im Menschen schon unterjocht!
[GS.02_117,14] Ich sage euch, fürwahr, ein reumütiger Blick zum guten Vater genügt, um der Hölle für alle Ewigkeit zu entrinnen! – Sehet an den Missetäter am Kreuz, er war ein Räuber und Mörder; aber da blickte er zum Herrn empor und sprach mit großer, schmerzlicher Zerknirschung seines Herzens: „O Herr! Wenn Du in Dein Reich kommst und wider uns große Missetäter zu Gerichte ziehen wirst, da gedenke meiner und strafe mich nicht zu hart für meine großen Missetaten, die ich verübt habe!“
[GS.02_117,15] Und sehet, der große, allmächtige Richter sprach zu ihm: „Wahrlich, heute noch sollst du bei Mir im Paradiese sein!“
[GS.02_117,16] Aus diesem wahrhaftigen Begebnisse kann doch hoffentlich ein jeder nur einigermaßen gläubige Christ entnehmen, wie überaus wenig es im Grunde bedarf, um die ganze allerunterste, mächtigste Hölle auf ewig zu unterjochen.
[GS.02_117,17] Das Beispiel des samaritischen Weibes am Jakobsbrunnen, das mit sieben Männern gebuhlt hatte, ist obigem Beispiele gleich, wo der Herr zu ihm spricht: „Weib, gib Mir zu trinken!“ Und wieder: „Wenn du wüßtest, wer Der ist, der zu dir spricht: Weib, gib Mir zu trinken, so würdest du zu Ihm sagen, daß Er dir vom lebendigen Wasser zu trinken gebe, auf daß dich ewig nimmer dürste!“ Also lauten die Worte getreu, wie sie an Ort und Stelle gewechselt wurden.
[GS.02_117,18] Wer aber sieht hier nicht, welchen geringen Ersatz der Herr von dieser Sünderin für die Hingabe des Himmelreiches verlangt – bloß einen Trunk Wassers! Also ist auch einem jeden nur einigermaßen in der Schrift bewanderten Christen das Begebnis mit der Ehebrecherin und das Leben der Maria Magdalena bekannt. Der ersteren Schuld schreibt der Herr zweimal in den Sand und Magdalena durfte Ihm die Füße salben und war diejenige, zu der der Herr nach Seiner Auferstehung zuerst kam! Ebenso zeigt der Herr auch beim verlornen Sohne und im Suchen des hundertsten verlornen Schafes, wie wenig Er von dem Sünder zur Erlangung der Gnade und Erbarmung verlangt!
[GS.02_117,19] Darum wollen wir hier auch nicht kundtun, wer in die Hölle kommt, sondern nur, wie die Hölle in sich selbst beschaffen ist. –
118. Kapitel – Himmlische und höllische Prinzipien.
[GS.02_118,01] Ich habe schon wieder einen, wie ihr zu sagen pflegt, auf der Mücke, der da spricht: Es ist alles recht; die Anschauung des Erscheinlichen der Hölle kann von manchem Nutzen sein, aber nicht eher, als bis man weiß, wann die im Menschen oder in einer ganzen menschlichen Gesellschaft erscheinliche Hölle so positiv auftritt, daß sie zur Hauptpolarität wird, und diejenigen, bei denen sie sich also äußert, wirklich der Hölle angehören. Kurz gesagt, wer in die Hölle kommt, wie und wann man in sie kommt, muß man erst genau wissen, sonst nützt einem jede noch so genaue Kenntnis des Erschaulichen der Hölle nichts. Wer da nicht weiß, wo er in die Hände des Feindes geraten kann, wie und wann, der ist schon verloren; denn wo er sich am sichersten wähnen wird, eben da wird er von seinem Feinde überfallen werden, und er ist sicher ohne Rettung verloren. Daher fragt es sich: Wann kommt ein wie immer gearteter Sünder in die Hölle und wann nicht?
[GS.02_118,02] Diese Frage kann man füglich stellen, weil man in der hl. Schrift so viele Beispiele hat, wo ganz gleiche Sünder in die Hölle gekommen sind und ganz gleiche wurden gerettet. – Ich Johannes aber sage: Diese Frage klingt wohl, als hätte sie irgendeinen weisen Grund; aber dennoch ist hier nichts weniger als das der Fall. So ich die Erscheinlichkeit der Hölle dartue, so tue ich auch indirekt das dar, wem so ganz eigentlich die Hölle zukommt. Man wird sich doch hoffentlich bei dieser Darstellung unter dem Begriffe Hölle keinen positiv kerkerlichen Ort denken, in welchen man kommen kann, sondern nur einen Zustand, in welchen sich ein freies Wesen durch seine Liebeart, durch seine Handlung, versetzen kann. Ein jeder Mensch, der nur einigermaßen reif zu denken imstande ist, wird hier doch leicht mit den Händen greifen, daß ein Mensch so lang der Hölle angehört, solange er nach ihren Prinzipien handelt. Ihre Prinzipien aber sind Herrschsucht, Eigenliebe und Selbstsucht. Diese drei sind den himmlischen Prinzipien gerade entgegen, welche da sind Demut, Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten.
[GS.02_118,03] Wie leicht ist das voneinander zu unterscheiden, ja leichter, als man die Nacht vom Tage unterscheidet. Wer bei sich klar erfahren will, ob er der Hölle oder dem Himmel angehört, der frage sorgfältig sein inneres Gemüt. Sagt dieses nacheinander nach der Grundneigung und Liebe: Das ist mein und jenes ist auch mein, und das möchte ich und jenes möchte ich auch, dieser Fisch ist mein und den andern will ich fangen, gebt mir alles, denn ich möchte, ja ich will alles. – Wo das Gemüt sich also hören läßt, da ist noch die Hölle der positive Pol.
[GS.02_118,04] Wenn aber das Gemüt sagt: Nichts ist mein, weder dieses noch jenes, alles ist des Einen und ich bin des geringsten nicht wert, und so ich etwas habe oder hätte, soll es nicht mein, sondern meiner Brüder sein – wenn das die innere Antwort des Gemütes ist, so ist der Himmel der positive Pol.
[GS.02_118,05] Wenn sonach jemand eine Maid erwählt hat, und ein anderer erwählt sie auch, und der erste ist dann sobald voll gröbster Eifersucht, wenn der zweite auch Zutritt erhält, so ist bei ihm schon der Pol der Hölle vorherrschend. Spricht aber der erste: Meine Liebe, du allein bist deines Herzens Gebieterin. Ich liebe dich wahrhaft, darum will ich kein Opfer von dir, wohl aber bin ich bereit, dir jedes Opfer zu deinem Besten zu bringen; darum bist du von mir aus vollkommen frei. Tue demnach, was du willst und wie es dir gut dünkt; meine aufrichtige Liebe und Freundschaft wirst du darum nie verlieren. Denn zwänge ich dich, mir deine Hand zu reichen, da würde ich nur mich in dir lieben und möchte dich zu einer Sklavin machen. Ich aber liebe nicht mich in dir, sondern dich allein in mir. Daher hast du von mir aus auch die vollkommene Freiheit, alles zu ergreifen, was du zu deinem Glücke für am meisten tauglich hältst.
[GS.02_118,06] Sehet, aus dieser Sprache leuchtet schon der Bürger des Himmels, denn so spricht man im Himmel. Und wer so vom Grunde seines Herzens sprechen kann, in dem ist schon kein positiver Tropfen einer Hölle mehr vorhanden.
[GS.02_118,07] Wer sich bei diesem am meisten kitzligen Punkte also verleugnen kann, der wird sich in den anderen weniger kitzligen Punkten um so leichter verleugnen. Wer aber da eifersüchtig wird, und sogleich mit seiner Geliebten die Liebe bricht, sie in seinem Herzen durch Verachtung, Groll und Zorn verwünscht und ebenso seinem Nebenbuhler begegnet, der handelt schon aus der Hölle, die bei ihm ganz klar den positiven Pol bildet.
[GS.02_118,08] Die Regel für den himmlischen Menschen ist diese: Wer bei was immer sieht, daß damit auch die Liebe seines Nächsten beschäftigt ist, der soll sich sogleich zurückziehen und seinem Nächsten gegen die Verwirklichung seiner Liebe keine Schranken setzen; denn es ist besser, bei jeder Gelegenheit in der Welt leer auszugehen, als durch irgendeinen wenn auch ganz unbedeutenden Kampf etwas zu gewinnen.
[GS.02_118,09] Denn je mehr einer hier opfert, desto mehr wird er jenseits finden. Wer hier einen härenen Rock opfert, wird dort einen goldenen finden, wer zwei opfert, der wird dort zehn finden, und wer hier eine gewählte Jungfrau opfert, dem werden dort hundert unsterbliche entgegenkommen. Wer hier einem auch nur ein mageres Stück Land abtritt, dem wird dort eine ganze Welt gegeben. Wer hier einem geholfen hat, gegen den werden jenseits hundert ihre Arme ausstrecken und ihm helfen ins ewige Leben! – Und so wird niemand etwas verlieren, was er hier opfert. Wer reichlich sät, der wird auch reichlich ernten, wer aber sparsam sät, der wird auch sparsam ernten.
[GS.02_118,10] Ich meine nun, das dürfte wohl hinreichen, um jedermann ziemlich handgreiflich zu machen, wann bei ihm die Hölle oder wann der Himmel zum positiven Pole wird. Und so wird wohl niemand mehr vonnöten haben, mit der lächerlichen Frage zum Vorscheine zu kommen: Wer kommt in die Hölle oder in den Himmel und wie und wann kommt man in dieselben? – Denn niemand kommt weder in die Hölle noch in den Himmel, sondern ein jeder trägt beides in sich.
[GS.02_118,11] Ist die Hölle positiv, so macht der ganze Mensch schon die Hölle aus, wie er leibt und lebt; ist aber der Himmel positiv, so ist eben auch schon der ganze Mensch der Himmel selbst, wie er leibt und lebt. Und so braucht auch niemand zu fragen: Wie sieht es im Himmel und wie in der Hölle aus, sondern ein jeder betrachte die eigene Polarität, und er wird es genau sehen, wie es entweder in der Hölle oder im Himmel aussieht.
[GS.02_118,12] Denn es gibt nirgends einen Ort, der Himmel oder Hölle heißt, sondern alles das ist ein jeder Mensch selbst; und niemand wird je in einen andern Himmel oder in eine andere Hölle gelangen, als die er in sich trägt. –
[GS.02_118,13] Ihr habt euch hinreichend überzeugt, wie wir uns in jener Zentralsonne befanden und haben dort Wunderdinge geschaut. Wo war diese Sonne? In euch! Wo sind wir jetzt? Der Erscheinlichkeit nach zwar auf der geistigen Sonne, aber der Wirklichkeit nach in euch selbst.
[GS.02_118,14] Wie solches möglich ist, zeigt euch ein jeder Traum, davon ihr schon die triftigsten Abhandlungen erhalten habt, und gerade so verhält es sich (nur mit der Ausnahme vom Traume, wo das Dasein ein unentschiedenes ist) mit der größten, klarsten Entschiedenheit im absoluten geistigen Zustande. – Um das aber noch gründlicher zu verstehen, wollen wir nächstens einige Beispiele betrachten. –
119. Kapitel – Der Geist, Schöpfer seiner eigenen Welt.
[GS.02_119,01] Ein guter Landschaftsmaler und zugleich ein großer Freund schöner Landpartien kommt von einer Landpartie nach Hause. Die Gegend, die er bei dieser Landpartie gesehen hat, gefällt ihm so überaus, daß er sich für immer in derselben aufhalten möchte. Seine Geschäfte aber lassen solches nicht zu. Was bleibt ihm daher übrig, um sich wenigstens dem Scheine nach in dieser für ihn so herrlichen Gegend zu befinden? Er malt diese Gegend mit großer Kunstfertigkeit auf zwei leere, große Wände seines Wohnzimmers so vortrefflich, daß ein jeder Besucher sich hoch verwundernd augenblicklich die herrliche, allgemein bekannte Gegend erkennt.
[GS.02_119,02] Frage: Wo hat denn unser Maler das Vorbild für diese Gegend hergenommen? Hat er etwa Kupferstiche vor sich gehabt? Oder hat er selbst an Ort und Stelle früher die Gegend konturmäßig aufgenommen? Nein, weder eins noch das andere, sondern er hat die lebendige Kontur der Gegend in seiner Phantasie festgehalten und sie hier auf der Wand getreu wiedergegeben.
[GS.02_119,03] Das ist richtig, und ein jeder Mensch sieht davon die Möglichkeit ein, aber sicher sieht es nicht ein jeder Mensch ein, auf welche Weise unser Maler die schöne Gegend in seiner Phantasie auf die Wand gebracht hat. Hier fragt es sich also: Wie und auf welche Weise hat dieser Maler die Gegend in seiner Phantasie auf die Wand gebracht? Sehet, das ist ein wichtiger Lebensprozeß und besagt gar viel; daher wollen wir ihn auch ein wenig näher beleuchten. Wir haben bei der Gelegenheit der Beschauung unserer Zentralsonne so klar als möglich kennen und einsehen gelernt, was alles in dem Geiste des Menschen vorhanden ist. Wäre es nicht in dem menschlichen Geiste vorhanden, woher wohl könnte er von dem je eine Idee fassen und sich irgendeine Vorstellung machen, was noch nie ein sterbliches Auge geschaut hat?
[GS.02_119,04] Nun aber kann der Mensch in sich selbst zu unbegreiflich hohen und übersinnlich geistigen Anschauungen gelangen, und so muß er ja alles das in sich haben, was je eine Phantasie hervorbringen kann.
[GS.02_119,05] Die Phantasie eines Menschen aber kann rein und unrein sein. Rein ist sie dann, wenn, freilich selteneren Falles, der unsterbliche Geist des Menschen in seinem Leibe schon so absolut dasteht, daß seine reinen Bilder durch die Bilder der Außenwelt nicht getrübt und verunreinigt werden. So kann auch die Phantasie durch Auffassung bloß äußerer Bilder rein sein, wenn sie durch die Kraft der Seele die geschauten Bilder festhält und sie dann bei Gelegenheit naturgetreu wiedergibt. Unrein aber ist die Phantasie, wenn sich der Geist noch zu sehr passiv in seinem Leibe sowohl zu seinen inneren Bildern wie zu denen der Außenwelt verhält, wo sich dann alles durcheinandermengt, Geistiges und Naturmäßiges, und niemand daraus klug werden kann, wenn er ein Phantasiebild aufstellt, was es so ganz eigentlich vorstellt, ob Geistiges oder Naturmäßiges. Zu dieser Klasse unreiner Phantasiebilder gehören alle jene mittelalterlichen mystischen Obszönitäten (Unanständigkeiten), laut welcher der Himmel seine wunderliche Gestalt erhalten hatte, die Hölle und das sogenannte Fegfeuer zu einem Bratofen wurde und dergleichen Torheiten mehr.
[GS.02_119,06] Daraus aber geht hervor, daß im Geiste, der das ganze Leben seiner Seele wie seines Leibes ausmacht, vorerst schon alles vorhanden sein muß, vom Kleinsten bis zum Größten, was die ganze Unendlichkeit faßt, also Himmel und Hölle, und zwischen diesen beiden Extremen die ganze naturmäßige Welt. Und dieses endlos lebendigreiche Vermögen des Geistes ist das, was ihr im allgemeinen Sinne die „Phantasie“ nennet.
[GS.02_119,07] Wenn dann jemand, aus dieser reichen Kammer etwas hervorholen will, so darf er nur seine Liebe erwecken. Je stärker die Liebe wird, desto heftiger ihre Flamme und desto heftiger ihre Wärme und ihr Licht.
[GS.02_119,08] Durch diese Eigenschaft der Liebe wird das von ihr erfaßte Bild selbst lebendig, prägt sich durch das Licht der Liebe immer deutlicher aus, bis es endlich wie die Gegend unseres Malers die Vollreife erlangt hat. Und dieses durch die Eigenschaft der Liebe ausgereifte Bild im Menschen selbst ist die eigentliche innere Welt des Geistes.
[GS.02_119,09] Nun wissen wir, woher der Maler das Bild genommen hat. Allein das ist das geringere, wir wissen noch etwas mehr, und das besteht darin, daß der Geist auf diese Weise der Schöpfer seiner eigenen Welt ist. –
[GS.02_119,10] Wir wissen aber auch, daß jedes Ding in der Welt entsprechend gut oder schlecht sein kann, und dazu wird es von der Liebe gemacht. Ist die Liebe nach der Ordnung Gottes, so wird durch sie alles gut; ist diese gegen die Ordnung Gottes, so wird durch sie alles schlecht. – Auf diese Weise entwickelt dann ein jeder Mensch in sich entweder den Himmel oder die Hölle.
[GS.02_119,11] Eine jede Tat und Handlung muß eine Ortsunterlage und an und für sich selbst eine gewisse Form oder besser Zeremonie haben, unter welcher sie geschieht.
[GS.02_119,12] Wie kommt euch aber eine Gegend auf der Erde vor, in welcher ihr Denkmäler vieler Greueltaten findet? Sicher wird euch bei ihrem Anblicke ein geheimer Schauder befallen. Sehet, das ist schon die Form des Höllischen; denn im Geiste bildet sich hernach ebenfalls eine solche Welt aus, die voll Denkmäler von Greueltaten ist. In dieser Welt erschaut der Geist unendliche Tiefen zurück und in ihnen sein unverbesserliches böses Verhalten. Aber ganz anders verhält es sich, wenn ihr in eine Gegend kommt, in der von jeher edle Menschen gewohnt haben, die viel Gutes und Edles taten. Gar anheimelnd wird es euch da vorkommen, und es wird euch ein verklärendes Gefühl überkommen, als befändet ihr euch etwa im Schoße Abrahams. Das ist ein Vorgefühl des Himmels. – Im absolut geistigen Zustande prägt sich dann eben dieses Gefühl samt der Form auf das Lebendigste aus. Diese Form ist des Himmels geistige Örtlichkeit und ist, wie ihr leicht einsehet, ebenfalls ein Werk des Geistes.
[GS.02_119,13] Aus dem aber geht dann klar hervor, daß ein jeder Mensch durch die Art seiner Liebe der Schöpfer seiner eigenen inneren Welt wird, und daß er nie in irgendeinen Himmel oder in irgendeine Hölle kommen kann, sondern nur in das Werk seiner Liebe. Darum heißt es auch: „Und eure Werke folgen euch.“ – Und auf eben diese Weise, wie wir jetzt die Erscheinlichkeit der Hölle durchgemacht haben, machen es unsere bekannten Sonnenschüler durch. Was aber mit ihnen hernach geschieht, wollen wir nächstens betrachten. –
120. Kapitel – Weiterentwicklung der jenseitigen Schüler. Das Mittelreich (Hades).
[GS.02_120,01] Kommen sie etwa, wie ihr zu sagen pflegt, aus der Hölle zurück in den Himmel? Das wäre sehr irdisch gesprochen, denn diese Schüler kommen eigentlich nie in die Hölle, sondern nur in den Zustand, in ihrer eigenen Sphäre dieselbe zu beschauen. Es braucht nichts weiter als eines gerechten Abscheues des antipolarischen oder höllischen Zustandes, und unsere Schüler sind wieder in ihrer eigentlichen positiv himmlischen Sphäre. Da aber der Himmel sich nicht durch die alleinigen Erkenntnisse und Einsichten erlangen läßt noch durch eine nonnenhaft untätige Gebets- und Verehrungs-Liebe, sondern nur durch die Werke der Liebe, die ein ersprießliches Wohltun gegen den Nächsten zum Grunde haben, so müssen unsere Schüler, um den wahren Himmel zu erreichen, sich nun auch gefallen lassen, sich in einen ernstlich tätigen Zustand zu begeben. –
[GS.02_120,02] Worin aber besteht dieser? Das werden wir mit wenigen Worten gesagt haben. – Sehet an die naturmäßig-geistige Sphäre eurer Erde oder das sogenannte „Mittelreich“, welches auch den Namen „Hades“ führt, und ungefähr das ist, was ihr als Römischgläubige, freilich stark irrig, unter dem „Fegfeuer“ verstehet. Am besten kann dieses Reich einem großen Eintrittszimmer verglichen werden, wo alle ohne Unterschied des Standes und Ranges eintreten und sich dort zum ferneren Eintritt in die eigentlichen Gastgemächer gewisserart vorbereiten.
[GS.02_120,03] Also ist auch dieser Hades jener erste naturmäßig-geistige Zustand des Menschen, in den er gleich nach dem Tode kommt.
[GS.02_120,04] Denn niemand kommt entweder sogleich in den Himmel noch in die Hölle, außer es müßte im ersten Falle jemand schon auf der Erde entweder vollkommen wiedergeboren sein aus der reinen Liebe zum Herrn, oder er müßte im zweiten Falle ein böswilligster Frevler gegen den Heiligen Geist sein. Im ersten Falle wäre sonach der Himmel ohne Eintritt in das Mittelreich, im zweiten Falle aber sogleich die unterste Hölle zu erwarten. Der Himmel im ersten Fall darum, weil ihn ein solcher Mensch schon in der höchsten Vollendung in sich trägt, und im zweiten Falle die Hölle darum, weil ein solcher Mensch alles Himmlischen ledig geworden ist. Doch das ist nur eine Nebenbemerkung, die nicht zur Sache gehört; daher wollen wir uns dabei auch nicht länger aufhalten, sondern sogleich unsere Blicke dahin wenden, wo und was unsere Schüler zu tun bekommen.
[GS.02_120,05] Dieses große Mittelreich ist die Hauptwerkstätte für alle himmlischen Geister. Da bekommen alle vollauf zu tun. Denn denket euch diesen Ort, der jede Stunde eures Tages über fünf bis siebentausend neue Ankömmlinge erhält. Diese müssen sogleich durchgeprüft und an den ihnen vollkommen entsprechenden Ort gebracht werden oder: sie müssen sobald in einen solchen Zustand hineingeleitet werden, der mit ihrer Grundliebe in eins zusammenfällt. Daher müssen sie in all ihren Neigungen erforscht und erprobt werden. Wohin sie dann am meisten neigen, dahin muß ihnen auch geistig der Weg geöffnet sein.
[GS.02_120,06] Auf der Welt tut sich das freilich nicht; denn das wäre der barste sogenannte St. Simonismus, welcher in kürzester Zeit die ganze Erde in ein Raub- und Mordnest verwandeln möchte. Aber im Geisterreiche wird eben dieser St. Simonismus beobachtet, und ein jeder kann demzufolge seiner Neigung ungehindert nachgehen. –
[GS.02_120,07] Man wird hier freilich sagen: Wenn es dort so zugeht, wer wird da in den Himmel gelangen? Dort gilt es aber anders; es heißt: Jeder Arzt muß seinen Patienten vom Grunde aus erkennen, bevor er ihm eine Medizin verschreiben kann, die ihn vom Grunde aus heilen soll. Denn jenseits ist niemandem mit einer Palliativ-Kur etwas gedient. Also muß jenseits gewisserart werktätig ein jeder neue Ankömmling ein Generalbekenntnis seines Lebens von A bis Z ablegen. Ist solches geschehen, dann erst geschieht eine Veränderung des Zustandes, welcher die vollkommene Enthüllung heißt. In diesem Zustande steht ein jeder Geist völlig nackt da und gelangt dann in einen dritten Zustand, welcher die Abödung, wohl auch die Abtötung alles dessen genannt wird, was der Mensch von der Welt an Sinnlichem mitgenommen hat.
[GS.02_120,08] Von da aus erst kommt der Geistmensch dann im guten Falle in den Himmel oder im schlimmen Falle in die erste Hölle.
[GS.02_120,09] Wie sich dieser Ort der Abödung in der Erscheinlichkeit darstellt, hat euch mein Vorgänger in der abendlichen Gegend hinreichend gezeigt, als ihr euch in der stockfinsteren Gegend unter den „Moosessern“ befunden habt. Wie diese Geister dann daraus nach und nach in den ersten Himmel gelangen oder auch gleicherweise in die erste Hölle, das alles habt ihr bildlich klar dargestellt gesehen.
[GS.02_120,10] Daher können wir nun sogleich die Frage lösen, was bei all diesen Gelegenheiten unsere Schüler eigentlich zu tun bekommen. Ihr Geschäft ist erforschen und die Wege zu öffnen bis zum Orte der Abödung. In diesem haben sie vorderhand dann nichts mehr zu tun; denn für das Weitere müssen schon tüchtigere Engelsgeister sorgen.
[GS.02_120,11] Wie aber geschieht solche Erforschung und Wegeröffnung? Wir haben früher den sogenannten St. Simonismus berührt und wollen nun durch ein kleines Beispiel die Sache in aller Kürze so klar als möglich darstellen. Und so höret denn:
[GS.02_120,12] Ein jeder Mensch, der hier seinen Standespflichten gemäß gelebt hat und auch bei seinem Austritte aus dieser Welt mit allen sogenannten geistlichen Gütern versehen worden ist, fragt jenseits sogleich nach dem Himmel. Er wird auch erscheinlichermaßen sogleich in einen Zustand erhoben, der für ihn des Himmels Örtlichkeit bildet.
[GS.02_120,13] Solcher Himmel aber wird allezeit in seiner Wahrheit dargestellt, welche wahrlich himmelhoch verschieden ist von dem, was der neue Ankömmling in seiner begründeten Idee mit hinübergebracht hat. Daß ihm aber ein solcher Himmel ebensowenig gefällt, als wie es hier manchem gegenwärtigen Bischofe, Prälaten und anderen geistlichen Würdenträgern gefallen möchte, wenn sie auf einmal zum Nutzen ihrer Brüder mit eigener Hand den Pflug ergreifen müßten, das läßt sich sehr leicht einsehen.
[GS.02_120,14] Daher verlangt auch ein solcher Himmelsgast, dem es in solch einem (wahren) Himmel gar nicht gut wird, gleich wieder von selbem hinaus. Und wie er wieder in seinen gewöhnlichen Zustand zurückkommt, so sucht er sogleich in sich, was ihn auf der Erde am meisten vergnügt hat. Er findet zum Beispiel, daß schöne Weiber und Mädchen seine größte Freude auf der Erde waren. Solches merken sobald die ihn erforschenden und leitenden Geister und stellen ihm vor, daß dieses für den Himmel nicht taugt, indem seine Begierde unlauter ist. Aber da protestiert er und spricht: Setzet mich nur auf die Probe, lasset mich zu der schönsten Weibern und Mädchen, und ich werde mich mit ihnen ganz gebührlich unterhalten. Nach solcher Äußerung wird dem Gaste sogleich gewillfahrt. Er wird genau in jene Zustände geführt, in denen er sich nach und nach ganz leibhaftig in all jenen Szenen befindet, die ihm auf der Welt so viel Vergnügen gemacht haben. Hier aber weichen die (leitenden) Geister zurück und lassen ihn allein handeln, doch immer unter ihrer für ihn unsichtbaren Beobachtung.
[GS.02_120,15] Daß der Gast hier alle seine Szenen repetiert, braucht kaum erwähnt zu werden. Was aber mit ihm weiter geschieht und was dann das Geschäft unserer Geister ist – davon in der Folge.
121. Kapitel – Jedes Leben hat vom Herrn aus Seiner Liebe bestimmte Wege.
[GS.02_121,01] Hat der Gast eine solche Szene einer seiner Hauptleidenschaften durchgemacht, so wird er dann gewöhnlich voll Ekels gegen solch ein flüchtiges Vergnügen, indem er sich dabei überzeugt, daß daran nichts Reelles ist. Ihr müsset wissen, daß solche Geister auch jenseits den Beischlaf pflegen; aber sie empfinden statt des Lustreizes einen sehr bedeutenden Lustschmerz, und diese Eigentümlichkeit macht ihnen um so eher ihre Leidenschaft zum Ekel.
[GS.02_121,02] Ist aber eine solche Leidenschaft auf diese Weise besiegt, dann sucht der Geist in sich etwas anderes, was ihm sonst auf der Welt Vergnügen machte, z.B. ein Spiel. Ist das der Fall, so sehnt er sich nach einer Spielgesellschaft. Auch diese wird ihm gewährt. Er kommt unter bekannte Freunde, und ihr erstes Zusammenkommen verlangt nichts anderes, als die schnelle Arrangierung eines Spieles. Und alsbald wird er in den Zustand versetzt, in welchem er alles das findet, was zum Spiele wie in seinem eigenen Hause auf der Welt vonnöten ist: Karten, Geld u. dgl. m. Das Spiel beginnt, endet aber dann gewöhnlich mit dem Verlust seines ganzen Geldes und seines Hauses. Daß er dadurch einen Haß auf das Spiel bekommt, versteht sich von selbst; aber leider dabei auch auf die Spieler, die ihm alles abgenommen haben. Aber da sind wieder unsere Leiter sogleich bei der Hand, zeigen ihm das Nichtige seiner Leidenschaft und wie er sich dadurch von Gott mehr und mehr entfernt, anstatt sich ihm zu nähern.
[GS.02_121,03] Auf diese Weise taucht in unserem neuen Gaste wieder alles das auf, was er von seinen Kinderjahren an getrieben hat. Selbst die Musik, wenn sie eine mehr sinnliche Leidenschaft ausmacht und mehr als eine mit Hochmut verbundene Gewinnsache betrieben wurde, kommt dort in gleicher Reihe als böse Leidenschaft vor und wird auf die gleiche Weise hinausgearbeitet. Auch die Malerei und Poesie, kurz alles, was den Menschen auf der Welt bei irgendeinem Grade von Vorzüglichkeit zu einem Hochmutseigendünkel verleitet hat, muß auf eine ähnliche Weise hinausgeschafft werden.
[GS.02_121,04] Aber solches alles muß der Geist am Ende freiwillig tun, denn niemand wird je zu etwas auf was immer für eine Weise gezwungen und gewisserart gerichtet, sondern er selbst muß sich zwingen und sich selbst richten!
[GS.02_121,05] Und das ist eben dann vorzugsweise das Geschäft dieser leitenden Engelsgeister, daß sie jeden Neuangekommenen nach und nach vollkommen in sich selbst einführen und ihn allda alles finden lassen, was er durch sein ganzes Erdenleben nur immer in sich aufgenommen hat, und zwar zuerst das Gröbere und hernach das Feinere.
[GS.02_121,06] So mancher, besonders der Römischgläubige, wird das nicht sehr billig finden, denn fürs erste will er von den gebeichteten Sünden nichts mehr wissen, und fürs zweite glaubt er an ein besonderes Gericht, welches der Herr mit jedem Verstorbenen gleich nach dem Tode insbesondere vornimmt.
[GS.02_121,07] Er wird das nicht leichtlich annehmen, daß der Herr nie jemanden richtet und am allerwenigsten in der Geisterwelt. Noch eher wäre solches auf der materiellen Welt anzunehmen, wenn man die mannigfachen Züchtigungen gottvergessener Menschen als ein Gericht annehmen will, aber in der Geisterwelt hört das alles auf. Der Geist ist vollkommen frei und kann tun, was er will. Seine eigenen Taten aber sind hernach erst sein Richter, denn wie seine Liebe ist, so sind seine Taten, und so auch sein Leben.
[GS.02_121,08] Nur das Einzige ist vom Herrn von Ewigkeit fest bestimmt, daß ein jedes Leben seine bestimmten Wege hat, über die es ewig nimmer hinaus kann. Diese Wege aber sind so intim mit der Natur des Lebens verflochten, daß sie eben mit dem Leben selbst das Leben ausmachen. Würde man jemandem einen solchen Weg abschneiden, so schnitte man ihm seine Freiheit und somit auch sein Leben ab. Ein solcher Abschnitt wäre so ganz eigentlich ein Gericht, welches jedem Geiste den Tod brächte.
[GS.02_121,09] Zugleich aber wäre der Herr Selbst nicht mehr vollkommen frei, so Er auch nur einem einzigen Geiste die volle Freiheit nähme; so wie ein Weltrichter schon dadurch nicht mehr frei ist und sich selbst gerichtet hat, sobald er nur einen Menschen ins Gefängnis verurteilt. Denn ist er auch sonst in seinem Wirken frei, so ist er aber schon bei diesem einzigen beschränkt; denn so gut dieser im Gefängnisse schmachtet, schmachtet auch das Urteil des Richters mit und darf nicht eher aus dem Gefängnisse als der Gefangene selbst. In der materiellen Welt nimmt sich eine solche Gefangenschaft freilich nicht sehr einleuchtend aus, aber desto einleuchtender und wirkungsvoller wird sie in der geistigen Welt.
[GS.02_121,10] Wohl hat der Herr einem jedem Haupt- und Grundleben ein vollkommen entsprechendes Ziel gesetzt, und zwar zufolge Seiner unendlichen Liebe und Erbarmung; und dieses Ziel ist eben wieder kein Gericht, sondern nur ein Sammelpunkt, wo ein jeder Geist sein zerstreutes Leben und dessen Wirkung vollkommen wiederfinden soll. Solch ein Ziel ist die Hölle sowohl wie der Himmel, und die Geister in ihrer vollen Freiheit, einem oder dem andern Ziele zuzuführen, macht sonach das Hauptgeschäft unserer bekannten Engelsgeister im Mittelreiche aus.
[GS.02_121,11] Wie diese Führung geschieht, haben wir bereits gesehen, und was hernach mit dem geführten Geiste geschieht, wissen wir auch. – So bleibt uns nur noch zu erfahren übrig, was nach dieser Arbeit unsere leitenden Geister für ein anderes Geschäft überkommen. –
122. Kapitel – Weiterführung der Schüler durch die Planeten und die 7 Sphären der Sonne ihrem himmlischen Ziele zu.
[GS.02_122,01] Auch das wird uns nicht viele Mühe kosten, denn wir dürfen nur bedenken, daß es außer dieser Erde noch eine sehr große Anzahl anderer Erdkörper gibt, auf denen ebenso wie auf dieser Erde freie Wesen wohnen. Das wird sich leicht herausfinden lassen, welche nächstkommende Beschäftigung unsere Geister überkommen. Ein jeder Erdkörper gehört irgendeinem ganzen Planetensysteme zu; und je ein ganzes Planetensystem steht untereinander geistig wie natürlich in einer Wechselverbindung und Wechselwirkung.
[GS.02_122,02] Das zu eurer Sonne gehörende Planetensystem ist jedoch das erste, in welches unsere Geister wirkend übergehen. An erster Stelle steht der Mond. Auf diesem wird von diesen Geistern freilich mehr ein strafendes als ein freies Lehramt ausgeübt. So sind diese Geister hier ungefähr das, was bei euch die Elementarlehrer sind, welche neben dem Lehrbuch auch zugleich eine Zuchtrute in ihrer Hand halten.
[GS.02_122,03] Warum hier solches notwendig ist, wisset ihr überaus gut. Ihr wisset auch, wie es im Monde aussieht, was es mit seinen Bewohnern für eine Bewandtnis hat und auch, wie sie unterrichtet werden. Und so bleibt uns darüber nichts Weiteres mehr zu sagen übrig.
[GS.02_122,04] Von da aus gehen diese Lehrer mit ihren Schülern nicht etwa sogleich in den Himmel über, sondern in die geistige Sphäre des Planeten Merkur, wo sich schon höhere Lehrer aufhalten. Von dem Merkur geht es dann in die Venus; von dieser, größerer Demütigung halber, in den Mars. Für jene, welche im Mars sich noch nicht den gerechten Grad der Demütigung zu eigen gemacht haben, wird dann auch ein Abstecher in die, wie ihr zu sagen pflegt, vier kleinen Planeten gemacht. Bei denjenigen aber, welche im Mars sich schon einen großen Grad der Demut zu eigen gemacht haben, wird sogleich eine Erhebung in den Jupiter bewerkstelligt. Vom Jupiter aus erst wird in den überaus herrlichen Saturn übergegangen, von da in den Uranus und endlich in den euch schon bekannten letzten Planeten unter dem Namen Miron (Neptun), aber es versteht sich, überall nur in die geistige Sphäre dieser Planeten.
[GS.02_122,05] Es könnte hier jemand fragen: Ist denn das der gewöhnliche Weg, welchen alle Geister geführt werden müssen, um endlich einmal in den Himmel zu gelangen?
[GS.02_122,06] O nein, sage ich, diesen Weg betreten unter der Leitung der uns bekannten Geister nur diejenigen Menschen, welche hier sehr naturmäßig und eitel sinnlich waren. Diese müssen auf dem wohl etwas langwierigen wissenschaftlichen Weg in die Liebe und Weisheit des Herrn geleitet werden; und das darum, weil die naturmäßige Sinnlichkeit des Menschen eine Folge der Aufnahme jener Wirkung ist, welche man bei den Menschen die planetarische nennt.
[GS.02_122,07] Es ist zwar kein Mensch passiv genötigt, diese planetarische Wirkung in sich aufzunehmen; wenn er sich aber durch Anreiz des Fleisches und anderer die Sinnlichkeit erregender Vergnügungen befähigt, so nimmt er dann auch solche Einflüsse halb leidend und halb tätig in sich auf. Da aber diese Einflüsse zumeist sinnlicher Art sind, so sind sie schlecht; und der Mensch kann in ihrem geistig entsprechenden Besitze nicht eher in das Reich der Himmel gelangen, als bis er von all diesen Besessenheiten ledig wird.
[GS.02_122,08] So ist z.B. eine übertriebene Reise- und Handelslust eine Einwirkung des Merkur, wie er als solcher schon bei den uralten Weisen bekannt war. Von der Venus rührt das schöngeistige verliebte Wesen her, wie es ebenfalls schon den alten Weisen bekannt war; vom Mars die Kampf- und Herrschlust, wie es auch die alten Weisen gekannt haben; vom Jupiter eine übertriebene pedantische Ehrsucht zufolge tiefer Gelehrsamkeit; vom Saturn eine leichte Erregbarkeit der Leidenschaften; vom Uranus eine große Prachtliebe und vom Miron eine übertriebene Lust zu allerlei Künsten wie Musik, Poesie, Malerei, Mechanik, Industrie aller Art u. dgl.
[GS.02_122,09] Es ist hier nicht die Rede, als bekäme der Mensch der Erde solches etwa aus den Planeten; sondern der Mensch hat solches alles im gerechten Maße ursprünglich in sich und kann es auch in sich wecken und gerecht gebrauchen. Aber wenn der Mensch sich auf den einen oder andern Zweig zu sehr wirft, so überschreitet er das Maß der Einwirkung eines solchen Planeten, weil er den in sich tragenden Planeten besonders hervorhebt und sich seinem Einflusse preisgibt. Er räumt eben durch die Erweckung seiner besonderen Leidenschaft den beiderseitigen wechselwirkenden Polaritäten den ungehinderten Verkehr ein, was nicht schwer zu begreifen ist für den, der sich von meinen ersten Erläuterungen über die Ursache des Sehens etwas gemerkt hat, wonach niemand etwas sehen kann, was er nicht in sich hat. Aus eben diesem Grunde müssen dann solche Geister die Planetenreise durchmachen und gewisserart auf dem wissenschaftlichen Erfahrungswege das Fremdartige dort deponieren, von wo sie es aufgenommen haben.
[GS.02_122,10] Sind sie damit fertig, so kommen sie in die Sonne, in welcher sie ebenfalls zuerst alle die gleichen planetarischen Eigenschaften im Grunde des Grundes durchzumachen haben. Erst nach Beendigung solcher Schule werden sie dann zu den geringsten Wärtern der kleinen Kinder.
[GS.02_122,11] Die Führer aber werden hier zu Hauptlehrern. Und haben sie eine Schule bis zur Vollendung durchgemacht, dann erst werden sie als Bürger der heiligen Stadt Jerusalem aufgenommen, wo sie jedoch zuerst die bei weitem Allergeringsten sein müssen, und müssen sich da leiten lassen von den Hauptbürgern für allerlei großartige himmlische Geschäfte, welche aufzuzählen eine Welt voll Bücher nicht fassen würde! Denn wie die Schöpfungen des Herrn unendlich sind, so unendlich verzweigt sind auch die Geschäfte der Engel des obersten Himmels.
[GS.02_122,12] Nun wisset ihr den ganzen Fortgang und die endliche Bestimmung der Kindergeisterengel und kennet somit auch die geistige Einrichtung der Sonne. – Und somit ist auch mein Lehramt für euch zu Ende. Kehret daher wieder dorthin zurück, wo der Herr Selbst euer harret! –
123. Kapitel – Rückblick auf die geschauten zehn Geistersphären.
[GS.02_123,01] Der Herr: Nun seid ihr wieder hier: Möchtet ihr Mir nicht in eurem Gemüte kundtun, was alles ihr bei Meinem Johannes gesehen, erfahren und somit gelernt habt? Ihr stehet jetzt wohl voll Achtung vor Mir und saget in euch: Was sollen wir Dir, o Herr, erzählen, Dir, dem unsere Gedanken schon bekannt waren, bevor wir sie gedacht haben, ja noch eher, als eine Sonne die Strahlen aus der weiten Unendlichkeit an sich zog, um sie dann wieder aus sich mit vielfach erhöhter Kraft strahlen zu lassen? –
[GS.02_123,02] Ja, Meine lieben Kinder, ihr habt recht, der Vater weiß zwar alles, aber dessen ungeachtet bespricht Er sich gerne mit Seinen Kindern, als wüßte Er nicht alles. Ich aber sehe in euch eine geheime Frage und diese lautet also:
[GS.02_123,03] O Vater, Du ewige Liebe und Wahrheit! Unbegreiflich groß und über alle menschlichen Begriffe wunderbar ist das, was wir nun in den Sphären Deiner Engelsgeister vom ersten bis zum letzten gesehen, gehört, erfahren und gelernt haben. Nun aber möchten wir von Dir dazu noch ein heiliges Wort vernehmen, das uns kundtut, ob alles das wirklich also die volle Wahrheit ist?
[GS.02_123,04] Sehet, Meine lieben Kinder, so lautet eure geheime Frage, und Ich antworte euch darauf also: Gleich im Anfange, als wir das äußere Zifferblatt unserer Uhr betrachtet haben, oder vielmehr die Außensphäre der geistigen Sonne, habe Ich euch gesagt, wie der Himmel und die ganze geistige Welt sich nicht irgend örtlich zur Erscheinlichkeit darstellen, sondern sie sind, wie alle geistige Welt, in den Geistern selbst. Oder: die Lebenssphäre eines Geistes ist seine Welt, die er bewohnt.
[GS.02_123,05] Ich zeigte euch, um euch davon zu überzeugen, ein Gleichnis, in welchem ihr ein sogenanntes Diorama beschautet. Diesem Gleichnisse gleich führte Ich dann vor euch nach einer gewissen Ordnung die hier noch anwesenden zehn Geister und zeigte euch dabei an, wie ihr allda ebenfalls ein geistiges Diorama treffen und in der Sphäre eines jeden Geistes ein anderes Bild der geistigen Welt zur Beschauung bekommen werdet.
[GS.02_123,06] Solches war auch der Fall, wie ihr euch bisher nun zehnfach überzeugt habt, indem ihr in der Sphäre eines jeden dieser zehn Engelsgeister allezeit die geistige Welt in einer ganz anderen Form schautet. Das ist nun mehr als sonnenklar vor euch; und Ich habe euch noch hinzugesagt, daß ihr dieses geistige Diorama in ebendenselben Geistern wiederholtermaßen durchgehen könnet und ihr die geistige Welt wieder in einer ganz anderen Form erschauet.
[GS.02_123,07] Also dürftet ihr auch in die Sphären noch anderer Geister treten, und ihr würdet in einer jeden solchen Sphäre wieder eine ganz andere Form der geistigen Welt sowohl in ihren einzelnen Verhältnissen wie in ihrem Gesamtbestande erblicken. Darnach aber betrachtet, kann Ich euch auf eure Frage auch keine allgemein bestimmte Antwort geben, außer daß Ich euch sage, es verhält sich hier in allem also: Wie der Same, so die Frucht, wie die Werke, so der Lohn, und wie die Liebe als Grund der Werke, also die Form der Welt, die sie geistig in sich erschafft.
[GS.02_123,08] Ihr habt zwar verschiedene Formen geschaut, aber dennoch überall eine und dieselbe Wahrheit. Denn an der Form liegt nichts, sondern alles nur an der Wahrheit.
[GS.02_123,09] Und so wollte Ich euch nicht etwa zeigen, wie der Himmel, die geistige Welt oder die Hölle aussehen, sondern nur, wie sich dieses alles nach der Art der Liebe in eines jeden Menschen Geiste ausbildet. –
[GS.02_123,10] Aus dem Grunde habt ihr im überreichen Maße tausenderlei Formen geschaut, und bei jeder Form ward euch die innere Wahrheit kundgetan. Und somit kann Ich euch sagen, daß ihr in der Sphäre der Wahrheit den ganzen Umfang des geistigen Lebens gesehen habt.
[GS.02_123,11] Was aber natürlich die Formen betrifft, so gehen diese so sehr in das Unendliche, daß ihr sie in Ewigkeiten der Ewigkeiten nicht im geringsten Teile werdet völlig erschauen können! – Und so könnet ihr damit vollkommen ruhigen Gemüts in der Fülle der Wahrheit zufrieden sein; besonders wenn Ich euch noch hinzusage, daß, solange diese Erde von Menschen bewohnt wird, die geistigen Lebensverhältnisse noch nie so umfassend und völlig enthüllt kundgegeben wurden wie dieses Mal.
[GS.02_123,12] Was immer da jemand sucht, in was immer für einem Verhältnisse er sich befindet, er kann in dieser Offenbarung auf ein Atom genau finden, wie es mit ihm steht.
[GS.02_123,13] Wer dieses alles mit tiefer Aufmerksamkeit und großer Andacht lesen wird, der wird die große überzeugende Wahrheit nicht nur in dieser Sonnen-Offenbarung, sondern lebendig in sich selbst finden.
[GS.02_123,14] Damit aber ein jeder das alles in sich selbst als vollkommen wahr finden möge, will Ich in der noch kurzen Folge einige Gleichnisse und Bilder hinzufügen, welche alle die geheimen Winkel dieser Offenbarung erleuchten sollen. – Für heute daher Meinen Segen und damit gut! –
124. Kapitel – Jeder Mensch trägt ein anderes Samenkorn für die Entwicklung der geistigen Welt in sich.
[GS.02_124,01] Wenn ihr im Evangelium nachleset, so werdet ihr mit leichter Mühe finden, unter welchen allgemeinen Bildern Ich Selbst das Himmelreich dargestellt habe. Unter den Gleichnissen findet sich das vom Senfkörnlein vor. Dieses Gleichnis ist eben auch dasjenige, welches am allermeisten hierher taugt. Klein ist dieses Korn; wer sieht in ihm die baumartig große Pflanze? Doch trägt dieses Senfkörnlein eine ganze Unendlichkeit seinesgleichen in sich. Zahllose ganz gleiche Senfkörnlein können aus dem einen hervorgehen. Säet aber zahllose solche Senfkörnlein in das Erdreich, und ihr werdet wohl lauter gleiche Pflanzen daraus bekommen. Aber was die gewisse Symmetrie der Form betrifft, da wird nicht ein Stamm dem andern gleichen, so wenig, als ihr imstande seid, auf einem und demselben Baume zwei vollkommen gleich symmetrische Blätter zu treffen.
[GS.02_124,02] Wer dieses Beispiel von diesem Gesichtspunkte faßt, der wird daraus doch sicher den Schluß ziehen und sagen: An der symmetrischen Form, welche man eine bleibende oder konstante nennen könnte, liegt nichts; denn ob ein Blatt auf diesem oder jenem Punkte des Stammes oder eines Astes und Zweiges hervorkommt, ob es etwas größer oder kleiner oder ob der Stamm selbst höher oder niederer dem Boden entwächst, mehr oder weniger Äste und Zweige schießt und diese allezeit in einer anderen Ordnung, so macht das alles nichts, wenn nur der Stoff der Pflanze und deren Brauchbarkeit eine und dieselbe bleibt.
[GS.02_124,03] Sehet, das ist im Grunde nichts anderes, als so Ich euch sage: An der Form oder an dem Erscheinlichen der Geisterwelt liegt an und für sich gar nichts, wenn nur alle diese endlos verschiedenen Formen und Erscheinungen eine und dieselbe Wahrheit und einen und denselben Zweck zum Grunde haben.
[GS.02_124,04] Und so trägt denn ein jeder Mensch ein anderes Samenkorn für die Entwicklung der geistigen Welt in sich, welches in ihm aufgeht und endlich zu einem Baume wird, der die Form der inneren Welt ist.
[GS.02_124,05] Wenn ihr verschiedene Samenkörner in die Erde streuet, und das in eine und dieselbe Erde, meinet ihr wohl, daß daraus ganz gleiche Gewächse zum Vorscheine kommen, oder daß selbst aus einer und derselben Art Samenkörner ein vollkommen gleiches Gewächs hervorwächst? O mitnichten, überall etwas anderes und bei gleichartigem Samen wenigstens ein anderes Bild.
[GS.02_124,06] Aber alles dessen ungeachtet bleibt sich der Grundstoff gleich; und ihr könnet auf chemischem Wege alle Materie zerlegen, wie ihr nur immer wollt und könnt, und dennoch werdet ihr bei der letztmöglichen Zerlegung auf nichts als zwei Urgrundstoffe kommen, nämlich auf den euch wohlbekannten sehr flüchtigen Kohlenstoff und auf den zusammenziehenden Sauerstoff.
[GS.02_124,07] Sehet, das ist wieder gleich der Grundwahrheit und dem Hauptzwecke aller Formenerscheinlichkeit im Reiche der Geister.
[GS.02_124,08] Überall ist nur ein Gott, ein Vater, eine Liebe, eine Weisheit, und aus ihr geht hervor das Unendliche wie das Ewige!
[GS.02_124,09] Beschauet das Gewölk, das tagtäglich über eurer Erde Boden in der Luft dahinzieht. Habt ihr an selbem je schon eine beständige Form entdeckt? Werdet ihr es am Abende gleich erblicken wie es am Morgen steht oder am nächsten Tage oder in einem nächsten Jahre?
[GS.02_124,10] Endlos verschieden verändern sich die Formlinien des Gewölkes; nie erblicket ihr ganz dieselben wieder, die ihr schon geschaut habt. Beirrt euch aber das in eurem Dasein? Sicher nicht, denn es mag die Wolke unter was immer für einer Form in der Luft dahinschweben, sie bleibt deswegen doch nur eine Wolke, als nur eine Wahrheit, und ihr Zweck ist, den Regen zu geben, und das ebenfalls in einer und derselben Art, wenn alle Bedingungen ordnungsmäßig vorhanden sind, die zur Erzeugung des Regens vonnöten sind.
[GS.02_124,11] Und so liegt hier wieder nichts an der Form, sondern einzig und allein nur alles am Grunde und am Zwecke.
[GS.02_124,12] Überhaupt, was das erscheinliche Wesen betrifft, so ist dessen stets andere Form nur zur Weckung des Geistes da, der darin sein Wonnegefühl findet. Denn unter einem ewigen vollkommenen Einerlei würde alles in einen ewigen Schlaf dahinsinken.
[GS.02_124,13] Nur muß der Mensch sein Heil und seine Seligkeit nicht in der Form, sondern in der Realität, in der Wirklichkeit suchen. Was die Form betrifft, so habe Ich für ihren ewigen, stets neu reizenden Formenwechsel schon von Ewigkeit her gesorgt; und es gilt auch dafür der Grundtext aus dem Evangelium:
[GS.02_124,14] „Suchet vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; alles andere wird euch hinzugegeben werden.“
[GS.02_124,15] Fraget daher nicht diesen oder jenen: Wie sieht der Himmel aus und wie die Geisterwelt? Denn alles das ist eitel! Sondern suchet jegliches Wort von Mir in euch lebendig zu machen durch die Werke der Liebe; und ihr habt dann schon den Himmel lebendig in euch und alles, was der Geisterwelt ist.
[GS.02_124,16] Denn es wird nie jemand in einen Himmel kommen, der so aussehen wird, wie er ihn so oder so beschrieben in sein Gedächtnis und Vorstellungsvermögen aufgenommen hat. Ein jeder trägt den eigenen Himmel und die eigene Geisterwelt in sich, deren Form sich allezeit nach der Art der Liebe richten wird, die in ihm ist, und nach den Werken, die aus ihr hervorgegangen sind.
[GS.02_124,17] Jemand möchte einem Fremden die Gestalt eines Apfelbaumes dadurch vollkommen erkenntlich machen, indem er zu ihm spricht: Siehe, da vor uns steht ein Apfelbaum; merke dir genau die Höhe und Dicke des Stammes, genau die Lage seiner Äste und Zweige und ebenso die Blätter und die Rinde, und du wirst jeden Apfelbaum erkennen, der dieser Form vollkommen entspricht. Der so Unterrichtete zeichnet sich die Form des Baumes genau auf und geht damit in einen großen Baumgarten, der nahe aus lauter Apfelbäumen besteht. Er paßt seine aufgezeichnete Form überall an; da er aber diese nicht völlig wiederfindet, so existiert für ihn in diesem Baumgarten kein Apfelbaum.
[GS.02_124,18] Also soll sich niemand in irgendeiner Erscheinlichkeit begründen; denn da wird er allezeit hohl ausgehen. Wenn er aber die Sache im Geiste der Wahrheit nimmt, so wird er unter einer jeden Form die Wahrheit finden und den Weg und das Leben!
[GS.02_124,19] Diese Sache ist von großer Wichtigkeit; daher soll all dieses Gegebene jedermann wohl überdenken und es genau in sich prüfen, damit er zufolge dieser Prüfung der Weisheit wahren Grundstein finden möchte. Also ist es und wird es sein ewig wahr und gut. – Zur näheren Beleuchtung alles dessen nächstens der Beispiele mehr! –
125. Kapitel – Das Himmelreich ist gleich dieser gegenwärtigen Zeit.
[GS.02_125,01] Was ferner noch „das Himmelreich“ betrifft, so ist es gleich dieser eurer gegenwärtigen Zeit, welche wieder gleich ist dem Sämann im Evangelium, der da guten Samen ausstreute, von dem ein Teil auf den Weg, ein Teil ins Gebüsch, ein Teil auf Steinboden und nur ein Teil auf gutes Erdreich fiel.
[GS.02_125,02] Sehet eure Zeit an, ob sie nicht dem Sämanne und dem Himmelreiche gleicht?
[GS.02_125,03] Das Wort wird allenthalben ausgesät; allerorts leben noch geweckte Menschen, die das Wort aus dem innern Grunde erläutern. Allein die Bedürfnisse der Menschheit in der gegenwärtigen Zeit sind gleich geworden dem Wege, auf den der Same fällt, oder: sie sind rein weltlich geworden. Daher macht das Wort bei ihnen gerade solch einen Eindruck, als würfe man Erbsen an die Wand, da keine hängen bleiben wird und noch weniger Wurzeln schlagen in dem harten, steilen und glatten Grunde.
[GS.02_125,04] Daher dürfte Ich alle Engel des Himmels herabsenden und von ihnen das Wort des Lebens allorts verkünden lassen auf die wunderbarste Weise – heute, morgen und übermorgen werden es die Menschen erschüttert anhören und annehmen, aber hernach werden sie anfangen, das Wunder ganz gleichgültig zu betrachten und werden dabei ihren Weltgeschäften nachrennen wie zuvor.
[GS.02_125,05] Das sind die industriellen Menschen und deren nimmer zu sättigenden Bedürfnisse. Sie gleichen dem Gebüsch und den Dornen. Geht anfangs das Wort auch auf, so wird es aber dennoch bald erstickt, und die Menschen werden hernach gleichgültiger gegen dasselbe als zuvor. Denn erst sprachen sie: So wir es auf einem wirklich wunderbaren Weg erhielten, da wollten wir ja glauben und darnach tun. Ich aber willfahre auch diesem Wunsche. Fast an allen Orten spende Ich es nun, wie hier, wunderbar aus. Welche Wirkungen aber macht es? Höchstens hie und da politische Bedenklichkeiten; das ist aber auch schon das meiste. Daß sich aber jemand daran kehren möchte – dieses gute Erdreich – wo ist es?
[GS.02_125,06] Ich sage: Wo hundert Millionen Menschen leben, da ist viel zu viel mit tausend gesagt, die sich daran wahrhaft lebendig kehren möchten. Was nützen darunter zehn oder hundert Tausende, die das wohl recht gläubig anhören, wenn es aber aufs Tun ankommt, so lassen sie sich von einem Tage bis zum andern Zeit; denn sie sagen: Warum sollte man sich denn gar so anstrengen, um ein ewiges Leben zu erlangen? Gibt es ein ewiges Leben, wie sie es glauben, so wird es wohl nicht schwer sein, dasselbe zu erlangen; daher nur lustig gelebt und am Ende dennoch selig gestorben! Was braucht man darüber mehr?
[GS.02_125,07] Da haben wir aber auch zugleich den steinigen und sandigen Grund. Dieser nimmt wohl den Samen an, und er geht auch bis zur Hälfte auf; aber der Boden hat keine Feuchtigkeit, und so geht am Ende noch das was aufgegangen ist zugrunde!
[GS.02_125,08] Also hält sich der alleinige Glaube nie, wenn er nicht durch die Tat belebt wird; gleich wie durch die pure Theorie ohne tatsächliche Übung und Anwendung derselben niemand ein praktischer Mensch wird.
[GS.02_125,09] So könnt ihr jetzt auch eine Legion um die andere moralischer und religiöser Plauderer finden. Aber alle diese Plauderer wollen an sich keine Probe machen und nicht ein Steinchen mit einem Finger anrühren. Ein jeder glaubt schon damit etwas außerordentlich Verdienstliches geleistet zu haben, wenn er nur gut gepredigt und durch sein moralisches und religiöses Geplauder allenfalls einige dumme Andächtler und Schwärmer zuwege gebracht hat.
[GS.02_125,10] Niemand aber will im Ernste die Wege versuchen, durch welche er unmittelbar dahin gelangen möchte, wo er mit Mir Selbst in Verbindung träte und dann aus Meinem Munde eine lebendige Lehre bekäme, die ihn erst zu einem guten Erdreiche umgestalten könnte.
[GS.02_125,11] Es gibt zwar eine Menge Gottesgelehrte und Theosophen, darunter aber kaum einen, der nach dem Evangelium Johannis wirklich von Gott gelehrt wäre, das da kündet, daß alle sollen von Gott gelehrt sein!
[GS.02_125,12] Fürwahr, so Ich nicht aus Meiner großen Erbarmung heraus hier und da jemanden aufrütteln möchte, gleichwie ein emsiger Hausherr sein träges und faules Gesinde aufrüttelt, so wüßte von den Zeiten der Apostel angefangen bis jetzt beinahe kein Mensch, was „das lebendige Wort“ ist und was es heißt „von Gott gelehrt sein“.
[GS.02_125,13] Die derzeitigen Gottesgelehrten stellen Mich lieber ganz geheimnisvoll über alle Sterne und lassen Mich da in einem völlig unzugänglichen Lichte sitzen. Warum aber tun sie das? Sie tun das aus verschiedenen Gründen. Der erste wäre z.B. der: Weit weg ist gut vor dem Schuß. Der zweite möchte also lauten: Keinem Menschen ist es sonach möglich, sich Gott so zu nähern, daß er von Ihm gelehrt würde. Und noch ein Grund, der sich auf den vorigen stützt, lautet also: Gott hat dem Menschen Vernunft und Verstand gegeben; das ist das lebendige Wort Gottes im Menschen. Wer sich darnach kehrt, der lebt nach dem Willen Gottes, und wer seinen Verstand und seine Vernunft ausbildet, der ist schon von Gott gelehrt; denn niemand kann von Gott unmittelbar, sondern nur mittelbar gelehrt werden, indem Gott ja über allen Sternen im unzugänglichen Lichte wohnt.
[GS.02_125,14] Wenn dann gegenüber diesen geheimnisvollen theosophischen Thesen Ich dennoch hie und da jemanden erwecke, der dann unmittelbar von Mir ein lebendiges Wort empfängt, so wird er vom größten Teile der gegenwärtigen Menschheit als ein Narr und Schwärmer erklärt, mitunter auch als ein Betrüger und Scharlatan, der sich einige Fähigkeiten seines Verstandes zugute zu machen versteht. Saget, ob es nicht also ist?
[GS.02_125,15] Es werden euch verschiedene Männer nicht unbekannt sein, die das lebendige Wort hatten, und das aus der neuen Zeit, vom achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert wie auch manche aus früheren Jahrhunderten. Was aber ist ihr Los? Die stumme Vergessenheit. Der gelehrten Welt genügt, daß sie ihre Namen kennt. Was aber diese Männer aus Mir gelehrt haben, das geht sie nichts an. Und wenn es auch noch hier und da einen oder den andern gibt, der ein solches Buch liest, so kommt er aber bald auf Sätze, die mit seiner Vernunft nicht übereinstimmen. Er verwirft daher auch bald das Ganze und läßt sonach unseren von Mir gelehrten Mann ruhen.
[GS.02_125,16] Wenn es gut geht, so läßt man höchstens Mir allein noch einige Gerechtigkeit widerfahren; aber Meine Boten sind lauter Narren und Betrüger.
[GS.02_125,17] Ist nicht eure Zeit so beschaffen? Ich meine, das kann ein jeder mit der Hand greifen.
[GS.02_125,18] Da aber das Himmelreich keine irgendwo vorhandene Örtlichkeit ist, sondern nur vollkommen ein Zustand des Lebens, so ist das Himmelreich auch vollkommen gleich eurer Zeit, und zwar dieser Zeit, nämlich karg, armselig, klein, selten.
[GS.02_125,19] Und wo es noch ist, daselbst ist es nicht rein. Wird aber das wohl ein Himmelreich sein, so es nicht ganz rein ist? Ich sage euch: Das Himmelreich ist in dieser Beziehung sehr relativ, und das darum, weil einem jeden Narren seine Kappe am besten gefällt.
[GS.02_125,20] Ein jeder findet in seiner Dummheit sein Himmelreich. Ob das wahre aus Mir, das ist eine andere Frage. Dieses ist wahrlich selten, karg und spärlich geworden. Warum? Weil bei den Menschen das gute Erdreich ausgegangen ist! Daher mag Ich nun auch den allerbesten und reinsten Samen säen, wie Ich will, so fällt er dennoch auf lauter Wege, zwischen Dornen und auf steinigen Boden, hie und da zwischen eine Ritze am Wege. So gehen auch zwischen einer Steinkluft aus einer Million Körner etwa tausend auf und hundert erreichen die Reife. Und das ist dann die ganze Ernte und das ganze Himmelreich! Das ist doch sicher karg, selten und spärlich!
[GS.02_125,21] Aus dem könnt ihr abermals ersehen, daß alles bisher Gesagte seinen guten Grund hat, daß an der oberflächlichen Erscheinlichkeit des Geistigen ebensowenig gelegen ist wie an den Erscheinungen der Zeit. Sie sind taub und hohl, aber für den Weisen sind sie eine Schrift, aus deren Grundzügen er mit leichter Mühe die innere Wahrheit findet; denn einer jeden Erscheinlichkeit geht ein wirkender Grund voraus. Ist die Erscheinlichkeit edel und gut, so wird es auch in gleichem Maße der Grund sein; ist die Erscheinlichkeit aber unedel, das heißt weltlich, materiell und schlecht, so wird auch ihr Grund gleichen Maßes sein.
[GS.02_125,22] Wer denn alles Geistige in seiner wahren Gestalt erschauen will, der binde sich nicht an das Erscheinliche, sondern er bediene sich dessen nur zur Erforschung des geistigen Grundes. Hat er diesen, so hat er das ganze Wesen aller Geisterwelt. – Wie aber dieser aus dem Erscheinlichen zu erforschen ist, soll in der Folge gezeigt werden. –
126. Kapitel – Ein Baum als Beispiel vom Wesen des Geisterreiches.
[GS.02_126,01] Im Verlaufe der ganzen Mitteilung aus dem Gebiete des geistigen Sonnenreichs ist wohl in dieser Hinsicht jedes einzelne kleinste Verhältnis gezeigt worden, wie die Geisterwelt mit der naturmäßigen zusammenhängt; und man könnte darum hier füglich sagen: Um aus den Erscheinlichkeiten auf den Grund schließen zu können, wäre es beinahe unnötig, hier noch etwas Weiteres zu sagen, indem eben dieser Gegenstand im Verlaufe der ganzen Mitteilung in all seinen Zweigen hinreichend beleuchtet worden ist.
[GS.02_126,02] Ich aber sage: Des Guten hat der Mensch nie zu viel; wohl aber des Schlechten. Denn viel Gutes mag oft das Schlechte nicht bessern; aber ein wenig Schlechtes kann oft viel Gutes verderben!
[GS.02_126,03] Und so wollen wir auch noch durch manche anschauliche Beispiele unseren vorliegenden Gegenstand so klar als möglich beleuchten.
[GS.02_126,04] Seht an einen Baum. Sein Wesen, wie es da ist, stellt euch das ganze Wesen der Geisterwelt in ihrem Verhältnisse zur naturmäßigen Welt in entsprechender Erscheinlichkeit dar.
[GS.02_126,05] Das Inwendigste des Baumes, der Kern also, ist das Himmlische, der Stamm, die Äste und die Zweige sind das eigentliche Geisterreich, das sein Leben vom inwendigen Kerne hat. Über dem Holze des Stammes werdet ihr die Rinde erblicken, die das Außenerscheinliche des Baumes ist. Die Rinde an und für sich ist tot; aber unter der äußeren toten Rinde befindet sich noch eine andere Rinde, die ihr „die lebendige“ nennt. Diese ist gleich dem Verbindungszustande, wo das Geistige in das Materielle übergeht.
[GS.02_126,06] Betrachten wir die Wirkung dieser Rinde. Aus ihr geht zuerst die äußere tote Rinde hervor, und wieder geht aus dieser lebendigen Rinde all das vergängliche Blätterwerk, wie auch die äußere Form der Blüte und endlich selbst die äußere Schale der Frucht hervor.
[GS.02_126,07] Alle die Produkte aber sind nicht bleibend; sie fallen nach der Zeit, wenn sie ihre Dienste geleistet haben, ab.
[GS.02_126,08] Seht, so ist es mit der Welt und allem dem, was ihr angehört. Alles das gleicht der äußeren Rinde, den Blättern und Blüten, aber auch endlich den Früchten eines Baumes. Diese fallen ab. Aber der Baum besteht und trägt in seinem innern Leben zahllosfältig das Außenbild des Erscheinlichen und Vergänglichen. Wie kann man aber nun aus dem Erscheinlichen auf den inneren wahren Grund schließen? Ich sage: Auf die leichteste Weise von der Welt. Ihr dürfet nur das Erscheinliche euch verunendlichfältigt und zugleich zweckdienlich gesamtwirkend vorstellen, so habt ihr den Grund des Geistigen schon vor euch.
[GS.02_126,09] Der Hauptgrund aber ist ersichtlich dadurch zu finden, daß ihr die ganze vieljährige vegetative Aktion eines Baumes betrachtet. Sie besteht in nichts anderem, als in der steten Mehrung und fortwährend sich steigernden Kräftigung des Lebens.
[GS.02_126,10] Ganz einfach wird dieses in einem einzelnen kleinen Samenkorne in die Erde gelegt. Welche Lebenskraft ursprünglich in diesem Samenkorne ist, z.B. in einer Eichelnuß, kann ein jeder Mensch erproben, wenn er eine solche Nuß in seine Hände nimmt und damit spielen kann wie mit einer Federflaume.
[GS.02_126,11] Wenn aber diese unbedeutende Eichelnuß in die Erde gelegt wird, so fängt sich in ihr das vegetative Leben an zu kräftigen. Ein junger Eichbaum mit höchstens zwei Blättern wird zuerst ersichtlich. In diesem ersten Stadium ist das vegetative Leben des werdenden Eichbaumes noch schwach. Es übertrifft das Gewicht der vorigen glatten Eichnuß kaum um das Zehnfache. Aber betrachten wir es nur um dreißig Jahre später. Da hat es sich schon eine so mächtige vegetative Lebenskraft angeeignet, daß ihr an seinem Stamme mehrere Pferde anbinden könnet, und sie werden ihn mit ihrer riesigen Kraft dem Boden nicht zu entreißen vermögen. Betrachtet es aber in einem Alter von hundert Jahren. Welch ein riesiger, majestätischer Baum, und welche allen Stürmen trotzende Kraft in ihm! Wieviel tausendfältig hat diese hundertjährige Eiche in den gleichen Eichelnüssen ihr ursprüngliches kleines vegetatives Leben reproduziert und wie mächtig hat sie durch ihre Abfälle und dadurch gewisserart mit dem Überflusse ihrer vegetativen Lebenskraft den Boden um sich her gedüngt und ihn zur steten Vermehrung der eigenen Lebenskraft belebt!
[GS.02_126,12] Kurz, ein solcher Baum ist zu einer Welt voll Lebens geworden. Und das alles kam von einer einzelnen unbedeutenden Eichelnuß.
[GS.02_126,13] Sehet, also geht ursprünglich von Mir nur ein Fünklein der Lebenskraft aus, mit dem Vermögen ausgerüstet, sich als eine Lebenskraft bis ins Unendliche zu stärken und zu kräftigen. Und dazu dient eben diese Erscheinlichkeit am Baume zu jedermanns klarster Einsicht.
[GS.02_126,14] Wir sagten ehedem: Aus der lebendigen Rinde geht das erscheinliche Blätterwerk hervor, die äußere Blüte und selbst die Schale der Frucht. In der Frucht selbst bekommt der Keim des Kernes nur ein überaus kleinstes Fünklein aus dem allgemeinen Leben des Baumkernes. Der Kern wird samt der Frucht reif und stellt den Menschen in seiner Welterscheinlichkeit dar. Höchst einfach und wenig sagend ist seine außenerscheinliche Form und gering seine Kraft. Aber er ist gleich einer Eichelnuß. Wenn er in das gute Erdreich Meines Willens gelegt wird, da geht sein innerer Keim auf, und dieser wird endlich selbst zum mächtigen Baume, dessen Kraft die Kraft zahlloser ehemaliger Eichelnüsse übertrifft.
[GS.02_126,15] Und sehet, so hat ein jeder Mensch den Keim seines geistigen Zustandes, der die eigentliche Geisterwelt ist, schon in sich. Er ist auf dieser Welt ein Lebensfünklein, das sich kräftigen soll zu einer Lebenssonne. Aus seinem atomgroßen Lebenskeime soll ein riesiger mächtiger Lebensbaum werden. Und also ist es.
[GS.02_126,16] Wie die Eichelnuß zahllose Wälder voll riesiger Bäume in sich trägt, die sich alle aus dem einzelnen Kerne entwickeln können, so trägt auch der Mensch in seinem klein scheinenden Leben auf dieser Welt eine unendliche Kräftigung und Potenzierung desselben in sich. –
[GS.02_126,17] Es heißt aber im Evangelium, wo der spricht, der sein Talent vergraben hatte: „Ich weiß, daß du ein strenger Mann bist und willst ernten, da du nicht gesät hast. Wo du eins setzest, da willst du tausend gewinnen; darum vergrub ich das Talent, auf daß ich es dir gebe, wie du es mir gegeben hast.“
[GS.02_126,18] Darauf aber spricht der Herr des Talentes: „Ei, du schalkhafter Knecht! Wußtest du, daß ich ein ungerechter Mann bin und will ernten, da ich nicht gesät habe, warum trugst du denn nicht das Talent zu einem Wechsler, der mir darum Wucherprozente gegeben hätte?“
[GS.02_126,19] Sehet, aus dieser Stelle erscheint ganz klar, daß Ich das Leben in den möglichst kleinsten Partien aus Mir hinausstreue in die endlosen Gebiete Meines allwaltenden Seins, um aus einer jeglichen dieser kleinsten Lebenspartien eine übermäßig potenzierte Lebensmasse zurückzubekommen.
[GS.02_126,20] Das ist der wahre innerste Grund alles geistigen Lebens: Aber bin Ich da wirklich ein harter, eigennütziger, ungerechter Lebenswucherer? O nein! Denn außer Mir gibt es ja nirgends ein Leben, und das aus dem einfachen Grunde, weil es ewig nirgends ein „außer Mir“ gibt! Ich bin die Nährquelle ewig für alles Leben!
[GS.02_126,21] Was würde wohl mit dem Leben werden in den Zeiten der Zeiten, so diese Urgrundquelle alles Leben versiegen möchte? Sehet, da würde sich alles Leben ins Unendliche verflüchtigen, und nichts bliebe am Ende übrig als eine ewig leere, finstere, tote Unendlichkeit!
[GS.02_126,22] So aber Ich als die Urgrundnährquelle für alles Leben Mich Selbst in jedem Augenblicke, unendlichfach in Mich Selbst wiederkehrend, stets endlos kräftige und stärke, so wird dadurch alles partielle Leben, welches sich in euch geschaffenen Menschen ausspricht, ja auch ins gleichermaßen Unendliche potenziert, genährt und gestärkt.
[GS.02_126,23] Je stärker der Vater, desto stärker auch die Kinder. Aus der Ameise gehen wohl Ephemeriden, aber keine Adler und Löwen hervor. Überall erzeugt das Schwache wieder Schwaches und das Starke Starkes. Wie aber das Schwache nie Starkes erzeugt, so erzeugt auch das Starke nie Schwaches. Ein Adler ist nie der Erzeuger einer furchtsamen Taube und ein Hase kann sich nicht rühmen, als wäre der Löwe sein Erzeuger.
[GS.02_126,24] So ihr aber Kinder eines allmächtigen Vaters seid und habt den Lebenskeim des Vaters in euch, so kräftiget diesen Keim im guten Erdreiche Meines Willens und machet stark den Vater in euch, so werdet auch ihr dadurch gleichen Maßes im Vater stark werden. Denn der Vater verlangt nicht eure Stärke für Sich, sondern für euch selbst verlangt Er sie, damit auch ihr also vollkommen werden sollet, wie Er Selbst in Sich oder im Himmel vollkommen ist. –
[GS.02_126,25] Sehet, das ist ein Bild, wie ihr von der äußeren Erscheinlichkeit auf den inneren Grund des Lebens schließen könnet. – Nächstens ein anderes Bild zu demselben Zwecke! –
127. Kapitel – Ein Menschenkind als Bild des Himmelreiches und des Universums.
[GS.02_127,01] Wir haben in der vorhergehenden Eröffnung ein kräftiges Bild vor jedermanns Augen gestellt, nach welchem jeder mit leichtester Mühe von den äußerlichen Erscheinlichkeiten auf den inneren Grund schließen kann. Da aber dieses Feld sehr groß ist und die Erscheinlichkeiten auf demselben zahllos sind, so hat der Mensch der rechten Bilder nie zuviel, um sich in jeder Lage seines erscheinlichen Daseins den rechten Rat zu schaffen. Und so werden wir zu einem andern, in sich zwar ganz einfachen, aber desto inhaltsschwereren und allgemeineren Bilde zur Beleuchtung unserer Sache schreiten.
[GS.02_127,02] Was Einfacheres könnte es wohl geben als ein harmloses, ärmliches Menschenkind? Dieses hat zwei bewegliche Füße, dann einen Leib voll Eingeweide; es hat zwei bewegliche Arme und über denselben auf einem Halse einen beweglichen Kopf. An dem Kopfe sind zwei Ohren, die immer gleich voneinander entfernt bleiben, und das eine hört dennoch allezeit dasselbe wie das andere. Also hat es auch zwei Augen, die ihren festen Standpunkt im Kopfe haben und einander nicht nähergerückt werden können, obschon sie für sich einer Bewegung fähig sind. Mit diesen beiden Augen kann jedes einzelne Ding für sich beschaut werden. In der Mitte der Augen sitzt die zweimündige Nase. Sie atmet die Lebensluft in sich und läßt die Unreinigkeit des Hauptes abfließen. Also hat es auch einen Mund, dessen unterer Teil allein beweglich ist. In selbem hat es zwar unbewegliche Zähne, aber eine desto beweglichere Zunge. Der übrige Leib besteht aus einer Haut, aus Fleisch, Blut, Nerven, Fasern, Adern und Knochen, in denen sich ein Mark vorfindet. – Sehet, das ist das Bild unseres Kindes.
[GS.02_127,03] Wer ahnt es aber, was alles hinter dieser ganz einfachen Erscheinlichkeit steckt? Wer ersieht darin einen ganzen Himmel? Wer das ganze unendliche Universum?
[GS.02_127,04] Wer sucht in diesem einfachen Bilde einen Konflikt der gesamten Schöpfung, sowohl in der geistigen als auch in der naturmäßigen Sphäre?
[GS.02_127,05] Möchte da nicht jemand sagen: In dem Kinde ist solches wohl kaum ersichtlich; aber lassen wir es zum Manne werden, dann wird sich in seinem Denken und Handeln vielleicht wohl manches finden lassen, daraus man folgenderweise erkennen kann, daß der Mensch zum wenigsten ein integrierender Teil der Schöpfung ist.
[GS.02_127,06] Ich aber sage: Dessen bedarf es nicht; das Kind allein genügt. Seine zwei einfachen Füße bezeugen Meine väterlich tragende Liebsorge, welche sich in den zehn einfachen Geboten ausspricht, die euch bekannt sind. Die Füße sind aus dieser Ordnung auch der Unterstützung halber und der Festhaltung wegen mit zehn Zehen versehen.
[GS.02_127,07] In der naturmäßigen Sphäre aber stellen sie das Planetensystem vor, welches ebenfalls die unterste Stütze eines Sonnensystems ist. Ja, das Planetenwesen nötigt gleich den Füßen durch seine Bewegung den großen Hauptleib der Sonne in die große Hauptbewegung.
[GS.02_127,08] Aus dieser ganz kurzen Darstellung könnt ihr entnehmen, daß schon in den Füßen des Kindes das ganze liebsorgliche Wesen geistiger Art, wie das ganze Planetenwesen naturmäßiger Art vorhanden ist.
[GS.02_127,09] Auf den Füßen ruht der Leib als die Hauptwerkstätte des Lebens. Wer ersieht hier in geistiger Sphäre nicht sogleich das Wesen der belebenden Liebe aus Mir? Und wer erschaut in dem Leibe nicht sobald die Sonne, welche ist der belebende Leib des ganzen Planetensystems?
[GS.02_127,10] Im Leibe ist das Herz als der Grundsitz des Lebens und als das allerklarste Bild der Liebe. Diese Liebe ist fortwährend tätig und führt allen Teilen des Leibes Nahrung zu.
[GS.02_127,11] Gleich neben sich hat diese Liebe den Magen. Dieser ist die gastfreundschaftliche Küche, in welcher die Liebe durch ihr Feuer die Speisen verkocht und sie dann, gar herrlich zubereitet, in alle Teile führt.
[GS.02_127,12] Die Lunge ist da gleichsam ein zweiter Magen, eine zweite Küche, durch welche zu den in der ersten Küche bereiteten Speisen ätherische Kost hinzugegeben wird, damit die Speisen der ersten Küche lebendig werden und zur Unterstützung des Lebens taugen.
[GS.02_127,13] Wie herrlich zeigt das Bild dieser zwei Küchen, in deren Mitte das tätige Herz waltet, wie das Geistige in das Naturmäßige eingreift, um es selbst zu vergeistigen und also einer höheren Bestimmung zuzuführen. Und das alles geschieht durch die stets tätige Vermittlung des Herzens, dieses getreuesten Bildes der Liebe!
[GS.02_127,14] Wer kann hier Mein eigen Liebewalten verkennen, wie Ich auch einerseits stets das Verlorene aufnehme, es in der großen Küche der naturmäßigen Schöpfung verkoche, und es dann belebe durch den Hauch Meiner Gnade und Erbarmung, aus der zweiten großen Küche, welche da ist der Himmel, und ist gleich der Lunge im Menschen.
[GS.02_127,15] Jeder Atemzug kann jedem Menschen sagen, wie Ich eben aus den Himmeln fortwährend einwirke, damit das Leben bestehe dadurch, daß Ich eben durch dieses Einfließen stets den Tod in das Leben zu verwandeln anstrebe.
[GS.02_127,16] Wer hier nur ein klein wenig klar zu denken vermag, den wird dieses wunderbare Entsprechungsbild sicher nicht ohne Licht lassen. – Gehen wir aber weiter.
[GS.02_127,17] Zu beiden Seiten des Leibes befinden sich zwei Hände. Diese stellen in geistiger Hinsicht die werktätige Liebe dar, welche sich in weiten Räumen allorts frei bewegen kann und fortwährend wirkt und schafft.
[GS.02_127,18] Durch die Hände wird sonach auch Meine freiwaltende, ungebundene Macht dargestellt, welche aber dennoch nicht außer der bestimmten ewigen Grundordnung wirkt, denn auch eine jede Hand trägt als äußerste Ausläufer die Finger, deren Zahl den Ausläufern an den Füßen gleichkommt. Nur sind die Ausläufer an den Füßen an dieselbe gerichtete Ordnung gebunden, während die Ausläufer an den Händen die freie Tätigkeit in dieser Ordnung bedeuten.
[GS.02_127,19] Also wäre z.B. ein im Geiste nicht wiedergeborener Mensch gleich der gebundenen Ordnung der Füße und ein wiedergeborener Mensch gleich der freien Ordnung der Hände.
[GS.02_127,20] Wer hier wieder zu denken vermag, der wird die entsprechende Wahrheit finden; besonders wenn er noch die naturmäßige Sonne betrachtet, wie auch diese im Ausflusse ihrer Strahlen ihre offenbaren freitätigen Hände beschaulich darstellt.
[GS.02_127,21] Nun hatten wir noch den Kopf, einen festen Teil über dem Leibe, welcher in sich selbst in abgerundeter Form einen vollständigen Menschen in seiner geistigen Sphäre darstellt. Die Ohren sind dessen Füße, auf denen er einhergeht. Die Augen sind seine Arme, mit denen er gar weit um sich greifen kann. Die Nase ist die Lunge; der Mund ist der Magen. In ihm ist gleich dem Herzen die Zunge, welche sowohl die materiellen wie die geistigen Speisen verarbeiten hilft; die materiellen durch das Unterschieben unter die zermalmenden Zähne und dann durch das Hinabschlingen. Das ist ihre materielle Beschäftigung. Aber die Zunge gibt auch der Stimme einen verständlichen, artikulierten Laut, und sie ist es, die die inneren Gedanken in verständige Worte umwandelt.
[GS.02_127,22] Das innere Mark des Hauptes stellt das gesamte entsprechende Eingeweide des Menschen dar oder sein verfeinertes und vergeistigtes Leben.
[GS.02_127,23] Und so führt der Mensch in seinem Gesamtumfange in seiner ganz einfachen, beschaulichen Form den Menschen durch all seine drei Stufen vor: in seinen Füßen die gebundene Naturmäßigkeit, in seinem Leibe dessen geistige Sphäre, die noch mit Verschiedenem zu tun und zu kämpfen hat und durch den Kopf seine himmlische Sphäre, wo der Mensch an und für sich zwar in einer festen, unwandelbaren Beschaffenheit dasteht, aber eben dadurch in seiner Wirkungssphäre um desto weiter hinausgreifend ist, wie die Bestandteile des Kopfes schon beim naturmäßigen Menschen endlos weiter hinausreichen als die Bestandteile des Leibes.
[GS.02_127,24] Nun sehet, das ist ein ganz einfaches, aber klares Bild. In dieses Bildnis äußerer Erscheinlichkeit ist das Ganze des Himmels, das Ganze der dem Himmel untergeordneten Geisterwelt und so auch das Ganze der dem Himmel und der Geisterwelt untergeordneten naturmäßigen Welt in allen ihren Einzelheiten enthalten.
[GS.02_127,25] Ich meine, wenn ihr dieses Bild, besonders in der Schlichtheit eines harmlosen Kindes, betrachtet, so werdet ihr in dieser Erscheinlichkeit jede andere mit Leichtigkeit finden und allenthalben auch eben so leicht auf deren Grund zu kommen imstande sein. – Und so hätten wir denn auch der Bilder genug; und es bleibt uns nichts mehr übrig, als einige „Nacherinnerungen“ diesem ganzen